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Wie es zur großen Flucht kam

Wenn man erlebt hat, wie überfordert die zuständigen Behörden 2015 waren, fragt man sich, warum Österreich nicht besser auf diese große Fluchtbewegung vorbereitet war. Das Heeresnachrichtenamt hatte nämlich bereits im März 2011 gewarnt:

Durch die verstärkte Migration aus Krisengebieten und wirtschaftlich benachteiligten Regionen Afrikas und Asiens ist bereits heute absehbar, dass sich bis weit nach dem Jahre 2015 höchste Belastungen für die Grenzsicherheit ergeben werden. … Das Problem einfach abzuwarten und dann die Polizei loszuschicken, wird keine Lösung sein. Zu lösen ist das Problem nur gesamteuropäisch, politisch und humanitär.

Diese Information war den zuständigen Regierungsstellen angeblich bekannt. Passiert ist nicht viel. 2011 hatte Italien wegen der vielen Flüchtlinge den humanitären Notstand ausgerufen, Österreich hatte zu diesem Zeitpunkt eher zurückhaltend reagiert. Die damalige EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström hatte gebeten, Flüchtlinge aus Italien, Griechenland oder Malta aufzunehmen. Die damalige Innenministerin Maria Fekter hatte gemeint, das hätte einen Staubsaugereffekt: „Wir würden dem ganzen afrikanischen Kontinent signalisieren, man braucht nur nach Italien zu kommen und wird dann auf Europa aufgeteilt.“

Diese Argumentation, diese Sicht der Dinge hält sich im Innenministerium bis heute. Statt vom Staubsaugereffekt spricht man mittlerweile vom „Pull-Faktor“. Bei jedem Vorschlag, der von NGOs oder von anderen Experten kommt, heißt es im Innenministerium: Das geht nicht, das sorgt sonst für einen „Pull-Faktor“ – eine Argumentation, die laut Flüchtlingsexperten nicht haltbar ist. Für die Wochen ab September 2015 kann man jedenfalls sagen: Die Flüchtlinge, die damals ankamen, waren Getriebene. Sie waren aufgrund von Mord, Terror, Krieg, Hunger geflüchtet, die Situation in ihrer Heimat war dramatisch. Der „Push-Faktor“ war stärker als jeder „Pull-Faktor“ – und das gilt in hohem Maße heute noch.

Analysiert man die Zeit ab 2011, dann haben ganz andere Faktoren zur Fluchtbewegung von 2015 geführt. Ab 2008 wurden die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit von 103 Millionen Euro sukzessive auf 77 Millionen Euro im Jahr 2016 gesenkt. Bereits 2012 flohen 500 000 syrische Flüchtlinge in die Nachbarländer Türkei, Jordanien und den Libanon. Die UNO bat damals um 490 Millionen Dollar Unterstützung, nur ein Drittel davon hat die Staatengemeinschaft aufgestellt. Im österreichischen Innenministerium hielt man unterdessen ein drittes Aufnahmezentrum für Flüchtlinge neben Traiskirchen und Thalham für nicht notwendig.

Im Jahre 2014 veröffentlichte die UNO den größten Hilfsappell in der Geschichte. Das Welternährungsprogramm könne seine Hilfe in Syrien und der Region nur mehr wenige Wochen finanzieren. Die UNO bat die Staatengemeinschaft um 7,7 Milliarden Euro – bekommen hat sie 3,5 Milliarden. Es gab auch schon damals die Diskussion über die Aufnahme von Flüchtlingen, die nach Italien, Griechenland und Malta gekommen waren.

Österreich lehnte genauso wie die deutsche Regierung eine Quote, welche die Flüchtlinge auf alle EU-Staaten aufteilen sollte, ab. Innenministerin Mikl-Leitner meinte, Österreich sei nicht in der Pflicht, noch mehr Flüchtlinge aufzunehmen. Wenige Monate später sollte sich diese Einschätzung ändern. Die Folgen all dieser Versäumnisse zeigten sich im Jahr 2015 in aller Dramatik: Das Welternährungsprogramm, das massiv unterfinanziert war, musste im Sommer auch noch die Essensgutscheine für die syrischen Flüchtlinge im In- und Ausland kürzen. Im Libanon und in Jordanien fehlten rund 80 Prozent der Mittel. Dadurch verstärkte sich die Fluchtbewegung noch mehr.

Hierzulande fließt das Geld eher in andere Interessensgebiete der Politik. Im Jahr 2015 förderte Österreich das World Food Programme mit 5,3 Millionen und UNHCR mit 3,6 Millionen Euro – allein die „Kronen Zeitung“ bekam in jenem Jahr von der öffentlichen Hand 23 Millionen mittels Inseraten. 2016 kündigte die Bundesregierung eine stufenweise Aufstockung der Entwicklungshilfe an. Derzeit gibt Österreich 0,26 Prozent des BIP für Entwicklungszusammenarbeit aus, die Bundesregierung will diesen Betrag bis 2030 auf 0,7 Prozent des BIP anheben. In den Jahren davor hatten hauptsächlich die Grünen und die Hilfsorganisationen immer wieder auf die zu geringe Entwicklungshilfe hingewiesen. Wenn man die öffentlichen Mittel statt in Regierungsinserate in die Entwicklungshilfe stecken würde, wäre das zumindest ein Anfang.

Erinnern wir uns an die Zeit der Griechenland-Krise, als die Finanzminister Europas in der heißen Zeit fast jede Woche zusammenkamen, um alle Arten von Rettungsschirmen zu spannen. Zusammengerechnet sind 248 Milliarden Euro zur Rettung von Griechenland aufgebracht worden. Die UNO spricht bei der Fluchtbewegung von sieben Milliarden Euro Hilfsbedarf jährlich. Es ist unverständlich, dass niemand auf die Idee kommt, ähnlich ausreichende Finanzierungsformen, wie man sie für die Griechenland-Hilfe wählen musste, für den nordafrikanischen Raum zu beschließen, um rasch zu helfen.

Der Kampf der Innenministerin

Zurück aus der weiten Welt nach Österreich. Genau zu jener Zeit, am 5. September, als die großen Menschenmengen nach Österreich kamen, fand die erste „Task Force“ der Bundesregierung statt, an der Christian Konrad und ich teilnahmen. Der erste Webfehler dieser Task Force war meiner Ansicht nach, dass Innenministerin Mikl-Leitner einen Bericht über die aktuelle Situation vorlegen musste – und dadurch entstand der Eindruck, dass die Zuständigkeit für die Flüchtlinge primär bei ihr läge und sich die anderen Minister in Zurückhaltung üben könnten. Schwierig für Mikl-Leitner, die ja – man denke nur an die „Siebener Lage“, wo viel informiert, aber nichts beschlossen wurde – manches auch nicht letztentscheiden konnte. Dabei sollte die Bewältigung solcher Ausnahmesituationen wohl eine Aufgabe aller sein. Bis 2004 hatte es im Bundeskanzleramt eine „Stabsstelle für umfassende Landesverteidigung“ gegeben, die in derartigen Situationen für die Koordination aller Bundes- und Landesdienststellen aktiviert worden war. Später habe ich mich gefragt, warum nicht die gesamte Bundesregierung einmal das Lager Traiskirchen besucht hat, meines Wissens waren nur der Bundespräsident, der Kanzler, der Vizekanzler und die Innenministerin dort.

Johanna Mikl-Leitner hatte in dieser Phase einen schweren Job, was auch an der Kultur ihres Hauses lag. Eine Innenministerin ist von Beamten umgeben, die – bei Gendarmerie oder Polizei ausgebildet – das Fluchtthema primär als Sicherheitsfrage sehen, als Helfer sind sie in der Regel überfordert. Also warnen sie vor allem vor „Pull-Faktoren“ und Kriminalität. Als Innenministerin ist man ständig mit solchen Argumenten konfrontiert – und übernimmt sie. So argumentierten Maria Fekter und Johanna Mikl-Leitner, so argumentiert ihr Amtsnachfolger Wolfgang Sobotka. Ich hatte auch den Eindruck, dass sich Mikl-Leitner zeitweise von ihren Regierungskollegen alleingelassen fühlte. Manchmal schien sie überfordert zu sein.

Ich billige allen in dieser Task Force zu, dass sie versuchten, die anstehenden Probleme konstruktiv zu lösen. Doch ein Grund, warum die Dinge dort nicht rund gelaufen sind, liegt wahrscheinlich in der Rolle des damaligen Verteidigungsministers Gerald Klug. Man hatte öfter den Eindruck, er wollte sich hier in erster Linie ein politisches Match mit der Innenministerin liefern – wohl parteipolitisch motiviert. Er schlug zwar Kasernen für die Unterbringung der Flüchtlinge vor, aber immer nur solche, von denen er wusste, dass entweder ein schwarzer Landeshauptmann oder ein schwarzer Bürgermeister gegen diesen Standort waren. Mikl-Leitner brachte daraufhin ihrerseits Kasernen ins Spiel, wo der Fall anders herum gelagert war – dort waren ein roter Landeshauptmann oder ein roter Bürgermeister dagegen.

So schaukelte sich dieses Match zwischen Verteidigungs- und Innenressort auf, was dazu führte, dass Mikl-Leitner und Klug eine Art Wahlkampf oder Wettbewerb auf dem Rücken der Flüchtlingsproblematik führten. Dauernd widersprachen die beiden Minister einander in der Öffentlichkeit, man erinnere sich nur an die unselige Ankündigung des Zaun-Baus an der Grenze – so kam es zur Errichtung der heute leerstehenden Registrierungseinrichtung in Spielfeld, die Kosten von 8500 Euro pro Tag verursacht.


Credit: Kurier/Franz Gruber

Die Bahnhöfe werden zu Brennpunkten der Fluchtbewegung.

Die Zaun-Debatte verstärkte bei vielen Bürgern das Gefühl der Unsicherheit und ließ den Eindruck entstehen: Da weiß niemand genau, wo es wirklich langgeht. Ich habe immer darauf gewartet, dass der damalige Bundeskanzler Faymann seinen Minister Klug einbremst – vergeblich. Nach dem Wechsel zu Hans Peter Doskozil als Verteidigungsminister kam es bei diesem Thema zu einer wesentlich konstruktiveren Haltung.

Das Durchgriffsrecht, das von der Regierung beschlossen wurde, war uns jedenfalls bei der Quartiersuche sehr hilfreich – gerade in jenen Fällen, in denen wir rasch Unterkünfte schaffen mussten –, weil wir dadurch den Behördenweg abkürzen konnten. Das Durchgriffsrecht sieht vor, dass der Bund bis zu 450 Flüchtlinge an einem Standort unterbringen kann. Daher hat man es auch bei Kasernen eingesetzt, wie zum Beispiel bei der Hessen-Kaserne in Wels, der Kaserne im burgenländischen Bruckneudorf und der Hensel-Kaserne in Villach. Es war die Aufgabe von Christian Konrad, in Gesprächen mit den Bürgermeistern eine für die Region tragfähige Lösung zu finden, in den allermeisten Fällen ist ihm das auch ohne jeden Konflikt gelungen.

Angela Merkel und die Willkommenskultur

Bei der Sitzung der Task Force am 5. September wurde ersichtlich, wie wichtig der Kontakt zwischen Bundeskanzler Werner Faymann und der deutschen Kanzlerin Angela Merkel in diesen Tagen war. Faymann rief auch in Folge immer wieder bei Merkel an mit der Bitte, klarzustellen, dass Flüchtlinge, die an die Grenze zu Bayern kommen, dort auch übernommen würden. Hätte Deutschland die Menschen nicht übernommen, hätten wir 600 000 bis 800 000 Flüchtlinge – je nachdem, welchen Zeitraum man der Berechnung zugrunde legt – im Land gehabt. Eine humanitäre Katastrophe, die niemand hätte bewältigen können.

In dieser Zeit drohte der bayrische Ministerpräsident Horst Seehofer damit, die Grenzen zu schließen und nur mehr geringe Tageskontingente zu erlauben. Also fuhren Christian Konrad und ich am 21. Oktober 2015 zu Kanzleramtsminister Peter Altmaier nach Berlin. Er gab uns die Zusage, dass Deutschland weiterhin bis zu 7000 Menschen täglich aufnehmen werde.

Die Rolle der deutschen Kanzlerin Merkel war in dieser historischen Ausnahmesituation vor allem die einer großen Helferin. Dass man Merkel später als die Willkommenskultur-Verkünderin darstellte und sagt, ein Wahnsinn, was die uns angetan hat – das macht mich fassungslos. Auch wurde immer wieder davon gesprochen, dass die Politik des „Durchwinkens“ ein Ende haben müsse. Hätten wir in diesen Tagen und Wochen nicht Flüchtlinge durchwinken können, wäre eine unvorstellbar schlimme Situation eingetreten. Am 4. September 2015 hatte die deutsche Regierung am späten Nachmittag überlegt, Grenzkontrollen einzuführen und Flüchtlinge ohne Papiere zurückzuweisen. Es gab dabei aber gravierende rechtliche Bedenken, und Angela Merkel erklärte, dass es nur zu Grenzschließungen kommen könnte, wenn dieser Befehl rechtlichen Bestand haben würde, und dass es keine unschönen Bilder von der Zurückweisung von Flüchtlingen geben dürfte. Das konnte ihr niemand versprechen. Die Grenze blieb daher für Flüchtlinge offen – auch wenn Kontingente eingeführt wurden.

Interessant ist in dem Zusammenhang auch die Diskussion um Merkels berühmten Satz vom 31. August 2015: „Wir schaffen das.“ Die große Fluchtbewegung war da schon längst durch den Mangel an internationaler Unterstützung für die UNO-Hilfsprogramme und viel zu wenig Entwicklungshilfe in Gang gesetzt worden – nicht durch Merkels „Wir schaffen das“, wie später viele insinuierten. Merkel versuchte, konstruktiv mit dieser Situation umzugehen, wissend, dass in der Folge Maßnahmen gesetzt werden und Verhandlungen geführt werden müssen, um diesen Flüchtlingsstrom einzudämmen.

Denn als Merkel ihren berühmten Satz sagte, waren schon mehr als 160 000 Flüchtlinge aus dem Nahen Osten und dem Norden Afrikas nach Ungarn gekommen, ihr „Wir schaffen das“ kann nicht der Grund dafür gewesen sein. Es steht außer Streit, dass die sozialen Medien heute jedem zeitnah Informationen darüber bieten, wie die Situation in Schweden, in Deutschland, in Österreich ist. Und es ist auch unbestritten, dass viele von jenen, die im Sommer 2015 nach Ungarn gekommen sind, schon Verwandte oder Freunde in Deutschland oder Schweden hatten.

Die nicht ganz geschlossene Balkanroute

In der Folge gab es mehrere Bemühungen, die Fluchtbewegung einzudämmen, darunter die vieldiskutierte Schließung der Balkanroute. Interessanterweise hat Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil jetzt, 2017, gemeint, die Balkanroute sei nach wie vor nicht ganz geschlossen und es bedürfe hier weiterer Maßnahmen. Auch ein Vertreter des Innenministeriums meinte im Jänner 2017 im ORF-„Report“, die Balkanroute sei nur rhetorisch geschlossen worden. Tatsächlich kommen nach wie vor Menschen über diesen Weg nach Österreich, profitiert haben von der „Schließung“ vor allem die Schlepperorganisationen.

Ich denke, dass die Vereinbarung, die es dank Angela Merkel zwischen der Europäischen Union und der Türkei gibt, viel mehr dazu beigetragen hat, dass der Druck über diese Route nachgelassen hat. Unabhängig davon, dass noch immer genügend Flüchtlinge entlang des Balkans in Lagern untergebracht sind – und dort höchst bedenkliche Zustände für die Menschen herrschen.

1.2
DIE KUNST DES UNMÖGLICHEN

Traiskirchen ist nur ein Symbol für die Überforderung der Flüchtlingspolitik. Hinter den Debatten geht es auch um unterschiedliche Kulturen im Land, die in dieser Frage mit ihren Vorstellungen aufeinandertreffen: von den Beamten im Innenministerium bis zu den Bürgermeistern am Land.

Ferry Maier

Christian Konrad wurde mit 1. Oktober 2015 offiziell zum Flüchtlingskoordinator der Bundesregierung ernannt. Gleichzeitig vereinbarten wir, dass wir ein Budget von einer Million Euro bekommen würden, das gegen Abrechnung zur Verfügung stünde. Wir gründeten für die Organisation unserer Arbeit den Verein „Österreich hilfsbereit“, schlank strukturiert, mit insgesamt vier Mitarbeitern. Christian Konrad wurde Vereinsobmann, Hans Peter Haselsteiner Obmann-Stellvertreter und ich Generalsekretär. Und wir suchten für den Vorstand Persönlichkeiten, die uns in der Vereinsarbeit unterstützen: Erika Pluhar, Doraja Eberle, Martin Schlaff, Werner Kerschbaum, Michael Landau oder Alexander Wrabetz.

Doch schon bei der Gründung des Vereins kam die typisch österreichische Mentalität zum Vorschein. Offensichtlich glaubte der eine oder andere, das sei eine Proporzveranstaltung, und empfand daher die SPÖ als unterrepräsentiert. Die Forderung wurde laut, dass auch der Arbeiter-Samariter-Bund in diesem Vorstand einen Platz bekommen sollte. So ist Österreich eben. Ich erklärte, dass es uns nicht um irgendwelche Farbenspiele ginge, sondern um die Sache. Aber damit es kein böses Blut gab, richteten wir auch noch einen Beirat für alle NGOs ein. Unser Verein war dann die einzige Institution, die in dieser Sache bundesweit agierte und daher viele Organisationen miteinander vernetzen konnte.

Eine interessante Erfahrung für uns war, dass für die erste Zwischenabrechnung der Ausgaben des Vereins niemand zuständig sein wollte: weder das Innenministerium noch das Bundeskanzleramt, aber auch nicht das Finanzministerium. Dank eines Gutachtens des Verfassungsdienstes, das der damalige Kanzleramtsminister Josef Ostermayer in Auftrag gab, wurde die Zuständigkeit des Innenministeriums klargestellt.

Traiskirchen im Ausnahmezustand

Die Situation in Traiskirchen war laut UNHCR bereits im Juli 2015 „untragbar, gefährlich und menschenunwürdig“, und Experten des UNHCR forderten nach einem Besuch des Lagers einen Aufnahmestopp. Doch die Lage wurde noch chaotischer, weil die vorhandenen Abstimmungsschwierigkeiten zwischen den unterschiedlichen Bundesdienststellen (Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen, Polizeiinspektionen) durch die hohe Zahl an Flüchtlingen noch verschärft wurden. Doch wie der damalige Leiter des Aufnahmezentrums, Franz Schabhüttl, in einem kürzlich erschienenen Buch mit Abrechnungscharakter anschaulich zeigt, haben die Verantwortlichen die Probleme – wenn überhaupt – nur zum Teil erkannt. Eine Lösung scheiterte nicht nur am Unvermögen in Analyse, Konfliktmanagement und Kommunikation, sondern in erster Linie an der fehlenden Bereitschaft, sich der eigenen Verantwortung zu stellen.

Anfang September 2015 wurde in mehreren Medien über obdachlose Menschen in Traiskirchen berichtet, nachdem auch Kanzler Werner Faymann bei einem Besuch des Lagers im August davon gesprochen hatte, dass die Situation „humanitär nicht tragbar“ sei. Selbst das Innenministerium hatte offenbar das Vertrauen in den Leiter von Traiskirchen verloren, immerhin wurden zwei Generalkoordinatoren eingesetzt, welche die Leitung des Lagers übernehmen mussten. Als Konsequenz dieses Chaos strandeten bis Ende 2015 an manchen Tagen 200 geflüchtete Menschen, bis weit ins Jahr 2016 hinein täglich 20 bis 30 Flüchtlinge vor dem Lager. Das waren oft Flüchtlinge, die von anderen Polizeidienststellen nach Traiskirchen geschickt worden waren.

Nach Dienstschluss am Abend saßen die Flüchtlinge völlig unversorgt bei jeder Witterung auf der Straße, freiwillige Helfer und die Caritas kümmerten sich um die obdachlosen Menschen. Diese wurden vor allem in der Moschee, aber auch im Pfarrsaal der römisch-katholischen und der evangelischen Pfarrgemeinde untergebracht. Als erste Notmaßnahme stellten wir vor dem Lager einen Gelenkbus der Wiener Linien auf, als Warte- und Schlafmöglichkeit. Anfang Dezember, also erst Wochen später, konnten wir dann auf Empfehlung des international erfahrenen Flüchtlingsexperten Kilian Kleinschmidt ein beheizbares Wartezelt errichten. Die Kosten für die Anschaffung dieses Zeltes über das World Food Programme lagen bei 72 000 Euro, zu den laufenden Kosten für das Jahr 2016 haben wir keine Informationen. Die Verantwortung der Organisation dieses Zeltes oblag der Lagerleitung. Wie der ehemalige Lagerleiter Franz Schabhüttl in seinem im Frühling 2017 erschienen Buch auf einen siebenstelligen Betrag für das Zelt kommt, ist mir unverständlich.


Credit: Stefanie Steindl

Die Caritas sammelt Sachspenden und verteilt sie in Traiskirchen.

Nachdem wir Kilian Kleinschmidt mehrmals getroffen und um seine Expertise gebeten hatten, schlug Christian Konrad der Innenministerin vor, ihn als Berater für Traiskirchen beizuziehen.

Ein weiteres großes Problem in dieser Zeit waren die mangelnden Ressourcen im Bundesamt für Asyl und Fremdenwesen. Wir haben natürlich auch dort mit den Mitarbeitern gesprochen – sie waren heillos überfordert, weil in dieser Ausnahmesituation völlig unterbesetzt. Wir brachten diesen Notstand auch in einer Sitzung der Task Force vor. Es gab von allen großes Verständnis dafür, aber die Vorschläge für eine Lösung waren eher eigenwillig: Die zuständige Staatssekretärin meinte, man könnte jene Beamten, die man bei Post oder Bundesbahn abbaut, einfach ins Bundesamt für Asyl und Fremdenrecht übersiedeln. Aber dort waren natürlich Juristen mit Asylrechtskenntnissen gefragt, also war das keine so gute Idee. Wir verloren nur Zeit. Erst Wochen später begann man tatsächlich, neue Juristen zu rekrutieren. Erfreulich war dafür die Zusammenarbeit mit den zuständigen Dienststellen der Länder. Dabei war aber erkennbar, dass diese in fast allen Bundesländern unterbesetzt waren und daher die einzelnen Mitarbeiter ziemlich gefordert waren.

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