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Mitbegründer oder Anhänger dieser Bewegung wie Jesperson (1922), Passy (1899), Sweet (1899), Gouin (1892), Berlitz (1887), Viëtor (1882) prägten die Reformbewegung mit unterschiedlichen auf die Praxis ausgerichteten Ideen, Modellen und Unterrichtsverfahren. In seiner einflussreichen Einführung benennt Stern (1983) diese Phase wie folgt:

The last decades of the nineteenth century witnessed a determined effort in many countries of the Western world (a) to bring modern foreign languages into the school and university curriculum on their own terms, (b) to emancipate modern languages more and more from the comparison with the classics, and (c) to reform the methods of language teaching in a decisive way. (Stern 1983:98)

Verschiedene Methoden sind in den 20er Jahren (bis in die 40er Jahre) des 20. Jahrhunderts als »praktische Antworten« auf die vorangehende Diskussion entwickelt worden: darunter die vermittelnde Methode (England), die Lesemethode (England) und BASIC English (British/ American/Scientific/International/Commercial), ein Versuch, das Sprachenlernen zu vereinfachen und zu rationalisieren. Mit diesen Methoden beginnen die ersten Ansätze, das Unterrichtsgeschehen, die sprachliche Basis, das Testen von Fertigkeiten und das Lern- und Lehrverhalten mittels verschiedener Pilotstudien systematisch zu untersuchen (unter anderem die Modern Foreign Language Study der American and Canadian Committees on Modern Languages 1924–1928, siehe Bagster-Collins, Werner & Woody 1930). Dieser Trend wurde in den 40er und 50er Jahren mit der Profilierung der Linguistik noch intensiviert. Hierzu gehören Schlüsselereignisse wie die Veröffentlichung von Psycholinguistics: A Survey of Theory and Research Problems, herausgegeben von Osgood, Sebeok, Gardner, Carroll, Newmark, Ervin, Saporta, Greenberg, Walker, Jenkins, Wilson & Lounsbury (1954), Verbal Behavior von Skinner (1957) und Lados erste systematische Erfassung der kontrastiven Linguistik Linguistics across Cultures: Applied Linguistics for Language Teachers (1957). The American Army Method, deren Errungenschaften später heiß umstritten waren, versuchte nachzuweisen, dass Sprachunterricht auch ohne die traditionellen schulartigen Methoden und mit wesentlich größeren Gruppen und in kürzerer Zeit effizient durchgeführt werden kann. Als Folge der behavioristischen Ideologie wurden besonders in den USA die audiolingualen und in Frankreich die audiovisuellen Lehrverfahren entwickelt, die lange Zeit den Sprachunterricht dominierten und unter anderem auch dem Vormarsch der Sprachlabortechnologie Vorschub leisteten und – trotz gegenteiliger empirischer Evidenz – bis heute dem konditionierenden Einsatz elektronischer Medien zugrunde liegen (zum Beispiel in Programmen wie Rosetta Stone oder Tell me more).

Die stetige Zunahme von linguistischen Studien und die Begründung der Psycholinguistik als ein interdisziplinäres Forschungsgebiet leisteten später einen wesentlichen Beitrag zur Identifizierung der aus den Methoden der behavioristischen Verhaltensformung entstehenden Probleme des Spracherwerbs (zum Beispiel Rivers einflussreiches Buch The Psychologist and the Foreign Language Teacher 1964). Als Folge der zunehmenden Kritik an den intuitiven Methoden gewann schließlich das kognitive Lernen – bis heute weitgehend als das regelgeleitete, systematische Lernen missverstanden – in der Diskussion um angemessene Ansätze an Gewicht. Chomskys nativistische Theorie auf der einen Seite und soziolinguistische und pragmalinguistische Strömungen auf der anderen haben im Anschluss daran vor allem die Erwerbsforschung und die Entwicklung neuer methodischer Verfahren geprägt. Chomskys Ausgangshypothese zufolge haben Kinder eine angeborene Fähigkeit der Sprachbildung (in der Muttersprache, L1). Wenn Kinder zum ersten Mal die Sprache hören, setzten allgemeine Prinzipien der Spracherkennung und Sprachproduktion ein, die zusammen das ergäben, was Chomsky den Language Acquisition Device (LAD) nennt. Der LAD steuere die Wahrnehmung der gehörten Sprache und stelle sicher, dass das Kind die entsprechenden Regeln ableite, die die Grammatik der gehörten Sprache bildeten. Dabei bestimmten Verallgemeinerungen, wie die Sätze in der entsprechenden Sprache zu bilden seien. Im Zweitsprachenerwerb werde die Reichweite des LAD einfach auf die neue Sprache ausgedehnt. Nativistische Theorien des Spracherwerbs haben jedoch wenig Einfluss auf die Entwicklung von Erwerbs- und Unterrichtskonzepten für Fremdsprachen gehabt. Den stärksten Einfluss haben sie in der Erforschung und Formulierung von Erwerbssequenzen ausgeübt. In deutlichem Kontrast dazu haben sich seit den 1970er Jahren parallel verschiedene Forschungsrichtungen ausgebildet, die sich an die Valenzgrammatik, die Pragmalinguistik (Sprechakttheorie, Diskursanalyse), die funktionale Linguistik, die Textlinguistik und die Psycholinguistik und andere Kognitionswissenschaften anlehnen. Mit wenigen Ausnahmen ist es aber auch dieser Forschung nicht gelungen, nachhaltig auf die Lehr- und Lernpraxis einzuwirken. Unter den Versuchen einer systematischen Nutzung wissenschaftlicher Ergebnisse für die Entwicklung von Lehrmaterial und Lehrverfahren sind die folgenden zu nennen:

 ein kurzlebiger Versuch, die Valenzgrammatik als Grundlage einer didaktischen Grammatik einzuführen (zum Beispiel das DaF-Lehrwerk Deutsch Aktiv)

 die eklektische Nutzung von Elementen der pragmatischen Erwerbsforschung in der Lehrwerksproduktion (siehe die DaF-Lehrwerke Tangram, Schritte international)

 die Berücksichtigung von Aspekten der Interkomprehensionsdidaktik in Lehransätzen (EUROCOMM)

 die Gestaltung des Sprachunterrichts nach handlungstheoretischen und konstruktivistischen Prinzipien (Szenariendidaktik, fallbasiertes Lernen, Fachsprachenunterricht).

Fremdsprachenunterricht wird verbreitet noch als Domäne des Einzelerwerbs betrachtet. Die systematische Nutzung von Kenntnissen der Vorsprachen beim Erwerb weiterer Sprachen wird bisher nur ansatzweise bedacht und bearbeitet. In Begriffen wie Mehrsprachigkeitsdidaktik, Deutsch nach Englisch oder Interkomprehensionsdidaktik zeigen sich die Vorboten einer neuen Generation der Fremdsprachendidaktik, deren Grundlagen jedoch noch zu erarbeiten sind, wenn sie nicht bei kontrastiven Vergleichen verharren will.

Zur kognitiven Ausrichtung

Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert – und darum geht es in dieser Buchreihe – sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale während der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Referenzdisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters ihrer Methoden nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt.

Die kognitive Linguistik, die Psycholinguistik, die Neurolinguistik, die kognitiv ausgerichteten Kulturwissenschaften sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Sie sollen in den Bänden dieser Reihe soweit zum Tragen kommen, wie das nur möglich ist. Bei jedem Band stehen daher die Prozesse in den Köpfen der Lerner im Mittelpunkt der Betrachtung.

1. Sprachenlernen und Kognition

Um zu verstehen, wie die Sprache überhaupt in den Köpfen der Lerner entsteht und sich weiter verändert, sind Erkenntnisse aus verschiedenen Nachbardisziplinen der Sprachlehrforschung erforderlich. Die Neurolinguistik kann zum Beispiel darüber Aufschluss geben, welche Gehirnareale während der Sprachverarbeitung aktiviert werden und inwiefern sich die Gehirnaktivität von L1-Sprechern und L2-Sprechern voneinander unterscheidet. Durch die Nutzung bildgebender Verfahren lässt sich die sprachrelevante neuronale Aktivität sichtbar und damit auch greifbarer machen. Was können wir aber daraus für die Praxis lernen? Sollen Lehrer ab jetzt die Gehirnaktivität der Lerner im Klassenraum regelmäßig überprüfen und auf dieser Basis die Unterrichtsinteraktion und die Lernprogression optimieren? Dabei wird schnell klar, dass eine ganze Sprachdidaktik sich nicht allein auf der Basis solcher Erkenntnisse formulieren lässt. Dennoch können die Daten über die neuronale Aktivität bei sprachrelevanten Prozessen unter anderem die Modelle der Sprachverarbeitung und des mehrsprachigen mentalen Lexikons besser begründen, die sonst nur auf der Basis von behavioralen Daten überprüft werden. Ähnlich wie die Neurolinguistik stellt die kognitive Linguistik eine Nachbardisziplin dar, deren Erkenntnisse zwar für die Unterrichtspraxis sehr relevant und wertvoll sind, die sich aber unter anderem aufgrund des introspektiven Charakters der Methoden, mit denen sie gewonnen werden, nicht direkt übertragen lassen. Die kognitive Linguistik erklärt nämlich die Sprache und den Spracherwerb so, dass sie mit den Erkenntnissen aus anderen kognitiv ausgerichteten Disziplinen vereinbar sind. So dienen kognitive Prinzipien wie die Metaphorisierung oder die Prototypeneffekte der Beschreibung bestimmter Sprachphänomene. Der Spracherwerb wird seinerseits durch allgemeine Lernmechanismen wie die Analogiebildung oder die Schematisierung erklärt.

Sowohl die kognitive Linguistik als auch die Neurolinguistik sind also Bezugsdisziplinen, die als Grundlage einer kognitiv ausgerichteten Sprachdidaktik fungieren. Im Folgenden sollen daher die Grundannahmen und Methoden dieser beiden Disziplinen vorgestellt werden sowie die qualitativ neuen Wege der Sprach- und Kulturvermittlung, die damit eröffnet werden können.

1.1 Kognitive Linguistik

In der vorliegenden Lerneinheit gehen wir gleich folgenden spannenden Fragen nach: Wie hängen Sprache, Denken und Kognition zusammen? Inwiefern spiegelt die Sprache das allgemeine konzeptuelle System des Menschen wider? Nach welchen allgemeinen Prinzipien organisieren sich natürliche Sprachen? Zur Beantwortung dieser Fragen wird zunächst ein geschichtlicher Rückblick auf die bisherigen Sprach- und Grammatiktheorien geworfen. Danach erläutern wir die Grundlagen der kognitiven Linguistik, die viel näher an der lebensweltlichen Realität sind, als es die anspruchsvolle Bezeichnung vielleicht vermuten lässt. Anschließend werden die Organisationsprinzipien beschrieben, die sowohl in allen natürlichen Sprachen als auch in jedem Sprachbereich (Syntax, Morphologie und Ähnliches) beobachtet werden können. Schließlich zeigen wir, wie sich die unterschiedlichen Konzeptualisierungen einer Szene beziehungsweise eines Ereignisses in der sprachlichen Formulierung niederschlagen.

Lernziele

In dieser Lerneinheit möchten wir erreichen, dass Sie

 die verschiedenen historischen und aktuellen Forschungsperspektiven auf den Zusammenhang von Sprache, Kultur und Kognition verstehen können;

 die Grundannahmen der kognitiven Linguistik verstehen und die kognitive Linguistik von anderen Ansätzen abgrenzen können;

 die Vorteile kognitionslinguistischer Ansätze für die Erklärung von grammatischen Phänomenen erkennen können;

 die wichtigsten Elemente der kognitiven Sprachdidaktik kennen und ihren Mehrwert für die Lehrpraxis begründen können.

1.1.1 Welt, Sprache und Denken

Es ist ein weit verbreiteter Mythos, dass Sprache nicht zwischen die Realität und das Denken treten solle, also transparent wie Glas sein müsse. Savory (1967) spielt auf diese Auffassung in dem Motto an, das seinem Buch The Language of Science vorangestellt ist. Hier moniert er, dass die Mittlerfunktion der Sprache den Erkenntnisgewinn verhindere: »There can be no doubt that science is in many ways the natural enemy of language«.

Derartige Vorstellungen sind insofern bemerkenswert, als die Interdependenzen von Sprache und Denken und die Bedeutung der Sprache als konstitutives Instrument im Prozess der Wahrnehmung und des Erkenntnisgewinns in zahlreichen wichtigen Arbeiten in der Folge einflussreicher Sprachphilosophen wie Humboldt, Locke, Vico oder Condillac bis hin zu Casagrande, Osgood, Hjelmslev, Ullman, Schlesinger, Vygotskij und Weinreich bereits nachdrücklich belegt sind. Dennoch scheinen sie nur rudimentär ins Sprachbewusstsein von Öffentlichkeit und Wissenschaft einzudringen.

Als Mikrokosmos des menschlichen Bewusstseins, das sich im Prozess der phylogenetischen Entwicklung von Sprachen ständig ändert, bezeichnet Vygotskij die Wörter der Sprache:

Linguistics did not realize that in the historical evolution of language the very structure of meaning and its psychological nature also change. From primitive generalizations, verbal thought rises to the most abstract concepts. It is not merely the content of a word that changes, but the way in which reality is generalized and reflected in a word […] (Vygotskij 1962: 121). Thought and language, which reflect reality in a way different from that of perception, are the key to the nature of human consciousness. Words play a central part not only in the development of thought but in the historical growth of consciousness as a whole. A word is a microcosm of human consciousness. (Vygotskij 1962: 153)

Boas zieht aus Sprachvergleichen den Schluss, dass Sprachen jeweils unterschiedliche Teilaspekte eines Gesamtkonzepts beziehungsweise eines mentalen Gesamtbildes in den Vordergrund rücken, ein Aspekt, der uns in dem Konzept der Profilierung in der kognitiven Linguistik wieder begegnen wird und der weitreichende Folgen in der kognitiven Sprachdidaktik hat.

When we consider for a moment what this implies, it will be recognized that in each language only a part of the complete concept that we have in mind is expressed, and that each language has a peculiar tendency to select this or that aspect of the mental image which is conveyed by expression of thought. (Boas 1911, zitiert nach Slobin 1996: 71)

Auch Naturwissenschaftler wie Heisenberg und Einstein weisen in unterschiedlicher Art auf die Interdependenz von Sprache und Erkenntnis hin. Während Heisenberg die Notwendigkeit der Begriffe für das Verständnis der Welt thematisiert, greift Einstein den kognitions- und identitätsformenden Charakter von Sprache und die Ausbildung von Linguakulturen auf.

[… D]ie existierenden wissenschaftlichen Begriffe passen jeweils nur zu einem sehr begrenzten Teil der Wirklichkeit, und der andere Teil, der noch nicht verstanden ist, bleibt unendlich. (Heisenberg 1959: 169f)

What is it that brings about such an ultimate connection between language and thinking? […] the mental development of the individual and his way of forming concepts depend to a high degree upon language. This makes us realize to what extent the same language means the same mentality. (Einstein 1981: 7)

Die kognitive Linguistik beschäftigt sich systematisch damit, wie das Denken über mentale Modelle und Bildschemata in der Sprache abgebildet wird und wie diese sprachlich abgebildeten Modelle das weitere Denken beeinflussen. Das hat weitreichende Folgen für den Lebensbezug und die Transparenz von Sprache und damit auch für ihre Vermittelbarkeit. Im folgenden Kapitel sollen daher die Grundlagen dieser vergleichsweise neuen Art der Linguistik dargestellt werden.

1.1.2 Der Weg zur kognitiven Linguistik

Dem Strukturalismus von Ferdinand de Saussure zufolge, der den Beginn der modernen Linguistik stark geprägt hat, wird die Sprache unterschieden in langue und parole (vergleiche Albrecht 2007: 27ff). Langue wird von de Saussure als ein System von Symbolen und Regeln definiert, das durch soziale Konventionen festgelegt ist. Parole wird hingegen als die Verwendung dieses Systems durch die Individuen beschrieben. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese durch Konvention festgelegten und verwendeten Symbole immer arbiträr sind in ihrer Zuweisung zu dem, was sie bezeichnen (signifié, Bezeichnetes, Zeicheninhalt) und dem, wie sie das Bezeichnete bezeichnen (signifiant, Bezeichnendes, äußere Zeichenform) (vergleiche Albrecht 2007: 43). Es handelt sich bei Sprachen also um ein abstraktes Regel- und Symbolwerk, das zunächst einmal mit Konvention und individueller Verwendung zusammenhängt. Ursprünglich hatte de Saussure die Trichotomie langage-langue-parole vorgesehen, wobei langage die Sprachfähigkeit der Menschen bezeichnete, die auf die langue und parole angewandt wird (vergleiche Albrecht 2007: 29). De Saussure hat jedoch in seiner Sprachtheorie nicht erläutert, wie die Komponenten langue und parole zusammenhängen, und vor allem wie die Individuen überhaupt zum Erwerb des Systems und dessen Verwendung kommen (vergleiche Geeraerts & Cuyckens 2007: 11). Jahre später hat Chomsky (1965) diesen Aspekt in seiner Transformationsgrammatik (auch generative Grammatik genannt) behandelt und unter anderem durch die Annahme eines angeborenen Spracherwerbsmechanismus (Language Acquisition Device, kurz LAD) erklärt. Nach Chomsky verfügt jedes Individuum über eine mehr oder weniger angeborene Universalgrammatik, in der das nötige Wissen über das System einer Sprache gespeichert ist, was Chomsky als Kompetenz des Individuums bezeichnete (vergleiche Hoffmann 2003: 2ff). Dank der Kompetenz, dem Vorhandensein der Universalgrammatik, ist das Individuum auch imstande, das Sprachsystem zu verwenden, wofür Chomsky den Begriff der Performanz verwendet. Dieser ist in etwa dem Begriff der parole von de Saussure gleichzusetzen, er spielt jedoch in der Transformationsgrammatik eine eher nebengeordnete Rolle (Smirnova & Mortelmans 2010: 11f). Mit der Unterscheidung zwischen Kompetenz und Performanz löste Chomsky jedoch eine noch größere Lücke in der Sprachtheorie aus, weil dabei die soziale Dimension und die kommunikative Funktion von Sprache und Spracherwerb völlig außer Acht gelassen wurden (vergleiche Geeraerts & Cuyckens 2007: 11). So fasst Chomsky zum Beispiel die Grammatik als ein eher abstraktes Regelwerk auf, das durch sogenannte Transformationen (Ersetzungs- und Umstellungsregeln) ermittelbar ist (vergleiche auch Klenk 2003: 71f). Dabei sollen die jeweils zugrundeliegenden Transformationen die Überführung von einer Tiefenstruktur in eine syntaktische Oberflächenstruktur beziehungsweise in die konkreten Äußerungen ermöglichen (vergleiche Klenk 2003: 74f). Demnach ist Grammatik formell operationalisierbar und bildet ein in sich logisches Regelwerk, das wenig durch dessen Gebrauch seitens der Individuen veränderbar ist und relativ unabhängig von Bedeutung und allgemeiner Kognition funktionieren kann. Sprache ist also durch eine Universalgrammatik bestimmt und in diesem Sinne recht starr und wenig manipulierbar durch nichtsprachliche Kognition.

Erst Ende der 1980er Jahre führte die kognitive Linguistik zu einem Paradigmenwechsel von dieser hauptsächlich syntaxorientierten Sprachbeschreibung zu einer bedeutungsorientierten. So heißt es bei Langacker (2008a: 8), einem der wichtigsten Vertreter der kognitiven Linguistik: »If generative linguistics views syntax as being central to language, Cognitive Linguistics accords this honor to meaning«. Die kognitive Linguistik betont folgerichtig die symbolische Funktion von Sprache, deren Teile beziehungsweise Symbole als Paare, bestehend aus (phonologischer) Form und Bedeutung, beschrieben werden. Die konzeptuellen Organisationsprinzipien des symbolischen Systems der Sprache – und vor allem der Grammatik – erklärt die kognitive Linguistik hauptsächlich anhand von allgemeinen Prozessen und Phänomenen der menschlichen Kognition wie zum Beispiel Analogiebildung, Kategorisierung, Komposition, Prototypeneffekte und Ähnliches (vergleiche Langacker 2008b). Die Sprachbeschreibung erlangt damit eine kognitive Plausibilität. Auch die Veränderbarkeit des symbolischen Systems durch die Sprecher selbst wird in der kognitiven Linguistik im Gegensatz zu den vorherigen Ansätzen stark betont:

Substantial importance is given to the actual use of the linguistic system and a speaker’s knowledge of its use; the grammar is held responsible for a speaker’s knowledge of the full range of linguistic conventions, regardless of whether those conventions can be subsumed under more general statements. (Langacker 1987: 494)

Entscheidend ist das Sprachwissen des Sprechers. Damit wandte sich die kognitive Linguistik entschieden von der generativen Grammatik von Chomsky ab. Die Hauptkritikpunkte richteten sich unter anderem gegen folgende Aspekte:

 Die in der generativen Grammatik postulierte Autonomie des Sprachmoduls ist nicht mehr annehmbar, da Sprache als Teil des menschlichen kognitiven Systems ebenfalls nach allgemeinen kognitiven Prinzipien funktioniert (vergleiche Barcelona & Valenzuela 2011: 19). Ein Beispiel dafür sind die Metaphorisierungsprozesse in der Sprache, bei denen konkrete, nichtsprachliche Erfahrungen als konzeptuelle Basis für abstrakte Konzepte genutzt werden.

 Große Teile der Sprache werden in der generativen Grammatik als Ausnahmen erklärt und damit ausgeschlossen. Die kognitive Linguistik beschreibt sprachliche Realisierungen hingegen als Teile eines Kontinuums, auf dem die Nähe beziehungsweise die Distanz zu einem Prototypen dargestellt ist (vergleiche Evans & Green 2006).

 Die generativistische Auffassung von Spracherwerb als Naturphänomen und als angeborene Fähigkeit des Menschen wird in der kognitiven Linguistik nicht mehr vertreten. Die Idee von Sprache als ein vom sozialen und kulturellen Kontext abgekoppeltes, formelles Regelsystem wird somit abgelehnt (vergleiche Geeraerts & Cuyckens 2007: 13). Vielmehr wird Sprache als ein Produkt der Interaktion zwischen Individuen in einem bestimmten kulturellen Kontext angesehen und somit als ein von Menschen geschaffener Code, der durch allgemeine Lernmechanismen erworben wird, begriffen.

Mit dem Ziel, eine höhere Plausibilität zwischen Sprachbeschreibung und allgemeiner menschlicher Kognition zu erlangen, sind im Bereich der kognitiven Linguistik verschiedene Ansätze entstanden, wie zum Beispiel die kognitive Semantik (Talmy 1983, 2000), die Konstruktionsgrammatik (Bergen & Chang 2005; Croft 2001; Fillmore 1988; Tomasello 2003), die conceptual metaphor theory (Lakoff & Johnson 1980; Lakoff 1987) und die kognitive Grammatik (Langacker 1991). Obwohl jeder dieser Ansätze die Grundannahmen der kognitiven Linguistik teilt, unterscheiden sie sich alle in ihrer Schwerpunktsetzung voneinander.

Die wichtigsten konstitutiven Merkmale der kognitiven Linguistik sind:

 Sprache ist ein symbolisches System.

 Sprache ist ein Teil der allgemeinen menschlichen Kognition.

 Sprache ist ein gebrauchsbasiertes System.

Sie sollen im nächsten Abschnitt erläutert werden.

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9783823300984
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