Читать книгу: «Draußen war ein schöner Tag», страница 2

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Sofort springen SS-Männer hinzu. Der Fahrer wird heraus gezogen – tot. Der Verhaftete wird aus dem Führerstand gezerrt. Trupp 13 lässt seine Wut an ihm und seinen beiden Kameraden aus. Der, der gefahren ist, blutet bereits aus einer Platzwunde auf der Stirn. Sonnes Männer schlagen ihn wie entfesselte Bestien zusammen.

Die Brüder Sonne stehen nebeneinander, umringt von den anderen Gestapo-Männern, und sehen ruhig zu, wie Trupp 13 auf den am Boden liegenden Mann eintritt. Auch die beiden anderen Verhafteten winden sich bereits vor Schmerzen auf der Straße.

„Der Teufel soll euch holen!“ schreit einer.

Da ziehen Hauptmann Sonne und Obersturmführer Sonne gleichzeitig die Waffe. Die beiden Schüsse klingen wie einer. Getroffen sinkt der völlig blutüberströmte Mann zusammen. Die zwei Kugeln sind ihm präzise genau nebeneinander ins Herz geschlagen.

„Aufhören!“ schnauzt Hauptmann Sonne den Trupp 13 an. „Aufrichten!“

Er deutet mit der Waffe auf die beiden blutenden, noch lebendigen Männer.

Je zwei SS-Männer ziehen einen Verhafteten hoch und schleifen sie auf Sonnes Befehl zur Hauswand hinüber. Die Brüder Sonne treten vor die beiden hin.

„Heil Hitler!“ schreit Obersturmführer Sonne und reckt den rechten Arm zum Himmel. Die Nazis grüßen.

„Wird’s bald?“ schnauzt der SS-Sonne die beiden Verhafteten an. „Grüßt. Sofort! Heil Hitler! Los!“

Die Männer schweigen.

Da schießen die Brüder Sonne jedem in die linke Schulter.

„Heil Hitler! Los!“ fordert Sonne nochmals.

Langsam heben die Männer den rechten Arm und murmeln den Nazigruß.

„Lauter! Ich will’s hören!“ schnauzt Hauptmann Sonne die beiden an.

Die beiden brüllen wütend und mit Todesverachtung das „Heil Hitler!“.

„Moskau verrecke! Los!“ fordert der SS-Sonne.

Die Männer zögern ihm zu lange. Da schießt er jedem in die rechte Schulter.

„Moskau verrecke! Los jetzt!“ brüllt Hauptmann Sonne und schießt dem Mann vor ihm in beide Knie.

Der Mann rutscht zusammen und kniet stöhnend im seinem eigenen Blut auf dem Bürgersteig.

„Moskau verrecke!“ schreit er mit schmerzverzerrtem Gesicht.

„Brav!“ höhnt Hauptmann Sonne und gibt ihm den Gnadenschuss.

Wie ein Mehlsack fällt der Mann in sich zusammen und bleibt reglos liegen. Im warmen, hellen Licht der Junisonne trocknet die rote Lache um ihn herum am Straßenpflaster fest.

„Und nun zu dir“, grinst Hauptmann Sonne böse.

Der andere Verhaftete schreit den verlangten Satz sofort.

„So ist’s fein!“ höhnt der SS-Sonne und schießt ihm in den Unterleib.

Der Mann brüllt vor Schmerzen.

Sonne zerschießt ihm beide Kniescheiben.

Der Mann fällt hin und wimmert vor Schmerzen.

Der SS-Sonne sieht kurz seinen Bruder an. Dann tritt er dem Mann mit der Stiefelspitze in die Seite, dass der Mann vor Schmerzen aufheult. Der SS-Sonne lacht, zieht den Mann hoch, dass er auf den kaputten Knien zu sitzen kommt, und setzt ihm den Pistolenlauf an die Schläfe.

Der Mann winselt immer noch leise vor sich hin.

„Fahr zur Hölle, du rotes Schwein!“ knurrt Sonne und drückt ab.

Die Gestapo geht zu ihrem Wagen und fährt davon. Die SS packt die Leichen auf die Ladefläche, während einer den zerschossenen Reifen gegen einen neuen austauscht. Dann fahren auch die schwarz Uniformierten davon.

„Diese verdammten Schweine!“ knurrt Axel leise.

Paul sieht Liza ernst an, legt ohne ein Wort die Arme um sie und drückt sie an sich. Es ist so gut, seine Nähe zu spüren. Sie schließt die Augen und weint.

„Es ist vorbei“, flüstert er und streichelt sie beruhigend.

Ihr schießen dennoch nur noch mehr Tränen in die Augen. Sie klammert sich wie eine Ertrinkende an ihn und weint heftig.

„Was ist denn los?“

Liza zuckt zusammen. Es ist nur Rebecca, die ihren Arm berührt und sie besorgt ansieht. Liza schüttelt stumm den Kopf und wischt sich die Tränen ab.

„Alles in Ordnung“, murmelt sie.

Rebecca sieht sie prüfend an.

„Wirklich?“

Liza nickt.

„Na, wenn du meinst ...“, seufzt Rebecca und wendet sich wieder ihrer Arbeit zu.

Liza versucht, sich ebenfalls auf ihre Arbeit zu konzentrieren. Doch sie muss dauernd an die Brüder Sonne denken. Die beiden verfolgen sie in allen ihren Alpträumen. Hin und wieder bekommen sie dabei das hässliche Gesicht von Scharführer Baldt. Doch es sind vor allem die Erinnerungen aus der Zeit vor Neuengamme, die sie nicht loslassen. Das Schreckliche, das sie mitangesehen hat. Meistens waren die Brüder Sonne beteiligt.

Paul hat mal mit ihr zusammen überlegt, wer von den Nazis eigentlich der Schlimmste ist.

„Ich bin mir nicht sicher, aber der Führer ist es eigentlich nicht“, hat er gesagt. „Sondern eher solche wie die Brüder Sonne. Andererseits… der Führer lässt zu, dass es solche wie die beiden gibt. Deshalb ist wohl doch er der Allerschlimmste. Er gibt seinen Leuten Macht, über Leben und Tod zu entscheiden. Vollkommen willkürlich. Und er sorgt dafür, dass sie damit ungestraft durchkommen. Keiner sagt etwas dagegen. Hinter den Gardinen wird zugesehen, aber die meisten Menschen suchen das Weite oder sehen weg, wenn die Brüder Sonne irgendwo auftauchen.“

„Ende!“ brüllt Scharführer Baldt durch den Raum.

Sie stehen auf. Liza läuft wieder zur Kantine, um das Abendessen zu holen. Lutz ist auch schon da.

„Hallo Liza!“ sagt er mit Pauls Lächeln.

„Hallo“, lächelt sie zurück.

„Schade, dass wir uns nicht mal richtig in aller Ruhe unterhalten können“, sagt er traurig.

Sie nickt.

„Ja, geht wohl leider nicht“, sagt sie bedauernd.

Er lächelt.

„Aber wir sehen uns ja jeden Morgen beim Appell“, tröstet er. „Ein Lächeln von dir, und mir geht’s für den ganzen Tag gut.“

Sie muss ein Lachen unterdrücken. Wie lieb von ihm. Beinah genau wie Paul.

„Hast du lieb gesagt“, lächelt sie.

„Meine ich auch so“, versichert er.

„Genauso?“

„Genau so!“

Er blickt sie ernst an.

„Ich mag dich nämlich irgendwie sehr gern.“

Sie lächelt.

„Ich dich auch.“

Fast hätte sie noch gesagt: Du ähnelst nämlich meinem Freund Paul. Aber das wäre nicht besonders taktvoll. Und außerdem viel zu umständlich zu erklären. Und eigentlich ist es ja auch nicht mehr wichtig. Wer weiß denn, ob sie Paul jemals wiedersehen wird? Aber Lutz ist hier, hier und jetzt...

„Schlaft nicht!“ zischt einer hinter ihnen.

Hastig nehmen sie jeder das Abendessen für ihre Baracke und gehen los.

„Wiedersehen“, lächelt Liza.

Lutz grinst.

„Heute werde ich nur von dir träumen“, verspricht er.

Sie lächelt und nickt. Schnell geht sie zu Nr. 7.

Nach dem Abendessen dürfen sie nicht mehr nach draußen. Wer Tischdienst hat, muss sofort nach Abgabe des Geschirrs zurück in ihre Baracke gehen.

Liza schlüpft unter die dünne Wolldecke. Rebecca lässt sich etwas mehr Zeit.

„Haste ihn eben wieder getroffen?“ fragt sie und legt sich zu ihr.

Liza nickt.

„Schön“, lächelt Rebecca. „He, was ist das denn?“

Sie greift unter sich und zieht Nathalie hervor.

„Ach so. Hier“, sagt sie und drückt Liza die alte Lumpenpuppe in die Hand.

Rebecca streckt sich aus. Sie ist größer als Liza, ist ja auch ein Jahr älter. Liza kuschelt sich an die Freundin, um die Körperwärme auszunutzen. In der Nacht wird es sehr kalt in der Baracke.

„Sag mal“, fängt Rebecca nach einer Weile an zu flüstern. „Du hast mir nie gesagt, warum du eigentlich mit fünfzehn noch eine Puppe hast.“

Liza drückt Nathalie fest an sich.

„Sie ist von meiner Großmutter“, sagt sie leise und dicht an Rebeccas Ohr.

Rebecca macht nur „hmm“.

„Erinnerst du dich an die Wahltage vor beinah zehn Jahren? Als die Nazis überraschend gut abschnitten?“

Rebecca macht erneut leise „hmm“.

„Meine Großeltern haben nicht weit von uns in einem kleinen Schrebergartenhäuschen gewohnt“, flüstert Liza. „Mein Großvater hat alle seine Liebe in den kleinen Garten gesteckt. Sehr schön war er, besonders im Frühling, wenn die Blumen nacheinander hervorkamen. Und im Sommer, wenn alle Blumen blühten. Es war fast das Paradies auf Erden.“

Liza seufzt tief und sieht all die schönen Blumen vor sich. Und mittendrin den Großvater mit seiner grünen Gärtnerschürze. Am Kaffeetisch sitzt in ihrem weißen Sommerkleid die Großmutter und strahlt über das ganze Gesicht.

„Und?“

Rebecca stößt sie vorsichtig an. Liza zuckt zusammen. Auf einmal sieht sie wieder das Feuer, sieht die Großeltern im eigenen Blut liegen.

„Während der Wahltage“, beginnt sie leise, „kamen SA-Männer.“

Sie wischt sich die Tränen ab.

„Ich war gerade durch die Rosenhecke in mein Versteck gekrochen, wo ich mit Nathalie spielte. Großmutter hat sie mir einen Tag vorher geschenkt.“

Sie hält Nathalie fest an sich gepresst. Die Erinnerung greift mit eisigen Händen nach ihrem Herzen…

„Eine Tasse Tee, meine Liebe?“

Nathalie nickt und setzt sich graziös auf die moosbewachsene Baumwurzel.

„Mit Milch und Zucker, meine Liebe?“

„Aber bitte, gern“, lächelt Nathalie.

„Ein Stückchen Kuchen, meine Liebe?“

„Ja, bitte.“

„Mit Sahne?“

„Nein, nein. Vielen Dank. Ich muss auf meine Linie achten.“

„Aber meine Liebe, Sie doch nicht!“

„Vorzüglich, Ihr Kuchen, Verehrteste.“

„Ach, vielen Dank, meine Liebe. Der Hut steht Ihnen aber gut.“

„Vielen Dank, Gnädigste. Ich hab ihn aus der Stadt. Von...“

Die Straße frei den braunen Bataillonen...

„Was wollen Sie?“

Schritte des Großvaters auf dem Kiesweg. Schwere Stiefel, die das Gartentor eintreten.

„Aus dem Weg, Jude!“

„Ich bitte Sie!“

„Halt’s Maul, Jude!“

„Was fällt Ihnen ein, unser Haus zu beschmieren?!“

„Auf die Knie, Jude!“

„Herr Sturmführer, ich bitte Sie!“

„Sturmbannführer! Hier gibt’s nix zu bitten.“

„Aber...“

„Nix aber. Fahr zur Hölle, Jude!“

Ein Schuss.

„Was haben Sie getan? Isaac, hörst du mich?“

„Halt’s Maul, Frau!“

„Sie haben ihn erschossen. Oh, Isaac!“

„Wirst du jetzt endlich still sein, Frau?“

Ein Schmerzensschrei.

„Ach, halt’s Maul!“

Ein zweiter Schuss. Stille.

„Beeilung!“

„Uuund – Feuerwerk!“

„Brennt gut!“

„Schafft sie rein!“

„Aber, da brennt alles!“

„Los jetzt! Oder muss ich böse werden?“

„Nein, natürlich nicht, Herr Sturmbannführer. Zu Befehl, Herr Sturmbannführer!“

Pause. Dann nach einer Weile:

„Sehr schön! Und – formatieren! Rechts, zwo, drei, vier...“

Die Fahne hoch, die Reihen fest geschlossen. SA marschiert mit ruhig festem Schritt...

Stille.

Rauch.

„Großmutter? Großvater?“

Stille.

Flammen, die zum Himmel schlagen.

Schwarzer Rauch, der in den Augen brennt.

Auf dem Kiesweg – Blut.

In der offenen Tür des kleinen Häuschens: zwei Körper – blutüberströmt.

„Großmutter? Großvater?“

Stille.

Tränen.

„Oh Gott!“ murmelt Rebecca und greift nach Lizas Hand. „Es tut mir leid, Liza. Es tut mir wahnsinnig leid.“

Liza schluckt schwer und wischt sich erneut die Tränen ab. Rebecca nimmt sie in den Arm und wiegt sie wie ein kleines Kind.

„Und du hast die ganze Zeit hinter der Hecke gesessen?“

Auch in Rebeccas Stimme klingen nun Tränen mit. Liza nickt.

„Ich saß da. Wie erstarrt. Als sie weg waren, nahm ich Nathalie und kroch durch die Hecke. Das ganze Häuschen stand in Flammen. Und in der Tür lagen sie. Großmutters weißes Kleid war dreckig und voller Blut.“

Wieder laufen Liza Tränen über die Wangen.

„Wein ruhig, das hilft“, murmelt Rebecca und streicht vorsichtig über Lizas braunes Lockenhaar. Dann wiegt sie Liza sacht im Singsang der alten trostspendenden Worte:

Höre, Israel, der Ewige unser Gott, der Ewige ist Eins! Und Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben…“

„…von ganzem Herzen, von ganzer Seele und mit all deiner Kraft“, vollendet Liza und kuschelt sich noch dichter an Rebecca, die ein paar weitere Worte murmelt:

So spricht der Herr: Ich bin euer Tröster…“

Liza holt tief Luft und spürt, wie die Worte ihr Herz berühren und tatsächlich Trost spenden. Der Schrecken der Erinnerung nimmt ab. Rebecca hat recht, die alten Worte helfen. Liza drückt die Hand der Freundin und fühlt, wie ihr wild klopfendes Herz ruhiger wird. Die Nähe eines lieben Menschen beruhigt. Dicht aneinander geschmiegt schlafen sie ein.

*****

Ende August 1942.

„Hab ich dir schon mal gesagt, wie hübsch du bist?“

Paul betrachtet sie liebevoll. Sie lächelt und schüttelt langsam den Kopf.

„Biste aber“, lächelt er und küsst sie zärtlich.

„Richtig gut steht dir das Kleid“, meint er. „Wie eine Prinzessin siehste aus.“

„Mit deiner schönen Haarschleife kein Wunder“, lächelt sie und fährt vorsichtig über das dunkelgrüne Satinband, das ihren Zopf verziert.

„Komm“, sagt er und reicht ihr galant den Arm. „Die anderen warten schon.“

Sie steigen stolz wie die Königin und der König von irgendwo die Treppe hinunter.

„Schön! Wie die Dietrich höchstpersönlich“, lacht Axel, als er sie sieht.

„Die Schönheit hat Marlene Dietrich aber auch nix gebracht“, murmelt Paul ernst. „Goebbels will sie hier nicht mehr sehn. Weil sie gegen die Nazis und außerdem mittlerweile Amerikanerin ist.“

„Die hat’s gut“, seufzt Pauline. „Ich würd auch gern einfach abhauen.“

Axel nickt.

„Ja, wer würde das nicht?!“ nickt er. „Aber wer bleibt dann hier und bietet den Nazis die Stirn?“

„Solche wie der Elser zum Beispiel“, erinnert Paul. „Aber der kuckt sich jetzt Sachsenhausen von innen an.“

Sie haben die Bushaltestelle erreicht. Der Bus kommt. Sie steigen ein.

„Ach, Scheiße!“ flucht Axel leise.

Ganz hinten im Bus sitzen Hilda, Charlotte und drei weitere Mitglieder des Bundes Deutscher Mädel in ihren Uniformen.

„Sie haben uns noch nicht bemerkt“, flüstert Pauline.

„Nach vorn“, sagt Paul leise.

Möglichst unauffällig rutschen sie auf eine der vorderen Bänke, zwischen vielen Erwachsenen, die ihr Schutzschild sind. Am Stephansplatz steigen sie schnell aus.

„Oh, verdammt! Die wollen doch nicht etwa auch ins Kino?“ murmelt Axel.

Die Deutschen Mädel sind auch ausgestiegen und streben ebenfalls dem UfA-Palast Dammtorstraße Ecke Valentinskamp entgegen.

„Schnell“, drängt Paul. „Je eher wir drin sind, desto unwahrscheinlicher ist es, dass sie uns sehn.“

Sie drängeln sich zwischen den anderen Besuchern zum Eingang vor. Immer wieder sehen sie sich um. Die Deutschen Mädel sind nicht mehr zu sehen. Aufatmend tritt Liza einen Schritt zurück.

„Wohin, Jüdin?“ sagt eine spöttische Stimme hinter ihr.

Erschrocken fährt sie herum: Es ist Gunnar Berger, der da in seiner von Abzeichen übersäten HJ-Uniform steht, umringt von seinen Kumpels.

„Ins Kino“, murmelt sie und weiß Paul, Axel und Pauline hinter sich.

„Vielleicht wollen wir aber nicht mit Juden in einem dunklen Kinosaal sitzen“, lächelt Gunnar mit Katzenfreundlichkeit und mustert Pauline und sie aufmerksam.

„Das Kino ist für alle da“, schaltet sich Paul ein.

„Jaja, die Kommunisten“, seufzt Gunnar theatralisch, „jedem das seine.“

Kalle, Dieterund die anderen Hitlerjungen lachen.

„Geht’s da vorn mal weiter?!“ hören sie hinter sich ein paar Männer etwas ungehalten sagen.

„Juden gehören hier nicht her“, wiederholt Gunnar und zückt sein Messer. Die scharfe, frisch geschliffene Klinge blitzt gefährlich auf.

„Verschwindet“, droht Gunnar und richtet die Messerspitze auf Paulines Kehle.

„Macht Platz für Trupp 13!“ ruft ein Mann hinter ihnen.

Gunnar tritt ehrerbietig zurück.

„Los, wir gehen“, flüstert Axel und zieht Pauline mit sich. Paul fasst Lizas Hand. Sie machen, dass sie Land gewinnen.

Als Liza sich flüchtig umsieht, erblickt sie Gunnar, der verwirrt nach Sonne Ausschau hält. Sie muss grinsen, als sie sein verdutztes Gesicht sieht.

„Der Arme!“ flüstert eine spöttische Stimme hinter ihnen.

Es ist der rote Hein! In Hut und Mantel steht er da und wirft einen belustigten Blick hinter sich. Auch Liza muss grinsen. Sie hat Hein immer gemocht – ein guter Mensch, der beste Freund und ein zuverlässiger Kamerad, hat Pauls Vater gesagt. Freundlich begrüßt er sie, schenkt Liza ein Lächeln und zwinkert Pauline zu.

„Danke“, sagt Pauline leise.

„Schon gut“, winkt Hein ab. „Hab was gegen offene Messer.“

Und gegen Nazis, fügt Liza in Gedanken richtig dazu.

Schnell drängen sie sich ins Foyer des Kinos. Im Schutze der Massen schlüpfen sie alle mit Hein zusammen in eine der hintersten Reihen, nahe dem Ausgang.

„Kopf runter!“ zischt Axel.

Gunnar und seine Jungen kommen herein. Suchend blicken sie sich um. Dann setzen sie sich achselzuckend in eine der vorderen Reihen. Die Deutschen Mädel folgen ihnen dicht auf den Fersen. Besonders Hilda und Gunnar scheinen sich gut zu verstehen.

Das Licht geht aus. Liza greift nach Pauls Hand. Als erstes kommt die Wochenschau: Soldaten, die jubelnd in eine Stadt einziehen. Die Bevölkerung jubelt ebenfalls. Warschau heißt die Stadt. Eine weinende Frau vor einer offenen Tür, hinter der ihr von Polen ermordeter Mann liegt, wie der Untertitel verrät. Eine Frau mit einem Blumenstrauß in der offenen Tür. Im Vordergrund mehrere nebeneinander liegende, blumenbekränzte Tote.

Hier liegt ein Teil der Opfer des polnischen Blutrausches“, verrät der Untertitel.

„Propaganda“, murmelt Paul.

Andere Bilder laufen über die Leinwand: geschmückte Kriegsschiffe, die unter dem Winken der Zurückbleibenden den Hafen verlassen; Deutsche Mädels bei ihrer Leibesertüchtigung; Hitlerjungen auf Wandertag, einer mit Fahne, einer mit Trommel, zwei mit Gitarre vorneweg. Und schließlich der Führer bei seiner letzten Rede vor dem Reichstag:

„...Polen hat nun heute Nacht zum ersten Mal auf unserem Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5.45 Uhr wird jetzt zurück geschossen. Und von jetzt ab wird Bombe mit Bombe vergolten. Wer mit Gift kämpft, wird mit Giftgas bekämpft...

Die letzten Worte hallen lange in Liza nach. Krieg. Mit Bomben und Giftgas. Sie fühlt, wie ihr ein kalter Schauer den Rücken hinunterläuft. Rasch fasst sie Pauls Hand fester. Er wird auf sie aufpassen. Und außerdem ist der Krieg ja weit weg, in Polen. Mit den Bomben und dem Giftgas.

Sie spürt, wie Paul sanft ihre Wange berührt. Liza seufzt leise und kuschelt sich an seine Schulter. Sie schließt die Augen und blendet die Wochenschau aus. Paul stupst sie vorsichtig an, als endlich der Hauptfilm über Robert Koch beginnt.

Der UfA-Film hat den „unerschütterlichen Glauben“ des „genialen Forschers“ an seine „Sendung“ zum Inhalt. Er idealisiert Pflicht und Opferbereitschaft. In ihm dominiert – gleich in doppelter Hinsicht – der „heroische Kampf“. Dabei sind die Projektionen deutlich: Koch kämpft gegen den Bazillus und die „kleingläubigen Seelen“ um ihn herum wie ein Feldherr: „Wo steckt der Feind, wie sieht er aus, mit welchen Waffen kann ich ihn bekämpfen?

Im Mittelpunkt des Filmes steht allerdings der Konflikt zwischen Koch und Virchow, dem bedeutenden Mediziner und dem Liberalen, der auch die „dekadente Demokratie“ repräsentiert.

Der Film ist gut gemacht, aber ihnen gefällt diese Spaltung in Gut und Böse nicht. Aber für die Nazis sind natürlich sie, die Vernünftigen, die Bösen.

Als das Licht angeht, stehen sie schnell auf und verlassen im dichten Gedränge den Kinosaal.

„Dann macht’s gut“, grinst Hein, als sie vor dem Kino stehen und sich voneinander verabschieden.

„Und lasst euch nicht von der HJ erwischen“, flüstert er ihnen noch zu, bevor sich ihre Wege trennen.

Sie gehen schnell zum Bus.

„Ein ganz guter Film, was?“ sagt Axel.

Die anderen nicken.

„Und wie hat er dir gefallen?“

Pauls schöne braune Augen ruhen auf ihrem Gesicht. Sie erzählt ihm, was ihr während des Filmes aufgefallen ist. Er nickt.

„Das hab ich auch gedacht“, meint er.

Auch Axel und Pauline nicken. Sie haben die Bushaltestelle erreicht und der Bus steht bereits da.

„Schnell rein“, zischt Axel.

Sie stürzen in den gerade anfahrenden Bus. Als Liza aus dem Fenster zurück schaut, sieht sie Gunnar, Hilda und ihr Gefolge mit ärgerlicher Miene an der Haltestelle ankommen. Liza grinst schadenfroh.

„He, seht mal!“

Paul stößt Liza an und weist aus dem Fenster. Die anderen folgen seinem Blick. In der Seitenstraße gegenüber steht ein LKW. Ein dunkles Auto hält daneben. Mehrere Männer in langen dunklen Mänteln steigen aus. SS-Männer haben ein Haus umstellt. Der Bus fährt weiter.

„Tja, sie haben die Macht“, murmelt Paul mit trauriger Miene. „Sie müssen sie immer unter Beweis stellen.“

Pauline nickt und sieht erst ihn, dann Liza und Axel ernst an.

„Wir können nichts machen“, sagt sie traurig. „Leider.“

Axel nickt.

„Ja, leider. Wir können nur unauffällig abwarten. Irgendwann ändert’s sich bestimmt.“

Paul sieht Liza an.

„Hoffentlich halten wir durch!“ seufzt sie leise.

Er nickt langsam und küsst sie zärtlich auf die Wange... rüttelt an ihrer Schulter...

„Liza!“ sagt er. „Liza! Wach auf!“

„Ich will nicht. Lass mich doch noch etwas schlafen, Mami“, murmelt sie schlaftrunken.

„Liza! Bitte, steh auf! Sofort!“

Langsam schlägt sie die Augen auf und sieht in die großen braunen Augen ihrer Mutter. Rebecca steht neben ihr.

„Schnell, der Leipelt kommt!“

Mit einem Ruck setzt Liza sich auf, fährt in die Lumpen, stellt sich zu Rebecca und der Mutter.

„Antreten!“ tönt es von der Tür her.

Sie gehen zum Zählappell. Liza muss sich zwingen, die Augen offen zu halten. Lutz steht ihr gegenüber. Verstohlen zwinkert er ihr zu. Stumm grüßt sie zurück und begrüßt danach gleich noch Léon und den Vater.

Sie werden gleich zu Kommandos eingeteilt und landen wieder im Klinkerwerk. Liza ärgert sich, schon wieder das Frühstück verschlafen zu haben. Ihr Magen knurrt wie ein ausgehungerter Wolf. Ohne einen Bissen wird sie die Zeit bis zum Mittagessen nicht überstehen. Sie ist ohnehin schon sehr dünn, wie alle Häftlinge hier.

„Hier, iss!“ wispert Rebecca und steckt ihr ein halbes Brot mit Käse zu.

Dankbar sieht Liza die Freundin an und verschwindet für dreizehn Sekunden mit dem Kopf unterm Tisch. Als sie wieder auftaucht, bemerkt sie Baldts Blick. Erschrocken fährt sie zusammen. Es ist verboten, bei der Arbeit zu essen. Doch der Mann grinst nur und zwinkert ihr zu. Verwirrt wendet Liza sich wieder ihrer Arbeit zu. Mehrere Stunden arbeitet sie und träumt von Paul.

Endlich ist Mittagspause. Liza und Rebecca gehen nebeneinander in der Menge hinaus. An der Tür steht Scharführer Baldt. Liza wird an ihm vorbei gedrückt. Draußen will sie schon aufatmen, da fühlt sie plötzlich ein Stück Papier in der Hand. Möglichst unauffällig liest sie:

Halb elf. Nr. 7 hinten links, dritte Latte von rechts. Ich warte.“

Ärgerlich knüllt sie den Zettel zusammen, schiebt ihn in die Tasche und versucht, den Ekel abzuschütteln. Sie muss sich etwas einfallen lassen. Sie hat keine Ahnung, was der Baldt wirklich von ihr will. Nur, dass es nichts Gutes sein kann, da ist sie sich sicher. Dafür ist sein Ruf im Lager zu schlecht.

Heute ist Rebecca dran mit Essenholen. Als sie endlich mit dem Topf zurückin die Baracke kommt, knurrt Lizas Magen noch lauter.

„Von Lutz“, flüstert Rebecca und schiebt ihr unauffällig einen kleinen Papierfetzen in die Hand. Liza lässt ihren Löffel fallen und taucht unter den Tisch.

„Geh nicht, egal was er dir anbietet. Du kannst nur verlieren. In Liebe, Lutz.“

Schnell steckt Liza den Zettel in die Tasche und taucht wieder auf. Niemand hat etwas gemerkt. Nachdenklich fängt sie an zu essen. Wenn er sie gefragt hätte… Zu Lutz würde sie kommen, zum Baldt niemals!

„Sag ihm, alles klar“, flüstert Liza nach dem Essen Rebecca zu.

Rebecca nickt und verschwindet mit einem kaum merklichen Kopfnicken für einen Moment nach hinten in die Baracke. Liza zögert eine Sekunde, dann geht sie hinterher und sieht, dass Rebecca sich sehr gewissenhaft mit dem Falten der dünnen Decke beschäftigt.

Liza ist irritiert. Genau das hat sie heute morgen vor dem Appell bereits getan, damit sie bei einer Kontrolle keine Strafe zu erwarten haben.

Aber offenbar ist Rebeccas Geschäftigkeit nur vorgetäuscht. Jedenfalls lächelt sie zufrieden, tritt wie zufällig näher und flüstert Liza ins Ohr:

„Er hat etwas vor, der Lutz. Ich wette, er wird abhauen.“

Liza sieht sie überrascht an. Ist Lutz denn verrückt? Ausgerechnet heute, wo der Baldt die Nachtwache hat. Oder ist genau das der Plan von Lutz?

Während Liza nun ihrerseits an der Wolldecke zu zupfen beginnt, überlegt sie, wie sie ihm helfen kann. Wenn nur der Baldt einer geglückten Flucht im Wege steht, muss sie da nicht die Chance nutzen und ihn ablenken?

„Wie sicher bist du dir?“ fragt sie leise, dicht an Rebeccas Ohr.

„Ziemlich.“

„Dann bin ich dabei.“

„Wie um alles in der Welt meinst du das?“

„Sag ihm, ich sorge für Ablenkung.“

Rebecca runzelt kurz die Stirn und nickt dann, bevor sie den Topf zur Essensausgabe zurückbringt. Liza hofft, dass sie Lutz einen Wink geben wird, dass sie ihm helfen wird. Doch Rebecca zuckt nur kurz mit den Schultern, als sie zurückkommt.

Beim Appell sieht sie Lutz nur kurz, da er zur Außenarbeit abkommandiert wird. Sein Lächeln und das verstohlene Zwinkern verraten ihr jedoch, dass er Bescheid weiß. Sie lächelt zurück und geht wieder wie schon so oft ins Klinkerwerk, um Ziegelsteine herzustellen. Den ganzen Nachmittag über denkt sie an Lutz und manchmal auch kurz an Paul, den sie immer meint, hinter dem Gesicht von Lutz zu sehen. Paul hat sie doch bestimmt schon längst vergessen.

Nein, Niemals! Paul wird sie nie vergessen! Genauso wie sie ihn nie vergessen wird – solange sie lebt nicht! Und er würde eher sein Leben geben, ehe er sie vergessen würde!

„Mein Leben würd ich für dich geben“, sagt er und streicht zärtlich über ihre Wange. „Wenn es damit für dich einfacher und sicherer wäre. Du musst überleben!“

„Du aber auch“, erwidert sie. „Was soll ich denn ohne dich machen?“

Lächelnd zieht er sie an sich, küsst sie sanft auf den Mund und hält sie ganz fest. Nie, niemals wird er sie vergessen! Nicht Paul!

„Antreten!“

Der Baldt steht an der Tür und mustert sie, dass es ihr fast den Magen umdreht. Schnell geht sie an ihm vorbei und spürt seinen Blick auf sich ruhen. Sie gehen zum Abendessen.

Liza ist aufgeregt. Was Lutz wohl plant? Sie muss ihm ja sehr gut gefallen. Sonst würde er ihr nichts von seiner gefährlichen Aktion verraten haben. Und es liegt an ihr, dafür zu sorgen, dass er davonkommt. Sie hat sich entschieden, sie wird ihm helfen, so gut sie kann.

Unruhig liegt sie in ihrem Bett und wartet darauf, dass die Turmuhr aus dem nächsten Dorf zehn schlägt. Rebecca ist sofort ganz erschöpft eingeschlafen.

Endlich ist es soweit. Leise dringen die Glockenschläge an ihre Ohren. Möglichst geräuschlos steht sie auf, fährt in die Lumpen und tastet sich in die hintere linke Ecke. Mit wild klopfendem Herzen befühlt sie die Bretter. Das dritte von rechts ist tatsächlich locker und lässt sich zur Seite drücken.

Vorsichtig kriecht sie durch den engen Spalt und rückt das Brett wieder zurecht. Mit angehaltenem Atem lauscht sie. Alles ist still, totenstill beinah.

Fahl und bleich als habe er die Schwindsucht blickt der weiße Mond herab. Der ganze Hof ist in ein gespenstisch weißes Licht getaucht. Liza kann die Wachposten auf der anderen Seite auf ihren Türmen sehen. Die Maschinengewehre kann sie nur erahnen. Sie muss warten, bis es dunkel wird. Sonst hat sie gleich eine Kugel im Kopf.

Wolken schieben sich vor den Mond. Stockdunkel ist es mit einem Mal.

Da huscht sie zur nächsten Baracke. Einen kurzen Augenblick rutscht ihr das Herz in die Kniekehlen. Denn dort hockt schon jemand im schwarzen Schatten der Bretterwand. Lutz.

Er zuckt zusammen, als sie plötzlich neben ihm auftaucht. Doch als er sie erkennt, lächelt er und greift nach ihrer Hand.

„Hallo Liza“, flüstert er an ihrem Ohr.

„Hallo“, flüstert sie zurück.

Ganz leise, noch viel leiser müssen sie sein.

„Du weißt, was ich vorhabe?“ fragt er, kaum hörbar.

Sie nickt.

„Dann kommst du mit“, sagt er mit Nachdruck und packt ihre Hand fester.

Liza lächelt und fühlt, wie sich Hoffnung in ihr ausbreitet. Wenn Lutz es schafft, auch sie mitzunehmen, dann muss er gute Freunde da draußen haben. Mit deren Hilfe wird es möglicherweise auch gelingen, die Mutter, den Vater und Léon zu befreien. Und natürlich Rebecca.

Kurz meldet sich ihr schlechtes Gewissen, dass sie so einfach abhaut und die anderen zurücklässt. Aber es geht nicht anders. Dies ist die einzige Möglichkeit.

„Noch zehn Minuten“, flüstert er. „Wenn Hein pünktlich ist.“

Hein? Lizas Herz macht einen Sprung vor Freude. Der rote Hein steckt hinter der ganzen Aktion? Dann wird es funktionieren. Der Freund von Pauls Vater ist immer im richtigen Moment zur Stelle gewesen.

„Paul…“, murmelt Liza.

„Hm?“

„Paul Kirchhoff.“

„Der Sohn von Max Kirchhoff?“

„Ja.“

„Woher kennst du ihn?“

„Von früher.“

„Dein Freund?“

„Ja“, sagt sie leise und beißt sich auf die Lippen.

Das hat sich ja gelohnt, dass er sich für sie in noch größere Gefahr begibt, damit sie ihm erzählt, dass sie die ganze Zeit einen anderen lieb hat.

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