Читать книгу: «Die Pfaffin», страница 3

Шрифт:

Zum gueten Schluß, die Hauserin Magdalen Pichlerin zu Holzer in St. Veit. Ein braves, armes Leut mit ihrem Kindl, das sie vom Veit Pichler hat, der Weib und Kind und die Heimat verlassen und ein Landsknecht worden ist. Den zweien, bitt’ ich mein’ Nachfolger, daß er ihnen auch wohl ein gueter Herr sein mag, dem Dirndlein ein bißl ein Vater, weil es keinen mehr hat. Mein’ nun, wohl alles aufgemerkt zu haben, was der Rede wert ist. Was an Münz da ist, wär’ der Hauserin zu geben, wenn sie etwan beim neuen Herrn kein’ Dienst mehr halten kann; sonst teil’ man’s den Armen aus. Viel ist es nit, die Zeiten sein nit danach, und ich auch nit der Mensch dazu, der die Hand hätt’, ein Geld zu derhalten.

So geschrieben an einem Tag, wo es mir merklich zu Sinne kommen ist, wie alt ich schon bin, und wie unnütz ich schon werd’.

Im Heuet den 15., am Apostelscheidetag, im Jahr des Heiles 1635.

Auf das hin seufzet der Schaudermann und meint voll betrübten Tones: »Jetzund ist hinter meiner doch Ordnung, wenn vor meiner keine mehr zu halten ist. O liebe Zeit, eins von meinen Schaflen, das unter mein’ Augen groß worden ist - und so ein z’nichtes Ziefer!«

* * *

Ja, der Schaudermann hat’s nicht aufhalten können, und der junge Veit Kramer auch nicht, daß sein Vater eine Dummheit gemacht hat. Darüber ist die Zeit unerbittlich weggegangen, Jahr um Jahr.

Sommer über haust das Davidle beim Holzer droben. Einmal hat ihm die Granteggerin wohl ein frisches Schüttl Stroh in den Bettschragen geworfen und mit einem Reisigbesen den ärgsten Wust zur hintern Tür hinausgekehrt. Er ist mit dieser neuen Ordnung wohl zufrieden. Um Allerheiligen und zu Ostern geht die Emerenzia Granteggerin nach St. Jakob hinein und bringt ihrem Gotenkind ein weizenes Gebache und eine kleine Münz. Sie freut sich dann vom Herzen über die liebe, fromme Dirn.

Nur eins freut sie nicht sonders, daß die kleine Emerenz beim Herrn Vikar Schaudermann schreiben und lesen lernt. Was braucht ein Dirndl das? Das Frommsein ist leicht genug Zugab’ zu einem guten Arbeitswillen, mehr ist für ein einfaches Landkind vom Übel.

Die Emerenz aber ist viel lernbegierig und ihre heimlichste Sehnsucht und größte Begier’ ist, wenn es doch bei der heiligen Mess’ mitdienen könnt’. Daß solches ein Vorrecht der Buben ist, das dünkt ihr fein hart und ungerecht. Die Emerenz kann ja schon die ganze Mess’ lateinisch hersagen. Das Dirndl geht schon in das zehnte Jahr; und allweil noch als ein Kindl gehalten werden, ist ihm nicht immer leicht. Holz und Wasser tragen, den alten Fürpaß füttern, den Hennlen ein bißl Futter streuen, das bißl Lernen, das bißl Beten, das alles füllt ihr Kindsein noch lange nicht aus.

Sie fühlt oft so viel Kraft und Element in sich, so viel Begier zu was Besonderem, daß sie manchmal selber erschreckt ist davon. Oft verträgt sie es unter dem Beten in der Kirche, sie fühlt sich über die andern hinwegschweben, ein unbändiges Sehnen ist in ihr, aus all der Enge herauszukommen. Dann klagt sie sich wieder einmal eitlen Hochmuts an, dünkt sich eine große Sünderin, daß sie in der Stund’ des Gebetes sich andern Gedanken, andern Wünschen hingibt als dem alleinigen, ihrem Herrn und Gott zu dienen.

Oh, sie will ja etwas Gutes werden, etwas Rechtes, aber auch etwas Großes, daß die Welt einmal aufhorchen muß, die ganze Welt! Eine von den großen Nonnen, die, so schriftgewaltig und klug, Kaisern und Päpsten gar Rat zu erteilen gewußt. Eine heilige Frau möcht’ sie werden, das dünkt Emerenzia aller Kräfte Geheimnisvollstes, das Dulden eines Martertodes. Und wenn sie beten will für den Vater, der in der Welt draußen gestorben und verdorben, wie die Mutter es so viele Male bitter beweint, sie kann es nicht glauben und will es nicht glauben. Kann der Vater nicht auch ein großer Bischof sein? Weiß man, warum er über Nacht Mutter und Kind verlassen hat müssen; haben die Apostel nicht auch so getan? Wär’s dann ein Wunder, wenn sie, sein Kind, so viel seltsame Dinge muß denken und solchen Drang zu allerhand Großem in sich fühlt? Ja, in der Emerenz Köpfl kreisen oft gar wunderliche Gedanken, wenn die drei Falten auch Strichlein geworden sind, wenn man auch die Strichlein selber lang nimmer sieht.

Der Herr Vikar Schaudermann, der allweil noch lebt und den sein Müdesein gar sehr betrogen hat, warnt das absonderliche Kind vor so hohem, heiligem Gelust. »Dirndlein, die Liebe und die Demut, das ist das beste Vorspann, damit kommst du am weitest, kommst über alle Berg’, langsam und zäh, aber gewiß. Zu solchen Dingen, die du viel eitel erträumst, tut einem der Herre Gott in aller Stille berufen. Solche Ding’ tut man nicht ersehnen, um andern über die Köpf’ zu wachsen, das ist Eitelkeit über Eitelkeit. Schauest deine kleine Kameradschaft gar gern für große Sünder an, wenn sie sich in der Kirchen einmal ein Wörtl ins Ohr schwätzen; ich aber sag’ dir, Emerenzia, daß du oft und oft eine viel größere Sünderin bist, weil du den Herre Gott selber beschwatzen willst mit deiner kommenden Heiligkeit, in der du dich schon über die Köpf’ der andern schweben siehst. Ich deutsch’ dir kein Wörtl Latein mehr aus, wenn du so vermessen wirst. Der Teufel hat ja auch nur Großes wollen, das Größte, Gott gleich sein! O Dirndl, O Dirndl, es ist ein schwindliger Bergsteig, auf dem du in lauter Sonne und Licht und über allen Talwettern dahinwandeln willst, es kann dir aber über Nacht ein’ große Verdemütigung kommen; denn wenn eins von solcher Höhe abirrt, gibt es einen schiechen Sturz hinab.«

Da ist die Emerenzia zutiefst erschrocken, daß sie eine solche Strafpredigt anhören muß, und sie hat doch glaubt, der Herr Vikar müßt’ eine Freude haben an ihren großen Sehnsüchten und heiligen Gedanken. Daß dem nicht so ist, das stürzt sie aus zehn Himmeln zugleich. Und zag, zag wagt sie noch eine Frage, die ihr auf dem Herzen brennt. Eine Frage, ihres Vaters wegen, von dem die Mutter sagt, er sei ein Landsknecht, ein Söldner worden.

»Hochwürdiger, aber gelt, mein Vater kann leicht ein Einsiedl, ein frommer Pilgrim, er kunnt gar ein Bischof worden sein, wie es oft in der Heiligenlegend’ geschrieben steht von den Aposteln, von viel andern heiligen Männern, die Weib und Kind verlassen haben, um ganz unserm Herre Gott zu dienen?«

»Das weiß kein Mensch, Dirndl; ausgezogen ist er, um Soldat zu werden, weil ihn das Bauersein nimmer gefreut hat; darum aber kann er dennoch ein rechtlicher Mann sein.«

»Das kann er schier nit sein, hat nit das Davidle uns erzählt, wie die Landsknecht allüberall herumstranzen, Bauern schänden, das Vieh raubern und die Höf’ brandschatzen!«

»Daß es solchene gibt, hat der vieljahrlange Krieg verschuldet. Was wissen wir, was sie zu solcher Untat getrieben hat, Hunger und Not, Verrat und Wirrnis. Aber es gibt noch genug rechtschaffne Landsknecht’, im Leib noch die Ehr’, in der Hand bloß die Wehr, und so einer wird dein Vater sein, gib dich zufrieden, tu ihm nit Kutten und Inful andichten; er kunnt auch wohl nur ein Bettelmann und doch seliger sein als alle Kirchenfürsten der Welt.«

»Wenn er so nur ein Soldknecht wär’, wär’ er doch lieber ein Bauer geblieben!« murrt die Emerenzia kleinlaut, und ihr Kindermund zieht sich zu beiden Seiten ganz verdrossen herab, und zwei klare, harte Tränen kugeln ihr aus den trotzig-traurigen Augen.

Was nur einmal das Dirndl hat, daß es mit aller Gewalt aus seiner Haut will, ach, das Kind brauchet einen Vater, brauchet Brüder und Schwestern wie ein Stückl Brot, daß es im guten Gleichgewicht bleiben kunnt.

»Emerenz, jetzund hör einmal auf, wider dein Schicksal zu maulen! Trag es tapfer und schweigend, wie deine Mutter den Kummer tragt, wie dein Vater die Schuld; freu dich ein bißl an allem, was der Tag dir bringt; freu dich wie draußen am Hausgartlezaun der Steinhaufen, weil auch aus seiner Tiefen ein rosenrots Kräutl aufgewachsen ist.«

Da reckt die Emerenzia ihr Köpfl zum Fenster hin, macht gleich wieder zwei gescheite Augen her und meint wichtig: »Ja, das Steinkraut gibt eine gute Salben ab für wundgeloffne Füß’!«

»Wär’ das Dirndl doch grad ein bißl mehr kindlich als klug«, brummt der Schaudermann vor sich hin und geht in seine Kammer, ganz müd ist er vom vielen nutzlosen Gered’.

Die Emerenz aber greift nach einem Streiflein Pergament und malt schöne Buchstaben darauf, und sie kommt dabei schon wieder ins alte Sehnen und Sinnen. Einmal kriegen wir Kunde vom Vater, daß er als ein halber Heiliger gestorben ist. »Oh, ich bin ehwohl nit stolz, nur ein halber Heiliger, wenn der Vater ist, die andere Halbscheid bet’ ich ihn mit tausend Gelüsten in den Himmel hinein. Ja, einmal wird die Kunde kommen.«

Aber auf einmal muß sie die Augen schließen, sieht einen verwitterten Landsknecht grobschlachtig umhauen unter einem Haufen Bauerngesind, und einer von den Knechten schreit ihn an: »Bist nit selber ein Bauer gewesen, der Holzer ober St. Veit? Hast ein Weib, das ist die Pfaffin beim Schaudermann, hast ein Dirndl, fromm wie ein Himmlschelm, und du so ein Unflat, so ein Rauber. Pfui der Teufl!« - Wenn das wahr wär’? Der Emerenzia schwindelt, es steigt ihr würgend zur Kehle, sie muß sich vornüber werfen auf das Pergamentstreiflein und bitterlich weinen vor Schmach.

* * *

So ein wunderliches Wesen hat die Emerenzia, der Pichlerin Dirndlein. Es geht schon gegen Allerheiligen zu, die Schneebladen hängen rings ins Tal herein. Zu Mariahilf droben liegt die Schneedecken hoch gepolstert wie ein köstliches Daunenbett. Die Emerenzia sitzt drüben im tiefen Fenstergebälk ganz versteckt. Sie sinnt über vielerlei Dinge nach, horcht dem Winter auf, wie er kommt auf leisen Sohlen, nach all den rauhen Herbststürmen. Denkt des Herrn Vikars strenger Rede, muß ihm halb recht geben, halb zürnen und fürchtet sich heimlich, daß ihr etwan doch noch einmal eine Verdemütigung kommen wird.

Die Pichlerin sitzt schweigend am Spinnrad, und der Herr Vikar betet sein Brevier. Draußen stößt auf einmal der Wind auf und grölt wild vorbei wie ein besoffener Fastnachtsnarr. Die Pfaffin und ihr Kind dürfen beim Herrn Vikar in der Stuben sitzen, beim warmen Kentofen, lauter Ruh’ und Friedsamkeit ist um die lustig prasselnden Scheiter. Durch die Butzenscheiben falbt der müde Tag herein, der sich vor dem wilden Windsgesellen ängstlich an die Mauer duckt. Die Pichlerin hat die Augen zu und schaut dennoch ein Bild. Ihre Finger, der Arbeit auch blind geläufig, zupfen am Wickel und drehen den Faden. Ihr Herz und ihr Sinnen aber sind beim Holzer droben. In der Kuchl flammt und prasselt das Winterfeuer, drüber wärmt sich der Veit seine Händ’. Mehr als die zehn Jahr’ hat sich über der kalten Herdstatt keins mehr die Händ’ gewärmt. Sie aber sitzt warm da in der Stuben, kein Rauch beißt ihr die Tränen aus den gepeinigten Augen, keinen Huster braucht sie tun, da in der warm durchfluteten Luft, weil drüben unter dem Kamin das Feuer guten Abzug hat. Der Veit hat ihr oft genug mit grünem Holz aufgewartet, das mehr geraucht als gewärmt hat. - Ja, ja, jetzund sitzt sie warm und gut, die Augen aber gehn ihr dennoch über und sie fänd’ mit ihrer Hilf’ nit Wickel und Faden. Ein ganz heimlicher, herzweher Seufzer geht durch die Stuben.

Da bricht Lärm auf an der Tür draußen, rasch und dringlich.

Der Schaudermann springt auf, so gut er kann, und stammelt erschrocken aus seiner Ruh’ und Betrachtung heraus: »Es will eins sterben!«

Die Pichlerin rennt die Dielen hinaus, schiebt dem Ungeduldigen den Bolzen zurück. Der Mensch überrennt sie völlig, schaut sie erst gar nit an, haut seine Kappen etlichemal auf den Schenkel, daß das Schneewasser weit herumspritzt, und eilt der Stuben zu, als ob er den warmen Ruch schon in der Nasen hätt’. Eine fremde Stimm’ bringt seinen Gruß, eine ganz fremde, die redet anders als die Leut’ hier im Tal. Jetzt tritt er in die Stuben, den ganzen Novembersturm bringt er mit herein. Ein Reisiger ist’s, in einer gar bunten Tracht.

Halb Soldat, trägt Stiefel und Sporen dran, einen verbeulten Säbel an der Seiten, ein schweres Pistol im Gürtel. Halb fahrender Kaufherr, die Geldkatz’ aber ist bedenklich verhutzelt, prall muß sie langher nimmer gewesen sein. Und irgendwo steckt noch ein bißl vom Bauer, in der großmächtigen Tatzen wohl, im breiten Gesicht mit dem gutmütigen Geschau, das einfältig und gläubig sein kann und teufelswild, wenn es sein muß, in des Menschen ganzer, klobiger Art, die keine Umschweife kennt.

Der Soldat geht drei Schritt’ vor und haut die Stiefel an den Fersen aneinander, daß die rostigen Sporen gar prächtig klirren in der Stuben.

Der Kaufherr aber schätzet mit einem raschen Seitenblick sich die Leut’ ab, wieviel sie wohl wägen, wie hoch der Botenlohn sein kann.

Der Bauer aber fällt über allen beiden grob mit der Türe ins Haus: »lch such’ die Magdalen Pichlerin, ist es die?«

Die Magdalen schluckt, nickt ein klein wenig und wird kalkweiß im Gesicht.

Der Schaudermann blinzelt den seltsamen Gesellen an.

Die Emerenz ist still wie ein Mäusl und hält den Atem an, fürchtet sich vor dem wilden Lotter, was der nur will.

»Der Veit Pichler schickt mich her, er ist schon vor die sieben Jahr’ draußen im Böhmischen verstorben.« Es weiß ihm keins eine Antwort, der Schaudermann nicht, die Pichlerin und das Kind erst recht nicht. Die Emerenzia reißt klein verschreckt Augen und Ohren auf, und das junge Herz schlagt ihr wie Glocken im Sturm.

»Es ist nit schneller gangen, bis ich herkommen bin, der Weg ist weit, die Zeit ist wild.«

Und wieder ist es still in der Stuben, nur der Bote schnauft und schüttelt sich noch einmal die Nässen vom Gewand. Wieder klirrt der Sporn, diesmal ungut. Krieg ist in der Stuben, Dreißigjähriger Krieg; sieben Jahr’ braucht man zu einem Botengang. Der Schaudermann schiebt ihm einen Stuhl hin. Der Kriegsmann setzt sich drauf, mit bleischwerem Gewicht, die Beine in den verluderten Stiefelschäften weit auseinandergestreckt, den Säbel reißt er sich quer über die Schenkel, daß die nasse Troddel ans feuchte Leder klatscht. Seine Fäust’ umfassen das Gewaffen wie einen trauten Gesellen. »Er ist ein ordentlicher Soldat gewesen, man hat ihn gern leiden mögen; zwei Jahr’ sein wir beieinander gewest, Seit’ an Seit’, durch dick und dünn.«

»Wie ist er verstorben?« fragt zag die Pichlerin; ein Großes ist in ihrem Aug’ erloschen: die Hoffnung.

»Wie ein Christ und Soldat, tapfer und leicht!« Der Bote sitzt aufrecht, der ganze Mensch ist gestrafft.

»Hat er Euch von uns erzählt?« Zarte Liebe klingt durch des Weibes zitternde Stimme.

»Am Anfang - dann am End’; man redet nit viel von solche Ding.«

»Viel Ehren und viel Reichtümer hat er erringen wollen«, sagt die Pichlerin mit bitterem Lächeln, zwei große Zähren rinnen ihr die bleichen Wangen herab.

»lch aber bring’ Euch so gut wie nichts davon. Wär’ wohl noch Soldgeld dagewesen von einem ganzen Vierteljahr.«

»Ich hab’ ja nit ums Soldgeld gefragt!« erwidert das Weib herb.

Der Kriegsbot’ senkt die Augen nieder, schaut die Astlöcher am Boden an. Dann redet er langsam und zäh: »Er hat sich bald am Anfang mit einem Weib behangen, wie das schon ist im Krieg, die hat ein Kind von ihm. Der haben wir das Soldgeld geben, mein’ nit, daß es ihr viel zu gut ist.«

Der Pichlerin Augen werden starr; die zweite große Zähre, die aufsteigen hat wollen, rinnt still nach innen, rinnt nach innen wie lebendiges Feuer.

Der Schaudermann neigt sein Gesicht.

Da stirbt ein Vater zum zweitenmal, stirbt einen gar bittern Tod.

Die Emerenz im Winkel drinnen, an die jetzt keines denkt, hält schier ihr pumperndes Herz in Händen. Die Sturmglocken hat einen Sprung, und ein ganzer stolzer, großer, seliger Traum liegt in Trümmern. Der Vater ist kein großer Bischof worden, kein frommer Pilgrim, für nichts Großes hat er die Mutter verlassen, das Kind in der Wiegen. Hat all beide vergessen, ist in Sünden verstorben. Jetzund ist sie da, die Verdemütigung; ihr Vater ist ein Landsknecht gewesen, letzer wie ein Bauer, kein Lieb’, kein Treu’ und kein Ehr’; ein Maul voll bittere Wort’ ist das ganze Erbe, sonst nichts. Und sie hat doch allweil gewartet auf den Vater. Tot oder lebend, aber auf was Großes, Schönes von ihm hat sie gewartet.

»Viel Ehren, Pichlerin«, hebt der Bot’ von neuem an. Was der nur noch weiterredet? Jetzund nestelt er an seinem Koller herum und hebt der Mutter einen Stern hin, ein wenig matt im Glanz, ein wenig auch verbogen - und steht wieder auf, haut die Stiefel an den Fersen zusammen, daß die rostigen Sporen klirren wie altes Tschepperwerk.

»Viel Ehren, damit hat es wohl was.« So wenig Glanz hat der Stern! Was Wunder auch, sieben Jahr’ zwischen schwitzender Haut und stinkendem Leder.

»Das hat er mir aufgetragen, Euch zu geben. Ihr hätt’t nie an ihn glauben wollen. Das ist ein Wallensteinischer Orden! Ja, der Veit Pichler hat viel Feindesblut verzapft!« Ein weher Laut geht durch die Stuben.

»Pichlerin, ich soll Euch fragen, glaubt Ihr jetzund an ihn?«

»Jetzund?« fragt eine zerbrochene Stimme, »jetzund kann ich’s noch?«

»An den Soldat’ müßt Ihr glauben!« schreit der Bote grob.

»An den Soldat’ - wohl, wohl, in Gottes Namen, an den Soldat’ will ich gern glauben.«

»Er ist ein braver Kamerad gewesen, so klaffend seine Wunden und schrecklich die Pein gewesen, kein Wort der Klag’, kein Jammerer. Die letzten Stunden hat er mir von seinem Gütl erzählt, von Euch und vom Kindl, das damalen hätt’ sollen kommen, wie er ... »

»Nit reden davon, nit mehr reden!« bettelt sie.

»Er ist glücklich, er ist noch als Soldat verstorben.« Jetzt wankt des Boten Stimme auf einmal: »Wir können’s nimmer, wir sein mehr Raubersknecht’ wie Landsknecht’. Er ist ein braver Soldat gewesen, er ist vom Mund auf in den Himmel gekommen, das schwör’ ich!«

Die Pichlerin schaut starr durch die blinden Butzenscheiben; der Tag hat kein Gesicht mehr, daß er tröstlich hereinschauen möcht’ zu ihr.

Nur der Schaudermann hat ein kleines, gütiges Lächeln um seinen schmalen, zahnlosen Mund.

Die Emerenzia aber stürzt aus ihrem heimlichen Winkel hervor, ihr Gesichtlein ist weiß und verstört. »Nit, nit in den Himmel, verdammt ist mein Vater, hat kein’ Lieb’ und kein’ Treu’ und kein’ Ehr’, hat ein ander’ Weib und ein ander’ Kind! Ist kein frommer Pilgrim worden, kein großer, mächtiger Bischof, wie ich allweil betet hab’ für ihn! Mein Vater ist ein Verdammter!«

»Was hat denn die bigotte Natter?« schreit der Bot’ voller Kränkung. Was steht da für eine Welt auf wider ihn?

Die Magdalen tut einen Wehschrei und kann dennoch keinen Schritt hintun zum entsetzten Kind.

Der Schaudermann aber nimmt den wild flatternden Vogel unter seine dunklen Fittich’ und führt ihn hinaus. Das Kind zittert wie Espenlaub in seinem Arm. Zum Boten sagt er: »Ist keine bigotte Natter, nein, nein, das nit, ist nur ein närrisch Kindl. Malet sich das graue Leben mit tausend schönen Farben an, und Ihr seid ihm drübergefahren mit einer schiechen, nassen Huder. Und wir da herinnen im weltfernen Tal sein halt doch noch mit den Heiligen vertrauter wie mit dem rauhen Soldatenhandwerk, tut Euch nit zürnen.« Damit ist er hinaus mit dem Kind, er denkt, die Pichlerin hat wohl noch zu reden mit dem Fremden.

»Das sein Zeiten!« schnauft der und starrt eine Weil’ vor sich hin.

Da tastet sich der Pichlerin Stimm’ noch einmal an sein Ohr heran. »Wo ist das Weib?«

Er schupft die Achseln. »Die wird einen andern haben, wenn sie noch lebt.«

»Und sein Kind?«

»Sein Kind? Liebe Zeit, irgendwo auf der blutigen Heerstraßen oder bei ihm im Himmel!«

»Hättet Ihr mir denno das Kind gebracht von ihm!«

»Das Kind gebracht?« Jetzt muß er lachen, hellauf lachen. »Sieben Jahr’ lang soll ich ein Kind heimbringen, Weib, seid Ihr bei Trost? Wißt Ihr, was mich der Orden da schon Müh’ und Plag’ genug kostet hat?«

»Der Orden? Ja, ja, ich dank’ Euch, der Orden.«

Sie hält den Stern zwischen bebenden Fingern, aus Silber und Golddraht ist er kunstvoll gemacht. »Ihr schätzet einen Orden wohl höher als einen Menschen?«

»Wir haben viel umschätzen lernen müssen. Ich versteh’ da vieles nimmer, ist eine andere Welt da bei Euch herinnen. Versteh’ nur eins, daß Ihr eine gute Haut seid, besser als Euer störrisches, dummes Kind!«

»Dumm ist es nit und störrisch auch nit, hättet Ihr ihm nur etwas zu bringen gehabt von seinem Vater.«

Auf das hin weiß der Bot’ nichts mehr zu sagen, legt den Totenschein auf des Schaudermann Betstuhl hin und geht still hinaus, geht weit stiller fort, als er kommen ist.

Draußen an der glosenden Herdglut sitzt der Schaudermann und tröstet das Kind. »Tu nit richten, auf daß du nit gerichtet wirst. Soldatenbrauch ist anders als Bauernbrauch, und zuerst und zuletzt hat er an Euch gedenkt. Hat eine grausame Wunden getragen, hat allen Schmerz mannhaft verbissen, hat an Euch denkt, nit an sein Weh. Wie wird’s ihm hart gewesen sein, daß er Euch nimmer sehen durfte!«

»Beten will ich wohl für den Vater, lieben aber kann ich ihn nimmer!«

»Was sagt der Herr Jesu, o Dirndl?« warnt der Schaudermann ernst.

»Der Herr Jesu sagt viel, was wir nit vermögen.«

Der Schaudermann tut einen groben Stoßseufzer. Und er erzählt der Emerenz weiter von aller Not und dem vielerlei Leid eines Kriegsmannes, wie der rechte Krieger alles erträgt und erleidet, um des Schwures willen, den er getan. Wie einen Märtyrer schiebt er den Veit Pichler ins hellste Licht. »Schau, Kind, das Schwert ist zeitlebens seine Sehnsucht gewesen, wie der Heiligenschein dein heimlicher, heißer Wunsch ist.«

So weit bringt er das verstörte Kind dennoch, daß es klagend ausruft: ,,O armer, armer Vater!« Daß es ihm eine Zähre aus tiefstem Herzensmitleid nachweint.

Dann wird er gerufen, draußen wartet wer auf ihn.

Der junge Veit Kramer ist’s.

Die Kramerin, seine junge Stiefmutter, ist vor etlich’ Tagen nach St. Jakob herein. Sie hat ihr erstes Kindbett den St. Veitern nicht anvertraut.

Nun ist alles vorbei, und Mann und Stiefsohn haben kommen müssen, sein ja die Trabanten der hohen Frau. Um des Vaters willen ist der junge Veit mit. Ein Tötl hat sie dem Vater fürgebracht, sie haben’s notgetauft, und der Veit soll beim Herrn Vikar um ein christlich Grabl bitten.

Ist bald geschehn, der Schaudermann macht kein’ Müh’. Weil der junge Veit Kramer über die Dielen her wieder auf die Straßen zustrebt, redet ihn die Emerenzia an. Der hat ja auch ein so freudloses, starres Gesicht, wie sie eins hermachen muß. Und sie kann nit anders, muß ihn fragen: »Ist dir auch eins verstorben?«

Er schaut das Dirndl an, das ist keine dumme Neubegier, die da an sein stummes Herz herantasten will. »Ja, ein kleinwinziges Schwesterl.«

»Hast es gern gehabt, gel wohl?«

Da schupft er hilflos die Achseln. »Dirndl, dasselb weiß ich dir nit zu sagen.«

Sie schaut ihn groß an. Gibt es das bei andern Leuten auch, das leere, trostlose Gefühl, ein Liebes nit lieben können?

»Ist etwan dir auch eins dahin, weil so voll Traurigkeit bist?«

»Ja, der Vater. Heut ist ein Bot’ kommen, seit sieben Jahr’ liegt der Vater schon unter der Erden.«

»Hast ihn gern gehabt?«

Da hat er wohl was Dummes gefragt, kommt ihm erst in den Sinn, das Dirndl ist ja zu jung, hat seinen Vater ja gar nit kennt. Die Emerenzia schupft genau so hilflos die Achseln wie erst der Veit Kramer und meint: »Sell kann i dir nit sagen, wie mir ist; recht öd.«

Damit geht der junge Kramer wieder seiner Wege und sinnelt vor sich hin. Sieben Jahr’ schon unter der Erden. Hätt’ der Bot’ es in zwei Jahren nit ermachen können? Zwei Jahr’ sein eine schöne Zeit, wie viel wär’ anders, wär’ nur das kleinste von allen Übeln gewesen. Was wird das arme Tötl kosten? Drei die schwarsten Stuck Vieh. Die Kramerin krankt und prunkt wie eine Edelfrau. Von Lüentz der Doktor Verci hat gar kommen müssen. Vom Himmel die Stern müssen sie holen, wenn sie es will. Der junge Veit Kramer geht dahin wie ein Alter, und der Alte tut am Kindbett der Trogerin herum wie ein Junger.

Es ist viel verkehrt auf der Welt und im Leben.

Die Magdalen Pichlerin steht in ihrer Kammer droben und will den Wallensteinorden aufheben. Sie weiß nit, wohin damit, legt ihn derweile in die Gespattl, wo der Emerenzia ihre Götentaler liegen.

Draußen stürmt der Novemberwind vorbei. Sie hebt eine Fensterluken aus. Schaut über die Hausdächer hin, übern Freithof, schaut die Weiten und die Höhen ab. Ihre armen Augen schauen und suchen ein Grab. Ihre trockenen, heißen Augen suchen und suchen.

»Wenn es Langes ist, wenn es beim Holzer droben wieder ausapert, vergrab’ ich den Stern unter der alten Lärche.«

Jetzt kann die Magdalen Pichlerin wieder weinen.

* * *

Es ist schon wieder die sechs Jahr her, daß der Wallensteinorden droben beim Holzer unter der alten Lärche begraben liegt. Die Magdalen Pichlerin ist damalen gar nit ins Haus getreten. Mit einem Zaunspeltlein hat sie das Grüblein graben, wie in ein Kinderspiel ist sie verfangen gewesen. Dann hat sie den Reichtum hineingelegt, um den einer sein Weib und Kind verlassen, Lieb’ und Treu’ vergessen hat. Ganz gelb ist der Stern in der dunklen Erden gelegen. Sieben Jahr’ lang zwischen schwitzender Haut und stinkendem Leder. Jetzt hat der Stern Ruh’, jetzt liegt er gut unter der alten Lärche.

Der Schaudermann aber richtet sich in allem Ernst zum Sterben her. Sind gar viel alte Leut’, die seine Jahre nimmer derzählen. Sein Inventurverzeichnis mag wohl auch nicht mehr ganz stimmen; oder doch? Sein Hab und Gut hat sich die Jahr’ her gemehrt und gemindert, just wie die Glocke geschlagen hat; was für armselige Leut’ angelockt haben, was für fürnehme Gäst’ kommen sein, gebracht haben beide nichts, fortgetragen mancherlei. Aber ihn ficht das alles nimmer viel an.

Das sind alles nur Nichtigkeiten, wenn nur das ander Register stimmt. Und über das ander Register in Ruh’ und Fried’ noch eine Weil’ nachzudenken, läßt ihm der Gevatter Tod gern noch ein Zeitl. Setzt sich still an seine Bettseiten, und ist grad, als ob der allzeit Rührige selber gern einmal ein Rückl verrasten wollt’. Also sitzt an des Vikars Schaudermann seiner Bettseiten schon der Tod, an der andern aber stehet das Leben noch, steht und geht die junge, aufblühende Emerenzia, bringt Kraftsüpplein und Muskatwein, wie es die Mutter drunten in der Kuchl fürsorglich braut, wie sie ihr selber zu kochen manchmal anvertraut sein. Die Emerenzia bringt aber auch ein helles Leuchten der Jugend in die Krankenstube, ein kleines, frohes Lachen, das nit laut und ungebärdig ist, das nur den Duft der Frische hat. Eine ganz wunderliche Augenweide ist die Emerenz die Jahr’ her geworden, und der Schaudermann hat sich viel an ihr erfreut, wie an allem Schönen, das der Herre Gott dieser Erde verliehen hat.

Auch der Gevatter Tod an der andern Bettseiten muß manchmal ein wenig nach der rosenroten Jugend lugen. Aber sie traget keins seiner Zeichen, also muß er sein grauknöchern Antlitz wieder wenden; er ist den Siechen, Müden ein Tröster und Erlöser, nit den Gesunden, Starken ein Schreck.

Der Tod aber hat doch vermeint, noch etwas an der Emerenz frischem Gesicht zu erspähen, das ihre Helle ein wenig dämpft. Nein, nein, sein Zeichen ist es nun einmal nit, es muß wohl was anders sein. Eija, Gevatter Tod, du bist ein gar Kundiger und verstehst im Antlitz der Menschen zu lesen.

Ja, es ist etwas anderes, es ist ein stilles, stolzes, verschwiegenes Herzeleid. Davon ahnt der Schaudermann nicht ein bißl, ahnt kein Wörtl, kein Seufzerlein. Er ist nur froh, daß die Emerenz ihre großen Sehnsüchte, ihre eitlen Wünsche bezwungen und überwunden hat. Sie ist ein liebes, schlichtes Maidl worden.

So meint der Schaudermann, denn alles kann er zwischen Tür und Angel nimmer erfassen, kann sich nimmer vergegenwärtigen, was die draußen auf der großen blumigen Weltwiesen alles erhoffen, und wieviel sie davon begraben müssen.

Die Emerenzia Pichlerin ist am selben Novemberabend schiech verdemütigt worden. Der Bot’, der ihres Vaters Totenschein gebracht, hat ihrer Eitelkeit Stachel jäh aus dem Herzen gerissen, so jäh, daß völlig eine Wunden hat bleiben müssen. Die Wunden aber heißt noch immer Sehnsucht, Sehnsucht nach Unerreichbarem, Großem, Schönem, vielleicht gar nach Liebe. Nur mehr eine Sehnsucht nach Liebe? Oh, die Emerenz kann schweigen, kann selbst vor sich selber schweigen.

Ja, die Liebe der Mutter Magdalen hüllt sie ein wie ein linder Lodern im Winter, aber die Liebe hat das Feuer nicht und nicht den hohen Schein und nicht das himmelselige Jauchzen und das bittere Weinen.

Da im St. Jakober Widum scheint im Sommer wohl auch Sonne ums Haus, aber das Gemäuer ist dick und die Balken sein tief, und nur von diesem Schatten, von Kühle und Dämmerung behütet, schaut sie hinaus ins sonnscheinige Land.

Die Jungmannen, die über eine Widumtür hereintreten, haben alle schon eine Herzliebe und kommen nur mehr den Verspruchstag ansagen, oder haben eins auf dem Kerbholz oder bitten den Herrn Vikar an Mutters oder Vaters Sterbebett. Da sind sie dann auch nimmer aufgelegt, die Emerenz anzuschauen.

Viel und oft tut sie einem stranzenden Gesellen auf, dem das strähnige Blondhaar in die Stirn hereinhängt und der Hunger aus den Augen schaut. So einem reicht die Emerenz die Bettlsuppen hin und traut sich nit aufzublicken vor Scheu und Furcht. Und dann und wann nippt vom Tischwein des Herrn Vikar ein wandernder Scholar und ißt sich mit froh lachendem Gesicht ganz ergötzlich satt. Da senkt die Emerenz ihren Blick noch tiefer und verschließt ihrer Augen strahlendes Blau. Die Emerenz Granteggerin aber freut sich gar sehr über ihr frommes Gotenkind, das der Welt so abwendig geworden ist. Die Dirn soll nur eine brave Pfarrhauserin werden, ist so für Leib und Seel’ aufgehoben. Die große Welt draußen ist für niemand heilsam, und ihr Glück vermag kein Herz bis zum Rand zu füllen. Die Mutter Magdalen gibt der Gevatterin recht, sie wüßt’ ihrem Kinde nichts Besseres zu wünschen als die Ruh’ des Herzens und die Geborgenheit eines stillen Hauses. Sie selber ist grad nur genarrt worden von der Lieb’, und eines Mannes Treu-schwur ist wie ein Rosenhauch im Wind, er bringt ihn und fegt ihn weiter an eine andere Nase. So mag ihr Kind auch der wenigen seligen Augenblick’ leichtlings entbehren, wenn es von der großen Bitternis nicht heimgesucht wird, geschieht ihm nie hart.

1 147,22 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
23 декабря 2023
Объем:
362 стр. 5 иллюстраций
ISBN:
9783709500309
Издатель:
Правообладатель:
Автор
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают

Новинка
Черновик
4,9
157