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Kapitel 2

Während wir unsere Pläne schmieden, zeigt das Leben uns den Mittelfinger

Es dämmerte und auf den Dächern der Autos, die auf dem Krankenhausparkplatz standen, spiegelte sich das rote Licht des Sonnenuntergangs. Diana Clarkson stand am Fenster ihres Krankenzimmers und betrachtete traurig das gewaltige Farbenspiel am Abendhimmel.

Sie fühlte sich leer und unendlich erschöpft. Nichts schien mehr einen Sinn zu haben. Die Tränen waren ihr ausgegangen, denn die letzten zwei Tage hatte sie nichts anderes getan als zu weinen. Immer und immer wieder fragte sie sich, wie er später einmal ausgesehen hätte? Was aus ihm geworden wäre? Aus ihrem Sohn. Den sie verloren hatte. Dem ein Leben verwehrt worden war, das sie ihm so gern geschenkt hätte. Einen Sohn, den sie zu Anfang nicht wirklich gewollt hatte.

Der Schmerz in Dianas Brust engte sie ein, wurde immer mächtiger und mächtiger, erdrückte sie schier mit unfassbarer Last, bis sie glaubte zu ersticken. Nur mit größter Anstrengung gelang es der jungen Frau sich zu beruhigen und tief durchzuatmen.

Sie hatte ihre Sachen gerade eben gepackt. Die Ärzte hatten ihr erlaubt nach Hause zu gehen, eigentlich erst morgen früh, aber sie hielt es an diesem Ort nicht mehr länger aus. Alles in diesem Raum erinnerte sie an die Fehlgeburt, an ihren Verlust, ihr Versagen. Als vor drei Tagen die leichten Blutungen bei ihr eingesetzt hatten, war sie alarmiert gewesen. Gleich nach der Arbeit wollte sie zu ihrem Frauenarzt gehen, aber dazu kam es nicht mehr. Noch während sie die Tische im Restaurant bediente, hatten die Unterleibsschmerzen angefangen, die so stark wurden, dass ihr das Tablett aus den Händen gefallen war und sie sich schreiend auf dem Boden gekrümmt hatte. Lou, ihr Chef, fuhr sie dann sogleich in die Klinik, wo sie unter Schmerzen und Tränen eine Fehlgeburt hatte. Quaid, ihren Freund, hatte Lou nicht erreicht, er kam erst am Tag darauf zu ihr ins Hospital.

Um sich nicht vom Lernen ablenken zu lassen, hatte Quaid wie gewöhnlich sein Handy und das Telefon abgestellt. Über seinen Lernsachen war er schließlich eingeschlafen. Erst am nächsten Morgen, als er alleine in der Wohnung erwacht war, hatte er voller Sorge bei Lou angerufen, der ihm schonend beibringen musste, dass er sein ungeborenes Kind verloren habe. Bestürzt und beladen mit Schuldgefühlen war Quaid bei ihr eingetroffen. Gemeinsam hatten sie um ihren Sohn getrauert, doch Quaid, der mittendrin in seinen letzten Prüfungen von seinem Zahnarztstudium stand, durfte sich nicht völlig gehen lassen. Sie bewunderte ihn für seine Stärke und Selbstdisziplin, die er an den Tag legte. Deprimiert, aber zuversichtlich und ihr Mut zusprechend, hatte er sich von ihr verabschiedet, um seine kommende Prüfung zu bestehen.

Diana wusste, dass Quaid am folgenden Tag eine weitere Prüfung bevorstand, weswegen er hatte lernen müssen und sie wieder nicht besuchen konnte. Als die Ärzte nun grünes Licht gaben, wollte sie nicht mehr länger warten, denn nur bei Quaid Zuhause würde sie Trost finden.

Sachte klopfte es an die Tür und im nächsten Moment kam die blonde Krankenschwester herein, welche Diana die letzten Tage betreut hatte. Freundlich lächelte sie Diana zu.

„Mrs. Clarkson, der Doktor kommt gleich. Er bringt Ihnen Medikamente und händigt Ihnen den Bericht für den Frauenarzt aus.“

Verhalten nickte Diana und ihre blauen Augen glänzten feucht.

Christina, die Krankenschwester, hatte schon viele Patientinnen betreut, die ihr Kind verloren hatten, aber dieser brachte sie besonders viel Empathie entgegen. Zum einen, weil die Frau laut den Unterlagen vierundzwanzig war, genauso alt war wie sie selbst und zum anderen, weil ihr Freund, dieser Quaid, schon wieder nicht da war. Nicht mal in der Nacht der Fehlgeburt war er aufgetaucht, erst gestern hatte sie ihn zu Gesicht bekommen und heute glänzte der Typ abermals durch Abwesenheit.

Der Doktor betrat das Zimmer und während er mit Diana sprach, zog Christina die Wäsche vom Bett ab.

„Mrs. Clarkson, leider muss ich Ihnen mitteilen, dass die Untersuchungen ergaben, dass die Fehlgeburt durch eine Infektion ausgelöst wurde. Sie müssen Antibiotika einnehmen.“

Er reichte Diana eine Medikamentenschachtel, die diese überrascht entgegen nahm.

„Was für eine Infektion? Ich dachte durch den Stress mit den zwei Jobs, dass …“

Der Arzt unterbrach sie sanft. „Stress kann, muss aber nicht unbedingt eine Fehlgeburt auslösen. In Ihrem Fall … wurde sie eher durch die Chlamydien ausgelöst. Eine bakterielle Erkrankung.“

Diana war schockiert. Nichts davon hatte sie gespürt, bis die Blutungen einsetzten. „Wie ist das möglich? Wo hab ich mir diese Infektion eingefangen?“

„Die Bakterien übertragen sich per Schmierinfektion, also beim Toilettengang, oder, und das passiert am häufigsten, per Geschlechtsverkehr. Ihr Partner sollte sich ebenfalls untersuchen lassen. Zu Beginn Ihrer Schwangerschaft wurde ein Test durchgeführt, der negativ war, daher können sie davon ausgehen, dass Sie sich innerhalb der letzten zwei bis sechs Wochen angesteckt haben. Wenn Ihr Körper sich genügend erholt hat, können sie wieder probieren schwanger zu werden.“

Diana war erleichtert, so furchtbar es auch klang, aber das hieß, dass sie nicht wirklich die Schuld an der Fehlgeburt trug, dass sich nicht versagt hatte, oder unfähig war Mutter zu werden, sondern nur, dass sie unsägliches Pech gehabt hatte. Das Pech sich ein Infekt einzufangen, vermutlich im Restaurant, wo sie bediente. Sie hatte zwei Arbeitsstellen, denen sie nachgehen musste, um genügend Geld für Quaid und sich zu verdienen. Zu Beginn, als sie erfahren hatte, dass sie schwanger war, war sie nicht glücklich darüber gewesen. Fürchterliche Angst hatte sie gehabt. Zwei Jobs, ein Freund, der studierte, und dann noch ein Kind waren ihr wie ein riesiger Berg vorgekommen, den sie nicht glaubte bezwingen zu können. Erst als sie es Quaid gebeichtet hatte, dieser fröhlich lachte und von ihrer gemeinsamen Zukunft zu dritt schwärmte, konnte sie sich über das Leben freuen, das in ihr heranwuchs. Umso schuldiger hatte sie sich nach der Fehlgeburt gefühlt. Doch nun wusste sie, dass diese Bakterien ihr den Sohn genommen haben, den sie mit jedem Tag mehr geliebt hatte.

Christina hatte alles mitangehört und war zutiefst betroffen. Die arme Frau. Eine Fehlgeburt in der zwanzigsten Woche, zwei Arbeitsplätze, ein Freund, der nie bei ihr war und dann noch Chlamydien.

Der Doktor verabschiedete sich und Christina wollte etwas tun, was sie bisher noch nie getan hatte. „Sie werden von Ihrem Freund abgeholt?“ Ein leichtes Kopfschütteln war Dianas Antwort, was Christina befürchtet hatte. „Ich habe gleich Schluss, dann fahr ich Sie nach Hause.“

Verschämt blickte Diana zu Boden. „Nein das brauchen Sie nicht. Ich fahre mit den öffentlichen Verkehrsmitteln nach Hause, das ist nicht weiter schlimm.“

„Wie lange sind Sie dann unterwegs? Eine, eineinhalb Stunden? Es geht doch viel schneller, wenn ich Sie fahre. Ich mach das gern, wirklich.“ Christinas grüne Augen waren so offen und freundlich, dass Diana schließlich zustimmte.

„Vielen Dank nochmal Christina, das war wirklich wahnsinnig nett von dir. Auf wiedersehen.“

„Kein Ding. War schön dich kennenzulernen, Diana. Ich wünsche dir für die Zukunft alles Gute. Bye“, sagte die Krankenschwester mit einem breiten Lächeln.

Diana warf die Autotür zu und beobachtete wie Christinas Wagen im Londoner Abendverkehr unterging. Die Heimfahrt war tatsächlich um einiges schneller gegangen als mit dem Bus und der U-Bahn, trotz des immensen Verkehrs. Sie nahm ihre Reisetasche auf und ging zu der alten renovierungsbedürftigen Villa, in der sie ihre kleine Mietwohnung hatten. Ihr Zuhause lag in einer belebten Straße, die durch das alte Villenviertel führte, in dem bereits einige Häuser luxus-saniert waren. Geschäfte, Firmen, angesagte Cafés und Bars hatten sich hier mittlerweile eingenistet. Sicherlich würde man demnächst ihre Villa renovieren, was ihre Miete steigen lassen würde, die sie dann nicht mehr würden zahlen können. Trotz der schlechten Nachrichten über ihre Infektion, freute sie sich darauf Quaid zu sehen. Leise, um ihn zu überraschen, schloss sie die Wohnungstür auf. Diana staunte. Der schmale Flur war mit brennenden Teelichtern gesäumt, was wundervoll romantisch wirkte.

Woher hatte Quaid erfahren, dass sie heute Abend nach Hause kam?

Still, auf Zehenspitzen folgte sie den flackernden Lichtern ins Wohnzimmer. Dort auf dem Tisch brannten ebenfalls Kerzen und eine teure Flasche Sekt mit zwei Gläsern stand bereit. Diana war sprachlos. Quaid war für gewöhnlich immer sparsam, fast schon geizig. Über seine liebevolle Geste musste Diana vor Rührung schmerzhaft lächeln - bis sie das Stöhnen vernahm …

Ein unverkennbar weibliches Raunen erklang darauf, was aus ihrem Schlafzimmer herrührte. Dianas Herz wollte nicht mehr schlagen und sie spürte einen Brechreiz in sich aufsteigen, der sie wanken ließ. Sie wusste, dass sie es tun musste, aber am liebsten wäre sie einfach wieder gegangen. Sie sagte sich, dass es besser wäre, wenn sie es mit eigenen Augen sehen würde, denn sonst würde sie es später nicht mehr wahrhaben wollen.

Sie folgte dem Stöhnen zu ihrem Schlafzimmer. Die Tür war einen Spalt geöffnet und gedämpftes Licht schimmerte heraus. Sachte tippte sie die Tür an, die ohne ein Geräusch zur Seite schwang und Diana somit den Blick aufs Bett freimachte.

Da saß Quaid, nackt in ihrem gemeinsamen Bett, lehnte mit dem Rücken an der Wand und auf seinem Schoß bewegte sich, auf eindeutige Art und Weise, eine unbekleidete Frau. Versunken in ihren Liebesakt, hatte Quaid die Lider niedergeschlagen und befummelte unter tiefem Geröchel die Brüste der fremden Frau. Die Fenster waren verdunkelt und die Kerzen, die Quaid auch hier angezündet hatte, warfen die Schatten ihrer Körper an die Wand.

Diana war wie zu Eis erstarrt und wollte ihren Augen nicht trauen. Bestimmt hatte sie nur Halluzinationen. Das konnte einfach nicht sein, das durfte nicht sein. Ihr war, als würde ihr verwundetes Herz von einer scharfen Klinge durchbohrt werden. Stich für Stich spürte sie die Pein. Und dann hörte sie im Geiste den Arzt aus dem Krankenhaus sagen, in einem Echo widerhallend, das wie ein Ping-Pong-Ball in ihrem Kopf hin und her prallte: ‚…übertragen durch Geschlechtsverkehr… innerhalb der letzten Wochen angesteckt…‘

Wo war die Luft auf einmal hin? Sie bekam keine Luft mehr.

Ein gequältes Aufatmen, das Diana entwich, ließ Quaids Augen öffnen. Erst ein zweiter Blick auf seine schockierte Freundin machte ihm klar, dass er nicht träumte. Und dann sagte er tatsächlich das, was keine Frau in so einem Moment hören will und Diana die Flucht ergreifen ließ.

„Diana?! Es ist nicht so, wie es aussieht…“

Tränen flossen auf einmal wieder über ihre Wangen, obwohl Diana gedacht hatte, dass da keine mehr in ihren Augen wären. Blind vor Schmerz und Wut rannte die junge Frau hinaus. Hinaus aus der Wohnung, hinaus aus dem Haus auf die Straße. Rannte und rannte, bis sie ihrem Impuls folgend in eine volle Bar stürmte, um sich in der Menschenmenge zu verstecken.

Natürlich würde er ihr nachlaufen und sie suchen, aber sie wollte von ihm nicht gefunden werden. Und in dieser Bar, ein paar Häuser weiter, wo nur reiche Snobs verkehrten, würde er sie nicht vermuten.

Noch immer hatte Diana ihre Reisetasche in der Hand und schubste unabsichtlich einen großen, schlanken Mann. Dieser hatte ein Smartphone in der Hand, was er daraufhin fast fallen ließ und nach mehrmaligem Auffangen wieder fest in den Griff bekam. Eine dunkle Schönheit saß am Tisch vor ihm, mit der er sich gerade unterhalten hatte.

„Oh, entschuldigen Sie, das war keine Absicht", stammelte Diana verstört und suchte mit wirrem Blick ein freies Plätzchen, wo sie sich niederlassen konnte.

Die hübsche Frau musterte Diana besorgt. „Nichts passiert. Geht es Ihnen gut?“

„Ja, ja, alles bestens, danke“, wiegelte Diana nervös ab und ging weiter, wobei sie andauernd zur Eingangstür zurückblickte. Weiter hinten in der Kneipe, in einem verborgenen Winkel wurde sie fündig und setzte sich an einen leeren Tisch. Verzagt legte sie ihren Kopf in die zittrigen Hände, um sich zu sammeln. Einige Minuten versuchte Diana Ordnung in ihre Gedanken zu bringen, aber alles was ihr Gehirn fabrizierte, war dieses Bild, wie Quaid eine andere Frau in ihrem Bett liebte.

„Was kann ich Ihnen zu trinken bringen?“

Unschlüssig schaute Diana zu dem jungen Mann auf, den sie zuvor angerempelt hatte, der offenbar die Bedienung war.

Gott sei Dank hatte sie ihre Geldbörse dabei und brauchte sich darum nicht auch noch Sorgen machen. Da ihr Leben jetzt vollends den Bach runtergegangen war, nahm sie keine Rücksicht mehr. Weder auf ihren Körper, der wegen den letzten Strapazen und den Medikamenten eh schon hinüber war, noch auf das wenige Geld, das sie besaß.

„Bringen Sie mir einen Doppelten von irgendwas, das im Hals brennt.“

Nickend entfernte sich der Kellner und Diana rieb sich in einer verzweifelten Geste übers Gesicht.

Ein Gutes hatte die Trennung von Quaid, das Geld, das sie verdiente, würde von nun an nur noch ihr gehören. Die letzten vergangenen sechs Jahre hatte er nämlich auf ihre Kosten gelebt, sie ausgesaugt bis auf den letzten Tropfen. Sie hatte tagsüber bedient und abends zusätzlich noch in einer Wäscherei geschuftet, um die Kohle zusammen zu bringen, die sie brauchten. Quaid hatte studiert, er musste ja angeblich so viel lernen, dass er keine Zeit zum Arbeiten hatte. Ab und zu, wenn es ihr zu viel geworden war und sie sich beschwert hatte, jobbte er für eine kurze Zeit. Seltsamerweise gab es aber immer Probleme und er konnte nicht mehr weiterarbeiten. Entweder entließen die Arbeitgeber Quaid, sie bezahlten ihn nicht oder er bekam körperliche Beschwerden von dem jeweiligen Job, oder, oder, oder … Die Liste der Gründe, weswegen er nicht arbeiten gehen konnte, wurde endlos.

Diana war jedoch gern arbeiten gegangen, weil sie Quaid liebte. Schon immer. Und der Gedanke daran, dass jeder Arbeitstag, der verging, Quaids Prüfungen und sie ihrer Zukunft als Zahnarztgattin näher bringen würde, ließ sie durchhalten. Nach alldem, was Diana für Quaid aufgegeben und mit ihm durchgestanden hatte, war dies das logische und ersehnte Ziel von ihr gewesen. Sie hatte Quaid auf dem College kennengelernt und gemeinsam beschlossen sie, dass er studieren sollte, während sie arbeitete. Wenn er sein Studium beendet hätte, könnte sie dann endlich Mode-Design studieren, was ihr langersehnter Wunschtraum war.

Nie im Leben wäre sie darauf gekommen, dass Quaid sie betrügen würde. Doch er hatte es getan und nicht mal ihre Schwangerschaft hatte ihn davon abgehalten. Dass er sie nicht liebte, oder nicht mehr, stand nach diesem Verhalten außer Frage.

Dianas heile Welt hatte sich aufgeräufelt, wie ein gestrickter Schal, von dem jetzt nur noch ein gekräuselter Faden übrig geblieben war. Sie hatte gedacht, dass solche Männer wie ihr Vater, der ihre Mutter geschlagen hatte, eine Ausnahme wären. Diana hatte geglaubt, dass ihr Vater nur gewalttätig geworden war, wegen seiner Alkoholsucht, oder seiner Verbitterung, die daher rührte, dass er kein Profisportler werden konnte. Ihr Vater hatte in seiner Jugend Fußball gespielt und stand kurz vor einem Vertrag mit einem bekannten englischen Fußballclub, als der Traum durch eine irreparable Knieverletzung ausgeträumt war. Ihre Mutter, die damals bereits mit ihm zusammen gewesen war, liebte ihn über alles und versuchte ihm über die Enttäuschung seines Lebens hinwegzuhelfen. Doch sie scheiterte. Aus der Enttäuschung ihres Vaters wurde Wut und Zorn auf alles und jeden. Er fing an zu trinken und wenn er nach Hause kam, vermochte nicht mal mehr seine liebende Frau ihn zu beruhigen. Zu Beginn stieß er sie nur von sich, doch aus einem Stoß wurde beim nächsten Mal ein Schlag und irgendwann, als ihm die Schläge keine Genugtuung mehr verschafften, verwendete er seine Fäuste.

Diana, die von ihrer Mutter zum Schutz im Kinderzimmer eingeschlossen worden war, versteckte sich im Schrank und musste dennoch jeden einzelnen Schlag mitanhören. Das Flehen ihrer Mutter, das Rumpeln, wenn sie zu Boden stürzte, das Klatschen der auftreffenden Schläge, das Wimmern, alles war an ihre Ohren gedrungen. Am meisten Angst hatte Diane immer die darauffolgende Stille gemacht, weil sie befürchtete, ihr Vater hätte ihre Mutter zu Tode geprügelt. Erst wenn sie ihren Vater laut schnarchen gehört hatte, war sie zu Bett gegangen, hatte sich tief unter der Bettdecke vergraben und gehofft, dass ihre Mutter am nächsten Morgen die Tür wieder aufschließen würde.

Als Diana sechzehn Jahre alt war, blieb eines Morgens die Tür zu und sie musste zum Fenster hinausklettern. Was dann folgte, war ein Alptraum. Ihre Mutter, die mit dem Krankenwagen ins Hospital gefahren wurde, erlag den schweren Verletzungen, während ihr Vater in Untersuchungshaft saß. Diana kam für zwei Jahre ins Jugendheim. Zu dieser Zeit lernte sie Quaid kennen. Er kam aus ähnlichen Verhältnissen und ahnte wie es ihr ging. Ganz anders als ihr Vater war er liebevoll und gutmütig. Sofort, nach dem sie das College erfolgreich absolviert hatte, war sie mit Quaid zusammen gezogen und arbeiten gegangen, um den Unterhalt für sie beide zu finanzieren.

Und nun, nach all den entbehrungsreichen und harten Jahren, nach all dem, was ihr widerfahren war, brachte er es fertig, ihr das anzutun. War das normal? Waren alle Männer wie ihr Vater und wie Quaid, so grenzenlos egoistisch?

Diana stürzte den Alkohol, der mittlerweile vor ihr stand, in einem Zug hinunter und bestellte sich gleich nochmal dasselbe. Sie schwor sich, nie wieder einem Mann zu vertrauen und Quaid schon gar nicht, denn er war schuld am Tod ihres Sohnes. Hätte er sie nicht betrogen, hätte er sich nicht infiziert, sie nicht angesteckt und ihr Kind würde noch leben. Ohne einen Funken Hoffnung, ohne jegliche Zuversicht auf eine bessere Welt, Ort oder Zeit bestellte Diana sich ihren nächsten Drink, der nicht ihr letzter war.

Kapitel 3

Es ist nicht leicht der zu sein, der man ist

Marie Thomas hatte einen anstrengenden Tag hinter sich, als sie beschloss auf einen kalten Smoothie in die Bar in ihrer Straße zu gehen. Sie war Eventmanagerin bei einer kleinen Agentur und liebte ihren Job, der jeden Tag aufs Neue eine Herausforderung für sie darstellte, aber genau das war ihr Ding.

Ein herrlicher Sommerabend lag noch vor ihr und sie hatte keine Lust ihn alleine in ihrer Wohnung zu verbringen. Es war nicht das erste Mal, dass sie in diese Bar ging, denn ihr gefiel der Einrichtungsstil, der an einen irischen Pub erinnerte. Praktischerweise lag sie gerade mal fünf Minuten Fußweg von ihrer Wohnung entfernt, was ein weiterer Pluspunkt war.

Man kannte sie hier nur als Marie und das war gut so. Gott behüte, dass jemand ihren Nachnamen erfuhr, sonst käme einmal mehr heraus, wessen Schwester sie war. Ihr Bruder war nämlich der Star Thomas May, der mit bürgerlichem Namen Jeff Thomas hieß. Zwar hatten ihre Eltern von Anfang an und später er selbst immer darauf geachtet, dass sein richtiger Name nicht in der Presse erschien, aber dennoch kam es vor, dass manche Leute herausfanden, wer ihr Bruder war. Sie hatte aufgegeben nach den Ursachen oder Wegen zu suchen, warum und wie dies immer wieder geschah. Schon mehrmals hatte sie überlegt, den Mädchennamen ihrer Mutter anzunehmen, aber ob der Aufwand sich lohnen würde, bezweifelte sie. Zugegebenermaßen wurde die Last, die Schwester eines Teenie-Schwarms zu sein, im Alter geringer. Als junges Mädchen hatte sie sehr darunter gelitten, denn alle wollten mit ihr befreundet sein, bloß um an ihrem Bruder heranzukommen. Zu Beginn von Jeffs Karriere hatte sie die Aufmerksamkeit genossen, denn die Mädchen aus ihrer Klasse kannten ja ihren Bruder, der auf einmal im Fernsehen auftrat und so toll singen konnte. Dass Jeff nicht hässlich war, machte alles noch schlimmer für sie. Irgendwann jedoch hatte sie es satt, denn wenn sie eine vermeintliche Freundin zum Spielen einlud, bekam sie immer die gleiche Gegenfrage zu hören: ‚Ist dein Bruder auch da? ‘. Oft verneinte Marie, obwohl Jeff Zuhause war, was bei den meisten Mädchen eine spontane Erinnerung an einen Termin auslöste, den sie zuvor vergessen hatten.

Marie hatte schließlich aufgegeben nach Freundschaften in ihrer unmittelbaren Umgebung zu suchen. Aber selbst wenn sie hoffte andernorts welche zu finden, kam es auf dasselbe hinaus. Hatte sie jemand auf einer Freizeit kennengelernt und erzählte demjenigen dann nach einiger Zeit, wer ihr Bruder war oder kam derjenige zu ihr nach Hause, egal ob männlich oder weiblich, war es nur noch um ein Thema gegangen. Jeff hinten, Jeff vorne. Jeff, Jeff, Jeff … Es war schrecklich gewesen! Doch dann hatte Marie in der sechsten Klasse eine deutsche Brieffreundin zugeteilt bekommen und sie war klug genug, den Fehler nicht nochmal zu begehen. Zum Glück besuchte Karen sie nie in England, weshalb diese bis heute nicht wusste, dass Thomas May ihr Bruder war. Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn sie es Karen sagen würde, die als junges Mädchen ein absolut durchgeknallter Fan von ihm war. Mit zweiundzwanzig hatte sich das jetzt natürlich erledigt, aber trotzdem würde Marie es Karen erst sagen, wenn es nicht anders ging.

Abgesehen davon hatte Jeff ihr gedroht, dass er dieses Theater nicht ein weiteres Mal mit machen würde. Zu lebendig war ihm noch die Erinnerung im Gedächtnis, von einem hysterisch schreienden Mädchen durchs Haus gejagt zu werden, so dass er sich im Klo hatte einschließen müssen. Erst nachdem das Mädchen von ihren Eltern abgeholt worden war, hatte Jeff sich herausgetraut. Zu Maries Vergnügen sah er wie ein zerrupftes Huhn aus, da die Irre versucht hatte ihm die Kleider vom Leib zu reißen.

Im Nachhinein, fand Marie besonders den Versuch eines schwulen Fans witzig, der Jeff in der Dusche aufgelauert hatte. Sie musste immer noch lachen, wenn sie an die empörten Schreie ihres Bruders dachte. Freilich hatte sie das damals überhaupt nicht lustig gefunden, dass der Typ sie nur wegen Jeff angemacht hatte. Sie war zu dem Zeitpunkt noch zu unerfahren gewesen, um zu raffen, dass der Junge sich jedes Mal fast übergab, wenn er sie küssen sollte.

Heute würde ihr so was nicht mehr widerfahren, sie war überaus wählerisch in Hinblick auf Männer geworden. Diejenigen, die ihr zu aufdringlich und zu schnell bei der Sache waren, nahm sie grundsätzlich nicht ernst. Denn da konnte sie förmlich riechen, dass die Sache einen Haken hatte. Als Jeffs Schwester war sie entweder eine Trophäe oder das Sprungbrett für einen Karrierestart, denn durch ihren Bruder hatte sie Verbindungen ins Showbiz. Nein danke, das alles hatte sie schon gehabt, erlebt, mitgemacht und abgehakt. Umso mehr genoss sie es in dieser Bar nur Marie zu sein, in Ruhe an einem Tisch zu sitzen, ihren Smoothie zu schlürfen und den neuen Kellner zu beobachten.

Der Typ war heiß, er gefiel ihr. Er hatte ein sexy Lächeln, mit dem er sie einige Male bedacht hatte. Heimlich warf er ihr schüchterne Blicke zu, die ein Prickeln in ihrem Magen auslösten. Vielleicht war nicht der Smoothie der Grund warum sie hierher kam, sondern der Kerl. Sie sah ihn jetzt das dritte Mal, er bediente nicht jeden Abend, das hatte sie mittlerweile herausgefunden. Kacke, sie hatte den Kerl ja schon längst im Visier, wenn sie das wusste, sie hatte sich selbst hinters Licht geführt. Unfassbar. So verklemmt wie der süße Typ war, würde er nie den ersten Schritt wagen, was hieß, dass sie das übernehmen musste.

Marie hob die Hand um die Aufmerksamkeit des Kellners zu erregen, was in der überfüllten Bar nicht leicht war. Mit einem Schwindel-bereitendem Schmunzeln kam der braunhaarige Mann an ihren Tisch.

„Noch was zu trinken?“

„Also … Sie arbeiten zwar noch nicht allzu lange hier, aber können Sie mir was Besonderes empfehlen?“ Marie versuchte, den hübschen Kellner mit einer angedeuteten Doppeldeutigkeit aus der Reserve zu locken. Sein langer Blick brachte Marie zum Glühen. Was dachte er nur, wenn er sie auf diese Weise anschaute?

Kurz um sich blickend, beugte sich der junge Mann verschwörerisch zu ihr hinab und ließ den Augenkontakt dabei nicht abbrechen. „Hier gibt es nichts Besonderes, aber in der Stadtmitte gibt es einen Club, der die besten und ausgefallensten Drinks anbietet.“

Marie überlegte. War das jetzt ein Versuch ihr ein Date anzubieten oder als was sollte sie das werten? Sie biss sich auf die Unterlippe, was der Kellner sofort bemerkte, denn seine Mundwinkel zuckten.

Mit einer koketten Geste warf Marie ihre langen Locken über die Schulter. Mann, war der Kerl süß. Sie würde sein Spiel mitspielen, denn sonst würde er wohl nie zu Potte kommen.

„Wirklich? Von dem Club habe ich noch nie etwas gehört.“

Gekonnt setzte Marie ihren Augenaufschlag ein, denn was er konnte, konnte sie auch, was auch prompt den erwarteten Erfolg zeigte.

„Nun, ich … wir können ja mal zusammen …? Wenn Sie wollen?“

Na, endlich hatte er angebissen. Mit einem unschuldigen Schnütchen meinte Marie locker: „Klar, wieso nicht?“

Anscheinend freute der Kellner sich über ihre Zusage, denn er strahlte wie ein kleiner Junge, der sein Geburtstagsgeschenk einen Tag früher auspacken durfte.

„Okay, ähm, ich gebe dir meine Nummer oder würdest du mir … deine geben?“

Marie grinste, soviel Schüchternheit, war ihr schon lange nicht mehr in die Quere gekommen. „Wie wäre beides? Du tippst deine Nummer in mein Handy und ich gebe dir meine.“

„Okay.“

Der Kellner zog sein Telefon aus der Hosentasche und tauschte es gegen Maries. Beide tippten ihre Nummer in das Handy des anderen, während eine zierliche Brünette in die Bar stürmte und Maries Eroberung anrempelte. Fast wäre dem Kellner das Mobiltelefon aus den Händen gerutscht und zu Boden gefallen, nur aufgrund seiner schnellen Reaktion konnte er es, nach mehreren Fehlversuchen, sicher auffangen.

Die brünette Frau entschuldigte sich höflich, obwohl man ihr ansah, dass sie voller Panik war. Totenbleich und mit schreckensweiten Augen sah sie immer wieder zur Tür, als würde sie jemand verfolgen.

„Nichts passiert. Geht es Ihnen gut?“, fragte Marie.

„Ja, ja, alles bestens danke“, erwiderte die Frau hastig, was noch deutlicher machte, dass gar nichts bestens war. Schnell ging sie weiter und verzog sich in das hinterste Eckchen der Bar.

Marie und der Kellner schauten sich fragend an, was sie beide augenblicklich zum Schmunzeln brachte. Sie gaben sich ihre Handys zurück und jeder las den Namen des anderen.

„Marie. Ein schöner Name, nett dich kennenzulernen.“

„Ja, Robert, das Gleiche wollte ich auch zu dir sagen.“

Peinliche Stille trat ein, die Robert als erster durchbrach. „Okay … darf ich dir noch etwas zu trinken bringen?“

„Oh nein, ich zahl jetzt lieber, es wird sonst doch noch zu spät. Ich muss morgen früh raus.“

„Schade, vielleicht sehen oder hören wir uns ja morgen noch?“

Marie konnte nur nicken, zu sehr verwirrte sie sein sanftes Lächeln. Nachdem sie gezahlt hatte, verließ sie grinsend wie ein Honigkuchenpferd die Bar. Es war ein schöner Sommerabend, sie hatte es gewusst.

Glücklich mit sich und dem Rest der Welt schlenderte Marie die Straße entlang, als plötzlich jemand ihren Namen rief.

„Marie? Marie Thomas?“

Erschrocken schaute Marie sich um und bemerkte eine junge Frau am Bordstein stehen. Kastanienrote Wellen flossen ihre Schultern hinab und sie trug einen engen Rock, der ihre schlanken Beine unverschämt gut zur Geltung brachte. Mit dem dunklen Blazer, der hellen Bluse und den hohen Schuhen schien die junge Frau aus einem Modekatalog entsprungen zu sein.

„Ja?!“, antwortete Marie verwirrt, denn das Gesicht kam ihr bekannt vor, aber sie wusste nicht woher.

Die rothaarige Frau lächelte. „Oh, du erinnerst dich vielleicht nicht mehr an mich. Ich bin Jenny Fennwick. Wir waren mal gemeinsam auf einer Jugendfreizeit von der Kirche.“

„Ach ja, tatsächlich“, sprach Marie zögernd und näherte sich ihr.

„Und wie geht es dir?“, fragte Jenny freundlich.

Marie nickte. „Gut, danke. Du wohnst hier in der Gegend?“

Demnächst würde diese Jenny die übliche Frage über Jeff stellen, wie immer, insgeheim wartete Marie schon darauf.

„Nein, ich bin beruflich unterwegs. Sag mal … geht es hier immer so zu? Gerade wollte ich in ein Taxi einsteigen, als so ein Idiot in Jogginghosen es mir vor der Nase weggeschnappt hat. So was Dummes.“

Marie staunte mit gerunzelter Stirn. „Naja, hier ist immer viel los, wenn du ein Taxi willst, musst du echt die Ellbogen ausfahren.“

„Mist! Hoffentlich kommt bald eins, ich bin sowieso schon spät dran.“ Unruhig fuhr sich Jenny durch die Haare.

„Hey, da hinten steht eins, wenn du Glück hast, ist es noch frei.“ Marie zeigte auf ein Taxi, das ein paar Meter die Straße aufwärts, zwischen den parkenden Autos, stand.

Jennys Mine erhellte sich. „Oh, danke. Dann gehe ich gleich los. War schön dich mal wiederzusehen. Tschüss.“ Eilig stöckelte Jenny davon.

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