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Kapitel 3

Wenn du Glück hast, hast du einen Menschen, dem du alles erzählen kannst, wirklich alles, ohne dass du dich für irgendetwas schämen musst. Einen Menschen, der dir genau das sagt, was du brauchst. Nicht das, was du hören willst (das ist etwas anderes). Er sagt dir das, was für dich in dieser Situation am besten ist, auch wenn es manchmal wehtut.

Und bei mir war dieser Mensch meine langjährige Brieffreundin Marie Thomas. In der sechsten Klasse bekam im Englisch-Unterricht jeder Schüler einen Brieffreund zugewiesen. Und ich bekam Marie. Eine bessere Wahl als das Schicksal hätten wir selbst nicht treffen können: Zwei Mädchen im selben Alter, gleich und doch verschieden. Sie ist Yin und ich bin Yang. Sie ist klein und ich bin groß, sie ist schwarzhaarig und ich bin rothaarig …. Oh, mein Gott, das hört sich an, als sähen wir aus wie - Dick und Doof?

Naja, auf jeden Fall verstanden wir uns von Anfang an super. Alle anderen Brieffreundschaften machten nach einiger Zeit den Abgang, aber wir schrieben uns gegenseitig, dass die Schwarte krachte. Englisch wurde für mich zur zweiten Muttersprache und Deutsch für Marie.

Oft kam sie mich in den Ferien besuchen, weil meine Eltern nie genug Geld hatten, um mir eine Reise nach England zu finanzieren. Im Gegensatz zu meiner Familie hatten Maries Eltern nie Geldsorgen, da ihnen eine gut florierende Restaurantkette gehörte. Und seit Marie als Eventmanagerin arbeitete, war Geld das kleinste ihrer Probleme. Sie wohnte in London, während ihre Eltern ein älteres Landhaus außerhalb der Stadt hatten.

Seit ich meine eigene Wohnung hatte, telefonierten wir regelmäßig miteinander. So war es letztendlich nur logisch, dass Marie, meine beste Freundin, auch meine Trauzeugin werden sollte.

Ehrlich, ich weiß nicht, wie oft wir uns schon am Telefon gegenseitig die Ohren voll geheult hatten, wegen irgendwelcher Deppen, die uns die Herzen gebrochen hatten. Doch ich hatte diesmal den König aller Deppen gezogen – Peter.

Ich musste Marie einfach anrufen und während des Telefonats machte sie mir den Vorschlag, der mein ganzes Leben verändern sollte.

„So ein Mistkerl! Wie kann er dir das nur antun? Und sie, dieses hinterhältige Luder. Wie ich solche Frauen hasse! Honey, wie wäre es, wenn du die Koffer packst und zu mir nach London kommst? Lass den ganzen Mist hinter dir, du hast doch sowieso bald Urlaub.“

Ja, drei Wochen Urlaub hatte ich bei meinem Chef beantragt, der übernächste Woche beginnen sollte.

Das hieß, ich würde Desiree noch eine Woche lang an meinem Arbeitsplatz über den Weg laufen. Der einzige Trost war, dass sie in einer anderen Abteilung arbeitete und uns ein Stockwerk voneinander trennte. Das war dann aber auch schon alles, was mir diesen Spießrutenlauf ein wenig angenehmer machen würde, denn schließlich müsste ich den restlichen Kollegen sagen, dass die Hochzeit flachfiel. Sonst würden sie noch vergeblich vor der Kirche warten oder mir in der Kantine vor versammelter Belegschaft ein Geschenk überreichen wollen.

Nein, nein, nein. Nur, wenn ich schon daran dachte, bekam ich Schweißausbrüche.

Wenn Desiree nicht ganz so bescheuert wäre, wie sie aussah, würde sie vielleicht für sich behalten, dass sie meinen Ex-Verlobten ehelichen wollte. Doch mir war klar, dass dieser Gedanke in das Reich der Phantasie gehörte. Nein, Desiree schämte sich nicht die kleinste Bohne dafür, einer Arbeitskollegin den Bräutigam ausgespannt zu haben.

Also nahm ich Maries Vorschlag an. Ich gab mich der Hoffnung hin, dass bis nach dem Urlaub Gras über die ganze Sache gewachsen sein und ich mein Leben wieder so führen könnte wie vor dem Reinfall namens Peter. Schließlich starb die Hoffnung immer zuletzt.

Irgendwann entdeckt jeder von uns, dass es nicht nur den Himmel auf Erden gibt, sondern auch das Gegenstück. Diese eine letzte Woche bei der Arbeit, bevor ich meinen Urlaub antreten konnte, da durchschritt ich meine persönliche Hölle auf Erden.

Mein vorrangigstes Ziel lautete, mein Büro zu erreichen und dabei nicht in Desirees Fängen zu landen. Deswegen benutzte ich nicht den Haupteingang wie gewöhnlich, wo der einzige Aufzug im ganzen Haus war, sondern den Hintereingang, wo es lediglich ein Treppenhaus gab. Also joggte ich in Höchstgeschwindigkeit die Treppen ins dritte Stockwerk hoch und den Gang entlang, bis ich vor meiner Bürotür zum Stehen kam.

Zu dem Zeitpunkt hatte ich dann einen hochroten Kopf und die Schnappatmung eines an Land geworfenen, sechs Kilo schweren Karpfens, der jeden Moment vor seinen Schöpfer treten würde. Leider muss ich gestehen, dass ich sportlich eine absolute Null bin (na, was für eine Überraschung!).

Froh, unbemerkt an meinem Ziel angelangt zu sein, versteckte ich mich gleich hinter meinem Schreibtisch. Doch zwei der tratschsüchtigsten Kolleginnen watschelten direkt nach meiner Ankunft in mein Zimmer herein und drangsalierten mich mit Fragen.

„Karen, ist das wahr? Desiree erzählt unten, sie wäre die neue Verlobte von deinem … ähm, jetzt wohl Ex-Freund.“

„Hat er dich wirklich wegen Desiree verlassen? Das behauptet sie zumindest.“

Zu allem Übel kam in diesem Moment mein Chef, herein. Herr Becker verzog den Mund und grunzte abfällig, was mir zeigte, dass er das neueste Gerücht nun ebenfalls gehört hatte. Nach einem Blick auf mich, die kollabierend, mit roter Gesichtsfarbe, die einem Pavian-Hintern alle Ehre gemacht hätte, halb unter dem Schreibtisch lag, war ihm wohl sofort klar, dass er die Gerüchte, dass mein Verlobter mich sitzengelassen hatte, nicht in Frage zu stellen brauchte. Immerhin brachte das Auftauchen meines Bosses das firmeninterne Abhörkommando dazu, sich eiligst zu verdrücken, wofür ich ihm insgeheim dankbar war.

Beckers Stirn kräuselte sich unter seinen ergrauten Locken. „Wie sieht es aus, muss ich nun davon ausgehen, dass Sie Ihren Urlaub nicht antreten werden?“

Keinerlei Mitgefühl schwang in der tiefen Stimme meines Chefs mit. Mein Verdacht, dass er in Wirklichkeit ein Alien war, verhärtete sich angesichts seines Gebarens immer mehr.

„Nein, Herr Becker“, antwortete ich mit einem Räuspern. „Ich werde zwar nicht heiraten, aber meinen Urlaub werde ich trotzdem nehmen. Natürlich ohne den Heiratssonderurlaub.“ Mein Gesicht schmerzte bei dem Versuch eines falschen Grinsens.

Mit ruckartigen Bewegungen schob Herr Becker die Brille auf seiner Knollennase zu Recht. „Gut, gut. Dann wäre ja alles geklärt.“ Er nahm seinen Aktenkoffer und verschwand in seinem Büro.

Aufatmend ließ ich mich in meinen Bürostuhl zurückfallen und widmete mich meiner Arbeit.

Seltsamerweise hatten in dieser Woche viele meiner Arbeitskollegen etwas mit mir zu besprechen, was natürlich nur immer der Aufhänger war, um brühwarm etwas über die geplatzte Hochzeit in Erfahrung zu bringen.

Mit dem geschnieften Satz „Tut mir leid, ich kann noch nicht darüber reden“ konnte ich allen Gesprächen aus dem Weg gehen.

Um Desiree nicht anzutreffen, ging ich immer etwas früher, vor der eigentlichen Mittagspause, in die Kantine. Mein Plan funktionierte auch gut - bis Mittwoch.

Ich lief gerade am Lift vorbei, als sich plötzlich dessen Türen öffneten und ich Desiree gegenüber stand. Sie streckte in diesem Moment die linke Hand vor sich aus und zeigte ihren Freundinnen, die sie giggelnd umringten, den Verlobungsring. Vor Entzücken kieksten die Damen im Chor wild durcheinander:

„Oh, der ist ja wundervoll, Desi!“

„Wie schön!“

„So einen hätte ich auch gerne!“

„Du Glückspilz!“

Als sie mich entdeckten, verstummten sie jedoch abrupt, um gleich darauf leise weiter zu tuscheln und zu prusten:

„Das ist sie doch, oder?“

„Die ist ja ewig groß.“

„Schau dir mal die roten Haare an!“

Und Desi, die falsche Schnalle, grinste bösartig. So schnell wie meine Kondition es zuließ, hechtete ich zurück in mein Büro. Wütend über diese Schmach, die mir Peter und Desi zufügten, ersann ich einen teuflischen Racheakt, den ich noch vor meinem Urlaub lostreten wollte.

Am späten Mittwochnachmittag schlichen Harry (in einem beigen Trenchcoat mit Bogarthut) und ich (mit Kopftuch und großer Sonnenbrille) unbemerkt in Rossners Geschenkeladen.

Naja, wir blieben fast unbemerkt, bis Harry einen Stapel Töpfe umstieß, was zu einem Heidenspektakel führte. Ein kleiner Chihuahua, der einer Kundin gehörte, erschrak durch den Lärm dermaßen, dass er seinem Frauchen aus der Handtasche hüpfte und quer durch den Laden flitzte. Dabei zerbrach er vermutlich mehr Geschirr als der sprichwörtliche Elefant im Porzellanladen. Die Verkäuferinnen und die Kundin versuchten vergeblich, das wildgewordene Pelzknäul einzufangen, was uns Pseudo-Agenten die Gelegenheit gab, ohne großes Aufsehen ins Untergeschoss zu gelangen. Dort war er, der Heilige Gral: Peters und Desis Geschenktisch.

Als ich die Tischkarte sah, auf der ihre Namen nebeneinander verewigt waren, versetzte es mir einen Schlag in die Magengrube. Nicht nur mein Name war durch Desirees ausgetauscht worden, sondern auch das Trauungsdatum. Peter hatte es wohl besonders eilig Desi zu heiraten, denn der Termin lag vor unserem geplanten Hochzeitstermin.

Bloß diese Karte mit der vom Nebentisch zu vertauschen, erschien mir zu lapidar und zu auffällig. Deswegen tauschten wir einige der Geschenke aus, nicht viele. Nein, nur ein paar, auf die Desiree, meines Erachtens, am meisten Wert legen würde. Wir beschränkten uns auf drei Dinge. Aus einem Teppanyaki-Grill wurde ein Set geschmackloser Kerzenhalter, die Zwerge darstellten, deren pralle, nackte Hintern zu den Hosen heraushingen. Der edle Rotwein-Dekanter wurde zu einem kitschigen Toilettenbürstenhalter in Form eines hässlichen Babys. Und den eleganten Ice-Crusher ersetzte Harry durch einen (und ich weiß bis heute nicht, woher er den aufgetrieben hatte) riesigen, erschreckend echt aussehenden Dildo mit Vibration und Akkufunktion. Zwar könnte Desi daran womöglich noch ihre Freude haben, aber Peter sicherlich nicht. Zumindest vermutete ich dies. Aus diesem Grund gab ich Harry für den Austausch grünes Licht.

Mit einem zufriedenstellenden Gefühl der Genugtuung verließ ich schließlich den Laden.

Am Tag vor dem Abflug setzte ich einen weiteren Teil meines diabolischen Racheplans in die Tat um. Ich fand heraus (dank des firmeninternen Abhörkommandos), wo genau Peters und Desis Hochzeitsfeier stattfinden würde. Es war dann ein Kinderspiel unter Desirees Namen eine Torte samt Stripper zu bestellen, die pünktlich am Tag ihrer Hochzeit an besagte Adresse geliefert werden würde. Als Rechnungsadresse gab ich selbstverständlich Peters Anschrift an. Alles waren nur kleine Gemeinheiten, die ich einfädelte, aber sie halfen mir, die Schmach, eine sitzengelassenen Braut zu sein, leichter zu ertragen.

Abends verabschiedete ich mich von meinen Eltern. Angesichts der verheerenden Umstände (meine Mutter war noch immer zu Tode betrübt über den Verlust von Peter als Schwiegersohn) fiel der Besuch ziemlich wortkarg und kurz aus.

Endlich war es dann Freitagmittag und ich konnte nach der Arbeit zum Flughafen fahren. Beschwingt, alles hinter mir lassen zu können, bestieg ich meinen Flieger nach London. Sogar während des Fluges versuchte ich noch immer, Antworten auf die Fragen zu finden, die mir im Kopf umherzogen.

Warum war Peter erst drei Wochen vor unserer Hochzeit eingefallen, mir zu sagen, dass er mich nicht liebte? Weshalb hatte ich seine fehlende Liebe nicht bemerkt? Spielte es für eine Beziehung wirklich eine Rolle, aus welchen gesellschaftlichen Kreisen man kam? Peters komplettes Desinteresse an der Hochzeit hätte mir eine Warnung sein müssen. Wie hatte ich das bloß übersehen können? Jede noch so kleine Entscheidung, die unsere Feier betraf, hatte er mir überlassen, weil er angeblich geschäftlich ja so sehr eingebunden war. Auch dieser nicht-vorhandene Enthusiasmus zu der Angelegenheit, dass ich bei ihm einziehen würde (was übrigens die Idee meiner Mutter war), hätte mich wachrütteln müssen. Aber … ich hatte auf rosaroten Wattebäuschchen geschwebt: Endlich ein toller Kerl, der mich heiraten wollte.

Zum Glück hatte ich die Kündigung meiner Wohnung rückgängig machen können. Der Verlobungsring würde per Post an Peter zurückgehen. Und wenn ich in zwei Wochen wieder nach Hause kam, würde alles wieder so sein wie früher. Ich, Karen, das rothaarige Schlachtschiff, allein auf hoher See.

Kapitel 4

Marie wartete in der Ankunftshalle des Flughafengebäudes auf mich. Von Weitem sah ich sie (ich hatte meine Brille auf) immer wieder in der Menschenmenge, mal hier mal dort, auf und nieder hüpfen, wie ein lebender Flummi, der verzweifelt versuchte, sich einen Überblick zu verschaffen.

Als sie mich entdeckte, rannte sie mir mit einem freudigen Aufkreischen entgegen. Ich ließ mein Gepäck fallen und wir hopsten uns an den Händen haltend im Kreis umher, wie zwei durchgedrehte Hühner. Nach einer halben Minute wurde uns bewusst, dass die Umstehenden ihre Unterhaltung drosselten und uns mit seltsamen Blicken maßen, was uns auf der Stelle verstummen ließ. Verlegen schnappte ich meine Sachen und lief kichernd mit Marie zu ihrem Auto.

London hieß mich mit einem dunklen, von Wolken verhangenen Himmel willkommen, der ein baldiges Gewitter ankündigte.

„Ich freue mich so wahnsinnig, dass du bei mir bist.“ Marie strahlte mich voller Zuneigung an, so dass es mir auf Anhieb besser ging.

„Und ich bin froh, dass ich deinem Ratschlag gefolgt bin.“

„Es war das einzig Richtige, jetzt alles stehen und liegen zu lassen. Glaub mir!“

Maries herrliche braune Mandelaugen leuchteten. Ihre langen schwarzen Locken umspielten ihr hübsches Gesicht mit der kleinen Stupsnase. Fast zwei Köpfe kleiner als ich, aber mit einer süßen knackigen Figur, probierte sie, meine Koffer ins Auto zu hieven. „Ich bringe dich auf andere Gedanken, da bin ich mir ganz sicher“, keuchte sie währenddessen.

„Lass mich das machen, du Zwerg.“ Ich drängte sie zur Seite und hob die schweren Gepäckstücke in den Kofferraum.

Marie lachte, als sie zur Fahrertür ging und einstieg. „Ja, es hat auch seine Vorteile, so klein zu sein.“ Mit einem traurigen Schmunzeln stieg ich ins Auto, was Marie beobachtete. Sie startete das Auto und seufzte: “Schau nicht so deprimiert! So groß zu sein wie du, ist kein Nachteil.“

„Welche Vorteile hat es bitteschön, außer, dass ich kleinen, frechen Leuten wie dir auf den Kopf spucken kann?“, fragte ich mürrisch.

Maries exotische Augen wurden noch eine Spur schmaler. „Du weißt es ganz genau und ich werde es jetzt zum letzten Mal sagen, ich schwöre es: Deine superlangen Beine zum Beispiel. Um die ich dich beneide und vermutlich die ganze Welt, wenn du sie nicht immer verstecken würdest. Und wehe du jammerst mir wieder wegen deiner roten Haare oder Brille vor, dann kotzte ich. So ´ne Haarfarbe wie du hat sonst kein Mensch und spätestens seit Anastacia sind brillentragende Frauen sexy.“

Verhalten lächelte ich. Ich konnte es nicht leugnen, sie hatte mir schon oft Komplimente gemacht. Ja, möglicherweise stimmte das, was sie behauptete.

Oft nimmt man sich selbst viel kritischer wahr als andere es tun. Gerade wir Frauen sind besonders gut darin. Zu groß, zu klein, zu dick, zu dünn, zu lockig, zu glatt … Wir finden an uns immer etwas, was uns nicht passt. Ich liebe es, eine Frau zu sein!

„Na“, seufzte ich resignierend. „Ich halt mich eher für eine Kreuzung zwischen einem irischen Riesenkobold und einer Brillenschlange. Aber … wenn du ein Mann wärst, würde ich dich für diese Komplimente glattweg heiraten.“

„Ja, ich mich auch“, sagte Marie, was uns wieder zum Gackern brachte.

Gekonnt schleuste sie uns durch den dichten Londoner Nachmittagsverkehr.

„Wir fahren zu meinen Eltern. Denen musste ich versprechen, dich sofort zu ihnen zu bringen. Aber vorher muss ich dir noch etwas erzählen.“

„Das hört sich ja spannend an. Hast du einen neuen Freund?“

Entschieden schüttelte Marie den Kopf. „Nein, ich bin glücklich mit Carl.“ Strahlend fuhr sie fort. „Du lernst ihn bald kennen. Ich bin gespannt zu erfahren, was du von ihm denkst. Bei dem, was ich dir erzählen will, geht es um meinen Bruder.“

„Jeff?“, fragte ich verwundert.

Ich wusste, dass Marie einen vier Jahre älteren Bruder hatte, aber er war bisher selten ein Thema für uns gewesen. Sie schien von ihm immer leicht genervt zu sein, weshalb ich sie nie großartig über ihm ausgefragt hatte. Von ihrem Freund Carl allerdings hatte ich schon einiges gehört. Und wie die beiden sich kennengelernt haben, ist eine unglaubliche Geschichte, die ich euch gerne ein anderes Mal erzählen werde.

Außerhalb Londons, auf einem Parkplatz, hielt Marie den Wagen dann jedoch unerwarteterweise an. Sie stellte den Motor ab, aktivierte zu meiner Verwunderung die Zentralverriegelung und wandte sich mir mit ernster Miene zu.

„Äh, was genau wird das hier?“, fragte ich sie mit kritisch gerunzelter Stirn.

Marie rieb ihre Hände in einer nervösen Geste an ihren Oberschenkeln und holte tief Luft, als würde sie einen gefährlichen Sprung ins Ungewisse wagen. Ihr Verhalten verunsicherte mich immer mehr, was ich mir aber nicht anmerken lassen wollte. Noch nie hatte ich sie so zögernd, fast schon ängstlich, gesehen. Sie schwieg nach wie vor, schien nach den richtigen Worten zu suchen, weswegen ich erneut fragte: „Gibt es einen bestimmten Grund, warum du uns hier in deinem Auto einsperrst?“

Sie wirkte wie ein kleines verschrecktes Kätzchen. „Ja. Bevor ich dir jetzt alles erzähle, möchte ich, dass du mir versprichst, nicht sauer auf mich zu sein und nicht davonzulaufen. Versprich es mir, Karen! Bitte!“

Mit kugelrunden Augen und einem Bauch, der in den Fußraum des Autos rutschen wollte, versprach ich ihr das Gewünschte. Voller Panik fragte ich mich jedoch im Stillen, was so schlimm sein konnte, dass sie glaubte, mich einschließen zu müssen?

Leise begann Marie zu sprechen: „Kannst du dich noch an meinen letzten Exfreund vor Carl erinnern?“

„Steve? Der Typ der dich von vorne bis hinten belogen hat?“

„Genau, diese schleimige Kröte meine ich“, zischte sie wütend.

Verwirrt schüttelte ich den Kopf, weil ich nicht verstand, auf was sie hinaus wollte. „Ja, aber, was hat der mit deinem Bruder zu tun?“

„Das erkläre ich dir gleich. Also, ich hatte dir nie genau gesagt, wobei Steve mich angelogen hat.“

„Nur, dass er nicht der war, für den du ihn hieltest. Ich dachte, seine Lügereien wären so ... allgemein gewesen.“

„Ja, das waren sie auch, aber viel schlimmer war, dass seine Liebe zu mir auch gelogen war, aus einem ganz bestimmten Grund“, gestand Marie und wirkte eher zerknirscht als unglücklich darüber.

Mir schwante ein schreckliches Drama. „Steve war in deinen Bruder verknallt?“

Marie lachte auf und verdrehte die Augen. „Nein, keiner der beiden ist schwul. Steve hat diese Gefühle oder vielmehr diese ganze Beziehung nur vorgetäuscht, um an meinen Bruder ranzukommen. In Wirklichkeit war Steve kein Barkeeper, sondern ein Reporter.“

Ich verstand nur Bahnhof und guckte dementsprechend drein. „Äh, wie jetzt?“ Mein Gehirn war nicht in der Lage, mehr zu begreifen. „Dein Bruder Jeff wohnt in London und arbeitet … Warte, ich hab‘s gleich! … Bei einer Internet Firma. Irgend so etwas war es doch, oder?“

„Karen, seit ich denken kann, haben mich Mädchen belagert, mir Freundschaft vorgeheuchelt, nur damit sie letztendlich meinem Bruder näherkommen konnten.“

„Tut mir leid, ich …“ Verdattert schüttelte ich abermals den Kopf.

Marie unterbrach mich. „Du warst die erste, richtige Freundin, die mich mochte. Mich und nicht die Tatsache, dass ich die Schwester eines Teenie-Idols war.“

Ich strahlte, denn endlich war bei mir der Groschen gefallen. „Aha, okay! Jetzt, danke. Jetzt komm ich mit“, murmelte ich nickend. „Und, … wer ist dein berühmter Bruder?“ Nun war ich gespannt. Wahrscheinlich war Jeff ein Schauspieler von einer englischen Fernseh-Serie, die ich nicht mal kannte.

Doch Marie eierte noch immer um eine klare Antwort herum. „Ich konnte es dir nicht eher sagen, Karen. Ich musste warten, bis du so weit bist …“

Wieder hatte ich keinen Plan, was Marie meinte. Bis ich so weit war? Mit was denn?, schrillte es in meinem Kopf.

Aus Maries Augen blitzte der Schalk. „Weißt du, wie gruselig es ist, wenn deine beste Freundin ihre gesamten Wände mit den Bildern deines Bruders tapeziert? Sie dir dauernd Lieder von ihm vorspielt und ständig von ihm schwärmt?“

Mein Hirn schien zu explodieren, tausend Bilder stürmten auf mich ein und mein Magen zog sich abrupt zusammen. Gleichzeitig wurde mir ganz heiß vor Scham, wenn ich daran dachte, wie ich mich als Teenager benommen hatte. Ungläubig stotterte ich: „Dein Bruder Jeff … ist …“ Das konnte nicht wahr sein. Ich stammelte weiter: „… ist Thomas May?“

Thomas May, ehemaliger Leadsänger der heißesten Boygroup, die es je gab, und mein absoluter Teenie-Schwarm. Vergöttert, angebetet von mir und noch anderen Millionen von Mädchen. Seine Songs spielte ich überall und zu jeder Zeit. Natürlich konnte ich die Songtexte auswendig (vorwärts und wahrscheinlich sogar auch rückwärts). Poster, Autogrammkarten, Zeitungsausschnitte und jeder noch so kleine Schnipsel, wurden von mir gesammelt und wie ein Heiligtum aufbewahrt.

Im Nachhinein betrachtet fand ich mein Getue von damals ziemlich unterbelichtet. In jenem Moment, in Maries Auto, war es für mich allerdings nur ein schwacher Trost, dass dieses Verhalten für ein Mädchen im Teenie-Alter als völlig normal galt.

Kurz vor meinem ersten Freund fand diese Schwärmerei ein Ende. Thomas May trennte sich von seinem Partner und führte seitdem eine erfolgreiche Solokarriere. Natürlich hörte ich seine Musik noch immer, aber nicht mehr ausschließlich und lange nicht mehr mit dieser kindischen Verliebtheit.

„Bist du jetzt sauer auf mich?“

Marie riss mich aus meinen Gedanken. Darüber musste ich mir erst mal klar werden. Plötzlich war Marie nicht mehr die Marie, die ich kannte, sondern eine andere. Eine Marie mit einem Star als Bruder.

Du glaubst, einen Menschen in- und auswendig zu kennen. Doch dann kommt irgendwann eine Situation, in der du erkennst, dass man einen Menschen nie völlig durchschauen kann. Ist das nicht beunruhigend schön, dass das Leben immer wieder etwas Neues für uns bereithält?

Betrübt murrte ich: „Einerseits schon, weil du mir so wenig vertraut hast, aber andererseits … kann ich es verstehen. Warum hast du es mir nicht schon früher gesagt?“

„Karen, wenn ich dir das damals, im Alter von zwölf Jahren, gesagt hätte, wer mein Bruder ist, wärst du doch total ausgerastet. Du wärst genauso heuchlerisch wie die anderen Mädchen aus meiner Klasse geworden, die wussten, dass Thomas May mein Bruder war. Du kanntest seinen richtigen Namen nicht und hattest ihn noch nie gesehen. Später dachte ich, dass es für unsere Freundschaft keine Rolle mehr spielen würde.“

„Das tut es auch nicht“, lenkte ich ein. Nachdenklich fragte ich: „Wieso habe ich eigentlich nie den richtigen Namen von ihm irgendwo gelesen? Der hätte doch irgendwann durchsickern müssen?“

„Jeff hat immer versucht, seinen bürgerlichen Namen aus der Presse herauszuhalten. Für ein Interview war das immer eine seiner Bedingungen. Unsere Eltern hatten damals von Anfang darauf bestanden und das war auch gut so.“

Marie wirkte mit einem Mal bedrückt. „Weißt du, die Schwester von Thomas May zu sein ist echt scheiße für Beziehungen. Egal ob zu Männern oder Frauen. Ich liebe meinen Bruder, aber … Es gab Zeiten, da hätte ich ihm am liebsten den Hals umgedreht.“

„Und deshalb musstest du die Autotüren verschließen, um mir das zu sagen?“, stellte ich amüsiert fest.

„Hätte ich dir zuvor nicht von Steve und den anderen Mädchen erzählt, sondern es einfach hinausposaunt: Karen, übrigens, nach zwölf Jahren sag ich es dir jetzt, Thomas May ist mein Bruder. Wärst du doch stinksauer geworden, oder? Und ich weiß genau, was du am liebsten machst, wenn es dir zu viel wird: Du ergreifst die Flucht.“

Schmunzelnd kräuselte Marie ihre Stirn, während ich genervt gestand: „Kacke, ja. Ich wäre total sauer geworden und hätte dich hier alleine sitzen lassen.“ Ungläubig schüttelte ich den Kopf. „Wie hast du es bloß mit mir ausgehalten? Ich hab doch ständig von ihm gelabert.“

„Nein“, lachte Marie. „So übel war es nicht … Okay, ab und zu schon. Aber trotzdem war ich wahnsinnig gerne bei dir und wir hatten immer 'ne wahnsinnig tolle Zeit. Nur, wenn ich morgens bei dir im Zimmer aufgewacht bin, Jeff mich von jeder Wand angeglotzt hat, und ich seine Musik hören musste, das war schräg. Gott sei Dank hattest du die Schwärmerei aber irgendwann überwunden.“

„Oh Gott!“, kicherte ich leise. „Und wieso rückst du ausgerechnet jetzt damit heraus?“

„Wir gehen doch gleich zu meinen Eltern zum Tee. Sie haben Bilder von Jeff und mir herumstehen. Spätestens da hättest du ihn dann sowieso erkannt.“ Und ganz leise, dass ich es fast nicht gehört hätte, hängte sie ein „… Und weil er vielleicht da ist“ hintendran.

Ich erstarrte. „Wie, da ist? Du meinst jetzt, total verknautscht nach dem Flug, stinkend wie ein Biber, soll ich ihm gegenübertreten?“

„Entschuldige mal, bei meinen Eltern hat das eben noch keine Rolle gespielt, oder?“

Ich zog den Kopf ein. Marie hatte echt Talent, alles ins richtige Licht zu rücken. „Ja, sorry. Stimmt! Er ist einfach nur … dein Bruder.“

„Eben!“, grinste Marie. „Auf jeden Fall hab ich Recht behalten.“

„Mit was, dass ich vor Wut davongelaufen wäre?“

Marie startete mit einem breiten Grinsen den Wagen. „Nein, dass ich dich auf andere Gedanken bringe. Oder hast du in den letzten Minuten einen davon an Peter verschwendet?“

Gespielt erstaunt hob ich meine Augenbrauen an. „Was zur Hölle ist ein Peter?“

Lachend fuhren wir weiter und nahmen direkten Kurs auf einen Tee, der mir immer in Erinnerung bleiben würde.

286,32 ₽
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9783753192154
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