Читать книгу: «Gleich knallt's», страница 3

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Und so war es auch. Gabi wurde ins Archiv versetzt. Den ganzen Tag würde sie staubige Akten einsortieren oder suchen, Papiere zuordnen und die Fremdbefunde einscannen müssen. Eine Arbeit für Idioten, nicht für eine qualifizierte Schwester, das war schon mal klar. Und, da sie keine Schwesternstelle besetzte, würden sich auch ihre Bezüge verändern; sie käme in eine niedrigere Gehaltsstufe. Vielleicht würde sie dann zu einem späteren Zeitpunkt eine Chance bekommen und wieder auf einer Station eingesetzt werden.

Gabi war blass geworden und brachte gar kein Wort heraus. Nachdem sie das Büro verlassen hatte, fielen ihr eine Menge Sätze ein, die sie hätte sagen können und wollen, wenn auch die meisten nicht dem guten Ton entsprachen. Sätze, die mit: ‚Sie blöde …‘ anfingen, fielen ihr zum Beispiel haufenweise ein. Gabi schleppte sich die Treppe runter. Was sollte sie nur tun? Das war das Ende. Selbst wenn sie die Arbeit hinschmisse. Ein gutes Zeugnis konnte sie vergessen. Und das alles nur wegen dieser Kuh Reinermann.

Ihr Kopf konnte einfach nicht mehr denken. Er war ausgefüllt mit einer Masse, die in klebriger Schwere nur noch schwarz und schwärzer zuließ. Ihre Füße konnte sie kaum vom Boden heben, fühlen konnte sie nichts mehr, alles vermischte sich zu einem ungenießbaren Einheitsbrei. Gabi spürte die Tränen nicht, die ihre Wangen herunterliefen. Schmerz, Trauer, Wut, alles eins.

Auch diesen Abend verbrachte sie bei Doris an der Theke. Sie kippte ein Bier nach dem anderen und mehr als nur ein paar Klare, bis Doris ihr nur noch Cola gab und ein paar Kumpels aufforderte, sie nach Hause zu bringen. Später erinnerte sie sich an fast nichts, nur dass es zu viel Alkohol war. Das sagte ihr auch ihr Kopf, der sich anfühlte, als wären an ihrer Schädeldecke Stacheln nach innen gewachsen, die sich in jede ihrer Gehirnwindungen bohrten.

Morgens lag sie stöhnend im Bett und verfluchte jeden Sonnenstrahl, der sich in ihre Nähe wagte. Die Vorhänge hatte sie vergessen zu schließen, als sie sich in voller Montur auf die Matratze geworfen hatte. Ins Bad musste sie kriechen. Dort kauerte sie sich auf den Boden vor der einladenden Schüssel und gab von sich, was noch in ihrem Magen war. Es dauerte Stunden, bis sie in der Lage war, etwas bei sich zu behalten. Gott, und dabei hatte sie Mittagsschicht. Am Telefon nuschelte sie was von „Magen-Darm“ in den Hörer und sie würde sich melden, wenn es ihr besser ginge. Dann verzog sie sich wieder in ihre Koje.

Lotte

„Au, verdammt!“ Charlotte warf das Unterhemd ihres Mannes auf den Boden. Seit zwei Stunden saß sie im Gästezimmer, das bei Bedarf in ein Nähzimmer umfunktioniert wurde, und besserte Unterwäsche ihres Mannes aus. Obwohl sie immer nur erste Qualität für Reinhard kaufte, schlichen sich nach einiger Zeit winzige Löcher ein. Deshalb hatte sie den ganzen Stapel, den sie vor sich auf dem Tisch aufgetürmt hatte, sorgfältig durchgesehen. Sie konnte doch ihren Mann nicht mit löchrigen Unterhemden zur Kur schicken!

Nun hatte sie sich auch noch in den Finger gestochen und auf dem strahlend weißen Baumwollfeinripp Blutflecken hinterlassen.

Das musste sie noch mal kochen, am besten vorher kalt einweichen, sonst bekam sie die Flecke nicht heraus.

Lotte seufzte tief. Bis morgen musste sie alles fertig haben. Wie sollte sie das bloß schaffen?

Anschlussheilbehandlung! Direkt nach dem Krankenhausaufenthalt zur Kur! Wer dachte sich so etwas nur aus? Die armen Ehefrauen der Patienten konnten zusehen, wie sie das alles schafften! Aber das interessierte ja die kompetenten Vertreter des Gesundheitswesens nicht. Die hatten ja Wichtigeres zu tun!

Ob sie ihm auch noch zwei wärmere Pullover einpacken sollte? Es war zwar schon Mai, trotzdem konnte es noch mal richtig kalt werden.

Besser ist besser, dachte sie und eilte ins Schlafzimmer, um die Pullover aus dem Kleiderschrank zu holen.

Sie packte immer für ihren Mann den Koffer, auch wenn sie in Urlaub fuhren.

Dann machte sie es gern, die Vorfreude auf den gemeinsamen Urlaub machte die Arbeit leicht.

Aber nun fuhr er ja allein weg. Mit dem Zug nach Bad Kissingen. Ohne sie!

„Ich bekomme meine Entlassungspapiere morgen schon ganz früh.“

Reinhard Reinermann saß im Jogginganzug an dem kleinen Tisch unter dem Fenster und nahm sein Abendessen ein. In den letzten Tagen hatte er einen guten Appetit entwickelt, auch seine Gesichtsfarbe war nicht mehr so fahl und die Wangen wirkten wieder voller.

„Um zehn Uhr geht der Zug ja schon. Du kommst also mit dem Koffer hierher, lädst mich ins Auto ein und fährst direkt mit mir zum Bahnhof.“

Reinhard lächelte seine Frau etwas schief an.

„Ich bin dir ja so dankbar, dass du das alles für mich machst, mein Engelchen.“

Lotte schluckte eine bissige Bemerkung hinunter und strich ihrem Mann stattdessen über den Kopf.

„Ich bin froh, dass es dir wieder so gut geht. Und die Kur wird dir sicherlich auch bekommen. Die Ärzte werden schon wissen, was das Richtige für dich ist.“

Bei den letzten Worten sah Lotte angestrengt aus dem Fenster. Sie wusste, dass Reinhard es spürte, wenn sie etwas anderes sagte, als sie meinte. Aber er erwiderte nichts und daraus schloss Lotte, dass ihr Mann im Augenblick nicht so gut im Gedankenlesen war.

Nein, sie dachte in Wahrheit ganz anders über diesen Kuraufenthalt. Reinhard hatte sich gut erholt von der Operation und den nachfolgenden Komplikationen. Wenn sie ihn mit nach Hause nehmen dürfte, würde die Rekonvaleszenz sicherlich optimal verlaufen. Wo könnte sich Reinhard besser erholen als in seiner gewohnten Umgebung? Gehegt und gepflegt von seiner Frau, aufgemuntert von Besuchen seiner Freunde und seiner Kinder. Diese Kur war doch eine Schnapsidee. Sie diente doch nur dem Zweck, die leer stehenden Kurkliniken mit Privatpatienten zu füllen.

Lotte hielt es für besser, diese Gedanken für sich zu behalten.

Sie würde ihn morgen früh zum Bahnhof bringen, so, wie man es von einer guten Ehefrau erwartete.

Gestern hatte sie sich beiläufig nach Schwester Gabi erkundigt. Sie hatte sie seit Tagen nicht mehr gesehen. Aber der Verdacht, dass Gabi, die ja offensichtlich ein Auge auf Reinhard geworfen hatte, vielleicht auch in Bad Kissingen eine Kur antrat, bestätigte sich nicht.

„Schwester Gabi ist nicht mehr hier auf der Station tätig. Sie arbeitet jetzt in der Registratur“, hatte die Oberschwester berichtet und Lotte triumphierend angelächelt. Seltsamerweise empfand Lotte keine Schadenfreude bei dieser Mitteilung, im Gegenteil, irgendwie tat Schwester Gabi ihr plötzlich leid.

Nach Reinhards Zusammenbruch tranken sie Kaffee im Schwesternzimmer und dabei hatte sie eine ganz andere Gabi kennengelernt. Eine, die aufmerksam zuhören konnte, die aus ihrem Geheule und Gestammel herausgehört hatte, wie verzweifelt sie war.

Doch bevor sie das Gespräch vertiefen konnten, war die Oberschwester aufgetaucht und Gabi musste eine erneute Standpauke über sich ergehen lassen.

Danach hatten sie sich nicht mehr gesehen. Die Versetzung in die Registratur war mit Sicherheit eine Art Bestrafung, die Arme …, dachte Lotte.

Andererseits, warum war sie auch so zickig zu ihr gewesen?

Nein, sie würde nicht noch einmal mit der Oberschwester sprechen und aufklären, dass Gabi eigentlich nicht schuld war an dem Zusammenstoß im Krankenzimmer.

Bei dem Gedanken an Gunilla von Wolfersdorff spürte Lotte ein Ziehen im Magen. Der erste Anschein war wohl falsch gewesen, diese Dame war alles andere als sympathisch!

„Von Schwester Gabi kann ich mich gar nicht mehr verabschieden“, unterbrach Reinhard Reinermann plötzlich die Stille und Lotte spürte wieder einmal, dass ihre Gedanken ihren Mann erreichen konnten.

„Ich habe gehört, sie arbeitet jetzt in der Registratur. Warum sie diesen Wechsel wohl gemacht hat? Wahrscheinlich ist da weniger Stress. Obwohl ich mir nicht vorstellen kann, dass diese lebhafte Frau sich in einem Ablagekeller wohlfühlt.“

Reinhard sah seine Frau erstaunt an.

„Und ich dachte, du magst sie nicht.“

Reinhard Reinermanns Abreise nach Bad Kissingen klappte wie am Schnürchen. Pünktlich wurde er aus dem Krankenhaus entlassen, pünktlich erschien seine Frau, um ihn abzuholen, pünktlich lief der Zug im Dortmunder Hauptbahnhof ein.

Als Charlotte ihrem Mann am Bahnsteig mit einem Taschentuch hinterher winkte, musste sie schlucken. „Nein, fang jetzt bloß nicht an zu flennen, blöde Kuh“, schimpfte sie sich selbst aus.

„Er ist weg und jetzt denkst du mal ein bisschen an dich!“

Mit energischen Schritten verließ Lotte das Bahnhofsgebäude.

Sie lenkte das Auto durch den lebhaften Vormittagsverkehr und sah plötzlich vor sich das Hinweisschild mit der Grafik, die die Westfalenhalle symbolisierte.

Westfalenpark, schoss es Lotte durch den Kopf. Warum nicht? Ein Spaziergang im Frühling durch den Park war bestimmt herrlich. Das Haus und der Garten konnten warten. Sie wollte ihre neue und so ganz und gar ungewohnte Freiheit genießen.

Ohne weiter nachzudenken, reihte sich Lotte in die Abbiegespur ein und fuhr Richtung Westfalenpark.

Sie parkte unten an der Buschmühle. Dort war jetzt am Vormittag der Parkplatz menschenleer und das war Lotte nur recht. Schließlich wollte sie nicht unbedingt gesehen werden, denn wie wollte sie erklären, dass sie mitten in der Woche morgens um 11.00 Uhr im Park spazieren ging?

Lotte holte tief Luft. Warum war es ihr immer so wichtig, was andere dachten und sagten, warum wollte sie immer so perfekt sein und warum drehte sich in ihrem Leben alles nur um Reinhard, das Haus und die Kinder? Hatte sie kein Anrecht auf ein eigenes Leben, auf eigene Bedürfnisse, eigene Gefühle?

Die Sonne schien warm, als Lotte den Weg vorbei am Buschmühlenteich nahm und dann rechts zum Japanhaus abbog. Sie war lange nicht mehr hier gewesen. Schon von Weitem sah sie die japanischen Kirschbäume leuchten. Die rosa Blütenpracht war überwältigend. Lotte stellte sich direkt unter einen Baum, schaute nach oben und sah nichts anderes als üppige Blüten. Sie begann langsam, sich im Kreis zu drehen, und die Blüten drehten sich mit, verschmolzen wie in einem Kaleidoskop miteinander, eine rosa Spirale, die sich immer und immer wieder änderte und doch ihre Schönheit beibehielt.

Lotte spürte, dass ihr schwindelig wurde und sie schloss die Augen. So blieb sie stehen, atmete den süßen Duft der Blüten ein und sah deren Pracht auch mit geschlossenen Augen.

Als der Schwindel nachließ, wagte Lotte, wieder hochzuschauen. Und dort, unter dem vergänglichen Traum einer japanischen Kirschblüte kam Lotte zu einer überraschenden Erkenntnis: „Du vergeudest deine beste Zeit!“

Lotte stürzte ans Telefon, als es klingelte.

„Reinhard, endlich, ich habe mir schon Sorgen gemacht. Warum rufst du erst jetzt an?“

Reinhard Reinermann überhörte den leisen Vorwurf seiner Frau und berichtete von der tollen Kurklinik, seinem schönen Zimmer, dem schmackhaften, aber dennoch gesunden Essen und den medizinisch so wichtigen Therapien. Lotte runzelte die Stirn, soviel Euphorie war sie von Reinhard eigentlich nicht gewohnt. Trotzdem hörte sie sich geduldig die Schilderungen ihres Mannes an und freute sich für ihn.

„Und sonst, wie geht es dir denn gesundheitlich, Reinhard?“

„Oh, ich bin sehr zufrieden, Lotte. Ich glaube, ich bin hier in den besten Händen. Auch mit den anderen Kurenden hab ich großes Glück. Man lernt hier interessante Leute kennen. Aber am wichtigsten ist natürlich die medizinische Kompetenz hier. Du wirst sehen, wenn ich wieder nach Hause komme, bin ich ein ganz neuer Mensch.“

Insgeheim wartete Lotte darauf, dass ihr Mann sich auch nach ihrem Befinden erkundigte, aber er schien daran gar nicht zu denken. Also berichtete sie nicht von den quälenden Rückenschmerzen, die sie seit ein paar Tagen plagten und die einfach nicht weggehen wollten. Jeden Abend saß sie mit dem Wärmekissen in ihrem Fernsehsessel, doch der Schmerz wurde immer schlimmer.

Aber warum sollte sie Reinhard damit belasten, jetzt, wo es ihm endlich etwas besser ging?

Also erkundigte sie sich noch nach dem Wetter und beendete dann das Gespräch, in dem sie ihrem Mann versicherte, dass sie ihn liebe.

„Ich dich auch“, antwortete er, aber sie fand, dass sich der unvollständige Satz wie eine leere Floskel anhörte.

Die Sitzhaltung auf dem kleinen Hocker mit dem Telefonhörer in der Hand hatte Lottes Rückenschmerzen aufflammen lassen. Stöhnend erhob sie sich jetzt, ging ins Bad, um sich die schmerzende Lendenwirbelsäule mit einer lindernden Salbe einzureiben.

„Du musst zum Arzt“, hielt Lotte ein Selbstgespräch. „Das wird sonst nicht besser“, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu und erschrak über die steile Stirnfalte, die sich in den vergangenen Tagen auf ihrem Gesicht gebildet hatte.

Die orthopädische Arztpraxis von Dr. Henrichs war hoffnungslos überfüllt. Charlotte stand an eine Wand gelehnt, einen Sitzplatz hatte sie nicht mehr ergattert. Ihr Rücken schmerzte mittlerweile unerträglich und sie verspürte eine zunehmende Übelkeit in sich aufsteigen.

„Die Luft ist hier drin so schlecht“, sagte Lotte zu der Arzthelferin am Empfang, doch die zuckte nur mit den Schultern. „Wenn wir ein Fenster öffnen, beschweren sich andere Patienten sofort, dass es zieht“, antwortete eine andere Kollegin, ohne von ihrem PC aufzublicken.

Lotte presste die Hände in ihren Rücken.

Eine beleibte Dame in einem knallroten Kostüm berichtete von ihrer Knieoperation.

„Eigentlich setzt man in meinem Alter noch kein künstliches Gelenk ein, aber bei mir ging es einfach nicht anders“, erfuhr der Herr zu ihrer Rechten, dem man an seinem Gesicht ablesen konnte, dass ihn diese Information eigentlich nicht so recht interessierte. „Na, so jung sind Sie ja auch nicht mehr“, antwortete er jetzt und die Rotgekleidete drehte sich beleidigt um.

„Ich habe zwei neue Kniegelenke und jetzt soll noch die linke Hüfte gemacht werden“, meldete sich eine hutzlige Oma von der gegenüberliegenden Stuhlreihe.

„Dass die Krankenkasse so was noch finanziert“, wunderte sich ein Herr mittleren Alters im dunkelblauen Anzug. „Na hören Sie mal, ich habe doch ein Anrecht auf ein schmerzfreies Leben, auch wenn das nur noch ein paar Jahre sind“, regte die Oma sich auf und mehrere grauhaarige Köpfe ringsum nickten dazu.

„Lohnt doch nicht mehr, Geldverschwendung“, murmelte der Herr in Blau.

Zum Glück hatten die betagten Patienten wohl kein so gutes Gehör mehr.

Trotz ihrer Schmerzen musste Lotte lächeln.

Die Hutzeloma wurde jetzt aufgerufen und humpelte an einem Stock Richtung Behandlungszimmer. Lotte wollte sich auf den freigewordenen Stuhl setzen, aber eine junge Frau, die Kaugummi kauend neben ihr gestanden hatte, war schneller.

Lotte seufzte. Wenn sie noch lange warten musste, würde sie wahrscheinlich …

Lotte gelang es nicht mehr, den Gedanken zu beenden. Das Wartezimmer mit den vielen verschiedenen Gesichtern wurde dämmerig, irgendjemand musste wohl das Licht ausgemacht haben, jetzt war es plötzlich stockdunkel und wunderbar ruhig.

Als Lotte wieder wach wurde, lag sie auf einer Liege in einem steril wirkenden Zimmer mit blanken Stahlmöbeln. Ein weiß gekleideter Herr beugte sich über sie und fragte lächelnd: „Na, kehren die Lebensgeister langsam zurück?“

Lotte nickte, obwohl sie nicht so genau wusste, was der Mann von ihr wollte. Lebensgeister? Zurückkehren? Wo waren die denn?

„Ich bin Dr. Henrichs“, stellte der Mann im weißen Kittel sich jetzt vor. „Sie sind umgekippt. Wahrscheinlich die schlechte Luft in unserem Wartezimmer, aber manche Patienten regen sich sofort auf, wenn wir mal ein Fenster …“

Lotte nickte. Das hatte sie ja schon erfahren.

„Haben Sie Schmerzen?“, erkundigte sich Dr. Henrichs nun und Lotte stellte überrascht fest, dass das nicht der Fall war. Sie schüttelte den Kopf.

„Hatten Sie vor der Ohnmacht Schmerzen?“

Lotte nickte und begann nun etwas stockend, Dr. Henrichs von ihren Beschwerden zu berichten.

Dr. Henrichs war ein gründlicher Arzt. Das Röntgenbild von Charlottes Lendenwirbelsäule hatte ihm eine ausgeprägte Bandscheiben-Degeneration gezeigt.

Deshalb ordnete er eine CT-Untersuchung in den städtischen Kliniken an und hielt nun den Befund in der Hand.

An Lottes angstvoll aufgerissenen Augen erkannte Dr. Henrichs, dass sie den Bericht, der der Patientin in einem verschlossenen Umschlag für den behandelnden Arzt mitgegeben worden war, ebenfalls gelesen hatte. Immer das Gleiche!

Formulierungen wie „Spondylarthrose L4/5 und L3/4, sowie Höhenminderung des Bandscheibenraumes L2/3 und L5/S1 mit rezidivierenden Lumbalgien“ jagten dem Laien Angst ein.

Dr. Henrichs lächelte, tätschelte Lotte die linke Hand und sagte: „Keine Sorgen, Frau Reinermann, wir kriegen das schon wieder hin.“

„Sie haben“, fuhr er dann fort, „zur Akutbehandlung ja bereits zwei medikamentöse Infiltrationen bekommen.“ Lotte brauchte eine Weile, bis sie begriff, dass damit die beiden Spritzen gemeint waren, die Dr. Henrichs ihr gegeben hatte. „Aber nun müssen wir an eine dauerhafte Lösung ihres Problems denken.“

Lotte merkte, wie ihre Hände feucht wurden. Gleich würde er ihr bestimmt eine Operation vorschlagen, man würde ihr den Rücken aufschneiden, die Wirbelsäule freilegen, die Bandscheiben … Lottes Stimme klang rau, als sie zaghaft fragte: „An, an was haben Sie denn gedacht, Dr. Henrichs?“

„Ich würde Ihnen dringend empfehlen, einen Wirbelsäulen-Gymnastikkurs zu besuchen.“

„Einen was?“ Lotte glaubte, sich verhört zu haben.

„Begleitend werde ich Ihnen noch eine Akupunkturbehandlung, ein paar Massagen und Fango-Packungen verordnen. Aber das Wichtigste zum Aufbau der Rückenmuskulatur ist der Gymnastikkurs.“

Lotte nickte. „Mehr kann man nicht machen?“, flüsterte sie leise.

„Oh, damit tun Sie schon eine ganze Menge“, erklärte Dr. Henrichs.

„Bei entsprechendem Training kann ein flexibler und starker Körper erzielt werden. Die Muskeln werden aufgebaut und geben der geschädigten Wirbelsäule Halt. Selbstverständlich werde ich Ihnen ein Attest über die medizinische Notwendigkeit ausstellen, damit Ihre private Krankenkasse die Kosten des Kurses übernimmt. Das Einzige, was Sie tun müssen ist, sich einen schicken Gymnastikanzug zu besorgen.“

Dr. Henrichs lachte schelmisch.

„Na …“, stotterte Lotte und versuchte dabei, ihre Gedanken etwas zu sortieren. Offensichtlich war sie schwer krank, sie hatte es doch selbst in dem Befundbericht gelesen. Und nun sollte alles durch einen Gymnastikkurs, ein paar Nadeln und etwas Massage geheilt werden? Das konnte doch nur ein Witz sein! Schließlich litt sie unter schier unerträglichen Schmerzen!

Gerade öffnete Lotte den Mund, um Dr. Henrichs die Unerhörtheit seines Vorschlages vorzuhalten, als der Orthopäde ihr ein Rezeptformular mit ein paar Kritzeleien hinhielt und sich erhob, um das Ende der Behandlungseinheit zu signalisieren.

„Am besten erkundigen Sie sich beim Gesundheitszentrum Vitafit in der Chemnitzer Straße, wann der nächste Wirbelsäulen-Gymnastikkurs beginnt. Vielleicht können Sie auch in einen bereits laufenden Kurs noch hineinkommen. Termine für die Akupunktur und die Massagen bekommen Sie vorn an der Rezeption. Ich wünsche Ihnen gute Besserung, Frau Reinermann.“

Lotte spürte Tränen in sich aufsteigen, als sie hilflos mit dem Rezept in der Hand wieder vor der Anmeldung stand. Die Arzthelferin nahm ihr die Verordnung ab, warf einen kurzen Blick darauf und begann dann mit ihren Anweisungen:

„Das Attest reichen Sie zusammen mit der Bestätigung über die Entrichtung der Kursgebühr bei ihrer Krankenkasse ein. Dann bekommen Sie das erstattet. Hat er gesagt, dass Sie zum Vitafit gehen sollen? Wenn Sie wollen, rufe ich da mal an. Der letzte Kurs hat erst vergangene Woche angefangen, vielleicht können Sie da noch rein.“ Lotte nickte matt. Die Arzthelferin flötete zwischenzeitlich schon ins Telefon und meldete Lotte beim Kurs an. Na prima, wo sie doch im Sport immer nur eine Vier gehabt hatte!

Lottes Schritte waren schleppend, als sie die Arztpraxis verließ. Nein, auf einen Gymnastikkurs hatte sie eigentlich gar keine Lust.

„Trotzdem, du musst etwas für dich tun. Reinhard macht doch auch diese Hopserei in der Kur mit. Und der ist ganz begeistert davon.“

Erschrocken sah Lotte sich um, weil sie sich nicht sicher war, ob sie ihr Selbstgespräch laut geführt hatte.

„Ich zieh das durch“, machte Lotte eine innere Kehrtwende. „Jetzt gehe ich erst mal ins Sporthaus und kauf mir den teuersten Gymnastikanzug, den die haben. Am besten in einer Neonfarbe!“

Die letzten Gedanken hatte Lotte wirklich laut vor sich hingesprochen und es war ihr völlig egal, dass einige Leute sich erstaunt nach ihr umsahen.

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9783942672238
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