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Читать книгу: «Im Hause des Commerzienrates», страница 11

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Bald nach dem Weggang der Präsidentin und ihres Freundes kamen Lakaien und Hausmädchen schwer beladen aus der Villa und schoben und trugen mit geräuschloser Behendigkeit Polstermöbel und allerhand Geräthschaften in das Krankenzimmer; die überaus einfache, aber dennoch anheimelnde Fremdenstube wurde plötzlich so buntscheckig wie ein Auctionslocal. Der gestickte Ofenschirm vor den halb erblindeten, schwarzen Kacheln, das prachtvolle Waschgeräth, die apfelgrünen, seidenglänzenden Lehnstühle – wie lächerlich unpassend, gleichsam wie von einem ungünstigen Wind verschlagen, stand das Alles inmitten der vier verblaßten, getünchten Wände!

Ohne eine Miene zu verziehen, ganz in ihrer sanften, gelassenen Weise, räumte die Tante Diakonus ihr verstoßenes Eigenthum fort. Ihre Augen begegneten nicht ein einziges Mal denen des Doctors, der sich mit verschränkten Armen in eines der Fenster zurückgezogen hatte und schweigend den Veränderungen zusah; vielleicht fürchtete die alte Frau, er könne in ihrem Blick eine leise Spur des Gekränktseins finden, und das wollte sie um keinen Preis.

Mit der einziehenden gewohnten Eleganz kam sichtlich neue Spannkraft in Flora’s bisherige apathische Haltung; sie dirigirte das Arrangement, legte eigenhändig die grünseidene Decke auf Henriettens Bett und versprühte eine ganze Flasche Eau de Cologne auf den Dielen. Dann ließ sie einen schwellenden Teppich in die leere Fensternische breiten und stellte einen Fauteuil darauf, und als die Dienstleute sich entfernt hatten, warf sie sich in den Lehnstuhl und kreuzte die schmalen Füße auf einem gestickten Fußkissen. Sah es doch aus, als habe sie sich aus der Wüste auf eine kleine Oase gerettet – so eng schmiegte sich ihre Gestalt zusammen, und so fremd und kalt musternd blickte sie über Alles hin, was sich außerhalb ihrer teppichbelegten Ecke befand. Dort in dem „lächerlich kleinen“ Stückchen Spiegelglas, das ein brauner Holzrahmen umschloß, hatte sie vorhin bemerkt, daß ihr dünnes Scheitelhaar abscheulich derangirt sei. Sie hatte einen kleinen weißen Spitzenshawl vom Halse genommen und ihn graziös über die losen Löckchen gesteckt; dieses weiße klare Gewebe legte sich wie ein Heiligenschein um den reizenden Kopf. Und die Tante Diakonus mußte immer wieder hinsehen; es war und blieb doch eine wunderschöne Braut. Nun erst begriff sie ganz, daß der Doctor dieses sylphenhafte Wesen weder im tollen Treiben der Studentenzeit, noch auf den Schlachtfeldern hatte vergessen können, und ihr jetziges seltsames Benehmen, ihre finstere Schweigsamkeit, so verletzend sie auch das warme Gefühl berührte, war ja doch nur die augenblickliche natürliche Folge eben stattgehabter heftiger Gemüthserschütterungen.

Inzwischen ging der Nachmittag zu Ende. Im Westen flammten die Abendgluthen auf; die niedersinkenden kleinblätterigen Rankenfransen der Blumenampeln in den Fensternischen erschienen goldbeflittert, und die Purpurrosen auf den Kattungardinen wuchsen im Sonnenfeuer zu Riesenpäonien, die das Krankenzimmer mit feurigem Glanze erfüllten.

Henriette lag still, mit geschlossenen Augen in den Kissen. Sie hatte fast angstvoll gegen das Niederlassen der Rouleaux protestirt, „weil sie nicht an dumpfer Dämmerung ersticken wollte“; ebenso war es ihr Wunsch, daß man zwanglos aus- und eingehen und sich mit lauter Stimme unterhalten möge; sie könne das Geflüster und das „Auf-den-Zehen-gehen“ nicht ausstehen, ja, sie fürchte sich davor und meine, man sehe eine Todtkranke oder gar Sterbende in ihr. Ihr Wunsch wurde erfüllt; man bemühte sich, bei möglichster Geräuschlosigkeit vollkommen unbefangen zu erscheinen.

Während der Doctor für einige Minuten das Zimmer verließ, um ein Buch zu holen, kam die Tante Diakonus herein mit einem Präsentirteller in den Händen, und sofort verbreitete sich ein köstliches Thee-Aroma, das selbst den starken, scharfen Duft der Eau de Cologne niederkämpfte. Auf dem Brett lag eine glänzend weiße Damastserviette vom feinsten Gewebe; die Tassen waren von altem Porcellan und die silbernen Löffel altväterisch massiv und dick, lauter Erbstücke einer respectablen Familie. Und das rothe Sonnenlicht verklärte die alternde Frauengestalt, wie sie so, in wahrhaft holländischer Sauberkeit leuchtend, mit dem edlen, friedfertigen Gesicht unter dem aschblonden, ungelichteten Scheitel vor die Braut in der Fensterecke trat und ihr freundlich die Erfrischung bot.

„Selbstgebackene Waffeln?“ fuhr Flora aus ihrer halbliegenden Stellung empor. „Ach ja, der Schmorduft kam vorhin von der Küche her, bis zu mir in diese Ecke. Wie appetitlich!“ Sie schlug die Hände zusammen wie in naiver Bewunderung. „Mein Gott, wer, wie ich, so völlig talentlos für häusliches Wirken ist, der begreift absolut nicht, wie solch ein kleines Kunstwerk zu Stande kommen kann. Wie viel Geduld, aber auch wie viel Zeit mag dazu gehören!“

[173] „Ich geize mit meiner Zeit und habe mir deshalb ein wenig Flinkheit angewöhnt,“ sagte die Frau Diakonus lächelnd. „So werde ich ziemlich rasch mit meinen Hauspflichten fertig. Ich habe über sehr viel Mußestunden zu verfügen und bin so glücklich – was viele andere stark beschäftigte Hausfrauen nicht können, nicht dürfen – an meiner geistigen Fortbildung nach Kräften arbeiten zu können. Im vergangenen Winter z. B. habe ich mir die Aufgabe gestellt, die Bibel vom ersten bis zum letzten Worte, in der Reihenfolge, durchzulesen –“

„Um des geistigen Trostes willen?“ fragte Flora.

„Deshalb nicht – ich bin bibelfest genug, um die Stellen auswendig zu wissen, an die ich mich im Leben zu halten pflege, aber der heiße politisch-religiöse Streit, der jetzt die Welt bewegt, geht auch die Frau an, und wenn man auch nicht zu den Waffen greifen kann, so gilt es doch, sich aufrichtig bekennend einer der Phalangen einzureihen, die hinter den Vorkämpfern stehen, und das kann man nur, wenn man einmal von Allem, was Schule und Predigt überliefern, absieht und möglichst vorurtheilslos an die heilige Schrift herantritt.“

Flora sah ihr mit grenzenlosem Erstaunen, weit offenen Auges in das Gesicht. Die ganze Bibel durchlesen, um der Ueberzeugung willen! Wie entsetzlich trocken und uninteressant! Dazu fehlte ihr, der Poesiereichen, die Geduld. Daß sie sich selbst mit Vorliebe der Welt gegenüber als den ernst grübelnden, forschenden Geist aufspielte, vergaß sie vollständig in diesem Momente, wo sie sich über die unvermuthete geistige Beschäftigung „der strümpfestopfenden, unermüdlich backenden und scheuernden Frau“ gründlich ärgerte. Wie kam denn die dazu, die Pfarrerswittwe, sich auch um die Welthändel zu kümmern? Ah, nun wußte man auch, wer den Doctor verdarb, wer ihm das lächerliche Ideal aufstellte, nach welchem die Frau Köchin und „geistige Gehülfin“ zugleich sein konnte.

Käthe war längst hinzugetreten und hatte der Tante das Präsentirbrett abgenommen. Mit klugem Blicke verfolgte sie die steigende Bewegung in den schönen Zügen der Schwester – sie wußte, daß sie sich zu irgend einer rücksichtslosen Aeußerung hinreißen lassen würde; deshalb bot sie ihr schleunigst den Thee an.

Flora pflückte ungeduldig mit ihren zarten Fingerspitzen an dem Taschentuche auf ihrem Schooße und dankte sichtlich verstimmt, „weil sie noch sehr alterirt sei, um etwas über die Lippen bringen zu können“, wenige Minuten darauf aber sah das junge Mädchen, wie sie eine Bonbonnière aus der Tasche zog und sich mit Eisbonbons erquickte; sie vermied es geflissentlich, in diesem Hause etwas anzunehmen. Sie wollte absolut keine Gemeinschaft mehr mit ihm. Käthe erkannte sehr wohl, daß die treulose Braut mit dem Eintritte in das alte Haus, in die einfach bürgerliche Fremdenstube den letzten Rest von Selbstbeherrschung und erkünstelter Ruhe verloren hatte; sie las in den großen, graublauen, vor verzehrender Ungeduld funkelnden Augen, daß sie dem Momente nahe gekommen sei, wo sie „endlich das Joch abschütteln wolle, abschütteln um jeden Preis“. Durch die Seele der jungen Schwester zog es wie ein inbrünstiges, angstvolles Gebet, daß nur hier, im eigenen Heim des unglücklichen Mannes, die furchtbare Entscheidung nicht erfolgen möge. Zum Glück bemerkte die alte Frau Flora’s häßliches Gebahren nicht; sie trug, ahnungslos, daß über ihrem hellen friedlichen Stillleben eine schwarze, unglückbringende Wolke hing, das Geschirr wieder hinaus, nachdem Käthe eine Tasse Thee dankbar angenommen hatte.

Das glühende Abendlicht verblaßte allmählich. Alle Purpurfarbe zog sich aus dem Krankenzimmer zurück und blieb zuletzt nur noch auf der schönen Dame im Fenster liegen – wie ein von dämonischem Feuer umzüngelter böser Engel saß Flora dort.

Die Kranke wurde unruhiger. Sie zupfte und zerrte an der grünseidenen Bettdecke und war sichtlich bemüht, sie fortzuwerfen. „Im Grün ist Arsenik – fort damit!“ flüsterte sie mit der ganzen unheimlichen Hast und Angst des Fiebers vor sich hin.

Käthe vertauschte sogleich die seidene Decke mit der kühlen, weißleinenen des Gastbettes und glättete sie über dem armen hageren Körper, den sie heute im Walde „den Zwerg“ genannt hatten. In den wunderschönen Augen der Kranken lag in diesem Augenblicke keine Spur von Verständniß. Sie rollten wild und wirr unter den halb zugesunkenen Lidern.

„Das thut gut,“ sagte sie, sich unter der Decke streckend. „Und nun lasset sie nicht wieder herein, wenn sie mich mit der vergifteten, heißen Seide ersticken will! Die Großmama ist falsch, wie Alle, die sich im Salon anlügen – sie und der alte Giftmischer, die große Autorität. Ich werde nach ihm schlagen, wenn er seine abscheulichen Finger auf meine Brust drückt,“ zischte sie erbittert durch die Zähne. Sie setzte sich plötzlich auf und ergriff Käthe’s Hand. „Nimm Dich vor ihm in Acht, Bruck!“ warnte sie mit aufgehobenem Finger, „und vor der[174] Großmama auch! Und sie – Du weißt schon, wen ich meine; sie raucht Cigarren und fährt wie toll mit den neuen wilden Pferden, weil Du es verboten hast – sie ist die Falscheste von Allen.“

„Sehr verbunden!“ flüsterte Flora halblaut mit einem bösen Lächeln und schmiegte sich noch enger in den Polsterlehnen zusammen.

Eine unbeschreibliche Bangigkeit überschlich Käthe, deren Hand mit so innigem Drucke festgehalten wurde. Sie vermied es, den Doctor anzusehen, für den die Fiebernde sie hielt, und welcher, von dem chinesischen Schirme halb verdeckt, am Kopfende des Bettes stand.

„Weißt Du noch, wie es früher war, Doctor?“ fuhr Henriette fort. „Weißt Du noch, wie sie die Lakaien durch Wind und Wetter jagte, Dir nach, mit Briefen, vier, fünf an einem Tage? – Weißt Du noch, wie sie, fast toll vor Sehnsucht, Dir entgegenlief, wenn Du nicht zur versprochenen Minute gekommen warst? Und wie sie dann draußen die Arme um Deinen Hals schlang, wild und stark, als wollte sie Dich nie wieder lassen?“

Jetzt fuhr Flora jäh empor; ihre seidenen Gewänder rauschten und zischelten, und sie war so roth im Gesicht, als breite sich noch einmal das ebenversunkene grelle Abendlicht über ihre weißen Wangen. „Gieb ihr Morphium!“ rief sie herüber. „Das ist schon mehr Verrücktheit, als fieberhafte Aufregung, sie muß schlafen.“

Der Doctor hatte der Kranken kaum erst einen Löffel voll Medicin gereicht; er beantwortete Flora’s Aufforderung nur mit jenem halben, flüchtigen Lächeln, mit welchem man über ein thörichtes Verlangen der Unwissenheit hinweggeht, und veränderte seine Stellung nicht im Geringsten; auch die Gluth, die bei Henriettens letzten Worten über sein braunes Gesicht hinflammte, erlosch rasch wieder; er sah ruhig und kalt aus, wie vorher.

Flora sank zornig in ihren Stuhl zurück, wandte sich ab und ließ ihre Augen funkelnd und rastlos über die Gegend draußen hinschweifen.

„Hättest Du damals gedacht, daß sich das ändern würde, Bruck? Daß sie je sagen könnte, es sei ein schwerer Irrthum gewesen?“ hob Henriette von Neuem an und umklammerte nun auch mit der anderen brennend heißen Hand Käthe’s Rechte. Dem jungen Mädchen stockte fast der Herzschlag; auf den Lippen der Kranken schwebte es, woran bis jetzt Niemand, selbst die Schuldige nicht, mit dem lauten, klaren Wort zu rühren gewagt hatte. Sie bog sich rasch über die Fiebernde und legte ihr instinctmäßig die kühlen Finger auf die Stirn, als könne sie damit den unheilvollen Gedankengang in eine andere Bahn leiten.

„Ah, das kühlt!“ seufzte Henriette auf. „Aber weißt Du noch, wie Flora damals Deine Hand von meiner schmerzenden Stirn stieß? Sie war tödtlich eifersüchtig.“

Ein halb unterdrücktes höhnisches Auflachen klang aus der Fensterecke herüber. Henriette hörte es nicht. Sie war der Außenwelt völlig entrückt.

„Mich läßt der Schmerz über das, was kommen wird, nicht schlafen,“ klagte sie und schlang jetzt ihre Finger in einander und drückte sie leidenschaftlich gegen die kranke Brust. „Dann wirst Du unser Haus meiden und ein unglücklicher Mann sein, der nicht einmal unseren Namen mehr auf die Lippen nimmt. Ach, Bruck, was fragt sie danach in ihrer bodenlosen Eitelkeit, die sie Ehrgeiz nennt! Sie wird sich losreißen um jeden Preis.“

Käthe hob unwillkürlich die Arme und streckte sie in namenloser Angst über die Kranke hin. Henriette schrie auf. „Nicht die Hand auf den Mund legen, wie der schreckliche Junge im Walde!“ stöhnte sie abwehrend.

In diesem Augenblick stand Flora neben der jungen Schwester und schob sie vom Bett weg; in ihren Zügen, in allen Geberden lag ein wilder Entschluß. „Lasse sie ausreden!“ sagte sie gebieterisch.

„Ja, ausreden lassen!“ wiederholte Henriette halb lallend vor Erschöpfung, aber doch befriedigt wie ein Kind, dem man den Willen thut. „Wer soll Dir’s sonst sagen, Bruck, wenn nicht ich – ich? Wer soll Dich warnen, damit Du auf Deiner Hut bist? Halte die Augen offen! Sie fliegt Dir davon, wie die Taube vom Baum, die weiße Kokette; sie will frei sein –“

„Was sie auch faseln mag, eine Wahrheit ist darin,“ sagte Flora entschlossen dazwischen und trat dem Doctor um einen Schritt näher. „Sie hat Recht, ich kann Dir das nicht sein, was ich versprochen habe; gieb mich frei, Bruck!“ setzte sie flehend hinzu und hob die verschlungenen Hände; zum ersten Mal hörte Käthe, wie unwiderstehlich und süß ihre Stimme klingen konnte, wenn sie weich wurde.

Da war das entscheidende Wort gefallen, um das sich monatelang die abscheulichsten Intriguen gedreht hatten. Käthe hatte gemeint, es müsse mit dem ersten Laute den Verrathenen zu Boden schmettern, allein der vernichtende Blitz zündete nicht sichtbar; für das junge Mädchen war die unerschütterte Haltung des Doctors so räthselhaft, wie wenn nach einem mörderischen Schuß der scheinbar Getroffene unversehrt aus dem Pulverdampfe hervorgeht. Ernst und schweigend sah er auf die Bittende nieder, nur blaß war er, blaß wie der Tod. Er verweigerte ihr die Hand, die sie ergreifen wollte. „Zu einer solchen Auseinandersetzung ist hier nicht der Ort –“

„Aber der richtige Augenblick. Ein anderer Mund spricht für mich das aus, was ich seit Monaten auf den Lippen hatte und doch nicht in Worte kleiden konnte –“

„Weil es ein notorischer Treubruch ist.“

Sie biß sich auf die Lippen. „Die Bezeichnung ist hart und nicht zutreffend; so fest war unser Bund noch nicht geschlossen; auch bin ich mir bewußt, daß kein anderes Bild das Deine aus meinem Herzen verdrängt hat. Lächle nicht so geringschätzend, Bruck! Bei Gott, ich denke an keinen anderen Mann,“ rief sie leidenschaftlich betheuernd. „Aber ich will den Vorwurf auf mich nehmen,“ setzte sie ruhiger hinzu, „um den Preis, daß wir Beide nicht unglücklich werden.“

Mein Glück oder Unglück lasse dabei aus dem Spiele! Du kannst nicht wissen, was ich darunter verstehe, allein so viel wirst Du Dir wohl selbst sagen, daß sie beide nicht in’s Gewicht fallen dürfen, wenn es sich um die innere Ehre und Selbstachtung des Mannes handelt. Und nun möchte ich Dich um Deiner kranken Schwester willen bitten, für jetzt zu schweigen.“ Er wandte sich ab und trat in das nächste Fenster.

Sie ging ihm nach. „Henriette hört uns nicht,“ sagte sie. Die Kranke war todesmatt in die Kissen zurückgesunken und flüsterte unaufhörlich vor sich hin, wie ein Kind, das sich selbst ein Märchen erzählt; ihr Ohr war allerdings der Außenwelt verschlossen. „Das ist ja keine Entscheidung,“ fuhr Flora in traurigem, niedergeschlagenem Tone fort. „Ich muß aber ein festes, klar bezeichnendes Wort haben. Warum hinausschieben, was mit einem raschen Entschlusse festgestellt werden kann?“ Es war abscheulich anzusehen, wie sie mit Daumen und Zeigefinger am Ringfinger der linken Hand spielend drehte.

Doctor Bruck sah über seine Schulter auf sie nieder. Es fiel Käthe abermals auf, wie er bei aller Kraft und Männlichkeit seiner Gestalt dennoch merkwürdig jung neben ihr erschien. Unter dem vollen Barte sah man beim Sprechen fast mädchenhaft keusch geformte, zartrothe Lippen, und die Ausbiegung an den Schläfen verlief so jugendlich weich, wie bei einem Jüngling; dazu die schlichten anspruchslosen Geberden und die Augen, die so leicht in befremdender Scheu schmolzen und sich seelisch gleichsam tief zurückziehen konnten vor einem anderen Blicke. Jetzt aber ruhten sie fest auf der schönen Dame, die mit ihrem lockigen Scheitel kaum seine Schulter erreichte.

„Was gedenkst Du einzutauschen für das Leben an meiner Seite?“ fragte er so plötzlich, so scharf, daß sie unwillkürlich zusammenfuhr.

„Brauche ich Dir das zu sagen, Bruck?“ rief sie und strich sich tief aufathmend, wie von einem Alp befreit, die Locken aus der Stirn. „Siehst Du nicht, wie meine ganze Seele danach dürstet, aufzugehen im Schriftstellerberufe? Kann ich das aber in dem Umfange, wie es meine Beanlagung, mein mit heißem Streben gepaartes Talent gebieterisch verlangen, wenn ich die Pflichten einer Frau übernehme? Nun und nimmermehr!“

„Wunderbar, daß Dir dies stürmische Verlangen erst jetzt, erst in den letztvergangenen Monaten gekommen ist, nachdem Du –“

„Nachdem ich neunundzwanzig Jahre lang ohne den[175] Ruhm leben konnte, willst Du sagen,“ ergänzte sie schneidend mit dunkel überflammtem Gesicht. „Lege Dir das zurecht, wie Du willst, bringe es auf die Rechnung der Frauennatur, die schwankt und fehlgreift, bis sie das Rechte findet –“

„Weißt Du so gewiß, daß es das Rechte ist?“

„So gewiß, wie die Magnetnadel nach dem Pole zeigen muß.“

Er ging schweigend an ihr vorüber, nahm die Medicin vom Tische und trat an das Bett. Die Kranke mußte wieder einnehmen, aber sie war eingeschlummert und hielt mit beiden Händen Käthe’s Rechte fest. Es war dem jungen Mädchen, als bewege er sich automatenhaft, als sei der innere Kampf so gewaltig, daß er ihn der Herrschaft über Hand und Fuß und Auge beraube. Siesah er nicht an; es mochte ihn wohl tief demüthigen, daß diese empörende Scene einen Zeugen hatte, aber litt sie nicht selbst qualvoll durch ihr Bleiben? Sie hatte mehrmals versucht, ihre Hand vorsichtig zurückzuziehen, um zu entfliehen, so weit sie ihre Füße tragen mochten, allein bei der geringsten Bewegung fuhr die Kranke in erschütterndem Schrecken empor.

Er versuchte, der Schlummernden den Puls zu fühlen. Käthe bemühte sich, ihm zu helfen, indem sie die Linke unter Henriettens Armgelenk schob; dabei ruhete ihre innere Handfläche einen Augenblick auf seinen Fingern. Er zuckte zusammen und wechselte so jäh die Farbe, daß sie erschrocken die Hand zurückzog. Was war das gewesen? Machte ihn der innere Aufruhr so nervös, daß ihn jede äußere Berührung entsetzte und mit zornigem Schrecken erfüllte? Sie sah seitwärts scheu zu ihm auf. Ein tiefer Athemzug hob seine Brust, während er sich wegdrehte, um die Medicin auf den Tisch zurückzustellen.

Flora hatte inzwischen unbeschreiblich erregt und ungeduldig einige Male das Zimmer durchmessen. Jetzt trat sie wieder neben den Doctor an den Tisch. „Es war unklug von mir, meine Gefühle so freimüthig zu bekennen,“ sagte sie mit zornfunkelnden Augen. Sein Schweigen und die Erfüllung seiner Berufspflicht, mit welcher er unbeirrt einen solchen Entscheidungskampf unterbrach, hatten sie furchtbar gereizt. „Du bist ein Verächter des Frauengeistes und gehörst zu den Tausenden von unverbesserlichen Egoisten, welche die Frau um keinen Preis auf eigenen Füßen sehen wollen –“

„Wenn sie nicht stehen kann, allerdings.“

Sie legte die kleine, krampfhaft zu einer Faust geballte Hand auf den Tisch und sah dem Sprechenden einen Augenblick mit festgeschlossenen, fast weißgewordenen Lippen in das Gesicht. „Was willst Du damit sagen, Bruck?“ stieß sie scharf heraus.

Ein Hauch von Röthe ging ihm über Stirn und Wangen hin, und seine Brauen zogen sich leicht zusammen; er war offenbar eine jener sensitiven Naturen, die ein scharfzugespitzter, auf gegenseitige Verletzung ausgehender Wortwechsel geradezu auf die Folter legt. „Ich will damit sagen,“ entgegnete er gleichwohl fest und mit anscheinender Gelassenheit, „daß zu diesem ‚Auf-eigenen-Füßen-stehen‘, zu welchem die strebende Frau vollkommen berechtigt ist, wenn sie damit nicht bereits übernommene ältere Pflichten und das edle deutsche Familienleben schädigt, daß zu diesem ‚Auf-eigenen-Füßen-stehen‘ ein starker, zäher Wille, ein consequentes Ausschließen der reizbaren weiblichen Eitelkeit und vor Allem wirkliche Begabung, wirkliches Talent erforderlich sind.“

„Und die letzteren Eigenschaften bestreitest Du mir?“

„Ich habe Deine Artikel über die Arbeiterbewegung und die Frauenemancipation gelesen.“ – Jetzt allerdings hatte die sonst so sanft moderirte Stimme des Arztes etwas durchdringend Schneidendes.

Flora fuhr zurück, als sei ein blitzendes Messer auf sie gezückt worden. „Wie willst Du wissen, daß ich die Verfasserin derjenigen Artikel bin, die Du gelesen?“ fragte sie unsicher, schwankend, dabei aber seine Züge in fieberhafter Spannung fixirend. „Ich schreibe unter Chiffern.“

„Aber die Chiffern circulirten bereits in Deinem großen Bekanntenkreise lange vorher, ehe die Aufsätze das Licht der Oeffentlichkeit erblickten.“

Sie wandte einen Augenblick beschämt und verlegen die Augen weg. „Gut, Du hast sie gelesen,“ sagte sie gleich darauf. „Was soll ich aber von Dir denken, daß Du dieses Streben nie mit einer Silbe berührt, daß Du nicht einmal Dein ungnädiges Mißfallen darüber ausgesprochen hast?“

„Würdest Du darauf hin Deine Feder niedergelegt haben?“

„Nein, und abermals nein.“

„Das wußte ich; deshalb ließ ich Dich gewähren bis zu unserer Vereinigung. Es versteht sich ja von selbst, daß die verständige Frau mit dem Manne geht und sich nicht isolirt in Sonderbestrebungen, es sei denn, daß sie bei starkem Pflichtbewußtsein, hochbegabt, ein hervorragendes Talent –“

„Was ich selbstverständlich nicht bin,“ unterbrach sie ihn mit nicht zu beschreibender Erbitterung.

„Nein, Flora, Du hast Geist, Esprit, aber schöpferisch bist Du nicht,“ versetzte er ernst den Kopf schüttelnd und in seine gewohnte milde Sprechweise einlenkend.

Secundenlang stand sie wie erstarrt vor diesem unumwundenen Urtheile, das sich unverkennbar auf die festeste Ueberzeugung stützte, dann aber hob sie in einem halbwahnwitzigen Gemisch von gemachtem Jubel und ausbrechendem Grimme die Arme hoch empor. „Gott sei Dank, nun fällt auch die letzte Rücksicht, das letzte Bedenken. Eine Sclavin wäre ich geworden, ein armes, niedergetretenes Weib, dem man den göttlichen Funken der Poesie aus der Seele gerissen hätte, um – das Küchenfeuer damit anzuzünden.“

Sie hatte überlaut gesprochen. Die Kranke, die vorhin der gleichmäßige Wechsel der zwei Stimmen allmählich eingeschläfert hatte, fuhr empor und blickte mit weit aufgerissenen Augen um sich. Besorgt eilte der Doctor an das Bett; er reichte ihr die Medicin und legte sanft die Hand auf ihre Stirn. Unter dieser Berührung sanken die erschreckten Augen wieder zu. Hätte sie ahnen können, die arme Leidende, welchen Sturm sie über den unglücklichen Mann heraufbeschworen, sie, die bis dahin Alles aufgeboten hatte, um den unheilvollen Bruch zu verhindern!

„Ich muß Dich ernstlich bitten, die Kranke nicht mehr zu stören,“ sagte der Doctor, den Kopf in das Zimmer zurückwendend; noch beugte er sich über das Bett und seine Hand lag auf Henriettens Stirn.

„Ich wüßte auch nichts mehr zu sagen,“ versetzte Flora mit einem mißlungenen Spottlächeln und zog die Handschuhe aus der Tasche. „Wir sind zu Ende, wie Du nach Deinen verletzenden Aussprüchen selbst wissen wirst – ich bin frei –“

„Weil ich Dir ein Talent abspreche, auf welches Du Dich capricirst?“ fragte er, mit äußerster Ueberwindung die Stimme dämpfend. Jetzt gewann die Entrüstung die Oberhand in ihm; er stand plötzlich in seiner ganzen imposanten Größe da. Alles, was ihn zuweilen so jünglingshaft erscheinen ließ, der sanfte, treue Blick, die von edler Bescheidenheit und Geduld zeugenden Geberden – Alles war verschwunden; er war ein zürnender, empörter Mann. „Ich frage Dich, um wen ich geworben habe, um die Schriftstellerin, oder um Flora Mangold? Als diese Letztere, und nur als diese hast Du damals Deine Hand in die meine gelegt, recht wohl wissend, daß ich zu denen gehöre, die ihre Frau einzig und allein für sich und ein stillbeglücktes Familienleben, nicht aber als ein in der Welt herumflackerndes Irrlicht haben wollen. Du hast das gewußt; Du hast Dich damals befleißigt, mir das zu werden; Du bist in Deiner sanguinischen Art weit darüber hinausgegangen – denn daß Du selbst die rußigen Töpfe in die Hand nehmen solltest, wie Du in übertriebenem Eifer gethan, würde ich ja nie von Derjenigen verlangen, die das geistig belebende Element, mein Stolz, meine mitfühlende, mitringende Gefährtin in meinem Daheim werden soll.“

Er schöpfte tief Athem; nicht ein einziges Mal wichen die strafenden Augen von dem schönen Mädchen, das jetzt so klein und erbärmlich, so unscheinbar vor ihm stand und sich vergebens abmühte, die kühne, trotzig herausfordernde Haltung standhaft zu behaupten.

„Ich habe die Wandlung in Dir vom ersten mißmuthigen Zuge auf Deiner Stirn an bis zu Deiner eben erfolgten Erklärung Schritt für Schritt verfolgt,“ hub er von Neuem an. „Du bist so unsäglich schwach Deinen eigenen weiblichen Schwächen gegenüber, als da sind Hochmuth, Eitelkeit, Launenhaftigkeit – und doch willst Du die Starkgeistige spielen, willst in Sachen der Frauenemancipation das große Wort reden und für Dein Geschlecht die Urtheilskraft, die Consequenz, das feste[176] Wollen und deshalb auch die Vorrechte des Mannes in Anspruch nehmen? … Wie ich über Dein ganzes Verhalten denke, was meine eigene Seele dabei durchmacht, ob ich glücklich oder namenlos unglücklich werde, darauf kommt es hier nicht an. Wir haben uns feierlich für das ganze Leben verlobt, und dabei bleibt es. – Man sagt Dir nach, daß Du oft genug grausam mit Männerherzen gespielt und die Betrogenen schließlich dem öffentlichen Spott und Mitleid preisgegeben hast – mich stellst Du nicht an diesen Pranger – darauf verlasse Dich! Du bist nicht frei – ich gebe Dich nicht los. Ob Du eidbrüchig werden willst oder nicht – gleichviel. Ich will mein Wort halten.“

„Schande über Dich!“ rief sie außer sich. „Wirst Du mich auch zum Altar schleppen, wenn ich Dir versichere, daß ich längst aufgehört habe, Dich zu lieben? Daß ich in diesem Augenblicke, wie ich hier vor Dir stehe, nur mit Mühe den bittersten Haß gegen Dich niederkämpfe?“

Bei diesem furchtbaren Ausbruche erhob sich Käthe; es war ihr allmählich gelungen, ihre Hand zu befreien. Sie eilte mit weggewandten Augen hinaus; sie konnte unmöglich in das Antlitz dessen sehen, der eben eine Art Todesstreich empfangen hatte.

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
06 декабря 2019
Объем:
480 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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