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Читать книгу: «Das Eulenhaus», страница 2

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Sie konnte heimgehen von dem heißen Boden des Hofes in die Kühle und Stille unter grünen Bäumen – und da war sie zu Hause! »Zu Hause!« wie das doch erlösend und beruhigend klang nach all dem Zwiespalt, den Aufregungen der letzten Monate! Und der neben ihr saß, er brauchte nicht in eine Mietwohnung zu ziehen, er blieb auf Geroldschem Grund und Boden, wenn auch nur in einem Waldwinkel, dem äußersten Zipfelchen des ehemaligen großen Besitztums. Da hatte einst das Kloster Walpurgiszella gestanden, hart an der Scheide, welche die beiden Geroldshöfe trennte. Das Kloster wurde von einer frommen Ahnenmutter des alten Geschlechts erbaut, aber im Bauernkrieg zum Teil wieder zerstört. Später hatten die Gerolds den von ihnen an die Stifterin geschenkten Baugrund wieder zurückerworben, und der kleinere Teil, das Grundstück mit den Überresten der Baulichkeiten, war denen von Neuhaus zugefallen. Sie hatten den Trümmern nie Beachtung geschenkt, was stürzen wollte, das ließen sie stürzen, und Zeitenlauf und Wetter hatten nagen und abbröckeln dürfen, so viel sie wollten. Nur ein Seitenbau, das ehemalige sogenannte Sprechhaus der Nonnen, vom Feuer ziemlich verschont geblieben, war notdürftig im Stand erhalten worden – man hatte einen Waldhüter hineingesetzt. Im ganzen aber war der entlegene wüste Besitz den Eigentümern mehr eine Last gewesen, und sie hatten sich deshalb nicht lange besonnen, dasselbe später einem Altensteiner, dem Großvater des letzten Gerold-Altenstein, gegen ein ihnen bequemer gelegenes Stück Ackerland zu überlassen. »Eine lächerlich romantische Grille!« hatten sie im stillen gemeint, als ihnen der Altensteiner mitteilte, daß seine Frau sich das malerische Fleckchen Erde wünsche. Und er hatte es dem geliebten Weibe als alleiniges Eigentum verbrieft und besiegelt geschenkt – so war das Eulenhaus an Klaudines Großmama gekommen.

Nun kam auch schon das hoch in die Lüfte ragende, freistehende südliche Portal der einstigen Klosterkirche in Sicht. Das mächtige Fensterrund droben in dem schwarz angerauchten Gemäuer füllte eine durchbrochene Steinrosette. Ja, die Großmama hatte einst ihre ganze Sparbüchse geleert, um ihr geliebtes »malerisches Fleckchen Erde« vor weiterem Verfall zu schützen, und das ehemalige Sprachhaus war mit der Zeit ein ganz wohnliches Asyl, der Witwensitz der alten Frau geworden. Da hatte sie gelebt, seit ihr Mann die Augen für immer geschlossen, und die schönsten Blumen gezogen auf dem ehemals wüsten, vermoosten Grunde neben der Kirche, dem Gräberfeld der Nonnen, dem Walpurgiskirchhof, wie ihn das Volk nannte.

Der alte Heinemann, der langjährige Gärtner des Geroldshofes, war ihr Faktotum gewesen. Er hatte unter unsäglichen Mühen das verwahrloste Grundstück wieder ertragsfähig gemacht. Der alte Mann war deshalb auch mit seiner Herrin gegangen, als sie sich in das Eulenhaus zurückzog, und bewohnte heute noch sein Stübchen im Erdgeschoß, als eine Art Kastellan, wie es die alte Dame testamentarisch angeordnet hatte. Und er wachte über jeden Mauerstein, der loszubröckeln drohte, über jeden Unkrautkeim, den der Wind von Wald und Wiesen herüberwehte. »Er zählt die Grasspitzen!« sagte Fräulein Lindenmeyer, die ehemalige Kammerfrau der verstorbenen Herrin. Auch ihr war ein Asyl im Eulenhaus für Lebenszeit zugesichert worden. Sie bewohnte das vornehmste Zimmer im Erdgeschoß, die freundliche Eckstube, wo sie mit ihrem Strickzeug und einem Leihbibliotheksroman Tag für Tag am Fenster sitzen und die drüben vorbeilaufende Landstraße überblicken konnte.

Diese zwei alten Menschen hausten einträchtig nebeneinander. Sie kochten auf einem Herd und zankten sich nie, wenn auch Fräulein Lindenmeyer oft genug heimlich empört ihre Schokoladen- und Weinsuppentöpfchen von dem aufdringlich duftenden Sauerkraut- oder Lauchgericht des Gärtners weit wegrückte.

Klaudine hatte den beiden Alten ihre und ihres Bruders Ankunft mitgeteilt und sah nun mit Genugtuung dort über den Baumwipfeln ein dünnes Rauchsäulchen aufsteigen und langsam zerfließen. Fräulein Lindenmeyer kochte jedenfalls einen guten Nachmittagskaffee. Fernherüber krähte der Haushahn, der mit seinen sechs Hennen in einem Mauerwinkel des zerstörten Kreuzgangs residierte, und hoch über dem Rauchschleier des Schornsteins kreisten Heinemanns weiße Tauben, winzig und glänzend wie Silberflitter am blauen Frühlingshimmel.

Nunmehr machte die Straße eine weite Schwenkung nach rechts, und da trat allmählich das ruinengeschmückte kleine Wiesen- und Garteneiland aus dem Waldschatten hervor. Dort lag das aus Bruchsteinen erbaute enge Haus, das einst der Brandfackel der rebellischen Bauern tapfer widerstanden, das Gemäuer rauh und rauchgeschwärzt und von einem Netz frischer Mörteladern förmlich übersponnen. Ein Adelsitz war das freilich nicht, und die grauen Röcke der in die Kirchenruinen zurückgedrängten Eulenbrut hatten jedenfalls immer besser hineingepaßt als lange Hofdamenschleppen. Immerhin! Es war trotz alledem ein gemütliches Nest für genügsame Menschenkinder, und es lag mitten im schwellenden Grün.

»Just in der allerschönsten Zeit, gnädiges Fräulein!« sagte Heinemann, den Wagenschlag öffnend. »Die Beete noch dick voll Narzissen und Tulpen und die Bauernrosen mit Köpfen zum Aufplatzen, und dazu laufen die Kinder schon mit Maiblumensträußchen im Wald ’rum!«

Er war bei Herankommen des Wagens bis auf die Straße herausgelaufen. Barhäuptig, den vollen, heißen Nachmittagsonnenschein auf seinem starren, graugelben Haarwulst, half er den Ankommenden beim Aussteigen.

»Ja gelt, da riecht’s gut, kleines Fräulein!« lachte er, indem er die kleine Elisabeth aus dem Wagen hob und für einen Augenblick auf dem Arm behielt. Das Kind sog mit sichtlichem Wohlbehagen die herüberwehende Luft ein. »Alles eitel Duft, alles ein Blühen, wohin der Mensch guckt, Kindchen! Ja, der liebe Herrgott meint es gut mit dem alten Heinemann!«

Er hatte recht. Ein wahres Gewoge von Narzissendüften und dem berauschenden Odem aus tausendfältigen Kelchen des Flieders erfüllte die Luft.

»Wollen wir nun zu Fräulein Lindenmeyer gehen?« fragte er die Kleine mit lustigem Augenzwinkern. »Dort steht sie mit ihrem allerschönsten Bandwerk auf dem Kopfe! Hat den ganzen Morgen Kuchen eingemengt und kein einziges Ei im Hause heil und ganz gelassen.«

Klaudine ging lächelnd an ihm vorüber an der Tür im Staketenzaun, wo zwischen zwei Eibenbäumchen der altmodische Kopfputz von granatroten Bändern auf Fräulein Lindenmeyers grauem Scheitel sichtbar wurde.

Dieses gute alte Mädchen hatte bei dergleichen Gelegenheiten stets ein feierliches Zitat aus Schiller oder Goethe in Bereitschaft. Heute aber zitterten ihre eingefallenen Lippen im Ringen mit der inneren Bewegung – kam doch der schöne, edle Mann da, ihr Stolz, der ehemalige Herr auf dem schönsten Gute weit und breit, und suchte Zuflucht im Eulenhaus!

Aber er nahm heiter gelassen ihre bebende kleine Rechte, die eben das Batisttüchelchen an die geängstigten nassen Augen drücken wollte, mit warmem Druck zwischen seine Hände.

»Ich möchte wissen, ob Fräulein Lindenmeyer mich immer noch so gut versteht und vertritt wie einst, wenn es galt, dem blöden Jungen bei der Großmama etwas zu erwirken?« sagte er in sanft scherzendem Ton, wobei er sich tief bückte, um in ihr Gesicht zu sehen.

Da strahlten ihre Augen auf. »Ei, nun ja, ich denke doch!« antwortete sie. »Die Glockenstube ist hergerichtet! Ach ja, himmlisch schön ist’s da oben! Ein richtiges Poetenwinkelchen! Welche fühlende Seele sollte das nicht verstehen?«

Er lächelte und drückte nochmals ihre Hand, während sein aufleuchtender Blick über den Garten hinflog. Dem südlichen Tor der Kirchenruine entgegengesetzt, wenn auch ziemlich weit abgerückt, erhob sich der Glockenturm der Klosterkirche. Die verstorbene Besitzerin hatte Turm und Wohnhaus durch einen kleinen Zwischenbau verbunden, der im Erdgeschoß zu einem Winteraufenthalt der Pflanzen eingerichtet war, im oberen Stock aber eine auf beiden Seiten von einem Geländer eingefaßte Plattform bildete, zu welcher sowohl von den Zimmern des Wohnhauses wie der gegenüberliegenden unteren Turmstube Glastüren führten. Über alles hinweg aber blinkten hoch oben die Fenster der Glockenstube, die ihren Namen behalten hatte.

Und nun hinein in den letzten Zufluchtsort der Verarmten!

Während Heinemann Koffer und Korb vom Wagen hob, schritten die anderen dem Hause zu. Einen Augenblick blieb Klaudine allein vor der Haustür stehen, sie bog sich zur Seite, anscheinend um den Duft einer ihre Schulter streifenden Fliederblüte einzuatmen, aber ihre Gedanken irrten weit ab. Über diese Schwelle war sie vor drei Jahren hinausgegangen in eine Welt voll Glanz und rauschender Freuden. Sie war auf Großmamas Wunsch und Fürbitte hin Hofdame bei der Herzoginwitwe geworden. Leicht war es ihr nicht geworden, diese Stellung, die vielbeneidete, wieder aufzugeben, nein, wahrlich nicht! Ihr abwesender Blick umschleierte sich und die Lippen zuckten. Sie war der ausgesprochene Liebling ihrer hohen Herrin gewesen und die edle Frau hatte sie insgeheim vor ihren Neidern und stillen Feinden zu schützen gewußt, so hatte sie fast nur die strahlende Seite des Hoflebens kennen gelernt. Nun lag das hinter ihr auf Nimmerwiederkehr, und ein tiefes Sehnsuchtsweh nach der milden, sanften Greisin, der sie gedient hatte, brannte ihr jetzt schon im Herzen. Und leicht war es wohl auch nicht, das neue Leben! Dem Kinde ihres Bruders eine treue Mutter zu sein, für ihn die Lebenssorgen auf die Schultern zu nehmen und mit jedem Pfennig ängstlich zu rechnen, auf daß nicht doch die Not durch das Eulenhaus schleiche, das wollte sie wagen, sie, die Unwissende, die Unerfahrene in alledem, was des Lebens Nahrung und Notdurft erheischte?

Sie legte die Hand auf das ängstlich klopfende Herz und schritt langsam über die Schwelle und die enge, aber blütenweiß gescheuerte Holztreppe hinauf. Als sie abei in das zunächstliegende ehemalige Wohnzimmer der Großmama trat, da atmete sie tief und erleichtert auf. Die kleine Elisabeth kam ihr mit einem Stück Kuchen in der Hand freudestrahlend entgegen und auf dem Sofatisch dampfte Großmamas messingene Kaffeemaschine. Die Tür nach der Plattform des Zwischenbaues stand weit offen und ließ die Blumendüfte des Gartens hineinströmen, und jenseits dieser nur wenige Schritte langen Plattform sah man durch die schmale Glastür in das untere Turmzimmer, ihr ehemaliges Logierstübchen während der Institutsferien, die sie stets bei der Großmama verlebt hatte. Mehr aber noch als dieses traute Wiedersehen beruhigte und ermutigte sie ein Blick auf ihren Bruder. Er hatte sich aufgerichtet, als habe er eine Zentnerlast von sich geworfen, und als sie später mit ihm hinaufging in die Glockenstube und er sein Manuskript auf die Wachstuchdecke eines einfachen Tisches am Fenster legte, da sagte er: »Es ist ein abgebrauchtes Bild, aber sein zutreffender Sinn bewegt mich tief in diesem Augenblick – mir ist zumute wie einem, der nach stürmischer Meerfahrt den Heimatboden betritt und niedersinken möchte, um ihn dankbar zu küssen!«

3

Zwei Wochen waren seither verstrichen, Tage voll Mühe und Arbeit, aber auch voll befriedigenden Lohnes. Ja, es ging, wenn auch da und dort ein Brandfleck die neuangeschafften Kochschürzen verunzierte, einige Geschirrscherben den Spruch vom Lehrgeld bewahrheiteten und die weichen Hände der neugebackenen Köchin immer noch recht empfindlich waren gegen rauhe Berührung. Fräulein Lindenmeyers gutmütig angebotene Hilfe hatte Klaudine schon am ersten Tage entschieden abgelehnt. Das schmächtige, kränkliche Geschöpfchen stand auf sehr schwachen Füßen und bedurfte oft selbst der Pflege. Dafür aber war Heinemann eine tüchtige Stütze, und er ließ es sich durchaus nicht nehmen, alle gröberen Arbeiten zu besorgen.

So war allmählich die neue Haushaltung ins Geleise gekommen, und heute fand Klaudine einen freien Augenblick, um auf die Zinne des Turmes hinaufzusteigen. Die Morgensonne lag auf dem Scheitel des alten Burschen, der sich mit gelben Mauerblümchen besteckt hatte, die aus allen Ritzen und Fugen dem Tageslicht zustrebten, und so altersmürrisch er auch sonst aussah, er beherbergte doch noch gern und willig junges, aufwachsendes Leben – das Vogelvolk brütete unter seinen Simsen und Mauervorsprüngen und fand des Piepsens und Zwitscherns kein Ende. Und vom Garten herauf und von den harztriefenden Fichten, die ihre schaukelnden dunklen Bärte wie Trauerfahnen in die Ruinen des Kirchenschiffes hineinhängen ließen, kam ein traumhaftes Summen – schier unersättlich umtaumelten Heinemanns Bienen und das wilde Hummelgesindel des Waldes den süßen Saft, den Prinz Mai aus Blütenbechern schenkt.

Über ihr stand der blaue Äther, den nur dann und wann noch ein kühner Vogelflügel durchschnitt, wie zu Kristall erstarrt, dort drüben aber, am fernen Horizonte, troff sein Blau auf den welligen Bergrücken und schmolz mit ihm zusammen. – Dort weitete sich das Paulinental zur ebenen Fläche, die erst in weiter Ferne wieder jener blaubehauchte Höhenzug abschloß. Auf dem flachen Lande lag es wie feine, durchgoldete Nebelschleier. Sie deckten das Herzogsschloß. Nichts war zu sehen von seinem stolzen, hochgelegenen Bau, seinen purpurbeflaggten Türmen und marmornen Freitreppen, zu deren Füßen die Schwäne segelten und silberglitzernde Furchen durch den Teichspiegel zogen, nichts von dem Magnolien- und Orangendickicht der überglasten Zaubergärten, die mit ihrem düfteschweren Odem das Blut in den Schläfen pochen machten und das Herz angstvoll beklemmten, nichts von den türhohen, spiegelnden Fenstern, hinter denen eine junge Frau, ein Königskind, schlank und schneebleich, hüstelnd auf und ab schwankte und nach einem Blick aus den dunkelschönen Augen strebte, die mit heißem Flehen – eine andere suchten.

Klaudine trat hastig von der Brustwehr zurück, sie war erblaßt bis in die Lippen. War sie deshalb heraufgestiegen in den kühlen blauen Himmel, um sich von dem schwülen, ängstlich geflohenen Odem dort drüben her anwehen zu lassen?

Sie wandte den Blick weg von jener sonnenbeschienenen Weite und ließ ihn nordwärts in die Runde schweifen. Wald, nichts als grüner Wald, wohin sie sah! Nur dort, wo der breite Fahrweg die Wipfel auseinanderdrängte, lag in äußerster Ferne wie ein kleines Bild das Neuhäuser Gutshaus. Seine fensterreiche Fassade trat hell aus dem dämmernden Lindenkreise. Dort wehte eine rauhe, strenge, aber reine Luft unter Beates Regiment. Seit lange herrschte Spannung zwischen den beiden Geroldshöfen. Der Neuhäuser hatte öffentlich scharf über die »gottheillose« Spielwut des Obersten geurteilt, und damit war das Tischtuch zwischen den beiden Familien zerschnitten gewesen. Nicht die geringste Beziehung hatte mehr zwischen ihnen bestanden. Lothar und Joachim, die beiden gleichaltrigen Söhne der entzweiten Familien, waren sich geflissentlich aus dem Wege gegangen, und nur Klaudine und Beate, die Zöglinge ein und desselben Instituts, waren sich näher getreten.

Da war es nun allerdings nicht aufgefallen, als sich plötzlich bei Hofe zwei Gerolds gegenüberstanden, die sich gegenseitig fremd und kühl gemustert hatten, Lothar, der elegante, schneidige Offizier, und Klaudine, die neue Hofdame. Übermütig, im stolzen Bewußtsein seines errungenen hohen Zieles, eine glänzende Erscheinung, umschmeichelt und verwöhnt von der gesamten Hofgesellschaft, hatte er sie eingeschüchtert. Es war kurz vor seiner Vermählung mit der Prinzessin Katharina, der Cousine des regierenden Herzogs, gewesen. Sie hatte es ihm verargt, daß er auf seiner schwindelnden Höhe über die Tochter der verarmten Hauptlinie seines Geschlechtes achtlos hinwegsah.

Wie unglaublich schlicht und einfach erschien ihr in diesem Augenblick sein Geburtshaus da drüben neben dem Glanz des Ereignisses, welches der Höhepunkt seines beispiellosen Siegeslaufes gewesen war, neben seiner Vermählungsfeier. Sie sah ihn noch vor sich, wie er zur Seite der Prinzessin, umleuchtet von dem ganzen Glanz des Hofgepränges, an den Altarstufen stand. Das schmale Figürchen der Braut, in Spitzen und Atlasbauschen völlig versinkend, hatte sich an seine hohe Gestalt so fest angeschmiegt, als könne er ihr, dessen Besitz sie sich energisch erkämpft hatte, auch hier noch entrissen werden, und mit ihren funkelnden schwarzen Beerenaugen hatte sie unverwandt, in leidenschaftlicher Zärtlichkeit zu ihm aufgesehen. Und er? Er war totenblaß gewesen, und sein bindendes »Ja« hatte rauh, fast heftig geklungen. Hatte ihn ein Schwindel auf dem Gipfel seines Glücks ergriffen, oder war ihm plötzlich ein Ahnen gekommen, daß er dieses Glück nicht lange besitzen werde, daß sich die liebstrahlenden, schwarzen Augen schon nach einem Jahre für immer schließen würden unter den Pinien und Palmen der Riviera, wohin der Reisewagen die Neuvermählten sofort nach der Trauung entführen sollte? Ja, dort in ihrer prächtigen Villa war die Prinzessin gestorben, nachdem sie einem Töchterchen das Leben gegeben, und dort lebte der verlassene Mann noch, um das sehr schwächliche Kind in dem milden Klima zu belassen, bis es erstarkt sein würde, wie man sagte, wohl aber auch, weil es ihm schwer werden mochte, den Schauplatz seines kurzen Glückes zu verlassen. In der Heimat war er nicht wieder gewesen, und das stille, einsame Haus dort drüben mochte er schwerlich wieder bewohnen, wenn er auch wieder zurückkam – und das war nur gut und wünschenswert für den Einsiedler im Eulenhaus.

Klaudine bog sich lächelnd über die Brustwehr des Turmes und sah hinab in den Garten, der sich wie ein buntes Schachbrett mit seinen Blumen- und Gemüsebeeten drunten hinbreitete. »Eiapopai!« sang die kleine Elisabeth. Sie trug ihre Wickelpuppe im rosa Kattunmäntelchen und trabte durch den Mittelweg des Gartens. Heinemann hatte ihr einen Maiblumenstrauß auf das Strohhütchen gesteckt, und Fräulein Lindenmeyer bewachte das kleine, seelenvergnügte Ding von der Laube aus, wo sie für Heinemann Spargelpfeifen pfundweise zusammenband. Der alte Gärtner verkaufte viel Gemüse und Blumen nach der nächsten kleinen Stadt, und der Ertrag gehörte ihm kraft der testamentarischen Verfügung seiner verstorbenen Herrin.

Er kam eben mit einem Armvoll kleingespaltenen Holzes von den Ruinen her, und drunten durch die offene Glastür der Wohnstube klang die tiefe Brummstimme der großen Wanduhr herauf und schlug elfmal an. Es war Zeit, an den Herd zu treten.

»Arbeit schändet nicht!« sagte Heinemann bald darauf in der Küche mit einem Seitenblick nach der rußigen Pfanne, welche Klaudine auf den Herd stellte. »Nein, ganz und gar nicht, und ein paar Rußfleckchen verschimpfieren feine Finger auch nicht, so wenig wie es an meinen weißen Narzissen kleben bleibt, daß sie aus der schwarzen Erde gekrochen sind. Aber so vom Herzogshofe weg geradewegs ans Küchenfeuer, just so, als sollten meine schönen Gloxinien auf einmal im Holzstall oder auf dem Hühnerhofe kampieren, ach, die armen Dinger! – Dazu gehört was, es würgt mir an der Kehle, wenn ich die Plackerei so mit ansehe. Ja, wenn es noch sein müßte! Aber es muß nicht sein, absolut nicht – das weiß ich besser! Und Sparen ist auch eine schöne Sache, ei ja! Ich jage ja meine paar Pfennig auch nicht durch die Gurgel, Gott bewahre! Aber alles was recht ist, gnädiges Fräulein!« Er warf einen schelmischen Blick auf das dünne Butterscheibchen, das Klaudine in die Pfanne gelegt hatte, um ein paar Tauben zu braten. »Das ist ja wie für ’nen Kartäuser!« Er schüttelte den Kopf. »Nein, so knapp braucht’s bei uns doch nicht herzugehen, so knapp nicht! Wir haben mehr, als Sie denken, gnädiges Fräulein!«

Er sagte das letztere auffallend langsam, mit nachdrücklicher Betonung. Die junge Dame sah mit großen Augen nach ihm hin. »Sie haben wohl einen Schatz gefunden, Heinemann?« fragte sie lächelnd.

»Je nun, wie man’s nimmt«, meinte er den Kopf wiegend, und um seine Augenwinkel erschienen zahllose Fältchen, aus denen etwas wie verheimlichtes Glück lachte. »Gold und Silber freilich nicht – du lieber Gott, blind könnte sich der Mensch in dem Trümmerhaufen gucken und fände doch nicht das kleinste Flinkerchen! Nein, damit ist’s nichts! Das ist alles der Mordbrennergesellschaft von dazumal an den Fingern hängen geblieben – haben sie doch gar dem Jesukindchen das bißchen Goldsachen von seinem Seidenrock gerissen! Aber muß es denn gerade ein Spartopf oder so was wie Silberkannen oder Abendmahlskelche sein? Sehen Sie, zum Kloster hat einmal viel Land gehört. Von außen her sind Klosterjungfern eingetreten, die Hab und Gut, meist liegende Gründe, mit eingebracht haben, und das ist alles zu Klosterhöfen gemacht worden. Da hat’s Zehnten an Korn, Federvieh, Honig und Gott weiß was noch, die schwere Menge gegeben, und die Klosterhöfe sind gut bewirtschaftet worden. Dazumal ist hier in dem Trümmerwerk Milch und Honig geflossen, wie im Lande Kanaan, und die Nonnen sollen es gar gut verstanden haben, aus den schönen Sachen genug bare Batzen zu schlagen. Gar manchmal haben da die Frachtwagen vor dem Kloster gestanden und Fässer und Kisten in die Welt ’nausgefahren. Ja, dumm sind die Frauenzimmerchen von dazumal nicht gewesen, dumm gar nicht! – Heide, Himbeeren und Heidelbeeren, das beste Bienenfutter, hat’s hier und auf den Klosterhöfen genug und übergenug gegeben, und da haben sie eine Bienenzucht gehabt, wie in unserer Zeit kaum die großen Güter in Ungarn. Na ja – und da bin ich gestern abend unten im Keller – ich hatte schon lange ein paar wacklige Steine an der Mauer gesehen, aber im Frühjahr gibt’s immer viel zu tun, und dazu kam die Räumerei und das Reinmachen im oberen Stockwerk, und da verschob ich die Flickerei von einem Tag zu dem anderen. Gestern aber dachte ich doch, ich müßte mich schämen, und Sie hielten mich für einen liederlichen Hausverwalter, wenn Sie das sahen, und da hole ich mir gleich Kelle und Mörtelgelte. Wie ich aber den ersten wackligen Stein anfasse, Herr meines Lebens, da wird es doch ordentlich lebendig unter meinen Fingern! Es rückt und wankt – kein Wunder, ist’s doch auch nur in der Angst und Flucht gemacht gewesen – und ehe ich mich recht versehe, ist das liederliche Mauerwerk zusammengeprasselt, und ich gucke in ein mannshohes Höhlenloch – ja, in ein Gewölbe, von dem kein Erdenmensch mehr ’was gewußt hat! Und was war drin? – Wachs!«

Er hielt einen Augenblick inne, als schwelge er noch in der Erinnerung an den Fund. »Ja, Wachs, schönes, reines, gelbes Wachs«, wiederholte er, jedes Wort schwer betonend, »Scheibe an Scheibe, ein ganzer sommertrockener Keller voll, der gerade unter dem Turm liegt!« Er schüttelte den Kopf. »Die reine Wundergeschichte! Ich alter Kerl lese auch für mein Leben gern so Zaubermärchen, wie ›Tausendundeine Nacht‹, und da ist mir doch seit gestern zumute, als hätte ich selber in so einen Berg Sesam geguckt, denn was da unten liegt, das ist auch so gut wie ein Kasten voll Bargeld. Die Nonnen müssen lange Jahre dran gesammelt und gespart haben, lange Jahre! Es sind viele, viele Zentner, und sie haben wohl am besten gewußt, was die ganze Pastete wert ist, sonst hätten sie nicht zugemauert, ehe sie auf und davon sind! Und weiß ich’s denn nicht auch? Bin ja selbst Bienenvater und verkaufe, was das fleißige Völkchen in meine Stöcke schleppt.«

Klaudine hatte das Küchengerät in ihrer Hand unwillkürlich beiseite gestellt und folgte sichtlich gespannt der lebendigen Schilderung. Über das gute, breite, brave Gesicht des alten Mannes huschten Freude, Stolz auf die Entdeckung und Schelmerei wie in wechselnden Lichtern. »Ja, ja, so ein paar tausend Tälerchen sind’s ganz gewiß!« sagte er nach einem tiefen Atemholen mit lustigem Augenblinzeln. »Hm, so ein bißchen Heiratsgut, das die Nonnenseelchen, die ja noch umgehen sollen, ganz extra für unser gnädiges Fräulein behütet und aufgehoben haben.«

Die schöne Hofdame mußte lachen. »Ich glaube nicht, daß wir uns den Fund so ohne weiteres aneignen dürfen, Heinemann«, sagte sie dann ernst. »Die vorherigen Besitzer haben ohne Zweifel dieselben Rechte.«

Der alte Gärtner sah plötzlich ganz betreten und erschrocken drein. »I, die werden doch nicht —?« meinte er mit stockendem Atem. »Na, weiß Gott, das wär’ doch Sünd’ und Schande! Der Neuhäuser da drüben, dem fürstliches Hab und Gut nur so in die Tasche gefallen ist, der müßte sich ja doch eher alle zehn Finger abbeißen, als daß er sich an dem bißchen Armut vergriffe! Freilich« – er zuckte die Achseln mit niedergeschlagener Miene – »wer kann’s wissen! So manche von den Herren können nie genug kriegen, das erlebt man alle Tage, und da kann’s immer sein, daß der Herr Baron die Hand hinhält und nicht ›nein‹ sagt, wenn’s zum Treffen kommt. O je« – er kratzte sich voll Ärger hinter dem Ohr – »da hätt’ ich auch eher an des Himmels Einsturz gedacht, als daß uns die von Neuhaus noch ein Querholz zwischen die Füße werfen könnten! Da heißt’s nun abwarten und zusehen, wie einem vielleicht die Butter vom Brote genommen wird.« Er seufzte und ging nach der Tür. »Aber ansehen müssen Sie sich die Geschichte doch einmal, gnädiges Fräulein! Ich gehe jetzt hinunter und räume die letzten paar Steine weg, die noch im Wege liegen – muß auch erst einmal probieren, ob über dem Kopfe alles in Ordnung ist, damit kein Unglück passiert – und nachher kann’s losgehen!«

Bald darauf stieg Klaudine in seiner und ihres Bruders Begleitung in den Keller hinab.

Es war ein schönes, kühles, trockenes Gewölbe, auf welches der Schein der Laterne in Heinemanns Hand fiel. – Ja, das waren noch Mauern aus jener Zeit, wo das Bauen kein großes Loch in den adligen Säckel riß, wo der Bauer im Frondienst das Baumaterial aus den Steinbrüchen und Kalkgruben herbeischleppen mußte – glatte, festgefügte, klafterdicke Mauern, die keine Spur von Erdfeuchtigkeit durchdringen ließen. Da war es freilich kein Wunder, daß die Wachsschätze der Nonnen noch so dalagen, wie sie die längst zerstäubten Hände aufgeschichtet hatten. – Ja, da reihte sich Scheibe an Scheibe, die Rinde wohl altersbräunlich gefärbt, aber an der Bruchfläche noch so schön gelb und frisch, wie eben aus dem Schmelz- und Reinigungsprozeß hervorgegangen.

»So gut wie gemünztes Gold!« sagte Heinemann, mit ausgestrecktem Arm über die rings an den Wänden aufgestapelten Wachsscheiben zeigend. »Und das alles haben die kleinen Dinger in gelben Höschen zusammengeschleppt.«

»Und die Kelche, aus denen sie den Blütenstaub geholt, haben vor Jahrhunderten geblüht«, ergänzte Herr von Gerold bewegt. »Hätte ich über den Fund zu verfügen, so dürfte mir kein Finger daran rühren.«

»Ei beileibe!« protestierte der alte Gärtner ganz erschrocken.

»Wenn auch kein Griffel irgendwelche Gedankenzeichen auf den Scheiben verewigt hat, wie wir sie auf den Wachstäfelchen der Alten finden, so spricht doch hier ein ganzes Stück eingefangenen Klosterlebens zu uns«, setzte Herr von Gerold hinzu. »Was mag wohl durch die Seelen der Klosterfrauen gegangen sein, während ihre fleißigen Hände das, was die summenden Honigträgerinnen von draußen aus der blühenden, sündhaft schönen Welt über die Mauern getragen, in die Form gebracht haben, wie sie hier vor uns liegt! An was mögen sie gedacht haben —«

»Mit Erlaubnis, gnädiger Herr, da kann ich Ihnen ganz genau sagen – an die vielen Batzen haben sie gedacht, die drin stecken, an sonst nichts!« entgegnete Heinemann in ehrerbietigem, treuherzigem Ton, aber so verschmitzt blinzelnd, daß Herr von Gerold lachen mußte. »In den Klöstern sind sie zu allen Zeiten auf das Zusammenscharren versessen gewesen; man muß das nur in den alten Schriften lesen, da steht’s haarklein, was für lange Fingerchen die frommen Jungfern nach allem gemacht haben, was sich irgend hat erwischen lassen. Den letzten Sparpfennig und das letzte Äckerchen haben sie sich für ihr Beten von den armen Seelen verschreiben lassen, die mit Angst und Zähneklappern aus der Welt gegangen sind. Es ist dazumal nicht anders gewesen, als heute noch – der Mensch nimmt’s, wo er’s kriegen kann – na, dafür ist er eben auch nur eine Erdenkreatur, und der soll noch geboren werden, der die Engelsflügel schon in unser Zeitliches mitbringt.«

Er ließ das Licht seiner Laterne über alle Wände hinspielen. »Was das für ein schöner Keller ist! Da ist auch nicht eine Spur von der Feuersbrunst zu sehen, die doch sonst überall so fürchterlich gehaust hat. Den Keller können wir brauchen, gnädiges Fräulein. Alles andere Unterirdische ist ja total verschüttet, bis auf das klägliche Winkelchen da« – er zeigte nach dem anstoßenden kleinen Kellerraum unter dem Wohnhause – »wo kaum Platz für unsere paar Kartoffeln ist. Und deshalb muß die Pastete ’raus, gnädiges Fräulein, muß so bald wie möglich an die Luft!«

»Das geht nicht, lieber Heinemann«, entschied Klaudine. »Der Fund muß unberührt an Ort und Stelle bleiben, bis die von Neuhaus einen Einblick gehabt haben. Willst du an Lothar schreiben?« wandte sie sich an ihren Bruder.

»Ich?!« rief er mit einer Art komischen Entsetzens aus. »Liebes Herz, alles was du willst – nur das nicht! Du weißt —«

»Ja, ich weiß«, sagte sie lächelnd. »Und ich mag mit dem Herrn Baron auf Neuhaus auch nichts zu schaffen haben. Ich werde die Angelegenheit in Beates Hände legen. Mag sie selbst kommen oder einen Bevollmächtigten schicken.«

Herr von Gerold nickte. »Schaden kann es nicht, wenn die in Neuhaus benachrichtigt werden«, sagte er. »Die Welt ist schlimm, man wird von dem Funde hören, ihn vielleicht verzehnfachen und schließlich von Verheimlichung und dergleichen munkeln. Lothar wird übrigens denken wie ich. Der Wachsschatz der Nonnen ist längst herrenloses Gut geworden und gehört dem, auf dessen Grund und Boden er gefunden wird – notabene, nach römischem und gemeinem Recht nur zur Hälfte, denn der andere Teil steht demjenigen zu, der den Schatz zufällig findet, und das ist unser Heinemann.«

Der alte Gärtner prallte zurück und streckte so erschrocken abwehrend die Hände aus, als solle er geschlagen werden. »Mir altem Kerl? Mir fiele die Hälfte zu von dem, was auf Geroldschem Grund und Boden liegt? I, das wäre ja eine schöne Mode! Was kann ich denn dafür, wenn die wackligen Steine aus der Mauer fallen? Ist da etwa ein Verdienst dabei? Und brauche ich vielleicht den Mammon?« Er schüttelte energisch den Kopf. »Ich habe genug und übergenug zu leben bis an mein seliges Ende – Sorgen kenne ich nicht, und das verdanke ich meiner seligen gnädigen Frau. Nein, damit dürfen Sie mir nicht kommen, gnädiger Herr, damit nicht! … Nicht ein Bröckchen, nicht so viel, daß man einen Zwirnsfaden damit wichsen kann, nehme ich von dem Zeug da! – Aber ich sage nun auch, gut ist’s, gleich vor die rechte Schmiede zu gehen. Mag doch einer herüberkommen und die Nase hineinstecken, da gibt’s nachher kein dummes Gerede!«

Возрастное ограничение:
0+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2019
Объем:
370 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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