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Читать книгу: «Die Träger des deutschen Idealismus», страница 5

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Was Fichte weiter an politischen Gedanken äußerte, das steht unter dem Einfluß der Vorbereitung und des Beginns der Freiheitskriege. Immer blieb er ein Mahner zur Freiheit und Selbständigkeit, auch seine letzten Schriften verfechten die Gleichheit alles dessen, was menschliches Angesicht trägt. Aber zugleich findet die Nation und ihre Geschichte mehr Würdigung, auch der wahrhafte Krieg, d. h. ein Krieg, den ein Volk zur Rettung seiner Selbständigkeit führt, wird mit aller Energie verteidigt. Dann nämlich ist »die allgemeine Freiheit und eines jeden bedroht; ohne sie kann er leben gar nicht wollen, ohne sich für einen Nichtswürdigen zu bekennen. Es ist darum jedem für die Person und ohne Stellvertretung – denn jeder soll es ja für sich selbst tun – aufgegeben der Kampf auf Leben und Tod.« Wird ein solcher Krieg verkündigt, »so soll dem Erleuchteten sich das Herz erheben beim Anbruche seines Vaterlandes, und er soll es begierig als vollen Ernst ergreifen«. So wäre Fichte 1813 am liebsten selbst mit ins Feld gezogen, so hat er nach bestem Vermögen als Landwehrmann Dienst getan, ja er ist, wenn auch indirekt, als ein Opfer des Krieges gefallen, indem er von einer schweren Seuche angesteckt wurde, die seine Frau bei der Pflege erkrankter Verwundeter befallen hatte. Noch seine letzten Phantasien beschäftigten sich mit dem Vaterland und dem Vordringen der deutschen Heere.

Der wahrhafte Krieg

Unter solchen Kämpfen und Stürmen verblaßte die Idee eines ewigen Friedens, die er früher begeistert verkündigt hatte. Wie weit er davon abgerückt war, das zeigt im besonderen eine merkwürdige Abhandlung über Macchiavelli, in der er sich ganz in dessen Ansicht von der Bösartigkeit der Menschen versetzt und zugleich in die Notwendigkeit, die Politik nach solcher Art zu bemessen. Hier heißt es: »Die Zeitphilosophie war in der letzten Hälfte des abgelaufenen Jahrhunderts gar flach, kränklich und armselig geworden, darbietend als ihr höchstes Gut eine gewisse Humanität, Liberalität und Popularität, flehend, daß man nur gut sein möge und dann auch alles gut sein lasse, überall empfehlend die goldne Mittelstraße, d. h. die Verschmelzung aller Gegensätze zu einem dumpfen Chaos, Feind jedes Ernstes, jeder Konsequenz, jedes Enthusiasmus, jedes großen Gedankens und Entschlusses und überhaupt jedweder Erscheinung, welche über die lange und breite Oberfläche um ein weniges hervorragte, ganz besonders aber verliebt in den ewigen Frieden.«

So sind die gewaltigen Bewegungen der Zeit an Fichte nicht spurlos vorbeigerauscht, aber auch in den Verschiebungen seiner Ansichten wahrte er treu sein eigenes Wesen, und in alle Ziele, die er verfolgte, legte er ganz dieses Wesen hinein. In ihm war ein stürmischer Eifer, ein rücksichtsloses Vorwärtsdrängen, aber auch eine große Liebe, eine Liebe namentlich zu den schwer kämpfenden Gliedern des Volkes; von aller Menschenfurcht frei, bildet er durch sein Leben und Wirken ein deutliches Zeugnis dafür, was eine Persönlichkeit vermag, die lediglich auf sich selber steht und mit ganzer Hingebung ausführt, was Natur und Geschick ihr gebietet. Daß er überall auf einfache Grundzüge und auf einfache Ziele drang, war und bleibt ein hohes Gut für unsere deutsche Art, die leicht zur Kompliziertheit neigt, auch die gewaltige Kraft der Bewegung, die von ihm ausgeht und der uns leicht anhaftenden Schwerfälligkeit entgegenwirkt, ist heute noch nicht erloschen. Die Geschichte der Philosophie rechnet ihn zu den führenden Geistern, dem nationalen Leben unseres Volkes aber darf er wie ein treuer Eckart gelten, als ein unermüdlicher Mahner zur Hingebung an die Gemeinschaft, zur Aufbietung aller Kräfte, zur Wahrung eines festen und freudigen Glaubens an unser Volk auch inmitten schwerer Gefahren und Nöte. Eine große Krise wies ihm die Aufgabe zu, sein Volk zu wecken und zu sammeln, er hat diese Aufgabe durch sein ganzes Wirken und Sein in hervorragender Weise gelöst, dem Aufstieg deutschen Wesens bleibt sein Name unzertrennlich verbunden. Er war bei allen Härten seiner Art ein ganzer Mensch, eine markige Persönlichkeit, ein Lehrer seines Volkes in großem Stile; so konnte man mit Recht auf sein Grabmal die Worte setzen: »Die Lehrer werden leuchten wie des Himmels Glanz und die, so viele zur Gerechtigkeit weisen, wie die Sterne immer und ewiglich.«

Die Romantik

Die Schätzung der Romantik ist neuerdings umgeschlagen; ein Beispiel dessen, wie mit den Wandlungen des eigenen Lebens sich auch die Bilder vergangener Zeiten verändern. Es ist noch nicht lange her, da war die Romantik in Acht und Bann getan, und Romantiker galt fast als Scheltwort; nun haben Verschiebungen im eigenen Leben uns jener Zeit innerlich näher gebracht und uns mehr Verständnis für sie gegeben. Es hat aber der Versuch einer unbefangenen Würdigung der Romantik große Schwierigkeiten: nicht nur widersteht ihre eigentümliche Natur einer scharfen begrifflichen Fassung, sondern es verhindert auch die Fülle verschiedener Gestalten und das Wirken verschiedener Strömungen in ihr ein einfaches gemeinsames Bild. Immerhin darf unsere Arbeit jene Erscheinung nicht unbeachtet lassen, da sie sowohl in engem Zusammenhange mit philosophischen Bewegungen steht, als auch auf die geistige Entwicklung unseres Volkes, im besondern die Ausbildung seines nationalen Sinnes, nicht unerheblich gewirkt hat.

Voraussetzung und Ausgangspunkt der Romantik ist die Befreiung des Menschen vom Druck einer ihn bindenden Welt, wie sie Kant und im Anschluß an ihn Fichte vollzogen hatten. Aber diese Befreiung nimmt jetzt eine völlig andere Richtung als bei jenen. Dort war die Befreiung zugleich die Aneignung einer allgemeinen Vernunft und die Unterordnung unter das selbstgewollte Gesetz, zum Kern des Lebens wurde damit das moralische Verhalten des Menschen, das Individuum empfing seine Bedeutung von der Gesamtordnung her und durch sein Wirken für diese. Der Romantik dagegen wird das Individuum zum Selbstzweck, das Individuum, das, als geistig begabt und künstlerischen Schaffens fähig, alle Bindungen löst, alle Zusammenhänge aufgibt, sich lediglich auf sein eigenes Vermögen stellt; statt der moralischen Lebensführung entwickelt sich hier eine künstlerische, die moralische Persönlichkeit weicht hier der schöpferischen, möglichst ins Geniale gehobenen Individualität, die in der Ausbildung und Verfechtung ihrer eigenen Art eine stolze Freude findet.

Romantische Stimmung

Das ergibt mannigfache Folgen für das Verhältnis des Menschen zu anderen wie zu sich selbst. Kants und Fichtes moralische Weltanschauung verkündete die Gleichheit alles Menschenwesens und fand das Große vornehmlich in dem, was uns allen gemeinsam ist, die ästhetische der Romantik hingegen kehrte möglichst die Unterschiede hervor und hob das künstlerische Subjekt scharf von seiner Umgebung ab, – der Romantik namentlich ist das Wort »höher« ein Lieblingsausdruck geworden, »höheres« Leben, »höhere« Bildung, »höhere« Sittlichkeit usw. –; waren jene Denker darin stark, in dem Einfachen und Schlichtmenschlichen Großes aufzudecken, so überwog hier die Neigung, auf das alltägliche Dasein wie auf etwas Niederes herabzusehen, das prosaische »Philistertum«, auch die »Beschränktheit häuslicher Frauen« (Fr. Schlegel) zu verspotten, gern in fremde Regionen zu fliehen, entlegene Vorgänge aufzusuchen, dem Außergewöhnlichen, Geheimnisvollen, Wunderbaren besondere Schätzung zu zollen. Was unmittelbar bei uns vorgeht, wird gern als ein Symbol einer verborgenen tieferen Welt betrachtet, die in unser Dasein hineinragt, sich uns aber nur in gewissen Andeutungen und Ahnungen zu erkennen gibt.

Die Führer der moralischen Lebensgestaltung fanden den Kern der Seele im Wollen, dies Wollen aber konnte nicht fest und kräftig sein ohne volle Klarheit und Bewußtheit, so war alles Unbewußte als eine niedere Stufe zu überwinden; den Romantikern dagegen lag jener Kern im Befinden des Subjekts, im freischwebenden Gefühl, der in Begriffe unfaßbaren »Stimmung«, die hier zuerst selbständig auftritt; das Unbewußte erscheint hier nicht als etwas Niederes und Abzulegendes, sondern als der Urquell des Lebens, aus dem es unablässig schöpfen muß, und von dem aus es sich immer wieder zu erneuern hat. Absichten zu haben und nach Absichten zu handeln, das erscheint hier als etwas Niederes; zur Forderung wird vielmehr, »sich ohne alle Absicht auf dem inneren Strom ewig fließender Bilder und Gefühle frei zu bewegen« (Fr. Schlegel). Alle Geschlossenheit des Wesens dünkt hier eine bloße Enge, der freien Bewegung und dem Spiel der Phantasie wird unbegrenzter Raum gelassen.

Romantische Kunst

Auch die Gestalt, welche das künstlerische Schaffen hier annimmt, bildet einen entschiedenen und vollbewußten Gegensatz zu einer anderen Art. Die von dem freischwebenden Subjekt getragene und vornehmlich auf sein Ergehen gerichtete romantische Kunst weiß sich grundverschieden von der klassischen mit ihrer Richtung auf den Gegenstand und mit ihrem Streben, zu ihm das rechte Verhältnis zu finden. Diese ist durchgängig auf Maß und Grenze bedacht, sie will alles einzelne straff zusammenfassen und zum Ganzen einer Wirkung verbinden, sie erstrebt einen klaren Aufbau unter sicherer Abwägung aller Verhältnisse, sie findet ihr Vorbild vornehmlich in der Höhe der griechischen Plastik. Die romantische Kunst hingegen verwirft alle feste Begrenzung, sie sucht das Unendliche und schwelgt in ihm, ihr verlaufen die Linien oft ineinander, und über der Erregung einzelner starker Eindrücke kommt sie nicht zu einem gegliederten Aufbau, die Lieblingsform ihrer literarischen Äußerung bildet der Aphorismus; zur Höhe der Kunst wird hier die Musik, in ihr hat die romantische Denkart den vollendetsten Ausdruck gefunden.

So gewiß sich im seelischen Leben und im geistigen Schaffen der Romantik eine bedeutende Art bekundet, es liegt hier Gesundes und Ungesundes oft nahe beieinander, und echtes Schaffen verschlingt sich oft mit erkünstelter Überspannung. Das Streben, alle festen Begriffe zu überspringen und im Gefühl sich der Wirklichkeit unmittelbar zu verbinden, mit ihr eins zu werden, ganz in sie überzufließen, ergibt leicht nicht nur eine Formlosigkeit und Verschwommenheit, sondern auch ein Zurücksinken in Sinnlichkeit, und zwar eine Sinnlichkeit nicht naiver Art; die Romantik erweist das gute Recht der Mahnung Plotins, daß wer über die Vernunft hinausstrebt, leicht aus ihr herausfällt. Auch die hier waltende Neigung des Individuums, sich vornehmlich mit sich selbst und mit seinem Zustande zu befassen, führt leicht zu einer Verkünstelung des Lebens, indem es immer wieder hinter sich selbst zurücktritt, das Fühlen fühlen, das Genießen genießen möchte; nahe liegt dabei auch ein Aufwuchern persönlicher Eitelkeit. Aber so hoch wir solche Fehler und Schwächen anschlagen mögen, die förderlichen Wirkungen der Romantik auf das deutsche Leben dürfen sie uns nicht vergessen lassen. Den Romantikern verdanken wir eine wesentliche Verstärkung des künstlerischen Elements im deutschen Leben, sie haben den Geschmack auch weiterer Kreise gehoben, sie haben die literarische Kritik bei uns eingebürgert, sie haben wie kaum eine andere Bewegung unsere Sprache bereichert, indem sie ihr mehr Rhythmus und musikalischen Klang, mehr Anschaulichkeit und mehr Farbe verliehen. Sie haben mit ihrer künstlerischen Kultur die schon alternde Aufklärung von der Höhe des Lebens vertrieben und ihre Schranken voll zur Empfindung gebracht; ihnen verdanken wir, daß der Begriff der »Bildung« vom Körperlichen aufs Geistige übertragen ward und damit ein neues Lebensideal entstand, auch eine neue Zusammenfassung der Menschen (»die Gebildeten«). Auch hat die Romantik, namentlich in ihrem weiteren Verlauf, uns weitere Blicke in die Welt, in Natur und Geschichte eröffnet. So hat sie uns in der Natur neue Seiten erblicken lassen, starke Farben sowohl als das Dämmerlicht, den Reiz des tiefen Waldes wie der träumerischen Mondnacht, sie hat uns damit namentlich die vaterländische Natur seelisch nähergebracht. Aber zugleich hat ihre bewegliche Phantasie uns ferne Länder und Zeiten vor Augen gerückt und sie mit anschaulicher Frische zu uns wirken lassen.

Staat und Vaterland

Zu den Problemen von Staat und Vaterland verhielt der Beginn der Romantik sich sehr kühl, konnte doch Friedrich Schlegel sagen: »Nicht in die politische Welt verschleudere du Glauben und Liebe, aber in der göttlichen Welt der Wissenschaft und der Kunst opfere dein Innerstes in den heiligen Feuerstrom ewiger Bildung.« Eine Wandlung darin erfolgte durch einen Anschluß an die historische Denkart, die um dieselbe Zeit zum Durchbruch kam und die Gemüter überwältigend fortriß. Es vollzog sich damit eine eingreifende Wandlung des Denkens und Lebens für den Gesamtstand der Menschheit. Die Neuzeit hatte ihren eigentümlichen Charakter in möglichster Losreißung vom Druck einer tausendjährigen Überlieferung und in Entfaltung einer zeitüberlegenen Vernunft gefunden, diese Vernunft wurde ihr ein Gerichtshof, vor dem alles Bestehende sein Recht zu erweisen hatte, sie wurde ihr auch eine Macht der Gestaltung des Lebens aus der gemeinsamen Menschennatur und aus allgemeinen Begriffen. Auch die Behandlung der Geschichte trat damit unter die Herrschaft der Vernunft, diese prüfte jene daraufhin, was aus ihr zu gewinnen, namentlich aus ihr zu lernen sei; solche direkte Beziehung auf das eigene Streben und die Frage nach dem Nutzen hinderten eine reine Betrachtung und unbefangene Würdigung der Vergangenheit. Darin erfolgt nun um die Wende der Jahrhunderte und darüber hinaus eine große Veränderung. Die Geschichte befreit sich von jenem ihr auferlegten Joch und bringt ihren Tatbestand zu ungehemmter Wirkung. Unabweisbar wird nun die Forderung, sich offenen Sinns in die früheren Epochen zu versetzen, sie bei sich selbst zu erfassen, aus sich selbst zu verstehen, nach eigenem Maße zu messen. Damit tritt zugleich die Individualität der verschiedenen Zeiten und Völker in den Vordergrund, die Menschheit findet sich weit reicher, als sie bis dahin dachte, eine unermeßliche Fülle des Lebens eröffnet sich ihrem Blicke. Ja, es erwächst daraus, nicht ohne Hilfe romantischer Denkart, eine neue Philosophie der Geschichte, eine neue Fassung des Verhältnisses von Gegenwart und Vergangenheit. Die Geschichte erscheint nunmehr als eine zusammenhängende Bewegung, die, aller menschlichen Absicht und Reflexion weit überlegen, aus eigenen Kräften und nach eigenen Gesetzen in stillem Wirken und Weben sicher vorwärtsschreitet. Die Dinge scheinen hier aus eigener Natur zu werden und aus bewußtlosem Triebe zu wachsen; wie bei einem lebendigen Wesen scheint hier ein Bildungsgesetz des Ganzen alle Gestaltung des Einzelnen zu beherrschen. An diesen Strom des geschichtlichen Werdens sich anzuschließen wird auch der Gegenwart geboten, da sie damit erst einen festen Grund und eine sichere Richtung gewinne. Indem diese »organische« Denkweise auch die Verzweigung des geistigen Lebens ergreift, Staat, Recht, Sprache, Kunst usw., scheint durchgängig eine reinere und reichere Tatsächlichkeit und ein mit ihr gesättigtes Leben aufzusteigen. Überall soll der Mensch die Verhältnisse nicht mehr nach seinen Zwecken meistern, sondern sich selbst in der Hingebung an das große Werk der Geschichte innerlich erweitern, seinem Leben und Schaffen mehr Individualität und mehr seelische Nähe verleihen. So soll er z. B. das Recht nicht aus abstrakten Begriffen erschließen, sondern aus den Zeugnissen des Volksgeistes schöpfen, welche die Vergangenheit uns zuführt.

Geschichtliche Denkweise

Gewiß hat diese Sache zwei Seiten, jene geschichtliche Denkweise hat unverkennbar auch große Gefahren: zunächst läßt sich bezweifeln, ob die Geschichte aus unbewußtem Wirken heraus einen sicheren Fortgang hervorbringt, ob sie eine durchgehende Vernunft in sich selber trägt; gewichtiger noch ist das Bedenken, ob jene Fassung der Geschichte nicht das Recht der lebendigen Gegenwart arg verkümmere, ob sie den Menschen nicht in ein zu kontemplatives, tatloses Verhalten zur Wirklichkeit bringe. Aber so hoch wir diese Gefahren anschlagen mögen, sie können uns nicht daran hindern, die gewaltige Bereicherung anzuerkennen, die das gemeinsame Leben dieser romantisch-historischen Denkweise schuldet. Im besondern wir Deutsche verdanken ihr viel. Unsere große mittelalterliche Vergangenheit war wie verschüttet und begraben, unsere Kultur erschien als eine von heute und gestern, wesentliche Züge unserer Art verkümmerten dabei stark, unser Leben drohte in eine zu enge Bahn zu geraten. Wie wenig wußte man z. B. von der reichen Literatur jener Zeit, wie war ihre große Kunst halb verschollen! Nun wurden die zerrissenen Fäden wieder angeknüpft, nun gewann unser Leben wieder weitere Zusammenhänge, nun fühlten wir festeren Boden unter den Füßen, nun wurde unsere eigene Art uns mehr erschlossen, und mit der genaueren Kenntnis wuchs auch die Liebe zu unserem Volk, wuchs auch der Stolz auf seine Geschichte, auch die Freude an der heimatlichen Natur mit ihren großen Erinnerungen. Diese besonderen Erfahrungen ruhen aber auf Wahrheiten allgemeinerer Art, die auch für die Philosophie nicht verloren sein konnten.

Schelling

Während Fichte uns heute mit lebendiger Kraft zugegen ist und höchste Verehrung genießt, hat Schelling (1775–1854) mit überwiegender Ungunst zu kämpfen, die Gegenwart pflegt mehr bei dem zu verweilen, was in seiner Leistung verfehlt oder doch angreifbar ist, als bei dem, was in ihr an Großem und Fruchtbarem liegt. Sie erinnert sich seiner Naturphilosophie und verwirft sie als eine kecke Überhebung des Denkens, als eine Vergewaltigung wissenschaftlicher Forschung; sie erinnert sich auch seines späteren Versuchs, das Böse von Gott her zu erklären und alle Mannigfaltigkeit der Religionen in eine einzige, im Christentum gipfelnde Bewegung zusammenzufassen; auch hier erscheint das Verfahren als gewaltsam und dem Befunde der Wirklichkeit widersprechend. Solcher Tadel hat guten Grund, aber man sollte nicht versäumen, den Mann aus dem Ganzen und aus seiner eigenen Art zu sehen und zu verstehen; wo das geschieht, da wird auch das Große und Fruchtbare seines Lebenswerkes sein Recht erhalten, auch das Verfehlte in eine andere Beleuchtung treten, da wird zugleich verständlich werden, weshalb von den großen Denkern jener Zeit keiner unserem größten Dichter näher stand als Schelling.

Schelling und Fichte

Schelling ist von Fichte sowohl in der persönlichen Art als in der Richtung des Denkens grundverschieden. War Fichte fast ausschließlich mit dem Menschen als handelndem Wesen befaßt, und bildete ihm die übrige Welt einen bloßen Hintergrund, so ist Schelling von Anfang an auf das Ganze der Welt gerichtet, ihm faßt es sich zu einer lebendigen Einheit zusammen, aus der Verbindung damit muß der Mensch sich selbst verstehen, nur daraus kann er seinem Leben einen Inhalt und eine Größe geben; Fichte war ganz davon erfüllt, den Menschen moralisch aufzurütteln, ihn zu heben und umzuwandeln, er rief ihn zu unermüdlicher Tätigkeit auf, Schelling dagegen gab ihm mehr Verkettung mit der Welt, ein innigeres Verhältnis zu den Dingen, ihm ward die Höhe des Lebens ein künstlerisches Schauen und möglichst auch Schaffen der Wirklichkeit; drängte Fichte mit stürmischer Gewalt in eine bessere Zukunft hinein, so fesselte Schelling der Blick in die Geschichte und das Verlangen, die Welt aus ihrem Werden zu verstehen und zugleich dem Leben eine größere Tiefe zu geben; wirkt Fichte vornehmlich durch die strenge Geschlossenheit seiner Art, so tut es Schelling durch seinen Reichtum und seine Beweglichkeit; wohl geht ein gemeinsamer Grundcharakter durch all sein Wirken hindurch, aber im Nähern der Richtung und Arbeit ist Schelling immer im Fluß geblieben, er hat immer neue Einflüsse aufgenommen, sich selbst immer neue Probleme gestellt; wo immer er aber wirkte, da hat er nicht nur eine Fülle von Anregungen ausgestreut, sondern da hat er das Ganze der Behandlung ins Große und Weite gehoben, da hat er gewaltige geistige Kraft gezeigt. Im Wirken auf die Gesinnung der Menschen steht er weit hinter Fichte zurück, im Wirken auf den Stand der Kultur und des Geisteslebens ist er jenem weit voraus.

Eine nähere Verfolgung der verschiedenen Phasen seines Denkens gehört in die Geschichte der Philosophie, wir dürfen uns nach einer kurzen Charakteristik der Gesamtart auf die Gebiete beschränken, in denen seine Arbeit das gemeinsame Leben stärker bewegt hat, es sind das aber die Gebiete der Natur, der Kunst, der Religion; sie alle waren jederzeit seinem Denken gegenwärtig, aber seinen Schwerpunkt hat es nach und nach vom einen ins andere verlegt. Den Höhepunkt bildete eine künstlerische Erfassung des Weltalls und eine entsprechende Gestaltung des Lebens, hier vor allem hat Schelling zündende Ideen entwickelt und hohe Ziele vorgehalten, die auch der Gegenwart nicht veraltet sind.

Die Gesamtart Schellings wird dadurch bezeichnet, daß sich ihm das Leben mehr vom Subjektiven ins Objektive, vom Einzelnen ins Ganze verschiebt; die Welt wird ihm zur Entfaltung einer begründenden und durchwaltenden Einheit, die Dinge erkennen, das bedeutet ihre Stellung im Weltall bestimmen, sie nach Schellings Ausdruck »konstruieren«, das Leben schöpft seinen Geistesgehalt aus einem Erfassen und Erkennen des Ganzen. Dabei ist kein Zweifel daran, daß der Mensch sich in die Welteinheit versetzen und von ihr aus sein Leben führen könne. »Alle anderen Geschöpfe sind von dem bloßen Naturgeist getrieben und behaupten durch ihn ihre Individualität; im Menschen allein als im Mittelpunkt geht die Seele auf, ohne welche die Welt wie die Natur ohne Sonne wäre.« »Im Menschen allein erscheint das ganze volle Sein ohne Abbruch.« Solcher Überzeugung kann es nicht vermessen scheinen, daß der Mensch versuche, die Welt von innen her zu verstehen, vielmehr gilt dieses als seine Hauptbestimmung, und nur dies gibt seinem Leben und Handeln rechten Wert. Freilich tut dazu eine große Umwandlung not, am eignen Wesen und an der Art der Betrachtung, der Mensch darf nicht seine kleinmenschlichen Absichten den Dingen aufdrängen wollen, er darf sie nicht nach seinen subjektiven Einfällen drehen und deuten, sondern er muß sie in voller Hingebung nur bei sich selber schauen, sein Denken muß sich ganz ihrer Notwendigkeit fügen, es von ihr erfüllen und treiben lassen. Hat es aber den Zusammenhang mit den tiefsten Gründen erreicht, so darf es wagen, von ihnen aus die Welt zu entwickeln, die Wirklichkeit zu »konstruieren«.

Schellings Gesamtart

Solche Forderung einer Versetzung vom Einzelpunkt in das All zeigt eine enge Verwandtschaft mit Spinoza, hier wie da ein kosmischer Sinn, ein Sehen alles Einzelnen im Großen und Ganzen. Aber es besagt einen erheblichen Unterschied, daß die Welt sich bei Schelling nicht wie bei jenem in beharrendem Gleichgewicht befindet, sondern daß sie ein fortschreitendes Leben, eine Selbstoffenbarung des Absoluten bildet, daß wir demnach das Werden von den ersten Anfängen her entrollen, uns in die schaffenden Gründe versetzen müssen, um die Wirklichkeit zu verstehen. Damit tritt die Geschichte und eine geschichtliche Betrachtung großen Stiles in den Vordergrund; das Bild des Geschehens erhält dadurch eine besondere Spannung, daß auch das Einzelne eine gewisse Selbständigkeit erlangt, und daß damit die Bewegung zu einem unablässigen Kampf zwischen Freiheit und Notwendigkeit wird. Das gibt der Geschichte bei ihrer Größe auch eine herbe Tragik, da schließlich doch die Notwendigkeit des Objektiven über die Freiheit des Subjektiven siegen muß.

Weiter aber ist wesentlich, daß hier das Leben des Alls in den beiden einander ergänzenden Reihen von Natur und Intelligenz, von Realem und Idealem, von Bewußtlosem und Bewußtem verläuft. Solche innere Verwandtschaft von Denken und Natur läßt es nicht als unmöglich erscheinen, von jenem aus einen Weg in das Innere der Natur zu finden, wie das die Naturphilosophie versucht.

Naturphilosophie

Diese Naturphilosophie ist nur aus der eigentümlichen Lage jener Zeit heraus zu verstehen und gerecht zu würdigen. Die aufsteigende Bewegung des deutschen Lebens hatte ein starkes Kraftbewußtsein des Menschen erzeugt, sein Geist fühlte sich als Bildner und Schöpfer der Wirklichkeit; es war nicht zu verwundern, daß der vordringende Zug des Lebens auch die Natur ergriff und sie von innen her aufzuhellen, ja sie in eigenes Leben zu verwandeln unternahm. Solches Unternehmen aber brachte notwendig einen harten Zusammenstoß mit der herrschenden mechanischen Lehre. Diese hatte bei Beginn der Neuzeit die Natur von der Umstrickung und Entstellung durch menschliche Begriffe befreit und sie zuerst aus sich selbst, aus ihren eigenen Kräften und Gesetzen, zu erklären unternommen; dabei war alles seelische Element aus ihr als etwas Fremdes vertrieben, war auch das Problem des Lebens weit zurückgestellt. Das 18. Jahrhundert hatte diese Bahn in der Hauptsache weiter verfolgt, es zeigte eine besondere Stärke im Scheiden und Klassifizieren des Tatbestandes, seine Arbeit war tüchtig, aber nüchtern und trocken. Nun kam eine künstlerische Bewegung auf, stellte das Leben voran und bestand auf einem Verstehen der Welt von innen her; daß ihr bei der Natur jene mechanische Erklärung im Wege stand, daß sie auch für ihre Verdienste kein entgegenkommendes Verständnis hatte, das zeigt uns mit besonderer Deutlichkeit Goethe und sein kühles, ja wohl auch feindliches Verhältnis zu den Führern jener mechanisch-exakten Lehre. Schelling nun war es, der jenem künstlerischen Verlangen eine philosophische Verkörperung gab, der in systematischer Ausführung die Natur als ein inneres, auf sich selbst beruhendes und aus sich selbst bewegtes Ganzes zu erweisen suchte. Den Schlüssel zu einem solchen Verständnis bot ihm seine Überzeugung von der engen Zusammengehörigkeit von Intelligenz und Natur, die Überzeugung von ihrer gemeinsamen geistigen Wurzel. So scheint kühnem Mut sich ganz wohl ein Weg ins Innere der Natur eröffnen zu können. »Was wir Natur nennen, ist ein Gedicht, das in geheimer, wunderbarer Schrift verschlossen liegt. Doch könnte das Rätsel sich enthüllen, würden wir die Odyssee des Geistes darin erkennen, der wunderbar getäuscht, sich selber suchend, sich selber flieht; denn durch die Sinnenwelt blickt nur wie durch die Worte der Sinn, nur wie durch halbdurchsichtigen Nebel das Land der Phantasie, nach dem wir trachten.«

Zur Verstärkung seiner eigenen Stellung ist Schelling unablässig bemüht, der mechanischen und atomistischen Lehre ihre Schranken vorzuhalten. Er meint, durch die atomistische Erklärung erführe man nur, wie es dieser oder jener Physiker machen würde, wenn er die Natur zu schaffen hätte. Wohl sei die mechanische Physik innerhalb ihrer Grenzen »ein Meisterstück des Scharfsinns und der mathematischen Präzision«, ihre Prinzipien aber seien grundlos. Ihr Hauptfehler sei, die Natur nur als etwas Starres, Gegebenes, in einzelne Teile Zerlegtes zu betrachten; »erhebt man sich über den Standpunkt des Gegebenseins und zur Idee des Universums, so fällt alle Atomistik zusammen.« »Daß die Materie aus Teilen bestehe, ist ein bloßes Urteil des Verstandes. Sie besteht aus Teilen, wenn und so lange ich sie teilen will. Aber daß sie ursprünglich, an sich, aus Teilen bestehe, ist falsch.« Auch der Begriff der »Erfahrungswissenschaft« reizt ihn zum Widerspruch, leicht trage dabei, so meint er, der Forscher seine eigene Lehre in die Empirie hinein und gebe jene dann als ihm aus ihr entgegengebracht. »Daß nur jene warmen Lobpreiser der Empirie, die sie auf Kosten der Wissenschaft erheben, dem Begriff der Empirie treu uns nicht ihre eigenen Urteile und das in die Natur Hineingeschlossene, den Objekten Aufgedrungene für Empirie verkaufen wollten, denn so viele auch davon reden zu können glauben, so gehört doch wohl etwas mehr dazu, als viele sich einbilden, das Geschehene aus der Natur rein herauszusehen und treu, so wie es gesehen worden, wiederzugeben.« So ähnlich hätte auch Goethe sprechen können.

Die Natur als Organismus

Jener »blinden und ideenlosen Art der Naturforschung« setzt Schelling seine Naturphilosophie als eine »höhere« Erkenntnis entgegen. Diese Erkenntnis verlangt zunächst, daß der Natur ein Leben aus sich selbst, eine volle Selbständigkeit zuerkannt werde. »Die Natur ist nicht bloß Produkt einer unbegreiflichen Schöpfung, sondern diese Schöpfung selbst, nicht nur die Erscheinung oder Offenbarung des Ewigen, sondern zugleich das Ewige selbst.« Eben das sei ihr eigentümlich, daß hier das Produkt zugleich ein Produzierendes sei, daß sie mit sich selbst in Wechselwirkung stehe; eben darin erweise sie sich als ein lebendiges Ganzes, als ein Organismus. »Hätte die Natur nur mechanisch sich gebildet, so wäre sie nicht sowohl Produkt als bloße mechanische Zusammensetzung aus dem schon Vorhandenen. Ist die Welt bloß mechanisch zusammengesetzt, so muß alle spezifische Differenz schon vorausgesetzt werden. Ist aber die Welt nicht mechanisch, sondern durch organische Entwicklung aus Einer ursprünglichen Synthesis entstanden, so ist alle Qualitätsverschiedenheit im Universum selbst schon Produkt des allgemeinen Organismus.« Der allgemeine Organismus, so meint Schelling, muß allen besonderen vorangehen; »nicht das Ganze kommt aus den Teilen, sondern die Teile mußten aus dem Ganzen entspringen.« »Der Organismus ist nicht die Eigenschaft einzelner Naturdinge, sondern umgekehrt, die einzelnen Naturdinge sind ebensoviele Beschränkungen oder einzelne Anschauungsweisen des allgemeinen Organismus.« Das ist ein Versuch zur Umkehrung der gesamten modernen Naturwissenschaft, ein Wiederbeleben der Antike und der Renaissance.

Aus dem allgemeinen Begriff der Natur wird dann zu erweisen gesucht, daß ein Gegensatz von Prinzipien notwendig sei, um sie in beständiger Tätigkeit zu erhalten und sie zu verhindern, sich in ihrem Produkt zu erschöpfen; damit wird es »erstes Prinzip einer philosophischen Naturlehre, in der ganzen Natur auf Polarität und Dualismus auszugehen«, ihr Schaffen schreitet durch den Gegensatz von Positivem und Negativem, von Anziehung und Abstoßung fort.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
01 августа 2017
Объем:
200 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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