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Читать книгу: «Der Sinn und Wert des Lebens», страница 3

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Aber angenommen, das Ziel der Sozialkultur bliebe unangefochten, wie will sie die Kräfte und die Gesinnungen zu seiner Erreichung finden? Sie hofft alles von einem Handeln für andere, einem »altruistischen« Handeln, und sieht nicht, daß ein solches Handeln eine bewegende Kraft nur erlangen kann, wenn der andere nicht bloß neben mir steht, sondern mit mir durch eine innere Einheit des Lebens verbunden, in mein geistiges Selbst aufgenommen wird. Aber ein derartiger Begriff muß der Sozialkultur als schlechthin unverständlich erscheinen und die Sache als unerreichbar; jene läßt den anderen neben mir stehen und verlangt doch, daß ich meine Kraft für ihn einsetzen soll. Nie aber kann ein Mensch oder ein Ding eine starke Bewegung erzeugen, solange es nicht ein Bestandteil meines eigenen Lebens wird. Eine solche Bewegung geht nur aus innerer Notwendigkeit, namentlich aus unerträglichen Widersprüchen des eigenen Lebens hervor; nur sofern der Mensch auf sich selber steht und für sich selber schafft, kann er etwas erreichen, das auch den anderen wertvoll ist; wer vornehmlich an die Wirkung bei anderen denkt, der hat damit auf das Erstgeburtsrecht des Schaffens verzichtet. – In der Gesinnung aber setzt die Sozialkultur freundliche, wohlwollende, zahme Menschen voraus, Menschen, die kein radikales Böses kennen, nichts von wilden Leidenschaften und dunklen Abgründen der Seele wissen, denen alles Dämonische oder gar Diabolische, zugleich freilich auch alles Heroische, eine unverständliche Größe ist. Mußten wir schon früher bezweifeln, ob die Menschen so zahm, so gutartig sind, so hat der gegenwärtige Krieg solchen Zweifel wohl zu vollem Siege gebracht. Damit aber wird der Sozialkultur eine Hauptstütze entzogen, dem Bösen gegenüber hat sie keine Wehr. Bei solchen Bedenken verkennen wir keineswegs die Bedeutung edler Humanität und rastloser Hilfstätigkeit, die nach jener Richtung hin entfaltet wird, auch nicht den Wert des Strebens, alles Menschenbild zu heben und zur Selbsttätigkeit zu berufen; aber das geschieht nur unter Überschreitung der begrifflichen Schranken jener Lebensordnung, die Leistung geht hier, wie so oft, weit über die Lehre hinaus. Im besonderen erhält die Menschheit oft einen tieferen Sinn, als der eigene Boden der Sozialkultur begründet, sie wird, oft in Nachwirkung der älteren Lebensordnungen, ein hoher Idealbegriff, der echte Begeisterung erweckt. Solche Verschiebung der Begriffe macht dem Herzen der Bekenner alle Ehre, das Problem aber löst sie nicht.

Diese Gefahren und Schranken mußten auch innerhalb der Menschenkultur zur Empfindung kommen und eine Gegenbewegung erzeugen. Das ergab die Bildung einer Individualkultur, welche sich ebenfalls ganz und gar auf den Boden der Erfahrung stellt und jede Abhängigkeit des menschlichen Daseins von weiteren Zusammenhängen ablehnt, welche aber innerhalb der Erfahrung einen völlig anderen Ausgangspunkt nimmt, nämlich das Fürsichsein, den seelischen Zustand des Individuums. Indem sie die Sozialkultur als eine Mechanisierung und Schablonisierung des Lebens bekämpft, stellt sie ihr ein Leben entgegen, welches vornehmlich das Individuum zu stärken, es unter Befreiung von aller Bindung ganz auf sich selbst zu stellen und zur vollen Ausprägung seiner Eigentümlichkeit zu bringen verspricht. Indem sie alle Lebensverhältnisse und alle Lebensgebiete zu Mitteln für die Entfaltung und den Selbstgenuß des Individuums macht und zugleich alles, was von der Vergangenheit zu uns wirkt, in lebendige Gegenwart verwandelt, ergibt sich viel Freiheit und Frische, ein überströmender Reichtum verschiedener Bildungen, entsteht ein leichtbeschwingtes, freischwebendes, frohgestimmtes Leben; es wird sich selbst um so mehr zu verstärken glauben, je mehr es das Unterscheidende pflegt und den Abstand von anderen hervorkehrt; die Freude, etwas Eigenes, Unabhängiges, Unvergleichliches zu sein, wird alles Tun durchdringen und heben; Hauptgehilfen dieses Lebens werden Kunst und Literatur, natürlich in einem besonderen Sinne verstanden.

Zustimmung hat diesem Leben namentlich sein Widerspruch gegen den Massencharakter und die Gleichförmigkeit der Sozialkultur gebracht; daß es mit seiner Auflösung des Daseins in lauter Einzelpunkte und seinem Mangel alles Kernes unmöglich das Menschenleben ausfüllen und führen kann, das bedarf keiner näheren Darlegung. Nur das sei bemerkt, daß die Individualkultur im Kern ihrer Behauptung denselben Fehler begeht wie die Sozialkultur: wie diese aus der Menschheit unversehens etwas weit besseres macht als ihre Begriffe gestatten, so muß die Individualkultur das Individuum idealisieren, um es zum Hauptträger des Lebens machen und in ihm dessen Hauptzweck finden zu können. Sie denkt dies Individuum als groß und als Quell einer starken Bewegung, mit höchsten Problemen befaßt und eine Welt der Wahrheit und Schönheit in der eigenen Seele erbauend. Aber woher soll das alles innerhalb des gegebenen Daseins kommen, dem doch einmal das Individuum nur ein Glied einer weitschichtigen Verkettung bedeutet, nicht eine Stätte ursprünglichen Lebens, nicht den Durchbruchspunkt einer neuen Welt. Wie die Individualkultur das Individuum versteht, kann die ihm beigelegte Selbständigkeit nur eine erträumte und das daraus entstehende Leben nur ein eingebildetes sein. Schätzbare Anregungen im einzelnen und manche vollberechtigte Kritik seien dabei dieser Individualkultur bereitwillig zugestanden.

So scheitert die bloße Menschenkultur in jeder der Richtungen, die sie einschlagen kann, und zwischen denen sie wählen muß; weder das Zusammenstreben noch das Auseinandergehen der Menschen gibt dem Leben einen Sinn und Wert und läßt die Seele ein Beisichselbstsein erreichen. Denn auch die Individualkultur gelangt nicht zu einem solchen, da sie die Seele in lauter einzelne Lagen und Stimmungen zersplittert, ohne ihnen eine Einheit des Wesens und eine Innenwelt entgegenzusetzen. Wenn die Ausführung beider Arten der Menschenkultur die Oberfläche überschreitet, so tut sie das in schroffem Widerspruch mit der Grundbehauptung des Ganzen.

Das empfindet auch die Gegenwart immer stärker, schon vor dem Kriege war vielfach das Bloßmenschliche als viel zu klein erkannt und mit dem Überdruß an seinem selbstgefälligen Gebaren eine tiefe Sehnsucht nach Durchbrechung seiner Schranken und nach Erringung eines weiteren, reineren, wahreren Leben erwacht. Augenscheinlich wurde, daß die Ablösung des Menschen von der großen Welt und die Bildung eines Sonderkreises ihn einer Enge und Kleinheit überliefert, die er selbst auf die Dauer nicht aushält, die ihm die Tiefe seines eigenen Wesens verschließt. So hörten wir viel von Übermenschlichem und von Übermenschen reden. Aber alle echte und innige Sehnsucht, die aus solchem Streben spricht, führt über ein ungestümes Wogen und Wallen der Seele nicht hinaus, wenn dieses Übermenschliche innerhalb der Welt der Erfahrung gesucht wird. Denn viel zu streng binden hier den Menschen Natur und Schicksal, und zwar mehr noch von innen als von außen, als daß ein kühner Aufschwung ihn davon befreien und ein neues Leben schaffen könnte. Es muß das Menschenwesen überhaupt einer inneren Umwandlung und Erhöhung fähig sein, wenn der Einzelne wesentlich mehr aus sich machen soll; sonst ist alles Mühen verloren. Der Krieg hat uns diese Wahrheit noch stärker eingeprägt, er stellt uns die Unzulänglichkeit des bloßen Menschen und damit aller bloßen Menschenkultur so deutlich vor Augen, daß nur eine flache Denkweise sich folgendem Dilemma entziehen kann: entweder steht das Menschenleben in tieferen Zusammenhängen und schöpft aus ihnen neue Ziele und Kräfte, welche die bloße Wohlfahrt des Menschen überschreiten, oder das ganze menschliche Sein ist eine, freilich unbegreifliche, Verirrung des Weltlaufs, und alles Streben nach einem Sinn und Wert unseres Lebens ist zu sicherem Scheitern verdammt. Es wäre ein großer Gewinn unserer harten Zeit, wenn sie uns dieses Entweder – Oder klar durchschauen ließe und damit allen verwirrenden und verflachenden Mittelgebilden ein dauerndes Ende bereitete.

Erwägungen und Vorbereitungen

Wir sahen, daß es der Gegenwart an Bestrebungen nach kräftiger Zusammenfassung des Lebens keineswegs fehlt, auch daß diese Bestrebungen in Vorhaltung beherrschender Ziele den Lebensstand schärfer beleuchtet und das Handeln vielfach aufgerüttelt haben. Aber wir sahen auch, daß keine dieser Bestrebungen sich zu sicherer Herrschaft über die anderen hinaushebt, daß sie nicht nur weit auseinandergehen, sondern einander schroff widersprechen und das Leben unter widerstreitende Antriebe stellen. Besonders gilt das von dem Gegensatz der älteren und der neueren Denkart, der Versuch einer Ausgleichung verbietet sich bei ihm ganz und gar. Hatte die ältere Denkart, namentlich die religiöse, alle Hingebung an die sichtbare Welt als einen Raub an einer höheren Ordnung und als ein Sinken des Lebens von unerläßlicher Höhe behandelt, so besteht die neuere um so mehr auf einer vollen Selbständigkeit, ja Ausschließlichkeit dieser Welt, so gilt ihr alle Befassung mit übersinnlichen Dingen als eine Verirrung des Strebens und eine Vergeudung der Kraft; des einen Gott ist dem anderen zum Abgott geworden. Da ein so harter Widerspruch ein freundliches Sichvertragen unbedingt ausschließt, so müßte eine der Antworten die Oberhand gewinnen; auch das aber zeigte sich als unmöglich. Die Lebensordnungen, die auf dem Boden der älteren Denkart stehen, wie Religion und weltlicher Idealismus, entbehren in der Kulturarbeit der Gegenwart einer sicheren Begründung und festen Stellung, die modernen Denkweisen aber entsprechen viel zu wenig den durch die Gesamtgeschichte der Menschheit eröffneten Tiefen des Lebens, um einen Abschluß bieten zu können; so finden wir das Alte erschüttert, auch vielfach in einer für uns zu engen Gestalt, das Neue aber verbleibt in einer Fläche, über die wir notwendig hinausgehen müssen. Dazu spalten sich die Hauptströme wieder in verschiedene Äste mit weit auseinandergehender Richtung. Auf dem Boden der unsichtbaren Welt sieht die Religion am Menschen die Schwäche, der weltliche Idealismus die Stärke; jene spaltet die Wirklichkeit, diese verlangt ihre Einheit. Innerhalb der modernen Daseinskultur aber ziehen die Versuche einer Einfügung des Menschen in die Natur und einer Ausbildung seines besonderen Kreises nach verschiedener Richtung, jene wird dieser leicht zu kalt und seelenlos, diese jener zu eng und dumpf. Und die Unversöhnlichkeit von Sozial- und Individualkultur trat mit voller Klarheit vor Augen.

Indem alles dies nicht nur Verschiedenartige, sondern Entgegengesetzte auf uns eindringt, und dabei gerade das Streben nach Einheit die Geister auseinanderführt und ihre Zerwerfung steigert, entsteht eine geistige Anarchie, deren buntes Durcheinander den Augenblick ergötzen mag, die aber für die Dauer zur Zerstörung wirken muß. Denn sie macht alles ungewiß, was bisher als sicherer Besitz galt, und läßt Zweifel und Streit an den tiefsten Wurzeln des Lebens nagen. Die Neuzeit stritt zuerst über die nähere Fassung und Begründung der Religion, schließlich wird ihr das Ganze der Religion zur Frage; vor den Verwicklungen der Metaphysik fliehen wir in das Gebiet der praktischen Vernunft und suchen in der Moral eine unangreifbare Wahrheit, bald aber wird auch diese zunächst in ihrer überkommenen Fassung, dann aber auch im Grundgedanken angegriffen und erschüttert. Gegenüber solchem Unsicherwerden ganzer Lebensgebiete schien wenigstens der Mensch als Ganzes, als lebendige Persönlichkeit, zu bleiben und einen gewissen Halt zu gewähren, aber auch hier zeigt ein genaueres Zusehen bald, daß der Streit sich auch auf jenen vermeintlich sicheren Träger erstreckt, und daß im Begriff der Persönlichkeit ganz verschiedene, ja entgegengesetzte Fassungen durcheinanderlaufen; eben das, was dem einen an ihr groß erscheint, das erklärt der andere für verwerflich. Die Ausdehnung und die Tiefe der Erschütterung entgeht uns leicht, weil der Einzelne sie zunächst nur im Gebiet seiner eigenen Arbeit empfindet und annimmt, daß es draußen besser steht. Ein Überblick des Ganzen zeigt aber bald, daß die Unsicherheit eine durchgängige ist, und daß keinerlei gemeinsames Lebensideal die heutige Menschheit verbindet. Alles miteinander ergibt eine geistige Krise, wie sie so gewaltig in der ganzen Vergangenheit nicht war, denn auch die größten Umwälzungen früherer Zeiten beließen eine gewisse Gemeinsamkeit des geistigen Lebensraumes, sie veränderten mehr die Wege als die letzten Ziele selber. Heute gibt es in prinzipiellen Fragen keinen einzigen Punkt, auf den wir uns aus der Verwirrung als auf ein gemeinsames Bekenntnis zurückziehen könnten.

Eine derartige Auflösung versetzt eine hochentwickelte Kultur in eine höchst peinliche Lage. Zahlreiche Kräfte sind da und fordern Beschäftigung, eine genügende Bindung aber und eine sichere Zielrichtung fehlt; so suchen sie tastend umher und erzeugen statt echten Lebens mehr ein bloßes Lebenwollen, ein Sehnen und Haschen nach Leben. Das ist ein Stand, wo eine freischwebende Reflexion die Stelle geistigen Schaffens erschleicht, wo eine flache Klugheit eine ungebührliche Macht erlangt, eine große Gewandtheit oft mit innerer Leere zusammengeht, wo wir alles sagen können, was wir sagen wollen, wo wir nur nichts Rechtes zu sagen haben. Ein solches Leben entbehrt wie eines gehaltvollen Kernes, so auch eines festen Haltes und eines sicheren Maßes, es läßt den Menschen wehrlos gegen all den Wirbel von Eindrücken und Anregungen, der unaufhörlich auf ihn eindringt, zugleich macht es ihn unfähig, Wesenhaftes und Wesenloses, Wahres und Scheinbares, Bedeutendes und Unbedeutendes im Bestande der Zeit auseinanderzuhalten, alles fließt ihm durcheinander, und der Wechsel der Strömungen der Zeitoberfläche wirft ihn bald hierher, bald dahin, läßt ihm aber dabei den Schein, als ob er selber denke.

Dazu die Zersplitterung der Menschheit, die ein solches Auseinandergehen des Lebens erzeugt. Indem die Individuen nach der Besonderheit ihrer Art, ihrer Lage, ihrem Beruf an verschiedenen Punkten Stellung nehmen und verschiedene Richtungen wählen, entsteht eine Sonderung in Sekten und Parteien, es droht ein Behandeln aller Probleme vom Standpunkt der Partei, ein Verschwinden innerer Gemeinschaft, die Gefahr einer seelischen Vereinsamung inmitten aller Fülle äußerer Berührung. Unsere Welten spalten sich immer mehr, bis schließlich jeder nur in seiner Privatwelt lebt. Eine solche innere Vereinsamung erträgt die Menschheit nicht auf die Dauer. Zugleich muß auch der Stand des geistigen Schaffens sinken. Und mit dem Schaffen sinkt auch der Glaube, sein Zwillingsbruder. Vollauf verständlich wird von hier aus, wie unsere Zeit, im Durchschnitt des Kulturbürgertums betrachtet, sich als eine Zeit des Unglaubens, des Mäkelns und Verkleinerns darstellt, des Unglaubens nicht an bloße Dogmen, sondern an das Leben selbst und an sein Vermögen zur inneren Erhöhung und Erneuerung. Was daraus an Stockung und Hemmung hervorgeht, das wiegen alle äußeren Erfolge nicht auf.

Eine derartige Lage mag so lange keinen tiefen Schmerz bereiten und keine Gegenbewegung erzeugen, solange der Einzelne sie nur wie ein draußen vorgehendes Schauspiel betrachtet; sie muß unerträglich werden, sobald sie zur eigenen Erfahrung, zum eigenen Erlebnis wird. Daß sie das aber wird, dahin wirkt der gegenwärtige Weltkrieg mit elementarer Gewalt; um den ungeheuren Aufgaben und Schicksalen nicht zu erliegen, die er uns bringt, bedarf der Mensch eines festen Haltes und eines sicheren Zieles; eine Kultur, die ihm das nicht bietet, droht zum bloßen Schein zu werden, zu einem Kulturersatz, wie man das mit einer heutigen Wendung sagen könnte.

Aber so schwer wir das alles nehmen, vergessen sei nicht, daß keineswegs unser ganzes Leben in die geschilderten Gegensätze aufgeht, daß vielmehr manches in ihm von der Verwicklung unberührt bleibt. Denken wir nur an das kräftige nationale Leben der Gegenwart, an die moderne Wissenschaft, an die moderne Technik! Unsere Zeit ist grundverschieden vom ausgehenden Altertum, dem es zu Unrecht oft gleichgestellt wird; denn während damals eine greisenhafte Ermattung durch die Gemüter ging und außer der Religion sich alle Lebensgebiete in trauriger Stockung befanden, sehen wir heute die regste Tätigkeit, ein gewaltiges Vordringen an manchen Stellen, ein Erwachen immer neuer Probleme. Darin freilich liegt die Schranke, daß die Bewegung mehr auf die einzelnen Gebiete als auf das Ganze des Menschen geht, daß die Expansion die Konzentration weit überwiegt, daß die verschiedenen Antriebe und Ansätze sich nicht zueinander finden. Hier ist ein schweres Problem, ja ein gefährlicher Notstand unverkennbar; aber diese Begrenzung der Frage ist doch eine entschiedene Abweisung eines völligen Pessimismus.

Auch das wollen wir ja nicht übersehen, daß die Bildung so verschiedener Lebensströme nicht nur eine Schwäche, sondern auch eine Stärke der Gegenwart bedeutet. Zeigt dieser Reichtum von Bildungen doch, daß wir den verschiedenen Anregungen eine große Offenheit entgegenbringen und die Lebensfragen mit besonderer Energie ergreifen; so kommt vieles erst jetzt zur deutlichen Aussprache, was früher verborgen blieb oder doch abgeschwächt wurde. Die Gegensätze, unter denen wir jetzt leiden, sind wahrlich nicht von gestern und heute, jede genauere Betrachtung entdeckt sie auch in früheren Zeiten. Aber zu unversöhnlichen Widersprüchen sind sie erst uns gewachsen, die wir, schon weil wir geschichtlich denken und die Zeiten miteinander vergleichen, das Eigentümliche und Unterschiedliche der Lebensgestaltungen schärfer sehen, zugleich aber aus einem stärkeren Einheitsverlangen uns nicht wie das Mittelalter mit einem bloßen Nebeneinander und einer geschickten Abstufung der verschiedenen Gestalten begnügen können. So ist nicht sowohl unser Vermögen kleiner als die Aufgabe größer geworden; die Aufgabe aber hat nicht menschlicher Eigensinn ersonnen, es legt sie uns eine weltgeschichtliche Notwendigkeit auf. Sie ist uns zunächst ein Geschick, aber ein Geschick, das wir in Freiheit verwandeln und zugleich zu einer inneren Erhöhung unseres Lebens wenden können.

Endlich sei auch das erwogen, daß, wenn ein letzter, allumfassender Abschluß überall auf unüberwindlichen Widerspruch stieß, dieser Widerspruch selbst auch ein positives Verlangen zu erkennen gab und dem Streben damit eine gewisse Richtung wies. Die Religion scheint uns nicht fest genug begründet, nicht weil die ganze Zeit von Zweifelsucht befallen ist, sondern weil wir höhere Ansprüche an den Erweis ihrer Wahrheit stellen, sie nach dem Stande des Geisteslebens notwendig stellen müssen. Ihre Gestaltung erscheint uns als zu eng, nicht weil uns der Sinn für charaktervolle Geschlossenheit verloren ging, sondern weil unser Leben durch Erfahrung und Wandlung hindurch eine größere Weite gewonnen hat, und die Religion ohne schwere eigene Schädigung sich dieser Erweiterung nicht entziehen darf. Auch der weltliche Idealismus scheint uns nur deshalb nicht sicher genug begründet und nicht voll unser Wesen durchdringend, weil neue Erfahrungen neue Forderungen in dieser Richtung zu stellen zwangen. Daß der Naturalismus unsere Seele nicht befriedigt, und daß uns die Ziele der Menschenkultur in ihren beiden Hauptformen als unzulänglich gelten, das bekundet ein Verlangen nach einem Beisichselbstsein des Lebens und ein Hinausstreben über alles selbstsatte Menschentum. So steht durchgängig hinter der Verneinung eine Bejahung, es gilt nur die verschiedenen Bejahungen aus der Unbestimmtheit und Verworrenheit herauszuarbeiten und zueinander in Beziehung zu setzen. Gewisse Punkte sind damit festgelegt, gewisse Aufgaben uns gewiesen. So zweifellos sich daher die Gegenwart als höchst unfertig und voller Verwicklung darstellt, sie bringt an uns große Ziele und ruft unsere Kraft zu höchster Anspannung auf.

Hüten wir uns also, von dieser Zeit wegen jener offenen Fragen gering zu denken! Keine Zeit hat die Möglichkeiten des Lebens in solcher Fülle ergriffen und mit solchem Eifer behandelt, keine die Probleme in solchem Umfang aufgenommen und so sehr aus Selbsttätigkeit wie aus eigener Erfahrung zu lösen versucht. Freilich sind die Probleme einstweilen größer als unser Vermögen zur Lösung, aber dies Vermögen ist nicht an eine starre Grenze gebunden; warum sollte es nicht so gut wie auf den besonderen Gebieten auch bei diesen zentralen Fragen einer Steigerung fähig sein und uns der Aufgabe mehr und mehr gewachsen machen? Stellen wir uns also zur gegenwärtigen Lage aktiv, verlieren wir nicht den Mut, und vertrauen wir darauf, daß in dem Streben über sie hinaus nicht der Mensch zum gegebenen Lebensstande aus eigener Klugheit etwas hinzuersinnt, sondern daß das Ganze des Lebens selbst in einem Streben zu neuem Aufstieg begriffen ist, wir aber im Dienste dieses Aufstiegs unserem eigenen Streben einen Gehalt, ja eine Größe zu geben vermögen.

Für die Denkarbeit gilt es vor allem die Richtung des Weges zu finden, der uns über die gegenwärtige Verwicklung hinausführen kann; es handelt sich für sie zunächst darum, welches Ziel dem Streben vorschweben muß, sodann darum, welche Wege zu diesem Ziele offenstehen. Was das erste betrifft, so bedürfen wir zweifellos einer Tatsächlichkeit allumfassender Art, näher einer Gesamttat, welche über die geschilderten Gegensätze hinauszuheben und ein Auseinanderfallen des Lebens zu verhüten vermag. Ohne das gibt es keine Einheit und auch keine Festigkeit. Aber zugleich gilt es klarzumachen, wie mit der überlegenen Einheit einer solchen Gesamttat die Verschiedenheit der Lebensbahnen vereinbar ist, die wir vorhanden sahen. Es muß in der Art, wie wir Menschen zu jener Gesamttat stehen, angelegt sein, daß wir sie nur von verschiedenen Seiten her erfassen können, daß daher, was als Einheit zugrunde liegen muß, zugleich ein hohes Ziel und eine schwere Aufgabe bildet. Der Boden aber, von dem aus nach jener Gesamttat zu streben ist, kann kein anderer sein als das Leben selbst, nicht irgendwelches draußen befindliche Datum, das Leben im Ganzen betrachtet, nicht in einzelnen Betätigungen, auch nicht als bloßes Denken. Wenn irgendwie, so muß sich von jenem aus ein Weg zum Ziel finden lassen. Denn das Leben ist das Erste und Ursprünglichste, das, worauf alles zurückkommt, und innerhalb dessen alles vorgeht; das, was niemand leugnen kann, da das Leugnen selbst einen Erweis des Lebens bilden würde. Wenn also jene Gesamttat, von der wir einen Zusammenhang des Lebens hoffen, überhaupt erreichbar ist, so muß sie nicht nur vom Leben aus, sondern innerhalb des Lebens erreichbar sein. Sehen wir also, ob eine Durchmusterung seiner in Wahrheit etwas derartiges aufdeckt. Finden können wir jenes aber nur, wenn wir das Leben nicht wie etwas Fremdes betrachten, das wie ein Naturprozeß nur an uns vorgeht, sondern wenn wir uns in seine eigene Bewegung versetzen, es als eigenes ergreifen, es selbst zu erleben suchen. Es gilt, den Tatbestand, der hier in Frage steht, das Zusammengehen des Lebens in eine umfassende und überlegene Gesamttat, in uns selbst zu erwecken und bei uns zu entwickeln, nur eine Kräftigung und Vertiefung des eigenen Lebens kann uns das Ganze naherücken. So muß das Streben selbst eine Lebensbewegung in sich tragen; ohne den Mut und die Kraft zu geistiger Selbsterhöhung und zur Bezwingung der Widerstände kommen wir hier nicht weiter. Einem solchen Emporklimmen aber wird alles eine Bereitschaft entgegenbringen, was in der Menschheit nicht greisenhaft, sondern jugendlich fühlt; Jugend aber mißt sich bei diesen Dingen nicht nach der Zahl der Jahre.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
11 августа 2017
Объем:
190 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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