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Auf der Fahrt beschäftigte ihn bereits sein neuer Auftrag, den er durch Lenas spontane Abreise nun einige Tage früher in Angriff nehmen konnte. Der Guardian, eine der seriösen englischen Zeitungen, plante einen Schwerpunkt mit Artikeln über die politische Neuordnung und die neuen Machthaber in Afrika. Der Redakteur, für den Niels schon einige Male gearbeitet hatte, wollte ihn auch diesmal wieder dabeihaben.

2

Es war nicht nur die Temperatur von fast vierzig Grad, die der Gesellschaft auf der überdachten Terrasse des Nobelhotels Ledger Plaza zu schaffen machte, sondern noch mehr die extreme Luftfeuchtigkeit, die am frühen Nachmittag in Bangui, der Hauptstadt der Zentralafrikanischen Republik, herrschte.

Den Besuchern der Regierung und den Journalisten klebte die Kleidung am Körper und sogar den anwesenden einheimischen Militärs lief der Schweiß in Bächen in die Krägen der Uniformen. Manche von ihnen fluchten darüber, dass die Pressekonferenz nicht im Theatersaal des Hotels stattfand, der den etwa zweihundert Gästen bequem Platz geboten hätte und klimatisiert war.

Bronsteen stand noch in seiner angenehm kühlen Suite, hatte das Sakko des hellgrauen Leinenanzugs ausgezogen, wischte sich mit einem feuchten Tuch die Stirn und sah durch den schmalen Spalt zwischen Gardinen und Fenster hinunter auf die Gesellschaft. Er schmunzelte ob der Versuche der Damen, sich mit den Einladungskarten kühle Luft zuzufächeln, und über die steinernen Mienen der Generäle, in ihren dunklen Uniformen, den großen rotbraunen Tellerkappen und den billigen Blechorden an der Brust. Auf ihn wirkten sie wie Figuren eines Karnevalsumzugs.

Er zog seine dunkelgrüne Seidenkrawatte zurecht und beschloss, sie noch etwas warten zu lassen. Ein emotionales Machtspiel, das er sich im Laufe seiner Karriere zunutze gemacht hatte – wer auf ihn wartete, war automatisch in einer schwächeren Position, das festigte die eigene Stellung. Das schien ihm gerade für die heutige Pressekonferenz von Bedeutung, denn in den nächsten Minuten ging es für ihn persönlich um viel und bei den rücksichtslosen Kräften, die in dem Land herrschten, war das Eis recht dünn, auf das er sich gerade begab.

Nach dem gewaltsamen Machtwechsel durch die Rebellenallianz rund um den Führer Djotodia, der sich selbst zum Staatschef ausrief, versank das Land für kurze Zeit im totalen Chaos. Aufgrund der internationalen Empörung über den Staatsstreich und dem massiven Druck von außen, setzte sich Djotodia aber bald nach Benin ab, was den Weg für Wahlen freigab. Was blieb, waren die bewaffneten Rebellengruppen, von denen jede versuchte ihre eigene Suppe zu kochen, und die gewaltige Bestechlichkeit von Verwaltung und Militär auf Kosten einer immer weiter verarmenden Bevölkerung.

Aus der Ferne beobachtete Bronsteen die Vorgänge seit dem Zeitpunkt, an dem der blutige Putsch, der achthunderttausend Menschen in die Flucht trieb, seine Aufmerksamkeit erregt hatte. Er erkannte die ungeahnten Möglichkeiten, die sich hier für einen Rüstungsbetrieb boten, denn zwei Dinge hatten alle rivalisierenden Gruppen gemeinsam: Sie brauchten Unmengen von Waffen und saßen auf bedeutenden Uranlagerstätten, dem begehrten Rohstoff der Nuklearindustrie. Diese Kombination war ideal für ein vielversprechendes Tauschgeschäft.

Die möglichen Partner dafür zu finden war in einem derart korrupten Land eine leichte Übung. Die Schwierigkeit war, unbemerkt im Land agieren zu können, um an die entscheidenden Leute heranzukommen, ohne dass die internationalen Behörden Verdacht schöpften.

Ein erster Schritt in die passende Richtung ergab sich, als die Vereinten Nationen zur Sicherung des erreichten Waffenstillstands in der heiklen Region die Stationierung von UN-Blauhelmen durchsetzten.

Der entscheidende Durchbruch kam dann mit der Meldung, dass in diesem Zusammenhang mehrere Rebellengruppen, darunter acht der führenden Clans, die Freilassung tausender Kindersoldaten zugesagt hätten. Diese mit Gewalt rekrutierten Kinder – eingesetzt als Kämpfer, Spione und Sexsklaven – fand man überall in Afrika und die Menschen in der Zentralafrikanischen Republik litten darunter besonders. Im Weiteren hieß es in dem Artikel, dass es noch keinen konkreten Fahrplan für die Wiedereingliederung der Kinder und für deren Umerziehung gäbe, da an allen Ecken die Mittel dafür fehlten.

Das war der Angelhaken für Bronsteen – Geld. Die nächsten Aktionen waren die Bereitstellung eines Sonderbudgets für humanitäre Hilfe aus seiner privaten Stiftung und ein Anruf bei einem langjährigen Parteifreund, einem Kommissär im Sozialrat der Vereinten Nationen, zuständig für das Kinderhilfswerk.

Es fehlte nur noch der gelungene Abschluss seiner Bemühungen die Tür in dieses Land aufzustoßen, um die Dinge ins Laufen zu bringen. Das war diese große Pressekonferenz vor der versammelten Führungselite des Landes, die meisten davon gierig auf seine Kontakte und die Chance auf fette Provisionen für die eigene Tasche. Und der Auftritt war makellos für Bronsteens Image: Förderer eines UNICEF-Projekts für Kindersoldaten. Ein perfekter Deckmantel, unter dem man mit den wichtigen Drahtziehern des Landes auch alle anderen Dinge erledigen konnte.

Gemessenen Schritts und mit einem knappen Kopfnicken in Richtung der Wartenden ging Bronsteen zum Rednerpult. Fünfzehn Minuten hatte er sie in der prallen Sonne sitzen lassen. Nun war er der einzige mit guter Laune und ohne dunkle Schweißflecke am Sakko.

Seine langjährige Vertraute Sarah, die Leiterin der Forschungsabteilung des Rüstungskonzerns, saß in der ersten Reihe. Die schlanke, weltgewandte Rotblonde war Bronsteens Protegé, seit er sie nach ihrer Promotion direkt von Yale in den Konzern geholt hatte. Durch rücksichtslosen Einsatz ihrer Intelligenz und ihrer Attraktivität stieg sie binnen kurzem zu seiner engen Vertrauten auf, die in die Winkelzüge eingeweiht war. Sie zog dezent den Applaus an und alle Besucher fielen ein.

»Meine Herrschaften! Liebe Freunde, danke!«, sagte Bronsteen noch während er zum Podium hochstieg und hob die Hand als Dank für den Beifall. »Ich bin nicht hier, um mich feiern zu lassen, sondern stehe in aller Demut vor den Problemen, um einen kleinen Beitrag zu leisten, die Situation für die Jugend dieses Landes zu verbessern. Ich tue das in enger Abstimmung mit dem Kinderhilfswerk UNICEF und danke den Vereinten Nationen, mir die Möglichkeit zu geben, hier helfend mitzuwirken. Meine Stiftung stellt sich ab heute ohne Einschränkung in den Dienst der Sache. Wir haben daher fünf Millionen US-Dollar als Ersthilfe für ihr Land bereitgestellt, um die Wiedereingliederung der Kinder in Gang zu bringen. Es wird gewiss nicht einfach, aber wir haben die Zuversicht auf unserer Seite!«

Allgemeiner Beifall – diesmal spontan. Bronsteens mitreißende Art zu sprechen und die genannte Summe wirkten auf die Gesellschaft auch ohne Unterstützung.

Sarah gefiel fast alles an diesem smarten Einzelgänger mit den perfekten Umgangsformen, vor allem aber bewunderte sie seinen Mut und seinen Weitblick in geschäftlichen Dingen. Auch der heutige Tag war wieder ein Beweis dafür, wie zielsicher und mit welch perfektem Timing er Menschen manipulierte.

Fünf Millionen für Kinder, dachte sie, und dafür Schürfrechte für Uran und Aufträge für Waffenlieferungen an die Herrn in den Uniformen im Publikum. Aber so war Bronsteen, mit einer Hand gab er den Leuten etwas und mit der anderen nahm er ihnen ein Vielfaches davon wieder ab. Eine Eigenschaft, die ihn reich und zu einem der weltweit bedeutendsten Rüstungsproduzenten gemacht hatte.

»Ich stehe hier«, fuhr Bronsteen wie immer ohne Notizen sprechend fort, »als einer der weiß, was Krieg bedeutet, der weiß, was Angst bedeutet, der weiß, was es bedeutet, sich im eigenen Land bedroht zu fühlen. Und ich bin mir meiner Verantwortung für diese Welt sehr wohl bewusst. Denn unser Konzern versteht sich nun schon in der dritten Generation als Beitrag zur Sicherheit, um sich im Falle eines Angriffs verteidigen zu können, und leistet damit seinen Teil für den Erhalt des Friedens, den wir uns alle so sehr wünschen.«

Er lehnte sich vor aufs Pult und senkte seine Stimme. »Nun werden Sie auch verstehen, warum mich gerade die Situation dieser Kinder so betroffen macht. Sie sind die Ärmsten in diesem wunderbaren Land – ahnungslos, getäuscht und schamlos für fremde Zwecke missbraucht. Aber, meine verehrten Freunde, sind unsere Kinder nicht das, worauf wir unsere Zukunft bauen und unser eigentlicher Reichtum? Verdienen sie nicht, dass wir alles tun, damit sie ein geordnetes Leben in Freiheit haben?«

Es war still geworden. Einige Frauen der Politiker zerdrückten eine Träne – zumindest taten sie so.

»Das Leben dieser Kinder wird sich zum Besseren ändern, denn wir werden in ihre Zukunft investieren«, kam Bronsteen nun zur Botschaft für die versammelte Presse, damit sie morgen darüber auch in seinem Sinne berichten würden. »In wenigen Tagen reist die erste Gruppe nach Frankreich, wo die gleiche Sprache eine Integration erleichtert, in ein eigens dafür errichtetes Camp. Hier, betreut von den weltweit besten Pädagogen, wo sie ein neues Selbstverständnis erlernen und menschliche Wärme spüren dürfen. Ich mache das nicht als humanitäre Marotte, sondern weil wir alle, wir Erwachsenen, die wir nicht in Frieden miteinander auskommen können, das Leben dieser Kinder in eine Hölle verwandelt haben. Und es ist unsere verdammte – verzeihen Sie mir das emotionale Wort – unsere verdammte Pflicht und Schuldigkeit, diesen jungen Menschen ihr Leben zurückzugeben. Wir lassen sie in dieser schweren Zeit nicht alleine!«

Die Besucher erhoben sich von den Sitzen und applaudierten – die Militärs, um zu zeigen, dass auch sie gegen Kinder als Soldaten waren, die Politiker, weil die Presse anwesend war und die Journalisten, weil sie eine tolle Headline für die morgige Ausgabe hatte.

Sogar General Ndogar, der neben Sarah saß und der Rede mit steinernem Gesicht gefolgt war, stand auf und nickte beifällig.

Sarah war begeistert, wie jedes Mal wenn sie Bronsteen reden hörte. Niemand sonst konnte Dinge auf eine derart überzeugende Art sagen. Sie ging rasch voraus in den gemieteten Sitzungssaal des Hotels, um nochmals zu kontrollieren, ob alles für das folgende Gespräch mit Ndogar vorbereitet war. Sie hoffte, dass auch Ducca rechtzeitig zur Sitzung eintreffen würde, die nach dem kurzen Presse-Cocktail auf der Terrasse stattfand. Zum Unterschied von anderen Geschäftsleuten liebte Bronsteen Gespräche mit Journalisten. Er spielte eloquent mit ihnen und nutzte die Möglichkeit Informationen in die richtigen Kanäle zu verteilen.

Die Maschine aus Rom landete planmäßig in Bangui am M’Poko International Airport. Cesare Ducca sah auf die Uhr – es war kurz nach halb drei, Bronsteen würde gerade seine Rede halten. Als er ins Freie trat, legte sich die Hitze wie ein feuchtwarmes Tuch über alles. Sie nahm den Passagieren aus dem klimatisierten Airbus A321 beinahe die Luft zum Atmen.

Ducca ging direkt in die Halle, er hatte für die zwei Tage Aufenthalt nur Handgepäck, und schaute suchend in die Runde. Hinten, in der letzten Reihe der Wartenden, entdeckte er einen jungen baumlangen Schwarzen in einer grauen Hoteluniform, der ein Schild mit der Aufschrift Dussa hochhielt. Damit war wohl er gemeint.

Am Parkplatz deutete der Hotelboy auf einen alten, verbeulten Peugeot 504. Ducca, der es gewohnt war in standesgemäßen Fahrzeugen chauffiert zu werden, blieb beinahe entsetzt vor dem Fahrzeug stehen. Sein Fahrer hob beide Arme mit einer hilflosen Geste und entschuldigte sich mehrmals. Wegen der vielen hohen Gäste bei der Pressekonferenz waren weder Limousinen noch Fahrer frei gewesen, so wurde er, der Rezeptionist des Hotels, mit seinem Privatauto geschickt, um den Bankier abzuholen. Er sagte das nicht gerade freundlich, wahrscheinlich war sein Dienst lange zu Ende und die Abholung störte die Pläne für den weiteren Tag.

Das Hotel lag nur sechs Kilometer vom Stadtzentrum entfernt, trotzdem wurde die Fahrt im dichten Verkehr auf den heißen Kunstledersitzen des alten 504er zur Qual. Wegen des schwülen Klimas kurbelten sie alle Fenster hinunter, um durch den Fahrtwind etwas Abkühlung zu schaffen. Das zog aber auch den Gestank der unzähligen Mopeds ins Innere, die sich, bläulich qualmenden Rauch verbreitend, von allen Seiten an der Autokolonne vorbeiquetschten. Überhaupt schien hier jegliche Verkehrsregelung außer Kraft genommen und von einem anhaltenden Hupkonzert ersetzt zu sein.

Ducca schnaufte, riss sich die Krawatte herunter und öffnete sein Hemd. In Rom war es am Morgen sehr kühl gewesen, so trug er zum Sakko ein Hemd mit langen Ärmeln und darunter noch ein Rippshirt. Er war zum ersten Mal in Zentralafrika und er hasste es bereits. Er legte die Hand aus dem Fenster. Das blanke Metall außen am Fahrzeug war jedoch so heiß, dass er sich den Unterarm verbrannte.

»Cazzo!«, zischte er zornig. »Verdammte Scheiße! Ich wäre besser zu Hause geblieben.«

Der blasse, untersetzte Mitfünfziger mit sorgsam gepflegter, grauer Fönfrisur und den dunklen buschigen Augenbrauen, schwitzte auch bei geringer Anstrengung stark und hasste jegliche Hitze. Am wohlsten fühlte er sich in luftigen Armani-Anzügen hinter seinem Schreibtisch im klimatisierten Büro. Er war Mitbesitzer der römischen Banco Merini, eine kleine Privatbank, die er, gemeinsam mit einer Villa am Stadtrand Roms und einem Penthouse im Zentrum mit Blick auf die Engelsburg, von seinem Vater geerbt hatte. Schon Sergio, Duccas Vater, spezialisierte sich auf die exklusive Betreuung von nur wenigen betuchten Kunden aus der Industrie. Als die Bank dann nach der Übernahme durch Cesare kurzfristig in die roten Zahlen rutschte, griff ihm Bronsteen unter die Arme. Seitdem hatte die Bank einen neuen Mehrheitseigentümer und nur noch einen einzigen Kunden. Für viele Geschäfte, die Bronsteen neben dem Konzern laufen ließ, war die kleine römische Familienbank eine exzellente Lösung. Ducca störte zwar die Abhängigkeit, doch durch die heiklen Aufträge konnte er jetzt ohne Risiko am ganz großen Kuchen mitnaschen.

Immer wieder sah er zwischendurch auf die Uhr und trieb den Fahrer an, der den quälend langsamen Verkehr scheinbar stoisch zur Kenntnis nahm.

»Ankommen gleich«, sagte er dazu mit schwerem französischem Akzent und zuckte mit den Achseln.

»Madonna«, zerquetschte Ducca zwischen den Zähnen, »wie lange kann man für sechs Kilometer brauchen.« Obwohl er selbst in dieser Verkehrshölle keinen Meter mit seinem Maserati fahren würde.

Verglichen mit den edlen Megahotels in Dubai, Hongkong oder der Schweiz, gehört das Ledger Plaza sicher nicht zu den Besten der Welt, aber für die Verhältnisse in Bangui ist es einsamer Luxus. Marmorhallen, Swimmingpool und eine überdachte Auffahrt für die Anreisenden sucht man bei anderen Hotels hier vergebens. Es wirkt nur ein wenig deplatziert in einer – gemessen an den Weltmetropolen – unterentwickelten Stadt und in einem Land, das durch den jahrelangen Konflikt zum Großteil zerstört ist. Ein wenig erinnerte Ducca der weiße Kasten mit den hohen Glasfenstern im Erdgeschoss an Las Vegas. Ein Eindruck, den die vielen Limousinen von Bronsteens Gästen in der Auffahrt noch verstärkten. Der Zorn stieg in Ducca hoch – ausgerechnet er als Bankier musste mit einem alten zerbeulten Peugeot vor so einem Haus ankommen.

Zu seiner Beruhigung nahm niemand Notiz von ihm und das große Entrée war fast leer. Gebaut als Atrium hielten hohe Steinsäulen eine halbrunde Glaskuppel, durch die Licht in die Halle flutete. Darunter standen weiße Amphoren mit bunten Blumengestecken. Ducca ging vorsichtig über den spiegelglatten Marmorboden im grau-weißen Schachbrettmuster zur Rezeption, deren Theke aus dunklem Holz fast die ganze gegenüberliegende Wand einnahm.

Nach dem Check-in blieben noch genau zehn Minuten bis zum vereinbarten Meeting, sehr knapp für eine Dusche und frische Kleidung. Deshalb winkte er Sarah, die ihm in der Lobby entgegenkam, nur kurz zu, nahm sich aber keine Zeit für eine Begrüßung, sondern lief hinter dem Boy her zum Zimmer.

3

»Cesare Ducca, mein Bankier. Sarah, meine Entwicklungschefin, kennen sie ja«, stellte Bronsteen die beiden General Ndogar vor, als sie in den Room Kotangou kamen, so der klingende Name für den kleinen Sitzungssaal, den sie für das Meeting reserviert hatten. Wie üblich standen mehrere schwere Ledersessel mit gepolsterten Armlehnen rund um den Konferenztisch. Die dunklen Wandtäfelungen und das indirekte Licht verbreitete eine gediegene Atmosphäre, nur der Teppichboden mit dem braunen Kreismuster wirkte billig.

Der General nickte kurz, gab allerdings keinem die Hand. Er deutete auf die beiden Männer, die hinter ihm standen.

»Minister Tounambani vom Bergbauministerium, Mérou mein persönlicher Sicherheitsberater.«

Bronsteen deutete auf die Stühle und man setzte sich. Nur Ndogars Sicherheitschef machte zwei Schritte zurück und blieb neben der Tür stehen. Sarah wunderte sich über ihn, denn er wirkte überhaupt nicht wie die üblichen Securitys. Er war schlank und sportlich, hatte ein schmales Gesicht mit einer feinen Narbe vom linken Auge bis hinunter zum Hemdkragen und längeres, vorne leicht schütteres Haar. Vor allem aber: Mérou war weiß.

Ndogar lehnte sich zurück und machte eine große Geste.

»Unser Land ist voll von Rebellen, versprengten Splittergruppen und organisierten Aufständischen – eine schwer zu kontrollierende Situation. Unsere Truppe ist klein und schlecht ausgerüstet«, er sprach Englisch ohne jeden Akzent, »ein Drittel davon sind überhaupt nur Gendarmen, die wir nach Erfordernis eingliedern. Deshalb sind wir, unabhängig was Sie in humanitärer Absicht für unsere Kinder vorhaben, interessiert an Ihrem Zusatzangebot, was die Modernisierung unserer Streitkräfte betrifft.«

Bronsteen schmunzelte kurz und nickte Ndogar zu. Besser hätte ich es auch nicht formulieren können, dachte er dabei.

Ndogar hob sich von den anderen Militärs des Landes ab. Er wirkte gebildet und redegewandt und trug auf seiner Uniform keine bunten Orden, sondern nur die goldenen Rangabzeichen. Der junge schwarze Zweimetermann mit Glatzkopf gehörte zweifellos zur Elite des Landes und war von einem mächtigen Clan gefördert worden. Sie schickten ihn nach Paris, um ein Studium der Rechte zu absolvieren, bevor er in die Armee eintrat, wo er gleich als höherer Offizier begann. Der erkaufte Rang war nicht billig, machte sich für den Clan aber schon nach kurzer Zeit bezahlt, denn Ndogar schützte seine Leute während des Bürgerkriegs mit einer beachtlichen Privatarmee.

Er selbst wurde bei den Kämpfen schwer verletzt und nach der Vertreibung des Rebellenregimes direkt als General der Bodentruppen eingesetzt. Nun saß er an der Quelle der Macht und laut Bronsteens Informationen war er – durch Geschäfte in der Grauzone zwischen staatlicher Erfordernis und einem ausgeprägten Verlangen nach hohen Schmiergeldern – in den letzten Jahren zu einem wohlhabenden Mann aufgestiegen.

»Es wäre daher freundlich«, unterbrach Ndogar Bronsteens Gedanken, »wenn Sie Ihre Offerte etwas präzisieren würden.«

»Vor allem die Finanzierungsmöglichkeiten, die sie mir angedeutet haben«, warf Tounambani ein, was ihm einen abschätzigen Blick von Ndogar eintrug. Der Politiker wich dem Blick aus und begann in seiner Aktentasche zu kramen – er stand also eindeutig eine Stufe unter dem Militär.

»Nun, General, es wäre eine spannende Aufgabe für mein Unternehmen, Ihnen bei der Neuausstattung Ihrer Armee in waffentechnischer Hinsicht unter die Arme zu greifen«, sagte Bronsteen. »Die Details sind für Sie vorbereitet.«

Er deutete auf Sarah, die für jeden der Anwesenden eine Mappe mit Aufstellungen und Fotografien ausgedruckt hatte und nun in der Runde verteilte. Dabei handelte es sich um Rüstungsgerät für Bodentruppen aus ehemaligen Beständen der Warschauer-Pakt-Staaten, das im südlichen Ural lagerte. Im Wesentlichen standen dort zweihundert Jagdpanzer, ein Dutzend Kampfhubschrauber mit Raketenbestückung, bewegliche Artillerie und an die hunderttausend Landminen. Einen Großteil der Gerätschaften hatte Bronsteens Vater seinerzeit an Moskau geliefert. Nun war über den Mittelsmann eines russischen Oligarchen der Rückkauf angeboten worden.

»… gesamt wäre der Preis vierhundert Millionen Dollar, dafür bekämen Sie normalerweise nicht einmal die Helikopter«, beendete Bronsteen seine Erklärungen zu der Aufstellung. »Außerdem bestünde im Normalfall auch das Problem einer Lieferung in ein Krisengebiet.«

»Für Sie kein Problem?«, wollte Tounambani wissen.

»Nein, wir haben da als Bank sehr gute Beziehungen in die Länder Südamerikas«, warf Ducca ein, »dort ist man wesentlich ungezwungener in der Abwicklung derartiger Aufträge, unsere Partner sind da sehr diskret.«

»Und das Finanzierungsmodell?«

»Ist ganz einfach ein Barter-Deal, ein einfacher Tauschhandel, also ganz afrikanisch.« Der gezwungene Scherz kam nicht an. Ndogar zog nur verständnislos eine Augenbraue hoch. Ducca beeilte sich sachlich fortzufahren. »Die Banco Merini gewährt Ihnen am Papier ein Darlehen über die vierhundert Millionen für den Waffenkauf und wir erhalten dafür einen gleichwertigen Anteil an den Uran-Schürfrechten. Unsere Gewinne aus dem Weiterverkauf dieser Rechte, abzüglich der üblichen Unkosten, sind dann die Rückzahlung des Kredites. Somit genügt für die Finanzierung Ihre Unterschrift.«

»Und wie wäre der Rücklauf?«, erkundigte sich Ndogar ungeduldig, da ihm die Details der Finanzierung nicht interessierten, das war die Angelegenheit von Politikern.

»Fünf Prozent auf ein neutrales Nummernkonto in der Schweiz oder wo Sie sonst möchten. Die Provision ist zahlbar nach erfolgtem Beginn des Uranabbaus.«

»Nach Beginn des Abbaus?«, wurde Ndogar hellhörig. »Wäre da nicht im Voraus eine gewisse Summe …«

»Das machen wir nicht einmal beim Präsidenten der Vereinigten Staaten«, unterbrach ihn Bronsteen sofort mit einem feinen Lächeln. »Wenn das ein Problem ist, dann sollten wir die Waffenlieferung auf Eis legen und uns nur auf das Projekt mit den Kindern konzentrieren.«

Ndogar fixierte Bronsteen mit einem harten Blick, der diesen jedoch mit seinem verbindlichen Lächeln auf den Lippen standhielt. Die Stimmung war eisig geworden. Ducca stand aber dennoch der Schweiß auf der Stirn.

Das einzige Geräusch in der momentanen Stille war ein verlegenes Räuspern von Tounambani, der auf einen positiven Ausgang hoffte, immerhin würde er die Hälfte des Schmiergeldes kassieren. Die Verträge für das Uran waren mit Ducca schon vorweg besprochen und von Tounambani ausgestellt worden.

Ndogar schob mit einer forschen Bewegung den Stuhl zurück und stand auf.

»Fünf Prozent in der Schweiz sind ausgezeichnet«, sagte er und streckte Bronsteen die Hand hin.

»Ich weiß, General«, antwortete dieser.

Nach der Besprechung verließ Ndogar, begleitet von seinem Sicherheitsberater Mérou, der ihm wie ein Schatten folgte, das Hotel, Tounambani ging alleine Richtung Hotelbar und Sarah ging auf ihr Zimmer. Sie war froh aus den Klamotten und unter kaltes Wasser zu kommen. Bronsteen gab Ducca einen Wink, er möchte noch bleiben.

»Ausgezeichnet Cesare«, meinte er, als sie alleine waren, »und Tounambani hat die Verträge für uns ausgestellt?«

»Ja, die Vorgespräche mit ihm liefen problemlos und er hat mir die Entwürfe nach Rom gemailt«, antwortete Ducca und goss sich ein Glas Eiswasser ein. »Es war nur noch offen, ob wir hier ohne viel Aufsehen agieren können, was jetzt mit dem UNICEF-Projekt kein Problem ist, und ob Ndogar der Sache zustimmt.«

»Was auch kein Problem war«, grinste Bronsteen und legte die Füße gemütlich auf den Nebenstuhl. »Immerhin winken sehr viele Millionen, wenn das Geschäft einmal läuft. Da war die langfristige Gier dann doch größer …«

Ducca stand auf, ging um den Tisch und nahm eine der Mappen mit den Details.

»Che bello«, sagte er, »die eigenen Lieferungen von den Russen billig zurückzukaufen und den Afrikanern nochmals zu verhökern.«

»Na billig sind sie nicht. Raskonow will zweihundertfünfzig dafür, der ist wahnsinnig. Der muss erst jemanden finden, der ihm den Schrott abkauft. Die Panzer sind dreißig Jahre alt, den Deal hat noch mein Vater abgeschlossen. In den Achtzigerjahren! Deshalb fährst du Ende nächster Woche zu der Besichtigung und den Verhandlungen nach Meschgorje. Mehr wie hundertachtzig zahlen wir nicht dafür.«

»Für den Termin hab ich Julio …«, versuchte Ducca das noch abzuwenden.

»Du fährst nach Russland, Cesare, nicht dein Consigliere, haben wir uns da verstanden?« Bronsteen nahm die Füße vom Stuhl und stand auf. »Du musst den Preis um siebzig Millionen drücken, das sind auch deine siebzig Millionen und das ist nicht der Job eines Anwalts.«

»Okay, okay!« Ducca hob beschwichtigend die Hand. »Ich fahre ja.«

Alles Idioten, dachte Bronsteen, wie kann man überhaupt auf so eine Idee kommen. Nur weil er lieber zu Hause Maserati fährt, als bei den Russen nach dem Rechten zu sehen, will er einen Angestellten schicken.

»Ich bin im Fitness-Center«, brummte er verärgert und ging grußlos hinaus.

»Dio, mio!« fauchte Ducca, nachdem die Tür wieder zugefallen war. »Erst Afrika, dann Russland, langsam fühle ich mich zu alt für so einen Scheiß.«

Er leerte den Rest des Eiswassers hinunter. Dann griff er zum Telefon und bestellte ein Chateaubriand, medium rare, mit gebratenen grünen Bohnen, Kräuterbutter und Kresse, von der Steakkarte aufs Zimmer. Dazu eine Flasche Rotwein – südafrikanischen Pinotage, den die Küche dazu empfahl. Er würde duschen und den positiven Abschluss des Vertrages mit einem ausgiebigen Essen feiern. Hunger hatte er ausreichend, denn er war seit dem Frühstück unterwegs und der Snack im Flugzeug war mager gewesen.

Langsam leerte sich nun auch die Terrasse des Hauses, als Bronsteen zu seiner Suite ging um sich frisch zu machen. Verschiedene Gruppen saßen noch plaudernd im Schatten der großen Sonnenschirme, hauptsächlich die Frauen der Politiker. Sie nutzen das Treffen für einen ausgiebigen Smalltalk über Mode und die neuesten Faceliftings der afrikanischen Society.

Die Journalisten und Redakteure der Zeitungen hatten sich ins improvisierte Pressefoyer zurückgezogen, schrieben ihre Artikel oder luden die Fotos des Events auf die Websites ihrer Agenturen. Nur einer saß schwer angetrunken im Vorraum und grinste blöd in sein Handy, auf dem er offensichtlich versuchte eine SMS zu tippen.

Vor dem Hotel war ein Tumult zu hören. Bronsteen verhielt den Schritt vor einer Fensterwand. Draußen, zwischen der Umzäunungsmauer und dem Eingang, drängte sich eine Gruppe von Aktivisten. Sie hatten Sprüche wie: Keine Kinder für Waffenschieber, Wir haben genug vom Krieg oder Ami go home auf Papptafeln gemalt und auf lange Holzlatten genagelt. Die hielten sie schimpfend hoch und drohten mit den Fäusten in Richtung Hotel. Die kleine Menge bestand fast nur aus Frauen mit Kindern, darunter auch Weiße.

Manche Leute sind eben gegen alles, sogar wenn man als Wohltäter ins Land kommt, die demonstrieren immer, dachte Bronsteen. Insgeheim verfluchte er das Internet. Früher sprachen sich Besuche erst herum, wenn die Zeitungen am nächsten Tag darüber berichteten. Jetzt, mit der globalen Vernetzung, standen diese penetranten Aufrührer, die versuchten jeglichen Fortschritt zu blockieren, bereits am Flugfeld, wenn man ankam. Wahrscheinlich waren es auch diesmal seine Intimfeinde, die er unter dem Begriff Grüne zusammenfasste.

Zwei graue Armee-Hummer bogen in die Einfahrt und hielten in einer Staubfahne rechts und links von den Demonstranten. Mehrere Soldaten sprangen heraus und begannen mit Schlagstöcken wahllos auf die Gruppe einzudreschen. Die Frauen ließen die Tafeln fallen und flüchteten zum Tor zur Straße.

Eine der weißen Frauen stolperte über eine schmiedeeiserne Einfassung, die eine Grünfläche vom Beton trennte, und fiel der Länge nach aufs Gesicht. Mühsam rappelte sie sich auf. Der Soldat, der neben ihr stehengeblieben war, schlug ihr weit ausholend mit dem Knüppel auf den Hinterkopf. Sie rannte taumelnd weiter, während Blut aus ihrem hellen Haar zu rinnen begann.

Es dauerte keine fünf Minuten und die Auffahrt des Hotels war geräumt. Der Auflauf war vorbei. Ein Hotelboy kam dienstbeflissen, sammelte die Papptafeln ein und säuberte die Grünflächen.

»Das sollten unsere Unruhestifter einmal sehen«, murmelte Bronsteen und ging weiter durch den Flur zur Suite, »dann wüssten sie, wie human wir sie in den Staaten behandeln.«

Es war gegen Abend, als Tounambani vor dem vereinbarten privaten Treffen mit Bronsteen in die Bar Ambassadeur des Hotels kam. Obwohl das Licht angenehm gedämpft brannte, war sie nicht besonders gemütlich. Die großen dunklen Holzsäulen, die einen indirekt beleuchteten Himmel trugen, strahlten einen protzigen Charme aus. Und auch die durchgehenden Sitzbänke an den Wänden rundum wirkten nicht sehr einladend.

Tounambani sah sich um, dann winkte er dem Kellner und bestellte einen Whisky sauer, den er direkt ins angrenzende Billardzimmer bringen ließ, das er für das Treffen reserviert hatte. Er legte darauf Wert, bei einer Verabredung von Dingen abseits der regulären Angelegenheiten, ohne unliebsame Zuhörer zu sein. Die Vorsicht war ihm angeboren. Tounambanis Eltern stammten ursprünglich aus Zaire, dort war auch er noch geboren worden. Sein Vater, ein einfacher Lehrer, flüchtete bei Beginn der verheerenden Bürgerkriege und über mehrere Umwege landete die Familie schließlich in Bangui. Niemand hätte vermutet, dass aus dem kleinen Einwanderer einmal ein bekannter Politiker des Landes werden würde.

Alles, wovon er geträumt hatte – eine Position mit Einfluss und den Zugang zur privilegierten Schicht – erfüllte sich mit seiner Ernennung zum Minister. Dem kleinen, unscheinbaren und nicht sehr klugen Kind gelang es als Erwachsener, nachdem er eine politische Laufbahn als passend für sich entdeckt hatte, diese Eigenschaften zu seiner Stärke zu wandeln. Er begriff, dass man rascher auf eine entscheidende Position kam, wenn andere dachten, man wäre leicht zu beeinflussen. Mit einer ungeheuren Bauernschläue und großem Opportunismus manövrierte er sich geschickt nach oben. Binnen weniger Jahre baute er mit einigen treu Ergebenen eine brauchbare Seilschaft auf, die man zu fürchten begann. Wer sich nicht im akzeptierten Kreis bewegte, wurde gnadenlos verfolgt – entweder denunziert oder gleich eliminiert.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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311 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783868411294
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