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Читать книгу: «Bleierne Schatten», страница 5

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2.

Eines Abends gingen Margret und Verner in Älvsjö zusammen joggen. Sie folgten der beleuchteten Loipe entlang der Eisenbahnschienen, dann durch den Wald hindurch zum Fußballplatz und zurück ins Zentrum. Für die erste Runde brauchten sie achtzehn Minuten.

Sie liefen eine zweite Runde und zogen das Tempo etwas an. Es war matschig und glatt. Verner registrierte, dass Margret ohne Anstrengung lief, sie war leicht, durchtrainiert und ausdauernd. Außerdem war sie fünfzehn Jahre jünger als er.

Verner war gerade fünfzig geworden. Er wog siebenundachtzig Kilo, war stark und schaffte immer noch sechzig Liegestütze. Aber er wusste, dass Margret ihm davongelaufen wäre, wenn es sich um einen Wettkampf gehandelt hätte.

Sie verlangsamten das Tempo und gingen das letzte Stück zu Verners Wohnung im Törnrosväg.

»Du kannst zuerst duschen«, sagte Verner.

»Okay, ich beeile mich.«

Verner zog die Schuhe aus, hängte den Pullover und die Mütze auf, ging in die Kochnische und setzte Kaffeewasser auf. Er hatte Brot und Butter zu Hause, ein Stück Käse, ein paar Tomaten. Er nahm an, dass Margret etwas essen wollte. Er war selbst hungrig.

Margret war nach fünf Minuten fertig mit dem Duschen und Verner an der Reihe. Als er aus dem Badezimmer kam, stand Margret vor dem Bücherregal und schaute sich all die Reisebeschreibungen an, die sich bei ihm angesammelt hatten. Sie hatte schon den Tisch gedeckt und Brot und Tomaten aufgeschnitten. Der Kaffee war gerade durchgelaufen.

Bereits nach kurzer Zeit hatten sie sich gemeinsame Gewohnheiten zugelegt. Sie waren vor zwei Jahren während eines Falls öfter zusammen gewesen, hatten sich danach ab und zu getroffen, manchmal aber ein paar Monate lang nicht gesehen. Jetzt sahen sie sich täglich und beide wussten, wie der andere seine Butterbrote haben wollte: Zwei dicke Scheiben mit etwas Butter für Verner, zwei dünne für Margret, Butter auf der einen, Marmelade auf der anderen, wenn welche da war. Verner hatte Stachelbeermarmelade gekauft.

»Ich muss für ein paar Tage ins Dezernat«, sagte Margret.

»Ich verstehe«, entgegnete Verner.

»Ich muss Berichte schreiben, einem der Kollegen ein paar alte Sachen übergeben und bei den Fällen, an denen ich gearbeitet habe, ehe wir den in der Bondegata übernehmen mussten, noch ein paar lose Enden verknüpfen.«

»Okay, ich mache weiter und dann sehen wir uns … am Donnerstag, oder?«

»Ja, Donnerstag bin ich zurück. Ich muss auch Schießübungen absolvieren; ich bin schon lange nicht mehr in der Schießanlage gewesen, sodass ich das genauso gut gleich mit erledigen kann.«

»Schießt du gut?«

»Ganz ordentlich, vor ein paar Jahren habe ich ein paar Mal an Wettkämpfen teilgenommen, aber dann habe ich aufgehört. Es haben sich andere Dinge ergeben, die ich lieber machen wollte.«

»Was zum Beispiel?«

»Tja, ich wollte auch ein bisschen Freizeit haben, andere Menschen treffen, nicht immer nur Polizisten.«

»Das verstehe ich, ich habe nie mit Polizisten verkehrt.«

»Obwohl manche in Ordnung sind.«

Verner verstummte. Er dachte an seine Jahre als Polizist. Hatte er eigentlich irgendwelche richtigen Freunde unter den Kollegen gehabt? Und an welche dachte Margret, wenn sie sagte, dass manche in Ordnung waren? War er einer von ihnen?

»Noch ein Brot?«, fragte er.

»Nein danke, das reicht. Ich werde jetzt nach Hause fahren.«

Verner ging mit Margret zur Tür. Sie lächelte und fasste mit der Hand seinen Oberarm.

»Wir sehen uns am Donnerstag«, sagte sie.

Margret hatte für neun Uhr einen Platz in der Schießanlage, die im Keller des Polizeigebäudes lag. Sie holte Dienstwaffe und Munition aus dem Waffenschrank im Dezernat, fuhr mit dem Aufzug nach unten, grüßte einige Kollegen, denen sie begegnete, wurde in die Halle eingelassen, wählte Stand und Zielscheibe und setzte den Gehörschutz auf.

Margret schoss zuerst einige Serien auf die kurze Distanz, sieben Meter, erhöhte dann auf fünfzehn, war ein bisschen unzufrieden mit dem Trefferbild. Die Treffer lagen nahe beieinander, aber eine Idee zu hoch, sie saßen in der Brust der Pappfigur, nahe dem Hals.

Margret wog die Pistole in der Hand, die schwarze Sig Sauer fühlte sich schwer und zuverlässig an.

Sie schoss noch ein paar Serien, hielt die Treffer unten, aber jetzt streute sie die Schüsse.

Die fünfte Serie saß besser, die siebte war richtig gut.

Als sie fertig war mit Schießen, verließ sie die Schießanlage und nahm den Aufzug zurück ins Dezernat. Hätte sie die Waffe für einen Auftrag benötigt, hätte sie sie mit ins Büro nehmen dürfen. Aber nun verlangten die Regeln, dass sie Pistole und Munition wieder in den Waffenschrank einschloss.

Margret ging einmal im Monat zum Übungsschießen in die Anlage im Keller, und sie schaffte die jährliche Schießprüfung immer mit einem guten Ergebnis. Aber darüber hinaus hatte sie die Pistole noch nie benutzt, und darüber war sie froh.

Jetzt hatte sie noch einen Termin einzuhalten. Anstatt zurück ins Büro zu gehen, nahm sie die Treppen hinunter in den Trainingsraum, zog sich um und begrüßte die drei Kollegen von der City-Polizei, mit denen sie sich verabredet hatte. Es war Zeit für ihre regelmäßige Trainingseinheit in Selbstverteidigung: vierzig schweißtreibende Minuten, Aufwärmen, kurzes Krafttraining, dann Schläge und Tritte gegen den Sandsack, paarweises Training im Sparring, Serien von Frontaltritten, Rundtritten, Stoßtritten, Hüftwürfen, Beinwürfen.

Das Tempo war sehr hoch, alle vier waren schnell, konzentriert, diszipliniert. Sie versetzten einander harte Schläge, ohne zu treffen, steuerten die Schläge millimetergenau, ließen die heftigen Tritte fast die Wangen des Anderen streifen.

Margret trieb ihren Trainingspartner an die Wand. Er war jünger und wog viel mehr, aber sie war schneller, härter, geschickter.

Um elf Uhr saß Margret wieder an ihrem Schreibtisch im Ermittlungsdezernat der Bezirkskriminalpolizei.

Die Wohnung in der Bondegata war inzwischen aufgeräumt und gereinigt. Verner und Margret hatten das zusammen gemacht. Sie waren mit dem Vermieter übereingekommen, dass sie bis April bleiben konnten.

Die Scheibe in der Küche war immer noch gesprungen. Verner war das egal. Er hörte die Uhr der Sofiakirche schlagen und dachte, dass Lasse die Uhr unzählige Male gehört haben musste.

Aber die Zeit der Viertelstundenschläge war vorbei. Verner hatte in einer Zeitungsnotiz gelesen, dass Mieter in dem Gebiet rund um die Kirche protestiert hatten; sie konnten nicht schlafen, weil die Uhr so oft schlug. Daraufhin gab es eine Änderung. Jetzt schlug die Sofiakirche keine Viertelstunden mehr, sondern nur noch Stunden. Verner dachte: Mochte Lasse den Klang oder hörte er ihn nicht mehr, weil er die ganze Zeit da war? Und durfte er erleben, dass die Viertelstundenschläge verschwanden? Oder hörten die Schläge auf, als er starb? In derselben Woche? Am selben Tag? Vielleicht in derselben Stunde? Verner nahm sich vor herauszufinden, wann das Glockenläuten der Sofiakirche geändert worden war. Nicht dass es etwas bedeutete, aber um Lasses willen, auch wenn er nichts davon hatte.

Um halb zwölf klingelte das Telefon. Es war Margret. Sie wollte nichts besonderes, sich einfach nur melden.

Doch, es war alles in Ordnung.

Bei ihr auch?

Ja, bei ihr auch.

Es wurde ein kurzes Gespräch. Verner fragte sich, warum sie angerufen hatte. Dann dachte er, dass es wohl normal sei, dass man so etwas machte. Er mochte es, dass Margret angerufen hatte. Es freute ihn.

Dann betrat er den begehbaren Schrank. Er hatte beschlossen, den Inhalt der drei Kartons durchzuschauen. An diesem und am folgenden Tag sortierte Verner Papiere, Zeitungsausschnitte, Ordner, Matrizen, Berichte, Zettel. Er legte sie in Stößen auf den Tisch und den Boden.

So machte er es immer; es war eine Gewohnheit von früher. Er hatte auf diese Weise mehrere Fälle gelöst, Papiere gesammelt und sortiert, Namen und Plätze gefunden, Spuren aufgenommen.

Verner hatte seine Kenntnisse als Fahnder und Ermittler erworben, lange bevor die Computer das Hilfsmittel der Polizei wurden. Er hatte sich die neue Technik nie angeeignet. Er war sehr altmodisch, hartnäckig und genau. Er schrieb in kleine schwarze Notizbücher, auf Zettel und an den Rand von Zeitungen und Büchern.

Lasse Bergman war genauso gewesen. Das wusste Verner, nun bekam er die Gelegenheit, es noch einmal festzustellen.

Verner saß über Lasses gesammelten Mühen, Jahren von Recherchen und Nachforschungen, Gesprächen und Interviews. Drei große Kartons voll mit Papierbündeln, Fakten, Entwürfen, Ideen, Wörtern, Zahlen, Namen, Namen, Namen.

Es gab auch zwölf Notizbücher mit angestoßenen Ecken. Verner erkannte, dass Lasse sie in der Tasche getragen und tausende von Malen hervorgezogen hatte.

In den beiden ersten Kartons herrschten System und Ordnung. Lasse hatte alles so einsortiert, dass man es wiederfinden konnte. Die Papierbündel waren geordnet, einige trugen eine Überschrift auf einem Vorsatzblatt, das um die Bündel herumgefaltet war, um andere waren Schnüre geknotet.

Der dritte Karton unterschied sich von den beiden ersten. Zwar gab es auch hier reichlich Bündel mit Kopien von Voruntersuchungen, Gerichtsverfahren und Urteilen. Verner sah ziemlich schnell, worum es ging. Lasse hatte alles Material über die großen Fälle von Kuppelei in den siebziger Jahren aufgehoben, die viel beschriebenen Fälle, in denen kleine Mädchen für Prostitution benutzt worden und in denen bekannte Männer aufgetaucht waren. Lasse Bergman hatte mehrere Jahre für das Fernsehmagazin Fokus an diesen viel beachteten Fällen gearbeitet. In dem Karton befand sich alles, was Lasse dazu aufbewahrt hatte.

Verner erkannte das Material wieder. Er hatte damals im Ermittlungsdezernat der Stockholmer Kriminalpolizei gearbeitet. Während dieser Arbeit hatte er Lasse kennen gelernt. Als die Gerichtsverfahren eingeleitet wurden, war Verners Arbeit abgeschlossen, aber er verfolgte das, was geschah, aus eigenem Interesse.

Sämtliches Material dieser Fälle befand sich in Lasse Bergmans drittem Karton. Aber in diesem Karton fehlte die Ordnung. Protokolle, Bögen und Hefte lagen, als seien sie in aller Hast hineingeworfen worden.

Als Margret am Donnerstag um neun Uhr in die Bondegata kam, war Verner schon da. Er saß im Wohnzimmer und kramte in den Papieren.

»Du bist die Kartons durchgegangen?«, fragte Margret.

»Genau, und es gibt viel zu überprüfen, wie du siehst.«

»Kannst du davon berichten?«

»Zwei Kisten enthalten allerlei aus Lasses Zeit als investigativer Reporter.«

»Okay, und die dritte Kiste?«

»Da drin sind die siebziger Jahre, die Fälle von Kuppelei, Sally T., der Minister, die kleinen Mädchen, der ganze Krempel.«

»Sally T., war das die, die Bordellmutti genannt wurde?«

»Ja, so hieß sie in den Zeitungen.«

»Und der Minister kam davon.«

»Ja, mit einem angeschlagenen Ruf. Aber du warst damals wohl noch sehr jung?«

»Ich war vielleicht zehn, und wenn ich etwas in der Zeitung gelesen habe, dann war es bestimmt über ABBA.«

»Sie haben Sally und den Minister überlebt.«

»Aber was nützt uns das hier, Verner? Was hat dieses alte Material zu bedeuten? Hängt es überhaupt mit Lasses Tod zusammen?«

»Ich weiß nicht, Margret. Ich werde ein bisschen blättern und überlegen und schauen, ob etwas relevantes auftaucht.«

»Währenddessen werde ich zusammenstellen, was wir von den Technikern und dem Gerichtsmediziner bekommen haben. Ich habe ein Modell dafür, eine Art Faktenschema, das vieles erleichtert.«

»Musst du nach Kungsholmen fahren und am Computer sitzen, um das zu erledigen?«

»Nein, ich habe Notizen, und wenn ich mehr Angaben brauche, rufe ich im Dezernat an. Aber ich glaube, ich werde einen Computer mit hierher nehmen. Ich möchte im Internet recherchieren können.«

3.

Hanna war müde, sie schlief schlecht, nahm fast immer Tabletten, ehe sie sich hinlegte. Meist fiel es ihr leicht einzuschlafen. Aber nach kurzer Zeit erwachte sie mit einem Ruck. Sie hatte dann geträumt. So fühlte es sich zumindest an, aber sie konnte sich nie an den Traum erinnern. Vielleicht war es am ehesten ein Gefühl ohne Traumbilder, ein Erlebnis von schrecklicher Einsamkeit, von drohender Gefahr.

Sie versuchte, nicht noch mehr Tabletten zu nehmen, aber es war schwer, weil sie ja halfen. Sie sollte neue Rezepte von Rina bekommen, die mit einem Arzt befreundet war. Es kam vor, dass Hanna sich auch über andere Kontakte Tabletten beschaffte. Und doch kostete es einiges, fünfhundert für eine Dose mit hundert Tabletten. Aber das spielte keine Rolle. Manche Menschen gaben ihr Geld für Alkohol aus, andere rauchten eine Schachtel Zigaretten am Tag. Hanna kaufte Tabletten.

Sie nahm sich ein paar Tage frei und machte das Handy aus. Sie wollte allein sein, sich ausruhen. Aber die Ruhe wurde zu Einsamkeit und nagender Rastlosigkeit.

Hanna rief Sara an und bat sie, nach der Schule zu kommen; sie konnten doch etwas zusammen unternehmen. Es war ein Dienstag. Sara hatte in letzter Zeit nicht geschwänzt. Sie hatte sich selbst versprochen, zumindest zu versuchen, der Schule eine Chance zu geben. Obwohl es genauso langweilig war wie immer. Die meisten Lehrer waren Idioten und ihr Klassenlehrer war am schlimmsten von allen. Nur ihr Kunstlehrer war okay.

Sie benutzte Hannas Kamera ziemlich oft. Die Filmrollen ließ sie irgendwo mitgehen. In der Hornsgata gab es ein gutes Geschäft. Die Rollen lagen vorne. Am Hötorg lag ein anderes Geschäft, in dem es auch ziemlich ungefährlich war, eine Rolle zu nehmen. Aber für die Entwicklung von Farbfilmen brauchte Sara Geld. In der Schule gab es nur eine Dunkelkammer für Schwarzweiß.

Der Kerl aus dem Klackaväg hatte wieder angerufen. Sara sagte, dass sie keine Zeit habe. Der Kerl entgegnete, dass sie vierhundert bekommen würde. Sara ging hin, bereute es jedoch, als sie das Geld bekommen hatte, und entschloss sich, nicht wieder hinzugehen. Das sagte sie auch Marika.

»Ich weiß«, sagte Marika. »Ich habe genauso gedacht. Aber man muss ja an Geld kommen.«

»Man könnte vielleicht das Geld nehmen und abhauen.«

»Du meinst, man scheißt drauf, es zu tun, und nimmt nur das Geld?«

»Ja.«

Sie waren sich darüber einig, dass die Idee gut war. Sie sprachen noch eine Weile darüber, die eine könnte drinnen im Wohnzimmer mit dem Kerl reden und die andere könnte in die Küche schleichen und das Geld nehmen, und dann könnten sie weglaufen.

»Wenn er nächstes Mal eine von uns anruft, dann machen wir es so«, sagte Marika.

Sie trennten sich vor der Schule. Sara nahm den 142er Bus zum Telefonplan. Sie klingelte bei Hanna, wollte nicht warten und nahm den Schlüssel heraus, um aufzuschließen, aber in dem Moment machte Hanna auf.

Sie sah müde aus. Sara dachte, dass ihre Schwester vielleicht geweint hatte. Es sah fast so aus. Ihre Augen waren ein wenig geschwollen. Aber Sara fragte nicht, wie es Hanna ging.

Sie tranken Tee. Hanna hatte nur Brot zu Hause, keine Plätzchen; sie war offensichtlich nicht in der Stadt gewesen.

»Wollen wir irgendwohin gehen?«, fragte Sara.

»Ja, wir können einen Spaziergang machen.«

»Oder in die Stadt fahren, ein bisschen einkaufen.«

»Tja, vielleicht auch das.«

»Oder ich weiß was«, sagte Sara. »Ich kann dich fotografieren. Wir fahren in die Stadt und dann mache ich ein paar Bilder von dir.«

Hanna zögerte, aber Sara überredete sie. Sie nahmen ein Taxi und Sara hatte wieder Gelegenheit festzustellen, dass ihre Schwester vermutlich reichlich Geld hatte.

Am Nybroplan stiegen sie aus. Es war immer noch hell. Sie folgten dem Strandväg in Richtung Djurgården und gingen auf den Kai hinaus.

»Hier ist es gut«, sagte Sara. »Vor dem Segelschiff da, das wird hübsch.«

Es war ein Dreimaster mit schwarzem Rumpf und dunkelblauem Deckshaus. Hanna stand direkt an der Reling, einen Schritt von der Kaikante entfernt. Sara machte mehrere Bilder. Jetzt lächtelte Hanna ein bisschen, es war ihr erstes Lächeln an diesem Nachmittag.

Sie gingen weiter, passierten Reihen von vertäuten Kähnen, Segelschiffen, kleinen Booten, die meisten in der Winterruhe, mit verschlossenen und abgedeckten Kajüten. In einigen größeren Motoryachten brannte Licht hinter den Scheiben des Deckshauses. Auf einem Vordeck saß ein schwarzer Pudel.

Sara machte noch ein Bild von Hanna vor dem Boot mit dem Pudel.

Dann gingen sie über die Brücke nach Djurgården, weiter vorbei am Nordiska museet und wieder hinunter zum Wasser bei Liljevalchs konsthall. Der Himmel war wolkenlos, es war überhaupt nicht kalt und immer noch so hell, dass Sara fotografieren konnte.

»Bist du schon müde?«, fragte Hanna.

»Nein, wir machen noch ein paar Bilder, dann hätte ich gerne was zu essen.«

»Ja klar, wir finden schon ein Lokal in der Nähe.«

Sie betraten das Werftgelände rechts vom Vasamuseet. Einige sehr große Motoryachten lagen an einem der Anlegestege vertäut.

»Vor dem Boot da«, meinte Sara.

Hanna stellte sich vor den Steven des Bootes. Das Boot war weiß, vielleicht dreißig Meter lang, hatte mehrere Etagen und eine verglaste Kommandobrücke. Die Scheiben waren getönt. Auf den verschiedenen Decks gab es Einlagearbeiten aus Holz. Der Handlauf der Reling und die Geländer waren ebenfalls aus Holz. Hier und dort glänzte Messing.

Neben dem großen Boot lag eine andere Yacht von ähnlicher Art, und etwas weiter weg eine, die noch größer war. Sara machte mehrere Bilder. Sie ging ein wenig in die Hocke, um ein Bild zu bekommen, das zeigte, wie groß das Boot war.

»Ein nettes Boot hast du«, sagte Sara.

Hanna lachte zum ersten Mal an diesem Tag.

»Ist es zu verkaufen?«, fragte Sara.

Während Hanna immer noch lachte, schüttelte sie gleichzeitig den Kopf und versuchte auszusehen wie eine Millionärin.

Sara senkte die Kamera. Sie war fertig mit Knipsen.

»Darf ich auch ein Bild von dir machen?«, fragte Hanna. Sie tauschten die Plätze. Als Sara für einen Moment zur Seite schaute, sah sie, dass Leute an Bord des dritten Bootes waren. Auf dem Achterdeck, in ihre Richtung gewandt, stand ein Mann.

Hanna machte ein Bild. Es war Zeit, den Anlegesteg zu verlassen. Sie gingen den Landungssteg zurück, der den Anlegesteg mit dem Kai verband.

In dem Moment rief jemand. Hanna und Sara wandten sich um. Es war der Mann, den Sara auf dem hinteren Boot gesehen hatte. Er stand immer noch auf dem Achterdeck des Schiffes, aber jetzt winkte er und rief noch einmal.

»Ist das jemand, den du kennst?«, fragte Sara.

»Ich glaube schon«, meinte Hanna.

Die Schwestern gingen zurück und auf den Mann zu. Er stand noch auf dem Deck, kam aber auf sie zu. Jetzt winkte er wieder.

»Er heißt Paul«, sagte Hanna, »ein Bekannter von mir.« Nun waren sie bei dem großen Boot angekommen. Es lag mit dem Heck zum Anlegesteg vertäut. Der Mann war vorne an die Reling getreten.

»Hallo Paul«, sagte Hanna.

»Was für eine Überraschung«, antwortete der Mann.

»Ja, wirklich«, meinte Hanna. »Das hier ist meine Schwester Sara.«

»Hallo Sara«, sagte Paul.

Er klappte eine Tür in der Reling zur Seite und reichte Sara die Hand. Sie beugte sich zu dem Mann hinüber und begrüßte ihn, auch Hanna gab ihm die Hand.

»Ihr seht euch wirklich ähnlich«, meinte Paul.

»Ja, das sagen viele«, sagte Hanna.

»Wollt ihr eine Weile an Bord kommen?«

Hanna schaute Sara mit einem fragenden Blick an; sie selbst war sich nicht ganz sicher, ob sie wollte, dass Sara Paul traf.

»Ich will gerne das Schiff sehen«, sagte Sara.

Damit war die Sache entschieden. Hanna und Sara gingen an Bord. Paul reichte ihnen wieder die Hand, half ihnen und schloss das Tor hinter den Schwestern.

»Ich habe einen Besucher«, sagte Paul. »Ihr sollt ihn kennen lernen.«

Er ging vor, wies ihnen den Weg, wandte sich um und öffnete eine Tür. Sie traten in ein Deckshaus, einen warmen und gemütlichen kleinen Raum mit Teppichboden, dunklen Holzwänden und Ledermöbeln.

In einem Sessel saß ein Mann. Er stand auf, als die Gesellschaft hereinkam. Seinem Aussehen nach war er in den Sechzigern. Er war grauhaarig, braungebrannt und mager.

»Ich heiße George«, sagte der Mann.

Paul stellte Hanna und Sara vor. Sie setzten sich. Paul fragte die Schwestern, was sie zu trinken wünschten. Für einen Moment wurde es still, keiner von ihnen fiel ein, was sie trinken könnten, so plötzlich kam es.

»Ich glaube, ich weiß, was du haben willst, Hanna«, sagte Paul. »Und du Sara, willst du vielleicht eine Coca Cola haben?«

»Ja gern, danke«, sagte Sara.

Paul ging zu einer Theke hinüber, hantierte kurz mit Flaschen und Gläsern und kam mit einem runden Tablett zurück. Er servierte Hanna einen Dry Martini und Sara ein Glas Coca Cola mit Eis.

»Was hat euch hierher geführt?«, fragte Paul.

»Wir sind ein bisschen spazieren gegangen«, antwortete Hanna. »Sara hat Fotos von mir gemacht, wir fanden, dass die Umgebung hier schön ist.«

»Du fotografierst also«, sagte Paul.

»Ein bisschen«, antwortete Sara. »Ich versuche es zu lernen.«

Sie nahm die Kamera hoch, wog sie in der Hand und schaute Paul an. Er lächelte sie an.

»Ja, deine Schwester ist bestimmt ein gutes Modell«, sagte er.

Sara zuckte mit den Schultern und nippte an ihrem Glas.

»Wir müssen bald weiter«, meinte Hanna.

»Ich verstehe«, sagte Paul. »Das war wirklich ein unerwarteter Besuch.«

Der Mann, der sich als George vorgestellt hatte, hatte immer noch nichts gesagt. Er lächelte die ganze Zeit, sah interessiert aus und nickte dann und wann zustimmend. Aber er war still.

Hanna änderte ihre Sitzstellung im Sessel, ein Anzeichen dafür, dass sie sich anschickte aufzubrechen. Sie wäre gerne geblieben, aber es war nicht gut, mit Sara und diesen beiden Männern hier zu sitzen. Sara war erst vierzehn. Sie sah älter aus. Hanna merkte, dass Sara die Blicke der Männer auf sich zog.

Sie erhob sich. Die Männer erhoben sich ebenfalls. Sara blieb sitzen, trank das Glas aus, dann stand auch sie auf. Sie standen sich gegenüber, der schweigsame Mann reichte Hanna die Hand, um auf Wiedersehen zu sagen.

In dem Moment kam Sara eine Idee. Sie tippte an den Blitzknopf der Kamera, hob die Kamera und knipste.

Alle fuhren zusammen. Hanna lachte, Paul lächelte. Der schweigsame Mann lächelte nicht, oder aber er versuchte zu lächeln, ohne dass es ihm gelang.

Paul begleitete die Damen hinaus. Er küsste Hanna auf die Wange und gab Sara die Hand. Er stand noch immer auf dem Achterdeck, als die Schwestern wieder auf den Kai kamen. Nun fing es an zu dämmern.

»Hast du gesehen, wie das Boot heißt?«, fragte Hanna.

»Lady Star«, anwortete Sara. »Es stand hinten drauf, und es stand auch auf dem Glas.«

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9783941895522
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