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Читать книгу: «Die Ströme des Namenlos», страница 12

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Die Buben waren prächtige und aufrichtige Kerle, bloß von solch unbändiger Wildheit und einem solchen Leichtsinn, daß mir Margret in ihrer Kindheit noch als Lamm dagegen erschien; ach, sie mochten von der Fouquéschen Seite noch so das Richtige dazu bekommen haben. Mit bleichem Grauen sah ich ihre fürchterlichen Expeditionen über den Laufsteg hinüber und am Schloßberg, ich hätte, weiß Gott, von keinem geglaubt, daß er das vierzehnte Lebensjahr erreiche und noch den Kopf und alle Glieder habe. Es passierten jeden Tag ungezählte Malheure; der eine warf den Milchtopf um, der zweite tappte in die Scherben und blutete; ich schickte den dritten zur Milchfrau, da man doch wieder Milch haben mußte, und dieweil ich dem einen seine Hiebe gab und dem andern den Fuß verband, kam er wieder und hatte das Geld verloren, weil er auf der Straße irgend etwas nachgesprungen war; nur in der Küche stand inzwischen tröstlich ein Trupp fleißiger Katzen und leckte die Milch auf. Täglich gab es Beulen, Risse, Schnitte und Löcher in den Köpfen, dazwischenhinein wurde gelegentlich auch ein Arm oder Bein gebrochen, wobei man dann leider zum Doktor schicken mußte; bei allem übrigen derartigen lachte mich Margret schallend aus, wenn ich es tragisch nahm oder Anstalt machte, die Buben zu verbinden und in der Stube zu behalten. Kam einer heulend und blessiert angelaufen, so nahm sie ihn geschwind zu sich ins Bett, erfand irgend eine fabelhafte Geschichte, kitzelte ihn ein bißchen und lachte mit ihm, dann schickte sie ihn wieder weg. Löcher in den Hosen nahm sie viel schwerer, da diese nicht von selber zuheilten. Auch Adolf, wenn er beim Mittagessen seine Buben sah, lachte in einem solchen Fall gemütlich und sagte höchstens: »So, Kerl, warst du wieder auf der Mensur?«

Bei dieser Gelegenheit erinnerte ich mich auch, daß ich eines Morgens ins Schlafzimmer kam, wo das dreijährige Mädelchen noch im Bett lag, und wo ich mit Entsetzen wahrnahm, daß die Kleine auf ihrem weißen Deckbettlein mit einem ansehnlichen Klumpen prächtig nassen Gartenlehms spielte, den sie sich in einem unbewachten Augenblick geschwind barfüßig geholt hatte. Ehe ich noch ein Wort sagen konnte, fing Margret herzlich an zu lachen und meinte bittend: »Gelt, du schimpfst jetzt nicht und läßt ihr's noch eine Weile; sie spielt gerade so fein und das Bett ist sowieso schon dreckig!«

Schlimmer als das bedrückten mich die Geldnöte der Familie. War es bei uns zu Haus auch sehr arm zugegangen, so war doch nie eine wirkliche Not und immer noch irgendwo ein Sparpfennig gewesen. Bei Fouqués aß man Forellen oder Geflügel, wenn es gute Zeiten waren, ging das Geld aus, holte man in der Ladenkasse, und war auch da nichts, so hatte man eben Tee und Brot zu Mittag. Jedesmal, wenn die Miete oder eine Rechnung zu zahlen war und kein Geld dafür da, überlegte ich mir's, ob ich nicht mein Erspartes holen solle und dran geben; und jedesmal schlug ich mir's wieder aus dem Kopf. Lieber wollte ich den Dingen ein wenig auf den Grund gehen.

Im Laden unten war als Gehilfe – Lehrling gab es keinen – ein Junggeselle namens Breisel. Ob er ein tüchtiger Buchhändler sei, konnte ich nicht beurteilen; doch besaß er eine äußerst treue Seele und mein Schwager hatte ihn mit dem Geschäft übernommen. So großartig, so vornehm und verwöhnt nun Fouqué auftrat, so dünn und bescheiden war Breisel. Ich kam bald dahinter, daß er kein ordentliches Gehalt bezog, sondern gleich uns aus der Ladenkasse nahm, was er brauchte, wobei der arme Tropf recht schlimm wegkam, da er mehr als gewissenhaft war und genügsam wie eine Kirchenmaus. Er hätte bis nachts zwölf Uhr gearbeitet, wenn ihn nicht Adolf zur Zeit heimgeschickt hätte; – er hätte es schließlich auch ganz ohne Gehalt getan, so mit Leib und Seele war er im Bann der schönen Fouqués.

Mit diesem Breisel nun suchte ich mich hinter dem Rücken meines Schwagers anzubiedern; ich wußte, daß er eine Schwäche habe, nämlich für Zwetschgenmarmelade. So kochte ich ihm einen Topf voll ein und brachte sie an einem Abend, als Adolf verreist war, hinunter. Wenn Breisel ein Hundeschwänzchen gehabt hätte, so hätte er nun gewedelt; er war unendlich gerührt. Ich blieb aber sehr ernst, sagte, wie ich wohl wisse, daß ihn mein Schwager nicht recht bezahle und man ein wenig für ihn sorgen müsse. Von so vieler Liebe hingerissen, setzte sich Breisel auf den Ladentisch, baumelte aufgeregt mit seinen dünnen Beinen und schüttete mir sein Herz aus. Und was ich längst geahnt hatte, wurde mir nun düster bestätigt, daß nämlich das Geschäft trotz des aufgebrauchten Kapitals und trotz der Schulden hätte ordentlich gehen können und das Einkommen ausreichen müssen, wenn Fouqué kein solch unheimlich fauler Tropf und Schlamper gewesen wäre.

»Ich muß fast den ganzen Tag im Laden sein und bedienen,« sagte Breisel klagend; »wenn nun eine Sendung kommt, so bleibt sie eben unausgepackt, bis ich dran komme, – und wenn es noch so pressiert; Herr Fouqué tut es nicht und sonst ist niemand da. Es gäbe so viele Bestellungen zu erledigen, ach, es wird mir schwindelig, wenn ich dran denke; – wissen Sie, besonders jetzt auf Weihnachten hin. Aber ich habe keine Zeit dazu und Herr Fouqué schiebt es von Tag zu Tag hinaus. Man sollte Auswahlsendungen zusammenstellen, und man sollte Remittenden packen, die Auslagen neu machen und Rechnungen herausschreiben; und mit dem Bücherführen sind wir schon seit Jahren im Rückstand; ich weiß mir nicht mehr zu helfen wegen der Steuer. Und die neuen Börsenblätter hat Herr Fouqué in der Tasche, ach, und wenn ich sie brauche und haben möchte, dann findet er sie meistens nimmer. Aber das Allerärgste ist mir, daß er mich mit Ladenschluß fortschickt, und alles, was zu tun wäre, bleibt liegen! Ich sag' es immer: allzugut ist liederlich, jawohl: liederlich – – –!«

Am hellen Tage aber oder in Adolfs Gegenwart hätte der sanfte Herr Breisel etwas Derartiges nicht gesagt.

Ich ließ es mir durch den Kopf gehen; die geheime Mitverschworenheit und alle guten Eigenschaften Breisels hatte ich mir gesichert, da ich von nun an stets darauf bedacht war, daß in dem kleinen Ladenstüblein neben Breisels Hut ein Gesälzhafen stehe, der gleich dem Oelkrüglein jener Frau von Sarepta nimmer leer wurde. Ich ließ mir zeigen, wie man Bestellungen machte und einfache Geschäftsbriefe schrieb, wie man Bücherballen packte und ein Schaufenster richtete, und am Ende weihte mich Breisel sogar in seine Strazzen ein. Fouqué kam mit dem gewohnten Scharfsinn sofort dahinter; als er mich ertappte, sah er mich eine Weile mit seinem seltsam spöttischen und überlegenen Blicke an, und ich wurde rot darunter, als müßte ich mich schämen und nicht er sich. »Ach, richtig – du brauchst ja so etwas, um glücklich zu sein, nicht wahr? Dann tu es nur; ich verderbe dir die Freude nicht. Bloß den Breisel darfst du mir nicht über die Zeit anspannen, sonst geht er ein.«

Und Adolf ließ mich ruhig gewähren.

– – Eines war mir damals voller Unbegreiflichkeit und beinahe Heiligkeit: Margrets Ehe. Ging auch keines der beiden darin irgendwie über seine Grenzen hinaus, so, daß es sich etwa dem andern zu lieb überwunden hätte, etwas strebsamer und tüchtiger zu werden, so lag doch die Liebe, die sie zu einander hatten, verklärend und wie ein beständiger Adel über dem trägen und so wenig tiefen Leben der beiden. Es war die Liebe eines Brautstandes oder einer ganz jungen, ungetrübten Ehe, – voller Zärtlichkeit, Leidenschaft und Ueberschwang und einer bei den beiden doch sonst so seltenen glühenden Beständigkeit. So im Lauf der Krankheit nahm mir Adolf fast die ganze Pflege Margrets ab; es war ganz wenig, was ich noch an ihr tun durfte. Er brachte ihr zu essen, wusch und bettete und besorgte sie und das alles leicht und gewandt und mit unglaublich geschickten Händen. Ich weiß noch, wie mir Margret eines Morgens, als ich sie betten wollte, erklärte: »Ich danke schön, Ageli; ich möchte lieber warten bis Adolf kommt. Du mußt mir verzeihen, aber er macht das so viel zarter und feiner als du!«

Er überhäufte sie mit Geschenken, Blumen und Leckerbissen und dachte sich die feinsinnigsten Sachen aus, mit denen er sie erfreuen und zum Lachen bringen konnte. War er um sie, zeigte er stets seine hellste und gewinnendste Fröhlichkeit, und wenn sie bei Nacht wach lag und nicht einschlafen konnte, stand er auf und spielte auf dem Klavier ihre Lieblingsstücke.

Und für Margret wiederum gab es nichts Schöneres, als, wenn er nicht da war, immerwährend von ihm zu sprechen und zu schwärmen. Ueberaus gern erzählte sie von der Zeit, da sie ihn kennen gelernt hatte und von ihrem Brautstand; wenn ihr etwas besonders Feines daraus einfiel, so konnte sie mich von der Arbeit wegrufen, um es mir zu sagen, so wichtig war es ihr. Einmal hatte ich mich wegen irgend einer Schlamperei gewaltig über Adolf geärgert; obwohl ich es vor Margret möglichst zu verbergen suchte, so merkte sie es doch und rief mich zu sich her. »Du machst es noch nicht ganz recht mit ihm, Ageli,« sagte sie mit ganz ungewohntem Ernst und sah mich fast vorwurfsvoll an. »Ich weiß wohl, daß er Fehler genug hat, aber du mußt immer daran denken, daß er ein Genie ist und so ungewöhnlich und bedeutend, daß solche Sachen doch ganz verschwinden. Ein wahrhaft großer Mensch hat sich noch nie mit Streberei vertragen, und es ist ein Verbrechen, wenn man ihn mit dem gewohnten und kleinlichen Maßstab mißt. Du mußt doch merken, daß man ihm seine kleinen Sünden hingehen lassen muß, wenn man solche einem Maier oder Huber auch nicht verzeihen würde.« Und sie wurde ganz erregt dabei. –

– »Seine erste Frau muß ein Frosch gewesen sein,« sagte sie oft. »Denk dir bloß, wie man von Adolf weglaufen kann!«

An einem Abend, als er im Konzert war, sprachen wir auch wieder von ihm. »Weißt du, daß er ein Dichter ist?« fragte Margret.

»Meinst du seine Knittelverse?«

»Nein,« sagte sie geheimnisvoll. »Wenn du mich nicht verrätst, will ich dir etwas zeigen. In seinem Bücherschrank steht ganz rechts, ich glaube in der zweiten Reihe, ein Band lyrischer Gedichte von einem ganz unbekannten Modernen.« Und als ich das Büchlein geholt hatte, fuhr sie fort: »Sieh, es steht auf jeder Seite bloß ein ganz kleines, dünnes Verslein von dem Menschen, da hat es Adolf gejuckt, auf den unmenschlich vielen leeren Platz etwas hinzuschreiben, weißt du, nur des Spasses und der schlechten modernen Verse wegen!«

Wir schlugen das Buch auf, und siehe, um den süßen Lyriker herum standen Adolfs Kratzefüße in holder Eintracht. Ich habe mich seit jenem Abend noch manchmal an dem wunderlichen Büchlein ergötzt und will hier ein paar von den Gedichten niederschreiben.

 
Wenn die Becher klingen,
Denk an kein Zerspringen!
Wenn der Früchte goldene Sonnen
Ihre Fülle senken,
Lasset uns an kein Zerronnen –
Heute nicht an Morgen denken!
Laßt uns singen,
Daß die Lieder, die die Götter schenken,
Hell erklingen!
 
 
»Leben« heißt die tolle Dirne,
Die Dein Arm in Lust umfange.
Rosen decken ihre Stirne,
Geht ihr Mund in keckem Sange.
 
 
Trink den Wein aus ihrem Glase.
Schmeckt er nicht, so nimm den Scherben,
Wirf ihr eine blutige Nase.
Buhl mit ihrer Schwester »Sterben«.
 
 
Verspielt war Lieb und Lust und Glück
Und nichts mehr übrig blieben.
Da hab ich einen Augenblick
Dem Teufel mich verschrieben.
 
 
Da floß der Wein, da sprang mein Blut
Rot in die graue Stunde.
Und winkend brach mir Flammenglut
Vom kühl verbotnen Munde.
 
 
Mit leeren Händen griff ich drein
Und haschte nach den Funken,
Und hab vom Mund und roten Wein
Das ganze Feuer trunken!
 
 
Schatz, mein Schatz, Du machst mir bittern Schmerz!
Ich hab Dich wollen küssen,
Ward nausgeschmissen,
Das bricht mein Herz.
 
 
Schatz, mein Schatz, mir war's so kalt im Haus!
In Deinen schönen Armen
Wollt' ich erwarmen,
Jetzt ist es aus.
 
 
Schatz, mein Schatz, nun bist Du gar verlobt!
Nach Deinen weißen Brüsten
Tät mich gelüsten,
Nun han ich ausgetobt!
 
 
Mit Faulheit bin ich hochbegabt
Und Lust am Rauch der Pfeife.
Daß einer sich am Schanzen labt, –
Wer weiß, wann ich's begreife.
 
 
Mein Sinn, der wilde Meereswind,
Will keine Mühlen treiben,
Zerschellt an Klippen, toll und blind
Und heult um kleine Scheiben.
 
 
Wer betet oder spinnt und klagt,
Der habe meinen Segen.
Ich weiß allein, was mir behagt,
Und will des Lebens pflegen.
 

– Im November kam das Kind. Es war ein großer prächtiger Knabe, und Margret behauptete, es sei keins von ihren andern so schön gewesen. Sie konnte das schlafende Büblein stundenlang in ihrem Bette haben und es mit Glück und Rührung betrachten, auch fiel es mir auf, wieviel ängstlicher und sorgsamer als mit den Großen sie mit ihm war. »Es ist ein ganz Besonderes!« sagte sie oft, »ich seh es schon jetzt. Ich möchte gern, daß du ihm Patin wirst, Ageli, weil du so eine Liebe bist. Und du mußt mir versprechen, daß du für ihn sorgst, wenn wir es einmal nicht können sollten. Er soll es gut haben, Ageli, gelt, du verbürgst es mir?«

Ich versprach es; als das Peterlein getauft wurde, stand ich Gevatter, und im Innern machte ich Pläne mit ihm, als ob's mein Eigener wäre.

Etwa drei Wochen nach der Geburt des Kleinen sagte der Arzt zu Adolf und mir, daß Margret nicht mehr lange zu leben habe. Ich war gänzlich unvorbereitet, da sie ohne Schmerzen und immerwährend glücklich und vergnügt gewesen war, nun überfiel es mich mit Schrecken und Grauen; ich konnte es nicht fassen, war namenlos betrübt, daß das schöne und fröhliche Wesen nicht mehr sein solle und brach in ein fassungsloses Schluchzen aus. Adolf nahm es ruhig und schweigend auf.

– Wenn ich nun gedacht hätte, daß es bei Fouqués von jetzt ab anders werden würde, etwa stiller und ernster, so hatte ich mich gründlich getäuscht. Der Winter kam, und die Kinder waren meist auf das Haus und die Stuben angewiesen; nun trugen sie ihre Spiele, ihre Händel, ihren Unband und ihr Gelächter an Margrets Bett. Das Kleine lag in seinem Körblein daneben, krähte und strampelte, daß es eine Lust war, und alle Augenblicke stand Adolf da mit Blumen und Spässen, bereit zu Liebesdiensten und heiterer Gesellschaft. Margret wurde zwar matter, und an ihrem Körper sah man die Zerstörung wohl, aber es war keine Stunde, in der sie einen trüben Gedanken gehabt hätte und nicht befriedigt und strahlend glücklich gewesen wäre.

An einem Märztag, als die Kinder schon wieder draußen waren und Adolf auf einen halben Tag nach auswärts gereist, rief mich Margret zu sich. »Es ist mir ein bißchen bang,« sagte sie zu mir, »und ich kann es fast nimmer erwarten, bis Adolf da ist. Kann man nichts tun, daß er früher heimkommt?«

Ich besann mich, doch war alles ziemlich aussichtslos; man mußte eben warten. Margret gefiel mir nicht –. Ich holte Adolfs Gedichte, legte ihr den Kleinen aufs Bett und setzte mich zu ihr. Endlich kam Adolf; Margrets Gesicht glänzte und lachte, und sie lag selig still in seinen Armen.

Dann tat sie noch einen fast verlegenen, spitzbübischen und bittenden Blick zu mir herüber und sagte ganz leise: »Gelt, Ageli, du bist so gut und läßt uns jetzt allein –!«

Betrübt und beinahe ärgerlich ging ich hinaus und an meine Arbeit. Als nach einer Stunde die Kinder heimkamen, trat Adolf aus dem Schlafzimmer und sagte, daß Margret gestorben sei.

– Als ich ihm am Abend dieses Tages Gute Nacht gesagt hatte und eben in mein Zimmer wollte, hielt er mich noch ein wenig am Aermel fest und sah mir ernst und eigentümlich in die Augen: »Es ist schade, daß du nicht dabei warst, als sie starb. Ich sage dir nur, du kannst froh sein, wenn es mit samt deiner Anstrengung und Plackerei an deinem Ende so schön und glücklich hergeht. Gute Nacht, Ageli; es ist nichts mit eurer Weisheit.«

Als am Morgen die Leichenfrau kam, setzte ihr Adolf ein gutes Vesper vor, fragte sie nach der Schuldigkeit und bezahlte sie. Dann, als sie an ihre Arbeit gehen wollte, bot er ihr ihre Jacke und ihren Hut und nötigte sie freundlichst zur Tür hinaus. »Wir danken Ihnen recht schön, Frau Müller; das andere besorgen wir gerne selber!«

Nun wusch er Margret mit seinen schönen, weißen Händen, bekleidete sie und legte sie in den Sarg und machte das alles ruhig und unendlich zart und fein. Ich sah nur zu und stand still dabei, kaum daß ich ein paar Handlangerdienste tun durfte.

Auch als nun die Trauerbesuche kamen, benahm er sich ernst und würdig und war ohne Spott und ohne seine boshaften Blicke. Nur als am zweiten Tag der Stadtpfarrer ihn aufsuchte, um ihm Beileid zu sagen und etliches wegen der Leichenrede zu fragen, geschah ihm etwas recht Mißliches. Ich war eben ausgegangen und Adolf mit seinem kleinen Mädelchen allein in der Wohnung. Das Kind war in dem fremden und ungewohnten Getriebe ängstlich und weinerlich geworden; Adolf setzte sich daher mit ihm auf einen Stuhl in den Gang und versuchte in seiner herkömmlichen Weise, es zu trösten. Die beiden gerieten dabei an jenes schöne und ergötzliche Spiel, wobei man sich erst an der Nase zieht und dazu die Zunge herausstreckt, sich sodann erst am rechten, hernach am linken Ohrläppchen packt und die Zunge jeweils in der angedeuteten Richtung bewegt, endlich aber sich aufs Kinn stupst und die Zunge dabei hineinschnappen läßt und dieses alles so närrisch und gewandt als möglich wiederholt. Und sie betrieben dieses Spiel mit Eifer und herzlicher Vergnügtheit eben in dem Augenblick, als der geistliche Herr die Treppe heraufkam und durch die offene Glastür das seltsame Gebaren der trauernden Hinterbliebenen sehen konnte. Er sah es aber nicht lange mit an, sondern ging meuchlings, ohne Gruß und in tiefer Entrüstung die Treppe wieder hinunter, und die Leichenrede am andern Tag fiel auch darnach aus.

Auch meine Mutter war zu Margrets Begräbnis hergekommen; wir hatten uns seit damals nimmer gesehen, und sie erkannte mich kaum mehr, so groß und stark war ich inzwischen geworden. Es war mir ein eigenes Gefühl, als sie mich küßte und mir in die Augen sah; ich wußte nicht, sollte ich mich schämen oder stolz sein. Die alte, herzliche Liebe war aber schnell wieder da, und wir waren in jenen Tagen viel beieinander. Die Mutter hatte sich nicht verändert; sie sah schön und vornehm aus in ihrem vollen weißen Haar und dem feinen Kleid, das ihr der Greiner geschenkt hatte, und sie saß wie eine fremde, alte Königin unter uns.

– Als die Trauergäste fort waren und eben die letzten von ihnen um die Straßenecke bogen, stand Adolf unter dem Fenster und schaute ihnen nach; er räusperte sich von Herzen und spuckte hinter ihnen her in den schönen weißen Märzenschnee hinunter. Dann schnaufte er tief auf und drehte sich um. Als ich später am Wohnzimmer vorbei kam, hatte er die Tür und alle Fenster sperrangelweit aufgerissen, so daß der kalte Wind mächtig durchfuhr. In der Stube aber lief Adolf mit einer kräftigen Zigarre auf und ab, die dicken Wolken in alle Winkel blasend, als ob er ein übles Gestänklein ausräuchern wolle; und als er mich, die ich erschrocken über ein solch befremdendes Getue in der offenen Tür stehen geblieben war, gewahrte, nickte er mir freundlich zu: »So, nun könntest du die Stube wieder warm heizen; man kann's jetzt wieder aushalten hier drin!« Und er machte seine Fenster zu.

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Es verstand sich von selber, daß ich vorerst dablieb, bis die Verhältnisse etwas geordneter waren und das Kind größer. Und merkwürdig schnell brachte ich nun das fertig, was zu Margrets Lebzeiten nicht gelungen war: den verlotterten Haushalt einigermaßen herauf zu bringen. Ich machte freilich die wilden und jeder Pünktlichkeit abholden Buben nicht von heut auf morgen anders, und täglich kam mir Adolf mit einer Schlamperei oder seine Katzen mit irgendwelcher Tragödie zwischen meine edlen Bestrebungen. Aber mit einemmal blieben die Stuben sauber und aufgeräumt, es hatte keiner mehr ein zerrissenes Hemd an, die Mahlzeiten standen pünktlich auf dem Tische, und Adolf ging wenig mehr ins Wirtshaus, da ich ihm auf den Abend etwas Gutes kochte, vorher die Kinder ins Bett tat und einen hübschen Tisch dazu deckte. Das Geld reichte besser, wenn man es einteilte, – nach und nach wurde auch der Weißzeugkasten durchgeflickt, und der jahrelang aufgespeicherte Staub kam hinter den Möbeln hervor. Und wenn man genau hinsah, so schien es fast, als sei in diesem Haushalt einzig Margret das hemmende Element gewesen. Nun, da sie nicht mehr da war, war auch mit einem Schlage jenes unheimliche Loch verschwunden, für das ich seither gearbeitet hatte; und unter meiner unentwegten Arbeit ging es glatt und gedeihlich vorwärts.

Am Anfang war es freilich keinem wohl dabei. Adolf suchte betrübt nach einem Staub, in den er seine Verse schreiben konnte, den Buben war es unbehaglich in ihren neuen Hosen; auch war es nicht gemütlich, immer zur pünktlich festgesetzten Essenszeit von seinem Spiel oder Geschäft weglaufen zu müssen, und vor lauter Ordnung fand erst keiner seine Sachen mehr. Dazu fehlte einem der vergnügte Spektakel, der stets um Margret herum gewesen war, das leere Bett bedrückte einen ordentlich, und es dauerte eine gute Zeit, bis man sich an alles das gewöhnt hatte und bis die alte Fröhlichkeit in neuere und festere Bahnen gelenkt war.

An den Abenden bekam ich nun auch eher die Hände frei für Breisels Nöte. Ich erinnere mich, daß wir in jenem Jahr zum erstenmal mit den Büchern in Ordnung waren, daß wir Ladenputzerei hielten und daß unsere Rücksendungen noch beinahe recht zur Ostermesse nach Leipzig kamen.

In jener Zeit mußte ich oft und ungewollt über meinen Schwager nachdenken. Wir lebten ja nun so nahe zusammen, daß ich ihn gründlich kennen lernen konnte. Es erfüllte mich mit grenzenloser Verachtung, daß er zumeist, wenn ich spät abends todmüde vom Geschäft heraufkam, in behaglicher Faulenzerei am Klavier saß; und doch, – wie er es tat und wie er mich dabei lächelnd und leisen Spottes voll anschaute, so mußte es mir doch wieder gefallen. Ich wußte, wie unendlich gewinnend und anziehend er sein konnte und daß er etwas an sich hatte, das einem jungen Mädchen gefährlich war. Doch hatte ich einen mächtigen und doppelten Talisman dagegen: ich durfte nur einen Augenblick an meinen toten Gottfried denken und sein leuchtendes Bild in meinem Innern erstehen lassen oder ich brauchte bloß ein wenig Goethe oder Hölderlin zu lesen, so schwand gleich alles Schwüle und Dunkle. Ich stand wieder in dem reinen und glühend hellen Lichte jener Liebestage, davor Fouqué samt seinem Breisel und dem verfahrenen Haushalt nichtig und jämmerlich wurden und es nimmer wert waren, daß ich ihnen außer der Kraft meiner Hände noch etwas anderes schenkte. Und dann kam noch ein Ereignis dazu, das mich vollends aus dem Fouqué'schen Banne riß und hoch darüber emporhob.

Eines Morgens, nachdem ich längst alle Hoffnung aufgegeben hatte, bekam ich Nachricht von meinem eingesandten Manuskript. Ich hätte es falsch adressiert, – nun sei es nach vielen Irrfahrten aber doch in die rechten Hände gekommen; man habe es angenommen, wolle es bald abdrucken und biete mir fünfzig Mark dafür an. Dann standen noch einige Fragen in dem Brief, – ob ich schon mehr habe erscheinen lassen, was ich noch vorrätig habe und dergleichen mehr. Ich freute mich unsäglich darüber, schrieb hin und schickte ein paar Gedichte mit. Darauf kam von dem wohlwollenden Redakteur eine Einladung, ob ich ihn nicht an einem Abend einmal besuchen möge; er hätte mich gern kennen gelernt.

Die Stadt lag mit dem Zug zu fahren eine Stunde von der unsern weg; ich erfand nun Adolf gegenüber eine Ausrede, fuhr hin und wurde von dem Redakteur und seiner lebhaften Frau freundlich empfangen. Dann wurde ich zum Nachtessen eingeladen, es war noch ein Herr da, der etwas von der Schriftstellerei verstand, ich mußte erzählen, sprach auch von meinem Roman, den ich schreiben wolle, und es war mir zumut wie im Traum und Märchen. Dabei erfuhr ich auch zum erstenmal, daß man mit dem Bücherschreiben wirkliches Geld verdienen konnte; Gottfried hatte das nicht so recht gewußt, und Adolf hatte ich in meiner Angst, er möchte etwas von meiner Schriftstellerei erfahren und mich deshalb auslachen, nie darüber zu fragen gewagt. Nun war ich ungemein erstaunt und erfreut darüber.

In der schönen Sommernacht fuhr ich heim. Das Herz war mir voller Hoffnungen und seligklopfender Erwartung. Die ganze leuchtende Ferne meiner Träume war vor mir aufgetan; die fremden Länder und Meere und Herrlichkeiten meiner Sehnsucht wollten Wirklichkeit werden und waren mir zum erstenmal verlockend nahe. Ach, nun sollte alles Zufällige, Kleinliche und Hemmende wegfallen, mein Leben sollte mir gehören und ganz in dem beständigen, unangreifbaren Reich des Geistes sein. Ich konnte mir zwar noch nicht recht vorstellen, wie das werden würde; wenn ich einen Plan fassen wollte oder mir etwas Näheres ausdenken, so floß alles in einen feinen schimmernden Duft und Nebel zusammen. Doch war es köstlich und kam den Wonnen einer allerersten Jugend gleich, so halb blind und träumend diesem Schönen und Wunderbaren, das auf mich wartete, entgegen zu fahren und die reine und kindliche Seligkeit des Ahnens und unbewußten Vorausfreuens zu genießen. Deutlich spürte ich nur das Eine: das, was mir all dieses erschließen sollte, jene fremde, schöpferische Lust, war gewaltig und drängend über mir, jeden Augenblick bereit, mich wegzuführen und hinzureißen und mich mit ihrer göttlichen Fülle zu überschütten.

Seit Gottfrieds letzten Tagen war ich nimmer so selig gewesen wie bei dieser nächtlichen Fahrt durch das warme Land; ja, es war mir, als sei mir eine neue Liebschaft aufgegangen und liege mir süß und betörend im Blute.

In den nächsten Tagen schaffte ich wie ein Gaul aus lauter bedrängender Freude heraus, und mit den Buben war ich so lustig und übermütig, daß der sanfte Breisel baß verwundert durch sein Fensterlein in den Hof hinaus äugte. Aber mein Herz und meine Gedanken waren weit ab davon; sie dichteten und fuhren auf blauen Meeren und sahen in Fouqués Sortiment ein Buch liegen, das die Agnes Flaig geschrieben hatte. Etliche Male nahm ich einen Anlauf, Adolf davon zu sagen, ihn zu veranlassen, daß er sich eine Haushälterin suche und mir meine Freiheit gebe. Ich hatte im Sinne, mich einige Zeit in irgend einer schönen Stille von meinem Ersparten zu nähren, bis ich meinen Roman geschrieben hatte. Das Honorar wollte ich für das Peterlein zurücklegen, damit es vorläufig etwas für die Not habe; dann aber wollte ich in die Welt hinaus, und die Herrlichkeit konnte losgehen. So oft ich aber anhub, Adolf meinen Entschluß zu sagen, blieb es mir vor Zaghaftigkeit im Halse stecken und ich brachte es nicht heraus.

Nun hatte ich mir's aber für einen Sonntagabend ordentlich vorgenommen, und nach Frauenart suchte ich Adolf in möglichst gute Laune zu bringen, damit er's gnädig aufnehme. Ich sorgte also, daß Blumen da waren und ein Wein, den er gern hatte, und richtete ein gutes Abendessen. Am Nachmittag gingen wir mit den Kindern und dem Kleinsten im Wägelein zu Margrets Grab hinaus und brachten ihr einen frischen Kranz; hernach aber machten wir einen weiten Spaziergang über die sommerlichen Berge. Adolf war in prächtigster Laune; es hätte meiner schlauen Fürsorge für den Abend gar nicht bedurft. Er neckte mich beständig und stiftete die Buben zu allerhand Unfug an, der mich zur Entrüstung und zum Schrecken bringen sollte, worüber mich dann alle unbändig auslachten. An einem kleinen See im Wald ruhten wir aus, die Kinder spielten um uns herum und aßen ihr Vesperbrot, indes Adolf und ich im Grase lagen und genießerisch über das stille, glänzende Wasser hinsahen.

»Es ist doch elend fein hier,« sagte Adolf. »Was meinst du, – wir wollen jedes ein Gedicht darüber machen und es dann einander vorlesen, welches schöner ist –?«

Ich ging darauf ein, setzte mich ein wenig abseits und begann mit fürchterlicher Sorgfalt und Bemühung den stillen See anzudichten, denn ich wollte mich nicht vor Adolf schämen müssen. Dann schrieb ich's auf und ging zu ihm hinüber. »Bist du fertig, Adolf?«

Er nickte. »Aber lies du dein's erst.«

Es waren ein paar ganz leidlich nette Verse geworden. Als ich fertig war, sah ich Adolf mit Spannung an. »So, nun kommst du!«

»Ach, weißt du, ich habe gar kein Gedicht gemacht; ich wollte nur herauskriegen, wie du dichten kannst!« Und er fing gewaltig an zu lachen; die Buben kamen angesprungen und lachten der Spur nach mit, und ich ärgerte mich wirklich ein wenig darüber, daß ich mich so hatte hereinlegen lassen. Doch zeigte ich's nicht und freute mich im stillen meines Trumpfes, den ich für diesen Abend im Sack hatte.

Dann, als wir wieder zu Hause waren und ich die Kinder ins Bett getan hatte, kleidete ich mich um und deckte den Tisch zum Abendessen recht fein und hübsch, wie Adolf es gern hatte. Auch zwickte ich mich noch einmal tüchtig ins Ohrläppchen, ehe ich ihn rief, – um mir Mut zu machen. Als er in's Zimmer kam, blieb er überrascht vor mir stehen.

»Ei, Mädel, was bist du hübsch!«

Er stand ganz stille vor mir, ließ seine Augen lächelnd und voll großem Wohlgefallen auf mir ruhen, und am Schlusse nahm er meinen Kopf zwischen seine Hände und küßte mich auf den Mund.

Dann setzten wir uns zum Essen; es war mir zwar unter dem Kusse etwas warm geworden, doch tat ich so unbefangen als möglich und gab mir Mühe, recht vergnügt zu sein. In dem Winter, ehe Gottfried starb, hatte ich mir einen feinen lichtfarbenen Stoff gekauft und ein Kleidlein daraus genäht; das trug ich nun, und es war das erstemal, daß mich Adolf darin sah. Ich habe das reiche, braune Haar unserer Mutter geerbt und bin gerade und wohl gewachsen; auch war mir das Kleid gelungen und hübsch und festlich geworden; so mag es wohl sein, daß ich an jenem Abend gut ausgesehen habe. – Auf dem Tisch stand ein großer, farbiger Strauß von allen Blumen des Gartens, die Fenster waren weit offen, ließen Wärme und Sommergeruch herein, und als das Licht brannte, hielt die schwärmerische Schar der Nachtfalter ihren Einzug und begann um Lampe und Tischtuch einen leisen schwirrenden Tanz zu halten. Das Essen war gut und schmeckte uns herrlich; zum Schlusse gab es ein süßes Speislein und einen hellen, herb und köstlich duftenden Wein. Adolf strahlte in seiner heitersten Stimmung, war voller Witz und Uebermut und riß mich bald in seine Ausgelassenheit mit hinein. Mir erschien diese köstliche Nacht so recht als ein Vorschmack des neuen Lebens, in das ich nun hinüber gehen wollte, und daß schon in der nächsten Stunde der entscheidende Schritt dazu getan werden sollte, erfüllte mich mit einem geheimen, glücklichen Rausch.

Возрастное ограничение:
12+
Дата выхода на Литрес:
30 июня 2018
Объем:
250 стр. 1 иллюстрация
Правообладатель:
Public Domain

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