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Kapitel 2

Karl erwachte zu dem beruhigenden, stetigen Geräusch des Meeres. Der Sturm war vorbei und das andere Bett war leer. Er rieb sich die Augen und setzte sich auf. Dann schwang er die Füße auf den Boden und lehnte sich vor, bevor er ins Bett zurücksinken konnte. Es war wenige Minuten nach fünf, der Himmel noch kaum hell und seine Gedanken krochen widerwillig dahin.

Er hasste frühe Morgen.

Er blinzelte in den Gang, schaltete dort das Licht ein und zog sich in seinem halbdunklen Zimmer an. Wenn nicht die ordentlich ausgepackten Habseligkeiten gewesen wären, wäre er überzeugt gewesen, dass Farnsworth – Dan, dachte er ungebeten, Dan gefiel ihm besser – lediglich seiner Vorstellungskraft entsprungen war.

Nach seinem hastigen Rückzug in die Dusche hatten sie nicht viel voneinander gesehen. Karl war in ein stilles Zimmer zurückgekehrt. Er hatte sich angezogen, seine restlichen Aufgaben des Tages erledigt und zum Abschluss mit Lang und Scobey zu Abend gegessen. Von Dan hatte jede Spur gefehlt, offenbar hatte er eine umfangreiche Führung durch die Station bekommen. Karl war ins Bett gegangen und eingeschlafen, bevor Dan zurück gewesen war, und danach hatte er nichts mehr gehört, was untypisch für ihn war.

Sein Blick huschte über den Zeitungsausschnitt, der an der Pinnwand hing, und er runzelte die Stirn. Für ihn war er eine Warnung und er fragte sich, warum Dan ihn gestern so eingehend angestarrt hatte.

In der Station herrschte rege Betriebsamkeit und er mied Blickkontakt und Begrüßungen, während er durch den Gang zur Messe schlurfte. Er konnte in seinem Zimmer Kaffee kochen, aber wozu sich die Mühe machen? Irgendjemand hatte bestimmt eine Kanne aufgesetzt und er war nicht wählerisch. Er füllte eine Tasse, nahm sich eine Banane, hielt auf den hinteren Tisch zu und fühlte sich allmählich funktionsfähig, während er beides verdrückte.

Der neue Wochenddienstplan hing an einem riesigen Whiteboard an der Wand gegenüber. Er hatte erst in ein paar Stunden Dienst, genau wie Farnsworth. Jameson hatte es für angemessen erachtet, ihnen diese Woche dieselben Zeiten zu geben. An sich war das eine gute Idee, da sie sich ja kennenlernen mussten, wenn sie zusammenarbeiten sollten. Das bedeutete aber nicht, dass sie Freunde werden mussten.

Karl wusch seine Kaffeetasse und vermied es sorgfältig, an Dan zu denken.

»Und? Immer noch Angst vor dem Neuen, hm?«

Karl stellte die Tasse auf das Abtropfgestell, drehte sich um und lehnte sich an die Theke. »Was?«

Jenkins grinste breit und besserwisserisch, denn mit seinem spitzen, dunklen Haaransatz und den tiefliegenden Augen sah er ohnehin wie ein Klugscheißer aus. Und er verhielt sich auch wie einer. »Worth.«

»Worth?«

»Ja, Farnsworth. Hast du ihn gesehen? Ich nicht.«

»Ja, und?« Karl beäugte die Tasse, die auf dem Gestell tropfte. Er nahm sie und schenkte sich neuen Kaffee ein.

»Na, er versteckt sich schon seit einer Stunde. Wir dachten alle, na, du weißt schon.«

Karl trank den Kaffee halb aus und sagte mit einem entnervten Seufzer: »Nein, weiß ich nicht.« Er starrte Jenkins finster an und machte eine Fahr fort-Handbewegung. »Wohin ist er verschwunden?«

»Er ist in den Ort gerannt – und das meine ich wörtlich.«

Heber kam zur Kochnische und bereitete sich Pfefferminztee in seiner allgegenwärtigen Reisetasse zu. Für Karl sah er immer aus wie zwölf – groß, kräftig, blond und blauäugig. Hinter seiner lockeren Ausstrahlung verbarg sich stählerne Entschlossenheit und das Können, alle unter seiner Obhut am Leben zu halten.

»Gott, Jenks, du bist so ein Klugscheißer. Du weißt, dass Radin um diese Uhrzeit keine zwei funktionierenden Gehirnzellen hat.« Heber nickte Karl zu. »Worth ist vor einer Stunde hergekommen und hat nach dem besten Weg in den Ort gefragt. Ich hab ihn beschrieben und bevor wir uns versehen haben, war er zur Tür raus und am Joggen. Ich hab ihm nachgerufen, dass ich bald dienstfrei hätte, falls er einen Fahrer bräuchte, aber er hat gewunken und ist einfach weitergelaufen.«

»Ah. Damit habe ich nichts zu tun.« Karls Finger kribbelten durch den inneren Drang, seine Schlüssel zu nehmen und ihm nachzufahren. »Danke.«

»Ich achte nur auf eure Gesundheit.« Heber sah auf seine Uhr. »Aber in drei Stunden bin ich nicht länger der diensthabende Sanitäter, also komm nicht zu mir, wenn du Hilfe brauchst.«

Karl schnaubte und trank seinen Kaffee aus.

»Was hältst du von unserem neuen Superschwimmer?«, fragte Jenkins ernst.

»Wahrscheinlich ist er besser als du, aber das ist ja nicht schwer. Wir werden sehen.« Karl wusch die Tasse noch einmal und tauschte ein Grinsen mit Heber. »Bis später.«

Heber hob seinen Tee und Jenkins murmelte etwas, das nicht gerade wie ein höfliches Bis dann klang. Ohne sich mit Begründungen aufzuhalten, beschloss Karl, Dan zu folgen.

Bis zum Ort waren es mehrere Meilen. Keine unmögliche Entfernung, aber mehr als er rennen würde. Sie konnten sich genauso gut besser kennenlernen. Ein Treffen im Ort wäre ein guter Eisbrecher. Ölzweig? Wie auch immer.

In wenigen Momenten hatte er seine Schlüssel, ein Handtuch sowie zwei Kapuzenpullis beisammen und seine krakelige Unterschrift auf das Abmeldeformular gesetzt. Ein kalter Wind versuchte, ihn wieder ins Gebäude zu schieben, also blieb er in dem kleinen Vorraum stehen, zog einen der Kapuzenpullis an und ging entschlossen weiter.

Karls uralter Jeep parkte am anderen Ende des Parkplatzes auf einem Abhang – es erleichterte den Start. Er pumpte Sprit, zog die Bremse und startete den Motor. Dann wiederholte er die Prozedur und der Jeep sprang an, zuerst laut, bevor er seinen Rhythmus fand, Karl die Bremse lösen und anfahren konnte.

Es dauerte länger, als er erwartet hatte, Dan einzuholen, und er schwitzte lange Momente in dem Gedanken, Dan hätte die Straße verlassen, wäre ins Wasser gefallen oder sonst etwas. Aber nein. Als er eine Serpentine hinter sich gebracht hatte, entdeckte er Dan. Sein leuchtend oranges T-Shirt hob sich gegen die Gischt und das Grau ab.

Karl bremste ab und lehnte sich hinüber, um das Fenster herunterzukurbeln. »Gehst du in meine Richtung?«

Dan war auf das andere Ende der schmalen Straße ausgewichen und zuckte bei Karls Worten zusammen.

»'Tschuldige. Komm schon, steig ein.«

Dan starrte ihn an, dann erkannte er ihn offensichtlich und die Überraschung verschwand. »Ach, nein. Ich komme schon klar, danke.«

Karl fuhr neben ihm her. »Wäre besser, wenn du dich einfach mitnehmen lässt. Du hast schon mehrere Meilen hinter dir und es wird regnen. Der letzte Teil der Front, die den Sturm gestern gebracht hat, wird in…«, er sah an Dan vorbei auf das Wasser, »… etwa zwanzig Minuten hier durchziehen.«

»Ich meine das ernst. Ich komme klar.«

»Kalter Regen. Mitten aus dem herzlosen, nördlichen Pazifik – raue See, Wind, Regen.« Karl hielt den Jeep mit einem Ruck an und warf das Handtuch durch das Fenster. Er hatte gut gezielt und es landete auf Dans Kopf. »Komm schon.«

Dan schien zu seufzen. Dank des dämpfenden Handtuchs war sich Karl nicht sicher, aber dann sackten Dans Schultern nach unten und er kletterte in den Jeep. Er trocknete sich die platt am Kopf liegenden Haare und feuchten Arme ab. Seine Shorts waren in seinem Schritt hochgerutscht und Karl musste einfach starren, als Dan sein Shirt auszog.

Ihre Blicke trafen sich und Karl hielt den anderen Kapuzenpulli hoch. »Äh, den hab ich für dich mitgebracht.«

»Danke. Das hättest du nicht…« Dan brach ab und schüttelte den Kopf. Er zog den Pulli an – er spannte etwas über der Brust – und faltete das Handtuch über die nackten Beine.

Karl starrte immer noch. Er leckte sich die Lippen, zwang seinen Blick wieder auf die Straße und schaltete in den nächsten Gang. »Wenn du das Fenster schließen willst, musst du kurbeln. Trockene Socken sind im Handschuhfach.«

Dan antwortete nicht und sie fuhren schweigend weiter. Nach einigen Minuten öffnete er allerdings das Handschuhfach und wechselte die Socken. Dann stieß er einen kleinen, zufriedenen Seufzer aus, der Karls Nerven kitzelte.

»Gutes Gefühl?«, fragte er und verdrehte dann die Augen. Dumme Frage. Dumme, belegte Stimme. Einfach dumm. »Wenn du dich um deine Füße kümmerst, kümmern die sich um den Rest.«

Dan grinste über den Satz, den sie alle ständig im Dienst hörten. »Es ist wirklich ein gutes Gefühl. Danke noch mal.«

Er lächelte, aber Karl sah das Zögern dahinter und versuchte, sich nicht daran zu stören. Er sah mehr als Nervosität – etwas Trauriges und Verlorenes in Dans Miene. Er hasste es, dass er das bemerkte und dass es seinem Herzen einen Stich versetzte. Der nagende Verdacht von gestern Abend kehrte zurück, aber er wusste nicht, was genau so verdächtig erschien.

Dan spielte mit einem abgenutzten Papierstreifen herum und etwas Metallisches blitzte auf. Er hielt das Papier in der offenen Handfläche und wurde still. Die Trauer hing um seine Schultern wie ein Mantel.

Karl seufzte. Verletzlichkeit war wie Katzenminze für ihn – als bräuchte er noch mehr an diesem Jungen, das er wegsperren und ignorieren musste. Wenn er sich nicht vorsah, würde er sich in ihm verlieren.

»Wolltest du schon immer in die Küstenwache?«

»Hmm?« Dan schloss die Hand um das Stück Papier und schob beide Hände in die Taschen des Pullis. Als er aufsah, standen Fragen und vielleicht eine Erinnerung in seinen Augen.

»Ich hab nach deiner Geschichte gefragt. Small Talk, weißt du?«

»Oh—oh. Ja, mehr oder weniger. Eine Weile lang dachte ich, ich werde Profi-Surfer.« Dan zuckte mit den Schultern. »Ich bin gut, aber nicht so gut. Ich bin einer von denen, die schon schwimmen konnten, bevor sie laufen gelernt hatten, bin mit… jemandem, der mich in die Richtung gedrängt hat, an der Küste aufgewachsen.«

»In den Job gedrängt?«

Dans Mundwinkel hoben sich. »Irgendwie schon. Es hat sich einfach natürlich angefühlt. Ich bin ein besserer Schwimmer als Surfer und ich liebe den Rausch und die Herausforderung bei den Rettungsmissionen. Also bin ich hier.«

Dans Antwort ließ eine Menge ungesagt, aber Karl fragte nicht weiter.

»Ich bin hier aufgewachsen.«

»Ach ja?« Dans Stimme erwärmte sich interessiert und er sah auf die wunderschöne, raue Landschaft hinaus.

Karl konnte seine Gedanken beinahe hören, während Dan sich vorstellte, wie diese Kindheit wohl ausgesehen hatte. Im Großen und Ganzen war sie gut gewesen und Karl konnte sich nicht darüber beschweren, wo er gelandet war.

»Ja. Gibt nicht viele von uns, die hier geboren sind. Du hast Glück, Junge – genieß es, solange du hier bist.«

»Zeigst du mir, wie der Hase läuft?«

»Oder ich ziehe ihm das Fell über die Ohren, wenn du mir Ärger machst.« Karl schaltete herunter und schluckte, als Dan sich mit konzentriert verengten Pupillen zu ihm umdrehte.

Unbehagliches Schweigen senkte sich über sie. Hitze breitete sich von Karls Schritt bis in seine Brust aus, machte seine Arme schwach und brachte seine Gedanken durcheinander.

»Na, hier sind wir.« Seine Stimme brach vor Erleichterung, als sie das abgenutzte Schild passierten, das sie im Ort willkommen hieß. »Gibt es eine bestimmte Stelle, wo ich dich absetzen kann?«

»Egal, wo.« Dans Arm zuckte in der Tasche des Pullis, aber er zog die Hand nicht heraus. »Ich wollte mir Eider nur ansehen. Mich damit vertraut machen.«

Karl fuhr weiter ins Zentrum und hielt vor EiderUp, Postamt/Lebensmittel/Armeeladen in einem. »Das ist fast ganz Eider, aber nur zu.« Er drehte sich zu Dan um und stützte den Arm auf dem Lenkrad ab. Er konnte sehen, dass Dan keine Gesellschaft wollte, aber er würde ihn nicht hier zurücklassen, vor allem nicht kurz vor dem Nachmittagsdienst. »Ich treffe dich hier in einer Stunde.«

»Du musst nicht—«

»Ich werde da sein. Hast du den Hasen schon vergessen?«

Röte stieg in Dans Wangen und Karl blinzelte, beugte sich vor und würgte dabei den Motor ab.

Dan stieg aus dem Jeep und blieb in der Tür stehen. Er mied Karls Blick, während er in der Tasche seines Pullis herumfummelte. Karl dachte an das Stück Papier. Er würde den Jungen davon abhalten müssen, je bei den Pokernächten auf der Station mitzumachen.

Dann begann der Regen, den er vorhergesagt hatte, auf das Stoffdach zu tropfen.

»Okay. Ich werde da sein.« Dan zog die Kapuze hoch, knallte die Tür zu und ging davon.

Karl lauschte dem Regen und zwang sich, Dan nicht nachzusehen. Er besorgte sich im Laden für alles einen Kaffee, hörte sich den neuesten Klatsch an und saß dann lesend im Jeep. Die meiste Zeit starrte er auf die Zeitung, ohne die Worte zu verarbeiten, und fragte sich, was Dan verbarg und wofür er wirklich in den Ort gekommen war.

***

Dan zog die Schultern hoch und den Kragen des Kapuzenpullis über die Nase. Er roch angenehm – frisch und würzig, wie das Zimmer, das er bewohnte. Wie Karl.

Er brummte und stellte sich unter das Dach des nächsten Eckgebäudes. Die Mitfahrgelegenheit hierher und zur Station zurück gab ihm viel mehr Zeit. Er war dankbar dafür und auch für den Pulli und die trockenen Socken. Er beobachtete, wie Karl ins Postamt schlüpfte, und hasste es, wie sehr er ihn mögen könnte, wenn er Gelegenheit dazu hätte.

Dan prüfte den Kompass auf seiner Uhr, um sich zu orientieren, und begann, in westlicher Richtung aus dem Ort hinauszujoggen.

Eider war nicht mehr als eine kleine Ansammlung von Wohngebäuden an einer Kreuzung. Bald hatte er den Ort hinter sich gelassen und rannte an größeren, weiter auseinanderliegenden und überwucherten Grundstücken mit alten Wohnmobilen, Anhängern, Blockhütten und einigen Ferienhäusern vorbei. Am Fuß eines Hügels fand er das beschriebene Kühlhaus neben der Straße, wandte sich nach Norden und erklomm eine Steigung.

Er übersah die Hütte und rannte eine Viertelmeile weiter in eine Sackgasse, bevor er etwas merkte. Er bremste ab, rannte zurück und suchte nach der Einfahrt. Schließlich fiel ihm das verzogene Sperrholz, das aus dem Unkraut am Straßenrand herausragte, auf und dahinter versteckte sich etwas unter dem Dornengestrüpp und Efeu, das wie ein Haus aussah.

Die Sperrholzplatte führte über einen Metallabzugskanal auf einen schmalen Pfad. Dan arbeitete sich durch eine dornige Stelle, testete das freiliegende Holz der Veranda mit einem Fuß, um sicherzugehen, dass es ihn trug, und versuchte, den Schlüssel in das Vorhängeschloss an der Tür zu stecken. Er passte nicht. Der Schock erschütterte ihn körperlich und er trat zurück. Er musterte die Hütte, kehrte zur Straße zurück, um sie von oben bis unten zu betrachten, und prüfte seine Koordinaten.

Es war die richtige Hütte. Sie musste es sein.

Dan dachte über seine Optionen nach, schob sich erneut durch die Dornen und stieg wieder auf die Veranda. Er nahm Anlauf und trat die Tür ein. Das Vorhängeschloss hielt, aber der klapprige Türrahmen gab nach. Stickige, faulige Luft wehte ihm entgegen – Tiergeruch, moderndes Holz und irgendetwas Chemisches – und er würgte. Er blieb auf der Veranda stehen, um wieder zu Atem zu kommen, dann zog er den Pulli über die Nase hoch und trat ein.

Ich habe eine Hütte im Wald. Du würdest es hier lieben.

Mit Axes Stimme im Ohr ging Dan einmal durch den Innenraum. Nachdem Axe von zu Hause ausgezogen war, hatten sie nicht mehr viel geredet und noch weniger, als Axe nach Alaska versetzt worden war, aber die Hütte war eine so große Sache für ihn gewesen, dass er sie früh erwähnt hatte. Er hatte Dan die Koordinaten geschickt und gesagt, er sollte sie sich über Satellit ansehen, hatte mit der Aussicht und dem nahen Fluss geprahlt und damit, dass er von der Veranda aus Bären und Wölfe beobachten konnte. Dieser schäbige und armselige Ort war nicht gerade das, was Dan erwartet hatte.

Hatte Axe sie in diesem Zustand gekauft, aber nie Gelegenheit gehabt, sie zu renovieren? Konnte sie in den wenigen Wochen seit Axes Tod verfallen sein? Hatte Axe ein solches Leben gewählt? Dan wusste es nicht. Hier in der Wildnis schien alles möglich.

Er aktivierte die Taschenlampe seines Handys und leuchtete durch den Raum, ignorierte jedoch das leise Rascheln. Abgesehen davon, wie verfallen es war, sprang ihm nichts ins Auge. Er ging die ganze Hütte ab, wippte hier und dort auf den Dielen, fand jedoch keine Verstecke darunter. Die Rundholzwände waren robust und der einzelne Schrank war leer und hatte keine falschen Böden oder Geheimfächer, soweit er erkennen konnte.

Dan öffnete die Hintertür und schloss sie wieder. Etwa drei Meter hinter der Hütte fiel der Hang abrupt ab und davor war lediglich noch mehr dichtes, böses Dornengestrüpp.

Er suchte unter der Veranda, fand nichts und gab dann sein Bestes, die Seitenwände der Hütte zu überprüfen. Eine Seite war fast komplett von einer hässlichen, giftig aussehenden Pflanze mit glänzenden, rotbraunen Blättern verdeckt. Auf der anderen Seite gab es einen Schornstein, den er von innen nicht gesehen hatte. Er hatte sich von der Wand gelöst und neigte sich gefährlich auf eine Seite. Das Loch, das davon zurückgeblieben war, war mit Brettern vernagelt und das Dach mit Wellblech geflickt.

Keiner der Steine wackelte oder ließ sich herausziehen, aber der Schornstein selbst wirkte nicht gerade stabil, also tastete er das Fundament ab und bekam doch nichts außer schlammiger Knie und dreckiger Hände.

Dan seufzte frustriert und kramte den Zettel aus seiner Tasche.

Wenn du je hier heraufkommst, um deinen dummen großen Bruder zu sehen, wirst du das brauchen.

Die kryptischen Worte und der Schlüssel, um die sie gewickelt gewesen waren, waren alles, was er hatte – das und ihre Gespräche über die Hütte. Dan war sich sicher, dass beides zusammengehörte.

Als Kind hatte Dan Axe verehrt. Er war zehn Jahre älter und immer so stark und schnell und cool gewesen. Axe hatte einen anderen Vater, aber keiner ihrer Väter war bei ihnen geblieben. Da ihre Mutter sich kaum für sie interessierte, war Axe Dans ganze Welt gewesen. Er hatte ihm Schwimmen und Surfen beigebracht und wie man zu einem Mann heranwuchs, zumindest versuchte er es so gut, wie ein Teenager das konnte. Aber zehn Jahre Altersunterschied waren zu einer Kluft zwischen ihnen geworden, als sie zehn und zwanzig gewesen waren und Axe der Küstenwache beigetreten war. Danach war er aus Dans Leben verschwunden.

Dan war ihm wieder gefolgt und am Tag seines Schulabschlusses zur Küstenwache gegangen. Aber er hatte es ebenso für sich selbst gewollt, wie er seinem älteren Bruder hatte nachfolgen wollen. Er liebte das Wasser und das Schwimmen, den Rausch der Rettung. Eine Karriere und seine Zukunft darauf aufzubauen, ergab einfach Sinn. Er hatte geschuftet, um in allem die besten Noten und Zeugnisse zu bekommen, hatte seine erste Dienstperiode in Kalifornien absolviert und sich Hawaii zum Ziel gesetzt.

Das hatte er aufgegeben, als Axe für tot erklärt worden war. Es war leicht gewesen, nach Alaska versetzt zu werden, da es nicht gerade eine gefragte Station war. Alles andere hingegen war weniger leicht. Mehr Fragen zu finden als Antworten, verlangsamte seine Nachforschungen nur, aber es würde ihn nicht davon abbringen.

Dan musste herausfinden, was passiert war. Er konnte nicht akzeptieren, dass ein so guter und erfahrener Schwimmer wie Axe ohne jede Spur verschwunden war. Entweder war Axe gar nicht auf See verschollen oder es war komplizierter als das. Sie hatten sich im Laufe der Jahre vielleicht auseinandergelebt, aber manche Dinge wussten Brüder einfach voneinander.

Es war eine dumme Idee, in den Spalt zwischen Schornstein und Wand zu klettern, trotzdem stieg er natürlich sofort hoch.

Auch nichts. Nichts unter dem schleimigen Plastikdach, nichts in den Löchern, die die Spechte in dichten Linienmustern in die Holzwand gebohrt hatten. Er änderte seinen Griff, um sich umzudrehen und wieder herunterzuklettern, und musste sich schwer gegen die Wand lehnen. Er ahnte den Fall, bevor er tatsächlich geschah.

Holz ächzte und splitterte und Dan ruderte mit den Armen. Er landete hart auf dem Rücken, der Atem wurde aus seinen Lungen gepresst und Dunkelheit waberte in seinem Sichtfeld auf. Er sog Luft ein und versuchte, die Wand wegzuschieben, die ihn gefangenhielt. Aber es war zu schwer, zu eng.

Die Dunkelheit kam näher und schwächte ihn. Er schloss die Augen, nur eine Minute lang, um neue Kraft zu sammeln, kam allerdings wieder zu sich, als etwas anderes neben ihm krachte.

Er stellte sich vor, was passieren würde, wenn der Schornstein nachgab und der Wand folgte. Dann malte er sich aus, wie er durch den morschen Boden stürzte, Tetanus bekam oder sich ein Bein brach und zusammen mit allem anderen dalag und verrottete.

Er kam zu Atem und schaffte es, ein Bein unter den Trümmern der Wand hervorzuziehen. Er zog das Knie an, stellte den Fuß auf die Bretter und schob. Dann kroch er rückwärts, so schnell er konnte. Die Bretter hoben sich weit genug, dass er sich befreien konnte, und krachten wenige Zentimeter neben ihm wieder herab. Helle Punkte blinkten in seinem Sichtfeld auf und er hustete ätzenden Staub, der in seiner Kehle und seinen Lungen brannte.

Er stolperte auf die Veranda und entfernte sich von der Hütte, zu benommen, um sauer oder enttäuscht zu sein. Er sah nicht auf die Uhr, sondern senkte den Kopf und rannte los. Der abgenutzte Jeep stand vor dem Laden und Karl wartete auf dem Fahrersitz.

Dan hatte keine Erklärung, also versuchte er gar nicht erst, eine schlechte Ausrede vorzuschieben. »Tut mir leid.«

Karl sah auf seine Uhr. »Wir werden gerade rechtzeitig zurück sein.«

»Ich bin weiter gegangen als geplant und hab länger gebraucht als erwartet.« Dan breitete die Arme aus. »Alle haben mich gewarnt, dass Entfernungen hier draußen schwerer abzuschätzen wären, aber ich hab nicht gemerkt, wie wahr das ist.«

»Bist du in den sprichwörtlichen Brunnen gefallen?« Karl musterte Dan sorgfältig und fuhr mit einem Finger leicht über dessen Knie.

Dans ganzer Körper kribbelte und er senkte den Blick, weil Karl noch nicht losgelassen hatte. Karl schnalzte mit der Zunge und lehnte sich vor, nah und warm, und als Dan den Kopf drehte, streiften sich ihre Nasen. Sie blinzelten – zu nah, zu warm –, Karl atmete aus und griff unter Dans Sitz.

Er konnte nur dumm dasitzen, während Karl den Erste-Hilfe-Koffer öffnete und sich um einen Schnitt an Dans Knie kümmerte, der ihm erst aufgefallen war, als Karl darauf gedeutet hatte. Karl klebte ein Pflaster darauf und legte eine Hand auf Dans Knie – heiß, aber sanft. Dann untersuchte er ihn auf weitere Verletzungen.

»Die Dornen haben mich erwischt.« Dans Stimme war dünn, er versuchte, sein Knie nicht unter Karls Hand wegzureißen. Es würde seltsam wirken und schmerzen. Er redete sich ein, dass das Brennen unter Karls Berührung von der Benommenheit kam, weil er zu weit und zu schnell gerannt war.

Er zog seine Nase kraus, da er den chemischen Geruch noch immer riechen konnte. Er lehnte sich an die Kopfstütze zurück, drehte sich, um das Gesicht im Kapuzenpulli zu vergraben, und sog den frischen, würzigen Duft ein, der dem Stoff noch anhaftete.

Karl summte unbestimmt und schob Dan eine kalte, feuchte Flasche in die Hand. Er öffnete sie und stürzte das Wasser herunter.

»Danke. Und danke, dass du gewartet hast.«

»Natürlich.« Karl packte das Erste-Hilfe-Set ein, verstaute es im Fußraum der Rückbank und studierte Dan noch eine Minute. »Lass dich von Gent ansehen, wenn wir zurückkommen. Okay?«

Dan nickte.

Karl startete den Jeep, fuhr rückwärts vom Parkplatz und schaltete, sodass sie einen Satz nach vorne taten. Wenn er neugierig darauf war, warum Dan in den Ort lief, nur um dann gefühlt mehrere Stunden lang umherzuirren, zeigte er es nicht. Er machte ihm keine Vorhaltungen oder stellte Fragen. Er plauderte nicht einmal. Es ärgerte Dan, dass er den Small Talk von vorhin vermisste.

Wenn stattdessen Axe auf ihn gewartet hätte, hätte er ihm längst das Fell über die Ohren gezogen.

Als der Ort mehrere Meilen hinter ihnen lag, brach Dan das Schweigen. »Wir sollten wahrscheinlich Nummern austauschen?«

»Wäre eine gute Idee, wenn es hier draußen verlässlichen Empfang gäbe.« Karl verlagerte sein Gewicht, griff in seine Tasche und gab Dan sein Handy. »Trotzdem eine gute Idee. Hier.«

»Es ist nicht gesperrt?«

»Wozu die Mühe?«

Dan zuckte mit den Schultern. »Stimmt.« Er fügte seine Nummer zu Karls Kontakten hinzu und schickte eine schnelle Nachricht an sein Handy. Wie Karl gesagt hatte, konnte sie nicht abgeschickt werden. Er würde sie in der Station noch einmal schicken.

»Ich hab dir im Postamt ein Sandwich besorgt.« Karl deutete auf die weiße Papiertüte zwischen den Sitzen und lächelte, sah jedoch nicht herüber. »Der Postmeister macht ganz Gute.«

Dan starrte auf die leere Wasserflasche und wünschte sich, er hätte noch etwas, um die Scham wegzuspülen, die seine Brust füllte. Aus irgendeinem verdammten Grund stiegen die Tränen, die vor der enttäuschenden Ruine von Axes Hütte nicht gekommen waren, in ihm auf und drohten überzufließen. Er öffnete sein Fenster und hielt das Gesicht in den Wind.

Ein leises Heulen erklang in der Ferne vor ihnen. Dans Puls beschleunigte sich und seine Muskeln spannten sich erwartungsvoll an. Er sah zu Karl, der ihm zunickte und das Gaspedal durchdrückte. Geröll stob unter den Reifen auf und der Jeep neigte sich unsicher in die Kurve, blieb aber auf der Straße.

Der SAR-Alarm.

399
573,13 ₽
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9783958238602
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