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Kapitel II

Schwungvoll öffnete sich die Küchentür.

»Meine Herren! Pardon! Wir haben Ihnen keine Ungelegenheiten bereitet, hoffe ich! Lebouton.«

Der Mann in der blütenweißen Kochjacke ging mit weiten Schritten auf die beiden Beamten zu und reichte ihnen mit einem verbindlichen Lächeln die Hand. Er war schlank, mittelgroß, hatte dunkles Haar mit grauen Schläfen und ein schwer bestimmbares Alter. Auch in seiner Arbeitskleidung war er eine durchweg elegante Erscheinung. Angermüller und Jansen stellten sich ebenfalls vor.

»Was kann ich für Sie tun?«

»Nur ein paar Fragen beantworten zu dem Toten, der heute Morgen in Ihrer Kühlzelle gefunden wurde«, antwortete Angermüller knapp. »Setzen Sie sich doch, bitte.«

Lebouton nahm am Küchentisch Platz. Das Lächeln war wieder ausgeschaltet.

»Eine schlimme Sache«, sagte er. Auf die gleiche Art hätte er auch die eisigen Temperaturen kommentieren können. »Selbstverständlich stehe ich zu Ihrer Verfügung.«

Er warf einen kurzen Blick auf seine Uhr.

»Wir müssen unser Gespräch protokollieren«, erklärte Jansen und hielt das Diktiergerät hoch. Lebouton nickte kurz. Als Jansen seine Personalien notieren wollte, suchte er nach seinem Ausweis, fand ihn aber nicht.

»Sollte sich der Personalausweis nachher noch anfinden, reiche ich ihn nach«, stellte Lebouton klar. »Aber ich nehme an, Sie glauben mir auch so, dass ich es bin.«

Und er gab Jansen seine Daten. Er war 61, wie Angermüller kurz nachrechnete. Mit seinem glatten Gesicht, den hellen, wachen Augen und dem vollen Haar wirkte er noch sehr jugendlich. Trotz seines französischen Namens sprach er vollkommen akzentfreies Deutsch.

Es klopfte kurz, die Küchentür ging auf, und eine große, gut aussehende Frau in einem knapp sitzenden, lindgrünen Kostüm schwebte auf hohen Absätzen herein. Sie schien sofort vom ganzen Raum Besitz zu ergreifen. Lange, kastanienrote Locken fielen ihr auf die Schultern, und sie hielt ein halbvolles Weinglas in der Hand.

»Die Vorspeise war göttlich, wie immer, Pierre!«, raunte sie zu Lebouton, der nur abwesend nickte, wandte sich dann an die Kommissare und sagte mit ihrer angenehm dunklen Stimme: »Ich bin Alix Blomberg. Grit sagte, Sie wollten mich sprechen?«

Ihre Augen waren auffällig groß und gaben ihrem Gesicht einen Ausdruck ständigen Erstaunens.

»Wir sagen Ihnen Bescheid, Frau Blomberg«, nickte Angermüller und deutete in Richtung Tür.

Jansen hatte sich schnell erhoben und begleitete die Fernsehmoderatorin nach draußen.

»Es dauert nicht lange«, sagte er leise zu ihr und lächelte sie an.

Er lächelte immer noch, als er wieder neben Angermüller am Tisch Platz nahm. Mit seinen Gedanken schien er jedenfalls nicht bei der Zeugenvernehmung und Herrn Lebouton zu sein.

»Sind wir so weit, Claus?«

Zur Eingrenzung des Tatzeitpunktes ergab die Vernehmung Leboutons keine weiterführenden Fakten. Der Kochstar hatte von Güldenbrook am gestrigen Nachmittag so gegen 17 Uhr das letzte Mal gesprochen und ihn danach nicht mehr gesehen. Anschließend hatte er sich in seiner Wohnung aufgehalten und den Abend im Haus seines früheren Verwalters verbracht. Erst durch einen Anruf von Grit Fischer am Morgen hatte er von dem Geschehen erfahren.

»Ich bin sofort hinüber ins Lager geeilt. Da lag Christian. Entsetzlich!«

Lebouton schloss die Augen und presste einen Zeigefinger gegen die Stirn.

»Wenn Sie das so entsetzlich finden, wieso haben Sie nicht Ihre Aufzeichnung heute verschoben?«

Der Meisterkoch hob seinen Blick und sah Angermüller mit unbewegtem Gesicht an.

»Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun«, sagte er ungerührt. »Außerdem wäre das auch ganz und gar nicht in Christians Sinn, kann ich Ihnen versichern.«

»In welcher Beziehung standen Sie zu Christian von Güldenbrook?«

»Wir waren Partner.«

»Können Sie das etwas genauer sagen?«

»Christian war zuständig für die Finanzen der Lebouton-Unternehmen.«

»Wie war Ihre Zusammenarbeit?«

»Perfekt.«

»Wie laufen die Geschäfte?«

»Ich weiß zwar nicht, was das hiermit zu tun haben soll, aber dennoch: Sie laufen hervorragend.«

Angermüller und Jansen warfen sich einen kurzen Blick zu.

»Waren Sie Freunde?«

»Wir haben sehr gut zusammengearbeitet. Privat gingen wir eher getrennte Wege.«

»Aber Sie wohnten doch beide hier im Herrenhaus?«

»Zeitweise wohne ich auf Güldenbrook, das stimmt. Mit einer Mietwohnung im herkömmlichen Sinne ist das allerdings nicht zu vergleichen«, der Anflug eines nachsichtigen Lächelns legte sich auf Leboutons Gesicht. »Wenn jeder um die 200 Quadratmeter für sich hat, kommt man sich nicht so leicht ins Gehege, wissen Sie.«

Angermüller ließ sich von Leboutons herablassendem Ton nicht irritieren.

»Hat Herr von Güldenbrook Familie, Angehörige?«

»Er ist geschieden und hat einen Sohn, Clemens.«

»Wohnt der auch hier?«

»Christian lebte allein. Clemens in Lübeck, soweit ich weiß.«

»Wie alt ist er? Was macht er so?«

Lebouton spähte ungeduldig auf seine Armbanduhr.

»Er muss so Mitte 30 sein. Er hat lange studiert, irgendwas und sich dann mit einer Firma selbstständig gemacht. Aber was er genau macht, kann ich Ihnen gar nicht sagen. Ich habe ihn in letzter Zeit nur selten gesehen. Das Verhältnis zwischen ihm und seinem Vater war wohl nicht das beste.«

»Was ist mit der ehemaligen Frau?«

»Die habe ich nie kennengelernt. Soweit ich weiß, lebt sie schon seit Langem mit ihrem zweiten Mann in den USA.«

»Wer, glauben Sie, könnte von Güldenbrooks Tod profitieren?«

Wieder ein Blick auf die Uhr.

»Meine Herren, ich denke, es ist Ihre Aufgabe, das herauszufinden. Meine Zeit ist leider begrenzt.«

Die Ungeduld des Zeugen ließ Angermüller ganz ruhig werden.

»Ich stelle meine Frage noch einmal: Wer könnte von Güldenbrooks Tod profitieren? Sein Sohn? Sie, als sein Geschäftspartner?«

»Was soll das? Ich profitiere davon ganz bestimmt nicht, im Gegenteil. Mit ist ein sehr kompetenter Partner verloren gegangen, und was seinen Sohn betrifft: Ich kenne Christians Testament nicht.«

Lebouton erhob sich.

»Und jetzt muss ich wirklich zurück ins Studio, meine Herren. Die Zuschauer werden sonst unruhig.«

»Was für ein Mensch war Christian von Güldenbrook?«

Verständnislos sah Lebouton den Kriminalhauptkommissar an.

»Was für ein Mensch Christian war?«

Es schien, als würde er sich zum ersten Mal über diese Frage Gedanken machen.

»Er war ehrlich, zurückhaltend – korrekt würde ich sagen. Ein Mensch mit festen Grundsätzen. Ein Sportsmann.«

»Hatte er Feinde?«

»Was für eine Frage? Niemand wird von allen nur geliebt …«

»Wer könnte einen Grund gehabt haben, ihn aus dem Weg schaffen zu wollen?«

»So habe ich das nicht gemeint. Ich kann Ihnen keine konkreten Namen nennen. Und jetzt verabschiede ich mich. Sie wissen, wo Sie mich finden. Und sollten Sie unbedingt ins Studio kommen müssen, bitte kein Aufsehen!«

»Herr Lebouton, auch wir machen hier unseren Job. Wir wollen den Tod Ihres hoch geschätzten Partners aufklären, und es wäre sehr hilfreich, wenn Sie uns dabei unterstützen würden.«

Sein Unmut war dem Meisterkoch deutlich anzumerken. Mit hochgezogenen Brauen sah Lebouton auf seine Armbanduhr.

»In spätestens zwei Stunden können Sie noch einmal mit mir sprechen, meine Herren, wenn es unbedingt nötig ist. Mehr kann ich jetzt nicht für Sie tun.«

Er drehte sich abrupt um und eilte zur Tür.

»Eine Frage noch, Herr Lebouton!«

Lebouton blieb mit der Hand auf der Klinke stehen.

»Was ist denn noch?«, fragte er verärgert.

»Haben Sie vielleicht einen Schlüssel für die Wohnung von Herrn von Güldenbrook? Wir müssten uns da ein bisschen umschauen.«

»Dürfen Sie das denn einfach so?«

Es war offensichtlich, dass dem Starkoch dieses Ansinnen überhaupt nicht gefiel.

»Seien Sie versichert, wir dürfen«, erwiderte Angermüller bestimmt.

»Klingeln Sie drüben im Herrenhaus bei meinem Büro. Ich sag der Sekretärin Bescheid.«

Ein genervter Seufzer noch, und die Tür fiel laut ins Schloss.

»Ich mag meinen Job – vor allem, weil ich viel mit Menschen zu tun habe«, sagte Jansen langsam.

»Der ist eben ein Star, der Mann, da gelten andere Maßstäbe. Wir sind für den einfach nur zwei lästige kleine Polizisten«, meinte Angermüller gleichgültig. Von Leuten wie Lebouton hatte er sich noch nie die Laune verderben lassen. Dabei interessierte ihn der Mann eigentlich, der in allen Medien als Küchenpapst präsent war und dessen Namen und Beruf wahrscheinlich jedes Kind in Deutschland kannte.

»Schaun wir mal. Vielleicht geht’s ja mit der Dame besser. Holst du sie rein?«

Wie ein Metronom klangen ihre hohen Absätze auf dem gefliesten Küchenboden. Von Jansen eskortiert, schob sich Alix Blomberg wiegenden Schrittes herein und blieb abwartend vor dem Tisch stehen, an dem Angermüller saß. Der stand sofort auf und bot ihr, als er ihre suchenden Blicke sah, einen Platz an. Sie warf die rotbraune Mähne zurück, dankte mit einem Lächeln, setzte sich und schlug die perfekten langen Beine übereinander, die der kurze Rock bis weit übers Knie frei ließ.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragte sie mit ihrer markanten Stimme, die auf Jansen eine überwältigende Wirkung zu haben schien.

»Claus? Würdest du bitte?«, weckte Angermüller seinen Kollegen, der nur dastand und schaute.

»Aber gern. Bitte Frau Blomberg, ich müsste Ihre Personalien …«, sagte Jansen mit einem charmanten Grinsen und waltete seines Amtes.

Alix Blomberg lebte in Hamburg und war am Abend zuvor für die bevorstehende Aufzeichnung angereist.

»Ich bin zusammen mit Ebbo gekommen, Eberhard Prantl, das ist unser Regisseur. Ich hab ihn in meinem Wagen mitgenommen. Wir waren schon vor 19 Uhr hier.«

»Haben Sie einen Schlüssel für das Haus hier?«

»Am Schlüsselbund fürs Zimmer hängt auch ein Haustürschlüssel, aber den hatten wir da ja noch nicht. Hereingelassen hat uns einer von den Jungs, als wir ankamen.«

»Sie meinen, einer von den Kochlehrlingen?«

»Ja, der Anatol hat die Tür aufgemacht.«

»Waren Sie den ganzen Abend hier im Haus?«

Sie schüttelte ihre Locken.

»Nein. Der Ebbo und ich sind gleich nach unserer Ankunft noch zu Toni nach Kellenhusen gefahren. Das ist ein hervorragender Italiener – so was vermutet man hier in der Provinz ja gar nicht. Wir haben zwei von den Jungs bis Lensahn mitgenommen.«

Angermüller betrachtete aufmerksam die schlanke Moderatorin.

»Wann kamen Sie zurück? War da jemand zu Hause?«

»Das muss so gegen 21.30 Uhr gewesen sein. Ebbo und ich waren die Einzigen im Haus. Vom Team hat hier sonst keiner übernachtet. Es war herrlich ruhig, ich habe geschlafen wie in Morpheus’ Armen!«

Alix Blomberg schenkte Jansen einen langen Blick aus ihren strahlend großen Augen.

»Ist Ihnen irgendwas aufgefallen, als Sie vom Essen zurückkamen?«

Ihr war nichts aufgefallen. Sie und der Regisseur hatten in der Küche, in der man jetzt saß, noch einen Wein zusammen getrunken, und dann war jeder auf sein Zimmer gegangen. Als sie am Morgen nach unten kam, um sich einen Kaffee zu holen, waren da Grit Fischer, Pierre Lebouton und andere versammelt und in heller Aufregung. So hatte sie von dem Geschehen erfahren.

»Ist das nicht entsetzlich?«

Alix Blomberg legte leidend eine Hand an die Schläfe und sah die Kommissare mit ihren großen Augen verzweifelt an. In anklagendem Ton fragte sie: »Warum Christian? Er war ein so wertvoller Mensch!«

»Kannten Sie ihn denn näher?«

Versonnen sah Alix Blomberg auf den Küchentisch und spielte dabei mit dem breiten goldenen Armband an ihrem linken Handgelenk.

»Ach ja«, sie seufzte und blickte hoch. »Wir standen uns einmal sehr nahe, Christian und ich.«

Angermüller, dem es nicht leichtfiel, fremde Leute nach wenigen Minuten über Details aus ihrem Privatleben auszufragen, hatte den Eindruck, dass die Blomberg von sich aus gern mehr darüber erzählen wollte. Beim Hereinkommen hatte er ihr Alter auf Mitte 30 geschätzt, nun saß sie ihm direkt gegenüber, und er sah deutlich das starke, wenn auch perfekte Make-up in ihrem Gesicht. Es vermochte die zehn Jahre, um die sie tatsächlich älter war, doch nicht ganz zu tilgen.

»Wie lange ist das her mit Ihnen und Herrn von Güldenbrook?«

»Ich weiß nicht mehr so genau, vielleicht fünf Jahre? Fast hätten wir geheiratet …«, sie lächelte wehmütig in sich hinein. Jansen beobachtete sie fasziniert und überließ es Angermüller, die Fragen zu stellen.

»Warum ist nichts daraus geworden?«

»Ach ja, es waren wohl mehrere Gründe. Mein Leben ist zuweilen recht unstet, mein Job, wissen Sie, unregelmäßig, anstrengend, auslaugend … Aber er ist mir wichtig, ich würde ihn nie für eine Ehe aufgeben. Man hat ja auch eine Verpflichtung seinem Publikum gegenüber, nicht wahr?«

Alix Blomberg lächelte Jansen an, der sogleich zurücklächelte.

»Und dann war da noch die alte Gräfin«, sie schüttelte ihre Lockenpracht. »Eine alte Dame mit dem Charme eines Fallbeils, und dass sie mich nicht mochte, machte sie mir in der ersten Sekunde klar. Ich, weder Adel noch Geldadel, und dann auch noch beim Fernsehen – das war nicht ihre Klasse. Und sie hatte enormen Einfluss auf Christian.«

»Lebt sie hier auf dem Gut?«

»Sie liegt mittlerweile auf dem Friedhof, unter ihresgleichen, nehme ich an. Sie ist letztes Jahr gestorben.«

»Sie sind Herrn von Güldenbrook durch die Arbeit hier ja öfter noch begegnet …«

Alix Blomberg ließ Angermüller nicht ausreden.

»Wir sind gute Freunde geblieben, wenn Sie das meinen! Wir sind schließlich beide erwachsene, zivilisierte Menschen – gewesen. Außerdem war Herr von Güldenbrook ein Gentleman durch und durch«, sie senkte bekümmert ihren Kopf und schloss die Augen. »Ach, Christian.«

»Kennen Sie Clemens von Güldenbrook?«

»Seinen Sohn meinen Sie? Der wurde mir einmal vorgestellt. Das ist ewig her. Seitdem habe ich höchstens mal sein Auto hier auf dem Gelände gesehen.«

Die Moderatorin stutzte einen Moment.

»Jetzt, wo ich so darüber rede, fällt mir ein, der Wagen könnte auch gestern hier gestanden haben, als wir zum Essen losgefahren sind.«

Die beiden Kommissare horchten auf.

»Ach ja?«

»Ja, irgendwie ist mir so. Aber ich habe nicht darauf geachtet. Es ist irgend so ein teurer englischer Sportwagen, den sein Sohn fährt. Es war ja schon dunkel draußen, und ich hab den nur so aus dem Augenwinkel gesehen, wenn Sie wissen, was ich meine.«

»Genauer können Sie das Auto nicht beschreiben?«

»Es ist silberfarben, aber sonst? Tut mir leid.«

»Aber das ist doch kein Problem, Frau Blomberg.«

Claus Jansen war die Liebenswürdigkeit in Person und bekam dafür wieder ein nettes Lächeln.

»Können Sie sich denn vorstellen, wer einen Grund gehabt haben könnte, Herrn von Güldenbrook das anzutun? Hatte er Feinde?«, fragte Angermüller.

Erst schüttelte die Moderatorin den Kopf, dann sagte sie zögernd: »Ich will hier niemanden beschuldigen. Aber Sie wissen ja, wie das ist, bei einer Truppe von Leuten, die zum Teil schon ziemlich lange zusammenarbeitet … aber das ist jetzt wirklich vertraulich!«, sie senkte ihre Stimme. »Es gibt Gerüchte.«

»Welcher Art?«

»Dass es den Lebouton-Unternehmen nicht sonderlich gut geht, und Christian war ja der Verantwortliche für die finanzielle Seite. In letzter Zeit hat es zwischen den beiden öfter gekracht.«

»Zwischen Lebouton und Güldenbrook?«

»Ja«, bestätigte Alix Blomberg und hob gleichzeitig beschwichtigend die Hände. »Aber wie gesagt: Gerüchte.«

Angermüller nickte.

»Tja, wenn du keine Fragen mehr hast, Claus?«

Mit einem besonders netten Lächeln für Jansen hatte sich die Moderatorin verabschiedet.

»Na Claus?«

»Was?«

»Na ja!«

»Nix.«

Jansen grinste, Angermüller auch. Dann wurde er wieder dienstlich.

»Die, mit denen wir noch reden müssen, der Regisseur wie auch dieser Lehrling Anatol, sind bei der Aufzeichnung im Studio. Ich denke, es bringt nichts, da jetzt einen Aufstand zu machen, oder? Es fehlt mir noch, dass uns die ganzen Zuschauer zwischen den Füßen herumlaufen. Ich würde vorschlagen, wir werfen einen Blick in die Wohnung von Güldenbrook.«

Schnell liefen die Kommissare über den Hof in Richtung Herrenhaus. Aber dann blieb Angermüller trotz der schneidenden Kälte in einiger Entfernung stehen, um den schlossartigen, weißen Bau zu bewundern, dessen spätbarocke Fassade sich in zwei Stockwerken vor ihnen erhob. Kunstvoll gearbeitete Simse schmückten die vielen hohen Sprossenfenster. Man musste eine kleine Brücke überqueren, denn das Gebäude war ringsum von einem Wassergraben umgeben, um dann ein paar Stufen zu dem großen, alten Portal hinaufzusteigen.

Angermüller betätigte die Klingel, die unter dem auffälligen, glänzenden Messingschild neben dem Eingangsportal angebracht war. ›Lebouton Unternehmensgruppe‹ stand auf dem Schild. Gleich darauf ertönte ein Summer.

Selbst Jansen, der sich gewöhnlich weniger für historische Gemäuer interessierte, stand erst einmal überwältigt neben Angermüller in der riesigen Eingangshalle. Mit ihren üppigen Deckenmalereien, den Stuckverzierungen und den Marmorbalustraden des weiten Treppenhauses konnte sie nur als prachtvoll bezeichnet werden.

»Guten Morgen! Sie sind bestimmt die Herren von der Kripo. Der Herr Lebouton hat mir schon Bescheid gesagt, Sie wollen die Räume vom Herrn Grafen anschauen. Ist das nicht ein entsetzliches Unglück? Wer macht bloß so was? Herr von Güldenbrook war ein so vornehmer Mensch. Aber es gibt ja so viele Neider, nicht?«

Die kleine rundliche Frau, die etwas verloren in der hohen Flügeltür wirkte, schien auf ihren Besuch schon gewartet zu haben.

»Kommen Sie doch bitte rein, meine Herren. Mögen Sie vielleicht einen Kaffee, der täte Ihnen doch sicher gut bei der Kälte, nicht? Ich bin die Sekretärin von Herrn Lebouton. Na ja, nicht nur. Ich bemuttere ihn auch so ’n büschen. Sie verstehen sicher, wie ich das meine, nicht? Seit zehn Jahren bin ich schon hier. Mein Name ist Hase. Ich beantworte gern alle Ihre Fragen. Man muss die Arbeit der Polizei doch unterstützen, nicht?«

»Vielleicht später, Frau Hase. Hat Ihnen Herr Lebouton wegen des Schlüssels …?«, versuchte Angermüller den Redefluss der Sekretärin zu stoppen.

»Natürlich! Ich weiß doch Bescheid«, und sie holte ein Schlüsselbund aus der Jackentasche und schwenkte es fröhlich hin und her. »Kommen Sie bitte mit.«

Ehe Angermüller sie zurückhalten konnte, eilte Frau Hase, die eine rote Strickjacke über weißer Bluse und Schottenrock trug und sie eben noch zum Kaffee bitten wollte, in ihren Gesundheitslatschen die geschwungene Treppe hinauf. An Putten und Marmorbüsten vorbei, die in Nischen unter arkadischen Landschaftsmalereien standen, führte sie die Beamten über die Galerie nach links zu einer der Flügeltüren.

»Das ist die Wohnung vom Herrn Grafen. Da gegenüber ist der Eingang vom Herrn Lebouton«, erklärte sie etwas atemlos. Sie hantierte mit dem großen Schlüsselbund, an dem viele kleine Schildchen hingen, und suchte nach dem passenden Schlüssel.

»So ’n Schiet aber auch, jetzt habe ich meine Lesebrille im Büro vergessen. Können Sie vielleicht erkennen, welcher der Schlüssel der vom Herrn Grafen ist?«

»Das kriegen wir schon hin, Frau Hase, vielen Dank«, sagte Jansen und nahm ihr das Schlüsselbund ab. »Wir schaffen das allein, denke ich, und wir wollen Ihnen doch nicht Ihre Zeit stehlen.«

Freundlich komplimentierte er sie in Richtung Treppe.

»Aber vielleicht könnte ich Ihnen ja doch so manches erklären. Schließlich war ich schon ein paar Mal bei Herrn von Güldenbrook in der Wohnung.«

»Danke, wir finden uns schon selbst zurecht.«

Leise hörte man im Untergeschoss das Telefon klingeln.

»Sehen Sie, Sie haben Besseres zu tun!«, meinte Jansen erleichtert.

»Wie Sie meinen«, sagte Frau Hase. Die Kränkung in ihrer Stimme war nicht zu überhören.

»Sollten Sie mich doch noch brauchen, Sie wissen ja, wo Sie mich finden.«

Und während sie gemessenen Schrittes die Treppe hinunterstolzierte – das Telefon hatte mittlerweile aufgehört zu klingeln, fing aber kurz darauf wieder an –, schloss Jansen die Wohnungstür auf.

»Ich wusste gar nicht, dass man im Museum wohnen kann.«

Jansens Kommentar gab wieder, was auch Angermüller durch den Kopf ging. Die riesigen Zimmer mit den hohen Decken, ja, es waren fast Säle, waren ausschließlich mit original Mobiliar aus vergangenen Jahrhunderten ausgestattet. Von den Wänden blickten strenge Porträts von Männern und Frauen, wahrscheinlich die versammelten Vorfahren der Grafen von Güldenbrook. Dieses Ambiente war beeindruckend, aber auch auf eine Art leblos, unpersönlich. Außerdem roch es hier drin irgendwie alt, nach Staub, nach Verfall. Aber vielleicht empfand man das anders, wenn man der hier schon seit ewigen Zeiten ansässigen Familie entstammte. Angermüller jedenfalls glaubte nicht, dass er sich wohl gefühlt hätte in diesen mehreren Hundert Quadratmetern, schon gar nicht allein.

Am besten gefiel ihm noch das Arbeitszimmer, das nicht ganz so groß und auch nicht so voll gestellt war. Es war ein Eckzimmer, und dank zweier hoher Fenster an beiden Seiten wirkte der Raum luftig und freundlich. Ungehindert konnte der Blick über die hier flache holsteinische Landschaft bis zum Horizont schweifen.

Jansen zog sich Latexhandschuhe über. Auf einem Tischchen neben dem Kamin stand eine Weinflasche neben zwei benutzten Gläsern.

»Château Haut Brion«, las er in ziemlich deutscher Aussprache vom Etikett.

»Haut Brion heißt das. Ein ziemlich berühmtes Weingut im Bordeaux, und dieses Gewächs ist wahrscheinlich auch sakrisch teuer«, erklärte Angermüller.

»Franzosenkram. Ich trink lieber ein ehrliches Bier. Aber Ameise wird sich drüber freuen.«

Jansen holte ein paar Plastiktüten aus seiner Jackentasche und packte alles sorgfältig ein.

Auch Angermüller hatte Handschuhe übergestreift und dann auf dem Schreibtischstuhl Platz genommen. Er zog die Schubladen auf. Korrespondenz mit Behörden, Versicherungen und Krankenkasse, private Briefe und Rechnungen, alles systematisch abgeheftet.

»Nach einem hastigen Durchwühlen sieht es hier nicht aus. Sollte sich der Täter mit Güldenbrooks Schlüssel hier wirklich Zugang verschafft haben, dann hat er sich viel Zeit gelassen oder sich gut ausgekannt«, stellte Angermüller fest.

»Vielleicht war er ja gar nicht hier und hat die Sachen aus den Taschen des Toten nur mitgenommen, um falsche Spuren zu legen.«

»Tja, alles ist möglich.«

Der große alte Schreibtisch sah sehr aufgeräumt aus. Links ein Stapel Ablageboxen, sauber beschriftet, eine Schale mit Bleistiften und Kugelschreibern, ein neuer Schreibblock und in der Mitte der ledernen Unterlage ein Laptop. Angermüller deutete auf den Computer.

»Den nehmen wir auch mit. Da muss sich Niemann drum kümmern.«

An der Wand neben dem Schreibtisch hing eine ganze Reihe gerahmter Fotografien, Familienaufnahmen wahrscheinlich. Neben einer umfangreichen Sammlung von alten Jazzplatten waren diese Bilder die einzig wirklich privaten Accessoires in den Räumen. Eines davon, in einem silbernen Rahmen, zog Angermüllers besondere Aufmerksamkeit auf sich. Es zeigte Christian von Güldenbrook mit einem vielleicht zehnjährigen Jungen. Der Junge trug ein Reiterdress und hielt ein Pferd am Zügel. Die beiden strahlten glücklich in die Kamera. ›Für Papa! Kuss, Clemens‹ stand in ordentlicher Kinderschrift auf der Aufnahme.

Bad und Küche waren die einzigen Räumlichkeiten in Güldenbrooks Wohnung, die modernen Bedürfnissen angepasst waren. Sie waren mit allem Notwendigen versehen, aber keineswegs luxuriös ausgestattet. Langsam ließ Jansen seinen Blick noch einmal durch das Arbeitszimmer schweifen.

»Ich glaube, wir haben alles gesehen, oder?«

Angermüller nickte.

»Denke ich auch. Komm, wir schauen mal, ob Steffen schon da ist.«

Nachdem sie sich mit Mühe von Frau Hase wieder losgeeist hatten, die ihnen in der Halle förmlich aufgelauert hatte und der Polizei unbedingt wichtige Hinweise geben wollte, die sich aber als vollkommen uninteressant erwiesen, kehrten sie ins Kavaliershaus zurück. Im Lager trafen sie als Ersten auf Ameise.

»Ich hab selten so einen sauberen Tatort gesehen, Kollegen!«, kommentierte der kopfschüttelnd, als er die beiden Kommissare bemerkte, die ihm sogleich ihre Ausbeute aus Güldenbrooks Wohnung in die Hand drückten. Ameise und der andere Kriminaltechniker waren immer noch dabei, in Lager und Kühlraum nach Spuren zu suchen, seien es Fußabdrücke, Faserreste, Fingerabdrücke, Blut oder andere DNA-Träger.

»Soweit wir das bis jetzt feststellen konnten, hat auch niemand Spuren beseitigt. Es waren schlicht keine vorhanden.«

»Das macht es uns nicht gerade leichter«, brummte Angermüller.

»Ihr werdet ja auch nicht dafür bezahlt, dass ihr es leicht habt, oder?«

»Sonst noch was, Meise?«

»Schon nach diesen ersten Eindrücken würde ich sagen, dass es keinen Kampf zwischen Täter und Opfer gab und der- oder diejenige gleich mit dem ersten Stich sauber das Ziel getroffen hat. Wenn du mich fragst: Das Ganze hat sich genau dort abgespielt, wo der Mann gefunden wurde. Mehr hab ich jetzt noch nicht auf der Pfanne.«

»Danke, Meise.«

Als sie an der Kühlzelle ankamen, hockte Steffen im weißen Overall neben dem Toten und war dabei, ihn fotografieren zu lassen. Der Fotograf, ebenfalls im Schutzanzug, drückte sich zwischen die an Fleischerhaken hängenden Tierteile, um die beste Position für seine Aufnahmen zu finden.

»Grüß dich, Steffen! Bist du schon länger hier?«

»Hallo Schorsch! Hallo Jansen! Bin vor einer knappen Stunde eingetroffen. Sehr passende Umgebung. Wenn auch ein wenig frisch.«

»Tja, können wir uns leider nicht aussuchen.«

»Ihr wollt schon was wissen, nehm ich an.«

»Wär’ nicht schlecht.«

»Tja, das ist wieder eine extra harte Nuss, die ihr mir hier zu knacken gebt.«

»Nicht absichtlich, das kannst du uns glauben! Wo ist das Problem?«

»Die Temperaturverhältnisse. Ich fürchte, da werd ich ein Weilchen rechnen müssen, um den Todeszeitpunkt festzulegen, und wie genau das dann sein wird …«

Steffen wiegte zweifelnd seinen Kopf hin und her.

»Normalerweise bestimme ich die Körperkerntemperatur, um den Todeszeitpunkt festzustellen. Ich berechne die Abkühlungszeit unter Berücksichtigung der Außentemperatur, des Körpergewichtes und der Auffindungsumstände. Diese Methode ist ziemlich exakt. Im vorliegenden Fall stellt sich die Frage: Wann wurde der Temperaturregler auf die jetzt angezeigten minus 20 Grad gestellt?«

»Ich würde annehmen, vom Täter gleich nach der Tat«, meinte Angermüller. »Aber wann war das?«

»Siehst du, das ist genau das Problem.«

Der Fotograf hatte seine Arbeit in der Kühlzelle beendet und verließ den engen Raum. Steffen war bekannt für seine akribische Arbeitsweise, und offensichtlich bereitete ihm die Aussicht, seine Ergebnisse nicht vernünftig absichern zu können, echtes Unbehagen. Obwohl er grundsätzlich keine Aussage mit hundertprozentiger Sicherheit traf, dafür war er viel zu genau und zu vorsichtig.

»Außerdem: Welche Temperatur herrschte vorher hier drin und wie lange braucht die Kühlzelle, um auf die jetzt hier angezeigten minus 20 runterzukühlen?«

»Was den Zeitpunkt der Tat angeht: Bisher haben wir eine Aussage, dass von Güldenbrook das letzte Mal lebend so gegen 17 Uhr gesehen wurde«, sagte Jansen. »Und normalerweise soll hier drin eine Temperatur von null bis zwei Grad gewesen sein.«

»Immerhin, das sind zwei Anhaltspunkte«, nickte der Rechtsmediziner. »Zur Todesursache: Da würde ich bereits jetzt die These hämorrhagischer Schock wagen.«

Steffen deutete auf die Stelle, wo das Messer immer noch in Güldenbrooks Brustkorb steckte.

»Ihr werdet auch gleich bemerkt haben, dass es äußerlich kaum sichtbare Blutspuren gibt. Der Stich muss die große Vene in Herznähe getroffen haben, und das Opfer ist so nach innen verblutet.«

»Glaubst du auch, dass es hier drinnen passiert ist?«, fragte Georg seinen Freund.

»Ich gehe davon aus, ja. Ich nehme an, der Täter hat ganz überraschend zugestochen, und das Opfer ist sofort hier zusammengesackt. Eventuell hat der Angreifer sogar selbst den Fall abgefangen und den Mann gestützt, als er zu Boden ging. Aber ich werde das selbstverständlich überprüfen, Hämatome, Abschürfungen, das ganze Spektrum.«

»Gut«, nickte Angermüller.

»Und jetzt wollt ihr wahrscheinlich wissen, wann ich euch mehr erzählen kann.«

»Du kennst uns doch.«

»Ich denke, spätestens morgen Vormittag«, versprach Steffen von Schmidt-Elm den Kommissaren. »Der Wagen, der ihn ins Institut bringen soll, ist schon hierher unterwegs.«

Der Rechtsmediziner erhob sich. Leiser sagte er dann zu Georg Angermüller: »Morgen Nachmittag habe ich einen wichtigen Termin am Flughafen.«

Georg musste erst einen Moment überlegen, was sein Freund damit meinte. Dann fiel ihm ein, dass David kommen würde. David war Steffens englischer Lebenspartner. Die beiden bewohnten seit Dezember ein gemeinsames Haus in Lübeck. David war als auf Kirchenmalerei spezialisierter Kunstrestaurator von internationalem Ruf viel unterwegs, weshalb die geplante offizielle Besiegelung ihrer Lebensgemeinschaft schon mehrfach verschoben worden war. Doch nun sollte das Ereignis, das den sonst so kontrollierten Steffen schon seit Monaten mit Nervosität und Spannung erfüllte, am nächsten Wochenende endlich über die Bühne gehen.

»Und vergiss nicht: morgen Abend, Schorsch!«

»20 Uhr, ich weiß!«

»Das ist vielleicht nicht gerade die richtige Inspiration dafür«, sagte Steffen leise mit einem kurzen Seitenblick auf den Toten und dann die Rinderkeulen ringsum. »Aber ich mach doch einen Tafelspitz.«

Georg war bei Steffen und David zum Essen eingeladen. Sie wollten Einzelheiten der Hochzeitsfeier besprechen, bei der Angermüller als Steffens Trauzeuge fungieren sollte.

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Дата выхода на Литрес:
25 мая 2021
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323 стр. 6 иллюстраций
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9783839234303
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