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Das Nullmorphem ist Thema des soziolinguistischen Proseminars, auf das Berts vergrämter Blick unwillkürlich fällt, als er die Damentoilette der Lehrkörper der Philosophischen Fakultät verlässt. Die studentische Überpopulation hockt vor der Toilettentür, Stühle werden in den Sanitärbereich gerückt, der Soziolinguistikdozent, in der Tiefe des Seminarraums auf der anderen Seite des Flures, ist kaum zu erkennen. Seine Stimme wird durch technische Verstärker in die Labyrinthik der Universitätsschnellbaugänge getrieben.

Das Nullmorphem, doziert der lautsprechende Dozent, ist ein inhaltlich vorhandenes, aber lautlich nicht ausgedrücktes Morphem (z.B. bei der Bildung des Genitivs Singular Femininum). Der Frau.

Berts Genitalien vibrieren bei der Bildung des Genitivs Singular Femininum. Frau, Frau, Frau morst es unablässig im nachtschwarzen Inneren seines Morpheusschädels, in dem er einen rosa Spitzenschlüpfer und ein Paar schwarzer Netzstrümpfe aufbewahrt.

Casus obliquus, schwächt der Lautsprecher ab, abhängiger Fall.

In Berts sprachlichem Epizentrum triumphiert der unbestimmte Casus rectus Frau, die studentische Überpopulation rekelt sich der Pause entgegen, ein paar pausblonde Studentinnen stricken einen lila Schal, der Bert an ein wichtiges Tagesziel erinnert: Er will Petra anrufen, er will ihr Glöckchen läuten, er will bei ihr anbimmeln, er will in ihren siebten Himmel.

Das Proseminar bimmelt und blökt, es teilt sich in der Flurmitte und gibt einer Herde schafskäsekauender Dolly-Experten den Weg frei zur naturwissenschaftlichen Fakultät. Da schleust der Rektor der traditionslosen Universität eine Gruppe ägyptischer Austauschstudentinnen einer traditionslosen Schwesteruniversität durch die Hörermassen. Allein die Kopftücher der Frauen und die Führerfigur ihres spiritus rector sind traditionsreich. Und Berts Fährtenschritt. Denn Bert stellt instinktiv dem Plural Femininum nach, der das soziolinguistische Seminar rasch hinter sich lässt.

Wie Moses mit dem Volk Israel durch die Wüste zog, so zieht der Rektor mit den ägyptischen Austauschdamen durch eine abgenutzte Teppichflurlandschaft, vorbei an weit geöffneten Seminarräumen, in denen Herren sich einzeln, paarweise oder in Gruppen gymnastischen Streck- und Beugeübungen hingeben.

Liebe, Sex und andere Kleinigkeiten: Zur Konstruktion intimer Systeme heißt es an einer Wegkreuzung. Und als gäbe es dort das lebenserhaltende Wasser, das auf entbehrungsreicher Wanderung gefehlt hätte, bleiben Rektor, Damengruppe und Bert wie ein Mensch vor der Hörsaalöffnung stehen.

2 Liebende = 2 Systeme, so die Botschaft, die die neue Hörerschaft wie einen kräftigenden Bissen auf der Rast aufschnappt, inkompatibel, intim, zuweilen indifferent. Die Ägypterinnen blättern eiligst in riesigen Wörterbüchern, Berts Hirn ist dumpfgestellt, der Rektor nickt dem Kollegensoziologen wortlos zu.

2 Systeme, so der Soziologe weiter, gewissermaßen kommunikativ miteinander verkettet, während er ein bisschen Habermas mit einer Prise Adorno zu sich nimmt, romantisch, hoch sensibel, allergisch gegen Korrekturvorschläge, die fremdreferentiell sind, aufklärerisch, also an der Information orientiert. Die Ägypterinnen, fremdreferentiell, aufgeklärt, also an der Information orientiert, nicken, gewissermaßen kommunikativ miteinander verkettet, im Takt der Wortfolge. Bert, romantisch, hoch sensibel, allergisch gegen Korrekturvorschläge, kann den Worten nicht folgen. Wieder einmal wird deutlich, dass Frauen und Männer nicht wie ein Mensch sind.

Die Liebe, säuselt der Dozent, ist limitierter Wahnsinn, das Resultat einer Kommunikationsstruktur, die in die Untiefe des Einzelnen hinabrechnet, um sie gänzlich zu erfassen, um sie als 1 zu konstruieren. Der Rektor berechnet in seiner Untiefe das Resultat einer Kommunikationsstruktur, die Ägypterinnen konstruieren sich eins, Bert erfasst gänzlich der limitierte Wahnsinn, die Liebe fühlt sich vernachlässigt, sie ist beleidigt, schürzt die Lippen, will gehen.

Irgendwie geht’s um die 1 der 2! ruft der Soziologe der Liebe hinterher. Wir 2 und andere Kleinigkeiten! rasselt er im Laufschritt, ohne mit der Liebe Schritt halten zu können. Irgendwie geht’s um die kommunikative Vermittlung maximaler Relevanz, hechelt er. Irgendwie geht’s um die komplette Akzeptanz der 1 des Anderen, röchelt er, die sich auf kommunikative Weise realisiert, wobei gewisse Wahrnehmungen nicht kommuniziert sondern sublimiert, transformiert oder ignoriert werden! Schwer atmend bleibt er weit hinter der Liebe zurück. So konstruieren sich Systeme, die nicht resistent sind gegen Krisen, ruft er noch, denn dies ist das wahre Wesen der Liebe: Sie ist und macht verrückt!

Die Liebe grinst wie verrückt, ihr Grinsen bleibt in der Luft stehen wie das Grinsen einer verrückten Katze.

Sex ist, folgert der geschwächte Dozent auf Luhmann gestützt, der Symbioseautomatismus intimer Systeme, eine Art Parallelreferenz auf die physische Basis, deren heftiges Agieren die Krise offenbart (... er löst sich in Luft auf ...), etwa wie Gewalt (... wie die Grinsekatze ...), wenn Macht als Medium scheitert.

Berts physische Basis droht, mit Gewalt die Krise zu offenbaren, so dass er sich zum Medium seiner Macht begibt, der Spielplan-Redaktion, ohne Parallelreferenz auf die Ägypterinnen und den derzeit führenden Rektor.

Denn Bert will nicht Liebe. Bert will Macht. Und Bert will Petra. Denn Petra macht Bert an.

4

In der Zwischenzeit ist Brigitte aus dem Seminar heimgekehrt.

Es ist vor dem Abend, und deshalb zeigt das Fernsehen das Vorabendprogramm. Brigitte sitzt neben der Mama auf dem Fernsehsofa und sieht fern. Brigitte sieht mit der Mama fern. Denn die Mama hat die Programmhoheit und schaut das Programm Traumhochzeit, weil Brigitte etwas lernen soll. Fürs Leben, Brigitte!

Brigitte denkt an Bert.

Die Mama denkt an ihr eigenes Traumhochzeitskleid: Schlicht, eher schlecht als recht war es, denn damals musste immer an allem gespart werden, und dann war das teure Kind ja auch schon unterwegs! Ich freue mich, Sie begrüßen zu können, sagt die Moderatorin der Traumhochzeitssendung, die Diana heißt, sie fletscht vor Freude die Zähne. Heute wollen wir mit unserem beliebten Bräuteraten beginnen. Erinnern wir uns an die Traumhochzeiten der Fürstenhäuser!

Alle schon geschieden, gibt die Mama Bescheid, außer die Sülvia.

Brigitte denkt, dass Bert ein gescheiter Mann ist, und dass ein gescheiter Mann viel mehr wert ist als ein geschiedener Mann, und dass sie, um Bert zu heiraten, wahrscheinlich gar kein Brautkleid braucht, nur Bert braucht sie als Braut.

Na, wer ist die Braut? fragt die Moderatorinnenstimme hinter der blendenden Dentalfront.

Das ist die Romy Scheider, sagt die Mama wahrheitsgemäß, aber anrufen will sie nicht: Das kostet nur Geld, außerdem haben die schon hinter der Kamera ihre eigenen Anrufer sitzen, die kassieren sich selbst ab, die wirtschaften sich selbst eins, diese Brauträte!

Diana spricht mit der angeblich anrufenden Fernsehzuschauerin, die sich selbst im Fernsehen hören kann. Das ist die Sissi, sagt die zuschauend schauspielernde Anruferin. Richtig! feixt Diana.

Das ist die Romy Scheider, weist die Mama sie ruhig zurecht, die ist eine Schauspielerin, die spielt immer nur die Sissi. Auch im Leben hat sie immer nur die Sissi gespielt, weiß die Mama. Sie ist dann auch in viele Länder und Städte gereist, berichtet die Mutter, zusammen mit der Brautmutter, die war die Magda Scheider, und mit dem herzigen Papa, der ein Herzog war, und mit ihrem Brautmann, das war der Kaiser Karlheinz.

Die Mama ist ein wenig versöhnt, als man ein paar alte Filmausschnitte zeigt: Schau, wie die Romy Scheider in die Arme des Kaisers Karlheinz fliegen kann, wie eine Schauspielerin, wie sie ihre lange Echthaarperücke kämmen kann, wie eine echte Schauspielerin, wie sie zum Kaiser Karlheinz Franz sagen kann und dann noch Franzl!, wie sie in seine Arme fliegen kann, die Beine sind schon ganz verrenkt, wie der Kaiser Karlheinzfranz sie durch die Luft wirbelt! Da wird der Mama schwindlig. Wie er Sissi! ruft, wie er sie hoch in die Luft wirft, wie er sie wieder auffängt! Er gibt ihr einen Kuss, er gibt ihr eine Kopfnuss. Sissiromy! Karlheinzfranzl!

Die Mama fängt sich wieder, die Sissiromy balanciert derweil auf der Fingerspitze des Kaisers Karlheinzfranzl, dann wird ihr übel. Die Mama kann das verstehen: Weil sie nichts isst, weil sie doch eine Schauspielerin ist, weil eine Schauspielerin doch nichts isst, und eine Prinzessin isst auch nichts, und eine Schauspielerin, die eine Prinzessin ist, isst überhaupt nichts!

Bevor der Sissiromy wieder übel wird, zieht sie sich rasch ein Traumhochzeitskleid über. Das ist noch schöner als das Traumhochzeitskleid von der Diana! ruft die Mama. Ein echtes Prinzessinnenkleid an einer falschen Prinzessin, das wirkt echter als ein falsches Traumhochzeitskleid an einer echten Schauspielerin. Nicht wahr, Brigitte?

Brigitte? Brigitte!

Brigitte wirbelt in Dianas Traumhochzeitskleid auf Berts Fingerspitze durch die Luft, als Bert sie fallenlässt, wird ihr übel. Brigitte legt sich im Traum hin, Brigitte liegt auf dem Fernsehsofa, Brigitte schlägt die Augen auf, die Mama schlägt dem Kind rechts und links auf die Wangen.

Brigitte! Aufwachen! Das Vorabendprogramm! ruft die Mama. Wir haben doch noch längst nicht alles gesehen! Nicht fürs Fernsehen, sondern fürs Leben lernen wir!

Brigitte muss schnell die letzten Sissi-Szenen nacherzählen, damit die Mama von ihr ablässt. Eine wahre Sissi-Mentalität will die Mama der Tochter einprügeln, auf dass die Tochter ein besseres Leben zu leben versteht als einst die Mama, die erst Mama wurde, als es fast für immer zu spät dafür war! Auf dass Brigitte nicht blind in dieses Leben hineinläuft, sondern sich tragen lässt, sich vom Glück über die Schwelle des Eigenheims tragen lässt! Das Glück heißt Karlheinz wie der verweste Vati, aber es ist nicht bloß ein verblödet verstorbener Bürovorsteher, sondern der Kaiser! Merke, Brigitte, der Kaiser heißt Karlheinz!

Aber Brigitte weiß es besser, denn ihr Karlheinz heißt Bert.

In der Zwischenzeit wirbeln die Programme durcheinander wie in einer Waschmaschine, weil die Mama auf der Fernbedienung sitzt. Jetzt schaukelt sich eine andere Vorabendsendung auf dem Bildschirm ein. Ein blinkender Beichtstuhl steht mitten im Fernsehstudio auf einer rotierenden Scheibe, auf dem Beichtstuhl sitzt der Sieger der letzten Sendung. Die Moderatorin heißt Klarabella, sie weitet entspannt die Nüstern. Sie sagt, ich freue mich, Sie begrüßen zu können. Und steppt ein paar Schritte aus dem nicht endenden Applaus des bezahlten Fernsehpublikums. Heute wollen wir mit dem beliebten Lebensabschnittspartnerraten beginnen. Beginnen wir mit den Lebensabschnittspartnerschaften Dollywoods!

Alles schon abgeschnitten, schneidet die Mama auf, sogar der Bradpitt.

Na, wer ist der LAP? fragt die Moderatorin mit geblähten Nüstern.

Bad, sagt der Sieger.

Blöd! ruft die Mama.

Bert, denkt Brigitte. Aber es ist Brad.

Im Fernsehen wird eine Auswahl ehemaliger Bradpitt-Freundinnen gezeigt, die in komfortablen Hospitalbetten künstlich ernährt werden. Bradpitts durchschnittliche Lebensabschnittspartnerin, sagt Klarabellas Stimme, kann drei Gesichtsoperationen vorweisen, eine Hand voll Hungerödeme, eine andauernde Sonnenallergie und eine abgebrochene Psychotherapie. Ihre Ernährung besteht aus intravenösen Lösungen, Pulvern und Pillen, farblich passend zur jeweils aktuellen Haartönung.

Die Werbung ist keine Unterbrechung der Sendung, sondern eine Ergänzung. Neue Haarfarben geben mausgrauen Hausfrauen wieder Glanz. Zitrusblond frischt Kopfschmuck und Klosettputz problemlos auf. In kleinen Schlucken getrunken hat es appetitzügelnde Wirkung. Restkalorien werden auf Heimtrainingsgeräten restlos verbrannt. Bauchfett trieft und tropft, Orangenoberschenkelhaut schuppt und flockt, Hüftpolster hüpfen holterdipolter davon. Es ist der erleichterten Frau nun ein Leichtes, dem geliebten Mann ein schweres Mahl zu servieren, ohne ein einziges Mal zu probieren. Er isst, sie probiert, nicht zu sein. Das passt bestens zu den modischen figurlosen Kleidern.

Morgen kaufe ich ein figurloses Kleid, beschließt Brigitte, und eine Flasche Zitrusblond! Da reicht die Frau Mama ein paar kalorienfreie Knäckebrote zum Abendprogramm. Bitte, Brigitte, kein Konfekt, Brigitte!

5

Zur selben Zeit schaltet Bert den redaktionseigenen Fernseher ein, um Berufliches mit Privatem zu verbinden, Pflicht mit Vergnügen zu vergelten, Anstrengung mit Spaß zu vergessen. Das wohngemeinschaftseigene Telefon, über das Petra gemeinsam mit ihren Wohngemeinschaftsmitbewohnern verfügt, ist seit Stunden besetzt. Und Bert kennt nur die Nummer des Wohngemeinschaftstelefons, nicht aber die wohngemeinschaftseigene Adresse. So wacht er allein, von allen guten Praktikanten verlassen, über das televisionäre Abendprogramm. Besonders die internationalen Tittensender zappt Bert gern durch auf der Suche nach Anregungen für eine psychoanalytisch fundierte, semiotisch versierte, ästhetisch-ethische Medienrevolution, der er in einer nicht allzu fernen Zukunft zur Geburt zu verhelfen hofft.

Und da ist ja schon ein mütterlicher Schoß in Großaufnahme, ein bisschen zerrupft, wie der Mann zu genau sieht. Und darüber ein zerfurchtes Gesicht, das zu dem Fernsehzuschauer spricht. Es behauptet, es hieße Gisela, sei Sparkassenkassiererin und seit zehn Jahren im Swinger-Club. Dazu swingt die Großaufnahme des zerrupften Mutterschoßes, bis Bert ihn abschießt. Im nächsten Programm erklärt eine Fratze in Ekstase, sie trainiere seit zehn Jahren im Fitness-Studio, um Pornostar zu werden. Bert schießt die Fratze ab, und es erscheint an ihrer Stelle Wolfgangs Schwanz, der in Gisela hineinstößt, die sich in Annegret schraubt, und während dieser artistischen Höchstleistung plaudern alle über den Spaß, den sie dabei haben.

Ich freue mich, Sie begrüßen zu können, sagt im nächsten Programm die Moderatorin der Sendung lieber sünden, die tiefe Einblicke in ein gefülltes Dekolleté gewährt. Heute wollen wir mit dem beliebten Böse-Wörter-Ratespiel beginnen, sagt das Dekolleté. Wir wollen Wörter mit dem Anfangsbuchstaben „A“ raten. Schon will Bert mitmachen, als das redaktionseigene Telefon klingelt.

Bert greift zum Hörer, denkt flüchtig an Petra, zu flüchtig.

Bert sagt das böse Wort mit „A“, aus Versehen.

Aus Versehen, sagt Bert.

Aber zu spät.

Auweia, denkt Bert, aufgelegt.

Aber Petra hat Bert nicht angerufen, denn sie telefoniert noch immer mit Karlheinz. Karlheinz ist Petras Ex-Freund. Gestern war er noch Petras Freund. Heute kann Karlheinz sich nicht mit dem Gedanken anfreunden, nur noch Petras Ex-Freund zu sein. Davon handelt das Telefonat seit mehreren Stunden.

Diese Welt, die Karlheinz nun nicht mehr versteht, diese Welt, die für ihn immer noch Petra heißt, diese Welt, deren theoretische Grundlagen und praktische Übungen er immer noch determinieren, analysieren und präformieren will. Aber Petra wirft seinen Willen einfach aus ihrer Welt wie eine abgenagte Fischgräte. Verzweifelt grätscht Karlheinz zwischen seiner Vorstellung und ihrem Willen. Petra will eine eigene Welt. Das kann Karlheinz sich nicht vorstellen, nein, das kann Petra nicht wollen. Das ist eine falsche Vorstellung, sagt Karlheinz, wir wollen unterscheiden zwischen falschen und richtigen Vorstellungen. Die falschen Vorstellungen gibt es im Theater.

Petra: Dann will ich ins Theater.

Karlheinz: Das stellst du dir nur vor.

Petra: Dann stelle ich mir vor, dass ich ins Theater will, und dann will ich ins Theater.

Karlheinz: Du willst dir vorstellen, dass du ins Theater willst, aber eigentlich willst du nicht ins Theater, sondern du willst es dir nur vorstellen.

Petra: Du kannst dir gar nicht vorstellen, in welche Vorstellung ich will.

Karlheinz: Stell dir vor, du willst dir vorstellen, dass du mich willst.

Petra: Das kann ich mir nicht vorstellen.

Karlheinz: Du musst es wollen.

Petra: Ich will nicht.

Karlheinz: Ich will dich.

Petra: Ich will dich nicht.

Petra legt den Hörer auf. Das Telefon klingelt. Petra nimmt den Hörer ab.

Brigitte sagt, Petra, weißt du, wen ich gerade gehört habe? Karlheinz, sagt Petra.

Bert, sagt Brigitte.

KarlheinzBert? fragen Brigitte und Petra.

Karlheinz liegt in seinem Bett. Karlheinz kann nicht schlafen. Karlheinz kann nicht träumen. Karlheinz kann sich nicht selbst befriedigen. Es ist eine dunkle, stürmische Nacht.

Bert liegt in seinem Bett. Bert kann nicht schlafen. Bert kann nicht träumen. Bert kann sich nicht selbst befriedigen. Es ist eine dunkle, stürmische Nacht.

Petra liegt in ihrem Bett. Petra will nicht schlafen. Petra liest führende Frauenfachzeitschriften: Welcher Typ sind Sie? Petra hat den Fragebogen richtig ausgefüllt: 1000 Punkte! Gute Nacht!

Brigitte liegt in ihrem Bett. Brigitte will nicht schlafen. Brigitte liest führende Frauenfachzeitschriften: Entdecken Sie Ihren Typ! Brigitte träumt: Bert ist mein Typ!

Aber wo ist das Metaphysische?

Das Metaphysische möge sich einstellen, nur einen unvergänglichen Augenblick lang. Aber Brigitte verstellt ihm den Weg, indem sie selbst im Traum ihr Augenmerk auf das vergängliche Physische richtet. Brigitte will eine bessere Zitrusblonde werden, als Petra sie jemals darstellen könnte. Brigitte will sich ein paar bessere Augenblicke in das Gesicht schminken, als Petra sie jemals haben könnte. Und dann will Brigitte die Kochrezepte der Mama alle nacheinander kochen, denn die Liebe ist physisch, sie geht durch den Magen. Rezepte, für die man geheiratet wird, Brigitte, Rezepte, für die ein Mann heiratet! Die Mama hat dem Kind dieses gute Buch schon lange vor allen anderen immer wieder nachdrücklich empfohlen. Eine weise Mutter weiß doch am besten, welche Lektüre sich für eine Frau mit eindeutigen Absichten eignet. Brigitte wird das Metaphysische in Kreuzworträtseln und Horoskopen suchen: Der Wassermann der ersten Dekade ist extrem fischefrauorientiert, männliches Haustier mit fünf Buchstaben, Reizleiter, Maul des Wildes, die Krebsdame schnappt gern nach Stierhoden, Stierhoden werden von Toreros geröstet verzehrt. Brigitte denkt an Berts Stierhoden und wäscht das Zitrusblond zu spät aus, der Hennagrundton hat sich gehalten und wird von pinkfarbenen Strähnen durchzogen, auf dem Herd verschmoren die Stierhoden zu einem schwarzen Kohlestück. Brigitte zerschlägt den Spiegel mit der leeren Flasche Zitrusblond, Brigitte hat kein Gesicht mehr, kein noch so schön!, nur noch Scherben, Brigitte! Brigitte wirft die Gesichtsscherben, das Zitrusblond und die Stierhodenkohle schnell ins Klo, bevor die Mama hereinkommt. Brigitte ist eine gesichtslose Gestalt, Wut &Scham lodern auf in ihrem angeschlagenen Hirn. Ich liebe dich! Der letzte Satz wird von den Flammen erfasst, dann vernichten Wut &Scham alles um sich herum.

6

Petra ist anders als Brigitte, bei Nacht und bei Tag. Petra muss nicht Theater-, Film- und Fernsehwissenschaften studieren, um einen Mann zu fangen. Petra hat mehr Männer gefangen, als sie in der engen Wohngemeinschaftswohnung halten könnte. Petra will bald die theoretischen Hochschulstudien aufgeben zugunsten einer praktischen Ausbildung zur freiberuflichen Krankengymnastin. Ein freier Beruf für eine zukünftige Ehe- und Mutterfrau, die nicht Gefangene ihrer Familie sein will! Petra wird sich in die freiberufliche Krankengymnastik retten. Stundenweise. Petra wird einen Mann fangen, der Gefangener seiner Familie sein will.

Brigitte und Petra haben bald unterschiedliche Ausbildungsziele, aber im Augenblick dasselbe Lebensziel. Das Lebensziel heißt in der Erzählgegenwart Bert.

Aber Bert will nicht Gefangener einer Familie sein, die Petra stundenweise wegen der Krankengymnastik verlässt. Bert will Petra für ein paar gymnastische Stunden einfangen. Mehr nicht. Und weil Petra dies ahnt, geht sie nicht ans Telefon, wenn Bert anruft.

Petra ist eine weibliche Frau mit emanzipierten Instinkten. Brigitte ist eine unemanzipierte Frau ohne weibliche Instinkte. Deshalb ruft Brigitte Bert an. Petra ist eine Beute, auf die das Raubtier Bert lauert. Brigitte ist angeschwemmtes Strandgut, das nicht einmal Karlheinz haben will, obwohl er im Unterschied zu Bert die Frauen nicht hasst. Karlheinz will den Frauen helfen. Wir wollen Karlheinz in der Kürze vorstellen, die seiner Rolle und seinen Aufgaben entspricht.

Karlheinz heißt Karlheinz Böhm wie der Schauspielerkaiser. Seine Mutter wollte, dass er mal etwas Besseres werden sollte als sein Vater, aus dem nichts geworden war. Wie Bert wuchs Karlheinz mit einer alleinerziehenden Mutter auf. Wie Bert fehlte Karlheinz eine Zweiterziehung durch einen Vater. Wie Bert wandte sich Karlheinz dem akademischen Studium zu. Wie Bert studierte Karlheinz die Medien, und zwar zur selben Zeit am selben Ort.

Aber Karlheinz ist Bert intellektuell überlegen. Und Karlheinz ist Bert sozial unterlegen. Denn Karlheinz redigiert gegen Unterbezahlung die Praktikantenkritiken des Spielplans. Und er produziert gegen Unterbezahlung Selbsterfahrungstests für Playman, Kreuzworträtsel für Manpower und Horoskope für Mankind.

Frag Karlheinz, rät Petra, als Brigitte ein Drama schreiben will, eine Liebestragödie, die auch ein Film sein könnte oder eine Fernsehshow oder ein LeserInnenbrief an den Ltd. Redakteur des Spielplans oder ein Planspiel, das ihre nächsten Anrufe vorsieht.

Warum willst du Bert? fragt Karlheinz.

Ich liebe ihn, sagt Brigitte.

Warum will Bert Petra? fragt Karlheinz.

Bert will Petra? fragt Brigitte. Und ihre Fortpflanzungsorgane verkrampfen sich im Liebesschmerz.

Will Petra Bert? fragt Karlheinz. Doch seine Fortpflanzungsorgane antworten nicht.

Auch Petra antwortet nicht, als Karlheinz fernmündlich nachfragt. Petra hat einen Plan. Es ist ein weiblicher Plan, der auf Arterhaltung abzielt: Petra will, dass Bert, Brigitte und Karlheinz ihr Planspiel spielen, Petra will Brigitte und Karlheinz ausspielen. Aus vier mach zwei, denkt Petra. Und trifft Karlheinz in der Spielplan-Redaktion an einem schönen kieselblauen Abend, an dem auch Bert dort eintrifft. Petras zitrusblonde und kieselblaue Pfeilchen treffen Karlheinzens und Berts Fortpflanzungsorgane. Petra wippt und röckt wortlos in handbreitem Mini, Karlheinz stochert wortreich in handwarmen Kurzkritiken, Bert glotzt und bockt, köchelt und hechelt, bis Karlheinz die Kurzkritiken unter den Tisch fallen lässt. Bert bückt sich, Bert duckt sich unter Petras Röckchen.

Petra, sagt Bert, davon will ich mehr.

Ich will auch etwas wollen, sagt Karlheinz.

Na gut, sagt Petra, dann wollen wir jetzt gehen.

Ich will auch gehen, sagt Bert.

Aber Petra und Karlheinz sind schon gegangen. Bert beschließt, Karlheinz für immer gehen zu lassen. Karlheinz ist entlassen, übrig bleiben Petra und Bert, denkt Bert. Und Brigitte, denkt Petra.

Freundschaft ist bekanntlich zwischen Männern heilig und zwischen Frauen scheinheilig.

Petra ist es völlig gleich, ob Brigitte fürs Leben gezeichnet, deleted, durchgestrichen, ausgeixt wird. Petra ruft Brigitte an, nachdem sie Karlheinz endgültig und für immer fortgeschickt hat, auf Nimmerwiedersehen! Brigitte befasst sich gerade mit der von einer Frauenfachzeitschrift aufgeworfenen Frage Woran liegt es, wenn Ihre Augen ständig gerötet sind? Mögliche Ursachen sind Küchenzwiebeln, Wimperntusche, Kontaktlinsen, Bildschirme, Männer und beste Freundinnen!

Ich kenne dein Spiel, improvisiert Brigitte, ich kenne deinen Plan!

Aber da spielt die Freundin sie an die Wand. Spielplan, flötet Petra, ich kenne den Spielplan! Brigitte hämmert wütend auf ihrer kurzen Klaviatur.

Spielplan! Spielplan!

Petras Refrain hallt noch in Brigittes Hirn nach, nachdem Petra den Hörer aufgelegt hat.

Petra ist Brigittes Ex-Freundin. Brigitte will sich mit Petras Ex-Freund befreunden. Die Freundschaft mit Petras Ex-Freund soll die Feindschaft mit der Ex-Freundin besiegeln. Petra ist Brigittes Feindin. Brigitte will sich mit Petras Ex-Freund befreunden, um Berts Freundin zu werden. Das ist Brigittes Planspiel.

Auf geht’s zum Spielplan!

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