Читать книгу: «Pyria», страница 7

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Leén fand, dass sie eigentlich erstaunlich beherrscht war, dafür, dass sie gerade aus allen Wolken gefallen war. Vielleicht lag das auch daran, dass ihr Kopf noch nicht damit klarkam und dass sie das Gefühl hatte, ihr Todesurteil zu unterschreiben, wenn sie einen falschen Schritt tat. »Was machst du jetzt mit mir?«, fragte sie und ihre Stimme war kaum mehr als das Fiepsen eines verängstigten Tieres. Sie schämte sich kaum dafür – es war immerhin berechtigt. Die einzige Hoffnung, die noch in ihr keimte, war, dass er sie noch brauchte.

»Du solltest die Zeit bis morgen nutzen, um zu üben.« Sein Blick glitt zu seinem Messer an ihrem Gürtel und sie dachte kurz an die seltsame Trainingsstunde in der Wüste. Die ergab tatsächlich keinen Sinn, genauso wenig wie das Geld, das er ihr gegeben hatte, um sich im Zweifelsfall in Sicherheit bringen zu können. Überhaupt hatte er sich erstaunlich viel Mühe gegeben, wenn er sie einfach nur entführen wollte.

»Ich will nicht in die Unterwelt«, wisperte sie und ihre zitternden Hände gruben sich in den Stein unter dem Wasserfall, in dem sie inzwischen so weit drinstand, dass er ihr auf den Kopf prasselte und sie kaum noch verstand, was der Dämon sagte. »Schon gar nicht mit einem Dämon.« Warum schluchzte sie? Warum musste sie nun doch weinen, wo sie doch zuvor so überraschend gut Haltung bewahrt hatte? Leén wünschte sich, mit dem Wasser zu verschmelzen, dachte sogar darüber nach, ganz in den Wasserlauf zu springen und sich von der hoffentlich seichten Strömung forttragen zu lassen … falls er tief genug war. Vielleicht führte der Lauf ja sogar zu dem Bach, der hinter dem Dorf verlief. Dann konnte sie sich vielleicht doch in Sicherheit bringen.

Machairi hob eine Augenbraue und musterte das Harethimädchen, das immer weiter in den kleinen Wasserfall zurückwich. »Voreilige Schlussfolgerungen sind die größte Fehlerquelle menschlichen Denkens.« Das klang wie ein typischer Satz von Machairi: irgendwie einleuchtend und trotzdem seltsam kryptisch. Es erinnerte sie an die Nacht, in der sie zu ihm geflüchtet war, wie sie sich sicher gewesen war, einen Dämon in ihrem Zimmer stehen zu sehen. Ob er das gewesen war? Was wollte er ihr damit sagen? Überhaupt fragte sie sich, wie viel von seinen Worten gelogen gewesen waren und ob er wirklich dieses blöde Orakel suchte. Es klang mehr wie ein Vorwand, aber sie konnte auch nicht wissen, ob der Dämon nicht vielleicht doch irgendeine wichtige Frage hatte. Und was war mit Ila? Schließlich schien die Frau den Schatten recht gut zu kennen. Wenn er der Unterwelt entsprang, konnte das immerhin erklären, wie sie sich vielleicht getroffen haben konnten, trotz des horrenden Altersunterschieds. Zunächst hatte sie gedacht, dass jetzt alles klar sei, aber leider waren die Dinge doch nicht so eindeutig, wie sie zunächst gedacht hatte.

Machairi seufzte. »Was genau denkst du, was ich dir jetzt hier tun könnte, was ich nicht schon längst hätte tun können?« Etwas genervt wirkte er allmählich schon und das vertraute Messer tanzte wieder durch den Handschuh. Es war fast beruhigend. Außerdem hatte er recht. Einen Fluchtweg gab es nicht und wenn er sie morgen – ob sie wollte oder nicht – in die Unterwelt hinabzerren würde, konnte es nicht schaden sich vorzubereiten.

Leén schluckte und riss sich zusammen. Vorsichtig kam sie wieder vor, hinaus aus dem Wasserfall, und trat etwas steif auf die Wiese. Er hatte sich nicht von der Stelle bewegt, stand noch immer ganz ruhig dort, wo er sie auf die Füße gezogen hatte, und das Messer war wieder verschwunden. Ganz genau beobachteten die schwarzen Augen sie und sie stellte die einzige Frage, die für sie wirklich entscheidend war. Wenn er die nicht beantwortete, würde sie sich so querstellen, wie sie konnte, bevor sie sich in die Unterwelt hinabbringen ließ. »Wozu brauchst du mich?«, fragte sie und sah ihn direkt an, auch wenn sie noch immer gerne vor ihm davongelaufen wäre. Sie hatte beschlossen mutig zu sein.

Einen Moment lang war es still auf der Lichtung. Dann ließ sich Machairi mal einmal dazu herab, seine melodische Stimme zu benutzen, um eine Antwort zu geben, die er eigentlich für sich behalten wollte. »Du bist unser Weg zurück. Ich habe hier noch zu viel zu tun, um zu riskieren, dort festzusitzen.« Es klang ehrlich. Ehrlicher als das meiste, was er je gesagt hatte. Einzig seine Meinung über den Schwertkampf hatte einst das gleiche Maß an Ehrlichkeit gehabt. Es war für einen kurzen Moment, als würde man durch die schwarzen Augen durch ein Fenster sehen, wo sonst nur undurchdringliche Mauern aufragten. Es war ein Funke Menschlichkeit, der den Dämon weniger furchteinflößend wirken ließ. Sie glaubte ihm. Das konnte sie nicht verhindern und es drückte ihre Angst zurück.

»Na gut«, sagte sie, auch wenn sie sich selbst nicht verstand. Sie konnte sich nicht wehren, wenn seine Entscheidung feststand, und trotz allem spürte sie, dass sich ein Teil von ihr daran festhalten wollte, dass sie den falschen Schluss gezogen haben konnte. Also blieb sie stehen, dachte nicht länger an Flucht und fügte sich untypisch mutig in seine Pläne. Sie musste ihre Beherrschung verbessern. »Dann hilf mir trainieren.«


Rennen

Gwyn konnte sich nicht entscheiden, ob er sich heimisch oder fremd fühlte an diesem Ort. Er war noch nie in einem reinen Zhakidorf gewesen und er wurde als einziger mit Ehrlichkeit willkommen geheißen. Das seltsam dumpfe Gefühl in seiner Brust war dadurch nicht gewichen. Es war noch immer so stark wie auf dem Schiff und die Anwesenheit der anderen machte es eher noch schwieriger zu ertragen. Sie führten ihm immer wieder vor Augen, dass irgendetwas in ihm nicht mehr so funktionierte, wie es sollte. Auf der einen Seite blieb das Gefühl, dass er es verdient hatte, sich schlecht zu fühlen. Auf der anderen Seite wurde es noch schlimmer dadurch, dass er wusste, dass er nicht funktionierte.

Er hatte sich einen müden Dank abgerungen, als Katyre ihm sein Zimmer gezeigt hatte. Seither saß er nun also in der Ecke und lauschte seinem Gedankenchaos, das ihn beinahe in den Wahnsinn trieb.

Dann war da noch das Endziel der Reise und die Tatsache, dass niemand ihn erwähnt hatte, auch wenn Mico deutlich dazu angesetzt hatte. Er fragte sich, ob Machairi ihn wohl mitgenommen hätte, wenn er nicht so versagt hätte. In dem Zusammenhang fragte er sich auch, ob er das wollte. Jeder bei Verstand würde ihm sagen, dass er sich freuen sollte, dem Schicksal entgangen zu sein, aber ein seltsamer Teil von ihm wünschte sich, mitkommen zu dürfen. Es war schließlich eine ganz besondere Form von Vertrauen, auf eine solch gefährliche Mission mitgenommen zu werden, und er war mehr als einmal versucht gewesen zu sagen, dass er sogar als Köder, Opfergabe oder Zahlungsmittel mitgekommen wäre. Eigentlich gab es nur eine Sache, die er wirklich wollte, die sein verzweifelter Kopf nicht verzerrt hatte. Gwyn wollte, dass Machairi ihm verzieh. Wenn ihn das sein Leben kostete, war es ihm das wert.

Es war ein waghalsiger, wahnsinniger und geradezu dummer Gedanke und irgendwo in seinem Inneren beschwerte sich seine Vernunft, dass krankhafter Todeswunsch zwar eine gute Voraussetzung für Jobzufriedenheit bei Machairi war, aber trotzdem viel zu oft im Sterben endete.

Gwyn blickte durch das helle Zimmer, in dem ein Bett, ein Schrank und ein kleiner Tisch standen. Es sah aus wie ein Zimmer in einer gemütlichen Gaststätte: nett, aber austauschbar. Das Holzhaus, in dem sie einquartiert worden waren, kam einem Gästehaus gleich, dabei hätte er nicht gedacht, dass sich irgendjemand hierher verirrte, schließlich gab es nicht einmal einen Hafen.

Wenn er ehrlich war, wusste Gwyn selbst nicht so recht, weshalb er sich am liebsten von allen fernhalten wollte. Schließlich hatte ihm keiner der anderen etwas getan und er hatte keinen echten Grund, um sich auch zurückzuhalten, wenn Machairi nicht dabei war. Trotzdem fühlte es sich an, als würde er irgendein Verbot brechen, sobald er den Mund aufmachte, und dann wurde plötzlich alles noch schwieriger auszuhalten. Er war zu viel für sich selbst und sobald er sich nach außen präsentieren musste, drohte das fragile Gebilde, das er seine Psyche nannte, zusammenzubrechen. Kaum hatte er den Gedanken beendet, fühlte er sich nur noch schlechter. Gwyn schämte sich. Er schämte sich für alles, was er tat, dachte und getan hatte. Nichts schien er richtig machen zu können. Nicht vor sich selbst und nicht vor anderen und diese Tatsache wollte ihn schier in den Wahnsinn treiben. Wie konnte man sich nur selbst so sehr im Wege stehen? Manchmal war es ihm, als stünde sein altes Ich belustigt über ihm, um ihm zu sagen, dass er sich mal zusammenreißen sollte. Doch dann erinnerte er sich wieder, dass sein altes Ich mehrere sehr dumme Entscheidungen auf einmal getroffen hatte und es für notwendig gehalten hatte, hunderte Menschen zu verbrennen, und der Kreislauf begann von vorne.

Stöhnend vergrub er das Gesicht in den Armen, während die Vögel vor dem Fenster zwitscherten und die zauberhafte Andersartigkeit dieses Ortes durch das Fenster hereingetragen wurde. Aus einem sicherlich völlig bescheuerten Grund machte dieser perfekte Ort seine Melancholie noch etwas schlimmer. Hauptsächlich, weil er wusste, dass er sich hier unter normalen Umständen unheimlich wohl gefühlt hätte, unter Zhaki und an einem Ort, der vor Magie nur so zu vibrieren schien. Die ganze Zeit wollte er sagen, dass er sich leer fühlte, aber eigentlich fühlte er sich nicht leer – eher im Gegenteil. Er schien geradezu zu platzen vor Gefühlen, die er nicht zu fassen bekommen konnte und die ihn nur noch wahnsinniger machten. Das Chaos war so vollkommen, dass er dem nicht standhalten konnte.

Drückende Kopfschmerzen zogen dem Feuerspucker durch den Schädel und er ließ die Stirn auf seine Arme sinken. Zusammengekauert saß er mit geschlossenen Augen da und versuchte, wie schon in den Tagen zuvor die Kraft zu finden, sich gegen das Chaos aufzulehnen. Hätte es doch nur einen Weg gegeben, alles wiedergutzumachen, wenigstens das verwirkte Vertrauen zurückzuerhalten. Er wusste, dass er sich falsch entschieden hatte in Om’falo. Eigentlich hatte er es schon in dem Moment gewusst, in dem er die Entscheidung gefällt hatte. Es war schließlich nicht so, als hätte er Kendra nicht dort lassen können. Es war nicht Gwyns Verantwortung gewesen; die Leben seiner Freunde dagegen hatte er willentlich aufs Spiel gesetzt. Also musste er entweder Machairis Vertrauen zurückgewinnen, oder er konnte sich bei nächster Gelegenheit irgendwo runterstürzen. Man konnte also quasi sagen, dass er nichts zu verlieren hatte. Was wäre eine bessere Voraussetzung, um sich auf eine Todesmission zu begeben?

Je länger er den Gedanken im Kopf drehte, desto sicherer wurde er, dass sich ihm hier eine Chance bot, die er gerne nutzen wollte. Das Problem daran war nur, dass er Machairi davon überzeugen musste.

Eine der hervorstechendsten Eigenschaften von Machairi war, dass er sich nicht bequatschen ließ. Ihn zu überreden war nie von Erfolg gekrönt. Allerdings hätte Gwyn sich vorstellen können, dass Rish es vielleicht schaffen konnte. Sie hatte einen seltsamen Einfluss auf den Schatten und für einen kurzen Moment spielte er mit dem Gedanken, sie um Hilfe zu bitten. Er wusste allerdings, was sie von der Idee halten würde und dass sie sich noch immer vor Machairi fürchtete und dass seine Chancen vermutlich nicht besser standen, wenn er jemand anderen vorschickte, und so verwarf er den Gedanken wieder.

Lange saß Gwyn in seinem Zimmer und versuchte, einen Plan auszuhecken, während seine Gedanken sich überschlugen und das Tageslicht der Dämmerung wich. Lange Schatten warf das sterbende Tageslicht nun in den Raum und der Feuerspucker spürte, wie es noch enger in seiner Brust wurde. Mit der Nacht und der Dunkelheit wurden die Selbstvorwürfe stärker und hätte er nicht bereits zu einem kleinen Paket gerollt in der Ecke gekauert, hätte er sich noch weiter zusammengezogen. So konnte es nicht weitergehen. Er war müde. Müde vom Traurigsein und dem grausamen Gefühl in seinem Inneren. Es machte ihn wahnsinnig – schon wieder, oder vielmehr immer noch.

So konnte es nicht bleiben. Bevor er wirklich wusste, was er tat, war er auf den Beinen. Wenn es etwas gab, was ihn aus diesem Grauen befreien konnte, das sein Herz und seinen Kopf einfing, dann war er bereit, alles dafür zu tun.

Mutiger als er sich fühlte, trat Gwyn auf den Flur hinaus und stolperte fast augenblicklich zurück in den Raum. Rish betrat in diesem Moment den offenen Flur und er ging davon aus, dass sie nicht allein war. Wie wild zappelte ihm das Herz in der Brust und er hätte sich selbst dafür schlagen können. Wann war es so weit gekommen, dass er nicht mal mehr im gleichen Flur sein konnte wie seine Freunde, ohne buchstäblich die Flucht zu ergreifen? Sein Herz stolperte noch mehr, als es kaum eine Sekunde später an der Türe klopfte. Wie automatisch zurrte sich seine Kehle zu und er hätte alles darum gegeben, sich in Luft auflösen zu können.

Unschlüssig stand er da und musterte die Tür, fragte sich, ob es nur Rish oder gar der Schatten selbst war, wobei die Wahrscheinlichkeit, dass der klopfte, recht gering war. Sein Anflug von Mut war verfolgen und es kostete ihn alles an Selbstbeherrschung, die Tür zu öffnen und hinauszuschielen.

Mit gerunzelter Stirn stand Rish vor der Tür – allein – und musterte ihn forschend, als er scheu hindurchblickte. Warum war sie nass? Trotz des Zwielichts in dem offenen Flur konnte man gut erkennen, dass ihre Haare feucht waren, und auch ihre Bluse und das rötliche Korsett wiesen dunkle Flächen auf, die eindeutig von einer Flüssigkeit stammten. Was wollte sie von ihm und warum wusste sie, in welchem Zimmer er war?

»Ist alles in Ordnung?«, fragte die Harethi, noch immer mit gerunzelter Stirn und klang sehr skeptisch.

Gwyns Zunge wog sicher mehrere Tonnen. Schwer und ungelenk wie ein Stein lag sie ihm im Mund und er traute sich nicht zu, sie zu benutzen. Die Vorstellung, nur unverständliche Laute hervorzubringen, war zwar unrealistisch, machte seine Angst jedoch nur größer. Was war nur los mit ihm?

»Du sitzt nicht in einer Ecke«, stellte sie dann fest und verbannte den skeptischen Ausdruck von ihren Zügen. Eigentlich wollte er sich veralbert vorkommen, aber erstens war nicht viel Amüsement in ihrer Stimme und zweitens hatte sie recht. Davon abgesehen, dass er bis vor wenigen Augenblicken in einer Ecke gesessen hatte. »Wohin wolltest du gehen?«, fragte sie dann und endlich begriff der Gaukler, dass sie ihn gesehen hatte, als er auf lächerliche Weise in sein Zimmer zurückgeflüchtet war. Da er sich dankenswerterweise daran erinnerte, dass er zuvor festgestellt hatte, dass es keine gute Idee war, sie um Hilfe zu bitten oder einzuweihen (und weil die unrealistische Angst, nicht sprechen zu können, nicht verflogen war) zuckte er nur mit den Schultern und wich ihrem Blick aus.

»Gwyn«, murmelte sie und klang plötzlich viel mitleidiger. »Es wird schon alles wieder gut. Erstmal hast du doch jetzt etwas Ruhe und er ist nicht in der Nähe. Dann kannst du dich vielleicht etwas sammeln?«, schlug sie vorsichtig vor und musterte ihn besorgt.

Er wusste nicht, was er sagen sollte. Am liebsten hätte er die Tür einfach wieder zugeschlagen. Wie genau gedachte er, ausgerechnet mit Machairi zu reden, wenn er selbst vor Rish keinen Ton herausbrachte? »Wo ist er?«, fragte er ohne jeden Zusammenhang. Seine Stimme klang furchtbar. Kratzig, belegt und fremd drang sie an seine Ohren und schon wieder wollte er die Tür lieber zuschlagen, als weiter einer netten Person voller Mitleid gegenüberzustehen.

Jetzt zog das Mädchen die Augenbrauen so hoch, dass sie bald mit dem Haaransatz kollidieren würden. »Das ist so ungefähr das Gegenteil von dem, was ich dir gerade empfohlen habe«, stellte sie fest und sah ihn prüfend an, als wollte sie sichergehen, dass er nicht endgültig den Verstand verloren hatte. Vielleicht hatte er das ja. Wie sollte er das wissen? Rish seufzte und nickte zu einer Tür am anderen Ende des Flures. »Mach dich nicht verrückt«, sagte sie dann trotzdem und musterte ihn noch immer, als sei er plötzlich an irgendeiner unheilbaren Krankheit erkrankt. »Kein normaler Mensch würde dir einen Vorwurf machen.«

Das war nicht wahr. Was ihn aber viel mehr irritierte, war die Art und Weise wie sie normaler Mensch aussprach, als fasse das Machairi nicht mit ein. Das Thema hatten sie doch schon zur Genüge durchgekaut, oder? »Danke«, presste er hervor und seine Stimme raspelte über die Laute. Dann schob er sich an ihr vorbei, weil er nicht unhöflich genug war, ihr die Tür vor der Nase zuzuschlagen, und auch gleichzeitig nicht glaubte, dass er auch nur eine weitere Minute dieser Unterhaltung ertragen wollte. Verstand sie nicht, dass sie alles nur schlimmer machte, wenn sie ihn auch noch Mitleid zuteilwerden ließ in seiner bescheuerten Verzweiflung? Ja, er war in Ungnade gefallen, aber er hatte es mit heiler Haut wieder aus dem Palast hinausgeschafft. Gleiches konnte man von so vielen anderen nicht behaupten. Seine dumme Entscheidung, die er viel zu bewusst getroffen hatte, war so einmalig bescheuert gewesen, dass sie eine ganze Reihe von Schäden ausgelöst hatte. Er war sicherlich nicht die Person, die hier das Mitleid verdient hatte, nur weil er sich selbst seither viel zu leidtat. Schon wieder etwas, wofür er sich hätte schlagen können. Er war so wütend auf sich selbst, dass er nicht wusste, wohin mit all seiner Wut, und schon viel zu oft wäre das beinahe an anderen explodiert und er wollte nicht wissen, wie er sich danach gefühlt hätte. Außerdem fürchtete er das Feuer, das sich irgendwo in seinem Inneren mehr und mehr auflehnte.

Um Rish vor diesem Schicksal zu bewahren, ließ er sie stehen und ging den Flur hinab. Er hatte keinen besseren Plan, also würde er den nehmen, den er hatte. Einfach um irgendetwas zu versuchen. »Viel Glück«, rief die Harethi ihm nach und er hörte die Sorge und das Unverständnis heraus. Dann drehte auch sie ihm den Rücken zu und verschwand in ein anderes Zimmer. Vermutlich ahnte sie sogar, was er fragen würde, und er wusste es zu schätzen, dass sie sich da raushielt.

Im Tunnelblick fokussierte Gwyn die Tür. Bedrohlich ragte das Holz vor ihm auf und wieder schnürte sich seine Kehle zusammen, die sich doch gerade etwas entspannt hatte. Er hatte sich keine Worte zurechtgelegt. Aus Erfahrung wusste er, dass Machairi ohnehin jede geplante Konversation über den Haufen warf, und er befürchtete, dass er die Flucht ergreifen würde, wenn er sich tatsächlich damit auseinandersetze, was er hier gerade tat. Es war ein Akt der Verzweiflung, der aussichtslose Versuch, sich irgendwie aus dem Loch zu ziehen – oder ziehen zu lassen –, das er seit Om’falo nicht mehr verlassen konnte.

Als er die Hand hob, um zu klopfen, hatte er das seltsame Gefühl, einer anderen Person dabei zuzusehen. Irgendwie schien das unbestreitbare Angstgefühl dazu geführt zu haben, dass sein Verstand ihm vorgaukelte, er sei nicht mehr er selbst. Das war zwar vermutlich eigentlich ein schlechtes Zeichen, aber es führte dazu, dass er die Angst besser ertragen konnte. Außerdem ging ein plötzliches Gefühl von Gleichgültigkeit damit einher, Gwyn wusste schließlich, dass diese Aktion vermutlich damit enden würde, dass ihm ein Messer irgendwo aus dem Körper ragte.

Trotzdem hallte das zaghafte Klopfen von Fingerknöcheln auf Holz durch den Flur und vermischte sich mit seinem Herzschlag. Das »Ja«, das kaum einen Moment später erklang, war selbst durch das Holz hindurch noch melodisch und klar. Es brachte Gwyns Knie fast zum Einknicken, während er die bebenden Finger um den Türknauf schloss. Noch einen Moment zögerte er, körperlich so angespannt, dass er kaum einen klaren Gedanken fassen konnte. Dann riss er sich ein letztes Mal zusammen und schob vorsichtig die Tür auf. Leise knirschte das Holz, als es den Weg freigab, und nur sehr vorsichtig schob Gwyn sich durch die Tür. Er fühlte den gnadenlosen Blick der schwarzen Augen und konnte es nicht über sich bringen, den Blick zu erwidern. Als sei er ein Soldat oder ein Diener in einem Schloss stand er gerade und neigte den Kopf, auch wenn alles in ihm am liebsten niederknien wollte. Leider brachte er unter dem eisigen Blick kein Wort heraus. Das war allerdings auch gar nicht nötig, denn erneut durchschnitt klare Melodik den Raum und fuhr Gwyn direkt in den Magen. »Schickt Mico dich?«, fragte der Schatten mit grausiger Kälte in der klaren Stimme und an seinem Tonfall hörte Gwyn, dass er die Antwort längst kannte.

Vorsichtig schüttelte er den Kopf. »Nein«, wollte er sagen, aber es war kaum mehr als ein Flüstern. Kurz überlegte er, sogar eine förmliche Anrede hinterherzuschicken, aber er wusste, dass Machairi bei diesen Dingen sehr empfindlich reagieren konnte. Im Grunde konnte er dahingehend nur die falsche Entscheidung treffen.

»Dann geh«, befahl Machairi und wandte sich ab. Er trat auf das Fenster zu, wie er es so oft tat, anstatt sich mit dem Geschehen im Raum zu befassen. Vielleicht, weil er sich der Wirkung seines Blickes so sehr bewusst war und das lieber sparsam einsetzte, aber in diesem Fall war Gwyn sich sicher, dass er ihm einfach signalisierte, wie unerwünscht er war.

Für einen Moment verschlug es Gwyn erneut die Sprache. Er stand da und öffnete den Mund, ohne dass ein Wort herauskommen wollte. Der Drang, einfach zu gehen, war gewaltig. Überhaupt war stehen zu bleiben und sich einer direkten Aufforderung zu widersetzen genau das, was er gerade schwören wollte, nie wieder zu tun. Doch würde er keine andere Gelegenheit bekommen, bevor der Schatten in die Unterwelt verschwand, und dann war ohnehin alles so anders, dass der Feuerspucker nicht auf Normalität zu hoffen brauchte. Bevor er noch länger einfach nur schweigend hier stand, musste er also etwas unternehmen. »Nimm mich mit in die Unterwelt«, brachte er hervor, bevor er dazu kam, sich die Worte zurechtzulegen. »Bitte«, schickte er hastig hinterher und nur kurz zuckte sein Blick zu dem Mann am Fenster, bevor ihm der Anblick der schwarzen Kleider und des weißen Handschuhs erneut das Fürchten lehrte, besonders als ein Messer sich durch besagten Handschuh bewegte und Machairi sich zurückdrehte.

Gwyn senkte den Kopf noch etwas weiter unter dem Blick, der ihn traf. Er spürte die Wut und die aufkommende Dunkelheit im Raum und seine Knie zitterten nun so sehr, dass man es mit Sicherheit sehen konnte und dass er sich kaum mehr auf den Beinen halten konnte. Nichts als diese bodenlose kalte Wut schlug ihm entgegen und das war schlimmer, als erneut fortgeschickt zu werden.

Die Angst wand sich in seiner Brust und schnürte ihm den Atem ab. Umso erstaunter war er, dass er trotz allem weitersprechen konnte, auch wenn er in dieser Situation nicht in der Lage war, zu reflektieren, ob jene Worte eine gute Idee waren, oder ob sie nicht vielleicht genau das Gegenteil bewirken würden. »Bitte«, wiederholte er. »Ich werde tun, was immer du sagst. Egal was es ist. Ich werde nicht noch einmal versagen wie in Om’falo.« Noch immer keine Antwort. »Ich habe mich von meinem schlechten Gewissen überwältigen lassen«, fuhr er fort und für einen kurzen Augenblick knickten seine Knie ein und er fing sich nur äußerst unelegant ab. Machairi ließ sich nicht von Betteln beeindrucken, da war es nicht sinnvoll, es trotzdem zu tun. Das hatte schon beim ersten Mal nicht funktioniert. Das tatsächlich Beeindruckende war, dass Gwyn noch immer seine Stimme hatte, ja, dass die Worte geradezu hervorsprudelten, als hätten sich seit Om’falo zu viele angestaut, die er zuvor gar nicht bemerkt hatte. »Das wird nicht noch einmal passieren«, versprach er und musste plötzlich gegen ein Schluchzen kämpfen. »Bitte lass mich mitkommen und es beweisen.« Nun flehte er doch. Seine Stimme war so weinerlich, dass er sich kaum selbst ernst nehmen konnte. Die Verzweiflung der letzten Tage erschlug ihn förmlich und die Vorstellung zu gehen, hier zu scheitern und in sein dunkles Zimmer zurückzukehren, wo nichts als noch mehr Verzweiflung wartete, war absurderweise noch furchteinflößender als Machairi.

Der sah ihn etwas spöttisch an, aber es war nicht die übliche Form von Amüsement, die er früher häufiger gezeigt hatte, sondern Abfälligkeit. »Du verlässt nicht einmal das Zimmer, wenn ich es sage.« Das war ein gemeiner Einwand, weil es wahr war. Gwyn hatte es schließlich auch schon gedacht, aber was sollte er sonst tun?

»Nur weil es die einzige Chance ist, dich zu überzeugen«, murmelte er und sah nun auch noch schuldbewusst auf den Boden. Niemals glaubte er, dass Machairi ihn von sich aus zurücknehmen würde. Er musste schon einiges leisten, um seine Fehltritte auszuradieren, und irgendetwas musste er doch tun.

»Sehe ich überzeugt aus?« Es fühlte sich an, als blickten die schwarzen Augen ihm direkt in den Schädel und fast hätte Gwyn geglaubt, dass dieser Blick sogar schmerzhaft war. Außerdem sah er die blanke Messerklinge im weißen Stoff liegen, die sich ruhig auf ihn richtete. Nein, der Schatten sah nicht überzeugt aus. Natürlich nicht. Das hatte er vorher gewusst, aber es war sicherlich vielversprechender gewesen, es zumindest zu versuchen, als zu warten. Es führte allerdings auch dazu, dass ihm sein einziges Argument unter den Fingern zusammenfiel.

Du konntest dich immer auf mich verlassen, wollte er sagen, aber sogar er wusste, dass das eine Lüge war. Eigentlich war es eher umgekehrt gewesen. Egal wie groß die Krise, Machairi konnte sie bewältigen. Egal wie groß der Ärger, Machairi konnte ihn beseitigen. Und egal wie groß der Fehler, Machairi konnte ihn ausbügeln. Man konnte sich nicht darauf verlassen, dass der Messerdämon gute Absichten hatte oder das moralisch Richtige tat, aber man konnte sich darauf verlassen, dass er wusste, was er tat, und dass er niemanden von seinen Leuten freiwillig opferte. »Nein«, flüsterte Gwyn und nun hatte seine Stimme ihn wieder verlassen.

»Wenn du mir das nächste Mal ungefragt auf die Nerven gehst, landest du unwiederbringlich in der Unterwelt.« Dieses Mal war die Drohung so konkret und eisig, dass sie Gwyn beinahe den Magen umdrehte. Schockiert sah er auf in Machairis Gesicht und fand so bodenlose Kälte, dass alles in ihm erfror. Da half auch die schönste Stimme nicht, eher im Gegenteil. »Raus«, sagte Machairi in leicht gesenktem Tonfall und bevor er wusste, was er tat, floh Gwyn.

Er dachte nicht darüber nach, wo er hinrannte, aber selbst, wenn er es getan hätte, wäre die Wahl wohl nicht auf sein Zimmer gefallen. Die näherkommenden Wände konnte er jetzt nicht ertragen und so trugen seine Beine ihn aus dem Haus hinaus und durch das Dorf. Es war, als hätte sein Körper nur darauf gewartet, dass er endlich wegrannte. Es war seltsam befreiend zu laufen und er konnte nicht stehen bleiben. Eilig trugen seine bloßen Füße ihn durch den Urwald, immer weiter fort vom kleinen Dorf. Zweige schlugen ihm ins Gesicht und Bäume streckten ihre düsteren Äste nach ihm aus. Allerlei Kreaturen flohen vor ihm oder fauchten ihn an und kaum etwas davon drang zu ihm durch. Wie von Sinnen rannte er durch den Wald, sah nur immer wieder die eiskalte Drohung auf den Zügen des Dämons und fühlte, wie ihn Furcht, Verzweiflung und Schuld verfolgten.

Gwyn würde sich nie daran erinnern, wie lange er gerannt war oder wann seine Beine einfach nachgaben. Er würde niemals verstehen können, welchen Weg er gerannt war und ob ihn eine innere Stimme hierhergezogen hatte oder ob es reiner Zufall war, dass er genau hier zusammenbrach. Alles, was er später wusste, war, dass er an einem Ort aufwachte, der nichts gleichkam, was er je gesehen hatte.

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9783754940136
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