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Semper maior: Unerschöpfliche Inklusion ohne Differenzverlust

Die Rechtfertigungstheologie als Religions- und Sozialkritik

Es ist gut, das Lutherjahr inhaltlich nicht vorbei sein zu lassen. Denn was Luthers Rechtfertigungstheologie in gegenwärtigen Herausforderungen und Auseinandersetzungen bedeutet, scheint mir auch in den vielen eindrucksvollen Jubiläumsveranstaltungen immer noch zu wenig besprochen zu sein. Dieser Mangel berührt auch die Frage nach der Inklusionskraft des christlichen Gottesglaubens und der Religionen überhaupt (darauf hat auch Dierk Starnitzke (Ders., 115-120) für den Diakoniebereich hingewiesen). Die Ausweitung der Rechtfertigungstheologie auf die Nichtglaubenden scheint mir ein neuralgisches religionskritisches Problem zu sein, vor allem für die Glaubensbereiche. Ottmar Fuchs

Wie funktioniert „Gott“? Wie wirken sich die unterschiedlichen Gottesbeanspruchungen auf die Sozialbeziehungen aus?

LUTHERS DIFFERENZUMFASSENDER ANSATZ

Im Fahrwasser seiner Exegese des Römerbriefs nähert sich Luther in der Rechtfertigungstheologie einer Universalität Gottes, die personenbezogen (fast) alles umfasst (das fast bezieht sich auf die Ausnahme des Unglaubens): Denn die Reichweite, die die „Lieblingsformel Luthers“ (simul iustus et peccator, gerechtfertigt und Sünder/in zugleich) abschreitet, ist die umfassendste und widersprüchlichste, die es gibt (vgl. Pesch, 190ff.; Fuchs 2016, 13-98).

Die Formel Luthers umfasst die äußerst möglichen Extreme geschöpflicher Existenz, nicht nur zwischen Geschöpf und Schöpfer, sondern zwischen sündigem Menschen und heiligem Gott. „Sünde (ist) gleichsam der Riss durch das Sein, weil Sünde als Gottlosigkeit die Negation der Lebensmöglichkeit ist und damit schlechterdings die Lebensunmöglichkeit“ (Schneider-Flume, 26).

Gott setzt keine Bedingung für die rechtfertigende Gnade, etwa dass der Mensch nicht mehr Sünder/in sei. Gottes Rechtfertigung kann damit gar nicht anders als durch und durch bedingungslos aufgefasst werden. Sie ist unendlich „inklusiv“.

Im Fahrwasser dieser extremsten Heterogenität umfasst Gottes Inklusivität selbstverständlich alle andere Vielfalt, alle Diversität der Welt, die mit der Kategorie der Sünde-Heil-Dramatik weniger bis nichts zu tun haben. Hier kommt die schier unerschöpfliche Vielfalt der Schöpfung selbst zum Ausdruck, eine Kreativität, die sich auch in der faszinierenden Kreativität der Menschen widerspiegelt: in den Sprachen und Kulturen, in der Kunst, in der Literatur, in der Architektur, im Handwerk (ein Blick in ein Schmuck- oder Schuhgeschäft vermittelt eindrucksvoll diese permanente Phantasie an Neuschöpfungen von Formen und Kombinationen).

Ottmar Fuchs

Dr. theol. habil., Prof. em. für Praktische Theologie an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Tübingen.

Deshalb verfängt, theologisch gesehen, die Strategie überhaupt nicht, Andere, um sie mit moralisierenden Argumenten exkludieren zu können, als schlecht oder böse hinzustellen, weil Gott auch das Schlechte nicht zum Anlass von Exklusion macht. Mit „Gott“ kann hier jedenfalls nicht operiert werden.

VERSCHÄRFTER – UNENDLICHE VERSÖHNUNG

Der Glaube an einen die Menschen im paulinischen und lutherischen Sinn rechtfertigenden Gott hält die Grenzziehung zwischen Opfer- und Täteranteilen in und zwischen den Menschen kompromisslos aufrecht, auch und gerade wenn das Datum der Rechtfertigungstheologie gilt, dass auch die Schlimmsten niemals aus der Gnade herausfallen. Auch ihnen wird kein aus der Liebe exkludierendes sinnloses Strafleiden zugefügt. Dies geschieht aber nicht so, als ob nichts geschehen wäre.

Welche Auswirkungen im Jüngsten Gericht die unblockierte Erfahrung der „visio dei“, der unerschöpflichen Freiheit und Liebe in Gott auf die Menschen mit ihren gegensätzlichen Biographien zwischen Gut und Böse haben wird, diese Resonanz angesichts der Menschen, denen Leid zugefügt wurde bzw. die sich gegen Armut und Ungerechtigkeit eingesetzt haben, wird sich zwischen Schmerz und Freude ereignen. Doch sind alle diese Bilder in das unbegreifliche Geheimnis Gottes selbst abzugeben, mit der unzugriffigen Hoffnung, dass die „Richtung“ stimmt.

Der Begriff des Gerichtes kann zwar nicht ohne dualistische Vorstellungen zwischen Gut und Böse auskommen. Doch sind dualistische Welteinteilungen immer heikel, wenn sie nicht im Dienst einer ganz bestimmten Entdualisierung stehen, welche das Gute und Üble unbestechlich überall aufzuspüren vermag: nämlich der Entdualisierung zwischen innen und außen als gut und schlecht, der Entdualisierung der Diakonie, die sich universal verausgabt und nicht die Hilfsbedürftigen in der Hilfe Würdige und weniger Würdige einteilt (in Mt 25, 36 wird nicht danach gefragt, warum jemand gefangen ist), der Entdualisierung von Positiv-negativ-Wertungen bestimmten Rassen und Gruppierungen gegenüber, der Entdualisierung zwischen Gläubigen und Ungläubigen, sofern die Letzteren Abwertungen und Sanktionen erfahren müssen, der Entdualisierung von Wahrheitsbesitzenden und Wahrheitsunfähigen u. v. a. m. Die vielfachen Verklebungen zwischen Gut und Böse in einer Person und in komplexen Situationen und Handlungen benötigen umso mehr den gerichtlichen Dualismus, um beides gerecht gegenseitig profilieren zu können. Das letzte Gericht beginnt mit einer radikalen Dualisierung, wie die Kunstwerke zum Weltenrichter zeigen. Das Gericht endet aber nicht mit diesem Dualismus, sondern überwindet ihn, ohne ihn zu schmälern, in der unerschöpflichen Versöhnungsmacht Gottes, aber absolut nicht billig und nicht die Erinnerung an die Leidensgeschichte schleifend, sondern umso schärfer aufdeckend und dem Feuer des aus dieser Liebe drängenden Reueschmerzes übergebend.

So zeigt sich im Jüngsten Gericht die Offenheit für das Faktische genauso, wie die hermeneutische Perspektive seiner Beurteilung (um der Gerechtigkeit willen) und es zeigt sich zugleich die Offenheit für das nicht verstehbare Geheimnis der Gnade, das die Unterscheidungshermeneutik milliardenfach überholt und ihr jede Planbarkeit entzieht. Die Ambiguität der Erfahrungswelt kommt in die Eindeutigkeit des Gerichts und darin gleichzeitig in eine neue, unendliche Mehrdeutigkeit aus unerschöpflicher Liebe und Freiheit.

Im Sinne des eschatologischen Doppelbeschlusses von Gericht und Rettung sind jene exkludierenden Sozialgestalten nicht mehr möglich, in der die Gerichteten (oft besonders die „Ungläubigen“) keine Chance auf Rettung haben. Letzteres wäre ein Dualismus, der die Neuschöpfung Gottes nicht universal genug sieht und damit letztlich die Universalität Gottes leugnet, und wäre eine Vernichtung der Semper-maior-Qualität Gottes, nämlich dass Gott immer wieder „mehr“ und „größer“ ist, als wir es uns vorstellen können.

Dieses Gericht bleibt Gott und damit dem vorbehalten, der mit Macht und Herrlichkeit kommt. Wichtig ist also, dass den Kirchen selbst keine Richterfunktion über die Welt zukommt (vgl. Kühschelm, 278). Auch dies würde Gottes permanent alles Binäre in immer wieder neue Weiten und Kreativitäten hinein transzendierende Macht blockieren.

GLAUBE AN DIE RECHTFERTIGUNG IST NICHT IHRE BEDINGUNG

Martin Luther plädiert bekanntlich – zunächst – für einen wertschätzenden Umgang mit den Juden, der ihnen das wahre Evangelium von der Gnade Gottes erfahrbar werden lässt. Dass sie sich bisher nicht bekehrt haben, liegt für Luther daran, dass die Praxis der alten Kirche eben diese Gnade nicht vermittelt hat. Als Luther aber feststellen muss, dass die Juden auch im Zusammenhang des neuen Evangeliums sich nicht bekehren, versteigert er sich, mit der Heftigkeit eines abgewiesenen Liebhabers, bis zur Dämonisierung der Juden, und, je mehr er diese Wirkungslosigkeit der reformatorischen Glaubensverkündigung wahrnehmen muss, in die Vorstellung, dass sie ihr Elend verdient haben. Und dies auf dem Hintergrund einer Verstockungsvorstellung, nämlich dass Gott selber diese Hartnäckigkeit der Juden verursacht (vgl. Bultmann). Ist Gott selbst inklusionsblockierend?

Dass der Text Röm 9-11, wo sich Paulus zu einer theologischen Anerkennung und Rettung der andersgläubigen Juden durchringt, in seiner entgrenzenden Dynamik glaubenspolitisch, offensichtlich auch bei Luther, so wirkungslos geblieben ist, gehört wohl zum fatalsten blinden Fleck der Christentumsgeschichte (vgl. Fuchs 1988, 269-280).

Im christlichen Glauben ist der Glaube nicht die Bedingung für die Liebe Gottes, sondern die Auskunft darüber.

Das Gefährliche ist dabei, dass anderslebende, andersdenkende und andersglaubende Menschen zu den Bösen geschlagen werden, die als noch schlimmer gelten als die schlimmsten Werksünder/innen. Denn die Werke lassen das Heil nicht verlieren. Für die Übeltäter gibt es zwischen Annahme und Ablehnung eine dritte Möglichkeit, nämlich die Annahme der Abgelehnten, für die Ungläubigen gäbe es dies nicht, nach dem Motto: Gott liebt dich nur, wenn du glaubst und wenn du zu den eigenen Glaubensbereichen dazugehörst.

Dagegen ist im christlichen Glauben der Glaube nicht die Bedingung für die Liebe Gottes, sondern die Auskunft darüber und so die Bedingung dafür, etwas von dieser allen Menschen längst geschenkten und sie darin inkludierenden Liebe Gottes zu wissen und aus diesem Glaubenswissen heraus, dass Gott alle Menschen bedingungslos liebt, das Leben zu feiern, zu gestalten und, wenn erforderlich, zu verändern. Denn es ist ein großer Unterschied, ob mich jemand liebt, und ich weiß in Worten und Zeichen davon und kann mein Leben entsprechend gestalten, oder ob mich jemand liebt, und ich weiß nichts davon.

Simone Weil schenkt uns hier eine beglückende Einsicht: „Eine der kostbarsten Freuden der irdischen Liebe, dem Geliebten zu dienen, ohne dass er davon weiß, ist im Falle der Liebe Gottes nur durch den Atheismus möglich“ (dieses Zitat verdanke ich Halík, 5). Und diese Liebe wird von nichtgläubigen Menschen auf ihre Weise gespürt, in der Erfahrung absichtsloser Liebe zwischen den Menschen und in der Erhabenheit mancher Welterfahrung.

Wo sich der Glaube ereignet, ist er Ausdruck dieser universalen Wirkung, die auch ohne ihn stattfindet. Wie nach Karl Rahner die sakramentale und verkündende Sprache der Kirche die Ausdrücklichkeit dessen darstellt und ins Bewusstsein hebt, was überall der Fall ist und der Fall sein kann: „Wohl habe ich Israel aus Ägypten herausgeführt, aber ebenso die Philister aus Kaftor und die Aramäer aus Kir“ (Amos 9,7).

Menschen können in dem Maß solidarisch sein, als sie selbst Solidarität geschenkt bekommen.

GLAUBE ALS INKLUSIONSENERGIE

Menschen können in dem Maß solidarisch sein, als sie selbst Solidarität geschenkt bekommen. Sie können nicht mehr an Ängsten und Unsicherheiten aushalten bzw. bewältigen, als ihnen Vertrauen geschenkt wird und sie Vertrauen schenken können. Es geht für die besitzenden Menschen und Länder in Zukunft nicht nur darum, den Eigennutz nicht zu steigern, sondern das, was man an eigenem Nutzen schon besitzt, zugunsten derer, die lokal und global aus dem Wohlergehen ausgeschlossen sind, abzubauen (vgl. Mette). Sonst gilt: Wer nicht teilen will, muss töten.

Solidarität gelingt eher auf eine Weise, wie sie Freundschafts- oder Liebesbeziehungen zwischen Menschen charakterisiert. Wenn diese einander zugetan sind und zueinander sagen: „Für dich bin ich da, ohne Wenn und Aber!”, wenn sie also füreinander Verantwortung übernehmen, nicht weil es von außen gefordert wäre, sondern weil diese Verantwortung unmittelbar aus einer Beziehung heraus wächst, die als Geschenk, die als Gnade erlebt wird. Forderungen allein geben keine Kraft, sondern machen defensiv. Die Chance der Religionen ist es, in ihrem Gottesglauben die durchaus mächtige Ressource für eine solche Solidarität zur Verfügung zu stellen und zu feiern.

Wenn aber Gott selbst andauernd zur vergifteten Quelle von moralischer Leistung, kirchlichem Wohlverhalten, von „fortwährender Bewährungsprüfung“ (Lehmann, 129) wird, kann eine solche Gnade nicht erfahren werden, auch nicht die Kehrseite der Liebe, nämlich die Freiheit: So dass Menschen auch dann der Begegnung für würdig erachtet werden, wenn sie nicht einplanbar, nicht „normal“ zugehörig und nicht im Sinne einer Entscheidungskirche entscheidungsfreudig sind (vgl. ebd. 133, 140; Fuchs 2017, 61ff., 94f., 177f., 205, 269ff.). Die Begegnungsoffenheit der Kirchen für „andere“ Menschen und damit für Unerwartetes kommt ihren Mitgliedern und der Transformationsfähigkeit ihrer Formen genauso zugute wie ihrer Zukunft (vgl. Först).

Aber selbstverständlich kommt man auch in der Vermittlung solcher befreienden Offenheit für Ambiguität und Ambivalenz aus dem paulinischen Dilemma, Sünder und Sünderin zu bleiben, nicht heraus: „Denn nicht das, was ich will, führe ich aus, sondern das, was ich hasse, tue ich […]. Ich elender Mensch, wer wird mich aus diesem Todesleib erlösen?“ (Röm 7,15.24). Denn auch die Erfahrbarkeit der Gottesbeziehung als Gnade steht unter dem Risiko der Bewährung und kann als Leistung erfahren und als Druckmittel ausgeübt werden (diesen wichtigen Hinweis verdanke ich Michael Schüßler, Tübingen).

Hier mag die Spiritualität der Rechtfertigungstheologie aushelfen: Insofern Gottes Liebe nicht davon abhängig ist, ob sie diesseitig erfahren oder nicht erfahren wird. Trotzdem kann sie in den Symbolen der Kirche gefeiert werden. Ein Glaube, der sich in dieser Paradoxie befindet und darin aushält, versinkt weder in der Leistung noch in der Beliebigkeit, sondern wird zu einem Neuen, das der menschlichen Existenz in ihrer Zwiespältigkeit gerecht wird. Die biblische Botschaft gibt dafür die Lizenz der Klage aus, auch der Anklage Gottes, die bis in das Jüngste Gericht reicht (vgl. Fuchs 2007, 77-109).

In einer Gesellschaft, wo fast alles von Bedingungen, Kompetenzen, Mobilitäten und Fähigkeiten abhängig ist, ist es im Glauben selber eine große Befreiung, dass dort Liebe und Freiheit nicht von menschlichen Leistungen abhängig sind. Christ/innen ist der Glaube geschenkt, dass alle Menschen von Gott unbedingt geliebt sind, noch bevor sie etwas dafür getan haben, als schuldig Gewordene, als religiös Gleichgültige, als Nichtchristen und Nichtchristinnen, als Atheisten und Atheistinnen, als kranke und gesunde Menschen, als erfolgreiche und scheiternde Menschen usw.

Diese Herausforderung führt zu Auseinandersetzungen zwischen und in den Religionen und auch innerhalb des Christentums selbst, wo insbesondere seine fundamentalistischen Anteile wieder mit verschärften Ausgrenzungen und Höllendrohungen insbesondere in den Vereinigten Staaten, aber auch zunehmend in Lateinamerika und Europa zahlenmäßig explodieren. Analog dazu verhalten sich im gesellschaftlichen und politischen Bereich faschistische Gruppierungen, die die eigene Nation oder Rasse über alles stellen und alle Anderen verteufeln.

Es ist zu verführerisch, eine immer komplexere und pluralere Welt wenigstens religiös derart in ein Schwarz-weiß-Korsett zu bringen und diese auch noch mit einem dafür zurechtgestutzten ungöttlichen Gott, also einem Götzen zu begründen. In der Heckscheibe eines Autos las ich: „Christus ist unser Retter. Glaube an ihn, damit du nicht in die Hölle kommst!“ Hätte es nicht heißen dürfen: „Glaube daran, dass du von Gott geliebt bist, was immer du glaubst und tust!“?

Eine bessere Welt, ohne oder mit Religion? Dies ist auch eine eminent politische Frage, weil ein moderner, der Humanität verpflichteter demokratischer Staat kaum mit Religionen kooperieren kann, die aus ihrer inneren Anlage heraus andersgläubige und anderslebende Menschen ausgrenzen, erst der gedanklichen und letztlich der wirklichen Vernichtung preisgeben.

Der „Islamische Staat“ ist die Spitze dieses Eisbergs. Eine Religion, die nicht im eigenen Zentrum, und das ist jeweils der Gottesglaube, und darin im über alles Fühlen und Verstehen hinausgehenden Geheimnis einer nie abschließbaren göttlichen Inklusionsmacht eine prinzipiell (aktuell gibt es dafür immer Grenzen der Möglichkeit und der Kräfte) entgrenzende Solidarität zu motivieren und zu betreiben vermag, macht die Welt tatsächlich nicht besser und ist für die Zukunft restlos verzichtbar.

LITERATUR

Bultmann, Christoph, Das Wittenberger christlich-jüdische Kontroversgespräch 1526 und Luthers Betrachtung der Juden. Bemerkungen im Anschluss an die Orientierung zum Reformationsjubiläum „Die Reformation und die Juden“ (2014), in: Gabel, Michael u.a. (Hg.), Religionen in Bewegung. Interreligiöse Beziehungen im Wandel der Zeit, Münster 2016, 143-196.

Först, Johannes/Kügler, Joachim (Hg.), Die unbekannte Mehrheit. Mit Taufe, Trauung und Bestattung durchs Leben? Eine empirische Untersuchung zur „Kasualienfrömmigkeit“ von Katholiklnnen, Münster 2006.

Fuchs, Ottmar, Die Entgrenzung zum Fremden als Bedingung christlichen Glaubens und Handelns, in: Ders. (Hg.), Die Fremden, Düsseldorf 1988, 240-301.

Ders., Das Jüngste Gericht. Hoffnung auf Gerechtigkeit, Regensburg 2007. Ders., Die andere Reformation. Ökumenisch für eine solidarische Welt, Würzburg 2016.

Ders., „Ihr aber seid ein priesterliches Volk“. Ein pastoraltheologischer Zwischenruf zu Firmung und Ordination, Ostfildern 2017.

Halík, Tomáš, Geduld mit Gott. Leidenschaft und Geduld in Zeiten des Glaubens und Unglaubens, Freiburg i. Br. 22011.

Kühschelm, Roman, Verstockung, Gericht und Heil. Exegetische und bibeltheologische Untersuchung zum sogenannten „Dualismus“ und „Determinismus“ in Joh 12,35-50, Frankfurt am Main 1990.

Lehmann, Maren, Leutemangel. Mitgliedschaft und Begegnung als Formen der Kirche, in: Hermelink, Jan/Wegner, Gerhard (Hg.), Paradoxien kirchlicher Organisation. Niklas Luhmanns frühe Kirchensoziologie und die aktuelle Reform der evangelischen Kirche, Würzburg 2008, 123-144.

Mette, Norbert, „Überflüssig und menschlicher Abfall“ (Dokument Aparecida 65). Soziale Exklusion – eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, in: Pastoraltheologische Informationen 32 (1/2012) 197–220. Pesch, Otto Hermann, Hinführung zu Luther, Mainz 21983.

Schneider-Flume, Gunda, Die Identität des Sünders. Eine Auseinandersetzung theologischer Anthropologie mit dem Konzept der psychosozialen Identität Erik H. Eriksons, Göttingen 1985.

Starnitzke, Dierk, Diakonische Identität in einer pluralen Gesellschaft. Zwischen kirchlichem Selbstbestimmungsrecht und interkultureller und interreligiöser Öffnung der diakonischen Arbeit, in: Zeitschrift für Evangelische Ethik 58 (2/2014) 110–123.

Auch eine Frage geschuldeter Solidarität

Die Replik von Andreas Lob-Hüdepohl auf Ottmar Fuchs

Zu Recht macht Ottmar Fuchs auf den sehr erheblichen Umstand aufmerksam, dass ‚unerschöpfliche‘ und darin letztlich ‚grenzenlose‘ Inklusion auch unter theologischer Rücksicht immer differenzsensibel ist und bleibt: Die moralische Grenze zwischen dem Täter sozialer Exklusion und seinem Opfer, das sein gleichberechtigtes Lebensrecht und damit Inklusion begehrt, wird nicht einfach eingeebnet. Sie ersatzlos preiszugeben wäre für jedes Opfer von Ausgrenzung nachgerade zynisch und obszön. Vollends könnte der Täter über sein Opfer triumphieren. Ungeniert könnte er von den lebensverneinenden Ausgrenzungen anderer profitieren, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Die Grenze zwischen Täter und Opfer verliert freilich ihren rechtfertigungstheologischen Schrecken: Dem Täter als Sünder droht ob seiner ausgrenzenden und darin lebensverneinenden Taten nicht ewige Verdammnis. Er muss sich seine Rechtfertigung vor Gott nicht mit einer moralischen Makellosigkeit verdienen, die ihn kategorisch überfordern würde. Denn auch für ihn gilt die unbedingte Zusage Gottes: Unerschöpflich gehalten und also einbezogen (‚inkludiert‘) zu sein in Seiner Liebe – vor aller Leistung und trotz aller Schuld. Dem Täter ‚droht‘ durch die unerschöpfliche Inklusion von Seiten Gottes – neben der Zumutung des Nicht-mehr-weiter-so – nur die Erfahrung eigener Schwäche; und vielleicht sogar ein Rest von Beschämung.

Unter dem Rubikon ‚Glaube als Inklusionsenergie‘ konfrontiert uns Ottmar Fuchs allerdings mit einer ernüchternden Einsicht: „Menschen können in dem Maß solidarisch sein, als sie selbst Solidarität bekommen. Sie können nicht mehr an Ängsten und Unsicherheiten aushalten bzw. bewältigen, als ihnen Vertrauen geschenkt wird und sie Vertrauen schenken können.“ Diese Einsicht muss verstören. Denn so lebensnah und plausibel sie zunächst erscheint, entpuppt sie sich bei näherem Hinsehen als – mindestens im sozialen Sinne – lebensbedrohlich: Sie geht von einem Nullsummenspiel solidarischer Praxis aus. Sie unterstellt, dass Solidarität – wie auch Vertrauen – nur dann gewährt wird, wo Menschen Reziprozität erfahren oder wenigstens in absehbarer Zukunft erwarten können.

Fuchs‘ ernüchternde Einsicht dementiert in letzter Konsequenz sogar die Möglichkeit dessen, was wir gerade als Christ/innen mit Vergebung meinen – übrigens immer noch die Voraussetzung dessen, was an Versöhnung zwischen Tätern und Opfern Realität werden kann. Vergebung bezeichnet gerade eine Wirklichkeit, in der das Opfer dem Täter schon dann verzeiht, ohne vorher die Tat, die ihn zum Opfer machte, gesühnt oder gar aufgehoben zu wissen; eine Tat, in der sich gerade die Verweigerung von Solidarität manifestiert und – als lebensverneinende Ausgrenzung auf Dauer gestellt – auf Seiten des Opfers Angst und Misstrauen auslösen müsste. Und doch geschieht nicht selten Vergebung – ohne dass der Vergebende vorher vom anderen oder überhaupt irgendwelche Solidarität oder Vertrauen erfahren hat oder zukünftig erwarten könnte.

In solcher Vergebung erfährt der Täter gerade durch die Vergebungsbereitschaft dessen, an dem er zum Sünder geworden ist, Gottes Gnade. Mehr noch: Ihre Eigenart und Größe gipfelt darin, dass sich ausgerechnet das Opfer als Vergebender solidarisch mit dem Täter als dem Sünder erweist. Denn das Opfer zeigt sich in seiner Schwäche als erstaunlich stark; es spielt durch seine Vergebung dem Täter Chancen des Neuanfangs zu und befreit ihn so von der Barriere, die jener in seiner ängstlich verbissenen Selbstsorge durch seine Ausgrenzungen errichtet hat.

Die unerschöpfliche Inklusion von Seiten Gottes nimmt in der unerfindlichen und vor allem ungeschuldeten Inklusionsbereitschaft von Seiten der Ausgegrenzten immer neu Gestalt an. Sie geht in einseitige ‚Vorleistung‘ und beginnt, die Barrieren zwischen Opfern und Tätern niederzureißen. Man könnte von der befreienden Kraft radikal innovatorischen Handelns sprechen, die in solcher Vergebungsbereitschaft offenbar wird und in der die Gnade Gottes unter Menschen (weiter-)lebt. So wird „Heil von Gott für Menschen“ (Edward Schillebeeckx), wird Erlösung gegenwärtig: „Dass Menschen sie darstellen dürfen, ohne sie erschöpfen zu müssen – das ist“ für Thomas Pröpper „das Wesen christlicher Freiheit und der Grund ihrer Hoffnung: die geschichtliche Realität der Erlösung.“ Dass die befreiende Kraft radikal innovatorischen Handelns keinesfalls nur ein Wunschdenken spiegelt, belegen vielfältige Alltagserfahrungen. Es gehört zu den befreienden Paradoxien, dass ausgerechnet von Opfern sozialer Ausgrenzungen, von Menschen mit Behinderungen also oder auch von Stigmatisierten, von Geflüchteten, von rassisch oder sexuell Diskriminierten oder auch von Frauen in oftmals subtil (weiter) wirkenden hierarchisch-abwertenden Geschlechterverhältnissen die ersten und darin auch entscheidenden Impulse für inklusive Prozesse in unserer Gesellschaft ausgehen; entscheidend deshalb, weil sie nicht zuerst auf die rächende Sühne oder wenigstens die ausgleichende Wiedergutmachung von denen bestehen, deren unrechtmäßige Ausgrenzung sie bislang getroffen und in ihren Lebensmöglichkeiten schwer beschädigt hat.

Damit kein Missverständnis entsteht: Weder stellt sich solche innovative Kraft von Seiten der Opfer sozialer Ausgrenzung selbstverständlich oder gar automatisch ein; noch kann sie von ihnen erwartet oder gar gefordert werden. Wir können sie maximal erhoffen und dankbar feststellen, dass es sie gibt und in Geschichte wie Gegenwart heilsam wirkt. (Ich habe diesen Gedanken verschiedentlich ausführlicher entfaltet, etwa in Lob-Hüdepohl, Andreas, Inklusion als theologisch-ethische Grundnorm – auch für die Armutsbekämpfung?, in: Eurich, Johannes u. a. (Hg.) Kirchen aktiv gegen Armut und Ausgrenzung. Theologische Grundlagen und praktische Ansätze für Diakonie und Gemeinde, Stuttgart 2011, 158-174).

Anderes muss dagegen als moralische Forderung verbürgt sein: etwa das Recht von Opfern auf solidarischen Schutz vor sozialer Exklusion. Zugegeben: Es mag ja sein, dass – wie Ottmar Fuchs anmerkt – „Solidarität […] eher auf eine Weise [gelingt], wie sie Freundschafts- und Liebesbeziehungen charakterisiert. Wenn diese einander zugetan sind und zueinander sagen: ‚Für dich bin ich da, ohne Wenn und Aber!‘, wenn sie also füreinander Verantwortung übernehmen, nicht weil es von außen gefordert wäre, sondern weil diese Verantwortung unmittelbar aus einer Beziehung heraus wächst, die als Geschenk, die als Gnade erlebt wird“. Aber ebenso gilt: Das Recht von Opfern auf Schutz vor sozialer Exklusion darf keinesfalls allein dem Zufall einer solchen – im besten Sinne des Wortes! – gutmütigen Solidarität überlassen sein. Beistandssolidarität ist in Fällen schwerer Missachtung von Zugehörigkeitsrechten aus theologisch guten Gründen eine moralische Pflicht und darin Forderung. Es ist richtig: Ihr nachzukommen oder aber sich ihrer zu verweigern, das ändert nichts daran, selbst in der unerschöpflichen Liebe Gottes bedingungslos angenommen zu sein.

Ebenso richtig ist aber auch, dass die Antwort auf die rhetorische Frage Kains „Bin ich der Hüter meines Bruders?“ tatsächlich lauten müsste: „Ja, ich bin es wirklich“. Und ebenso richtig ist auch, dass die menschheitsgeschichtliche Etablierung von Moral und Recht etwa mit ihren diesbezüglichen Forderungen nach menschenrechtsbasierten Solidarverbindlichkeiten mindestens aus Gründen eines verlässlichen Opferschutzes Teil von Gottes guter Schöpfung sind – auch wenn wir wissen, dass mit moralischen Forderungen in Kirche und Gesellschaft Missbrauch getrieben wurde und nach wie vor getrieben werden kann.

Im Kontext von Inklusion auf Moral und ihren Forderungen zu verzichten hieße, die Opfer sozialer Exklusionen ein weiteres und vielleicht endgültiges Mal auf Abstand zu halten und auszugrenzen – nur weil man sich in seiner bürgerlichen Situiertheit aus den Beschädigungen billiger Schuldeinreden, die etwa von Seiten des kirchlichen Lehramtes tatsächlich immer wieder erfolg(t)en, nicht befreien muss, um selbst gut leben zu können.

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