Читать книгу: «3 MÄNNER UND EIN MORDKOMPLOTT», страница 5

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Der Tätowierer schürzte die Lippen, ließ das Thema jedoch fallen. »Was hat Sie dann zu mir geführt, wenn Sie Ihren Körper schon nicht von mir verschönern lassen wollen?«

»Ich brauche Ihre Hilfe.«

»Geht es wieder einmal um jemanden, der ermordet wurde?«

Schäringer nickte.

»Was ist passiert?«

»Das müssen Sie nicht wissen.«

»Sie haben recht, Herr Polizist. Ich muss es nicht wissen. Ich will es aber wissen! Wenn Sie meine Hilfe wollen, dann müssen Sie mir schon sagen, worum es geht.«

»Und was ist mit christlicher Nächstenliebe? Sie sind doch so ein überzeugter Christ. Ein Mensch wurde umgebracht, und Sie können unter Umständen dazu beitragen, dass der Mörder gefunden und für seine Tat zur Rechenschaft gezogen wird. Denken Sie nur an das fünfte Gebot: Du sollst nicht töten!«

»Mit christlicher Nächstenliebe hat das nicht das Geringste zu tun. Der Mann ist tot, und wenn er ein gottgefälliges Leben geführt hat, ist er jetzt bereits im Himmelreich. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn sein Mörder gefunden und bestraft wird.«

»Der Täter könnte aber erneut zuschlagen. Können Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren, Herr Grimm?«

Der Tätowierer seufzte, hob die Hände und ließ sie resignierend wieder fallen. »Na gut, Sie haben gewonnen. Wie kann ich Ihnen helfen?«

»Wir suchen jemanden, der eine besonders auffallende Tätowierung hat.« Schäringer beschrieb das Aussehen des Toyotafahrers.

»Ein Wikingerskelett, das eine riesige Axt schwingt, sagten Sie?«

»Ja. So haben es zumindest ein paar Augenzeugen beschrieben, die den Mann aus der Nähe sahen. Kennen Sie ihn?«

Grimm wandte den Blick ab und dachte nach. »Ich weiß nicht, ob ich Ihnen den Namen sagen kann.«

»Also ist er ein Kunde von Ihnen.«

Grimm nickte. »Eben. Was ist mit der Schweigepflicht.«

»Die gilt nicht für Tätowierer!«, sagte Schäringer entschieden.

»Dabei ist das Vertrauensverhältnis zwischen Tätowierer und Kunde beinahe ebenso groß wie zwischen Arzt und Patient.«

Schäringer schüttelte den Kopf. »Sagen Sie mir den Namen, Herr Grimm! Vielleicht hilft es Ihnen ja, an die Menschen zu denken, die ihm vielleicht noch zum Opfer fallen, um die richtige Entscheidung zu treffen.«

»Ich kenne den Mann, den Ihre Augenzeugen beschrieben haben. Der Skelettwikinger stammt von mir. Er war zwar jetzt schon länger nicht mehr hier, aber ich kann mir trotzdem nicht vorstellen, dass er jemanden umgebracht haben soll. Dafür ist er einfach nicht der Typ.«

»Was für ein Typ ist er dann?«

»Ein Junkie und Kleinkrimineller, der Diebstähle begeht, um sich Geld für Drogen zu beschaffen, und höchstens mal ein Auto klaut, wenn die Gelegenheit günstig und die Sicherheitsvorkehrungen nicht allzu hoch sind. Alles, was darüber hinausgeht, würde ihn schon überfordern, sowohl charakterlich als auch intellektuell.«

»Wenn er niemanden umgebracht hat und nur, sagen wir mal, ein Auto gestohlen hat, in dessen Kofferraum zufällig eine Leiche lag, dann finden wir das heraus. Wie heißt er?«

»Marcel Seefelder.«

»Adresse?«

Grimm schüttelte den mächtigen Kopf so heftig, dass die Rastazöpfe flogen.

»Sind Sie sicher? Vielleicht sehen Sie zur Sicherheit noch mal in Ihren Unterlagen nach.«

»Welche Unterlagen, Herr Polizist? Meine Kunden kommen, sagen mir, welches Tattoo sie von mir haben wollen, zahlen hinterher in bar und gehen wieder ihres Weges. Keine Adressen also.«

»Na gut. Trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe, Herr Grimm.«

»Immer wieder gern, Herr Polizist«, sagte der Hüne grollend. »Das nächste Mal bringen Sie aber wieder Ihren Kollegen mit. Ich habe genau das richtige Tattoo für ihn.«

»Er wusste, dass Sie das sagen würden.« Schäringer wandte sich ab und ging zur Tür. »Leben Sie wohl, Herr Grimm.«

»Sie auch, Herr Polizist. Und schönen Gruß an Ihren Kollegen.«

Die Türglocke bimmelte laut, als Schäringer das Studio verließ.

Kaum stand er vor dem Haus, rief er in der Zentrale an und bat darum, Marcel Seefelders Adresse herauszufinden, einen Streifenwagen dorthin zu schicken und den jungen Mann, sofern er zu Hause angetroffen wurde, zur Befragung in die Kriminalpolizeiinspektion zu bringen.

Als Schäringer in der Inspektion eintraf, ging er nicht sofort in sein Büro, sondern machte einen Abstecher zur Abteilung für Spurensicherung und -verwertung.

»Grüß dich, Christian.« Schäringer nahm auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch seines Freundes Platz. Die Tischplatte war voller Unterlagen und Beweisstücke, die in Pappkartons, Kunststoff- und Papiertüten verpackt waren und an denen Krautmann gerade arbeitete. Auch die Regale waren voll davon.

Krautmann hob den Kopf, sah Schäringer durch seine Brillengläser aus im wahrsten Sinne des Wortes großen Augen an und sagte: »Wenn du wegen der Leiche im Toyota gekommen bist, dann muss ich dir leider mitteilen, dass wir nichts Verwertbares gefunden haben. Es gab zwar noch ein paar Fingerabdrücke im Fahrzeuginneren, die der Täter bei seiner Putzaktion übersehen hat, aber die stammen alle vom Opfer.«

»Dann ist der Tote also tatsächlich Gerhard Biermann.«

»So sieht’s aus.«

Schäringer nickte. »Aber eigentlich komme ich ohnehin wegen der Fälle von gestern vorbei. Hast du dazu schon erste Untersuchungsergebnisse vorliegen?«

»Ja. Warte mal einen Moment.« Krautmann sah sich suchend auf seinem Schreibtisch um, schob erst auf der einen Seite ein paar Beweismitteltüten beiseite, dann auf der anderen einen Stapel Unterlagen, bevor er fand, wonach er gesucht hatte. Er nahm einen zusammengehefteten Stoß Papiere, blätterte durch die Seiten und nickte dann. »Das sind die vorläufigen Ergebnisse der Lackuntersuchungen durch das LKA.«

»Das ging aber schnell.«

»Da staunst du, was? Aber dafür sind die Ergebnisse auch nur vorläufig und mit Vorsicht zu genießen. Vor Gericht haben sie natürlich keinen Wert, aber für deine Ermittlungen reichen sie allemal. Das endgültige Gutachten gibt es vermutlich erst in einer Woche.«

»Und was haben die Kriminaltechniker vom LKA festgestellt?«

»Sie haben die Lackproben, die ich ihnen per Expressboten geschickt habe, mit den gesammelten Daten aus EUCAP verglichen.«

»EUCAP?« Schäringer runzelte die Stirn. »Was ist das denn?«

»EUCAP ist die Abkürzung für European Collection of Automotive Paint. Darin sind mehr als 25.000 Originallackproben 23 europäischer und japanischer Automobilkonzerne gesammelt. Um unsere Lackproben damit vergleichen zu können, wurden sie bei hoher Temperatur pyrolysiert, indem sie in einem Gaschromatografen in ihre Bestandteile zerlegt wurden, und anschließend im Massenspektrometer identifiziert. Der Vorteil dieser Methode gegenüber dem lichtmikroskopischen Verfahren besteht vor allem darin, dass auch eine kleine Probenmenge ausreichend ist und die Probe nicht zeitaufwändig vorbereitet werden muss, sondern direkt verwendet werden kann.«

Schäringer hob abwehrend die Hände und bewegte sie hin und her. »Kannst du mir nicht einfach die Ergebnisse mitteilen, Christian?«

Krautmann seufzte. »Tut mir leid, Franz. Manchmal kann ich mir einfach nicht vorstellen, dass andere solche Dinge nicht ebenso faszinierend finden wie ich. Du willst also die Kurzversion ohne all den technischen Schnickschnack?«

»Sei mir nicht böse, Christian, aber den ganzen technischen Kram verstehe ich ohnehin nicht.«

»Ist schon okay. Also, hör zu! Wie du weißt, wurden sowohl an der Leiche der alten Frau als auch am Kleinwagen der jungen Frau schwarze Lackspuren gefunden. Laut vorläufigem Ergebnis des kriminaltechnischen Instituts des Bayerischen Landeskriminalamts stimmen diese beiden Lackspuren überein und stammen mit hoher Wahrscheinlichkeit von einem carbonschwarzen BMW.«

Schäringer nickte, als Krautmann seine Vermutungen bestätigte. Denn seiner Meinung nach wäre es auch ein allzu großer Zufall gewesen, wenn bei drei Vorfällen an einem Tag, bei denen jedes Mal ein schwarzes Fahrzeug beteiligt gewesen war, drei unterschiedliche Autos eine Rolle gespielt hätten. »Der ausgebrannte Wagen von Christiane Kauffmann ist ein solches Auto. Was hast du noch für mich?«

»Im Frontbereich des BMW, der durch den Aufprall auf den Baumstamm natürlich erheblich demoliert wurde, auf der Motorhaube und auf der Windschutzscheibe wurden eingebrannte Blutspuren gefunden. Eine Analyse dieser Spuren ist zwar nicht mehr möglich, ich gehe aber trotzdem jede Wette ein, dass es das Blut der alten Frau ist.«

Schäringer nickte mit nachdenklicher Miene, sagte jedoch nichts.

»An der rechten Fahrzeugseite befanden sich weitere Unfallspuren«, fuhr Krautmann fort, »die definitiv nicht von der Kollision mit dem Baum stammen. Stattdessen konnten wir dort rote Lackspuren feststellen, die von einem Daihatsu Cuore stammen. Damit steht meiner Meinung nach fest, dass mit dem Auto von Christiane Kauffmann zuerst die alte Frau überfahren und dann der Kleinwagen von der Straße gedrängt wurde, bevor er gegen einen Baum fuhr.«

»Gute Arbeit!«

»Bedank dich beim LKA.«

»Weißt du auch, warum der Wagen in Brand geraten ist?«

»Ach ja, das hätte ich beinahe vergessen. Die Brandursachenermittlung hat ergeben, dass aufgrund des großflächigen Brandentstehungsbereichs und der Brandverlaufsspuren eigentlich nur Brandstiftung und damit keine natürliche Ursache, also beispielsweise durch den Aufprall, infrage kommt. Alle anderen Brandursachen konnten ausgeschlossen werden. Außerdem wurde Brandbeschleuniger festgestellt.«

»Also hat jemand Benzin im Fahrzeuginneren und auf dem Auto verteilt und angezündet.« Schäringer dachte an das zweite Fahrzeug, das sich ohne Licht entfernt hatte, als der 15-jährige Michael Bergmoser den brennenden BMW entdeckt hatte. Schade, dass der Junge nicht erkannt hatte, um was für ein Fahrzeug es sich gehandelt hatte.

Krautmann nickte. »Sieht ganz danach aus.«

Schäringer stand auf. »Vielen Dank, Christian. Du hast mir ein gutes Stück weitergeholfen.«

»Keine Ursache, Franz. Wann gehen wir eigentlich wieder mal einen trinken?«

»Sobald wir die aktuellen Todesfälle zu den Akten legen können. Vorher habe ich keine Zeit dafür. Du hast doch momentan auch jede Menge zu tun.«

»Erinnere mich bloß nicht daran! Ruf mich einfach an, wenn du Zeit hast.«

In ihrem gemeinsamen Büro hatte Baum Neuigkeiten für Schäringer. Er wartete jedoch geduldig, bis sein älterer Kollege sein Jackett ausgezogen und über den Stuhl gehängt und dann hinter seinem Schreibtisch Platz genommen hatte, bevor er loslegte.

Der Leichnam im Kofferraum war tatsächlich der des 38-jährigen Fahrzeughalters Gerhard Biermann aus Mannheim. Biermann war verheiratet und Vater von zwei Kindern gewesen. Baum hatte mit seiner Frau telefoniert und in Erfahrung gebracht, dass Biermann gestern Abend noch mit ihr und den Kindern gesprochen hatte. Mehr hatte der Kriminalbeamte von ihr allerdings nicht erfahren, da sie verständlicherweise nicht in der Lage gewesen war, das Telefonat fortzusetzen. Immerhin hatte sie Baum noch den Arbeitgeber ihres Mannes nennen können, einen Pharmakonzern, für den er als Pharmaberater tätig gewesen war. Auf der Internetseite der Firma hatte Baum dann ein Foto des Mannes gefunden und ausgedruckt. Er zeigte es Schäringer.

»Kein Zweifel. Das ist unsere Kofferraumleiche. Wusste Biermanns Frau eigentlich, von wo er sie gestern Abend angerufen hat?«

»Ja. Er sagte ihr, er sei im Gästehaus Moritz abgestiegen, und sie hat es sich notiert.«

»Gästehaus Moritz?« Schäringer runzelte die Stirn, als er nachdachte. »Wo hab ich den Namen in letzter Zeit schon mal gehört?«

»Die Oma, die gestern überfahren wurde, hieß Elisabeth Moritz«, half Baum ihm grinsend auf die Sprünge. Vermutlich war er stolz, dass er auch einmal punkten konnte, denn in den meisten Fällen war Schäringer Gedächtnis, was die Daten und Fakten der laufenden Fälle betraf, nahezu unfehlbar. Im Gegensatz zu Baum, der alles in sein Notizbuch schrieb, speicherte der Kriminalhauptkommissar sämtliche Details in seinem Kopf. »Langsam merkt man, dass du alt wirst, Franz.«

»Ach was! Das kommt nur davon, dass wir seit gestern mit neuen Todesfällen förmlich überhäuft wurden. Bei all den Namen kann einem der eine oder andere schon mal entfallen. Ich wäre schon noch von allein draufgekommen. Außerdem hatten wir gar keine Zeit, uns mit jedem Vorfall näher zu befassen, da hatten wir schon den nächsten auf dem Tisch. Aber du hast natürlich recht, was den Namen Moritz betrifft. Ich erinnere mich wieder, in der Akte gelesen zu haben, dass Elisabeth Moritz die Inhaberin des Gästehauses war. Merkwürdig, dass sie von einem Auto überfahren worden ist, kurz bevor einer ihrer Gäste ermordet wurde.«

»Siehst du etwa schon wieder Zusammenhänge zwischen Fällen, die nichts miteinander zu tun zu haben scheinen?« Baum seufzte.

»Momentan ist es nur so ein Gefühl. Aber wir sollten dem Gästehaus auf alle Fälle einen Besuch abstatten. Möglicherweise war der Tod der alten Frau alles andere als ein Unfall.«

»Wie kommst du darauf? Warst du etwa bei deinem Trinkkumpan von der Spusi?«

Schäringer nickte und erzählte seinem Kollegen, was Krautmann ihm mitgeteilt hatte.

»Aber einen unmittelbaren Zusammenhang zur Kofferraumleiche konnte niemand feststellen, oder?«

»Was die beiden Fälle miteinander verbindet, ist doch offensichtlich, Lutz: Es ist das Gästehaus Moritz. Weißt du zufällig, wer den Angehörigen gestern die Nachricht vom Tod der Frau überbracht hat?«

Baum schüttelte den Kopf. »Vermutlich eine Streifenwagenbesatzung. Ich kann ja mal dort anrufen und nachfragen, wer es war und wen sie dort angetroffen haben.«

»Ja, mach das doch bitte.«

»Währenddessen kannst du dir ja schon mal den vorläufigen Bericht von Dr. Tod, unserem allseits geliebten und verehrten Rechtsmediziner, durchblättern.« Baum deutete mit dem Zeigefinger auf die rechte Ecke von Schäringers aufgeräumten Schreibtisch.

»Ist die Untersuchung von Biermanns Leiche etwa schon abgeschlossen? Das ging ja selbst für Dr. Mangold erstaunlich schnell.«

»Nein, nicht von unserer Kofferraumleiche, sondern von der verkohlten Busunternehmerin im BMW. Dr. Tod ist zwar schnell, aber so schnell auch wieder nicht.« Der neue Spitzname schien Baum immer besser zu gefallen. Grinsend klemmte er den Telefonhörer zwischen Wange und Schulter, tippte eine mehrstellige Nummer ein und trank einen Schluck Automatenkaffee, ohne das Gesicht zu verziehen oder auch nur mit der Wimper zu zucken, während er wartete, dass am anderen Ende abgenommen wurde.

Schäringer nahm den vorläufigen Bericht über die Ergebnisse der Obduktion und blätterte ihn durch, während Baum sein Telefonat führte. Er hielt sich erst gar nicht mit dem vorderen Teil des Berichts auf, der in nüchterner Medizinersprache eine genaue Beschreibung des Leichnams und all seiner Organe enthielt, sondern fing sofort an, die Schlussfolgerungen des Rechtsmediziners – Dr. Tod!, konnte selbst er sich nicht verkneifen, ihn in Gedanken zu nennen – zu lesen, die die pathologisch-anatomische Diagnose und davon ausgehend die wahrscheinlichste Todesursache enthielt.

»Sieh mal einer an«, murmelte Schäringer, auch wenn er nicht wirklich überrascht war, als er las, dass Christiane Kauffmann nicht durch den Aufprall auf den Baumstamm getötet worden war, da ihr Körper keinerlei Verletzungen durch den Unfall davongetragen hatte. Außerdem waren weder in der Speise- und der Luftröhre noch in ihrer Lunge Rußpartikel gefunden und bei der chemisch-toxischen Untersuchung in ihrem Blut war kein Kohlenmonoxid festgestellt worden. Auch fehlten auf der Kehlkopfschleimhaut, in den Bronchien und in der Lunge typische Hinweise auf eine Hitzeeinwirkung. Dies ließ laut Gerichtsmediziner nur die Schlussfolgerung zu, dass die Frau nicht mehr geatmet hatte, als das Feuer ausbrach, sonst hätte sie unweigerlich heiße Luft, Monoxid und Ruß eingeatmet. Da der Leichnam darüber hinaus keine äußeren Verletzungen aufwies, die eine andere Todesursache möglich erscheinen ließen, und Dr. Mangold stattdessen eine akut geblähte Lunge, Blutungen unter der Kopfschwarte und in den Schläfenmuskeln und eine Ausweitung der rechten Herzkammer festgestellt hatte, ging er davon aus, dass die Unternehmerin aller Wahrscheinlichkeit nach durch Verschluss der Atemwege erstickt wurde. Dies konnte entweder durch einfaches Zuhalten von Mund und Nase oder durch eine weiche Bedeckung, beispielsweise ein Kissen, geschehen sein. Den Todeszeitpunkt bezifferte der Rechtsmediziner auf acht bis zwölf Stunden vor Ausbruch des Feuers.

Als Schäringer die Schlussfolgerungen gelesen hatte, beendete auch Baum sein Telefongespräch.

»Und? Was hast du herausgefunden, Lutz?«

»Ich sprach mit einem unserer uniformierten Kollegen, die die traurige Nachricht überbracht haben. Demnach war die alte Frau schon seit mehreren Jahren Witwe. Sie hat allerdings einen Sohn, Hannes ist sein Name, der ebenfalls im Gästehaus arbeitet.«

»Dann sollten wir uns mal mit ihm unterhalten.« Schäringer stand auf und zog sein Jackett an. »Schließlich wurde seine Mutter gestern von einem Auto überfahren, dessen Halterin zu diesem Zeitpunkt schon tot war. Und dann wurde auch noch ein Gast seines Hauses erstochen, dessen nackter Leichnam am nächsten Tag zufällig im Kofferraum des eigenen Wagens gefunden wurde. Mal sehen, was er zu alldem zu sagen hat.«

Das Gästehaus Moritz war ein großer gelb gestrichener, schmuckloser Bau mit drei Stockwerken in der Form eines L. Außerdem gab es noch einen kleineren, nachträglich errichteten Anbau, der allem Anschein nach eine Privatwohnung enthielt. Die Zufahrt führte am kurzen Querbalken des L vorbei zu einem gekiesten Innenhof, der als Gästeparkplatz diente.

Die junge Frau an der Rezeption sah auf, als die beiden Kriminalbeamten die Lobby betraten.

»Was kann ich für Sie tun, meine Herren?«

Sie trug ein elegantes, marineblaues Kostüm, bestehend aus Blazer und Hose, außerdem eine weiße Bluse und ein blaues Halstuch. Ihr langes hellblondes Haar war zu einem Pferdeschwanz gebunden. Sie hatte strahlend blaue Augen und ein sympathisches Lächeln, das echt und nicht einstudiert wirkte.

Schäringer stellte sich und seinen Kollegen vor und zeigte ihr seinen Dienstausweis. »Wir hätten gern mit Herrn Moritz gesprochen.«

Die Rezeptionistin, auf deren Namensschild nur der Name Nicole stand, wurde augenblicklich ernst. »Ich nehme an, es geht um die Chefin. Weil sie doch gestern …« Sie verstummte und schüttelte den Kopf, als wagte sie es nicht, die traurige Wahrheit laut auszusprechen.

»Ja«, sagte der Kriminalhauptkommissar nur. Interessant war allerdings, dass Elisabeth Moritz noch immer als Chefin bezeichnet wurde. Was war Hannes Moritz dann? Der Juniorchef? »Ist Herr Moritz im Haus?«

Nicole nickte. »Ja. Er ist im Büro der Chefin …« Sie verstummte. »Ich meine, jetzt ist es natürlich nicht mehr ihr Büro, sondern seins.«

»Können Sie uns zu ihm führen?«

»Natürlich. Folgen Sie mir bitte.« Sie kam hinter der Rezeption hervor und führte sie durch eine Tür, auf der Privat stand, in einen Flur, von dem mehrere geschlossene Türen abzweigten. »Das war das alte Büro von Herrn Moritz«, sagte Nicole und deutete im Vorbeigehen auf eine geschlossene Tür. Sie gingen bis zum Ende des Flurs und blieben vor der letzten Tür stehen. Die Rezeptionistin klopfte leise.

»Ja?«

Nicole öffnete die Tür, durch die ihnen der Geruch nach Zigarettenrauch entgegenwehte. »Entschuldigen Sie die Störung, Herr Moritz, aber hier sind zwei Herren von der Polizei, die Sie sprechen wollen.«

»Polizei?«

»Ja. Es geht um die … um Ihre Mutter.«

»Was soll das? Die Polizei war doch gestern schon da?«

»Ich weiß es nicht, Herr Moritz. Am besten sprechen Sie selbst mit den beiden Herren.«

»Na schön. Schicken Sie sie herein, Nicole!«

Nicole wandte sich um und trat gleichzeitig zur Seite. »Bitte«, sagte sie lächelnd und wies auf die offene Tür.

»Vielen Dank.« Schäringer trat, gefolgt von Baum, ein. Er hörte, wie die Tür hinter ihnen geschlossen wurde und sich Nicoles Schritte im Flur entfernten.

Hannes Moritz war aufgestanden, um den riesigen Schreibtisch herumgegangen und streckte Schäringer die rechte Hand entgegen. »Guten Tag, meine Herren. Ich bin Hannes Moritz, Eigentümer des Gästehauses Moritz. Nicole sagte, dass Sie mit mir über meine Mutter sprechen wollen. Worum geht es denn?«

Schäringer stellte sich ebenfalls vor und erwiderte den schlaffen, verschwitzten Händedruck des anderen Mannes, während er ihm mit der linken Hand seinen Dienstausweis zeigte, den dieser nur flüchtig zur Kenntnis nahm. Anschließend nannte er Baums Namen, der ebenfalls in den Genuss kam, Moritz’ feuchte Hand schütteln zu dürfen.

»Nehmen Sie bitte Platz.« Moritz kehrte hinter den Schreibtisch zurück, wo er sich in einen mit verschlissenem, schwarzem Leder bezogenen Stuhl sinken ließ, der unter der Belastung laut knarrte und ächzte.

Schäringer nahm Platz und wischte dabei die rechte Hand unauffällig an seiner Hose ab. Aus dem Augenwinkel sah er, dass Baum es ihm gleichtat.

»Schön.« Moritz saß hinter dem Schreibtisch, als hätte er einen Stock verschluckt und könnte sich deshalb nicht entspannen. Entgegen seiner Äußerung schien er es alles andere als schön zu finden, dass er Besuch von zwei zivilen Polizisten hatte. Er schwitzte stark, wodurch die glitzernden Schweißperlen auf seiner Stirn immer zahlreicher wurden. Er fragte noch einmal: »Worum geht’s denn?«

Schäringer ließ sich Zeit mit der Antwort und sah sich erst einmal im Büro um. Obwohl es sich um ein großes Eckzimmer mit drei Fenstern handelte, wirkte der Raum düster, was vor allem an den alten Möbeln aus dunklem Holz lag. An den Wänden standen Regale, in denen sich unzählige Aktenordner aneinanderreihten. Dazwischen hingen großformatige Bilder, die zeigten, wie das Gästehaus früher ausgesehen hatte. Der große Schreibtisch nahm einen beträchtlichen Teil des freien Raums ein. Auf einer Hälfte der Tischplatte lag ein unordentlicher Haufen Unterlagen und Papiere, als wäre alles schnell zur Seite geschoben worden, um Platz für den Computermonitor zu schaffen. Der Monitor, die Tastatur, die Maus, der dazugehörige Rechner, der neben dem Schreibtisch auf dem Teppichboden stand, und ein voller Aschenbecher waren die einzigen Gegenstände neueren Datums und wirkten an diesem Ort wie Anachronismen. Neben dem Zigarettenrauch roch es muffig, als wäre schon länger nicht mehr gelüftet worden, obwohl zwei der Fenster gekippt waren.

»Schönes Büro«, sagte Schäringer, obwohl er anderer Ansicht war.

Moritz sah sich um, als sähe er alles zum ersten Mal. Er seufzte. »Bis gestern war es noch das Büro meiner Mutter. Ich … ich glaube, ich muss es renovieren und neu einrichten lassen, bevor ich hier … arbeiten kann. Momentan habe ich ständig das Gefühl, meine Mutter steht hinter mir und schaut mir über die Schulter.« Er schüttelte sich, als würde er erschaudern.

Schäringer schätzte Moritz auf Mitte dreißig. Er war groß, mindestens eins fünfundachtzig, aber auch ziemlich übergewichtig, und hatte ein breites, schwammiges Gesicht mit hoher Stirn und ausgeprägten Geheimratsecken. Er war unrasiert und sah aus, als hätte er letzte Nacht nicht genug Schlaf bekommen. An den dicken Fingern der rechten Hand befanden sich hässliche gelbe Nikotinflecken. Das hellbraune Haar, das sich schon deutlich lichtete, war wie durch einen Axthieb exakt in der Mitte gescheitelt und glänzte fettig. Moritz trug einen schwarzen Anzug, ein weißes Hemd und eine schwarze Krawatte. Alle Kleidungsstücke sahen eine Nummer zu klein aus, als hätten sie eine ganze Weile vergessen im Kleiderschrank gehangen, während der Körper, für den sie einmal gekauft worden waren, allmählich seine Ausmaße verändert hatte. Der Kommissar glaubte sogar, trotz der anderen Gerüche unterschwellig einen Hauch von Mottenkugeln wahrzunehmen. Die Anzugjacke spannte vor allem an Schultern und Armen, die Hose an Bauch und Taille. Das Hemd stand zwischen den Knöpfen klaffend offen, als würden diese bei der nächsten unachtsamen Bewegung weggesprengt werden und wie Miniaturgeschosse durchs Zimmer fliegen.

»Ich möchte Ihnen zunächst unser Beileid zum Tod Ihrer Mutter aussprechen«, sagte Schäringer.

Baum schloss sich mit einem Nicken an. Er hatte sein Notizbuch gezückt, überließ die Gesprächsführung jedoch wie gewohnt seinem älteren Kollegen und wartete darauf, etwas notieren zu können.

»Danke.« Moritz wirkte noch immer sehr nervös. Er blinzelte, als ihm ein Schweißtropfen ins Auge lief, und wischte sich mit dem Ärmel des Jacketts den Schweiß von der Stirn. Dann steckte er den Zeigefinger hinter den Hemdkragen, um diesen ein bisschen zu lockern. Er holte mit hektischen Bewegungen eine Packung Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Innentasche seines Jacketts, zündete sich jedoch noch keine an, sondern legte beides vor sich auf den Tisch. »Ich verstehe allerdings nicht, was Sie von mir wollen, Herr …«

»Schäringer.«

»Gestern waren nämlich schon zwei Polizisten hier, um mich vom … vom überraschenden Ableben meiner Mutter zu unterrichten. Weswegen sind Sie jetzt hier?«

»Ich kann nur noch einmal wiederholen, dass es uns wirklich leidtut, Sie stören zu müssen, Herr Moritz. Sie haben im Moment bestimmt viel zu tun.« Schäringer deutete auf den ungeordneten Haufen auf einer Seite des Schreibtischs.

Moritz sah die Unterlagen an, als ginge von ihnen eine höchst ansteckende, tödliche Krankheit aus, und nickte dann heftig. »Sie haben recht. Ich habe tatsächlich sehr viel zu tun.« Er gab den Kampf gegen seine Nikotinsucht auf und zündete sich eine Zigarette an. Sobald er den ersten Zug inhaliert hatte, schien er sich sichtlich zu entspannen. »Ich muss jetzt natürlich auch den Aufgabenbereich meiner Mutter übernehmen und mich einarbeiten. Außerdem muss ich mich auch noch um die Beisetzung meiner Mutter kümmern.«

»Ich hörte, dass Ihre Mutter bis zu ihrem Tod das Gästehaus leitete. Was war Ihre Aufgabe hier?«

»Ich … ich war sozusagen ihr Assistent.«

Schäringer nickte.

»Aber sagen Sie, Herr …«

»Schäringer.«

»Sind Sie etwa hier, weil Sie den Dreckskerl gefunden haben, der meine Mutter auf dem Gewissen hat?«

»Wieso denken Sie, dass es ein Mann war?«

Moritz zuckte so heftig zusammen, dass die Asche von seiner Zigarette fiel und auf der Schreibtischplatte landete. Er wischte sie mit der bloßen Hand weg und zuckte dann mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Das war eigentlich nur so dahergeredet.« Dann fiel ihm anscheinend etwas ein, denn sein Gesicht hellte sich auf. »Aber ich denke, eine Frau hätte angehalten und wäre nicht einfach davongefahren.«

Schäringer nickte erneut, als könnte er das Argument nachvollziehen.

Moritz’ Hände zitterten. Er drückte die Zigarette aus und steckte sich sofort die nächste zwischen die Lippen.

»Wir haben den Wagen gefunden, mit dem Ihre Mutter angefahren wurde«, sagte Schäringer unvermittelt und beobachtete die Reaktion des anderen Mannes. Dabei achtete er besonders auf die Mimik, die nur für den Bruchteil einer Sekunde im Gesicht des anderen aufblitzte, sogenannte Mikroexpressionen oder Mikromimik, und leicht übersehen werden konnte, die einem erfahrenen Beobachter aber Aufschluss über die wahren Emotionen hinter der Fassade gaben, die Moritz ihnen zeigte.

Moritz hatte gerade die Zigarette in seinem Mund mit der Feuerzeugflamme anzünden wollen, erstarrte nun jedoch, und sah den Kommissar aus weit aufgerissenen und rasch blinzelnden Augen an.

»Der Wagen war neben einem Feldweg gegen einen Baum geprallt und in Flammen aufgegangen.« Schäringer verschwieg, dass das Fahrzeug nicht aufgrund des Unfalls Feuer gefangen hatte, sondern dass jemand mit Benzin, Streichhölzern oder einem Feuerzeug wie das, das Moritz gerade in der Hand hielt, nachgeholfen hatte, denn dabei handelte es sich um Täterwissen, das sie momentan lieber noch für sich behalten wollten. »Die Fahrerin saß hinter dem Steuer und war tot.«

Moritz nahm die Zigarette aus dem Mund und ließ die Flamme des Feuerzeugs erlöschen. »Die Fahrerin? Dann war es also eine Frau?«

Schäringer nickte. »Ihr Name war Christiane Kauffmann. Kennen Sie sie?«

Moritz überlegte und zog dabei die Augenbrauen so stark zusammen, dass zwischen ihnen eine tiefe Falte entstand. Er hob die Hand, in der er die unangezündete Zigarette hielt, und rieb über seine Nasenspitze, wobei er mit der Handfläche den Mund verdeckte. Seine Augen wanderten von ihm aus gesehen nach rechts, als könnte er dort die Antwort auf die Frage des Kriminalbeamten ablesen. Dann schüttelte er den Kopf. »Nein! Tut mir schrecklich leid, Herr Schäringer, aber diesen Namen habe ich noch nie gehört. War sie von hier?«

»Ja«, antwortete Schäringer, ohne Einzelheiten preiszugeben.

»Kauffmann?«, sagte Moritz gedehnt, als müsste er den Namen auf der Zunge zergehen lassen, um sich besser erinnern zu können. »Nein. Der Name sagt mir trotzdem nichts.« Er schien sich plötzlich wieder an die Zigarette in seiner Hand zu erinnern, denn er steckte sie in den Mund, entzündete sie und legte das Feuerzeug dann auf die Schachtel. Dabei vermied er es, Schäringer anzusehen.

»Dann vielleicht Lisa Bernert?«

Moritz hatte noch immer den Kopf gesenkt und spielte mit dem Feuerzeug, indem er es wie einen Kreisel auf der Zigarettenschachtel drehen ließ. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Wer ist das?«

»Eine Frau, die gestern ebenfalls verunglückte.«

Moritz strich mit der Zigarettenspitze über den Rand des Aschenbechers, um die Asche abzustreifen, und schien zu gefangen von dieser Tätigkeit, als dass er etwas darauf hätte erwidern können. Dann hob er jedoch den Blick, sah Schäringer blinzelnd an und sagte: »Ach ja. Ich glaube, ich habe heute Morgen in der Zeitung davon gelesen. Eine junge Frau, noch dazu schwanger, deren Wagen sich in einem Acker überschlug. Eine furchtbare Tragödie. Aber was hat das mit dieser Frau Kauffmann und dem Tod meiner Mutter zu tun?«

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