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Ein Orbis im 21. Jahrhundert

Ob die Phantasie von Kindern vom Dreißigjährigen Krieg oder von der Gewalt im Fernsehen belagert wird, ist vielleicht kein prinzipieller Unterschied. Und ob ein Kind nach Pest und Krieg ohne Vater aufwächst oder nach einer Scheidung, auch kein wesentlicher. Die Erschütterungen des Wissens – durch das kopernikanische Weltbild oder durch beschleunigten technologischen Wandel –, auch das rückt Comenius nahe über die Jahrhunderte.

Anders als im comenianischen Kanon wird man allerdings heute versuchen, die Kinder als Handelnde zu denken, die Realien auch als Sozialien vorzustellen. Das Auto transportiert nicht nur Menschen und Gegenstände, es ist auch ein umstrittenes Fortbewegungsmittel. Die Realien werden auch als Emotionalien behandelt: ein Sessel ist nicht nur ein Möbelstück, es kann das Lieblingsmöbel des Vaters sein, geerbt von der Urgroßmutter. Und Wissen gilt, anders als im Verständnis von Comenius, nicht als endgültig. Es ist immer revidierbar.

Darüber, über die Jahrhunderte hinweg, mit Comenius in ein Gespräch zu kommen, wäre schön. Denn heute wird ein Kanon nicht von einem Autor allein entworfen werden, und sei er noch so gebildet und großherzig. Sondern im Gespräch, als Kombination von Elementen aus Lebenserfahrung, Fachwissen, Berufserfahrungen. Ein Kanon wird offen sein, mehr Spirale als geschlossener Kreis, in seinem Gestus wird der Vorbehalt der Älteren erkennbar sein, die erfahren haben, dass die Gegenwart von heute nicht ihre Zukunft von gestern ist. Ein Kanon wird sich verstehen als Angebot, als Möglichkeit. Die Weltkarte des Wissens wird weiße Flecken zeigen, das eigene Nicht-Wissen thematisieren, offene Fragen enthalten, die weitere Fragen auslösen.

Das Unabgeschlossene eines Bildungskanons heute, die Spiralbewegung bei der Umkreisung des kindlichen Bildungshorizonts, das Weltwissen-Projekt als ein offenes Projekt konnte gegen Ende unserer Recherche von den Gesprächspartnern bereits leichter akzeptiert werden als drei Jahre zuvor. Der Charakter der Vorläufigkeit, der Zwang zur Neuschöpfung der Welt, in immer wieder neuen Versionen, wurde in dieser Zeit ja auch sonst ständig erfahren.

Vielleicht wird man demnächst in weniger schwerfälliger Form solche Bildungswelten erfinden. Das lineare Aneinanderreihen: »ein Siebenjähriger sollte…«, »…und sollte außerdem auch noch« (Soll-Pädagogik nannte es eine Gesprächspartnerin) ging uns in vielen Gesprächen gegen den Strich. Vielleicht werden wir in einigen Jahren geschickter im Umgang mit Bildern sein; vielleicht werden wir Bilder montieren und mit diskontinuierlicheren Darstellungsformen dem vielschichtigen Charakter des Weltwissens, das ein Kind in den ersten Lebensjahren ausbildet, gerechter werden.

Aber die tapfere Melancholie, die gebildete Einfalt von Comenius sollte auch heute die Grundhaltung eines Kanon sein. Das Bedürfnis von Comenius und das seiner Leser bleibt über die Generationen aktuell: dem Kind die Welt in eine Form zu übersetzen, sie ihm vorzustellen in einer Vielfalt, die es seine eigenen Möglichkeiten entdecken lässt, und die ihm Mut und Neugier macht. Weiterblättern im Buch. Einige Seiten überspringen, einige Seiten zurückblättern. Das Buch aus der Hand legen, die Augen und die Hände sprechen lassen. Allen alles, auf alle erdenkliche Weise!

Das Wissen des Weltwissens

Kinder sind nicht belehrbar. Sie können nur selbst lernen, hieß es anfangs.

Wird die Haltung unseres Weltwissen-Panoramas dieser Einsicht gerecht? Oder ist sie invasiv? Wird das Kind von den Erwachsenen bedrängt mit pädagogischem Überangebot, einem Überfluss von »Welten«? Muss man überhaupt die Welt noch einmal verdichten, immer noch eins draufsetzen, als wäre sie nicht ohnehin intensiv genug?

Die mittelalterlichen Madonnenmaler wussten es: Der Jesusknabe ist in heiterer Laune und lässt sich freudig füttern, wenn er seinen eigenen Löffel in der Hand hält.

Verfolgen wir das Kind mit dem Löffel? Wenn es den Kopf abwendet: taucht da um die Ecke seines neuen Blickausschnitts schon wieder ein Breilöffel auf?

Wenn wir vom »eigenaktiven« Kind sprechen, welches Bild von Aktivität liegt dem zugrunde?

Die psychosoziale Entwicklung des Kindes wurde vor allem in der Psychoanalyse lange Zeit in Kategorien des Dramas beschrieben: Spannungen, Kämpfe, brodelnde Affekte, heftige Konflikte. Heute beginnt man sich in der Entwicklungspsychologie stärker für die »niedrigen Spannungszustände« zu interessieren, für die »Zwischenräume«. In den Phasen von low-tension – das Baby ist gefüttert und gewickelt, die markanten Empfindungen wie Hunger und Sättigung treten zurück –, da geschieht, von außen betrachtet auf undramatische Weise, entscheidendes Lernen, Individualisierung. Was wir »Zwischenraum« nennen, ist möglicherweise eine vorzügliche Lernzeit, Individualisierungszeit: »Nichts zu suchen war mein Sinn«.

Die Erwachsenen müssen sich auch üben in ihrem Nicht-Verstehen. Die Aktivität des Kindes grundsätzlich erkennen und verstehen zu wollen, diese Absicht allein kann invasiv sein. Die Gegenwehr von Kindern gegen die dominante Anteilnahme der Erwachsenen heißt heute, Mitte 2000, Pokémon und ist ein Millionengeschäft. Hier sind Kinder mit ihrem für sie konstruierten Weltwissen unter sich. Interessant ist, wie fasziniert manche Erwachsene heute davon sind, diese Welt der Siebenjährigen nicht verstehen zu können.

Die Welt des sogenannten Billigspielzeugs war immer schon eine andere, subversive. Was man ohne großen Lustaufschub in den Mund schob, was unter der Hand zerbrach, was ästhetischen Ansprüchen an gutes Material nicht genügte, was sie sich selbst kaufen konnten, das mochten die Kinder gern. Das sogenannte Schundspielzeug, gewissermaßen die Unterschicht allen Spielzeugs, war den Kindern immer näher als alles didaktische Material oder auch als das ästhetisch anspruchsvolle »gute Spielzeug«. Das Billigspielzeug wurde von Erwachsenen eher ignoriert, oder in der Schule als Schundspielzeug diskriminiert zur Unter-der-Bank-Beschäftigung, wie anderes Beliebtes auch. (In vielen Schulen musste es vor dem Unterricht abgegeben werden und landete bis zum Unterrichtsende in einem Karton.) Zum ersten Mal beschäftigt nun das für die Erwachsenen nicht zugängliche Geheimwissen der Siebenjährigen die Kommentatoren der Feuilletons. Die Erwachsenen sind fasziniert von dieser Kinder-Expertise in der komplizierten Welt der Pokémons.

Was ist das Wissen des Weltwissens?

Es ist mehr als Fakten, und mehr als Informationen. Wissen, das sind ebenso Erinnerungsspuren des Kindes, Routinen, Zweifel, offene Fragen, intelligentes Raten. Auch entscheiden zu können: das interessiert mich jetzt nicht. Wissen heißt nicht, über etwas viel reden, sondern etwas tun können.

Wenn Kinder, diese hochtourigen Lerner, in den Kindergarten kommen, wissen sie bereits, dass Bäume nicht im Wohnzimmer wachsen, dass Kinder nie älter sein können als ihre Eltern, dass die Kasse am Ausgang vom Supermarkt steht, dass die Mutter, wenn sie am Telefon laut schreit, mit der Urgroßmutter telefoniert, dass es Schuhe für den linken und rechten Fuß gibt. Im Kindergartenalter wissen sie, dass das kleinere Kind auf der Wippe weiter nach hinten rutschen muss, dass manche Kinder zu ihrer Mutter Ane sagen, was ein anderes Wort für »Mutter« ist. Spaghetti, wenn man sie zu lang kocht, schmecken matschig. Manche Erwachsene schließen die Augen beim Musikhören. Der Freund hat den Turm nicht aus Versehen, sondern mit Absicht zum Einsturz gebracht.

In der Liste, in beiden Listen, geht einiges durcheinander: was die meisten Kinder nach sieben Lebensjahren schon wissen, beiläufig gelernt haben, was man voraussetzen kann und was ihnen zu wünschen wäre. Ziel und Ergebnis, Fähigkeiten und die Anlässe, bei denen sie sich voraussichtlich bilden könnten – formelles und informelles Lernen vermischt zu sehen, ist für systematische Pädagogen schwer auszuhalten. Aber Bildungserfahrungen sind nicht an bestimmte Orte und Zeiten gebunden. Vor allem nicht in der Kindheit. Das macht das Lernen in der Schule manchmal so unerträglich. Eine Achtjährige:

»Wir haben über Brot geredet. Langweilig.«

»Wieso? Das kann doch interessant sein: Brot?«

»Das war schon interessant. Aber das Reden darüber war total langweilig.«

»Das haben wir durchgesprochen«, erklärte eine Grundschullehrerin nach dreißig Jahren Unterrichtspraxis zu fast jedem Punkt auf der Weltwissen-Liste. Und zur nächsten Anregung: »Das haben wir auch durchgesprochen«.

Wissen ist mehr als Speicherung von Information, ist nicht der Kurzschluss zwischen Internet und Gehirn. Information ist nicht nur etwas anderes als Wissen, es ist in gewisser Weise das Gegenteil. Information ist alles, was die Welt unserer Wahrnehmung aufzwingt. Wie wird aus solchem »trägen Wissen« (Weinert) »intelligentes Wissen«?

Wissen entsteht nur in einem ganzkörperlichen Austausch mit der Welt. Mit ihrem ganzen Körper müssen die Kinder auf die Wissensanlässe zugehen. Ausgerechnet eine Wissenschaftsdisziplin betont das heute, von der man sich die Überwindung solch weichen Denkens erwartet hätte: die Hirnforschung. Wenn die Hirnforschung heute sagt: the mind is not in the head, stützt sie diese Hypothese auf neurophysiologische Untersuchungen, bei Unfallpatienten z.B., bei denen nach Unfällen an Gliedmaßen Veränderungen im Gehirn beobachtet werden.

»Erkläre mir, und ich vergesse. Zeige mir, und ich erinnere. Lass es mich tun und ich verstehe.« Diese konfuzianische Maxime wird bestätigt durch neuere Ergebnisse der Hirnforschung. Synapsen bilden sich im Gehirn des Kleinkinds vor allem dann, wenn es »selbstwirksam« ist, »selbstbildend«, aktiv beteiligt. Das Kind muss die Welt nicht als etwas Vorgefundenes erfahren, es muss sie neu erfinden.

Die Jahre vor der Schule sind eine ideale Zeit für die Aneignung solchen Weltwissens. Die Evolution hat dafür gesorgt, dass das Menschenkind viel Zeit braucht für die Ausbildung seiner Weitläufigkeit. Und sie hat es gut eingerichtet, dass das Kind für die Erwachsenen unbequem ist in seiner Unfertigkeit. Im eigenen Interesse strengen wir uns als Erwachsene an, das Entwicklungspotenzial im Kind zu heben: damit das Leben auch für uns wieder einfacher wird. Im Idealfall helfen Kinder und Erwachsene, sich aus gegenseitiger Abhängigkeit zu befreien. Der Neuankömmling verfügt über gute Strategien, sich Stoff für seine Entwicklung heranzuholen – auch unter grob kinderfeindlichen Bedingungen gelingt das immer wieder, wie die resilience-Forschung, die Forschung über die erstaunliche »Unverwundbarkeit« vieler Kinder in bedrückten Verhältnissen, gezeigt hat.

Für die frühen Jahre ist der Kindergarten ein ideales Bildungsmilieu: Hier werden Kinder aller Schichten unter einem Dach versammelt, hier werden noch keine Noten vergeben. Es gibt an den langen Tagen immer wieder pädagogisch unstrukturierte Zeiten, für Irrtümer, für Wiederholungen. Und man kann noch anders sein, ohne Nachteil. (Die Kategorie »Ausländerkind« macht für Kinder in diesem Alter noch keinen Sinn.) Im Kindergarten kann wie von selbst in »Projekten« gelernt werden. Chemie, Mathematik, Physik in der Küche: das Hebelgesetz beim Nüsseknacken, elementare Mengenlehre beim Salzen. Kunst und Mathematik sind noch nicht auseinanderdefinierte Schulfächer.

Die Zukunft lernt im Kindergarten.

II
Je mehr man von der Welt weiß, umso interessanter wird sie
Gespräche mit Fachleuten aller Art


Während der drei Jahre der Weltwissen-Recherche wurden über hundertfünfzig Gespräche geführt: in Ateliers, in Bahn und Flugzeug, in Seminarräumen und Redaktionen, in Kindergärten, auf Parkbänken, in Küchen und Kinderzimmern. Gesammelt wurden die Aussagen von Einzelpersonen und von Gruppen, wie Vätergruppen, dem Redaktionsteam des Schweizerischen Kinderradios, Workshops mit Erzieherinnen. Diese Gespräche dauerten von einer halben Stunde – beim Erzbischof Johannes Dyba – bis zu einer ganzen Nacht – dem Gespräch mit der zweiundachtzigjährigen jüdischen Dichterin Lia Frank, nachdem wir mitternächtlich auf ihrem Sofa einschliefen, um im Morgengrauen den Faden wieder aufzunehmen.

Die meisten Interviews habe ich selbst geführt, etwa ein Fünftel hat ein Redaktionskreis von Bildungsjournalistinnen und Pädagogen beigesteuert. Da wir keine standardisierten Fragebögen einsetzten, gingen in die Gespräche die je eigenen Sichtweisen auf das Thema ein. Die meisten Mitarbeiter waren in den 50er Jahren aufgewachsen, sie hatten sich beruflich viele Jahre mit pädagogischen oder kindheitssoziologischen Themen beschäftigt, sie beteiligten sich mit eigenen Veröffentlichungen oder als Dozenten an der »neuen Bildungsdiskussion«. Natürlich haben auch die Erinnerungen an das Aufwachsen eigener Kinder in den Jahren nach 1968 ihre Fragen und Kommentare beeinflusst.

Weitere Interviews zum Weltwissen haben Pädagogikstudenten in Seminaren von Universitäten in Deutschland, Österreich und der Schweiz beigesteuert. Sie suchten ihre Interviewpartner meist in ihren Familien (Geschwister, Großmütter, der eigene Sohn), oder sie befragten ihre Freunde. Die Fragen dieser Gruppe von Interviewern spiegeln Kindheitserfahrungen der 80er Jahre. Aus Fragen und Kommentaren der Studenten spricht oft Ungeduld mit der »Freizeitpädagogik«, die die »Generation Golf«1 im leistungskritischen Klima der 80er Jahre erlebt hatte. Viele meinten, sich heute daran zu erinnern, wie sie in alternativen Erziehungsmilieus in ihren Erwartungen gebremst und unterfordert wurden oder im nach 1968 bildungsreformierten westdeutschen Kindergarten. Diese Studenten hatten weniger Bedenken gegenüber einer »Verschulung« und »Verplanung« von Kindheit als die ältere Generation im Redaktionskreis der Weltwissen-Recherche. Ihren eigenen Kindern wollten diese Studenten später anspruchsvollere Entwicklungsaufgaben zumuten.

Die Interviews der Studenten wurden in vielen Sprachen geführt – italienisch, japanisch, koreanisch, englisch, französisch, türkisch, russisch, tschechisch, kroatisch, ungarisch. Dabei gab es aufschlussreiche Übersetzungsprobleme. Die japanische Studentin fand es schwierig, die gesamte Grundhaltung des Projekts zu vermitteln: Wie kann man fragen, welche Bildungserlebnisse Erwachsene den Kindern schulden, anstatt danach zu fragen, was Kinder können und wissen? Aber nach der ersten Irritation ließen sich ihre japanischen Gesprächspartner gern auf diese neue Sichtweise ein. Die amerikanischen Gesprächspartner fanden den Tenor der Weltwissenliste zu kühl, zu distanziert. Wollte man in den USA eine größere Recherche zum Thema starten, müsste man einen gefühlvolleren Einstieg finden. Die russischsprachigen Gesprächspartner – emigrierte jüdische Familien aus der ehemaligen Sowjetunion – fanden die Liste im Ganzen sogar nicht anspruchsvoll genug. Die Notwendigkeit eines verbindlichen Bildungskanons für die frühen Jahre war für sie selbstverständlich. Mindestens »ein Gedicht von Puschkin« sollten Kinder in der Vorschulzeit allerdings gelernt haben, nicht einfach nur »ein Gedicht«.

Die Ergebnisse aller Gespräche quer durch das soziale Spektrum sind eingegangen in die zweite Liste zum Weltwissen.

Die Ergebnisse sind aber auch eingeflossen in die Arbeit der Interviewer selbst. Einige Mitarbeiter des Redaktionskreises haben Interviewabschriften im Unterricht mit verteilten Rollen szenisch gelesen, wobei die Atmosphäre der Weltwissen-Gespräche in einer Familie oder in einer Vätergruppe wieder entstand. Manche Studenten reflektierten in Interviews mit ihren Eltern über ihre eigene frühe Bildungsgeschichte. Und wenn Studenten mit ihren Lebenspartnern sprachen, ging es dabei nie nur allgemein um Pädagogik der frühen Kindheit, sondern auch um ihre Zukunft: wie würden sie es mit eigenen Kindern halten?

Die folgenden Auszüge aus den Gesprächen fassen, zu sechs Themen gebündelt, die wesentlichen Ideen der Befragten zusammen: Wie werden die Grundhaltungen des Lernens und Wissens aufgebaut? Was ist ein anregendes Bildungsmilieu für Kinder in frühen Jahren? Welche neuen Bilder vom Kind müssen entstehen, und wie werden sich dabei die Selbstbilder der Eltern und Erzieher verändern? Die Statements aller Fachleute werfen Schlaglichter auf die Themen und das Reflexionsniveau, mit dem heute über Bildungsqualität in der Vorschulzeit nachgedacht wird. Farbe erhalten diese Lichter durch die Lebenserfahrungen der Interviewten, der Wissenschaftler, Unternehmer, Emigrantinnen und Eltern.

Das erste Kapitel nimmt die Frage nach der Notwendigkeit eines Bildungskanons für die frühen Jahre noch einmal auf. Ein Bildungskanon für die frühen Jahre existiert in jedem Fall, unabhängig von den expliziten Absichten der Eltern und Erzieher, sagen die Entwicklungspsychologen Franz Weinert und Rolf Oerter, und sie begründen mit einigen Beispielen, welche Richtungen, welche Inhalte in einem solchen Kanon heute vertreten sein sollten. Auch der Bildungssoziologe Heimfrid Wolff, der die Delphi-Studie des Bildungsministeriums zur Zukunft des Wissens und des Bildungswesens (1996–1998) ausgewertet hat, betont die Notwendigkeit eines Kanons in frühen Jahren: Die Wissensgesellschaft bedarf einer Verständigungsbasis der gemeinsamen Erfahrungen in früher Kindheit. Welche Haltungen für eine immer wieder neue Orientierung in einer prekären Berufsweit bereits in der Kindheit angelegt werden müssen, überlegen im folgenden Kapitel ein Sozialpädagoge, der im Auftrag von Schweizer Unternehmen »outplacement-Beratung« durchführt, eine pensionierte Kindergartenleiterin, in deren Kindergarten es schon seit langem ein Kinderparlament gibt, und ein Medizinsoziologe, der international vergleichend über Lebenserwartung forscht. Wie der »Ruck« von einer wissensfreien Kindheit zu einem interessanteren und abenteuerlicheren Bildungsmilieu aussehen könnte, beschreiben im nächsten Kapitel ein berühmter Erfinder, ein Spezialist für Sachkunde in frühen Jahren, eine Chemikerin, die Leiterin einer Kinder-Akademie und ein Organisator von Computerkursen für Kinder. Die Bildungswelt von Kindern anreichern, heißt aber nicht nur, ihnen neue Inhalte und zusätzliche Anregungen zuzuführen. Was erfährt man über ihre Gedanken, inneren Stimmen und Bilder? Dazu kommen drei Religionspädagogen mit ihren unterschiedlichen Positionen zur Sprache: ein Erzbischof, ein Entwicklungspsychologe und der Pfarrer einer Großstadtgemeinde.

Das Weltwissen, das viele Kinder in den deutschen Kindergarten mitbringen, stammt aus Familien, die aus allen Gegenden der Welt nach Deutschland eingewandert sind. Über ihre Erwartungen und ihre Ansichten zur Erziehung in frühen Jahren wurden diese Eltern selten befragt. Hier hören wir zwei Stimmen, die leise einer türkischen Analphabetin, und die ungeduldige eines aufstiegsorientierten indischen Kioskverkäufers.

Haben wir auch Kinder befragt? Das wollten viele wissen, wenn sie von der Weltwissen-Recherche hörten. Zum Schluss stellen wir zwei Siebenjährige in einem Umfeld vor, das uns für ihr Aufwachsen so optimal erschien, wie man sich das nur wünschen kann. Und doch haben wir vier Jahre später erfahren, dass die Schule das vorschulische Weltwissen dieser Kinder wenig anerkannt und es nicht in einer Weise weiterentwickelt hat, dass Fredi und Sabrina nach den Maßstäben der Schule erfolgreiche Schüler wurden.

In den im folgenden Kapitel montierten Texten haben wir von den vielen Fachleuten, die uns ihre Ideen und Erfahrungen mitgeteilt haben, einige länger zu Wort kommen lassen, als das in der empirischen Sozialforschung sonst üblich ist. Anders als beispielsweise in der großen Experten-Befragung der Delphi-Studie, in der die Experten nur ein Kreuz auf einer Skala von eins bis fünf zu einer vorformulierten Frage anbringen konnten, soll man sich hier einhören können in ihre besondere Diktion, in ihren professionellen oder persönlichen Ton. Es schließt sich ein Kapitel mit fünfzehn »Bildungsminiaturen« an, meinen ausdrücklich eigenen Wünschen an Bildungsgelegenheiten in den ersten sieben Lebensjahren.

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