Читать книгу: «Rettungskreuzer Ikarus 11 - 20: Verschollen im Nexoversum (und 9 weitere Romane)», страница 4

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»Schick ein Wartungsteam in den Schacht zu Tempelraum vier«, ordnete Asiano an. »Man soll versuchen, auch die Monitore mit Energie zu versorgen.«

»Ihr wollt eine Übertragung senden?«, fragte Saladin verdutzt. Es war schön und gut, dass sich der Erlöser um seine Schäfchen sorgte, doch es handelte sich immerhin nur um Suchende.

»Vielleicht«, antwortete Asiano, betrat das Bad und ließ seinen Superior sprachlos im Wohnraum stehen.


Als Erstes nahm Nova das kantige Gesicht Renos wahr. Sein Blick schien besorgt, doch als ihre Lider flatterten, entspannte er sich. Die junge Suchende richtete sich halb auf. Reno stützte sie und half ihr auf die Beine. Ein wenig wackelig lehnte sie sich gegen eine Säule. Im Moment erschütterte sie nicht einmal die Tatsache, dass es sich dabei um einen Ausläufer des Schreins handelte. Unsicher tastete ihr Blick umher und gewahrte die anderen Suchenden, die mittlerweile wieder ihre Gebetspositionen eingenommen hatten.

Nova atmete tief durch und wollte ebenfalls zu ihrem Platz hinübergehen, als sich Renos Hand auf ihren Arm legte und sie zurückhielt. Der Mann deutete mit seinem Kinn auf die Gestalt, die in ihrer Nähe auf dem Boden lag.

»Wie geht es ihm?«, fragte Nova beunruhigt. Sie sah, dass die Blutung keineswegs gestoppt worden war. Ein dunkler Fleck hatte sich auf dem Stofffetzen gebildet, den sie ihm um den Kopf gewickelt hatten.

»Er muss schnellstens in die Medostation«, sagte Reno. »Wir können ihn aber nicht mitnehmen.«

Nova schleppte sich zum bewusstlosen Akolythen Prospero hinüber und hockte sich neben ihn. Sie fühlte seinen schwachen Puls. Reno hatte nicht übertrieben. Wenn sie nichts unternahmen, starb er innerhalb der nächsten einen oder zwei Stunden. Falls sie bis dahin nicht alle durch Sauerstoffmangel umgekommen waren. Nova merkte, dass die Luft viel stickiger geworden war als vor ihrer Ohnmacht. Die anderen Suchenden atmeten schwer beim stummen Gebet. Ihre Leiber schwitzten. Nicht mehr lange, bis die ersten von ihnen zusammenbrechen würden.

Da erst wurde Nova sich der Worte Renos bewusst. »Was meinst du damit, wir können ihn nicht mitnehmen?«, fragte sie nach.

Reno legte den Kopf schief. »Während du bewusstlos warst, habe ich einen Weg hinaus gefunden.«

Fliehen!

Dem Schicksal entrinnen. Das widersprach allem, was sie der Erlöser gelehrt hatte. Wie konnte Reno auch nur einen Gedanken daran verschwenden?

»Was ist?«, fragte er, als er ihren entsetzten Gesichtsausdruck gewahrte. »Ist dir dein Leben gleichgültig? Willst du es wegwerfen, nur weil dir jemand sagt, du müsstest dich deinem Schicksal stellen?«

Nova fuhr auf. »Das ist Blasphemie!«

Ihre Stimme hallte ungewöhnlich laut von den Wänden wider. Sie sah sich um, doch die anderen Suchenden waren weiter in ihre Gebete vertieft, hatten sich aus dem Hier und Jetzt ausgeklammert.

»Und wenn schon«, sagte Reno, kam auf Nova zu und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Schau mich an. Los!«

Die Schärfe im Klang seiner Worte ließ sie aufblicken und ihm direkt in die Augen sehen. Sie erkannte den Ernst seiner Absicht. Er würde nicht von seinem Vorhaben weichen, war fest entschlossen, dem Schicksal zu entfliehen.

»Nun sag mir, dass du sterben willst«, forderte Reno sie auf.

Eine Weile starrte sie ihn einfach nur an. Dann irrte ihr Blick zwischen den Betenden und dem erloschenen Hologramm des Erlösers hin und her. Nein, sie wollte nicht sterben!

Und wenn es deine Bestimmung ist?, hörte sie die Stimme des Superiors in ihren Gedanken. Oft genug hatte man den Suchenden in den unermüdlichen Stunden des Gebets und der Meditation die Ziele ihres Seins eingetrichtert. Vielleicht hätte sie ihr Schicksal akzeptiert und wäre in die Reihen der anderen zurückgekehrt, um für Erleuchtung und Erlösung zu bitten.

Vielleicht …

Wenn Reno nicht gewesen wäre. Der Mann hatte sie aufgerüttelt, sie zum Nachdenken angeregt. Und sie fasste für sich den Entschluss, dass es noch nicht an der Zeit war zu sterben.

Nova atmete tief durch. »Was hast du vor?«

Reno lächelte, als sie sich einsichtig zeigte. Er nickte in Richtung Schrein und wollte Nova gerade seinen Plan darlegen, als das Hologramm des Erlösers aufflimmerte. Die Büste Asianos strahlte heller als zuvor und sie war nicht starr wie ein einfaches Abbild, sondern bewegte sich sogar. Ein leichtes Blinzeln verriet Nova, dass es offenbar eine Liveübertragung war.

»Suchende«, sprach Asiano.

Ein Raunen ging durch die Betenden. Sie lösten sich aus ihrer Versenkung und blickten zu ihrem Führer auf. Ihre Mienen wandelten sich vom verbissenen Ausdruck zu vor Hoffnung erhellten Gesichtern. Anscheinend waren ihre Gebete erhört worden. Der Erlöser hatte sie nicht verlassen. Er war immer noch bei ihnen. Seine Worte spendeten den notwendigen Trost und die Zuversicht, dass alles ein gutes Ende nehmen würde. So oder so.

Reno indes erstarrte jäh, als er Novas Mimik richtig deutete. Die Suchende mochte gerade noch von seinem Vorhaben überzeugt gewesen sein, doch nun aktivierte Asiano durch seinen bloßen Anblick das Programm der langjährigen Konditionierung, das seine Jünger fest auf ihn einschwor.

»Nova«, raunte Reno ihr zu.

»Still!«, herrschte sie ihn an und war nur noch Feuer und Flamme für das Hologramm Asianos.

Da wusste Reno, dass er sie verloren hatte.


Roderick Sentenza schaute grimmig in Sonjas Richtung. Der Chief hatte nach Priester Lemores Bericht und während des Flugs kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Und in ihrer gemeinsamen Ruheperiode war DiMersi in ihrer eigenen Kabine verschwunden. Sie nahm es ihm mehr als übel, dass er sie nicht über die KI-Modifikationen der Ikarus informiert hatte. Sentenza fragte sich, ob sie auch so reagiert hätte, wären sie nicht zusammen gewesen. Er kam zu dem Schluss, dass ihre Beziehung zueinander die Situation weder verbesserte noch verschlimmerte.

Die Brücke der Ikarus war voll besetzt. Nur Doktor Anande weilte in seinem Reich in der Krankenstation. Man hatte Priester Lemore An’tas Quartier zugewiesen. Er schien halbwegs genesen und bedurfte keiner direkten medizinischen Betreuung mehr. Seinen Schüler Yannick Kersseboom und den geborgenen Gundolf Johannsson behielt Anande noch in seiner Obhut.

Sentenzas Blick löste sich von Sonja. Sie sah ohnehin nicht zu ihm auf, sondern schien in ihre Instrumente vertieft zu sein. Der Hauptschirm verriet ihm, dass sie nur noch wenige Minuten von ihrem Ziel entfernt waren. Das Asteroidenfeld lag in unmittelbarer Nähe eines unabhängigen Systems, dessen Sonne in den Sternkarten als Albira verzeichnet war. Die Fluchtkapsel war demnach nicht sehr weit gekommen, wie auch aus dem Bericht Johannssons zu schließen war.

Schenkte Sentenza aber auch nur der Hälfte von Lemores Schilderungen Glauben, dann war es nicht verwunderlich, dass die Ikarus noch immer keinen Notruf empfing. Die Erleuchteten wollten keine Hilfe von außen. Eher würden sie sich mit Glanz und Gloria selbst in die Luft jagen und ihre Seelen erlösen.

Widerliche Vorstellung, dachte Roderick Sentenza.

»Nähern uns Albira II«, verkündete Trooid. »Unsere Ortungsgeräte erfassen einen Körper in einem großräumigen Orbit von fast 800 000 Kilometern.«

Wenn man da noch von Orbit sprechen kann, sinnierte Sentenza. Dann wandte er sich an Weenderveen. »Darius, senden Sie eine Botschaft an die Regierung von Albira II. Wir sind in Rettungsmission hier und …«

»Wir werden bereits gerufen«, unterbrach Weenderveen und stellte die Verbindung ohne Aufforderung her.

Der Hauptschirm flimmerte kurz, dann war das Gesicht einer Frau im gesetzten Alter zu erkennen. Sie mochte sechzig oder älter sein. Ihre Haut war von Falten übersät, die Augen lagen tief in ihren Höhlen.

»Ich bin Roderick Sentenza, Captain der Corpsambulanz Ikarus«, stellte Sentenza sich vor.

»Sie haben keine Erlaubnis, sich in unserem Sonnensystem aufzuhalten«, fiel ihm die Alte barsch ins Wort. »Kehren Sie sofort um!«

Sentenza lag eine grobe Erwiderung auf der Zunge, die er nur mit Mühe hinunterschlucken konnte. »Mit Verlaub, wir sind auf einer Rettungsmission. Ein Schiff ist in der Nähe Ihres Planeten havariert …«

»Erledigen Sie Ihre Arbeit, Sie haben zwei Stunden.«

»Ich …« Was immer Sentenza noch sagen wollte, er kam nicht mehr dazu. Die Verbindung war einfach unterbrochen worden.

»Denen hat noch niemand Manieren beigebracht«, stellte Thorpa nüchtern fest.

»Das sehe ich auch so«, stimmte Sentenza zu. »Andere Welten, andere Sitten. Weenderveen, geben Sie mir eine Verbindung zur Zuflucht

Das Bild des Schirms wurde umgeschaltet und zeigte nun nicht mehr den Planeten, sondern das Objekt, das ihn in großer Entfernung umkreiste. Als die Crew es sah, hielt sie den Atem an – ausnahmslos!

Priester Lemore hatte ihnen zwar gesagt, dass der Führer der Gemeinschaft der galaktischen Erlösung in seinem Missionsschiff unterwegs war, doch das Abbild des Raumers übertraf ihre kühnsten Erwartungen. Der Schiffsrumpf bestand aus drei ringförmigen Wülsten, von denen die unterste den größten Raum einnahm. Die obere Wulst schloss mit einer gewaltigen, transparenten Kuppel ab, unter der sich eine Biosphäre verbarg.

»Durchmesser des unteren Ringes liegt bei vierhundert Metern«, las Trooid die Messungen der Sensoren laut vor. »Mittlerer Ring dreihundert und der obere zweihundert Meter. Höhe der Kuppel ebenfalls zweihundert Meter.«

»Interessante Konstruktion«, ließ Sonja vernehmen. »Trooid, kriegen Sie ein besseres Bild vom Inneren der Kuppel?«

»Zu dichte Wolkenformationen … hm, die scheinen aber kurz vor unserer Ankunft noch nicht da gewesen zu sein. Ich orte einen starken Energieanstieg im Bereich der Sphäre.«

»Sie verdunkeln«, meinte Sentenza. »Weenderveen, was macht meine Verbindung?«

»Sie antworten nicht auf unsere Rufe.«

Sentenza seufzte.

Nach der Erkenntnis, dass die Erleuchteten bereit waren, ihre Rettungskapseln zu zerstören, damit etwaige Flüchtlinge die Erlösung in einem strahlenden Tod fanden, hatte er auch nicht gerade Kooperationsbereitschaft erwartet.

»Anscheinend haben sie keine Probleme«, mutmaßte Thorpa.

»Quatsch!«, blaffte Sonja. »Sie haben doch gesehen, was mit der Rettungskapsel geschehen ist. Die krepieren lieber, als dass sie sich helfen lassen und eigene Schwäche eingestehen.«

»Dann können wir genauso gut umkehren«, schlug Darius Weenderveen vor.

Ehe ihn Sentenza für die Äußerung schelten konnte, mischte sich Priester Lemore ein, der plötzlich neben dem Kommandosessel des Captains stand.

»Die Schicksalsgläubigen ihrem Schicksal überlassen? Da haben Sie vielleicht sogar recht.«

»Wird das zur schlechten Angewohnheit, dass Sie ohne Aufforderung meine Brücke betreten«, schnappte Sentenza.

»Entschuldigung, Captain, aber ich habe bereits befürchtet, dass Sie auf den Gedanken kommen könnten, wieder von hier zu verschwinden, ohne etwas zu unternehmen.«

Sentenza sprang auf. Allein durch die ungestüme Geste zuckte Lemore zusammen und trat hastig zwei Schritte zurück, eckte dabei an einer Konsole an und zuckte abermals zusammen.

»Niemand hat hier irgendetwas entschieden, Priester«, sagte Sentenza mit ruhiger Stimme. »Wir sind hier, um Leben zu retten, auch wenn man vielleicht unsere Hilfe nicht will. Schreiben auch Sie sich das hinter die Ohren, Weenderveen. Wir müssen davon ausgehen, dass die meisten Angehörigen dieser … Sekte willentlich von ihrem sogenannten Erlöser beeinflusst werden. Sie wissen es nicht besser und gefährden dadurch ihre Existenz. Oder wie sieht die Amtskirche dies, Priester?«

Lemore räusperte sich. »Hm, Sie haben es schon ganz treffend ausgedrückt, Captain. Auch wenn wir in vielen Schriften die Grundthese der Erleuchteten wiederfinden, dass wir nach unserem Tode Frieden und Erlösung finden können, so verbietet uns der Glaube aber die Beendigung des eigenen Lebens, um diesen Zustand vorzeitig und in voller eigennütziger Absicht zu erreichen.«

Sentenza nickte, schickte den Priester wieder zurück in An’tas Quartier und schwang dann herum. »Weenderveen, senden Sie denen eine Nachricht, dass wir jetzt andocken – entweder mit oder ohne deren Erlaubnis. Trooid, Kurs auf eine Docknaht nehmen!«

»Aye, Sir!«

Die Ikarus beschleunigte. Schlagartig wuchs das Bild des anderen Schiffes auf dem Schirm an. Trooid verringerte den Vergrößerungsfaktor der Darstellung, worauf die Zuflucht nunmehr nur noch die Größe eines Punktes besaß.

»Irgendwelche Reaktionen?«, fragte Sentenza.

»Sie zünden die Triebwerke«, teilte Sonja mit. »Unterlichtantrieb. Ihr Hyperantrieb wurde beschädigt. Ich frage mich, wie lange unserer noch durchhält.«

Sentenza sah zu DiMersi.

Als sie seinen Blick registrierte, grinste sie. Ob ihre kleinen Differenzen damit beiseitegelegt waren, wusste er nicht. Aber sie hatte recht. In der letzten Woche hatten sie mehr als ein halbes Dutzend Hyperraumflüge durchgeführt, ohne eine Wartungsstation anlaufen zu können. Die Überlichtantriebe galten als unzuverlässig und relativ reparaturanfällig. Es war ein Wunder, dass bisher noch alles reibungslos funktionierte. Arbeitete Neue Welten wirklich so gut oder verdankten sie den Umstand ebenfalls dem von ihm in den Bordrechner eingesetzten KI-Plasma?

Was, wenn die KI nicht nur auf die Steuerung reagiert, sondern Einfluss auf sämtliche Bordfunktionen nehmen kann?

Der Gedanke schnürte ihm die Kehle zu. War die Crew dann der Ikarus auf Gedeih und Verderb ausgeliefert? War er überhaupt noch Kommandant dieses Schiffes?

Sentenza entspannte sich und vertraute auf seine innere Eingebung, als er seinerzeit das Plasma an sich brachte und in den Bordcomputer der neuen Ikarus einsetzte. Inzwischen war die Zuflucht auf dem Hauptschirm wieder ein gutes Stück größer geworden. Deutlich hob sich die von innen beleuchtete Kuppel vom restlichen, eher dunklen Rumpf ab. Eine beeindruckende Konstruktion. Man erzählte sich, dass die alten Kolonialschiffe vor der Großen Stille Biosphären besaßen, in denen die Kolonisten während des langen Flugs zu bewohnbaren Welten Gärten bebauten und Felder bestellten. Roderick Sentenza fragte sich, welchen Zweck die Sphäre auf dem Missionsschiff erfüllte. Heutzutage wurden Sprungtore benutzt, um ohne Zeitverlust von einem Sonnensystem zum nächsten zu gelangen. Der Unterhalt dieser Biosphäre musste Unmengen an Energie verschlingen.

»Sie sind nicht schnell genug.« Trooids Stimme riss Sentenza aus den Überlegungen. Eine schematische Anzeige auf den kleineren Bildschirmen verdeutlichte, was der Droid zum Ausdruck brachte. Das Kuppelschiff hatte eine viel zu geringe Fluchtgeschwindigkeit, um der Ikarus mit Unterlichtantrieb davonfliegen zu können. Sie holten es spielend ein.

»Weenderveen, versuchen Sie weiterhin, Kontakt herzustellen.«

»Bin am Ball, Captain, aber ich befürchte fast, die haben absichtlich ihre Empfangsanlage abgeschaltet. Ich bekomme keine Bestätigung, dass unsere Signale zu ihnen durchdringen.«

Keine zwei Minuten darauf war die Ikarus in Waffenreichweite. Nicht, dass Sentenza ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hätte, das Feuer auf das Sektenschiff zu eröffnen. Der Marinebegriff kennzeichnete lediglich die Entfernung zweier Schiffe zueinander, ohne sich auf Maßeinheiten festzulegen. Noch immer antwortete niemand, obwohl deren Empfangsantennen sprichwörtlich längst glühen mussten.

Sonja stellte fest, dass das Schiff keine nennenswerte Bewaffnung besaß. Abwehrschilde und leichte Strahlgeschütze, die kleinere Meteoriten pulverisieren konnten.

»Hoffentlich sprengen die sich nicht selbst in die Luft«, murmelte Weenderveen.

Sentenza lief es eiskalt den Rücken herunter. Wer Fluchtkapseln mit Detonationssätzen ausstattete, verfügte sicherlich auch über eine Selbstzerstörungseinheit für das Mutterschiff.

Blieb zu hoffen, dass der selbst ernannte Erlöser mehr am eigenen Leben hing als an dem seiner Jünger.

»Da tut sich was!«, rief Thorpa erregt aus.

Trooid vergrößerte die Bildansicht. Im unteren Ringwulst öffnete sich ein Schott und entließ eine der sternförmigen Rettungskapseln. Wie eine leuchtende Sonne raste das kleine Fluchtgerät der Ikarus entgegen.

»Korrigiere Kurs«, sagte Trooid.

Die Sternkapsel verschwand kurz aus ihrem Sichtbereich, war jedoch wenige Lidschläge später wieder zu sehen.

»Was war das?«, wunderte sich Weenderveen.

»Die Kapsel hat unsere Kurskorrektur ausgeglichen und fliegt weiter auf uns zu«, erklärte Sonja bedrückt. »Rod, ich hab ein ungutes Gefühl bei der Sache.«

Sentenza nickte. Die Zuflucht besaß nicht die notwendige Bewaffnung, um der Ikarus zu schaden. Das Explosionspotenzial der Fluchtkapseln allerdings schon.

»Ausweichmanöver!«, bellte Sentenza. »Schilde hoch!«

Trooid reagierte sofort. Thorpa, Sonja und Weenderveen sicherten sich mit Gurten. Plötzlich brach Hektik auf der Brücke aus. Der Alarm gellte durch die Decks des Corpsraumers. Anande meldete sich über Interkom, wurde aber von Sentenza an Weenderveen verwiesen. Die Anfrage aus An’tas Quartier ignorierte der Captain. Er beorderte einen ihrer Kampfroboter zum Wohndeck, um Priester Lemore im Auge zu behalten. Am wenigsten konnten sie jetzt Zivilisten inmitten eines Angriffs auf der Brücke gebrauchen.

Die Ikarus flog einen Zickzackkurs und hielt dabei weiterhin auf die Zuflucht zu. Doch die Fluchtkapsel zog jedes von Trooid initiierte Manöver mit wenigen Sekunden Zeitdifferenz nach und näherte sich wie ein abgefeuerter Torpedo dem Ambulanzraumer.

»Ich habe den Scheitelpunkt berechnet, an dem wir auf jeden Fall mit der Kapsel zusammentreffen«, rief Trooid.

»Sie können sie nicht abschütteln?«, wunderte sich Sentenza.

»Waffensysteme aktivieren?«, fragte Weenderveen und ließ schon seine Finger über die Tasten gleiten, weil er meinte, den Befehl des Captains im Voraus zu erahnen. Entsprechend überrumpelt wirkte er denn auch, als Sentenza Gegenteiliges anordnete.

»Schrauben Sie den Dirty Darius ein wenig zurück, Weenderveen. Wir schießen nicht. Sonja, gibt es Lebenszeichen an Bord der Kapsel?«

Sentenza traute dem sogenannten Erlöser durchaus zu, dass er seine Leute diesen Kamikazeangriff fliegen ließ und dadurch vielleicht gewährleistete, dass das Rettungsschiff aus humanen Gründen nicht feuerte.

»Negativ, aber ich orte ein schwaches Funkfeuer, das die Kapsel mit der Zuflucht verbindet. Sie wird ferngesteuert.«

»Haben wir eine Möglichkeit, das Signal zu unterbrechen?«

Sonja schüttelte den Kopf. »Sender und Empfänger sind abgeschirmt und arbeiten nur auf einer Frequenz. Scheint, als machen die so etwas nicht zum ersten Mal.«

»Zeit bis zum Auftreffen?«

Trooid warf einen kurzen Blick auf die Instrumente, korrigierte zum wiederholten Mal den Kurs. »Zwei Minuten.«

Sentenza merkte, wie ihm der Schweiß über die Stirn perlte. Er wollte unnötige Aggressionen vermeiden, doch angesichts der Situation spielte er tatsächlich mit dem Gedanken, die Fluchtkapsel aus dem Universum zu pusten.

»Hyperraumsprung vorbereiten!«, befahl er und erntete entsetzte Gesichter und panisches Nachfragen.

»Was?«, riefen Thorpa und Sonja gleichzeitig.

»Sir, wir befinden uns zu dicht an den Gravitationsfeldern von Albira II und der Zuflucht«, räumte Trooid ohne eine Spur von Nervosität ein. »Wenn wir jetzt in den Hyperraum springen, wird die gravimetrische Verzerrung …«

»Trooid!«, fiel Sentenza dem Droiden ins Wort. »Ich habe in der Raummarine des Multimperiums gedient und kenne mich mit galaktischer Navigation aus. Aktivieren Sie den Hyperantrieb und schalten ihn sofort wieder aus. Wir wollen nicht wirklich in den Hyperraum eintauchen, sondern ihn nur so weit berühren, dass wir uns aus der Schusslinie katapul…«

Weiter kam er nicht. Trooid schrie etwas. Die Ikarus kippte seitwärts weg, so abrupt, dass die Trägheitsdämpfer versagten und die Mannschaft heftig in ihre Gurte gepresst wurde. Schraubenförmig bohrte sich der Kreuzer in den schwarzen Samt des Alls hinein und beschleunigte auf knapp zwanzig Prozent der Lichtgeschwindigkeit.

Sentenza sah Trooids Reaktion. Der Droid hatte die Schalter nicht einmal angerührt und streckte die Hände jetzt demonstrativ von sich.

Die KI hat übernommen, dachte der Captain.

Auf dem Bildschirm und der taktischen Anzeige konnten sie das Manöver ihres Schiffs mitverfolgen. Es kreiselte unablässig um die eigene Achse, flog eine Schleife und raste dann mit voller Kraft auf die sternförmige Fluchtkapsel zu.

»Bei der Großen Stille!«, fluchte Weenderveen. »Wir rammen die Bombe!«

Auch Sentenza hielt die Luft an und starrte gebannt auf den Schirm. Die Entfernungsangaben, die daneben eingeblendet wurden, schrumpften unaufhaltsam gegen null. Nur noch wenige Sekunden bis zum Aufprall. Der leuchtende Stern wirkte wie eine gleißende Miniatursonne, in die sie gnadenlos hineinjagten.

»Aus!«, stöhnte Thorpa.

Der Stern füllte den gesamten Schirm aus. Dann ein Ruck und …

… freier Weltraum!

Noch ehe jemand der Crew begriff, was geschehen war, schob sich der Leib der Zuflucht ins Bild, größer als je zuvor. Die künstliche Intelligenz des Rettungskreuzers hatte sie durch ihre Flugkünste wesentlich näher an das Missionsschiff herangebracht und gleichzeitig die Fluchtkapsel ausmanövriert.

»Wir sind auf direktem Kurs«, bestätigte Trooid.

Ein Bildschirm zeigte die Achternansicht. Der Stern war ein gutes Stück zurückgefallen und versuchte eine Wende, doch der oder diejenige, die die Kapsel von der Zuflucht aus fernsteuerte, musste einsehen, dass er/sie die Bombe in der unmittelbaren Nähe ihres Mutterschiffs nicht mehr zur Detonation bringen konnte.

Die Fluchtkapsel fiel weiter zurück. Ihr Antrieb war deaktiviert worden.

»Die holen sie nicht zurück«, stellte Weenderveen verdutzt fest.

»Wir sammeln sie ein, wenn wir die Mission hinter uns gebracht haben«, sagte Sentenza. Er konnte nicht verantworten, dass Raumschrott mit dieser Sprengkraft innerhalb eines bewohnten Sonnensystems zurückgelassen wurde.

»Gibt es denn überhaupt eine Mission?«, fragte Thorpa. »Diese Leute wollen unsere Hilfe doch gar nicht. Und alles, was wir haben, ist die Aussage eines Flüchtigen, der anscheinend aus der Sekte aussteigen will.«

Sentenza fuhr sich müde durchs Gesicht. Womöglich hatte Thorpa sogar recht und sie sollten diese Leute einfach in Ruhe lassen.

Kümmern wir uns um die Leute, die unsere Hilfe wollen, und nicht um jene, die sie verschmähen, dachte er.

»Captain, wir werden gerufen!«, schrie Weenderveen überrascht.


Die Besatzung der Ikarus fand sich, mit Ausnahme von Arthur Trooid, in der Hauptschleuse ein. Sentenza hatte zuerst geglaubt, seinen Ohren nicht zu trauen, als man ihnen Landeerlaubnis an Bord des Biosphäreraumers, der den Namen Zuflucht trug, gewährte.

Kurz bevor die Mannschaft jedoch das Schiff verlassen wollte, melde sich Trooid von der Brücke aus. »Captain, Priester Lemore wünscht, Sie und das Team zu begleiten.«

Sentenza seufzte. Der Geistliche hatte ihnen gerade noch gefehlt. »Anande, schicken Sie einen der Medoroboter, der ihm ein Beruhigungsmittel verpasst.«

»Liebend gern«, sagte Anande, deutete aber ein Lächeln an. Auch wenn er selbst von den Kapriolen seines Patienten reichlich entnervt war, wusste er, dass der Captain die Sache mit dem Beruhigungsmittel nicht wirklich ernst gemeint hatte.

Sentenza ließ sich Lemore zur Schleuse durchstellen. Der Priester zeigte sich zuerst uneinsichtig, doch als der Captain mehrmals betonte, dass sie sich im Rettungseinsatz befanden und er ohnehin nur im Weg herumstehen würde, gab er sich schließlich geschlagen.

»Na schön, aber es wäre nett, wenn Sie mich über die Fortschritte Ihres Aufenthaltes unterrichten könnten«, bat Joel Lemore. »Und wenn Sie überdies so freundlich wären, den bewaffneten Roboter von meinem Quartier zu entfernen …«

Sentenza hielt sich genervt die Schläfe. »Wir halten Sie auf dem Laufenden, Priester.« Er unterbrach die Verbindung und fügte dann nur für Trooid hörbar hinzu: »Ziehen Sie den Kampfroboter ab und ersetzen Sie ihn durch einen Medobot. Falls Lemore das Quartier verlassen will, soll der Roboter ihm eine Spritze verpassen.«

Sonja und die anderen grinsten, nur Thorpa schien die Pointe nicht zu verstehen.

Doch ehe er um Aufklärung bitten konnte, hatte Sentenza bereits den Öffnungsmechanismus der Schleuse betätigt. Das Tor fuhr beiseite, die Rampe schob sich aus dem Rumpf der Ikarus und gab den Blick auf den großräumigen Hangar des Biosphärenschiffs frei. Sentenza zählte zwei Shuttles, und hier und dort wurden gerade einige der mysteriösen, sternförmigen Rettungskapseln gewartet.

Oder präpariert, höhnte eine Stimme in seinen Gedanken.

Am fernen Ende des Hangars öffnete sich ein Schott. Eine kleine Gefolgschaft von fünf Personen betrat das Deck und marschierte zielstrebig auf die Ikarus-Crew zu.

»Unser Begrüßungskomitee«, raunte Sonja Sentenza zu.

Die anderen Beschäftigten im Hangar blickten kurz auf, als sie die Neuankömmlinge gewahrten, widmeten sich jedoch sofort wieder ihrer Arbeit.

Roderick Sentenza spürte, wie sich Sonja neben ihm straffte. Sie hatte ebenso wie er die beiden bewaffneten Wächter bemerkt, die sich unter den fünf Leuten befanden. Gewohnheitsgemäß trug auch die Ikarus-Crew ihre Waffen, nicht nur zur Verteidigung, denn hin und wieder hatte ein Blasterschuss ihnen schon beim Öffnen eines verklemmten Schotts geholfen. Aber angesichts des eigenwilligen Angriffs draußen im Raum mussten sie darauf gefasst sein, auch hier auf Widerstand zu stoßen.

Die Prozession wurde von einer Frau in orangefarbener Priesterrobe angeführt. Eine blaue Schärpe lag um ihre Hüfte, ansonsten war ihr Outfit recht schmucklos. Die Frau mochte in Sentenzas Alter sein, trug ihr dunkelblondes Haar kurz und leicht gewellt. Ihre grau-grünen Augen lagen tief in den Höhlen, als wäre sie übernächtigt und überarbeitet. Hinter ihr befanden sich ein Mann und eine Frau in gelben Roben, deren Hüften eine grüne Schärpe zierte. Die beiden Bewaffneten am Schluss der Gefolgschaft wirkten martialisch in ihrem Auftreten, geradezu wie mittelalterliche Ritter, mit Helm und Brustharnisch ausgestattet, dazu einen langen Elektrospeer in den Händen.

Die Anführerin der Gruppe blieb direkt vor Sentenza stehen und verneigte sich leicht, als begrüße sie einen hohen Würdenträger.

»Sie müssen Captain Sentenza sein«, sagte die Frau und lächelte leicht. »Mein Name Dorothea. Richterin Dorothea.«

Sentenza hielt ihr die Hand hin, doch statt sie zu ergreifen, nickte Dorothea leicht. Der Rang der Richterin war ihm bei Geistlichen nicht geläufig, jedoch hatte ihn Priester Lemore darauf vorbereitet, dass die Erleuchteten eine andere Hierarchie als der Rest der Galaktischen Kirche besaßen.

»Das Beste wird sein, Sie führen uns sofort zum Unfallort«, brachte Sentenza das Gespräch ohne Umschweife auf den Punkt. Wenn Gundolf Johannssons Behauptungen stimmten, durften sie ohnehin nicht mehr viel Zeit haben, um die Eingeschlossenen zu retten.

Zur Verwunderung der Ikarus-Mannschaft legte Richterin Dorothea den Kopf schief und runzelte fragend die Stirn.

»Ich fürchte, ich verstehe nicht …«

Sentenza trat an sie heran. Er merkte, wie sich die Bewaffneten anspannten, doch noch griffen sie nicht ein.

»Wir wissen, dass es einen Unfall auf diesem Schiff gab. Wir sind hier, um Ihnen zu helfen – so weit dürfte das doch klar sein, oder?«

Die Frau schüttelte leicht den Kopf. »Woher haben Sie diese unsinnige Information? Wir haben keinen Notruf gesendet …«

Sonja trat an ihren Captain heran. »Wir haben dafür keine Zeit.«

»Wer führt das Kommando auf der Zuflucht?«, fragte Roderick.

»Die Zuflucht ist Superior Saladin unterstellt«, antwortete Dorothea.

Sentenza entging nicht, wie die Gesichter ihrer Begleiter bleich wurden. Offenbar war es für sie unfassbar, dass sich der Superior mit den Belangen von Sterblichen befasste.

»Führen Sie uns zu dem Superior«, verlangte der Captain des Rettungskreuzers.

Dorothea erschrak sichtlich. Ihre Augen weiteten sich, als hätte man sie vor eine unlösbare Aufgabe gestellt.

»Folgen Sie mir«, sagte sie heiser und wandte sich um, doch die wie versteinert dastehenden Begleiter versperrten ihr den Weg.

»Euer Exzellenz!«, ächzte der Mann in der gelben Robe. Sein vernarbtes Gesicht war aschfahl. »Ihr könnt doch nicht …«

»Informiere Seine Eminenz, Oswin«, befahl Dorothea und trat an ihrem Untergebenen vorbei.

Oswin warf der Akolythin neben sich einen erschrockenen Blick zu, doch sie zuckte nur die Schultern und folgte der Richterin zusammen mit den beiden bewaffneten Wächtern.

»Also los!«, sagte Sentenza.

»Nehmen Sie’s nicht persönlich«, raunte Darius Weenderveen dem wie verdutzt dastehenden Oswin zu und klopfte ihm mitleidvoll auf die Schulter.

Sie folgten der Richterin quer durch den Hangar zum Ausgang. Auch jetzt schaute niemand der Arbeiter und Techniker hoch, als sie sie passierten. Der Ikarus-Crew fiel auf, dass die Leute schlichte graue Roben trugen und allesamt kahl geschoren waren – genau wie Gundolf Johannsson. Sie mussten der untersten Kaste der Erleuchteten angehören, den Suchenden.

Ihr Weg führte durch einen spärlich beleuchteten Gang. Die Korridore im Unterdeck der Zuflucht waren funktionell aufgebaut, ohne jeglichen Schmuck und Tand. Fast hatte Sentenza das Gefühl, er ginge durch ein altes Kriegsschiff, wie sie vor der Großen Stille gebaut wurden, lange ehe es den ersten Hyperantrieb gab. Unter den Decken führten blanke Rohre und Zuleitungen her. Hier und dort strömte Dampf aus einem Ablassventil. Die Luft roch muffig, als wäre sie schon seit Tagen nicht mehr wiederaufbereitet worden. Die Menschen, die ihnen hier begegneten, wirkten erschöpft und regelrecht schmutzig.

»Sie scheinen dieses Deck ein wenig zu vernachlässigen«, sprach Thorpa aus, was der Captain dachte. Ohne ihre Schritte zu verlangsamen, drehte sich Dorothea halb um und maß den Pentakka mit einem geringschätzigen Blick.

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