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Читать книгу: «Rubine im Zwielicht», страница 4

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10.

Derintops Schritte hallten durch die Grünsiegelpassage, die nicht mehr war als ein abgewracktes Verkaufsareal, ein aussterbendes Projekt. Seit Jahren schon gab es hier mehr Ladenleerstand als geöffnete Geschäfte. Zwei Einkaufscenter in der Nähe des Rathauses hatten die Aufmerksamkeit potentieller Kunden abgezogen. Viele Schaufenster waren mit braunem Papier abgeklebt.

Am Ende der Passage leuchteten die gelben Schilder eines China-Restaurants. Daneben befand sich ein kleiner Laden. Blaue Rolläden waren heruntergezogen, ebenso an der Glastür. Derintop versuchte, an deren Rändern vorbei ins Innere zu schauen, konnte aber nichts erkennen. Er trat einen Schritt zurück und las das Messingschild, das neben der Tür am Schaufenster befestigt war: MEKONG – IMPORTWAREN AUS INDOCHINA. Keine Telefonnummer, nichts.

Derintop ging hinüber zum China-Restaurant und trat ein. Bei den Chinesen sieht es immer gleich aus, dachte er abfällig. Rote Tapeten, am Eingang ein kleiner Springbrunnen, ein großes Meerwasseraquarium, von den Decken baumelten Papierballons und über allem rieselten chinesische Harmoniegesänge aus versteckten Lautsprechern. Zwei Tische an den Fenstern waren besetzt. Am Ende des langen Raumes stand ein kleines Männlein in schwarzer Kellnerkleidung hinter der Theke und kam nun hervor, um den neuen Gast zu begrüßen.

»Was ist mit dem Laden nebenan«, fragte Derintop unfreundlich und reckte seinen Stiernacken vor. Das Männlein neigte den Kopf ein wenig zur Seite und schaute zu Derintop auf.

»Oh, ist geschlossen. Ja, hihi.« Die Augenschlitze des Männleins wurden zu schmalen Strichen.

»Ja und? Wann macht er wieder auf?«

»Oh, weiß nich. Hat die Frau vorige Woche ssugemacht. Diese Thailänderin. Tja, so geht das, ne? Hihi.«

»Was ist denn das überhaupt für ein Laden.«

»War, wie gesagt. Hihi. Ich glaube, der macht nich mehr auf.«

Derintop hatte das Gefühl, als ob dieser Wicht ihn veralbern wollte. »Und was war das für ein Laden? Wem gehörte er?«

»Oooh ja, sie hat alles Mögliche verkauft hier, ne. Import, ne. Ssehen Ssie mal hier an der Decke, ne, da hat sie alles besorgt. Auch hier Glücksbringer un so, ne.« Das Männlein zeigte belustigt auf einen Jadering, der an langen roten Fäden von der Decke hing.

»Ja, und jetzt?«

»Jetz is ssu. Weiß nich, is pleite oder was, hihi. Wieso, wollen Ssie kaufen Glücksbringer, ich kann Ihnen Telefonnummer geben.«

Derintop nickte. Wenigstens etwas. Das Männlein kritzelte ein paar Zahlen auf einen Notizblock, riss das Blatt ab und reichte es Derintop. »Hier, da is meine Freund, bestellen Ssie einen schönen Gruß, is auch Vietnamese wie ich, handelt auch mit sowas, is zwar bisschen teurer, aber …«

»Moment mal. Das ist nicht die Nummer von dieser Thailänderin? Ich will die Nummer von dieser Frau! Was geht mich dieser Vietnamese an, und wieso Vietnamese, das ist doch ein China-Restaurant hier?«

»Ja, heißt immer so. Ssind eigentlich alles fast immer Vietnamesen, ja. Aber wenn es Vietnamesen-Restaurant heißt, kommt keiner, hihi. Und chinesische Küche un vietnamesische Küche – wie sagt man: is alles ein Brei? Nee, wie sagt man?«

Derintop war nahe daran, sich auf das Männlein zu werfen und ihm ein paar Ringergriffe zu zeigen. »Und die Frau hier nebenan? War die eigentlich auch Vietnamesin?«

»Nein, is Thailänderin. Nette Frau. Aber wenn Ssie wollen, meine Frau kann Ihnen mehr erzählen.« Das Männlein trat hinter den Tresen und steckte seinen Kopf durch einen schweren, roten Vorhang, der zur Küche führte. Kurz darauf kam eine dürre Frau mit dunklen Rändern unter den Augen hervor. Offensichtlich magenkrank. Und offensichtlich hatte sie das Gespräch bereits mitverfolgt.

»Ja, hatte eigentlich gute Geschäft gehabt, aber wissen Ssie, immer Problem mit Ehemann, deutsche Ehemann, ja. Wie heißt de noch? Messersmitt.« Sie rückte um den Tresen herum immer näher an Derintop heran und hielt eine Hand vor den Mund. »Da war immer Problem, ach, und hat viel getrunken, die Mann. Kann sein, dass vielleicht deswegen ssie hat zugemacht, weiß nich.«

»Und wo ist sie jetzt?«

»Weiß auch nich, vielleicht wieder zurück nach Thailand. Oder …«, jetzt flüsterte sie. »Vielleicht durchgebrannt. Hihihi.« Warum kniffen diese Asiaten immer die Augen zusammen, wenn sie lachten, dachte Derintop. Da ließ sich nie etwas erkennen.

»Und wohin durchgebrannt?« Derintop hatte Lust, ihr Lachen nachzuäffen.

»Ja, mit de Schmuckhändler da. Wie heißt de noch? Hatte ssie Verhältnis gehabt, wissen Ssie. Un de Mann immer nachspioniert. Immer hinterher, hinter die beiden. Waren oft Kunden hier. Netter Mann, de Schmuckhändler.« Sie nickte belustigt.

»Ich weiß.«

»Genau«, mischte sich das Männlein ein. »Fragen Ssie doch den. Der hat die Telefonnummer, bestimmt, hihi.«

Derintop musste einsehen, dass hier nichts zu holen war. Er ließ die beiden stehen und verließ unter den harmonischen Gesängen aus den Deckenlautsprechern das Restaurant. Er ging hinüber zum Islandufer. Dort hatte er seinen BMW neben dem Brückengeländer geparkt. Er stieg ein und schaute auf das schmutzigbraune Wasser der Wupper. Warum hatte man bei Asiaten immer das Gefühl, dass sie weit mehr wussten? Aber was hätte er tun sollen? Diesen Wicht packen und durchschütteln? Solange, bis die richtigen Informationen herauskamen? Diese Asiaten hielten doch alle zusammen. Thailänder, Chinesen, Vietnamesen, allesamt undurchschaubar. Derintop liebte einfache, klare Verhältnisse. Asiatische Mentalitäten waren für ihn undurchdringliche Dschungel, in denen man selbst mit einer Machete nicht weiterkam. Er startete den Wagen. Oder war er dabei, sich zu verrennen? Vielleicht musste er in seinem eigenen Umfeld suchen?

11.

Wagner warf das Stück Schweineleber auf ein Kunststoffbrett. Er setzte sich an den Küchentisch und begann es mit einem Messer in Streifen zu schneiden. Zwiebeln lagen bereits in Ringen auf einem zweiten Brett. Wagner blinzelte. Eine Träne lief aus dem geschwollenen Auge, er wischte vorsichtig mit dem Handrücken darüber. Auf dem Elektroherd köchelte Reis vor sich hin.

Es schellte. Wagner zögerte einen Moment und schaute durch das Fenster. Es dämmerte bereits und Wagner musste unwillkürlich an den Schläger denken. Wieder schellte es, zweimal kurz hintereinander. Wagner hatte Bärhalter vor Augen. Er schaute schnell auf den Küchenboden, wo er unter einer Diele des Schiffsparketts die Edelsteine versteckt hatte, die er mittlerweile verfluchte, und ging hinüber zur Wohnungstür.

Es war Nok. Sie wich einen Schritt zurück, als sie Wagner in der Tür stehen sah, mit seinem geschwollenen Auge, das Küchenmesser in der Hand. Wagner schaute an sich herunter, bemerkte das Messer und versuchte ein Lächeln, was dem lädierten Gesicht eine komische Note verlieh.

»Was haben Sie denn gemacht? Haben Sie sich geschlagen?«

»Man mich, nicht ich mich. Kommen Sie doch rein.« Die beiden gingen in die Küche. Nok trug ein knielanges Blümchenkleid mit großen roten Blüten, was am Körper einer abendländischen Frau sogleich kitschig ausgesehen hätte, stellte Wagner bewundernd fest. Nok setzte sich umstandslos auf einen der Stühle, wickelte einen hauchdünnen, blutroten Schal vom Hals und legte ihn über die Stuhllehne. Wagner bestaunte eine doppelt gelegte Perlenkette. War diese Geste Absicht? Sollte das irgendein Zeichen sein? Wohingegen sie doch vorgestern erst behauptet hatte, sich keinen Schmuck leisten zu können? Hatte sie das nicht so gesagt? Wagner spürte, wie er sich gleich wieder von Nok verunsichern ließ.

»Freut mich, wirklich. Aber wie sind Sie an meine Adresse gekommen?« Wagner setzte sich an den Tisch und fuhr fort, die Schweineleber in Streifen zu schneiden. Nok schaute interessiert zu.

»Ich habe einfach beim Wupper-Kurier angerufen, und da habe ich Frau -, wie heißt Sie doch?«

»Etwa Witzleben?« Wagner biss sich auf die Lippe, was ihm sofort einen stechenden Schmerz eintrug.

»Ja genau, Wissleben.«

»Witz. Witzleben.«

»Wissleben, genau. Nette Frau. Ich wollte mich nur wegen dieser asiatischen Einwanderer vergewissern, ob das stimmt, was Sie mir erzählt haben.«

Wagner räusperte sich. »Und was hat Sie gesagt?«

»Dass sie davon nichts weiß. Sie würden momentan an einer Reportage über den Botanischen Garten arbeiten.«

»Leider, ja, und die Sache mit den Einwanderern mache ich erstmal ins Blaue hinein. Ich bin freier Journalist. Da denkt man sich schonmal irgendein Thema aus, recherchiert ein wenig und bietet es später an.«

Nok lächelte. »Ich habe es mir so ähnlich auch schon gedacht. Sie wirken nicht wie jemand, der etwas im Schilde hat.«

»Führt. Schilde führt.«

»Deswegen bin ich nämlich gekommen. Ich wollte wissen, wie das nun weitergeht? Ob Sie noch mehr über asiatische Einwanderer wissen wollen? Und ob ich Ihnen dabei helfen kann.« Ihre Finger spielten mit der Perlenkette, und Wagner bemerkte erst jetzt einen goldenen Ring mit einem aufgesetzten, rötlich funkelnden Stein.

Wagner zeigte mit der Messerspitze auf sein geschwollenes Auge. »Sagen Sie mal, kann das sein, dass Ihr Mann einen weißen Mercedes fährt?«

»Oh ja, haben Sie ihn kennengelernt?«

»Ja, und wie. Er hat mich zusammengeschlagen.«

»Ja, ach, schon wieder.«

»Nein, zum ersten Mal, und hoffentlich zum letzten Mal.«

»Ich meine, das ist schon ein paar Mal vorgekommen. Seit wir getrennt leben, stellt er mir nach, müssen Sie wissen. Er ist sehr eifersüchtig.«

»Das schien mir auch so.«

»Ja, nicht? Sobald er mich mit einem anderen Mann zusammensieht, verliert er die Kontrolle. Oh, das tut mir leid. Haben Sie noch Schmerzen?« Nok stand auf, trat ans Fenster und schaute hinaus. Wagner beugte sich wieder über das Kunststoffbrett. »Sagen wir so: Man hat gespürt, dass er sich mit Zuschlagen auskennt.«

Nok sah drüben auf der anderen Straßenseite den weißen Mercedes. Ihr Mann saß darin und schaute herüber.

»Hat Ihr Mann Sie etwa auch immer geschlagen?«

Nok drehte sich um.

»Mich? Nein. Getrunken hat er, das hat mir gereicht. Aber sagen Sie mal, was kochen Sie da?«

»Das ist Laab, eine thailändische Spezialität. Ich habe das Rezept in einem Kochbuch für asiatische Spezialitäten entdeckt. Ich habe Ihnen ja bereits erzählt, dass ich ein Faible dafür habe.«

»Faible?«

»Ja, Vorliebe, ein Gefallen, eine Schwäche.«

Nok lächelte. Ihre Fingerspitzen strichen wieder über die Perlen.

»Laab. Und das können Sie?«

»Ich versuch‘s.« Wagner wand sich bescheiden. Er stand auf, ging zum Elektroherd und öffnete den Topf, in dem der Reis köchelte. Er nahm einen Kochlöffel und begann, mit ausladenden Bewegungen sorgfältig umzurühren.

»Oh oh oh«, Nok war neben ihn getreten. Ihr mildes Parfüm mischte sich mit dem Geruch von gekochtem Reis. »Das dürfen Sie nicht machen.«

»Was?« Wagner hielt in der Bewegung inne.

»Wenn das Wasser ausgekocht ist, dürfen Sie den Reis niemals mehr umrühren. Lassen Sie ihn einfach auskochen, sonst zerkleinern Sie die Körner. Gerade bei Langkornreis. Und wenn Sie nicht aufpassen, haben Sie – wie heißt das? – Matsch.«

Nok nahm Wagner den Löffel aus der Hand und legte ihn beiseite. »Haben Sie denn keinen Reistopf?«

Wagner schüttelte den Kopf.

»Das kennen Sie nicht, stimmt das? So etwas können Sie in jedem asiatischen Lebensmittelladen kaufen. Ein ganz gewöhnlicher Topf in einem elektrisch betriebenen Umtopf. Sie geben Reis hinein, dann Wasser, und zwar so viel, dass es zwei Zentimeter über dem Reis steht. Dann schalten Sie den Topf ein. Und wenn der Reis fertig gekocht ist, springt der Schalter von allein um, und der Reis wird weiterhin warm gehalten. So einfach ist das. Vor allem gibt es keine Probleme mit angebranntem oder matschigem Reis. Haben Sie die Leber nun fertig geschnitten?«

Nok nahm das Kunststoffbrett vom Küchentisch, schabte die Leberstücke mit dem Messer in einen Topf und gab die Schweineschwarten, die neben dem Herd auf der Anrichte lagen, hinzu. Sie füllte Wasser in den Topf und wechselte ihn gegen den Topf mit dem aus, den sie an Wagner weiterreichte. »Hier, haben Sie etwas zu tun. So schlecht ist der Reis eigentlich gar nicht geworden. Wenn Sie vorsichtig sind, können wir ihn sogar essen.«

Wagner gehorchte. Er begann den Reis mit übertriebener Sorgfalt aus dem Topf in eine Schüssel zu geben. Nok deutete mit dem Kopf auf eine grüne Chilischote, die auf der Anrichte lag. »Und? Haben Sie noch nicht genug?«

»Ich will versuchen, mich langsam an die Schärfe heranzutasten.« Wagner versuchte ein Lächeln. Gleichzeitig wurde ihm bewusst, dass man diesen Satz auch als erotische Anspielung nehmen konnte. Er fragte sich, ob Nok das auch gemerkt hatte. Sie stand neben ihm und beobachtete, wie er umständlich langsam den Reis in die Schüssel bugsierte. Wagner fragte sich, was wäre, wenn ihr Mann diesen Satz hören würde, nur hören würde, und er spürte den Schmerz am Auge.

Nok arbeitete mit schnellen, sicheren Bewegungen. Sie war praktisch veranlagt, das sah man sofort, stellte Wagner fest. So wie sie die Dinge in die Hand nahm, ohne zu zögern und lange zu überlegen. Nach zwanzig Minuten war das Laab fertig angerichtet. Wagner deckte den Tisch und schenkte einen trockenen Rotwein ein. Sie stießen mit den Gläsern an, tranken einen Schluck und Wagner fand, dass es Zeit war, endlich reinen Wein einzuschenken: »Warum haben Sie eigentlich gesagt, dass Sie mit Edelsteinen nichts zu tun haben?« und wies mit der Gabel auf ihre linke Hand und den rötlich funkelnden Ring.

»Stellen Sie sich vor: Sie sind eine alleinstehende, junge Frau und da kommt ein fremder Mann und fragt gleich nach Edelsteinen. Was sagen Sie dann?«

War das eine logische Antwort oder eine schlagfertige, überlegte Wagner. »Aber Sie handeln doch damit.« Das war ein direkter Vorstoß, und so war es am besten, wenn man etwas herauskriegen wollte.

»So würde ich das nicht sagen. Ich verdiene gelegentlich etwas hinzu.« Keine Spur von Verwunderung darüber, wie Wagner überhaupt dazu kam, so etwas zu behaupten. »Wenn eine meiner Freundinnen nach Thailand fliegt, um ihre Verwandten zu besuchen, bringt sie mir anschließend ein paar Ringe und Armbänder mit, oder Perlen. Man muss irgendwie zu Geld kommen, wenn man allein lebt. Ansonsten habe ich mit allen möglichen Utensilien gehandelt: Porzellanfiguren, Glücksbringern, kleinen Altären, Buddhastatuen, auch mit Reistöpfen. Mit Schmuck eher selten. Aber das ist ohnehin vorbei. Auch die Asiaten, die hier leben, halten ihr Geld zurück. – Seien Sie vorsichig mit der Chilisauce.«

»Aber Sie kennen sich aus mit Edelsteinen?«

»Ein wenig. Eigentlich nur mit solchen Steinen, die man in Thailand, Burma und Laos findet: Rubine, Saphire, Süßwasser-Zuchtperlen. Meine Freundinnen legen sie immer in ein Kilo getrocknete Schweinekrusten, wenn sie etwas mitbringen.« Nok beugte sich vor. »Wegen der Einfuhrzölle, verstehen Sie.«

Wagner stocherte auf seinem Teller herum. »Haben Sie die Steine denn dort schon fertig in Ringe oder Amulette einfassen lassen oder erst hier?«

Nok schwieg. Sie trank einen Schluck Rotwein.

»Jedenfalls haben Sie darüber Lochner kennengelernt, stimmt das?«

»Ja, ist schlimm. Der arme Kerl. Ich habe schon davon gehört.«

Nok schaute Wagner mit großen Augen an. Aus ihrem Gesicht war absolut nichts herauszulesen.

Wagner wählte bewusst die Gegenstrategie. Er beschloss mit offenen Karten zu spielen. Warum er das tat, war ihm selbst nicht klar. Vielleicht war es einfach ein Mangel an taktischem Geschick oder auch an Verspieltheit, der ihn oft den direkten Weg nehmen ließ. Er war jetzt aufgestanden, bückte sich unter dem Durchgang zum Wohnzimmer und hob eine der Dielen an. Er zog die Cellophantüte mit den Edelsteinen heraus, setzte sich wieder und schob seinen Teller beiseite.

Er ließ einen Stein auf die Tischplatte kullern. Er war tropfenförmig geschliffen, und man erkannte dunkle und rötliche Kristalle, die miteinander im Lichterspiel waren, wenn man den Stein bewegte »Was für ein Exemplar ist das? Ist es echt?«

Nok kam um den Tisch herum auf seine Seite. »Sagen Sie bloß: Sie haben selbst Edelsteine? Aber warum verstecken sie sie?« Wagner roch wieder ihr Parfüm, als Nok sich über den Tisch beugte. Sie berührte den Stein leicht mit einem Finger. »Wenn er echt ist, ist es ein Rubin. Vielleicht aus Burma, so wie meiner.« Sie deutete auf ihren Ring. »Wo haben Sie den Stein her?«

»Würden Sie ihn haben wollen?«

Nok lachte: »Noch einen? Aber wenn er echt wäre, warum nicht?« Sie begann zu kokettieren und wiegte leicht in den Hüften.

»Wieso wissen Sie das nicht?«

»Das ist heute immer schwieriger auseinanderzuhalten, ob ein Stein echt ist oder echt, aber aufpoliert, geschönt, gefärbt ist und so weiter, oder ob er sogar synthetisch hergestellt ist. Das kann man hier so am Küchentisch nicht feststellen.«

»Wie denn?« Wagner war kurz davor, Nok über die Hüfte zu streicheln, traute sich aber nicht. Stattdessen stand er auf, ging rüber ins Wohnzimmer und kam mit einem Papier zurück. Er legte es vor Nok auf den Tisch: »Das ist vermutlich das passende Zertifikat dazu.«

Nok zog staunend die Augenbrauen hoch: »Na also, dann wissen Sie ja, dass der Stein echt ist.«

»Hatten Sie eigentlich etwas mit Lochner?« Wieder so eine Frage ins Blaue hinein. Gleichzeitig fürchtete er sich vor der Antwort und einem diffusen Neid auf den Toten.

Nok rückte von Wagner ab. »Hat das mein Mann behauptet?«

»Nein, der hat nur geschlagen.«

Nok begann, den Tisch abzuräumen. »Es kann ja sein, dass er etwas von mir wollte, aber – wie sagt man hier? Dazu gehören immer zwei.« Wagner fühlte das sofort auf sich bezogen und kugelte verlegen mit dem Rubin über die Tischplatte.

»Machen Sie das nicht«, Nok legte ihre Hand kurz auf die seine. »Solche Steine sind empfindlich, wissen Sie das? Wenn sie echt sind«, lächelte sie und zog ihre Hand zurück. »Wenn Sie das übrigens ganz genau wissen wollen, sollten Sie einen Gemmologen aufsuchen.«

Nok blieb vor Wagner stehen, der nicht so recht wusste, wo er hinschauen sollte. Er dachte an die Würgefeige und seinen aberwitzigen Vergleich. Im Moment stellte er allenfalls eine Feige in verhaltener Stellung dar. Eine verklemmte Feige, die sich irgendwo am Geäst eines exotischen Wirtsbaumes verhakt hatte. Wagner wurde über sich selbst wütend. Das alles hier brachte ihn aus dem Konzept.

»Das Laab haben Sie hervorragend gekocht, Herr Wagner.« Nok reichte ihm die Hand.

»Sagen Sie doch Jens, das klingt besser.« Da war es nun wieder: der direkte Weg aus der Defensive. Wagner war aufgestanden und folgte Nok zur Tür. Im Hausflur drehte sie sich noch einmal lächelnd um. »Und Ihre Einwanderer? Was machen wir mit denen?« Wagner versuchte ebenfalls ein Lächeln. Nok wartete die Antwort gar nicht erst ab. Wagner sah ihr nach, sah wie der Stoff des Blümchenkleides um ihre Hüften schwang. Als Wagner zurück in die Küche kam, sah er den blutroten Schal über der Stuhllehne. Im ersten Moment dachte er daran, Nok hinterherzulaufen. Dann aber nahm er den Schal in die Hand, fühlte den weichen, hauchdünnen Stoff und roch daran. Er zog den milden Geruch des Parfüms ein, ging ins Wohnzimmer und hängte den Schal an ein kleines Bücherbord über dem Schreibtisch. Er zupfte am Stoff herum, bis er zufrieden nickte.

Draußen schaute Nok kurz auf den weißen Mercedes und ging nach links um die Häuserecke zu ihrem Wagen.

12.

Die Schwellung des Auges war deutlich zurückgegangen. Wagner konnte sich wieder blicken lassen. Er glotzte seine langhaarige, dünne Kollegin über den Rand des Monitors hinweg an und machte eine betont nachdenkliche Miene. Er sah, wie sie betont nachdenklich schräg nach oben aus dem Fenster schaute. Vermutlich versuchte sie sich wieder an einem Artikel mit stark esoterischen Bezügen, ihr Spezialgebiet: Die heilende Kraft der Hände, Füße und so weiter, sie hatte die ganze Palette nebulöser Heilkünste drauf. Meist lächelte sie irgendwie verklärt, sobald man sie ansah, aber anders als Asiatinnen, eher im Sinne von: Sei lieb, dann kann ich ungestört bei mir sein. Sie würde sicher auch etwas zur unsichtbaren Energie von Edelsteinen sagen können. Wagner würde sie nur fragen müssen, und sie würde nicht mehr aufhören, von magnetischen Kraftfeldern, Schwingungen und Strahlungen zu erzählen. Aber würde ihm das weiterhelfen? Glücklicherweise saßen sie sich beide gegenüber und konnten nicht einsehen, was der andere jeweils am Monitor trieb.

Wagner hatte die Internetseite eines international aufgestellten Edelsteinhandels aufgerufen. Eigentlich sollte er den Bericht über den Botanischen Garten schreiben. Die Witzleben hatte, sobald er die Redaktion betrat, ihren bulligen Kopf aus ihrem Büro gesteckt und den Artikel angemahnt. Möglicherweise könne man ihn morgen bringen. Möglicherweise, hatte sie noch einmal betont, sie sei da noch nicht sicher, und Wagner dabei geringschätzig angeschaut. Kein Zweifel, was sie damit meinte und was sie grundsätzlich von Wagners Schreibe hielt.

›Den Wert von Edelsteinen zu verstehen, ist das wesentliche Element für eine lohnende Anschaffung‹. Welch ein Satz, der Wagner zwischen funkelnden Steinen entgegenblinkte. Vermutlich kam dieser verschrobene Ausdruck daher, dass man Wort für Wort übersetzt hatte. Wagner schaltete auf Englisch um. SHINYGEM.COM hieß das Unternehmen. Es warb mit fetten Sprüchen auf der Homepage: ›Gem hunters – from mines to online‹. Man trieb weltweiten Handel mit den Edelsteinen dieser Welt und behauptete, dass 80% aller Rubine und Saphire durch Hände dieses Unternehmens in einer thailändischen Kleinstadt gingen. Er hatte schon einige Homepages verschiedener Edelsteinhändler durchstöbert, aber bei dieser war er aufmerksam geworden, weil ihm das Emblem irgendwie bekannt vorkam: ein E und ein G miteinander verschlungen, und in der Mitte des G funkelte ein gelber Edelstein, vermutlich ein Citrin, so weit kannte er sich mittlerweile aus. Es dauerte noch eine Weile, bis er sich erinnerte, wo er das Emblem schon gesehen hatte: auf dem Briefumschlag in Lochners Herrentasche, adressiert an Nok. Was hatte sie gesagt? Einige ihrer Freundinnen brachten gelegentlich ein paar Edelsteine mit? Getarnt in getrockneten Schweinekrusten?

Wagner klickte schnell hin und her und ließ sich eine beliebige Auswahl an Steinen zeigen, die allesamt in allen denkbaren Größen, Qualitäten und Fertigungszuständen zum Verkauf standen. Man brüstete sich damit, deshalb so preiswert sein zu können, weil man die endlos lange Kette zwischen Steinesuchern, Großhändlern und Juwelieren bis hin zum Kunden überwunden und stattdessen selbst alles unter Kontrolle habe. Das garantiere dann eine einwandfreie Qualität: Vom Fundort bis zum Hals der Gattinnen dieser Welt, dachte Wagner spöttisch und schaute seine Kollegin an, die eine schwere Kette aus dunkelgrünen Modesteinen trug. Vermutlich irgendein Kram aus dem esoterischen Requisitenladen des nahen Szeneviertels. Die Kollegin schaute irritiert weg.

Wagner hätte ihr am liebsten umgehend eine schwere Rotgoldkette Marke Zuhälter, behangen mit einem Riesenrubin, aufgeschwatzt. Vermutlich würde sie gegen alle Gesetze der Schwerkraft von der Kraft des Goldes und der Ausstrahlung des Rubins schwärmen, während die Kette sie im wahrsten Sinne des Wortes herunterziehen würde.

›Create Your Jewelry‹ hieß es zu einer Abbildung eines Weißgoldringes mit eingefasstem Saphir. Gar nicht übel. Wagner klickte darauf. Buchholz kam herein, der schnittige Buchholz. Bürstenhaarschnitt, kariertes Hemd, aufgerollte Ärmel. Er nickte kurz zur Kollegin hinüber, die zurücklächelte, und baute sich vor Wagners Schreibtisch auf: »Na, wie kommen wir weiter, Jens?« Wagner vermutete blanken Spott hinter dieser Frage. »Ich habe von Witzleben gehört, du hättest da ein paar Informationen zu diesem Schwebebahnmord?«

»Wie kommt sie darauf?«

»Nun ja, sie meinte, du hättest ihr da eine Story angeboten, beziehungsweise möglichwerweise interessantes Material für mich, ob ich da was draus machen könne.«

Absolute Frechheit. Ihm seine Story nehmen beziehungsweise ausreden zu wollen, und dann das Ganze noch so zu drehen, als sei man hier der Zuarbeiter von diesem Buchholz. Dabei konnte er nicht wissen, dass Buchholz den leisen Verdacht hatte, Wagner habe direkt mit dem Fall zu tun. Buchholz wusste nur nicht inwiefern. Bärhalter hatte ihn angerufen und ihn nur kurz gefragt, ob es beim Kurier einen etwas fülligen Redakteur gebe, blond und mit einem mönchischen Haarkranz auf dem Hinterkopf. Eindeutig Wagner. Bärhalter, der Buchholz ansonsten mit Informationen zwar knapp hielt, ihn aber vorab immerhin mit den Standards aus der Presseabteilung fütterte, hatte auf Buchholz‘ Frage gar nicht reagiert und sogleich wieder aufgelegt. Was konnte der Kommissar von Wagner wollen? Eine ähnliche Frage hatte sich Wagner gestern auch schon gestellt: Wie war Bärhalter auf ihn gekommen? Anstatt an seine alberne Windjacke zu denken, die er in der Schwebebahn getragen hatte, dieses graue Unding mit dem Schriftzug Wupper-Kurier auf dem Rücken. Damit war jeder binnen kurzer Zeit zu identifizieren, und Wagners Griff nach der Herrentasche war offensichtlich doch nicht unbeobachtet geblieben. Aber das alles war Wagner nicht bewusst. Buchholz stand breit vor ihm, und allein das störte ihn. Was ging den dieser Schwebebahnmord an? Wenn er Infos haben wollte, sollte er sich doch an seine Freunde bei der Polizei halten.

»Was für Material? Das muss ein Missverständnis sein. Die Witzleben wird da was in den falschen Hals bekommen haben«, wehrte Wagner ab.

Buchholz kam um den Schreibtisch herum, und Wagner konnte gerade noch die ShinyGem.com wegklicken.

»Aber du warst doch in der Schwebebahn, als das passiert ist.«

»Ach schrecklich, nicht?« Die Kollegin verdrehte die Augen. »Hast du das etwa leibhaftig miterlebt?« Das klang beinahe bewundernd. Buchholz lauerte. Er trug immer, selbst bei belanglosen Unterhaltungen, diese journalistische Spürnase zur Schau, indem er die Leute mit leicht erhobenem und seitlich geneigtem Kopf anschaute. So auch jetzt.

»Na?«

»Nun lass ihn doch. Das war sicher kein leichtes Erleben.«

»Quatsch. Ich habe gar nix erlebt. Ich habe hinten gesessen, ganz hinten, eingequetscht zwischen tobenden Kindern, die auf ihren Sitzen standen und sich über meinen Kopf hinweg prügelten. Ein Palaver, kann ich dir sagen! Ich habe noch nicht mal den Schuss gehört.«

Buchholz ließ nicht locker, noch immer diese Verhörhaltung:

»Ja aber, als er dann da lag, was hast du denn da gesehen.«

»Ja, dass er da lag. Mehr nicht. Ich war ja nicht der Einzige in der Schwebebahn. Sagte ich doch schon. Da hat sich gleich ein Knäuel um den Toten gebildet. Du kennst das doch. Eigentlich habe ich ihn selbst überhaupt nicht gesehen, höchstens die ausgestreckten Füße. Ich glaube Wildlederschuhe hat er angehabt, hellbraun, wenn dir das weiterhilft.«

Wagner glotzte auf den Monitor, auf dem sich lilafarbene Gebilde ineinander verschlangen. Vermutlich hatte die Kollegin diesen Bildschirmschoner ausgesucht, zur geistigen Hygiene oder Frische oder sonst etwas.

»Tut mir leid, Buchholz. Ich würde dir gerne weiterhelfen, aber … Hast du es schonmal mit dem Schwebebahnfahrer versucht, der ihn da angeblich zwischen die Türen eingeklemmt hat?«

»Sicher, schon längst. Hätte der den Mann gesehen, hätte er ihn auch nicht zwischen die Türen geklemmt. Stimmt‘s?«

»Wieso, denen ist alles zuzutrauen. Was sagt die Polizei denn?«

»Mehrere Spuren. Möglicherweise gibt es eine Verbindung zu einem anderen ungeklärten Fall, der unlängst passiert ist.«

»Als da wäre?«

»Du bist gut. Bei so vielen ungeklärten Fällen.« Manchmal tat ihm Buchholz leid. Dann etwa, wenn Buchholz frustriert feststellen musste, dass seine Informationen immer wesentlich dünner waren als die ohnehin schon dünnen Informationen, über die die Polizei verfügte. Das war bestimmt kein Zuckerschlecken, sondern das harte Brot eines Kriminalreporters. In solchen Momenten verblasste das Bild des zackigen Journalisten. Buchholz wirkte dann eher hohlwangig.

»Das dürfte doch für dich kein Problem sein, was, Alter? Da haben wir doch schon ganz andere Fälle gelöst, wie?« Wagner konnte sich nicht mehr zurückhalten und schlug lachend mit der flachen Hand auf den Schreibtisch. Immer diese emotionale Sprunghaftigkeit, der er unterworfen war. Die Kollegin schaute pikiert. »Du musst entschuldigen, Buchholz. Ein anderes Mal gerne, aber wie gesagt: nada. Außerdem muss ich mich hier mit der Würgefeige herumschlagen. Das reicht mir schon.«

Buchholz schob wortlos ab.

»Würgefeige?« Die Kollegin schlängelte ihren Kopf am Monitor vorbei und spielte an ihrer Halskette. »Worum geht‘s denn, wenn ich fragen darf.«

Wagner klickte wieder die ShinyGem.com an. Ein Blautopas blinzelte ihm entgegen und wurde ihm in der Animation von allen Seiten nähergebracht. »Nun, wie Würgefeigen im düsteren Wald andere Pflanzen plattmachen. Das sind Kannibalen, sage ich dir. Killerfeigen. Heftig ohne Ende, eiskalt. Die gibt‘s jetzt oben im Botanischen Garten. Da läuft momentan eine Ausstellung mit Führung. Kann ich nur empfehlen.«

Die Animationen der ShinyGem führten ihn zu einigen technischen Details. Man beschrieb in kurzen Worten, wie man die optischen Effekte der einzelnen Steine nutze und individuell herausarbeite, was immer das heißen sollte. Wagner dachte daran, was Nok ihm gesagt hatte: dass Edelsteine aufpoliert, gefärbt und verschönert wurden. Hier las sich das so: ›The newly arrived gems are sorted by skilled selectors and are either heated to finish what Mother Nature started‹. Also der Natur ein bisschen unter die Arme greifen, dachte Wagner. Er klickte weiter. Man bezeichnete sich als Global Leader mit unschlagbaren Preisen und allen möglichen Rabattangeboten. Wer ein billigeres Angebot bei einem Konkurrenzunternehmen nachweisen könne, dem gewähre man einen nochmaligen Rabatt. Das erinnerte Wagner an die Verkaufsstrategien der örtlichen Lebensmittelsupermärkte. Wagner schwante allmählich, dass der Edelsteinmarkt einigermaßen verkommen sein musste, wenn selbst der Global Leader mit solch unseriösen Angeboten hausieren ging. Edelsteine zum Nachwerfen. Er hätte am liebsten seine Kollegin mit dieser bitteren Erkenntnis konfrontiert und gefragt, ob sie nicht eine Reportage schreiben wolle: ›Die erloschene Kraft der Steine‹.

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9783941895744
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