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1.4 Schulleitung: Schule kohärent und heiter führen

Weil das Handeln der Schulleitungen nachweislich direkt und indirekt Einfluss auf die gesundheitlich relevanten Bedingungen der Schule nimmt, wird Lehrergesundheit inzwischen als Führungsaufgabe verstanden (Harazd, Gieske & Rolff, 2009). Dabei stehen Schulleitungen als »soziale Innenarchitekten« (Rolff, 2013) vor der Herausforderung, für die Schule eine in sich stimmige und sinnstiftende Vision und Konzeption zu entwerfen und hierfür die passenden Strategien und Strukturen für wirkungsvolle Prozesse aufzubauen und zu pflegen, durch die Schulentwicklung in einem kollegial-unterstützenden und wertschätzenden Klima als »Sinn stiftend« verstanden und handhabbar wird. Und dies, obwohl von vielen Schulleitungen die Kontexte und Anforderungen von außen, denen sich Schule gesellschaftlich und politisch ausgesetzt sieht, als zunehmend inkohärent und zuweilen auch als widersprüchlich wahrgenommen werden. Dennoch gilt es, die in der Steuerung erlebten Widersprüche, Zielkonflikte und Dilemmata für alle anderen der Schulgemeinde möglichst gesundheitsförderlich und kohärent zu gestalten – und dies, ohne dabei selbst zu erkranken. Vor diesem Hintergrund schlagen wir als salutogenes Motto für Schulleitungen vor: »Schule kohärent und heiter führen«.

Zum einen haben Schulleitungen die Aufgabe, die eigene Schule kollisionsfrei durch die Irrungen und Wirrungen des Alltags zu steuern, indem sie die personellen, administrativen, finanziellen und organisatorischen Herausforderungen umsichtig managen. Mit diesem Aufgabenkanon sichern sie die Funktionstüchtigkeit und damit das »Standbein« der Schule, indem sie für versteh- und handhabbare Ziele und Kontexte sorgen, transparent entscheiden und steuern und dabei Erfolge sichtbar anerkennen und verstärken (Dubs, 1994; Seitz & Capaul, 2005; Buchen & Rolff, 2006).

Dieses »Standbein« umfasst einerseits ein schulisches Gesundheitsmanagement, das ( z. B. mithilfe eines repräsentativen Gesundheitszirkels) dafür Sorge trägt, den gesundheitlichen Belastungen aller Mitarbeitenden eine Stimme zu geben und mit kleinen und großen Veränderungen gesundheitsförderliche Entlastungen zu ermöglichen ( z. B. durch den Aufbau eines Unterstützungssystems für Lehrpersonen) bzw. gegenüber Entscheidungsträgern notwendige Verbesserungen durchzusetzen. Andererseits umfasst das Gesundheitsmanagement ein umsichtiges (Selbst-)Management, durch das Schulleitungen als »Fels in der Brandung statt Hamster im Rad« (Kéré Wellensiek, 2012a) die eigene Gesundheit selbstverantwortlich schützen und pflegen (Kéré Wellensiek, 2012b).

Zum anderen haben Schulleitungen als »Agentin des Wandels« (Schratz, 1998) die Aufgabe, Freiheitsgrade und Gestaltungsspielräume auszuloten, um die Schule zukunftsfähig pädagogisch weiterzuentwickeln. Dazu gilt es die Schule kohärent zu führen (Leadership), indem Schulleitungen frühzeitig Bedarf und Bedürfnisse erkennen, zwischen Wünschenswertem und Machbarem sowie zwischen Bewahren und Verändern eine immer wieder neu zu tarierende Balance finden (Dubs, 1994; Seitz & Capaul, 2005; Buchen & Rolff, 2006).

Im Gegensatz zum Management, das kreative Lösungen im System bzw. im gegenwärtigen Paradigma zu finden sucht und im Umgang mit Mitarbeitenden durch Motivation und Kontrolle geprägt ist, zeichnet sich Leadership vor allem durch eine Arbeit am System bzw. in der Entwicklung neuer Visionen und neuer Paradigmen aus. Mitarbeitende sollen durch Inspirationen beflügelt und vertrauensvoll begleitet werden, was von Lüde in Voß (2002) als »Sinn-­Management« beschrieben hat und im hier skizzierten Kontext einer Stärkung des Kohärenzsinns eine neue Bedeutung erfährt. Die hierfür nötige Gestaltungskraft einer erfolgreichen Leadership wird durch eine von den Mitarbeitenden erlebte Stimmigkeit zwischen politisch-moralischen, administrativen, symbolischen, human-sozialen und pädagogischen Kräften wirksam (Dubs, 1994), die wir als kohärente Führung beschreiben und die das individuelle und teambezogene Können, Sollen und Wollen der Mitarbeitenden salutogen färbe (Heyse, 2011) und den schulischen Arbeitsplatz und Lebensraum gesundheitsförderlich gestalten (Brägger & Posse, 2007; DAK & Unfallskasse NRW, 2012).

Die inneren und äußeren Kräfte, die im umsichtigen Managen und Verwalten auf das »Standbein« und im kohärenten Führen und Gestalten auf das »Spielbein« wirken, bilden vermutlich die eigentliche Herausforderung für Schulführungskräfte. Gesund bleiben wird hierbei nur, wer sich mit der Kernkompetenz einer professionellen Resilienz (Kéré Wellensiek, 2014) zusätzlich die älteste Medizin der Menschheit zunutze macht: Heiterkeit und Humor.


Abb. 6: Schulführung in gesunden Schulen

Bei aller professioneller Steuerung zwischen datengestützten Ist-Analysen und wertgeschätzten Ergebnissen, zwischen individuellen, team- und systembezogenen Interventionen oder bei virtuosen Balanceakten zwischen scheinbar unaufschiebbaren Alltagsproblemen und visionären Perspektiven wird der heitere Blick auf menschliche Unzulänglichkeiten, Fehler und Irrtümer zum salutogenen Zaubermittel. Vor allem der positive Humor mit seiner heiteren Gelassenheit hilft, kritische Lebensereignisse erfolgreich bewältigen zu können, wie es uns psychosomatische und psychosoziale Forschungen eindrucksvoll belegen (Frank & Storch, 2011; Faust, 2011; Klapps, 2012).

Schule heiter gestalten – als Ausdruck einer tiefen Sympathie für Menschliches – hilft auch und gerade in scheinbar aussichtslosen Lagen eine gelassen-kritische Distanz zu finden, sich und andere auch mit den Augen eines Eulenspiegels zu betrachten und eigene Werte nicht als die allein gültigen zu betrachten, sondern fehlerfreundlich und heiter sich selbst und anderen gegenüber zu sein.

Vom Überblick einer schulischen Gesundheitsförderung der Lehrpersonen und Schulleitungen zum Ausblick auf dieses Buch

Die nachfolgenden Beiträge widmen sich den unterschiedlichen Entwicklungsfeldern zur Gesundheitsförderung. Den Auftakt macht Helmut Heyse mit einigen Überlegungen zu persönlichen wie auch institutionellen Leitbildern, die gleichsam einen Orientierungsrahmen für persönliche und gemeinsame Verhaltensweisen bilden (Kapitel 2 »Leitbilder – Kompass fürs Leben«). Daran anknüpfend äußern sich Helmut Heyse und Bernhard Sieland über die Kraft und den Nutzen einer bewussten Auseinandersetzung mit sich selbst: Im Spiegelkabinett erhalten die Leserinnen und Leser zahlreiche Anregungen zur Selbstreflexion, zum Sichtbarmachen von persönlichen und sozialen Ressourcen und zur Entwicklung neuer Perspektiven. Die beiden Autoren verdeutlichen, dass diese persönliche Auseinandersetzung im Spiegel der anderen eine bedeutsame Erweiterung zu erfahren vermag (Kapitel 3 »Spiegelkabinett – Wer bin ich, wer kann ich sein und woher weiß ich das?«). Die anderen Personen – genauer: das Team – stehen im Fokus des dritten Kapitels, ebenfalls von Helmut Heyse verfasst. Er skizziert produktive Formen der Zusammenarbeit und zeigt, wie Schwierigkeiten und Fallgruben vermieden werden können (Kapitel 4 »Teamarbeit zwischen Belastung und Bereicherung«). Vom Team zum System Schule – diesen Schritt begeht Andreas Krause, indem er erläutert, wie sich das System Schule in den letzten Jahren gemausert hat und welche Faktoren hinsichtlich einer schulischen Gesundheitsförderung zu beachten sind (Kapitel 5 »System Schule – wie gesundheitsförderlich ist unsere Schule?«). Dass dazu gesundheitsbewusste Schulleitungen unabdingbar und die Verantwortlichkeiten gut zu klären sind, zeigt Anton Strittmatter (Kapitel 6 »Leader­ship – in geklärten Verantwortlichkeiten führen und führen lassen«). Gemeinsam ist den bisher erwähnten Beiträgen das Postulat, dass Schule auf die schulische Bildung ihrer Lernenden zielt. Wie dies im Unterricht und auf salutogene (gesundheitsfördernde) Weise geschehen kann, reflektiert Nadja Badr in ihrem Beitrag (Kapitel 7 »Salutogener Unterricht – gut, gesundheitsförderlich und gerne unterrichten«). Christoph Eichhorn erläutert einige Strategien der Klassenführung (Kapitel 8 »Classroom-Management – gute Tools, damit es im Unterricht rund läuft«). Dass auch das Lehrerzimmer aus einer salutogenen Perspektive betrachtet werden soll und kann, entspricht der Erfahrung von Ueli Keller und Hanspeter Stoll. Sie unterbreiten zahlreiche Vorschläge zu dessen Gestaltung (Kapitel 9 »Lehrpersonenzimmer – wie ein Arbeitsraum zum Lebensraum wird: Ansichten, Einsichten und Aussichten«). Ergänzend dazu plädiert Gabriele Juvan für Ruheoasen, in denen Lehrpersonen Stille erfahren und sich regenerieren können (Kapitel 10 »Ruheoasen – wie Cocoons wirken und warum Ruhe wichtig ist«). Im Gegensatz dazu zeigt Marlis Heimbold, wie bedeutend eine verspielte Einstellung und spielerisches Erkunden für Lehrende und Lernende sein kann (Kapitel 11 »Spielplatz«). All dies braucht Energie – die unter anderem auch durch Vitamine aufgenommen wird. Die zugehörigen Anregungen vermittelt Jeannette Zumsteg (Kapitel 12 »Vitaminbar – wie Vitamine wirken und warum sie wichtig sind«). Wie all diese einzelnen Facetten in einem anregenden SalutoParcours für Lehrpersonen und an schulischer Gesundheitsförderung interessierten Personen erleb- und erfahrbar gemacht werden können, begründet und illustriert Siegfried Seeger im letzten Kapitel, das gleichzeitig den Auftakt für die Konkretisierung aller Bemühungen der Autorinnen und Autoren dieses Bandes für ein reales Angebot zur schulischen Gesundheitsförderung bilden soll (Kapitel »Saluto­Parcours! – Zur Idee und Konzeption eines Erfahrungsfeldes, einer Forschungsplattform und Entwicklungswerkstatt zur Förderung der Gesundheit von Lehrpersonen und Schulleitungen«).

Literatur

Antonovsky, A. (1997). Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit. Tübingen: dgvt.

Bamberger, G. G. (2005). Lösungsorientierte Beratung. Weinheim: Beltz.

Borkenhagen, A. & Brähler, E. (2012). Die Selbstverbesserung des Menschen. Wunschmedizin und ­Enhancement aus medizinpsychologischer Perspektive. Gießen: Psychosozial-Verlag.

Brägger, G. & Posse, N. (Hrsg.) (2007). Instrumente für die Qualitätsentwicklung und Evaluation in Schulen (IQES). Wie Schulen durch eine integrierte Gesundheits- und Qualitätsförderung besser werden können. Band 1: Schritte zur guten Schule. Bern: hep verlag.

Buber, M. (2006). Das dialogische Prinzip. 10. Auflage. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus.

Buchen, H. & Rolff, H.-G. (Hrsg.) (2006). Professionswissen Schulleitung. Weinheim, Basel: Beltz.

DAK & Unfallkasse NRW (2012). Handbuch Lehrergesundheit – Impulse für die Entwicklung guter gesunder Schulen. Köln: Carl Link Verlag. Online: www.handbuch-lehrergesundheit.de (mit ergänzenden Materialien) [15.09.2014].

Dubs, R. (1994). Die Führung einer Schule. Stuttgart: Steiner.

Faust, V. (2011). Von Amok bis Zwang. Landsberg: ecomed.

Frank, G. & Storch, M. (2011). Die Mañana-Kompetenz. Auch Power-Menschen brauchen Pause. München: Piper.

Harazd, B., Gieske, M. & Rolff, H.-G. (2009). Gesundheitsmanagement in der Schule. Lehrergesundheit als neue Aufgabe der Schulleitung. Köln: LinkLuchterhand.

Hattie, J. (2014). Lernen sichtbar machen für Lehrpersonen. Baltmannsweiler: Schneider Verlag.

Heyse, H. (2011). Herausforderung Lehrergesundheit. Handreichungen zur individuellen und schulischen Gesundheitsförderung. Seelze: Klett/Kallmeyer.

Hurrelmann, K. & Richter, M. (2013). Gesundheits- und Medizinsoziologie. Eine Einführung in sozialwissenschaftliche Gesundheitsforschung. 8., überarb. Auflage. Weinheim: Beltz/Juventa.

Kaluza, G. (2011). Salute! Was die Seele stark macht. Programm zur Förderung psychosozialer Gesundheitsressourcen. Stuttgart: Klett-Cotta.

Kéré Wellensiek, S. (2012a). Fels in der Brandung statt Hamster im Rad. Zehn praktische Schritte zu persönlicher Resilienz. Weinheim: Beltz.

Kéré Wellensiek, S. (2012b). Resilienz-Training für Führende. So stärken Sie Ihre Widerstandskraft und die ihrer Mitarbeiter. Weinheim: Beltz.

Kéré Wellensiek, S. (2014). Resilienz – Kompetenz der Zukunft. Weinheim: Beltz.

Klapps, P. (2012). Das Kolibri-Prinzip. Leicht & spielerisch Ressourcen stärken. Freiburg: Kreuz.

Krause, C. & Mayer, C.-H. (2012). Gesundheitsressourcen erkennen und fördern. Training für pädagogische Fachkräfte. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Lüde, Rolf von (2002). Konstruktivistische Handlungsansätze zur Organisationsentwicklung in der Schule. In: R. Voß (Hrsg.): Die Schule neu erfinden. Systemisch-konstruktivistische Annäherungen an Schule und Pädagogik. 4., überarbeitete Auflage. Neuwied: Luchterhand, S. 282–299.

Rolff, H.-G. (2013). Schulentwicklung kompakt. Modelle, Instrumente, Perspektiven. Weinheim: Beltz.

Ruf, U. & Badr, N. (2002). Dialogischer Unterricht als pädagogisches Versuchshandeln. Instruktion und Konstruktion in einem komplexen didaktischen Arrangement. In: R. Voß (Hrsg.): Unterricht aus konstruktivistischer Sicht. Die Welten in den Köpfen der Schüler. Neuwied: Luchterhand, S. 66–84.

Sacher, W. (2009). Leistungen entwickeln, überprüfen und beurteilen. Bewährte und neue Wege für die Primar- und Sekundarstufe. 5. Auflage. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

Schaarschmidt, U. & Fischer, A.W. (2013). Lehrergesundheit fördern – Schulen stärken. Ein Unterstützungsprogramm für Kollegium und Leitung. Weinheim: Beltz.

Schaarschmidt, U. & Kieschke, U. (Hrsg.) (2007). Gerüstet für den Schulalltag. Psychologische Unterstützungsangebote für Lehrerinnen und Lehrer. Weinheim: Beltz.

Schratz, M. (1998). Schulleitung als change agent: Vom Verwalten zum Gestalten von Schule. In: H. Altrichter, W. Schley, & M. Schratz (Hrsg.): Handbuch zur Schulentwicklung. Innsbruck, Wien: Studien-Verlag, S. 160–189.

Schratz, M. (2004). Schule als Organismus. Gesunde Schule braucht Schulentwicklung. Vortrag zu Schule & Gesundheit am 24.3.2004 in Frankfurt am Main.

Seitz, H. & Capaul, R. (2005). Schulführung und Schulentwicklung. Bern, Stuttgart, Wien:

Haupt.

Sieland, B. (2008). Nachhaltige Gesundheitsförderung – als Entwicklungsarbeit von Lehrerinnen und Lehrern. In: G. Brägger, N. Posse & G. Israel (Hrsg.) (2008): Bildung und Gesundheit. Argumente für eine gute und gesunde Schule. Bern: hep verlag, S. 389–469.

Steiner G. (2004). Lernen – 20 Szenarien aus dem Alltag. Bern: Huber.

Storch, M. (2014). Das Zürcher Ressourcen Modell ZRM: Ressourcen aktivieren mit Motto-Zielen. In: J. Schaller & H. Schemmel (Hrsg.): Ressourcen. Ein Hand- und Lesebuch. Tübingen: dgvt, S. 247–259.

Helmut Heyse

Kapitel 2 Leitbilder

Kompass fürs Leben


Mit »Leitbild« bezeichnen wir Vorstellungen – eben Bilder – davon, wie wir in unseren verschiedenen beruflichen und privaten Rollen »richtig« handeln, um in Einklang mit uns selbst zu sein, von anderen akzeptiert zu werden oder bestimmte Ziele zu erreichen.

Es ist Victor Frankl zuzustimmen, wenn er sagt: »Im Gegensatz zum Tier sagt dem Menschen kein Instinkt, was er muss, und im Gegensatz zum Menschen in früheren Zeiten sagt ihm keine Tradition mehr, was er soll – und nun scheint er nicht mehr recht zu wissen, was er eigentlich will« (Frankl 2013, S. 24). Deswegen bleibt uns nicht erspart, für unsere verschiedenen Aufgaben und Rollen selbst Leitbilder zu entwickeln oder im Lauf unserer Sozialisation übernommene Leitbilder kritisch zu prüfen. Davon handelt dieses Kapitel; es möchte Sie animieren, sich mit Ihren Leitbildern auseinanderzusetzen.

2.1 Leitbilder als Orientierungshilfe

Leitbilder haben auf unseren beruflichen und privaten Alltag sowie auf unsere mittel- und langfristige Lebensperspektive prägenden Einfluss. Sie motivieren uns – bewusst oder unbewusst – zu bestimmtem Verhalten, Fühlen und Denken und halten uns von anderen Verhaltensweisen und Gedanken ab. Sie geben uns Orientierung, welche Ziele wir für uns selbst erstrebenswert finden und anstreben wollen. Sie steuern unsere Interaktionen, d. h., was wir bei anderen bewirken wollen und was sich andere uns gegenüber erlauben dürfen. Sie geben dem Einzelnen gleichsam wie Normen Entscheidungshilfe und Vergewisserung über das für ihn richtige Denken und Handeln. Wir rechtfertigen damit unser Tun und Lassen vor uns selbst und gegenüber anderen, und wir fühlen uns im Reinen, wenn wir uns leitbildgemäß verhalten. Dabei schreiben wir unseren Leitbildern unterschiedliche Grade von Verbindlichkeit zu. Es gibt solche, die unbedingt beachtet werden müssen, für die wir auch notfalls kämpfen, andere sollten nach Möglichkeit befolgt werden und wieder andere entsprechen eher dem Motto »nice to have«.

2.2 Leitbilder entscheiden über die Akzeptanz von ­Veränderungen

Leitbilder entscheiden auch mit, ob und wie wir uns auf Veränderungen einlassen. Ein Vorsatz, ein Bedarf oder ein Bedürfnis nach Veränderung werden mit größerer Wahrscheinlichkeit realisiert, wenn sie mit den Forderungen aus unseren Leitbildern zusammenpassen (Sieland & Heyse, 2010). So ist zu erwarten, dass z. B. Vereinbarungen in einem Kollegium, so weit wie möglich offene Unterrichtsformen zu praktizieren, vermutlich von den einzelnen Lehrpersonen zuverlässiger eingehalten werden, wenn sie selbst der Überzeugung sind, dass Schülerinnen und Schüler auch lernen, wenn sie Spielräume in Bezug auf Inhalte, Wege und Zeiten erhalten.

2.3 Leitbilder sind rollenspezifisch

In den verschiedenen Rollen im privaten und beruflichen Feld gelten unterschiedliche Leitbilder, z. B. als (Ehe-)Partner oder Partnerin, Mutter/Vater, Sohn/Tochter, Bruder/Schwester bzw. als Lehrperson, Kollegin und Kollege, Klassen-/Fachlehrerin oder -lehrer, Führungsperson, Autofahrerin, Restaurantbesucher usw. Bernhard Sieland spricht von »Rollenhaushalt« (Sieland & Heyse, 2010). Diese Leitbilder müssen keineswegs konsistent sein; sie können in den verschiedenen Rollen und Lebensräumen sogar diametral auseinanderfallen. Die liebevolle Mutter kann sich als Lehrerin ihren Schülerinnen und Schülern gegenüber durchaus abweisend und erniedrigend verhalten.

Rollenspezifische Leitbilder können einander sogar widersprechen und uns in innere und äußere Konflikte bringen. Das Bemühen z. B., die beruflichen Anforderungen möglichst perfekt zu erfüllen, kann kollidieren mit dem gleichzeitig bestehenden Leitbild vom fürsorglichen Familienvater oder dem engagierten Verbandsfunktionär.

2.4 Leitbilder entwickeln sich

Leitbilder entwickeln sich in der Regel ohne die bewusste Entscheidung einer Person, so zu sein oder zu werden wie eine andere Person. Zunächst sind sie überwiegend an den Menschen des engeren und weiteren Umfelds ausgerichtet. Die Interaktion mit den ersten Bezugspersonen lässt uns lernen, welches Verhalten, Denken, Sprechen in Familie, Schule und Freundeskreis akzeptiert wird und welches nicht, welche Lebensmaximen gelten. Werden diese Erfahrungen verinnerlicht, zur eigenen Handlungsorientierung übernommen, bekommen sie – oder aber ihr Gegenteil – Leitbildcharakter. Die Pubertät ist die Zeit, in der diese frühen Leitbilder infrage gestellt, durch andere ersetzt werden – manchmal nur vorübergehend, bis man merkt, dass sie doch nicht so schlecht waren.

Mit zunehmender Erweiterung des persönlichen Horizonts steht prinzipiell eine sehr facettenreiche Palette an Mustern zur Verfügung: religiöse, ethisch-moralische, philosophische, politische, wirtschaftliche, pädagogische Konzepte, Ideen, Theorien, Ziele, Orientierungen – oder auch »öffentliche« Personen aus Literatur, Sport, Musik, Fernsehen usw. Sich daraus einen roten Faden für den Lebensplan zu knüpfen (Keupp, 2013), ist eine Herausforderung. Frühere Generationen – vor nicht allzu langer Zeit – konnten da auf bewährte Lebensmuster zurückgreifen (siehe Zitat V. Frankl), die quasi als »Schnittmuster« für die Lebensführung (Keupp et al., 2006) dienten. Die Individualisierung einerseits und die globalen Angebote von Lebensentwürfen andererseits machen es zu einer geradezu »unternehmerischen Leistung« ­(Bröckling, 2007), seinen Lebensweg zu gestalten.

Allerdings halten unsere Leitbilder nicht »ewig«; sie verändern sich – z. B. in den Lebensphasen, mit unserer persönlichen und beruflichen Weiterentwicklung und als Reaktion auf die Entwicklungen der Rollenpartner (Willi, 2007). Auch gesellschaftliche, ökonomische, ökologische und politische Veränderungen beeinflussen unsere Leitbilder. Zudem besteht zwischen Rolle und Leitbild ein wechselseitiges Verhältnis: Rollenänderungen, z. B. durch den Wechsel vom Single zum Ehepartner oder durch eine Beförderung vom Lehrer zum Schulleiter, verlangen auch Anpassungen bzw. Neudefinition der Leitbilder. Andererseits kann die Neujustierung eines Leitbilds zur Veränderung bisherigen Rollenverhaltens oder zur Übernahme neuer Rollen führen, z. B. wenn ein erfolgreicher Investmentbanker aussteigt, weil ihm seine finanziellen Aktionen fragwürdig werden.

Irritierend finden wir es allerdings, wenn Menschen ihre Leitbilder ständig wechseln oder inkonsistent damit umgehen; dies beeinträchtigt die Verlässlichkeit und das Vertrauen.

2.5 Kooperative Klärung von Leitbildern

Seinen eigenen Leitbildern kann man in Ansätzen durch Nachdenken auf die Spur kommen. Es gibt dazu aber auch diagnostische Instrumente zur Selbsterkundung, z. B. informelle, teilweise auch objektivierte und standardisierte Fragebogen – sofern man sich selbst gegenüber ehrlich ist. Hilfreicher noch scheint die Auseinandersetzung mit anderen Personen, »kritischen Freunden«, die als Spiegel dienen können, ungewohnte Perspektiven aufzeigen, auf blinde Flecken aufmerksam machen, Selbstverständlichkeiten infrage stellen (siehe Kapitel 3 »Spiegelkabinett – Wer bin ich, wer kann ich sein und woher weiß ich das?« und Kapitel 4 »Teamarbeit zwischen Belastung und Bereicherung«).

Das Lernarrangement KESS z. B., die »Kooperative Entwicklungsarbeit zur Stärkung der Selbststeuerung« von Bernhard Sieland (Sieland & Heyse, 2010) bietet Anleitungen dafür, wie man in solchen »Entwicklungsteams« Klarheit über sich selbst und seine Ziele erhalten und sich gemeinsam auf neue Wege und Ziele einlassen kann.

2.6 Leitbild und Gesundheit

Die Auseinandersetzung mit seinen eigenen Leitbildern ist auch unter dem Gesichtspunkt der Gesunderhaltung angezeigt.

Psychische Gesundheit kann als lebenslange Aufgabe verstanden werden (Heyse, 2011), immer wieder ein Gleichgewicht herzustellen zwischen

■seinen beruflichen und privaten Aufgaben, externen Erwartungen, Anforderungen und Belastungen, also dem SOLLEN,

■seinen Zielen, Ansprüchen, subjektiven Theorien, Qualitätsmaßstäben, Erwartungen, also seinem WOLLEN und

■seinem KÖNNEN, d. h. seinen kognitiven, emotionalen, sozialen und personalen Ressourcen, Fähigkeiten und Kenntnissen.

Unter dem Gesundheitsaspekt nimmt das WOLLEN eine besondere Stellung ein. Leitbilder manifestieren sich in unseren Zielen, Ansprüchen, subjektiven Theorien, Qualitätsmaßstäben, Wertvorstellungen. Unser WOLLEN (bzw. Nicht WOLLEN) definiert im Verhältnis zum KÖNNEN und SOLLEN, was wir als Herausforderung, Bewährung, Erfolg, Beglückung und Zufriedenheit erleben oder als Scheitern, Hindernis, Versagen, Fehler, Beeinträchtigung und Überforderung betrachten. Dabei kann ein leichtes Übergewicht des WOLLENs Ansporn für die eigene Weiterentwicklung sein, damit man nicht selbstgenügsam und das Leben langweilig wird. Wer sich jedoch immer wieder mit selbst gesetzten oder fremd bestimmten Zielen, die er durch eigenes Handeln auch nicht annähernd erreichen kann, überfordert, riskiert permanente Versagens­erlebnisse mit der Folge der Resignation und der Gefahr von Depressionen. In diesem Zusammenhang empfiehlt sich die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen sogenannten inneren Antreibern. Darunter versteht man als Leitbilder wirksame Lebensmaximen, die wir im Lauf unserer Sozialisation erwerben, etwa: »Du bist nur was, wenn du was leistest«, »Mach es allen recht« oder »Du musst immer Sieger sein, lass dir nichts gefallen«. Andernfalls sind diese Imperative ein sicherer Weg, aus einem Leitbild ein Leidbild werden zu lassen.

Dieses Modul soll Sie anregen, sich mit Ihren Leitbildern auseinanderzusetzen, gleichsam wie in einem Leitbilder-Buch zu blättern. Jede dieser Fragen ist es wert, darüber zu reflektieren – am besten mit einem kritischen Freund. Denn wer sich seine Leitbilder nicht hin und wieder bewusst macht und ggf. anpasst, wird aus dem Rahmen fallen.

Meine Lebensleitbilder

■Woran orientieren Sie sich in Ihrem Handeln, Denken und Fühlen? Was sind Ihre ethischen und moralischen Wertvorstellungen? Was sind Ihre inneren Antreiber?

■Welche Rollen spielen für Sie Vorbilder, Verhaltenstypen, bestimmtes Modellverhalten?

■Wie möchten Sie Ihre beruflichen und privaten Rollen, Anforderungen, Aufgaben, Problemlagen, Krisen usw. angehen und bewältigen? Was möchten Sie gern – und was auf keinen Fall – erreichen?

■Wie gehen Sie mit sich widerprechenden Rollenleitbildern um? Wie lösen Sie Rollenkonflikte?

■Wie verhält es sich mit Ihrem KÖNNEN – WOLLEN – SOLLEN? Wie passen Ziele und Aufgaben mit den verfügbaren Ressourcen zusammen? Auf welche Ressourcen können Sie zurückgreifen?

■In welcher Art und Weise möchten Sie mit Anvertrauten, Abhängigen, Freunden, Gegnern etc. umgehen? Wie möchten Sie mit Ansehen, Macht und Autonomie umgehen?

■Was sind Ihre Ansprüche an Ihre Rollenpartnerin oder Ihren -partner, was erwarten Sie von ihnen? Wie vertragen sich Ihre Leitbilder mit denen der Partnerinnen und Partner? Wo ist Ihre Toleranzschwelle gegenüber

anderen Leitbildern?

■Wie möchten Sie von anderen gesehen werden?

■Sind Sie daran interessiert, Ihre Handlungen, Haltungen, Denkkategorien etc. zu evaluieren, Feedback dazu zu erhalten? Wie entwickeln Sie Ihre Orientierungsmuster weiter? Welchen Einfluss haben Veränderungen, Verluste, Zugewinne, Hindernisse bei Ihnen selbst und/oder in Ihrem Umfeld auf Ihre Vorstellungen von gelingendem Leben?

■Aber auch: Welche Erwartungen haben Sie an das Leben, an den Tod?

Meine Berufsleitbilder

■Wieso bin ich Lehrerin oder Lehrer geworden? Von welchem Leitbild, erlebten Vorbild, Modell – auch Gegenmodell – war/bin ich beeinflusst?

■Welches Bild habe ich von einer guten Lehrerin und einem guten Lehrer? Von der Schule, dem Unterricht und was damit zusammenhängt?

■Wer ist so, wie ich sein möchte? Oder wo/bei wem sehe ich Haltungen, Verhaltensweisen, an denen ich mich orientiere?

■Wie sehe ich mich als Fachlehrerin oder Klassenlehrer? Wie definiere ich mein Verhältnis zu den Schülern, Klassen und Kolleginnen?

■Was erwarte ich vom Führungspersonal (Schulleitung, Schulaufsicht)?

■Welche Rolle spielen für mich Schüler-Eltern?

■Wie viel will ich in die Weiterentwicklung meiner Schule investieren?

Unser Leitbild als Schule: Die Klärung des Leitbildes gehört zum Kern eines schulischen Entwicklungsprozesses

Für eine gute gesunde Schule ist es eine unabdingbare Voraussetzung, sich darüber klar zu werden, welche Regeln gelten, welches pädagogische Konzept ihr Handeln bestimmt, welche inhaltlichen Schwerpunkte sie verfolgt, wie sie nach innen und außen wirken will (siehe Kapitel 5 »System Schule – Wie gesund ist unsere Schule und woher wissen wir das?«). Während Individuen relativ frei sind in der bewussten Wahl ihrer Leitbilder bis hin zur Kriminalität, wird den Schulen durch den Bildungs- und Erziehungsauftrag die Grundorientierung vorgegeben. Schulgesetze und Verordnungen bestimmen den Rahmen, in dem die Schule ihre eigene Profilbildung vornehmen, ihr Leitbild erarbeiten und formulieren kann. Die Klärung des Leitbilds einer guten und gesunden Schule schließt auch die Frage ein, wie die Gesunderhaltung und Gesundheitsförderung der unmittelbar an der Schule Beteiligten gesichert werden kann.[2] Die Qualitätsdiskussion muss Bildung und Gesundheit gleichermaßen umfassen, wenn Lehrerinnen und Lehrer ihre Professionalität erhalten und den Schülerinnen und Schülern nachhaltige und positive Grundlagen für ihr Leben vermitteln wollen.

Die recht abstrakte Vorgabe des Bildungs- und Erziehungsauftrags muss dazu heruntergebrochen werden auf eine operationalisierte Ebene, die handlungsrelevante Alltagstauglichkeit besitzt. Das wird im Villenviertel Südhanglage anders aussehen als im Plattenbauvorort. Dazu helfen vielleicht folgende Fragen:

■Wie und mit welchem Ziel realisieren wir den Bildungs- und Erziehungsauftrag in unserer spezifischen Situation?

■Wo sind unsere Schwerpunkte? Wie grenzen wir uns von anderen ab?

■Was können wir von anderen lernen?

■Welche Modelle, Theorien und Konzepte können wir nutzen?

■Wie bemühen wir uns um Evaluation?

■Was sind unsere Grundsätze/Regeln für unser Zusammenleben in der ­Schule?

■Wie gehen wir mit Regelversetzungen durch Lehrkräfte und durch Schülerinnen und Schüler um?

■Was möchten wir mit den Schülerinnen und Schülern erreichen?

■Welche Rolle spielen die Eltern in unserem Schulprogramm?

■Wie stehen wir zu Erwartungen der Schulbehörde, Gemeinde, Wirtschaft …?

■Wie halten wir es mit der Ökologie an der Schule: Lärm/Akustik, Luft, Ambiente?

■Welche Bilder leiten uns in Bezug auf

■Organisation/Verwaltung?

■kollegiale Unterstützung, Konkurrenz, Hierarchie?

■Gruppierungen, Cliquen, Koalitionen?

■Anerkennung, Wertschätzung?

■Personalentwicklung, Professionalität?

■Krisenintervention?

■Ressourcen, Belastungen?

■Schulkultur?

■Welche Botschaften senden wir bewusst oder unbeabsichtigt an die Schülerinnen und Schüler, Eltern, Gemeinde, Schulaufsicht etc.?

Die Antworten sind in einer Schule nur in intensiver, manchmal auch ­mühevoller kollegialer Auseinandersetzung (siehe Kapitel 4 »Teamarbeit zwischen Belastung und Bereicherung«) zwischen den unterschiedlichen Leitbildern der Beteiligten und Betroffenen auf dem Hintergrund des Bildungs- und Erziehungsauftrags zu finden und müssen immer wieder evaluiert und aktualisiert werden.

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9783035502503
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