Читать книгу: «Love is not a Choice», страница 3

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Ich hob die Augenbrauen. »Beeindruckend.«

Louisa schenkte mir ein Lächeln und schaute kurz an mir herunter. »Du glaubst nicht, wie viel man anhand der Körpersprache lesen kann.« Ihr Lächeln vertiefte sich und sie steckte sich gelassen einen weiteren Nacho in den Mund, als hätte sie nicht gerade etwas Zweideutiges gesagt. Ich schaute schnell zu den Nachos, da ich sie sonst weiter angestarrt hätte. Diese Frau. Sie war wirklich erstaunlich. Ich schnappte mir einen Nacho, darauf bedacht, Louisa dabei nicht zu berühren. Wir saßen so nah nebeneinander, dass die fünf Zentimeter Breite der Nachopackung das Einzige war, das uns voneinander trennte. Andererseits gab es auch Freundinnen, die direkt aufeinandersaßen, also war das wohl nichts Besonderes. Kurz dachte ich an meine beste Freundin Nora. Wenn wir bei ihr einen Filmabend machten, schliefen wir am Schluss meistens nebeneinander auf dem Sofa ein. Doch sie war wie jeden Sommer bei ihrer Familie in Italien und daher sah ich sie erst wieder in einer Woche in der Schule.

Als der Abspann begann, lehnte ich mich zufrieden zurück. Die anderen Kinogäste erhoben sich, als sei der Teufel hinter ihnen her und strömten auf den Ausgang zu. Ich sah meistens den Nutzen nicht, sofort aufzuspringen. Stattdessen schaute ich Louisa an.

»Und?«, sagte ich nur und lächelte. Mit einer Hand schob ich mir eine Haarsträhne hinter das Ohr. Meine blonden Haare waren ein starker Kontrast zu Louisas schwarzen, fiel mir amüsiert auf.

Louisa erwiderte das Lächeln. »Du hast einen guten Film ausgesucht.«

»Danke, ich hab´ als professionelle Ticketverkäuferin halt ein Auge dafür«, grinste ich.

»Das dachte ich mir schon«, meinte Louisa zwinkernd. »Gehört bestimmt zur Ausbildung.«

Ich musste lachen und griff nach Louisas Hand, um ihr zu bedeuten, dass wir uns nun langsam auch zum Ausgang bewegen konnten. »Natürlich, ich muss zwangsläufig immer wieder Filme schauen«, witzelte ich auf dem Weg nach draußen weiter.

»Oh je, das ist wirklich ein harter Job«, zeigte Louisa Mitleid.

Ich quittierte ihren Kommentar mit einem Lachen und spazierte glücklich grinsend neben Louisa aus dem Saal. Als ich im grellen Licht des Kinoeingangs stand, wurde mir bewusst, dass die Zeit mit Louisa für heute bald vorüber war. Ich musste wahrscheinlich Mia abholen gehen und wir würden uns verabschieden müssen.

»Alles okay?«, fragte Louisa, die gemerkt hatte, dass mein Lächeln etwas erloschen war.

Ich nickte schnell und kramte mein Smartphone aus meiner Tasche.

»Ja, ich muss nur schauen, ob meine Tante was geschrieben hat.« Als ich auf den Bildschirm schaute, sah ich, dass ich zwei SMS und einen verpassten Anruf hatte. Der Anruf sowie eine der beiden SMS waren von Nate und augenblicklich bekam ich Schuldgefühle. Ich hatte den ganzen Abend hindurch kaum an ihn gedacht. An der SMS sah ich, dass dies bei ihm nicht der Fall gewesen war. Er schrieb, dass er bald kein Netz mehr habe und sich daher erst am nächsten Tag wieder melden könne. Dazu hatte er mehrere Herzen geschickt. Doch ich verblieb nicht allzu lange auf seiner SMS, sondern wechselte danach zum Chat mit meiner Tante. Sie schrieb, dass Mia schon schlief, und schlug vor, dass ich sie am nächsten Morgen vor acht Uhr abholte, da sie arbeiten gehen müsse. Ich schrieb ihr rasch zurück, dass das okay war, und dankte nochmals für ihre Hilfe. Es war nun schon nach elf Uhr und es hätte mich gewundert, wenn Mia bis jetzt noch nicht geschlafen hätte.

»Und …?«, fragte Louisa vorsichtig. Sie hatte respektvoll weggeschaut, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass sie auf meinen Bildschirm schaute. Doch sie wippte etwas nervös auf den Beinen hin und her.

»Mia schläft und Nate hat noch versucht, anzurufen«, erwiderte ich und wieder erkannte ich eine Regung in ihrer Miene. Etwas an meinen Worten schien sie zu beschäftigen, denn sie wirkte auf einmal nicht mehr so unbeschwert wie noch vor noch fünf Minuten. Es schien, als sei ein Schatten über ihr Gesicht gehuscht. »Musst du irgendwann zu Hause sein?«, fragte ich sicherheitshalber nach.

Louisa schaute nervös auf die Uhr. »Nein, aber die Bahn fährt mittwochs nicht bis spät. Ich muss mich wohl bald auf den Weg machen.«

»Oh«, meinte ich bedauernd. »Wann fährt die letzte Verbindung denn?«

»Heute um halb eins.«

»Und wie lange brauchst du bis nach Hause?«

»Etwa eine halbe Stunde.«

»Und wie lange fährt die Bahn noch in die Stadt?«, fragte ich weiter.

»Die fährt noch bis halb zwei Uhr in die Stadt und dann weiter ins Depot.«

»Okay, ich komme mit«, beschloss ich und lächelte.

Louisa sah mich erstaunt an. »Was?«

»Ich begleite dich bis nach Hause«, wiederholte ich. Dann hatten wir noch eine halbe Stunde zusammen und sie konnte auf ihre letzte Verbindung gehen.

»Oh… das ist lieb. Bist du dir sicher, dass du nachher noch eine halbe Stunde zurückfahren willst?«

Ich nickte. Ich war mir sicher. »Ich hab´ Zeit schon schlimmer verbracht«, kommentierte ich trocken.

Louisa musste lachen und stimmte endlich mit ein, nun schien der Schatten über ihrer Miene wieder verschwunden zu sein. Nebeneinander verließen wir das Kino und Louisa führte mich zu der Straßenbahn, die sie benötigte. Wir unterhielten uns noch etwas über den Film und waren uns beide einig, dass die rebellische Frau der beste Charakter gewesen war. Selbstständig und stark, das gefiel mir. Zwar hatte sie am Schluss den Mann dennoch zurückgewollt, aber nicht, weil sie ihn gebraucht hatte. Ich genoss es, mich mit Louisa zu unterhalten und erst vor ihrer Haustür verstummten wir. Ich hatte mir den Weg zu ihr gut gemerkt, damit ich einerseits zurückfand, aber andererseits auch wieder herfand. Kurz schauten wir uns unschlüssig an, Louisa mit ihrem intensiven Blick, der bis in mein Innerstes ging. Erneut dachte ich daran, dass sie eine wunderschöne Frau war, und ich fragte mich, wie lange sie schon single war. Sie wurde doch bestimmt die ganze Zeit von jungen Männern angesprochen. Wies sie diese jeweils ab?

»Hm.« Louisa machte ein undeutliches Geräusch, wirkte fast schon nervös. »Also, es war ein schöner Abend, danke für den Vorschlag«, meinte sie und legte mir zur Betonung ihrer Worte die Hand auf den Unterarm, die angenehm warm war.

»Fand ich auch«, meinte ich und lächelte. »Und gerne.« Ich zögerte kurz, dann nahm ich sie zum Abschied in den Arm. »Gute Nacht, Louisa.«

»Schlaf gut«, erwiderte sie und als ich mich umdrehte und mich auf den Rückweg machte, spürte ich Louisas Blick, der mir folgte.

Kapitel 3 – Expartner

Ich war mit meiner Schwester auf dem Spielplatz und Mia rannte mit so viel Energie wie immer auf die Rutschbahn zu. Ich versuchte, nicht daran zu denken, ob Louisa und Jenny hier waren. Stattdessen konzentrierte ich mich voll und ganz auf Mia und darauf, dass sie nicht von der Rutsche fiel.

»Ich fange dich unten wieder auf, okay?«, rief ich ihr zu, als sie hinten die kleine Leiter hochkletterte, um auf die Rutsche zu kommen. Zwar konnte Mia auch problemlos die Rutschbahn hinunterrutschen, ohne dass ich sie auffing, aber es war lustiger so.

»Jaa, du musst unten warten«, verlangte Mia und setzte sich oben hin. »Uuund los …!«

Sie rutschte auf mich zu und ich fing sie mit beiden Händen auf. Kurz kitzelte ich sie, dann ließ ich sie los und sie rannte wieder zur Leiter. Das ging eine Weile so hin und her und ich fragte sie währenddem darüber aus, was sie im Tagesheim so gemacht hatte. Wir wechselten zu anderen Spielvorrichtungen und ich ertappte mich, wie ich wieder nach Jenny und Louisa Ausschau hielt. Seit gestern Abend hatten wir nicht geschrieben und ich widerstand der Versuchung, auf ihren Chat zu gehen. Es beunruhigte mich, dass ich nicht wusste, wann wir uns wieder sehen würden. Warum hatten wir kein weiteres Treffen abgemacht? So musste ich es dem Zufall überlassen, wann wir uns wieder sahen, oder halt auf ihre Nachricht warten. Aber Geduld war nicht meine Stärke. Was, wenn wir uns nicht wieder trafen und nichts weiter waren als eine Spielplatzbekanntschaft? Ich konzentrierte mich wieder auf Mia, um mich einerseits abzulenken und andererseits sicherzugehen, dass ihr nichts passierte. Ich stand nie weiter als fünf Schritte von ihr weg, um reagieren zu können, falls sie fiel. Ja, ich gab zu, ich war ängstlich, wenn es um meine Schwester ging. Solange sie in meiner Obhut war, hatte ich schließlich die Verantwortung. Nach einer Weile wechselten wir wieder zur Rutsche zurück, da Mia nie genug davon bekommen konnte. Während Mia wieder die Leiter hochkletterte, spürte ich durch eine Vibration, dass mir jemand eine Nachricht geschrieben hatte. In den Augenwinkeln immer noch auf Mia schielend, schaute ich rasch aufs Handy. Vielleicht hatte Nate gerade Internet? Ich hatte schon seit ein paar Stunden nichts mehr von ihm gehört. Doch es war Louisa, die geschrieben hatte.

»Bist du gestern noch gut nach Hause gekommen?«, fragte sie mit einem pinken Herz dahinter.

Mein Puls ging in die Höhe und rasch ging ich sicher, dass Mia immer noch unversehrt auf der Rutsche war, bevor ich die Nachricht öffnete. Ich fand es süß, dass sie das fragte, obwohl es jetzt auch zu spät wäre, falls ich verneinen würde. »Ja, es war eine ruhige Fahrt im Dunkeln«, tippte ich ins Handy. »Bin gerade ...« Ich hörte auf zu tippen, als ich eine abrupte Bewegung vor mir sah. Mia hatte sich seitlings auf die Rutschbahn gesetzt und schlitterte runter, hinter ihr ein weiteres Kind, das gefährlich wenig Abstand hielt.

»Mia, pass auf!«, rief ich und ließ das Handy fallen, während ich auf meine Schwester zueilte. Doch ich reagierte zu spät – ein Meter vor dem Ende der Bahn kippte Mia seitlich über und fiel in den Kies. Fluchend rannte ich zu ihr und ließ mich neben ihr auf die Knie fallen. Mia begann zu weinen und ich setzte sie schnell auf. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie eine weitere Mutter herbeirannte, die sich um das andere Kind kümmerte. Doch ich hatte nur Augen für Mia. Meine Gedanken rasten, aber ich gab mir Mühe, ruhig zu bleiben. Mia liefen Tränen übers Gesicht und ihre Wange blutete, ebenso wie ihre linke Hand. »Mia, Schatz, wo tut es dir weh?«

Mia hob ihre Hand und streckte sie mir entgegen, über ihre Lippen kamen bloß Schluchzer. Doch ich hatte das Gefühl, dass sie auch etwas unter Schock stand und deswegen weinte. Dennoch schaute ich mir die Hand genauer an. Das Blut kam aus Schürfwunden vom Kies, doch mehr konnte ich nicht erkennen. »Beweg mal deine Hand«, bat ich sie und versuchte, ihr die Tränen wegzuwischen.

Mia bewegte langsam ihre linke Hand und weinte sogleich heftiger.

»Tut das weh?«, fragte ich und versuchte, ruhig zu bleiben. Mit einer Hand angelte ich nach meiner Tasche und meinem Handy, das ich in der Hektik fallen gelassen hatte. Am liebsten würde ich jetzt selbst zu weinen beginnen, doch das konnte ich mir nicht leisten.

Mia nickte wimmernd und ich fluchte innerlich. Was, wenn sie sich ernsthaft verletzt hatte? Ausgerechnet jetzt? Hastig holte ich Taschentücher aus der Tasche und wischte ihr erstmal das Blut von der Hand und der Wange. Die Schürfwunden würden wieder heilen. »Okay Schatz, wir gehen jetzt nach Hause und kühlen deine Hand, ist gut?« Ich packte schnell meine Sachen zusammen, hob das kleine Mädchen hoch und ignorierte dabei alle Blicke auf mir. Mia ließ mich machen und schmiegte sich an meine Schulter. Bestimmt waren meine Kleider nun voller Blut.

»Das andere Mädchen wollte auch rutschen«, jammerte Mia, als wir aus der Straßenbahn stiegen. Sie weinte nun beinahe nicht mehr und ich hatte Hoffnung, dass nichts Schlimmes passiert war.

»Wie meinst du? Hat sie dich gestoßen?«

»Sie wollte sich vordrängen«, erwiderte Mia schniefend. »Aber ich war ja vor ihr dran!«

Ich seufzte. Ich hätte keine SMS schreiben dürfen! Was bin ich bloß für eine verantwortungslose, schlechte Schwester?! »Mia, du darfst nur rutschen, wenn du alleine bist auf der Bahn, okay?«

Mia nickte mit großen Augen.

»Aber du hast recht, das andere Mädchen hätte warten müssen«, fügte ich hinzu. Ich trug sie immer noch im Arm und langsam wurde sie schwer. Es waren nur noch ein paar Schritte bis zu unserer Haustür. Wieder spürte ich, wie ich Nachrichten bekam, aber dieses Mal ignorierte ich sie. Wenn Mia etwas Ernstes zugestoßen wäre, könnte ich mir das nie verzeihen.

In der Küche wusch ich ihr nochmals das Blut weg, versorgte ihre Schürfwunden und holte dann ein Kühlpad für ihre Hand. Zum Glück waren die Schürfungen nicht sehr tief und würden schon bald kaum mehr sichtbar sein. Auch ihre Hand sah nicht so schlimm aus, wie ich es befürchtet hatte. Sie konnte sie bewegen, wenn auch unter Schmerzen, daher vermutete ich, dass es nicht gebrochen war. Sonst würde sie schreien. Eine Weile lang saßen wir stumm da, ich in Gedanken versunken und den Arm um meine kleine Schwester gelegt. Mein Blick lag auf ihrer Hand, die sie sich auf den Schoss gelegt hatte. »Jessie, jemand ruft dich an«, informierte mich Mia mit großen Augen. Sie nickte zu meinem Handy, das neben uns auf dem Tisch lag und verzweifelt vibrierte.

»Das kann warten«, meinte ich, ohne hinzuschauen. War das Nate? »Erst muss es deiner Hand besser gehen.«

Mia zuckte mit den Schultern. »Das Handy ändert doch nichts«, erwiderte sie neunmalklug und lehnte sich einigermaßen zufrieden gegen mich. Ich war unendlich erleichtert, dass sie mir anscheinend nichts übel nahm und außerdem sehr gut mit der Situation umging. Doch das Handy hatte nun schon wieder aufgehört zu klingeln und ich ließ es liegen.

»Weißt du noch, als ich mal von der Schaukel gefallen bin?«, fragte Mia jetzt.

Ich erinnerte mich noch gut. Damals waren ihre Eltern jedoch auch dabei gewesen und das Ganze hatte ein eher lustiges Ende gehabt. Ich musste lächeln. »Da hat dich Papa aufgefangen«, meinte ich und freute mich, sie lächeln zu sehen. »Das hätte ich jetzt auch machen müssen …«

Mia schüttelte den Kopf. »Aber du bist ja nicht so stark wie Papa«, sinnierte sie und ich korrigierte ausnahmsweise nicht, dass Frauen auch stark sein konnten. Denn sie hatte Recht – mein Stiefvater Paul war um einiges größer und muskulöser als ich.

»Das stimmt, Kleine«, musste ich also zugeben. Ich zuckte zusammen, als mein Handy wieder zu klingeln begann. Die Person war wirklich insistierend.

»Jetzt geh ran«, forderte mich Mia auf, die sah, wie ich zum Handy schielte. Ich zögerte, tat dann aber, wie meine kleine Schwester es mir befahl. Auch damit hatte sie Recht – es änderte nichts mehr, ob ich jetzt kurz ans Handy ging oder nicht. Es war schon passiert.

Anders als erwartet war es nicht Nate, sondern Louisa. »Hallo Louisa«, grüßte ich mit etwas zittriger Stimme.

»Jessica?«, fragte Louisa sogleich. Sie klang außer Atem. »Alles okay bei dir?«

Ich zögerte. Woher wusste sie, dass etwas nicht stimmte?

»Du hast mir eine seltsame Nachricht geschrieben …«, fuhr Louisa fort, als ich keine Antwort gab. »Daher wollte ich fragen, ob …« Sie ließ das Ende des Satzes in der Luft hängen, als ob sie nicht wusste, was sie fragen wollte.

»Wenn du schon fragst …«, meinte ich jetzt zerknirscht und holte tief Luft. »Während ich getippt habe, ist Mia von der Rutsche gefallen.«

Kurz herrschte Stille. »Was?!« Louisa klang bestürzt. »Ist alles okay mit ihr? Brauchst du Hilfe?«

Wieder zögerte ich. »Na ja, sie hat Schürfwunden und ihre Hand tut ihr weh.« Es war seltsam, über Mia zu reden, während sie bei mir auf dem Schoss saß. »Ich weiß nicht, wie ernst es ist.«

»Mist! Soll ich zu dir kommen?«, bot sie erneut an und mir fiel auf, dass ich darauf noch keine Antwort gegeben hatte.

Ich war gerührt über ihre Fürsorge, und dass sie anbot, direkt hier aufzukreuzen. Kurz fragte ich mich, ob das Nate auch tun würde, drängte den Gedanken dann aber beiseite. Das konnte man nicht vergleichen. »Bist du denn zu Hause?« Zwar schrie alles in mir, dass ich mir nichts sehnlicher wünschte, als Louisa zur Unterstützung bei mir zu haben. Aber ich fühlte mich auch etwas schlecht, wenn sie deswegen von zu Hause bis hier herkommen musste.

»Ja, aber wenn ich das Auto nehme, bin ich in fünfzehn Minuten da«, erwiderte Louisa. »Lass das meine Sorge sein.«

Ich nickte seufzend, obwohl sie das nicht sehen konnte. »Okay, würde mich freuen«, meinte ich dann.

»Gut, bis bald«, sagte Louisa und legte schon auf, als ich »bis dann« erwiderte. Ich schaute hinunter zu Mia, um ihr zu sagen, dass Louisa kommen würde. Doch als ich sie ansprechen wollte, sah ich, dass sie auf mir eingeschlafen war. Gerührt beugte ich mich zu ihr hinunter und strich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Sie schlief friedlich und atmete regelmäßig. So weit, so gut. Höchstwahrscheinlich war es wirklich nicht viel mehr als ein Schock gewesen, denn wenn ihre Hand verstaucht oder gebrochen wäre, würde sie kaum so ruhig schlafen können. Behutsam nahm ich sie in den Arm und trug sie zum Sofa. Dort legte ich sie hin, deckte sie zu und setzte mich anschließend daneben. Obwohl ich beinahe sicher war, dass es ihr bald wieder gut gehen würde, wich der Druck nicht von meiner Brust. Ich schaute sie stumm an, bis Louisa fünfzehn Minuten später an der Tür klingelte.

»Ich hätte dich nicht ablenken sollen.« Louisas karamellfarbene Augen waren voller Reue. Sie saß neben mir auf dem Sofa, Mia schlief immer noch. Das Kühlpad war mittlerweile warm geworden und ich hatte ihr vorsichtig ein neues gemacht.

»Nein, das konntest du ja nicht wissen«, widersprach ich. Louisa hatte mich sofort in den Arm genommen und mich erzählen lassen, was genau passiert war. »Ist meine Schuld, dass ich aufs Handy geschaut habe.«

»Ich verstehe, dass du das denkst, aber du hättest es auch sonst nicht verhindern können«, meinte Louisa nun und schüttelte den Kopf. Sie hatte wohl meinen bitteren Unterton gehört. »Das andere Kind hat sie anscheinend gedrängt und du kannst daran von unten nicht viel ändern.«

»Ich hätte schneller reagiert …«, erwiderte ich mit dem Blick auf den Boden.

Louisa legte wieder eine Hand auf meine Schulter. Sie war angenehm warm und wirkte in der Tat beruhigend auf mich. »Jessica, deine Reaktion braucht dennoch ein, zwei Sekunden«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Mach dir keine Vorwürfe. Wahrscheinlich geht es ihr wieder besser, wenn sie aufwacht.«

Ich schaute zu Mia rüber. Ihr Gesicht war entspannt und sie schlief tief und fest. Ich fragte mich, ob sie bei unserer Tante zu spät ins Bett gegangen war. »Du hast Recht«, murmelte ich und seufzte.

Kurz herrschte Stille, in der wir einfach Mia betrachteten. Doch es war eine harmonische Stille, in der ich nicht das Gefühl hatte, dass ich etwas sagen musste. Wenn ich so neben Louisa saß, hatte ich das Gefühl, als ob wir schon eine Ewigkeit miteinander verbracht hätten. In den vergangenen drei Tagen hatte ich eine unglaubliche Vertrautheit mit ihr konstruiert, für die ich normalerweise drei Monate brauchte. Ich fühlte mich wohl dabei, sie an meinem Leben teilhaben zu lassen. Und jetzt verdrängte ich auch jeden Zweifel daran, ob es ihr damit gleich erging. Bestimmt lag auch ihr etwas an mir, sonst wäre sie jetzt nicht hier aufgetaucht. Sie hätte mich nicht zweimal angerufen, nur weil sie eine unvollständige SMS von mir bekommen hatte. Als ich nun daran dachte, dass Nate erst seit drei Tagen in den Ferien war, konnte ich es beinahe nicht glauben. Obwohl Nate und ich regelmäßig in Kontakt standen und auch immer wieder telefonierten, kam mir die vergangene Zeit länger vor. Kurz dachte ich daran, wie Louisa mal einen Exfreund angedeutet hatte. Wie er wohl gewesen war?

»Wollen wir sie in Ruhe schlafen lassen?«, fragte Louisa nun in die Stille hinein und ich brauchte einen Moment, um zu begreifen, dass sie von Mia sprach.

Rasch nickte ich. »Okay«, stimmte ich zu. »Lass uns zum Küchentisch gehen, dann sehen wir sie noch.« Unsere Küche war schön eingerichtet, häufig aßen wir gleich dort das Abendessen statt im Wohnzimmer. Ich hatte mir in den vergangenen Tagen Mühe gegeben, dass der Raum aufgeräumt war und somit gästetauglich. Also setzten Louisa und ich uns an den Tisch und ich machte uns beiden einen Kaffee. Ich spürte, dass Louisa meinen Bewegungen zuschaute, aber es war mir nicht unangenehm.

»Ist das dein Freund?«, fragte Louisa unvermittelt. Sie hatte den Blick nun auf den Kühlschrank gerichtet, wo ein Foto von Nate und mir hing, inmitten von weiteren Fotos und Postkarten.

Ich warf einen Blick darauf. Das Foto war in der Anfangsphase unserer Beziehung entstanden und ich sah sehr verliebt aus. An dem Tag hatte mich Nate mit einem spontanen Ausflug überrascht. Er war mit mir in die Natur gefahren, um auf einer Blumenwiese zu picknicken. In der Tat war es ein romantisches Date gewesen. Nicht, dass ich jetzt unglücklich war, aber ich hatte manchmal das Gefühl, dass wir uns auseinanderlebten: Er wollte nach der Schule direkt mit dem Medizinstudium beginnen, ich hingegen mochte lieber zuerst reisen gehen. »Ja, das war bei einem Ausflug auf das Land«, meinte ich und setzte mich neben Louisa an den Tisch. Ich gab ihr eine Tasse und stellte ihr Zucker hin. »Das war einer unserer ersten Ausflüge.« Tagesausflüge war etwas, was Nate und ich bis heute gerne miteinander unternahmen. Uns beiden gefiel die Natur und wenn schönes Wetter war, machten wir Wanderungen oder grillten mit Freunden im Wald.

Louisa hatte mir bis vor Kurzem noch in die Augen geschaut, nun senkte sie den Blick auf die Kaffeetasse. Beinahe meinte ich, Schmerz in ihrem Blick zu erkennen, und mein Herz zog sich zusammen. Hing sie noch an ihrem Ex und hatte ich sie damit an die Trennung erinnert?

»Wie …« Ich brach ab, mein Mund war auf einmal trocken. Wie konnte ich sie danach fragen, ohne ihr zu nahe zu treten? Andererseits stellte sie auch einfach Fragen, oder? Ich fuhr mir mit der Zunge über die Lippen. »Ähm, was war denn der Grund, warum du … und dein Exfreund euch getrennt habt?«

Louisa schaute auf, der Schmerz in ihren Augen schien verschwunden, aber sie tippte nervös mit dem Finger auf ihrer Tasse herum. »Ach, das …« Sie räusperte sich und trank einen Schluck Kaffee. »Also weißt du, Angie … Angelina hatte andere Vorstellungen davon, wie unsere Beziehung laufen sollte …«

Ich stutzte. Moment mal. Angelina? Das war ein Frauenname.

Und dann ergab auf einmal alles Sinn, ich fühlte mich plötzlich so nervös, wie Louisa aussah. Louisa stand auf Frauen, nicht auf Männer! Als ich genauer darüber nachdachte, merkte ich, dass sie auch nie von einem Exfreund geredet hatte, sondern nur von einem »vergangenen Partner« oder einer »Beziehung«. Und irgendwie überraschte es mich auch nicht sonderlich, obwohl ich nicht benennen konnte, warum. Ich blickte zu Louisa und unsere Blicke trafen sich. Ihre sanften braunen Augen schauten mich leicht ängstlich an, ich sah die Verletzlichkeit darin, und dass sie atemlos auf eine Reaktion wartete. Ich legte ihr eine Hand auf den Arm und schenkte ihr ein Lächeln. »Möchtest du … davon erzählen?«, fragte ich, ohne darauf einzugehen, dass sie ein Mädchen als Exfreundin hatte.

Louisa atmete aus, ich sah regelrecht, wie erleichtert sie war. »Angie war bereits als lesbisch geoutet, als wir zusammenkamen. Ihre Eltern waren auch super unterstützend«, begann sie dann zu erzählen und betrachtete wieder ihre Tasse. In ihrer Stimme schwang Bitterkeit mit. »Aber ich nicht, und sie war für mich auch die Erste. Doch sie hat mich fortan gedrängt, dass ich es meinen Eltern sagen sollte. Das und auch andere Dinge führten zu Streit und irgendwann ging es dann zu Bruch.« Louisa schaute auf und zuckte mit den Schultern. »Sie hatte nicht verstanden, dass es nicht für alle so einfach ist, wie für sie.«

»Puh«, sagte ich, selbst schockiert über die Ignoranz von … Angelina. »Das ist wirklich nicht sehr mitfühlend von ihr. Wie lange wart ihr denn zusammen?«

»Fast ein Jahr lang.«

»Wow. Hast du noch Kontakt mit ihr?«

Louisa schüttelte den Kopf, wobei ihre Haare in ihr Gesicht flogen und ihre Mundwinkel zuckten belustigt. »Nein, ich hab´ sie komplett aus meinem Leben bugsiert.« Es hörte sich so an, als ob sie es nicht bereute.

»Okay, versteh´ ich.« Ich betrachtete sie einen Moment lang stumm und bemerkte wieder einmal, wie hübsch sie war. Eine schwarze Haarsträhne hing ihr ins Gesicht und als sie sie wegschob, fiel sie wieder zurück. Sie hatte schöne Gesichtszüge und einen Teint, den ich mir nur wünschen konnte. Ich holte tief Luft, fragte mich, ob ich sie mehr zu ihrer Freundin fragen konnte. Denn als ich nun darüber nachdachte, fielen mir hundert Fragen ein, die ich ihr stellen wollte. Wie hatte sie gemerkt, dass sie lesbisch war? Wie alt war sie gewesen?

»Frag einfach«, sagte Louisa nun unvermittelt und lachte kurz.

Ich zuckte ertappt zusammen. »Du merkst wirklich alles«, lachte ich verlegen und spürte, dass ich rot wurde. Woher kam diese plötzliche Nervosität, die meine Hände zittern ließ?

»Ist nicht allzu schwer zu erraten, Süße.«

Mein Herz begann, noch schneller zu schlagen. Ich schob mir eine Haarsträhne hinter die Ohren und setzte zum Sprechen an. Mit einer Hand umklammerte ich die Kaffeetasse, als könnte sie davonspringen. »Wenn du sagst, sie war deine Erste – meinst du damit die erste Frau oder generell die erste Person, mit der du eine Beziehung hattest?«

Louisa lächelte leicht. »Sie war generell die erste Person, mit der ich eine richtige Beziehung geführt habe«, meinte sie. Im Gegensatz zu mir wirkte sie nun nicht mehr nervös, sondern gelassen und zufrieden. »Ich hatte zuvor zwei Jungs gedatet, aber ich habe nie wirklich Interesse an ihnen entwickelt – im Gegenteil.«

Ich musste lachen. »Wie meinst du das?«

»Je näher ich ihnen kam, desto weiter wollte ich weg von ihnen«, erklärte Louisa lachend. »Der eine ist jetzt ein guter Freund von mir.«

Ich lachte noch immer. »Na, dann hast du wohl auf die Art gemerkt, dass dich Frauen mehr interessieren.«

Louisa warf mir einen intensiven Blick zu. »Genau«, bestätigte sie. »Das hab´ ich eigentlich schon lange gewusst, es aber erst wirklich wahrgenommen, als ich mich richtig in ein Mädchen verliebt habe. Weil meine …« Sie unterbrach sich mitten im Satz und holte Luft, plötzlich schien ihre Nervosität zurückgekehrt zu sein. Die Worte schienen ihr nicht über die Lippen zu kommen.

»Schon okay, du musst nicht darüber sprechen, wenn du nicht willst«, beruhigte ich sie sanft und legte ihr erneut eine Hand auf den Arm. Sie begegnete meinem Blick und ich sah dermaßen viel aufgewühlte Gefühle in ihren Augen, dass ich für einen Moment lang wie gefesselt davon war.

Nun bemühte sich Louisa um ein gezwungenes Lächeln. »Danke«, erwiderte sie aufrichtig. »Aber das spielt jetzt auch keine Rolle mehr.«

Ich lachte kurz. »Na dann«, sagte ich nur leise und drückte leicht ihren Arm, um ihr zu verstehen zu geben, dass sie mir vertrauen konnte.

»Also ich habe eigentlich vor, mich bald meinen, ähm, Eltern zu outen«, setzte Louisa nun neu an und befeuchtete nervös ihre Lippen. »Aber ich weiß einfach nicht, wie. Sie sind nicht gerade das, was man als offen bezeichnen würde …«

Ich biss mir betroffen auf die Lippen und widerstand der Versuchung, Louisa in den Arm zu nehmen. »Mist, sind sie streng gegen Homosexualität?«

Louisa nickte langsam. »Sie denken, das ist eine Krankheit, ein Fluch des Teufels oder Aufmerksamkeitshascherei …« Ihre Stimme klang belegt.

»Oh, Louisa«, murmelte ich und konnte nicht mehr widerstehen. Ich rückte näher zu ihr und nahm sie in den Arm. Sie ließ bereitwillig zu, dass ich sie einmal an mich drückte und dann den Arm nur langsam von ihr löste. »Aber dir ist bewusst, dass sie nicht Recht haben und du lieben darfst, wen du willst?« Zwar sollte man selten den Eltern anderer widersprechen, aber hier erlaubte ich es mir.

Louisa nickte und lächelte gerührt. »Danke Jessica, ja.« Sie fuhr sich einmal mit der Hand übers Gesicht und nahm dann einen Schluck Kaffee.

Ich widmete mich ebenfalls meinem Getränk und ehe ich nach den nächsten Worten suchen konnte, schreckte mich ein Geräusch aus den Gedanken. Sogleich reckte ich mich, um ins Wohnzimmer schauen zu können. Mia bewegte sich auf dem Sofa und schien aufgewacht zu sein.

»Lass uns nach ihr schauen«, meinte Louisa und erhob sich schon, nun wieder gefasst.

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