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Kapitel 2 – Filmabend
Ich dachte sofort an Louisa, als ich die Mail las. Ein neuer Romantikfilm kam ins Kino und ich hatte zudem Rabatt auf die Tickets! Die Information fand ich im Newsletter des Kinos, den ich aus Solidarität abonniert hatte. Gerade war ich auf dem Weg zum Tagesheim, um dort Mia abzuholen. Als ich die Filmbeschreibung las und dabei einen Blick auf die Spielzeiten warf, wusste ich, dass ich irgendetwas organisieren musste.
Der Film würde bereits heute Abend um neun Uhr laufen. Gerade wollte ich mir die Sache bedauernd aus dem Kopf streichen, aber da fiel mir ein, was mir meine Tante letztens gesagt hatte. Dass sie Mia gerne mal übernehmen würde, um einerseits mich zu entlasten und andererseits Zeit mit ihrer Nichte verbringen zu können. Ihre eigenen Kinder waren bereits ausgezogen und sie schien die junge Energie zu vermissen. Wäre das nicht der perfekte Moment dafür? Also rief ich noch auf dem Weg zu Mia meine Tante an. Sie verstand die Situation und freute sich, auf Mia aufpassen zu dürfen. Gleich nachdem ich aufgelegt hatte, nutzte ich die restlichen hundert Meter bis zum Tagesheim, um Louisa zu schreiben. Ich fragte sie erst einmal, was sie heute vorhatte, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.
Ich merkte, dass ich nervös auf ihre Antwort wartete, und war froh, dass Mias unerschütterliche Energie mich ablenken konnte. Was, wenn sie schon etwas geplant hatte und meine Vorkehrungen mit meiner Tante umsonst waren? Sie wirkte wie eine vielbeschäftigte Person und wenn sie auch nur halb so tickte wie ich, hatte sie schon Aktivitäten vorgeplant für die nächsten paar Tage.
Mia rannte auf mich zu, sobald sie mich sah. In der Hand hatte sie ein Blatt, das sie mir aufgeregt zeigte und sie hatte bereits Schuhe und Jacke an. »Schau, Jessie, wir haben heute gezeichnet! Ich wollte dich und mich zeichnen, das da bist du.« Sie deutete auf einen roten Kreis mit drei Strichen daran. »Und du hältst meine Hand, siehst du?«
Gerührt nahm ich das Bild in die Hand. »Wow, du hast dir ja echt Mühe gegeben«, sagte ich staunend. In der Tat waren die Kreise nicht mal so schlecht. Dafür, dass es Kreise waren. »Ist das hier die Sonne?« Da war ein gelber Kreis.
»Jaa, du hast es erkannt!« Mia hüpfte aufgeregt neben mir und ich schaute kurz besorgt auf die Straße.
»Natürlich erkenne ich das!« Ich lächelte meine kleine Schwester an. Erst, als Mia und ich zu Hause waren, schaute ich wieder auf mein Handy und sah, dass Louisa mir schon eine Antwort geschickt hatte. Sie habe nichts geplant und fragte, ob ich Unterstützung brauchte mit Mia. Ich lächelte gerührt über ihre Hilfsbereitschaft, schrieb ihr daraufhin aber den Vorschlag mit dem Filmabend im Kino. Dann legte ich das Handy wieder weg, wohlwissend, dass meine Handyzeit für heute schon aufgebraucht war.
Ich war seltsam nervös, als ich mich von meiner Tante verabschiedete und wieder auf den Weg nach Hause machte. Louisa hatte sich sehr über meinen Vorschlag gefreut. Sie würde mich um halb acht Uhr zu Hause abholen, da das Kino näher an meinem Haus war als an ihrem – sie wohnte etwas außerhalb der Stadt. Der Film begann um neun, so hatten wir noch Zeit vor dem Kino. Ich schaute immer wieder auf die Uhr und wurde mit jedem Schritt unruhiger, obwohl es erst kurz vor sechs Uhr war. Neue Freundschaften waren immer eine aufregende Sache, fand ich. Ich wollte einen positiven Eindruck hinterlassen und obwohl ich wusste, dass Louisa und ich uns gut verstanden, hoffte ich, dass es auch heute unbeschwert verlaufen würde. Ich hatte das Gefühl, dass Louisa die Art von Person war, mit der jeder gerne zusammen war. Sie strahlte eine positive Energie aus, die auf ihr Umfeld abfärbte und jede Party auflockern würde. Bestimmt war sie immer das führende Mädchen in ihrer Klasse gewesen und hatte viele Freunde. Natürlich gönnte ich ihr das, aber dennoch führten diese Gedanken dazu, dass ich mich fragte, ob ich cool genug für sie war. Was, wenn sie kein Interesse an neuen Freunden hatte? Was, wenn ich einfach ein Zeitvertreib war, weil ihre Freunde in den Ferien waren?
Ich kam zu Hause an und beschloss, mich nochmals zu duschen. Es war ein warmer Tag gewesen und ich roch nicht mehr so frisch. Also ging ich ins Badezimmer und zog mich anschließend neu an. Kurz dachte ich an Louisas Kommentar über Röcke. Mit einem leichten Lächeln auf den Lippen zog ich einen schwarzen Jeansrock aus dem Kleiderschrank. Nur, weil sie keine Röcke trug, musste das nicht heißen, dass sie es an anderen Leuten nicht mochte. Schließlich mochte ich ihre helle Kleidung, auch wenn ich selbst gerne dunkel trug. Also kombinierte ich es mit einem dunkelblauen Top, das ich in den Rock steckte. Es war ein schönes Gefühl, ungezwungen meinen Kleiderstil so wählen zu können, wie ich ihn mochte.
Als Kind hatte ich gerne dunkle Farben angezogen und auch als ich in die Pubertät kam, war ich bei dem Stil geblieben. Doch ich erinnerte mich noch gut an einen Kommentar von einem Mädchen in meiner Klasse. Jungs mögen es nicht, wenn sich Frauen so dunkel anziehen. Das wirkt traurig. Zwar war es nicht mal an mich gerichtet gewesen, aber diese beiden Sätze hatten sich in mein Hirn eingebrannt, sodass ich mich seither nie wieder ganz in schwarz gekleidet hatte. Selbst jetzt, wenn ich mit Nate ausging, trug ich mindestens eine Farbe zu den schwarzen Basics. Doch da Nate nun nicht hier war, fühlte ich mich auf einmal frei, mich wieder in dunkelblau und schwarz zu kleiden. In meinen Gedanken jedoch beschloss ich, dass ich diese Worte endlich vergessen musste. Woher sollte das Mädchen das überhaupt wissen? Warum gab ich dem so viel Gewicht?
Kopfschüttelnd schob ich die Gedanken beiseite und machte mich daran, meine Haare zu föhnen. Zum Schluss trug ich einen dunkelroten Lippenstift auf, den ich vor Kurzem gekauft hatte. Ich liebte Lippenstifte über alles und besaß beinahe jede Rotschattierung, die es gab.
Bereits um zwanzig nach sieben saß ich in der Küche, die direkt neben der Tür war, und wartete. Ich googelte nochmals den Film und hoffte, dass Louisa ihn mochte. Was, wenn sie nicht so der Romantiktyp war, sondern lieber einen Horrorfilm schauen würde? Aber ändern konnte ich sowieso nichts mehr. Ich zuckte zusammen, als die Klingel ertönte. Hastig sprang ich auf und öffnete meiner neuen Freundschaft die Tür. Louisa stand unmittelbar vor mir, sodass ich für einen Moment bloß ihr Lächeln und ihre Augen sah, die lebenslustig funkelten.
»Hey, Jessica«, grüßte Louisa überschwänglich und nahm mich wie selbstverständlich in den Arm. Sie roch nach Äpfeln und einem zweiten Geruch, den ich nicht ganz zuordnen konnte. Ich erwiderte die Umarmung etwas überrumpelt und zwang mein Gehirn, einen Satz zu formulieren.
»Hey, schön dich zu sehen«, antwortete ich, lächelte zurück, und fühlte die Unbeschwertheit in mir aufkommen, die ich in ihrer Nähe immer fühlte. Wir lösten uns wieder und erst jetzt konnte ich sie betrachten. Sie trug wie erwartet eine Jeans, diesmal eine Skinny Jeans ohne Löcher. Weiter hatte sie ein lockeres T-Shirt an, das sie so zusammengebunden hatte, dass man ein Fingerbreit Haut zwischen Hosenbund und Oberteil sah. Ich musste zugeben, dass sie ein gutes Auge für Stil hatte. Beeindruckend. Und selbst das kleine Stückchen Bauch, das man bei ihr zu sehen bekam, sah trainiert aus. Ich musste sie bei Gelegenheit fragen, was für Sport sie machte. Gleichzeitig nahm ich mir vor, wieder mehr joggen zu gehen – das letzte Mal war schon zu lange her. Nun suchte Louisa etwas in ihrer Tasche und reichte mir eine zusammengefaltete Hose. Erst auf den zweiten Blick erkannte ich meine Jeans wieder.
»Hier, ich habe sie gewaschen«, meinte Louisa lächelnd.
»Oh, vielen Dank, das wäre nicht nötig gewesen«, erwiderte ich, nahm die Hose an und bat Louisa kurz in die Wohnung.
Louisa lachte. »Na ja, ich musste sowieso Wäsche machen …« Sie folgte mir in mein Zimmer, wo ich die Jeans wegräumte. Ich stand mit dem Rücken zu ihr, als sie sagte: »Ah, den Rock habe ich letztes Mal in deinem Schrank gesehen. Steht dir gut.«
Überrascht drehte ich mich um, mein Gehirn brauchte eine Weile, um zu begreifen, dass sie von dem Rock redete, den ich trug. »Wirklich? Danke!«
»Du wirkst so überrascht«, lachte Louisa. Unbeschwert fuhr sie fort: »Mag dein Freund den Rock denn nicht?« Ich sah ihrem Gesicht an, dass sie sofort bereute, was sie gesagt hatte. Das Lächeln verschwand und sie biss sich unsicher auf die Lippen.
Ich fand den Kommentar jedoch nicht schlimm – auch wenn sie damit ins Schwarze getroffen hatte. »Na ja, er achtet nicht so darauf, was ich trage«, wich ich aus. Das stimmte, er gab selten direkte Kommentare zu meiner Kleidung ab. Andererseits erwartete ich das auch nicht von ihm, zumal er mir andere Komplimente gab.
»Männer halt.« Louisa zuckte mit den Schultern, nun wieder so locker wie zuvor. Mir war schon häufiger aufgefallen, dass Louisa schnell ihre Laune wechseln konnte – ins Positive. Dennoch fragte ich mich, ob diese lockere, offene Art stets echt war oder ob sie damit auch andere Gefühle überspielte. Eigentlich wirkte sie ganz authentisch. Kurz schaute sie auf die Uhr. »Wann beginnt der Film eigentlich?«
»Erst um neun, wir haben noch Zeit.«
»Hm … hast du Hunger?«
Ich schaute auf. »Ich hab´ noch nichts gegessen.«
»Super«, meinte Louisa fröhlich und zog mich an der Hand aus dem Zimmer. »Dann können wir ja noch was essen gehen bis dann.«
»Gute Idee.« Gemeinsam verließen wir die Wohnung und spazierten Richtung Innenstadt. In meinem Kopf ging ich die Restaurants in der Nähe durch und fragte mich, ob Louisa bereits eine Idee hatte, wohin sie gehen wollte. Es gab eine breite Auswahl in der Stadt, von italienisch über arabisch bis zu japanischen Gerichten. »Magst du Sushi?« Mir fiel auf einmal ein, dass es in der Nähe ein gutes All you can eat Sushi Restaurant gab.
Louisa warf mir einen interessierten Blick zu und nickte dann. »Ja, solange sie vegetarisch sind…«, erwiderte sie.
Ich hob die Augenbrauen. »Ah, bist du Vegetarierin?«
Louisa nickte lächelnd. »Ja, ich mag Tiere lebendig.«
Ich musste lachen. »Versteh ich. Meinst du, es gibt genug vegetarisches Angebot in dem All you can eat hier?«
»Hm… ich habe einen Vorschlag. Kennst du Gimbap?«
Ich schaute sie fragend an.
Sie lachte nervös – eine Emotion, die ich bei ihr noch nie gesehen hatte. »Das ist koreanisch… Ähnlich wie Sushi, aber meistens ohne Fleisch oder Fisch.« Sie zögerte. »Also, man kann es schon auch mit Fisch bestellen, wenn man will.«
Ich hob interessiert eine Augenbraue. Ich kannte bisher nur koreanische Fernsehserien, aber dieses Gimbap hörte sich interessant an. »Ich brauche auch nicht täglich Fleisch«, beruhigte ich sie rasch. »Und das hört sich gut an! Kann man das in der Stadt essen?«
Louisa nickte erfreut und deutete nach rechts. »Ja, dort drüben gibt es ein koreanisches Restaurant.«
»Dann lass uns das ausprobieren!«, meinte ich aufgeregt. Ich liebte neue Kulturen und fragte mich nun, ob Louisa Koreanerin war.
Louisa schien überglücklich, was fast schon süß war. »Yeah, ich hatte das schon ewig nicht mehr.«
»Bist du denn aus Korea?«, fragte ich vorsichtig.
»Südkorea«, erwiderte sie nickend. »Aber ich bin hier geboren.«
»Cool«, kommentierte ich. Ich wünschte mir manchmal, dass ich aufregendere Wurzeln hätte als zwei deutsche Eltern, in Deutschland aufgewachsen, Deutsch als Muttersprache. Vielleicht war das der Grund, warum ich in der Schule Spanisch und Dänisch gewählt hatte und Geld verdiente, um mir später Reisen finanzieren zu können. Allgemein genoss ich es, via Bücher, Filme oder Musik mehr über fremde Kulturen und Sprachen zu lernen. »Dann kannst du Koreanisch sprechen?« Mittlerweile gingen wir in die Richtung, in die Louisa zuvor gedeutet hatte.
Louisa nickte wieder. »Ja, ich spreche mit meinen Eltern immer koreanisch.«
»Wow, ich verstehe Koreanisch nur mit Untertiteln«, lachte ich und rollte mit den Augen.
Louisa lachte und stieß mir spielerisch in die Hüfte. »Hey, das ist ja auch was.«
»Vielleicht lerne ich irgendwann ein paar Wörter«, erwiderte ich schulterzuckend. »Lange genug Serien schauen.«
Louisa schaute mich überrascht an. »Du schaust koreanische Serien?«
Ich nickte lächelnd. »Ja! Descendants of the sun, sag ich da nur.«
Louisa lächelte breit, sie sah aus, als würde sie mich dafür am liebsten küssen. Stattdessen legte sie mir kurz die Hand auf die Schulter. »Yeah, die gefällt mir auch sehr! Die Protagonistin, wow.« Sie machte eine wedelnde Geste mit der Hand, die wohl darstellen sollte, dass sie die Schauspielerin Song Hye-Kyo toll fand. Zugegebenermaßen sah sie ganz gut aus. »Wir müssen die mal zusammen schauen!«
»Definitiv!«, stimmte ich sofort zu und schaute lächelnd nach vorne. Ich sah, dass wir uns nun dem Restaurant näherten, da ich ein koreanisches Schild über dem Eingang entdeckte. Zwar konnte ich es nicht lesen, aber ich erkannte die Schrift. Louisa steuerte in der Tat darauf zu.
»Ich hoffe, du magst es«, meinte Louisa auf einmal, als wir davorstanden. Sie schien beunruhigt.
Ich legte ihr ermutigend eine Hand auf die Schulter. »Bestimmt, Louisa«, beteuerte ich. »Ich probiere gerne neue Sachen aus.« Ich zögerte und grinste. »Außerdem vertraue ich deiner Einschätzung.«
Louisa lachte und nahm das als Ermunterung, das Restaurant zu betreten. Es war nicht sehr groß, sowohl der Raum als auch die Möblierung waren klein gehalten. Aber irgendwie gefiel mir die gemütliche Atmosphäre. Die Möbel waren aus dunklem Holz und es lag ein dunkelgrüner Teppich auf dem Boden. Die Wände waren in Beige und durch das Fenster fielen ein paar letzte Sonnenstrahlen. Es roch nach Essen – wenn auch nicht so, dass es unangenehm war -, und ich konnte Geräusche aus der Küche hören. Neben Louisa und mir waren nicht viele Gäste hier, bloß drei Tische waren besetzt. Sobald wir den Raum betraten, kam uns eine koreanisch aussehende Bedienung entgegen und Louisa bat auf Koreanisch nach einem Tisch. Aus irgendeinem Grund machte es mich stolz, dass Louisa hier authentisch bestellen konnte, und ich hielt mich während ihrer Konversation dezent im Hintergrund. Denn an den leuchteten Augen der koreanischen Frau konnte ich sehen, dass sie sich freute, dass Louisa ihre Sprache konnte. Dies war einer der Gründe, warum es mir so gefiel, neue Sprachen und Kulturen kennenzulernen – man konnte sich viel vertrauter unterhalten, als wenn wir alle in gebrochenem Englisch reden würden. Schlussendlich führte die Bedienung uns an einen Tisch und reichte uns sogleich die Karte. Ich lächelte Louisa an, sobald die Frau weg war. »Ich muss jetzt wohl die Insiderin von uns beiden um Rat fragen, was ich bestellen sollte?«
Louisa lächelte mich keck an. »Wenn du mir genügend vertraust, bestelle ich etwas für dich.«
Kurz darauf saßen wir beide vor unseren Tellern Gimbap. Gimbaps waren größer als Sushi und mit mehr gefüllt, als ich es kannte. Louisa hatte für uns beide die vegetarische Variante bestellt. Gespannt packte ich die Stäbchen aus und war stolz, dass ich noch wusste, wie man damit aß. Dennoch war ich leicht nervös, denn Louisa wirkte so, als ob sie mit den Stäbchen auch Linsen essen könnte.
Beide steckten wir uns das erste Stück in den Mund und ich sah, dass Louisa mich aus den Augenwinkeln heraus anschaute, wie um sicherzugehen, dass ich es nicht wieder ausspuckte. Ihre Augenbrauen waren leicht besorgt zusammengezogen. Doch es war tatsächlich köstlich und ich machte eine entsprechende Miene, um sie zu beruhigen.
»Was hast du eigentlich mit Mia angestellt?«, wollte Louisa nun mit amüsiertem Unterton wissen.
Ich musste über ihre Formulierung lachen. »Meine Tante wollte sowieso mal einen Abend lang auf sie aufpassen«, erklärte ich. »Und da dachte ich, ich nutze die Gelegenheit.«
Louisa nickte verstehend. »Praktisch«, meinte sie. »Wann musst du sie wieder abholen?«
»Ich muss nach dem Film schauen, was meine Tante mir schreibt. Wenn Mia dann schläft, lasse ich sie lieber schlafen und hole sie morgen früh ab. Ansonsten würde ich nachher direkt vorbei gehen.«
»Macht Sinn«, gab Louisa zu. »Sonst weckst du die Kleine auf.«
Ich nickte zustimmend. »Weißt du, ich hab´ meiner Tante gesagt, dass ich gerne ins Kino gehen würde, da heute ein guter Film läuft und ich von der Arbeit her Rabatt bekomme«, begann ich. In der Hand drehte ich die Stäbchen hin und her.
Louisa schaute mich abwartend an. Kurz blieb mein Blick in ihren Augen hängen, die von einem sanften Braun waren und mich aufmerksam betrachteten.
»Dann sagte sie bei der Verabschiedung: ‚Und viel Spaß dir mit deinem Date‘«, fuhr ich lachend fort. »Sie hat automatisch angenommen, dass ich mit meinem Freund ausgehen würde.«
Auch Louisa musste lachen, doch sie senkte dabei den Blick, kurz huschte eine Emotion über ihr Gesicht, die ich nicht ganz zuordnen konnte. »Hast du hinterhergerufen: ‚Nein, es ist ein Mädchen!‘?«
»So in etwa.« Kurz schaute ich sie an. Ich würde gerne fragen, ob sie einen Freund hatte, doch irgendwie traute ich mich nicht. Es könnte wertend rüberkommen, nachdem ich selbst von Nate erzählt hatte. Und ich hatte das Gefühl, dass sie momentan single war, sonst hätte sie schon von selbst etwas gesagt, oder?
»Was denkst du?«, fragte Louisa nun, die mir offenbar den inneren Konflikt angesehen hatte.
Ich spürte, wie ich ertappt errötete. »Ich wollte nur fragen, ob du einen Freund hast oder mal hattest«, sagte ich, ehe ich mich davon abhalten konnte.
Louisa zögerte. »Ja, ich hatte mal eine Beziehung«, sagte sie, ihr Blick lag intensiv in meinem. »Aber momentan bin ich single.«
Etwas an ihrem Unterton sagte mir, dass ich nicht nachfragen sollte, warum es auseinandergegangen war, und sofort tat mir die Frage wieder leid. In mir drin regte sich etwas wie ein Beschützerinstinkt. Ich hoffte, dass nichts Schlimmes vorgefallen war – dass sie ihn beispielsweise nicht in flagranti erwischt hatte. Wer konnte eine Frau wie Louisa schon betrügen? Gleichzeitig war ich verwirrt über die Gefühle in mir. Warum wollte ich sie vor etwas beschützen, das schon längst Vergangenheit war? »Okay, das single-Leben sollte man auch genießen«, meinte ich stattdessen und versuchte, meine Grübeleien zu unterbrechen. Ich packte ein Stück Gimbap und tauchte es in eine grüne Sauce nebenan.
Louisa lächelte breit, ohne hinzuschauen, nahm sie ebenfalls ein Stück zwischen die Stäbchen. Die Stimmung war augenblicklich wieder lockerer geworden. Das mochte ich an Louisa, dass sie binnen Sekunden eine angenehme Atmosphäre schaffen konnte. Schon nur mit ihrem Lächeln hatte sie mir gezeigt, dass das Thema okay war, dass sie wieder ans Jetzt dachte und nicht an ihren Ex. »Na, da hast du Recht …«
Gleichzeitig steckten wir uns die Stückchen in den Mund. Wir waren nun beinahe fertig mit unseren Tellern und es war überraschend sättigend gewesen. Doch als ich nun das Stück in den Mund steckte, erstarrte ich plötzlich. Scheiße. Das war scharf. Sehr scharf. Meine Augen begannen zu tränen und die Schärfe stieg mir in den Kopf. Ich hasste scharf.
Ich hatte wohl ein Geräusch gemacht, denn Louisa sah mich erschrocken und leicht besorgt an. »Was ist?«
»Hm«, machte ich erstickt. Ich versuchte, das Gimbap hinunterzuwürgen und hustete. »Das ist … scharf.« Ich klang, als hätte ich eine heftige Erkältung. Die Schärfe zog sich hinauf bis in meine Nase und fast augenblicklich begann diese zu laufen. Ich spülte das Gimbap mit Wasser hinunter, doch das machte es nur noch schlimmer und ich begann wieder zu husten. Beschämt drehte ich mich etwas von Louisa weg.
»Mist«, sagte Louisa, stand auf und klopfte mir auf den Rücken. Mit der anderen Hand griff sie über den Tisch und hielt mir was hin. »Hier, iss das.«
Durch meine tränenden Augen sah ich nicht wirklich, was es war, aber ich folgte ihrer Anweisung. Erst, als ich es heruntergeschluckt hatte, merkte ich, dass es Mayonnaise war. Wo zum Teufel hatte sie Mayonnaise gefunden? Doch die Konsistenz linderte die Schärfe und langsam beruhigte ich mich wieder. »Wie peinlich«, schniefte ich. »Danke.«
Louisa hielt mir wortlos ein Päckchen Taschentücher entgegen und wartete geduldig, bis ich sie ihr wieder zurückgab. Anscheinend kannte sie sich mit der Sauce aus.
»Geht’s wieder?«, fragte sie sichtlich besorgt und setzte sich.
Ich nickte rasch, mein Kopf nun rot vor Scham. »Ja, danke«, wiederholte ich.
»Kein Problem. Hast du etwa die Wasabi-Sauce gegessen?«, fragte sie.
Ich schaute auf meinen Teller und deutete auf die grüne Sauce. »Das hier? Ja …« Tatsächlich hatte ich während des Redens nicht so darauf geachtet, in was ich mein Gimbap getaucht hatte und viel zu viel von der Paste genommen.
»Huch, in der Menge ist das sogar für mich scharf«, meinte Louisa überrascht. »Traue nie japanischen Saucen.«
Ich lachte. »Ist das nicht koreanisch?«
Louisa zuckte mit den Schultern. »Doch, aber die Sauce ist japanisch. Traditionell isst man Gimbap gar nicht mit Wasabi. Also kannst du eigentlich den Köchen hier die Schuld geben.«
Ich lachte wieder, das schien zur Gewohnheit zu werden um Louisa herum. »Na ja, ich sollte auch keine neuen Saucen in der Menge probieren, wenn ich scharf allgemein nicht so mag.«
»Ja, das wäre fürs nächste Mal auch eine Idee.«
Nach dem Essen schlenderten wir durch die Stadt in Richtung Kino, da wir noch genügend Zeit hatten. Louisa hatte das Nachtessen erst zahlen wollen, da »du ja schon das Kino ermöglichst« und als »Entschädigung« für meine Begegnung mit Wasabi, aber ich hatte darauf bestanden, meinen Teil selbst zu zahlen. Und zum Glück hatte die Bedienung auch Deutsch gesprochen, sodass ich mich durchsetzen konnte.
Louisa erzählte mir gerade, dass sie im ersten Studienjahr war und Business und Marketing studierte. Irgendwie fand ich, dass diese Fächer gut zu ihr passten, sie war sicher eine geschickte Promoterin. Außerdem hatte sie einen Blog, wie sie mir erzählte. Nach einigem Nachfragen rückte sie damit heraus, dass ihr Blog schon etwas Erfolg hatte und sie damit ein bisschen Geld ans Taschengeld verdiente. Ich nahm mir fest vor, diesen Blog später zu finden. Konnte doch nicht allzu schwer sein, oder? Louisa wohnte zwar noch zu Hause, doch ich erfuhr nicht viel über ihre Eltern und ließ das Thema dann bleiben.
Stattdessen wollte Louisa mehr über mich wissen. »Hast du außer Mia noch andere Geschwister?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein, Mia ist meine einzige Schwester. Na ja, also eigentlich ist sie meine Halbschwester.«
Louisa warf mir einen Blick zu. »Oh… dann sind deine Eltern getrennt?«
Ich nickte. »Seit fünf Jahren.« Es war nicht so, dass ich nicht damit klarkam. Aber ich dachte auch nicht besonders gerne daran.
»Tut mir leid.«
»Schon okay«, sagte ich rasch und zuckte mit den Schultern. »Mias Vater ist nett, ich kann mich nicht beklagen.«
Louisa schaute mir in die Augen, ihre Stimme auf einmal überraschend sanft. »Du darfst dich dennoch beklagen.«
Ihre Worte fanden einen direkten Weg in mein Herz und augenblicklich wurde mir warm. »Na ja… ich hab´ ja immer noch Kontakt zu meinem Vater.« In mir drin regten sich jedoch Emotionen, von denen ich gar nicht wusste, dass sie noch existierten. Die Trennung zwischen meinen Eltern war verhältnismäßig ruhig verlaufen, aber dennoch war es mir am Anfang schwergefallen, die Umstellung zu akzeptieren. Ich überlegte mir, welcher Elternteil mir mehr ein Vorbild war, aber ich wusste es nicht. Ich hatte sowohl mit meiner Mutter als auch meinem Vater Gemeinsamkeiten und obwohl sich die Beziehung zu meinem Vater logischerweise geändert hatte, verstand ich mich immer noch gut mit ihm.
»Weißt du, Mias Eltern sind gerade in den Flitterwochen«, meinte ich und lachte, als ich hörte, wie ironisch sich das anhörte. »Also versteh mich nicht falsch, ich gönne es ihnen.«
Louisa lachte auf. »Wirklich?«
Ich nickte aufrichtig. »Ja, wirklich. Deshalb passe ich auf Mia auf.« In der Tat hatte ich mich damals gefreut, eine kleine Schwester zu bekommen, auch wenn sie einen anderen Vater hatte als ich.
»Ah, verstehe.« Sie machte eine Pause. »Das ist eine liebe Geste von dir.«
Ich war überrascht und wieder einmal füllte sich mein Körper mit Wärme. »Danke.« Nate hatte sich ebenfalls erstaunt gezeigt. Aber ich mochte Mia von Herzen und ich freute mich für meine Mutter, dass sie in einer liebevollen Beziehung war – selbst wenn es nicht mit meinem Vater war.
»Hm«, machte Louisa nachdenklich und ich schaute sie leicht fragend an. »Sie müssen Vertrauen in dich haben. Deine Eltern meine ich. Dass sie dir ein Mädchen in dem Alter überlassen.«
Einen Moment lang war ich verblüfft. Ja, ich war verantwortungsbewusst genug, dass ich auf Mia aufpassen konnte. Und in der Tat würde das wohl nicht auf jede achtzehnjährige Person zutreffen. Aber ich erkannte nicht sogleich, was Louisa damit sagen wollte. »Ich nehme das mal als Kompliment?«
Louisa machte große Augen. »Ja, bitte mach das!«
»Na dann, danke.« Ich musste erleichtert lachen. »Weißt du, meine Mutter ist glücklich mit Paul und das zählt für mich. Manchmal habe ich das Gefühl, sie sind verliebter als Nate und ich es sind.« Ich schaute nach vorne, sah, dass wir schon bald beim Kino waren, und verlangsamte automatisch die Schritte. Kurz runzelte ich die Stirn über meine eigenen Worte. Was erzählte ich ihr da alles? Irgendwie hatte sie einen Punkt in mir getroffen, der mich plötzlich offen reden ließ und ich merkte, dass ich mich wohl dabei fühlte, ihr meine Gefühle anzuvertrauen. Und das geschah bei mir meist nicht so schnell.
Louisas Augen weiteten sich bei meinen Worten kurz, mit einer Hand strich sie sich die schwarzen Haare aus dem Gesicht. Sie sah mich auf einmal wieder intensiv an und beinahe spürte ich beim Gehen ihre Schulter an meiner. »Oh, soll das heißen, du bist in deiner Beziehung nicht glücklich?«
Ich öffnete den Mund, aber wusste nicht, was ich erwidern sollte. Doch, klar war ich glücklich. Nur nicht mehr mit rosaroter Brille und Glitzer. Louisa brachte mich dazu, jedes meiner Gefühle zu hinterfragen. Erst mit meinem Vater, dann mit meinem Freund. Ich liebte Nate, das war keine Frage. Warum also konnte ich ihr keine klare Antwort geben? »Ähm…«, sagte ich äußerst geistreich. »Doch, klar.«
Louisa winkte schnell ab. »Tut mir leid, ich stelle zu persönliche Fragen.«
Ich lachte, war aber erleichtert, dass sie die Spannung aufgelöst hatte. »Schon okay.« Ich deutete nach vorne auf das Kino. »Hier rein.«
In der Tat kannten wir uns erst seit zweieinhalb Tagen, aber es fühlte sich an wie Monate. Ich hatte das Gefühl, Louisa schon ewig zu kennen und ihr alles anvertrauen zu können. Und das, obwohl ich sonst nicht leicht vertraute. Lag das an ihrer offenen Art, die jeden einzuladen schien? An ihrem Charme, ihrer fröhlichen Ausstrahlung? Oder ihrer Begabung, in mich hineinzusehen und meine Gefühle zu lesen? Es war beinahe schon beängstigend, aber ich fühlte nichts anderes als Geborgenheit.
Ich kümmerte mich um die Tickets und stellte sicher, dass wir den Rabatt bekamen. Dann kauften wir uns eine Packung Nachos zum Teilen und begaben uns in den Kinosaal. Wir suchten uns einen Platz in der Mitte des Saales und Louisa schob die Lehne zwischen uns hoch, damit wir die Nachos dort platzieren konnten. Sie hatte sich anscheinend gar nicht informiert, worum sich der Film drehte, denn jetzt stellte sie mir Fragen zum Inhalt.
Ich musste lachen. »Warst du so begeistert über den Rabatt, dass du den Trailer gar nicht angeschaut hast?«
»Nein!«, widersprach sie empört. Dann sprach sie etwas leiser. »Ich war bloß so begeistert über Kino mit dir, dass ich mir den Trailer gar nicht angeschaut habe.«
Mein Herz klopfte wie verrückt. Kino mit mir. Was an mir fand Louisa so interessant, dass sie mir ein derartiges Kompliment machte nach bloß zwei Tagen Bekanntschaft? Ich war vielleicht nicht langweilig, aber ich war auch nicht die, auf die sich alle stürzten. Doch Louisa schien das anders zu empfinden. Ich spürte einen Schauer und merkte erst dann, dass Louisas Hand in der Nachopackung leicht zu zittern schien. Bevor die Spannung zu groß wurde, ging der Beamer an.
Unsere Köpfe drehten sich nach vorne und wir warteten gespannt darauf, dass der Film begann. Während noch die Werbung lief, beugte ich mich etwas zu Louisa herüber und berührte ihre Hand, um ihre Aufmerksamkeit zu bekommen. »Es ist eine Mischung aus Komödie und Liebesdrama.«
Louisa drehte ihren Kopf zu mir, ihre Augen schauten mich intensiv an. Ich hatte fast das Gefühl, dass sie unter meiner Berührung zusammengezuckt war. »Das ist perfekt«, meinte sie, doch ihr Blick bewegte sich unruhig auf und ab. Ihre braunen Augen erinnerten mich an flüssiges Karamell.
»Gut.« Ich nahm erleichtert meine Hand zurück und drehte mich wieder zur Leinwand um. Aber ich spürte, dass Louisa mich immer noch betrachtete, und ich fragte mich, was sie dabei dachte. Etwas nervös zupfte ich an meinem Top herum und widerstand der Versuchung, zu Louisa zu schauen. Stattdessen machte ich es mir in dem Sitz bequem und bald begann auch schon der Spielfilm.
Ich war erleichtert, als ich merkte, dass Louisa der Film gefiel. Schließlich hatte ich ihn ausgesucht und fühlte mich daher irgendwie verantwortlich. Doch wir lachten an denselben Stellen und schauten uns in denselben Momenten vielsagend an, wenn klar war, dass es romantisch werden würde. In den ersten paar Minuten flüsterte Louisa mir zu: »Der geht fremd. Der geht hundertprozentig fremd.« Und in der Mitte des Filmes bekam sie zu meiner Überraschung tatsächlich recht. Anerkennend schaute ich zu Louisa. »Wie hast du das gemerkt?«, wollte ich wissen.
Louisa zuckte mit den Schultern und ein Grinsen verzog ihre Lippen. »Ich sah es an seiner Haltung, als sie einander gegenübersaßen. Er war nicht seiner Frau zugewandt, sondern schaute an ihr vorbei.«