Читать книгу: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 1», страница 2

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Und damit feuerte er dem feisten Nathaniel Plymson die Rechte unter das wabbelnde Kinn und die Linke in den Magen.

Nathaniel Plymson suchte die Katzenköpfe auf. Seine Perücke verschwand im Kampfgetümmel und wurde rücksichtslos zertrampelt.

Und links und rechts von dem Seewolf, der mit dem Rücken zur Wand kämpfte, knickten die Männer zusammen oder segelten über die Pflastersteine. Die Stiefel leisteten ganze Arbeit, klatschten in Gesichter, zerdroschen Nasen, rammten sich in zusammengekrümmte Leiber.

„Unfaßbar“, murmelte der Mann, der Nathaniel Plymson zu Boden geschickt hatte.

Und dann erstarrte er.

Neben dem Seewolf, ebenfalls mit dem Rücken zur Wand, war ein schmales Bürschchen aufgetaucht, blondhaarig, vielleicht sechzehn- oder siebzehnjährig, ja, schmal schon, aber wild.

„Arwenack!“ brüllte das Bürschchen begeistert und stach die Rechte vor. Einem Zecher flog der Kopf zurück, und er ging in die Knie.

„Arwenack!“ brüllte auch der Seewolf und drosch einem Angreifer den rechten Stiefel auf den Kopf.

„Wieso Arwenack?“ fragte der Mann.

„Da hausen die Killigrews“, erwiderte einer der beiden, über die sich der Topf ergossen hatte.

„Verdammt, dann hat er jetzt Verstärkung“, sagte der Mann, „aber wir schnappen uns das Bürschchen auch. Dann haben wir gleich zwei von der Sorte.“

„Und wie?“

„Von oben, du Idiot. Dort vom Fenster aus. Ich kenne Plymsons Bude.“

Die drei Männer umkreisten die Kämpfenden und huschten in die „Bloody Mary“. Zwei Minuten später öffnete sich über Hasard ein Fenster. Zwei Männer zwängten sich auf das Fensterbrett. Sie hatten abgebrochene Stuhlbeine in den Fäusten, nickten sich zu und ließen sich wie Säcke nach unten fallen.

Der eine sprang Hasard genau ins Kreuz und ging mit ihm zu Boden. Der andere setzte neben ihnen auf, federte hoch und knallte Hasard das Stuhlbein an die Schläfe – einmal, zweimal und ein drittes Mal.

Da erst erschlaffte der Seewolf.

Der dritte Mann krachte auf den blonden Jungen und begrub ihn unter sich. Das Bürschchen war fast genau so zäh wie der Seewolf. Es schnellte hoch, warf den Mann ab und brüllte: „Arwenack!“

Die zwei anderen machten ihn fluchend mit ihren Stuhlbeinen fertig. Über Hasard brach er blutend zusammen.

Inzwischen standen Millbay Road und St. Mary Street in heller Aufruhr. Aus den Fenstern beugten sich die Bürger und schrien um die Wette. Einige Mutige hatten die Häuser verlassen und bewegten sich auf die „Bloody Mary“ zu. Fackeln erleuchteten die wilde Szenerie.

Bei der Kaimauer stieg eine triefende Gestalt mit baumelndem Ohrring neben einem Poller hoch. Ein bulliger Kerl folgte.

Andere Gestalten lagen zusammengekrümmt oder ausgestreckt, blutend und ächzend oder sehr still auf den Pflastersteinen.

Andere wiederum keilten noch immer aufeinander los und wurden wieder wild, als sich die Fackeln näherten und frische Kämpfer die Lust zum Bolzen verspürten.

„Nichts wie weg!“ stieß der Mann hervor, der für Hasard bezahlt hatte.

Sie schnappten sich die beiden bewußtlosen Kämpfer aus Cornwall und schleiften sie über die Millbay Road in eine Seitengasse.

Hinter ihnen stießen die empörten, aus dem Schlaf gescheuchten Bürger der Millbay Road und St.Mary Street in den keilenden Haufen vor der „Bloody Mary“, und der Kampf setzte sich mit erneuter Wucht fort.

Zwar stand nicht mehr der Seewolf im Zentrum des Kampfgeschehens, aber zwei neue Fronten zeichneten sich ab: Millbay Road gegen St. Mary Street. Die Bewohner der beiden Straßen waren sich von jeher spinnefeind gewesen. Die Leute von der St. Mary Street behaupteten, die Millbay-Roader seien allesamt Tagediebe und Hurensöhne. Und die Millbay-Roader hatten einen Piek auf die Leute von der St. Mary Street, weil die sich einbildeten, sie seien der Nabel von Plymouth.

Das alles sowie alte Fehden und Händel zwischen den Familien der beiden Straßen war Anlaß genug, aufeinander loszugehen.

Der Ohrringmann, den Fluten entronnen, starrte verständnislos auf das Kampfgetümmel. Der Bulle neben ihm genauso. Was da im Gange war, hatte ja bereits die Ausmaße einer Straßenschlacht.

Der Bulle grunzte, denn ihm fiel ein, daß sich der Ohrringmann vorhin im Wasser wie ein Sack an ihn gehängt und ständig versucht hatte, ihn unter Wasser zu treten. Und bei den Steigeisen an der Kaimauer hatte er ihn weggerissen, war als erster hochgeentert und hatte ihn noch dazu mit dem Stiefelabsatz eine Kopfbeule verpaßt.

Kalte Wut stieg in ihm hoch. Er packte den Ohrringmann an der Schulter, zog ihn zu sich herum und feuerte ihm die Pranke zwischen die Zähne.

„Dir zieh ich die Haut vom Hintern“, blaffte er den Ohrringmann an.

Der spuckte ihm einen Zahn aufs rechte Auge, trat ihm vors Schienbein und zahlte zurück.

„Mir die Haut vom Hintern ziehen, wie?“ sagte er und spie einen Strahl Blut durch die Zahnlücke. Seine beiden Schwinger hatten den Bullen ziemlich durchgeschüttelt. Er setzte nach und ging zum Nahkampf über. „Da – und da“, sagte er, und jedesmal empfing der Bulle eine brettharte Faust. „Ich bin London-Jack, verstehst du?“ sagte der Ohrringmann. „Und solche Brummer wie dich hab ich schon als Säugling zum Frühstück verschluckt – da!“ Seine Faust krachte auf die Luftröhre des Bullen.

Der Bulle schnappte nach Luft und griff nach den Sternen, aber an denen konnte er sich nicht festhalten. Mit einem Tritt in den Unterleib segelte er zu Boden.

Über die Pflastersteine kroch Nathaniel Plymson auf der Suche nach seiner Perücke. Der Ohrringmann hievte ihn am Kragen hoch und schüttelte ihn.

„Du dreckige Wanze! Wo ist der Killigrew-Seewolf?“

„Weiß – weiß ich nicht.“

Nathaniel Plymson war völlig derangiert und verfluchte diese stürmische Nacht und seine Idee, diesen Seewolf an die Preßgang verhökern zu wollen.

„Du hast uns beschissen!“ sagte London-Jack grimmig und spie wieder einen Blutstrahl aus – gezielt auf die Glatze von Nathaniel Plymson. „Der hat gar nicht von deinem Wein gesoffen, du fettes Warzenschwein!“

„Das ist es ja“, jammerte Nathaniel Plymson, „diese dämliche Katze ist schuld, die ...“

Der Ohrringmann griff in Nathaniel Plymsons Hemd und zog ihn zu sich heran.

„Katze? Sagtest du Katze? Du denkst wohl, ich bin blöd, he?“

„Wirklich, er hat’s an der Katze gemerkt – bitte, nicht schlagen!“

„Wo ist das Geld? Wo hast du den Ledersack?“

„Den hat – hat der Seewolf.“

Nathaniel Plymson stand dicht vor einem Nervenzusammenbruch, aber vor dem rettete ihn der Ohrringmann, der ihm eine krachende Rechte unter das Kinn hieb.

Nathaniel Plymson träumte, er fahre zwischen blitzenden Sternen gen Himmel, und Petrus habe einen Ohrring und eine dicke Lücke zwischen den oberen Schneidezähnen. Und Petrus sagte: „Sieh einer an, das alte Schlitzohr Nathaniel! Du hast dich in der Tür geirrt, mein Sohn. Zum Bruder Luzifer geht’s rechts um die Ecke.“

Vor Nathaniel Plymsons Nase wurde das Himmelstor mit einem Donnerschlag geschlossen.

Das war der Augenblick, in dem Nathaniel Plymson zum zweiten Male voller Schmerzen mit den Katzenköpfen der Millbay Road zusammenstieß.

Der Ohrringmann mit dem beziehungsreichen Namen London-Jack blies sich über die Handknöchel seiner Rechten, trat Nathaniel Plymson ziemlich sinn- und nutzlos zwischen die Rippen und erhielt dafür von einem Unbekannten ein Stuhlbein hinterrücks über den Schädel. Es war das Stuhlbein, mit dem der Seewolf niedergeschlagen worden war.

London-Jack wachte erst in einem Hospital wieder auf – und da fehlte ihm jegliche Erinnerung. In wirren Sätzen faselte er etwas von einem „Seewolf“, der Schiffe samt Masten, Takelage und Besatzung auffresse und demnach ein Monster sein mußte. Zweifelsohne hatte er einen Klaps, und die frommen Schwestern bekreuzigten sich, wenn sie ihn versorgten und dabei seine Schauermärchen hörten.

Die „Marygold“, zu deren Preßgang er als harter Schläger gehört hatte und auf der er laut Musterrolle Rudergänger gewesen war, lief am nächsten Morgen ohne ihn aus. Und ebenso wurde in der Musterrolle Tom Smith gestrichen, der nicht wieder an Bord fand, weil er an Bord des so lange verwaisten Ehelagers der Witwe Abigail Adelaide Drummer zwar auch stürmisch, aber weitaus angenehmer zuging als an Bord der „Marygold“.

Immerhin aber hatte die Preßgang als Ersatz zwei andere Fische gefangen, von denen der „Seewolf“ ein ganz dicker zu werden versprach, während das blonde Bürschchen, das mit ins Netz gegangen war, auch nicht so ganz ohne zu sein schien.

Außerdem hatte der Vormann der Preßgang, der Segelmacher Patrick Evarts, die Taschen des Seewolfs gefilzt und sich den Ledersack zurückgeholt.

Unterbemannt war die „Marygold“ keineswegs. Die Preßgang hatte in den Tagen zuvor bereits zehn Kerle aufgesammelt – zum Teil mit Hilfe des Plymsonschen Schlaftrunkes, vor allem aber ohne jeweilige Straßenschlacht.

Die Kunde von dieser Straßenschlacht durcheilte Cornwall und gelangte auch nach Arwenack, der Stammfeste der Killigrews über dem Hafen von Falmouth. Seufzend soll Sir John Killigrew gesagt haben: „Dieser Bengel ist der letzte Nagel in meinem Sarg.“

Und dabei muß er an jene Szene gedacht haben, bei der Philip Hasard, siebzehnjährig, seine letzte Ohrfeige von Sir John kassiert und darauf mit jäh zupackender Wildheit reagiert hatte.

Sir John hatte bei der Kunde über die Geschehnisse vor der „Bloody Mary“ sinnend auf das Hirschgeweih geblickt, das seit über hundert Jahren den Kamin in der Halle von Schloß Arwenack zierte.

Denn Sekunden nach der Ohrfeige hatte Philip Hasard zugelangt und den Alten in das Hirschgeweih über dem Kamin gehängt. Und seine drei Brüder, die den zappelnden und brüllenden Alten hatten herunterholen wollen, waren von dem Jüngsten der Sippe nach allen Regeln der Kunst verdroschen worden.

Am nächsten Morgen hatte Philip Hasard Killigrew vor versammelter Familie verkündet, daß er künftig jedem die Knochen zerbrechen werde, der es noch einmal wage, ihn anzufassen. Das gelte auch für den „Alten“, hatte er gesagt und dabei seine Zähne gezeigt.

Von da ab war Frieden auf Arwenack gewesen.

Eindeutig war Philip Hasard Killigrew intelligenter, kampfstärker, gerissener, tollkühner, aber auch charakterfester als seine drei Brüder. Dazu hatte er einen Charme, bei dem die alten Weiber von Falmouth wieder jung wurden, und die jungen Weiber wünschten, älter zu sein, um diesen schwarzhaarigen, blauäugigen, hartgesichtigen Teufel an die Brüste und unter die Bettdecke zu kriegen.

Geschafft hatte es keine.

Sie alle hörten bewundernd die Kunde vom Seewolf Killigrew, der ausgezogen war, um hinter die Horizonte zu schauen. Nur wußte die Kunde nicht zu berichten, was weiter geschehen war. Denn Philip Hasard Killigrew war spurlos verschwunden. Niemand hatte ihn mehr gesehen.

3.

Das Knarren der Rahen und Blöcke war vertraut – genauso wie die rollenden und stampfenden Bewegungen des Schiffes, das Klatschen der Wellen gegen die hölzerne Bordwand, das Trampeln nackter Füße über Deck, die Kommandos.

Der Seewolf richtete sich auf und betastete seine Schläfe. Die fühlte sich an wie rohes Fleisch.

„Hallo, Sir!“ sagte eine Stimme neben ihm. Sie klang so, als wisse sie noch nicht, ob sie sofort oder erst eine Woche später in eine tiefere Tonlage umsteigen solle.

Überrascht wandte der Seewolf den Kopf – etwas zu schnell, denn der Schmerz zuckte bis in die Zehenspitzen. Aber der Junge, der ihn angrinste, sah auch nicht viel besser aus – was dessen Kopf betraf.

Hasard grinste zurück.

„Hallo“, sagte er. „Du kennst mich?“

„Wer in Falmouth geboren ist, kennt Philip Hasard Killigrew, hinter dem die Weiber wie der Teufel hinter der armen Seele her waren.“

Der Bengel feixte so breit, daß er sich fast die Ohrläppchen abbiß.

Hasard räusperte sich.

Der Bengel feixte weiter.

„Mein Alter ist bei Sir John gefahren – oben in der Irischen See. Bei einem Gefecht mit einer schwedischen Kogge fehlte ihm plötzlich ein Bein. Sir John bestellte ihm bei dem verdammten Sargtischler von Falmouth ein neues. Kennen Sie die Geschichte, Sir?“

„Ist dein Vater etwa Donegal Daniel O’Flynn?“

Der Junge nickte.

„Ist er, und mit dem verdammten Holzbein hat er mir jeden Tag einen Tritt in den Hintern verpaßt, egal was anlag. Und dann sollte ich bei dem verdammten Sargtischler in die Lehre gehen. Da bin ich ausgerissen. Fein, daß ich Sie getroffen habe. Ich hab’s leider zu spät gemerkt, daß Sie das in der ‚Bloody Mary‘ waren, sonst wäre ich den Kerlen eher an die Gurgel gesprungen. Ich heiße übrigens wie mein Alter, Donegal Daniel, genannt Dan.“

„Danke, Dan – für die Hilfe bei der ‚Bloody Mary‘, Hat’s dich schlimm erwischt?“

Der Junge, der sitzend mit dem Rücken an einem Holzquerschott lehnte, richtete sich etwas auf.

„Ich bin doch ein O’Flynn, Sir. Und mein Alter hat sein Holzbein auch manchmal abgeschnallt und es mir um die Ohren geschlagen. Mit Holz klopft mich keiner mehr weich.“

Hasard lächelte. „Ich dachte immer, O’Flynn mit dem Holzbein hätte nur sechs Söhne gehabt.“

„Ich bin Nummer sieben, Sir. Nur hat mich der Alte immer unterschlagen. Ich sei zu dämlich, um in der Öffentlichkeit gezeigt zu werden, hat er gesagt. Finden Sie das auch, Sir?“

Aus dem Halbdunkel des Schiffsraums äffte eine Stimme: „Sir – Sir! Wenn ich den Scheiß schon höre. Euer Gequatsche geht mir allmählich unters Hemd. Zeig mal deine Schnauze, Sir, damit ich sie dir stopfen kann, Sir.“

Ein breitschultriger Mann tappte aus dem Halbdunkel heran. Hinter ihm begannen andere Stimmen zu murmeln.

„Los, gib’s ihm, Blacky, gib’s dem Sir. Und der Rotznase bei ihm versohl auch gleich die Jacke, damit das Bübchen weiß, woher hier der Wind weht.“

Der breitschultrige Blacky grunzte und stieß Hasard mit dem Stiefel an.

„Steh auf, Sir, damit du etwas davon hast, wenn du dich wieder schlafen legst.“

„Soll ich ihm ein Ding auf die Nase verpassen, Sir?“ wisperte Donegal Daniel O’Flynn, genannt Dan. Seine Stimme war scharf und zischend und verkündete, daß er vor Wut kochte.

„Das besorg ich, Dan“, sagte Hasard ruhig. „Bleib sitzen, mein Junge, und paß genau auf, wie man mit Idioten wie diesem Holzklotz das Deck aufwischt, zu mehr taugt er nämlich nicht.“

Blacky ächzte. „Sagtest du Holzklotz?“

Hasard schob sich an der Wand hoch, sehr langsam und sehr betulich. Als er stand, mußte er den Kopf einziehen, um nicht an die Decksbalken zu stoßen.

Der Breitschultrige mußte zu ihm hochstarren.

„Ich hab dich was gefragt, Sir.“

„Du bist ein Idiot und ein Holzklotz“, sagte Hasard, „und wenn du dir weh tust, fang nicht an zu jammern.“

Blacky nahm Maß und schlug zu. Er holte so richtig aus – von rechts unten nach links oben, dorthin, wo das weiße Gebiß ihn angrinste.

Als seine Faust landete, hielt das Schiff für einen Moment den Atem an – so schien es wenigstens. Und dann splitterte Holz. Blackys Faust steckte in einer Querplanke des Vorkastells. Immerhin war die Planke aus solidem Eichenholz.

Hasard stand einen halben Schritt daneben, die Arme über der Brust verschränkt.

„Ja, ja“, sagte er.

„Gib’s ihm, Blacky!“ sagte eine Stimme aus dem Halbdunkel.

Blacky brüllte und zerrte an seiner Rechten. Hasard half ihm.

Er umfing den breitschultrigen Mann von hinten, zog mit, und als er ihn aus der Planke hatte, schleuderte er ihn herum und warf ihn zwischen die murmelnden Männer.

„Von hier weht der Wind“, sagte er, „falls sich das noch nicht herumgesprochen hat.“

Blacky brüllte, als würde er am Spieß gebraten. Die Männer schrien durcheinander.

Der Seewolf setzte sich neben Donegal Daniel O’Flynn, genannt Dan, und lachte leise.

„Ich glaube, hier kriegen wir noch viel Spaß“, sagte er. „Hast du gut aufgepaßt, Dan?“

„Sie haben ihn auflaufen lassen, nicht wahr?“

„He!“ erwiderte Philip Hasard Killigrew. „Du bist ja gar nicht so dämlich. Dein Alter muß dich völlig verkannt haben. Ja, ich hab Blacky auflaufen lassen, aber vorher hab ich ihn ein bißchen gekitzelt. Und dann mußt du natürlich schnell sein, schneller als so ein Holzklotz. Ist das klar?“

„Jawohl, Sir. Von Ihnen lern ich noch ’ne Menge. Vor der ‚Bloody Mary‘, Mann, das war die Spitze. Verzeihung, Sir.“

„Meinde Brüder nannten mich Hasard, Dan, laß den ‚Sir‘ Wenn du ‚Mann‘ sagst, ist das genauso gut.“

„In Ordnung“, sagte Dan, und wieder war seine Stimme, als wisse sie noch nicht recht, ob sie sich für die hohe oder tiefe Tonlage entscheiden solle.

„Wie alt bist du, Dan?“

„Siebzehn“, sagte Donegal Daniel O’Flynn mit Grabesstimme.

„Oder sechzehn?“

„Vielleicht auch sechzehn“, sagte Donegal Daniel O’Flynn. „Mit den Jahren hängt einem das Zählen zum Halse heraus, verstehst du das?“

„Versteh ich“, sagte Hasard, „mir geht’s auch nicht anders.“ Er lauschte dem Knarren der Takelage. „Weißt du, in was für einem Kasten wir hier hocken?“

„Keine Ahnung.“

„Ich wollte zu Drake“, sagte der Seewolf leise und verfluchte still seinen Übermut, fünf Kerle vor der „Bloody Mary“ angegangen zu haben.

„Mann, zu Drake?“ fragte Dan entgeistert. „Zu dem würde ich auch gern, und jetzt sind wir hier gelandet. Weißt du was? Wir jumpen einfach außenbords, wenn wir an Oberdeck sind.“

„Kannst du schwimmen?“

„Ich bin ein O’Flynn“, sagte das Bürschchen empört. „Wir O’Flynns lernen schon das Schwimmen, wenn wir in den Windeln mit dem Wasser kämpfen.“

„Das ist zwar auch salzig“, sagte Hasard erheitert, „aber dieses Wasser hier hat keine Windeln, und wenn es welche hat, kriegst du sie um die Ohren geschlagen. Nein, gejumpt wird nur, wenn Land in Sicht ist. Ist das klar?“

„Jawohl, Sir“, erwiderte das Bürschchen. Es war keineswegs dämlich, sondern sehr helle. „Vielleicht sollten wie diesen Kahn einfach wieder mit der Schnauze nach Plymouth drehen und Mister Francis Drake zur Verfügung stellen. Du hast doch bei Sir John gelernt, wie man einen solchen Kasten segelt, oder?“

„Und ob“, sagte der Seewolf und dachte daran, wie der Alte ihn geschliffen hatte. Er war nur einmal seekrank geworden – mit sechs Jahren. Da hatte ihn der Alte vorn bei der Galion festgebunden und sich zehn Stunden halb totgelacht, als sich Philip Hasard Killigrew die. Seele aus dem Leib gekotzt und die Seefahrt verflucht hatte – bei einem handfesten Sturm wohlgemerkt, den Sir Johns Karacke nur beigedreht überstanden hatte. Die Galle war das Letzte gewesen, das Philip Hasard in die kochende See gespuckt hatte – trotzig und voll berstender Wut auf Sir John, das salzgewässerte Rauhbein. Und als er von dem Alten losgebunden worden war – mehr tot als lebendig –, da hatte er ihn kräftig ins Handgelenk gebissen, und der Alte hatte ihm fluchend eine gescheuert.

Hasard lächelte vor sich hin. Und im Hirschgeweih über dem Kamin hast du dann später gezappelt, Sir John, dachte er.

Aus dem Halbdunkel tauchten plötzlich drei Kerle auf. Sie hatten Mühe, bei dem rollenden Schiff die Balance zu halten. Einer torkelte etwas näher, aber nicht zu nahe. Er schielte auf die langen Beine von Hasard und fragte sehr sanft: „Wollt ihr abhauen?“

„Und wenn?“ fragte der Seewolf.

„Ja“, sagte der Kerl, „dann möchten wir gern mit dabei sein.“

„Blacky auch?“ fragte der Seewolf.

„Klar“, sagte Blacky im Hintergrund, „aber meine Rechte ist am Arsch, ich bin nicht mehr in Form.“

„Dann schlag links, du Holzklotz“, sagte der Seewolf brutal, „oder brauchst du die Linke, um am Daumen zu lutschen?“

„Pah!“ sagte Blacky und verdaute die Beleidigung.

„Ja“, sagte der Kerl, der vor Hasard stand, „wir möchten nämlich auch gern wieder nach Plymouth zurück. Die Hunde haben uns vor zwei Tagen eingesackt. Ich weiß auch nicht, wie. Plötzlich bin ich eingeschlafen ...“

„In der ‚Bloody Mary‘?“ fragte Hasard.

„Ja.“

„Bist du Seemann?“

„Nein“, sagte der Kerl. „Kutscher bei Sir Anthony Abraham Freemont.“

„Sir?“ fragte Hasard gedehnt.

„Na ja“, sagte der Kerl verlegen, „er ist studiert. Mister Freemont braucht mich. Er ist Arzt. Ich fahre ihn immer zu den Kranken.“

„Und jetzt fährst du zur See“, sagte Hasard, „da sind andere Gesetze gültig. Wer meutert, wird an der Rah aufgeknüpft, bis sein Hals doppelt so lang ist. Bist du auf einen solchen Hals scharf?“

„N-nein, Sir.“

Der Seewolf zeigte seine Zähne.

„Sir?“ sagte er gedehnt. „Ich bin kein ‚Sir‘. Rutsch mir den Buckel herunter, Mister.“

Der Mann hielt mühselig sein Gleichgewicht und ruderte mit den Armen.

„Ich – ich vertrag das alles nicht, Sir – eh, Mister. Mir – mir ist so furchtbar schlecht. Ich bin – ja, ich bin todkrank. Ich möchte wieder zu Mister Freemont, ich ...“

Das Querschott sprang auf, und ein Mann stand breitbeinig in dem Durchlaß. Licht flutete in den Raum des Vorkastells.

„Ihr Affenärsche“, sagte der Mann sehr deutlich und sehr langsam. „Alle wohlauf und ausgeschlafen? Na denn! Wer zur See fährt, muß arbeiten. Ohne Arbeit kein Fleisch in der Suppe. Oder wollt ihr eure Affenärsche frühstükken? Wie, was? Seid ihr noch nicht an Oberdeck? Weiter hier herumpennen, wie? Hopphopp, hoch mit euch, jetzt geht’s rund, alle Mann an die Brassen. He, glotz nicht so blöd, Mann!“

„Ich bin krank, Sir“, sagte der Kutscher, „und ich weiß auch gar nicht, was Brassen sind.“

Der Mann starrte den Kutscher verblüfft an, dann lachte er röhrend, drehte den Kopf und rief über die Schulter: „He, Männer! Habt ihr das gehört? Er ist krank, sagt er, und er weiß nicht, was Brassen sind!“

Hinter ihm standen muskulöse Gestalten, barfüßig, in grobleinenen Hosen und Hemden. Der Wind zerrte in ihren Haaren. Sie lauerten, grinsten, stießen sich an.

„Verdammte Landratten“, sagte einer, „wird Zeit, daß du ihnen die Haut vom Hintern ziehst, Profoß.“

Der Schiffsprofoß Edwin Carberry, ein Mann mit einem Kinn wie ein Amboß, einem zernarbten Gesicht und einem Brustkasten wie ein Bierfaß, ruckte wieder herum und blickte ins Vorkastell.

„Habt ihr’s gehört, ihr Rübenschweine? Seid ihr noch nicht an Deck? Oder wollt ihr die Neunschwänzige kennenlernen, wie, was?“

Der Kutscher zog den Kopf zwischen die Schultern und trottete nach draußen. Er war grün im Gesicht und sah aus, als nehme er an seinem eigenen Begräbnis teil. Die beiden anderen Kerle folgten ihm – ebenfalls mit Leichenbittermienen. Dann humpelte Blacky aufs Mitteldeck.

Der Profoß stieß den Kopf vor.

„He, was ist denn mit dir los, was, wie?“

Blacky hob seine Rechte.

„Bin – bin wo gegengerannt, Sir.“

„Gegen was?“

„Holz, Sir.“

„Selbstverstümmelung, was, wie?“

Blacky stierte den Profoß ratlos an. Allem Anschein nach wußte er mit dem Begriff „Selbstverstümmelung“ nichts rechtes anzufangen.

„Eh?“ sagte er.

Der Profoß schnippte mit den Fingern.

„Eine Pütz Seewasser für dieses Rübenschein. Tunkt seine Pfote ordentlich ins Wasser. Salz heilt, was, wie?“

„Weiß ich nicht“, sagte Blacky.

„Aber ich“, sagte der Profoß grimmig, griff sich Blacky und schob ihn zu den derb zupackenden Seeleuten.

Die stauchten ihn etwas zusammen, aus der einen Pütz Seewasser wurden zehn, denn sie badeten ihn gleich, und dann zogen sie ihm die Holzsplitter aus der verschwollenen Rechten, die mit Salzwasser eingeweicht wurde.

Immerhin mußten zwei starke Männer den tobenden Blacky bei dieser Prozedur festhalten.

„Sollen wir kämpfen?“ flüsterte Dan hastig Hasard zu.

„Nein, geh mit den anderen aufs Mitteldeck, Junge.“

„Und du?“

„Ich bleib hier noch ein bißchen und ärgere den Profoß.“

„O Mann“, sagte das Bürschchen begeistert, „kann ich ihn nicht mitärgern? Ich bin bestimmt gut.“

„Nein“, sagte der Seewolf, „raus mit dir.“

Donegal Daniel O’Flynn stand maulend auf und schloß sich den anderen an, die nach draußen drängten.

Hasard blieb allein zurück. Er zog die Beine an und faltete die Hände über den Knien.

„Alle raus?“ schrie der Profoß.

„Nein“, sagte Philip Hasard Killigrew.

Der Profoß schob sich ins Vorkastell und starrte auf Hasard hinunter. „Du brauchst wohl ’ne Extraeinladung, was, wie?“

Hasard schaute zu ihm hoch. In seine blauen Augen schlich sich ein gefährliches Funkeln. Er zeigte nur seine Zähne, aber er sagte nichts.

Der Profoß trat einen Schritt zurück, als spüre er plötzlich die Gefahr, die von diesem jungen Riesen ausging.

„Mister Evarts soll kommen!“ schrie er nach draußen.

„Aye, aye, Profoß!“

Vier Minuten später erschien Patrick Evarts, der Segelmacher, im Vorkastell.

„Ist das der Seewolf?“ fragte der Profoß und deutete auf Philip Hasard Killigrew.

Evarts zuckte zusammen, sagte kurz und knapp „ja“ und flitzte wieder aufs Mitteldeck, als sei der Teufel hinter ihm her.

„Steh auf“, sagte der Profoß.

„Nein“, sagte Hasard ruhig. „Mir hat keiner etwas zu befehlen. Ich wollte nicht auf dieses Schiff. Und was ich nicht will, zwingt mir auch keiner auf. Hau ab, du Rübenschwein, was, wie?“

Der Profoß lief blaurot an. Sein Faß von Brustkasten hob und senkte sich, als stünde es unter einem ungeheuerlichen Druck und müßte jeden Moment platzen.

„Hau ab!“ wiederholte der Seewolf und wedelte mit der Rechten. „Und vergiß nicht, Luft zu holen. Ich bleib noch ein bißchen hier. Vielleicht schau ich mir nachher mal den Kasten an, ob er mir gefällt. Und bestell deinem Kapitän einen schönen Gruß von mir. Wenn er was von mir will, darf er sich bei mir melden. Vergiß auch nicht, Mister Evarts meine Empfehlung auszurichten. Sag ihm, daß er vermeiden solle, mir über den Weg zu laufen – er und die beiden anderen. Ich hab was gegen Kerle, die mich von hinten anspringen und nicht ehrlich kämpfen. Hau ab, Rübenschwein!“

Jetzt war der Profoß Carberry weiß wie eine gekalkte Wand. Sein Mund war ein schmaler Strich über dem Amboßkinn.

Er schlich geduckt näher, seine Arme mit den klotzigen Fäusten pendelten wie Dreschflegel links und rechts an seinem massigen Körper.

Seine Stimme war heiser und bebte vor unterdrückter Wut.

„Du bist wohl lebensmüde ...“

„Was, wie?“ unterbrach ihn der Seewolf höhnisch.

Der Profoß brüllte auf und federte mit einem Riesensatz heran. Er prallte gegen die vorschnellenden Beine Hasards und flog zurück.

Da war Hasard schon wie der Blitz hoch, packte den Profoß am Hosenbund und Kragen und schleuderte ihn durch das Querschott nach draußen aufs Achterdeck.

Der Profoß schlitterte über die Planken und krachte gegen die Nagelbank. Er war ein harter Mann, alles was recht ist. Spätestens nach zwanzig Sekunden war er wieder hoch und riß einen Koffeynagel aus der Nagelbank. Der war aus Hartholz und gut über einen Fuß lang – eine mörderische Waffe.

Hasard erschien in dem Querschott und trat auf das Mitteldeck. Er blickte prüfend am Großmast hoch, schaute nach dem Flögel und Stand des Großsegels und schüttelte den Kopf.

Mehr zu sich selbst sagte er: „Könnte noch härter gesegelt werden, dieser Waschzuber.“

Der „Waschzuber“ hieß „Marygold“ und segelte über Backbordbug am Wind südlichen Kurs. Rings um die „Marygold“ lag die graue Weite des Atlantik, dessen mächtige Seen unaufhörlich heranrollten. Die „Marygold“ nahm sie eine nach der anderen, kletterte an ihnen hoch, bis ihr Bugspriet in den Himmel ragte, neigte sich dann noch weiter nach Backbord über, glitt dabei talwärts und schob sich an der nächsten See hoch. Durch die steifstehenden Luvwanten und Pardunen pfiff der Wind.

Hasard stand breitbeinig auf dem Mitteldeck und atmete tief durch. Aus den Augenwinkeln beobachtete er den Profoß, der sich wie eine Katze heranschlich. Die Männer der Besatzung wichen zurück bis zum achteren Deck. Die Männer, die gepreßt worden waren, standen wie eine verlorene Hammelherde auf der Backbordseite. Nur das Bürschchen genoß die Szene. Es schaukelte auf einer Webleine der Hauptwanten, die Zunge spitz zwischen den Lippen und sichtlich begeistert, daß der Profoß bereits einmal die Planken hatte aufsuchen müssen.

„Weg mit dem Belegnagel, Profoß“, sagte der Seewolf. „Hier wird mit den Fäusten gekämpft. Wirf ihn weg, oder, ich schlag dir die Zähne in den Hals.“

Die Männer stöhnten auf, als der massige Carberry lossprang und den rechten Arm mit dem Koffeynagel hochschwang und niedersausen ließ.

Der Seewolf blockte den furchtbaren Hieb mit dem linken Unterarm ab, dann fuhr seine Hand blitzschnell zurück, umschloß das Handgelenk Carberrys, drückte dessen Arm nach unten und begann ihn mit erbarmungsloser Härte umzudrehen.

Der Profoß kämpfe verbissen gegen die Drehung an. Er knickte in der Hüfte ein und wand sich.

„Laß fallen“, sagte der Seewolf, „oder ich dreh dir den Arm aus der Schulter, du Miststück!“

Edwin Carberry keuchte. Der Riese da vor ihm würde es mit seiner barbarischen Kraft tatsächlich schaffen, seinen Arm in einen Korkenzieher zu verwandeln.

Er ließ den Koffeynagel fallen. Hasard stieß ihn mit dem Fuß weg, trat etwas zurück; ließ aber noch nicht los, sondern schlug dem Profoß die Rechte zwischen die Zähne. Ächzend sank der Profoß in die Knie. Hasard hielt ihn fest, hievte ihn wieder hoch und schlug noch einmal auf den Punkt. Erst dann ließ er los.

Edwin Carberry stöhnte, spuckte zwei abgesplitterte Zähne auf die Decksplanken, blickte mit glasigen Augen auf den Seewolf, wankte, riß sich zusammen und stürzte sich Hasard entgegen.

Hasard riß nur das rechte Knie hoch und rammte es dem Profoß unter das Amboßkinn. Carberrys Kopf flog zurück, seine Beine gaben nach, er vollführte eine Halblinksdrehung, torkelte und hielt sich an der Nagelbank zum Großmast fest.

Dort blieb er gebückt stehen und spuckte Blut. Sein Kopf schaukelte hin und her.

Hasard glitt geschmeidig zum Schanzkleid. Dort stand noch eine Holzpütz voll mit Seewasser. Er griff sie sich, umrundete den Großbaum und klatschte sie von unten in das niederhängende blutige Gesicht Carberrys.

„Aufpassen, Hasard“, sagte das Bürschchen scharf. „Hinter dir!“

Der Seewolf fuhr herum.

In der Kombüsentür auf der Steuerbordseite des Vorkastells stand ein schmieriger Mann mit einem schmierigen Grinsen, schmierigen Augen, schmierigem Haar, schmierigem Hemd und schmierigen Hosen. Seine Zähne, die er zeigte, wirkten zwar nicht schmierig, dafür aber waren sie schwarz und verfault. Er sah insgesamt so freundlich aus wie eine vergammelte Trosse aus Kokostauwerk.

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9783954390892
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