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4.2.1.3 Košinár (2014): Professionalisierungsverläufe in der Lehrerausbildung

Im Rahmen ihres Habilitationsprojekts untersucht Košinár (2014) Professionalisierungsverläufe von Referendarinnen und Referendarinnen im Hamburger Vorbereitungsdienst. Dabei interessiert sie sich sowohl dafür, 1) inwiefern die angehenden Lehrkräfte den Anforderungen der zweiten Phase gewachsen sind, welche Voraussetzungen sie z.B. bezüglich ihrer Selbstwirksamkeitserwartungen mitbringen und wie sich diese verändern, 2) welche Entwicklungsverläufe sie hinsichtlich der phasenspezifischen Anforderungen durchmachen und damit auch durch die Entwicklung ihres beruflichen Selbstverständnisses wie mit Krisen umgehen als auch 3) welchen Einfluss sowohl die Strukturen des Hamburger Vorbereitungsdienstes als auch das begleitende Personal auf die Referendarinnen und Referendare haben. Die Datengewinnung erfolgt über drei Erhebungsinstrumente: Mittels Fragebögen werden für die quantitativ angelegte Teilstudie über mehrere Messzeitpunkte längsschnittlich personale Kompetenzen „wie Selbstregulation, Selbstorganisation, Selbstreflexion und sozial-kommunikative Kompetenzen“ (ebd.: 149) sowie deren Einfluss auf das berufliche Selbstverständnis erhoben. Im qualitativ-rekonstruktiven Anteil des Studiendesigns zu den Forschungsschwerpunkten 2) und 3) werden verschiedene Interviewformen mit neun Kohortenmitgliedern der quantitativen Erhebung und teilnehmende Beobachtungen in den Schulen der Referendarinnen und Referendare sowie in „Veranstaltungen des Landesinstituts“ (ebd.: 152) durchgeführt, welche dem Studienseminar bzw. Modul-/Ausbildungsveranstaltungen der zweiten Phase in anderen Bundesländern entspricht. Die umfassende Triangulation des zweiten, qualitativen Forschungsanteils hat damit zum Ziel, die Erkenntnisse der quantitativen Erhebungen durch die Perspektive auf die beforschten Subjekte zu lenken und damit Themenfelder offenzulegen, die die angehenden Lehrkräfte im Laufe ihres Referendariats bearbeiten.

Mittels der Dokumentarischen Methode (vgl. Bohnsack 2014a) arbeitet Košinár heraus, dass die von ihr rekonstruierten Fälle bezogen auf ihr Professionalisierungsverständnis dieses als einschränkend, entwicklungsbezogen oder fremderwartungszentriert in der einen Dimension konstruieren sowie, in einer zweiten Dimension, eine diffuse und eine konturierte Passungsgestaltung offenbaren (vgl. ebd.: 248ff.). Interessanterweise zeigen alle von ihr beforschten Referendarinnen und Referendare dann im Verlauf ihres Referendariats einen Wechsel des Orientierungsrahmens von einer „diffusen“ hin zu einer „konturierten Passungsgestaltung“ und differenzieren sich – auch über die zweite Dimension hinweg – aus bzw. wechseln dort die Orientierungen. Im Rahmen der Typenbildung werden drei Kerntypen herausgearbeitet (vgl. ebd.: 247ff., 281ff.), welche gleichzeitig entwicklungsprognostisch und aus Sicht der beteiligten Ausbilderinnen und Ausbilder charakterisiert werden:

1 Typ 1 zeichnet sich durch „aktive Gestaltung“ aus, „die Bereitschaft zur Annahme von Anforderungen und deren Deutung als Herausforderungen“ (ebd.: 282). Dieser Typ von Referendar*in erkennt nötige Entwicklungen und kann diese für sich eigenständig priorisieren. Damit einher gehen eine gewisse Distanzierung und Pragmatismus im Kontext der Profession, was die Bearbeitung von krisenhaften Situationen und individuellen Kompetenzen antizipieren lässt. Ausbildungskräfte charakterisieren diesen Referendarstyp aufgrund der offensichtlich gewordenen Fähig- und Fertigkeiten als „Idealtypus“ (ebd.: 283).

2 Typ 2 bezeichnet Košinár mit dem Begriff der „Vermeidung“, da dieser Typ Situationen und „Anforderungen, die nicht sofort bewältigt werden können“ (ebd.: 284), aus dem Weg geht. Aufgrund zahlreicher unerwarteter und unerwartbarer Bedingungen und Anforderungen im Referendariat zeichnen sich Referendare dieses Typs dadurch aus, dass sie sich weniger ihres Professionalisierungsprozesses bewusst sind, sondern durch Einsatz zahlreicher Vermeidungsstrategien eher zielorientiert das Referendariat abschließen möchten und dies durchaus auch schaffen, sofern die Vermeidungsstrategien greifen. Dennoch: „Aufgrund des fehlenden professionellen Selbstverständnisses … werden die Referendar/innen bei Erfahrungskrisen in ihrer ganzen Person erschüttert.“ (ebd.: 284) Auch informellere Beratung durch Mitreferendarinnen und Mitreferendare scheint für diesen Typen eine größere Bedeutung im Sinne eines entlastenden Gesprächs und Austauschs zu haben im Gegensatz zu als zusätzliche Anforderung empfundene Beratung durch Ausbildungskräfte.

3 Typ 3, „Anpassung“, sieht sich selbst als unerfahren und tendenziell für den Lehrerberuf ungeeignet, hält sich entsprechend mittels minimalem Professionswissen und dabei „mehrfach abgesicherter Unterrichtsplanung“ (ebd.: 286) sozusagen über Wasser, vermeidet gleichzeitig aber, Hilfe, Unterstützung und Beratung von Mitreferendar*innen oder den Ausbildungskräften gezielt anzunehmen. Die eigene reflexive Eingeschränktheit des Typs bildet damit Konfliktpotential in Beratungssituationen auch mit Mentorinnen und Mentoren, da anschlussfähige Offenheit hier auf eine gewisse Beratungsresistenz stößt. Folglich wird dieser Typ aus Sicht der Ausbilderinnen und Ausbilder als problematisch, als „Risikotyp“ (ebd.: 288), charakterisiert.

Die Ergebnisse der quantitativen Erhebungen sind insofern bemerkenswert, dass hier über den Verlauf der Untersuchung der Referendar*innen hinweg eine „nur geringfügige Kompetenzentwicklung bzw. ein Rückgang bzgl. der Selbsteinschätzung von Fähigkeiten in den meisten Teilbereichen personaler Kompetenzen“ (ebd.: 372) zu messen ist. Als institutionell bedeutsame Einflussfaktoren werden insbesondere qualitativ hochwertige Beratung von Mentorinnen/Mentoren sowie Ausbildungskräften, eine an den LiV orientierte Themengestaltung in der Ausbildungsarbeit sowie die „Frage nach den sozialen Ressourcen und den Unterstützungsangeboten von Seiten der Kolleg/innen, der Mentor/innen und der Mitreferendar/innen“ (ebd.: 376) herausgestellt.

In der Zusammenschau der qualitativ und quantitativ erhobenen Daten und ihrer analysierenden Verknüpfung konjunktiver Erfahrungsräume der betrachteten Fälle sowie der kommunikativ offenbarten Wissensbestände der Fragebogenerhebung zeigt sich besonders, dass die Typik der Passung ein relevanter Einflussfaktor für Professionalisierungsprozesse im Referendariat ist und inwiefern die angehenden Lehrkräfte beeinflusst von persönlichkeitsrelevanten Faktoren mit dem an der Ausbildung beteiligten Personal und den rahmengebenden, teils einschränkenden und fordernden Strukturen umgehen.

4.2.1.4 Munderloh (2018): Das Referendariat aus der Sicht der Referendar/innen

In seiner Dissertationsschrift untersucht Munderloh (2018) in einem kompetenztheoretischen Zugang bundesländerübergreifend die Wahrnehmung des Vorbereitungsdienstes aus Sicht von Referendarinnen und Referendaren an beruflichen bzw. berufsbildenden Schulen. Dazu stellt er zum einen im theoretischen Teil der Arbeit die Rahmenbedingungen in den einzelnen Bundesländern vor – von denen er später dann 14 empirisch untersucht – und diskutiert zum anderen aktuelle Trends und Entwicklungen in der zweiten Phase der Lehrerbildung. Hierzu gehören für ihn Diskussionen rund um die Verkürzung des Vorbereitungsdienstes, Modularisierungstendenzen im Anschluss an den Bolognaprozess sowie teils angestrebte Kooperationen zwischen erster und zweiter Phase bzw. eine stärkere Verknüpfung von Studienseminar und Ausbildungsschulen. Munderloh unterscheidet neben den Rahmenbedingungen und formalen Vorgaben drei weitere Dimensionen, die sich im Referendariat zeigen: eine Produkt-, Input- sowie Prozessdimension. Er formuliert in seiner theoretischen Einführung zur Unterscheidung der Dimensionen:

Leitend wird dabei die Annahme sein, dass der Erwerb der beruflichen Handlungskompetenz (Produkt) nicht allein von Kontext- und der Prozessqualität beeinflusst wird, sondern in nicht unerheblichem Maße auch von den Eingangsvoraussetzungen (Input) der Referendar/innen beim Eintritt in den Vorbereitungsdienst. (ebd.: 60)

Nach der Darstellung der strukturellen und inhaltlichen Anforderungen der Vorbereitungsdienste in den unterschiedlichen Bundesländern führt er die Prozessdimension näher aus und betont, „dass es für die angehenden Lehrkräfte nicht nur wichtig ist, was sie im Referendariat lernen, sondern auch wie“ (ebd.: 146; Hervorhebungen im Original). Bedeutend werden in diesem Kontext vier Belastungsfaktoren auf Seiten der Referendar*innen, die aus den diskutierten empirischen Befunden offenbar werden, nämlich die Schwierigkeit der Rollenfindung, der Zeit und des Zeitmanagements, die Belastung durch Beratungs- und Beurteilungsprozesse sowie durch den eigentlichen Unterricht. Zur Entwicklung eines Fragebogens orientiert sich der Autor an der Fragestellung, wie der Vorbereitungsdienst seitens der angehenden Lehrkräfte an berufsbildenden Schulen, die ihn zum Erhebungszeitpunkt erleben, beurteilt wird besonders unter Berücksichtigung aktueller Entwicklungen, die er vorher dezidiert dargelegt hat. Methodologisch ausgehend vom CIPP-Modell (vgl. Stufflebeam 1972), welches ermöglicht, die vier putativ zusammenhängenden Dimensionen in eine Beziehung zu setzen (die Buchstaben stehen für Context, Input, Process und Product; vgl. auch Vorgehen bei Schubarth et al. 2006), wird eine Vielzahl von Hypothesen entwickelt, die mittels des Erhebungsinstruments abgebildet werden, das in der finalen Fassung 51 Items aufweist. Dazu gehören auch qualitativ ausgewertete offene Fragen. Insgesamt wurden 910 Referendarinnen und Referendare an berufsbildenden Schulen befragt. Die Vielfalt und Spannweite dieser Untersuchung ist damit entsprechend komplex und vielschichtig, weswegen hier lediglich auf die – insbesondere für die weitere Diskussion – wichtigsten Erkenntnisse (wenn vorhanden, dann vorrangig für das Bundesland Hessen) eingegangen werden soll:

1 Erwartungsgemäß kritisieren die meisten Befragten (80 %) die wenig konkrete Vorbereitung auf den Beruf durch die erste Phase. Lediglich diejenigen Referendar*innen, die Schulpraktika im Umfang von mehr als 30 Wochen belegen konnten, zeigen diese Kritik nicht oder in deutlich geringerem Ausmaß.

2 Die Unterrichtsverpflichtung wird als eine der höchsten Belastungsfaktoren angesehen und hängt mit dem entstehenden Zeitdruck (und damit auch allen weiteren Verpflichtungen) zusammen.

3 Der schulnahen Ausbildung wird eine höhere Bedeutung für den Vorbereitungsdienst attestiert. Es wird insgesamt deutlich, „dass die Referendar/innen für einen größeren Stellenwert der schulischen Ausbildung plädieren“ (ebd.: 417), da sie die Rolle von Mentorinnen und Mentoren gestärkt sehen möchten. Inhaltlich sehen die Befragten die fachdidaktische Ausbildung als besser am Lernort Schule angedockt, allgemeinpädagogische Seminare eher an Studienseminaren.

4 Veranstaltungen an den Studienseminaren offenbaren drei Problemfelder, die sich jedoch stärker in den allgemeinpädagogischen Veranstaltungen zeigen, weniger in den fachdidaktischen. Hierzu gehören „die mangelnde Orientierung an den individuellen Interessen der Referendar*innen und deren Einbeziehung in die Seminarplanung“ (ebd.: 426), ein geringer Praxisbezug sowie die Tatsache, „dass sowohl in den fachdidaktischen als auch in den pädagogischen Seminaren kaum Verknüpfungen zur universitären Ausbildung hergestellt werden“ (ebd.: 428).

5 Hinsichtlich des Ausbildungspersonals hinterfragen in den qualitativen Items des Fragebogens einzelne angehende Lehrkräfte die Qualifikation des Personals: „Die geäußerte Kritik nimmt vielmehr eine wenig empathische Beratungskultur in den Blick, welche negative Aspekte in den Vordergrund stelle.“ (ebd.: 418) Auch die Abhängigkeit der Referendar*innen von einzelnen Ausbildungskräften wird kritisch bewertet.

6 Die Referendar*innen zeigen sich vom hessischen Vorbereitungsdienst durchschnittlich zufrieden, was dem Bundesdurchschnitt in etwa entspricht, bewerten die fachdidaktische Ausbildung allerdings etwas besser als die allgemeinpädagogische (MW = 3,26 gegenüber MW = 2,95 auf einer fünfstufigen Likert-Skala). Hinsichtlich der seminaristischen Betreuung hingegen liegt Hessen im unteren Viertel.

Auf Basis der sehr umfassenden Ergebnisse, die hier nur stark verkürzt dargestellt wurden, entwickelt Munderloh eine „[t]eilnehmerperspektivische Konzeption der zweiten Phase“ (ebd.: 446ff.), welche im Optimalfall 24 Monate dauert bei halbjährlich ansteigender Unterrichtsverpflichtung bis maximal 6 Stunden und abnehmender Hospitationsverpflichtung beginnend mit 12 und endend mit 6 Stunden im vierten Halbjahr. Der Autor spricht sich für eine Stärkung der Rolle sowie Qualifizierung von Mentorinnen und Mentoren aus sowie für Fachseminare, die bewertungsfrei und stärker an Coachingprinzipien orientiert sind. Gleichzeitig müssen Anforderungskriterien transparenter gemacht werden und die verschiedenen Lern- und Ausbildungsorte stärker miteinander kooperieren.

4.2.1.5 Weitere Erkenntnisse und Forschungsschwerpunkte

In Ergänzung zu den vier umfassenderen, oben vorgestellten Projekten, lässt sich vereinzelte, weitere Forschung zum Vorbereitungsdienst grob in zwei Schwerpunkte einteilen: 1) die Belastung und Beanspruchung der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst sowie 2) deren Professionalisierung im Verlauf des Referendariats.

Belastung und Beanspruchung der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst

Die komplexen Anforderungen der zweiten Phase ziehen eine hohe Belastung und Beanspruchung der Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst nach sich, die – je nach Typ, wie Schubarth et al. (2006), Košinár (2014) und Munderloh (2018) zeigen – unterschiedlich bearbeitet wird. Insbesondere die Potsdamer LAK-Studie ergab dabei, dass gerade die zweite Phase zwar als durchaus lehrreich und förderlich, allerdings auch insgesamt als sehr belastend wahrgenommen wird. Die Gründe hierfür sind vielfältig: Während zum einen der sprichwörtliche „Praxisschock“ (vgl. z.B. Müller-Fohrbrodt et al. 1978) mit dem intensiven Erleben unterrichtlicher Realität eintritt (vgl. auch Klusmann et al. 2012, Schmidt et al. 2016), wird zum anderen an verschiedenen Stellen (vgl. z.B. OECD 2004, Schubarth et al. 2006) ebenfalls die mangelnde Abstimmung zwischen erster und zweiter Phase als „strukturelles Problem für den Vorbereitungsdienst und das bundesdeutsche Lehrerbildungssystem“ (Böhner 2009: 441) herausgestellt:

Die Tatsache, dass die zweite, schulpraktische Phase der Lehrerausbildung an Institutionen stattfindet, die der direkten Aufsicht der Kultusministerien unterstehen, während die erste Ausbildungsphase an autonomen Universitäten erfolgt (die zuweilen selbst der Aufsicht der für Wissenschaft und Hochschulbildung zuständigen Ministerien untergeordnet sind), erschwert nicht nur die Zusammenarbeit, sondern dient den Universitäten zuweilen auch als Vorwand, sich nicht mit der praktischen Ausbildung zu befassen, die sie als eine Aufgabe anderer Stellen ansehen. (OECD 2004: 32)

Es wirkt gleichsam so, als würden die vorherrschenden Strukturen und unterschiedlichen Zuständigkeitsbereiche auf dem Rücken der angehenden Lehrkräfte ausgetragen, die Kunze (2014) fallrekonstruktiv auf Basis von videographierten Seminarsitzungen interaktionistisch als „eine Praxis des ‚Einnordens‘“ (ebd.: 56) von Seiten der Ausbildungskräfte charakterisiert. Darüber hinaus sehen sich die Referendarinnen und Referendare den Anforderungen gleich zweier Institutionen konfrontiert, ihrer Schule, an der sie als Lehrende Schülerinnen und Schüler unterrichten und neue Kolleginnen und Kollegen sind, sowie am Studienseminar, gleichsam wieder in der Rolle der Lernenden, sich wiederholt Prüfungen stellen müssen. Strietholt und Terhart (2009) folgern daher auch: „Symptomatisch für Belastungen während des Referendariats sind die vorgeschriebenen ‚Lehrproben‘.“ (ebd.: 625) Sie werden als gekünstelte Situationen beschrieben (vgl. Hoppenworth 1993), die als geschlossene Einheiten eines Dreischritts von z.B. problematisierendem Unterrichtseinstieg, Erarbeitungsphase und abschließender Ergebnissicherung im Widerspruch zu flexibel, teils von Routinen und Improvisationen geprägtem Realunterricht stehen, die zudem anhand ihrer Vorbereitung, Durchführung und Reflexion bewertet werden. Im Rahmen einer objektiv-hermeneutischen Fallanalyse aus Gruppendiskussionsmaterial der Potsdamer LAK-Studie lässt Wernet (2007) einen Referendar zu Wort kommen:

… man kann ja sagen, was man will: es ist ein Lehrer-Schüler-Verhältnis. Eh, und ich finde […], wir haben erstes Staatsexamen, wir sind sozusagen erwachsene Menschen eh, und ich finde, es muss einfach eine Möglichkeit der eh, der Reflexion geben. Aber jeder hat natürlich Schiss, eh, einen Fachseminarleiter zu kritisieren. (Schubarth et al. 2006: 140-141, zitiert in: Wernet 2007: 197)

Wernet interpretiert die in diesem kurzen Ausschnitt auftretenden Problemlagen als mögliches Kollegialitätsproblem, dass der Referendar sich mit dem Abschließen des ersten Staatsexamens und als Erwachsener konstruiert, selbst sich aber von den Ausbildungskräften als Schüler wahrgenommen fühlt: „Ohne es zu wollen kritisiert der Sprecher die Referendariatskolleginnen und -kollegen als ängstlich-unterwürfige, eher an Konformismus als an Autonomie und Kooperation orientierte Novizen.“ (Wernet 2007: 204) Das hiermit einhergehende Unbehagen und die letztlich ungeklärte Rollenverteilung und -zuschreibung mit der Abhängigkeit der LiV von ihren Ausbildungskräften dürften damit die Beanspruchung in der zweiten Phase ebenfalls erhöhen, besonders, wenn angehende Lehrkräfte gleichsam infantilisiert werden (vgl. Merzyn 2004). Auch die Intransparenz von Leistungserwartungen wird an anderer Stelle wiederholt erwähnt und konzentriert sich in der antinomisch angelegten Position der Ausbilderinnen und Ausbilder, gleichzeitig beraten und ausbilden sowie bewerten zu müssen (vgl. Gecks 1990, Lenhard 2004). Jedoch stellen Kunze (2014) und Wernet (o.J.) im Kontext desselben Forschungsprojekts AKURAT – Lehrerbildung als Interaktion: Fallrekonstruktionen zur Ausbildungskultur im Referendariat heraus, dass dies vermutlich nicht als Ursache der Herausforderungen im Vorbereitungsdienst gesehen werden kann, sondern sich zeigt „in der Art und Weise, wie sich die seminaristische Praxis ihrem Ausbildungsauftrag – sowohl theoretische als auch praktische Wissensbestände über Schule und Unterricht kommunikativ zu bearbeiten – zuwendet“ (ebd.: 6). Wernet und seine Forschungsgruppe erarbeiten eine ausbildungstopographische Übersicht der verschiedenen Einrichtungen der Lehrerbildung (s. Tabelle 4) und diagnostizieren damit „eine strukturell angelegte Überforderung der Ausbildungspraxis aufgrund der qua Institutionalisierung festgelegten und sich gleichsam wechselseitig ausschließenden Ausbildungsansprüche“ (ebd.: 15), welche in ihrer Ausbildungsinteraktion als negativen Nebeneffekt zu einem „Verschwinden der Sache“ (Dzengel et al. 2012) führt.


Ort der Ausbildung Universitätsseminar Studienseminar Ausbildungsschule
Bezugsrahmen Theorie Praxisreflexion Praxis
Fallbezug Fall als ausdruckmateriale Erscheinungsform eines allgemeinen Problems Fall als konkreter Anschauungs- und Reflexionsgegenstand bzw. als konkretes pädagogisches Handlungsproblem Fall als real zu lösendes handlungspraktisches Problem
Thematisierungsmodus problemerschließend/theoriegenerierend, unabhängig von praktischen Fragen praktische Angemessenheitsfragen aufwerfend lösungsorientiert
Geltungsgrundlage forschungsmethodische Geltung und Erprobtheit immanente rationale Konsistenz (horizontgebunden, setzt Explikation der Horizonte voraus) praktische Geltung/praktische Erprobtheit/Erfahrung
Ausbildungsfokus Einsozialisation in wissenschaftliche Praxis und Perspektive, Einübung eines forschenden Habitus Einübung eines analytischen Blicks auf die pädagogische Handlungspraxis Einübung der Selbstpositionierung in der päd. Praxis als Akteur/kollegiale Selbstvergewisserung und Vergemeinschaftung/praktische Problemlösung

Tab. 4:

Ausbildungstopographische Übersicht der lehrerbildenden Einrichtungen (Wernet o.J.: 12).

Mit im Referendariat seitens der angehenden Lehrkräfte offenbar werdenden Krisen und ihrer Bearbeitung beschäftigt sich Dietrich (2014) in seiner Dissertationsschrift. Einer strukturtheoretischen Argumentation folgend rekonstruiert der Verfasser die spezifische Krisenhaftigkeit der zweiten Ausbildungsphase und betont dabei, dass schulisches Handeln auch immer von Krisen geprägt ist, dass folglich der Aufbau von routiniertem Deuten und Handeln erst innerhalb krisenhafter Bearbeitungen der angehenden Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst angebahnt werden kann. Mittels vier objektiv-hermeneutisch bearbeiteter Fallstudien wird gezeigt, dass eine Hauptursache für Krisen die Überzeugung einer „Kontrollier- und Planbarkeit der schulischen Handlungssituation“ (ebd.: 464) auf Seiten der Referendarinnen und Referendare sei. Je weiter diese Überzeugungen und die schulische bzw. mit Lernenden auftretende interaktionistische Realität auseinanderklaffen, umso stärker wird ein Krisenerleben offenbar, das eine Transformation bedingt. Transformative Möglichkeitsräume, wie Dietrich sie konzeptualisiert, können jedoch nur dann erkannt und genutzt werden, wenn die angehenden Lehrkräfte selbst ihre Überzeugungen reflektieren und entsprechend alternative Deutungs- und Handlungsroutinen aufbauen, was jedoch nicht einfach bewerkstelligbar scheint: „Letztlich lassen die Rekonstruktionen erkennen, dass, ungeachtet aller denkbaren normativen Maßstäbe, die jeweiligen Lebenspraxen selbst und eigensinnig über die Transformation oder Beharrung entscheiden.“ (ebd.: 492) Oelkers (1996/2000) unterstellt den Studienseminaren, wie Lenhard (2004) herausarbeitet, einen gewissen Hang zur Selbstidealisierung, die die damit verbundenen Ansprüche an Idealvorstellungen von Unterricht und Lehrkraft in großen Ansprüchen resultieren lassen, „die fast zwangsläufig in Spannungen zur defizitären Alltagswirklichkeit geraten“ (Lenhard 2004: 282), welche Dietrich (2014) mittels der beschriebenen Krisenerfahrung rekonstruiert.

Neben der Untersuchung der Kompetenzentwicklung von Mathematiklehrkräften in der im quantitativen Forschungsparadigma angelegten COACTIV-Studie (vgl. Baumert/Kunter 2006, Kunter et al. 2011), beschäftigt sich eine Unterstudie namens COACTIV-Referendariat (COACTIV-R) mit der Entwicklung der angehenden Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst und erhebt hier auch Faktoren beruflicher Beanspruchung (vgl. Klusmann et al. 2012). In der Tat zeigt sich im ersten Jahr des Referendariats eine erwartete, deutlich gestiegene Beanspruchung, die über den weiteren Verlauf aber auch stark persönlichkeits- und kompetenz- bzw. wissensabhängig ist. So unterstützen stabile Persönlichkeitsmerkmale, selbstregulatorische Fähigkeiten sowie beim Eintritt in das Referendariat bereits vorhandene Wissensbestände um Klassenführung die Bewältigung dieser zweiten Phase im besonderen Maße (vgl. Inputdimension bei Munderloh 2018). Dennoch zeigt sich, dass Lehrkräfte nach dem Vorbereitungsdienst – und das trotz einer wiederholt als fordernd charakterisierten Berufseinstiegsphase – hier wesentlich positiver gestimmt sind, was ihre Kerntätigkeit des Unterrichtens angeht als diejenigen Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (vgl. Schmidt et al. 2016).

Deutlich pessimistischer bewertet die ebenfalls quantitativ angelegte Studie von Drüge et al. (2014) Belastungsfaktoren insofern, als dass die Belastungen der Referendar/-innen im Vergleich mit bereits länger berufstätigen Lehrkräften und anderen Berufsgruppen deutlich erhöht sind und sich hier insbesondere zeigen als „Burnout, Gedanken an Berufsaufgabe und kognitive Stresssymptome“ (ebd.: 358). Auch im Bereich sozialer Faktoren (Rollenkonflikte, Rollenklarheit, soziale Unterstützung, soziale Beziehungen und Gemeinschaftsgefühl) liefern die Referendarinnen und Referendare im Vergleich mit anderen Berufsgruppen in dieser Untersuchung die schlechtesten Werte. Jedoch wird positiv hervorgehoben, dass die angehenden Lehrkräfte gewisse Einfluss- und Entwicklungsmöglichkeiten bereits im Vorbereitungsdienst wahrnehmen und nutzen können, was für berufliche Zufriedenheit und den Umgang mit Belastungen positive Auswirkungen hat.

In einer auf zwölf Jahre angelegten Längsschnittstudie wird in Baden-Württemberg neben der Kompetenzentwicklung von angehenden Lehrkräften (auch Lehramtsstudierenden und LiV) mittels Selbsteinschätzungsskalen auch deren Beanspruchung ermittelt (vgl. Rauin/Maier 2007). Die Lehramtskandidatinnen und -kandidaten wurden mittels Skalen in Risikogruppen („riskant“, „pragmatisch“, „engagiert“) eingeteilt. Interessant ist hierbei die Erkenntnis, dass der Anteil der im Studium als „riskant“ eingestuften Kandidatinnen und Kandidaten von 27 Prozent auf 17 Prozent zum Abschluss des Referendariats fällt, während gleichzeitig der Anteil der „Engagierten“ von 35 auf 44 Prozent steigt. Inwiefern dies mit Ausbildungsstrukturen oder veränderten Anforderungen zusammenhängt, wurde zwar nicht erhoben, jedoch zeigt dies in der Auswertung auch, dass innerhalb der Gruppe der als „riskant“ bewerteten Lehrkräfte die Burn-Out-Gefahr deutlich erhöht war im Vergleich zu den anderen Gruppen (vgl. Rauin 2008).

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