Читать книгу: «Prinz der Wölfe», страница 3

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„Ganz bestimmt“, sagte ich in dem Versuch eines Freundschafts­angebots. Ich konnte in Vilis Gesicht erkennen, dass er kein Wort Taldani verstand.

„Weißt du, wie Varisier tanzen?“ Sie bewegte ihre Hände so schnell, dass die Armreifen an ihren Handgelenken dabei klingelten und warf sich in eine Pose, die ich auf Kopien berühmter Gemälde gesehen hatte, von denen viele ihr verblüffend ähnlich sahen.

Bevor ich antworten konnte, spielte der Geiger zum Tanz auf. Noch vor dem zweiten Takt klatschten die Zuschauer mit über ihren Köpfen erhobenen Händen. Dieses Mal zogen sich die Musiker zu ihren Zelten zurück, ließen den Teppichring frei, und Malena wirbelte in die Mitte wie eine Königin auf ihrem Podium. Dort nahm sie eine weitere typische Pose ein, und die Menge grölte ihren Namen.

Zunächst schien sie sich kaum zu bewegen, doch die Reifen an ihren Handgelenken und Fesseln erklangen im Takt der Musik. Dann drehte sie sich, und ihre Rocksäume flogen hoch und entblößten schlanke, muskulöse Beine. In Egorian war eine Frau, die sich nicht rasierte, eine Seltenheit, und irgendetwas an ihren mit Flaum bewachsenen Waden kitzelte mich im Nacken. Es war entweder das oder ihr natürlicher Moschusgeruch, als sie so nahe an mir vorbeiwirbelte, dass ihre Haare mein Gesicht streiften. Ich erkenne eine Einladung, wenn ich sie sehe, also folgte ich ihr zu dem Teppich und fügte ihrem Dreierschritt ein Gleiten hinzu, um mich ihrem Rhythmus anzupassen. Die Menge lachte, doch Malena begegnete mir auf halbem Wege mit einem Seitschritt, sodass ich sie verfolgen musste, während sie mit einem hauchdünnen Schal, den sie aus ihrer Schärpe gezaubert hatte, Figuren in die Luft malte. Schon bald brachen die Einheimischen in Jubel wie in Gelächter aus, besonders, wenn ich einen Arm um Malenas Taille gleiten und sie wieder entkommen ließ, wenn sie mich mit dramatischer Geste weg stieß. Ich machte eine Schau daraus, nach meiner Börse zu greifen, um sicherzustellen, dass sie sie nicht hatte mitgehen lassen, und die Leute grölten vor Begeisterung. Sie liebten es zu lachen, und ich hatte für sie den Narren gespielt.

Malena wirbelte herum und lockte mich mit ihrem Schmollmund. Ich ahmte einen unter dem Pantoffel stehenden Ehemann nach, den ich in einer Straßenposse gesehen hatte, die Hände weit und niedrig ausgestreckt, das Gesicht um Verzeihung flehend. Ich kniete mich hin und bot ihr einen unsichtbaren Blumenstrauß.

Sie zierte sich, tanzte um den Kreis herum, sodass ihr Schal nach und nach die Gesichter der Männer streifte. Einige scheuchten sie weg, als ihre Frauen sie finster anblickten, während andere nach ihr griffen, doch keiner von ihnen war flink genug, um sie zu berühren, als sie sich zurückzog.

Ich machte einen Schritt auf sie zu, hielt dann jedoch inne. Als ich das letzte Mal an einer schönen Frau Gefallen gefunden hatte, hatte sich sehr schnell die Hölle aufgetan. Während der Monate danach hatte ich nicht einmal die Blicke der Damen des Gewerbes erwidert, und diese hatten begonnen, es mir übelzunehmen. Dennoch, vielleicht wurde es Monate später und fern von daheim allmählich Zeit, die Vergangenheit hinter mir zu lassen und nach vorne zu blicken.

Während ich nachdachte, musste Malena mein Zögern gespürt haben, denn sie strich nahe an mir vorbei. Ihr Haar roch wie Gras im Spätsommer, und ich fasste einen Entschluss. Ich schlang einen Arm um ihre Taille, beugte sie in meinen Armen nach unten und küsste sie.

Was Küsse betrifft, war das nicht mein bester. Ich war zu sehr damit beschäftigt, für die Menge eine gute Figur zu machen, und sie war zu überrascht, um zu entscheiden, ob sie sich darauf einlassen oder mich wegstoßen sollte. Ich zog sie wieder hoch. Als ich sie auf die Füße stellte, bestätigte sich meine Vermutung, dass sie einige Zoll größer war als ich. Ich trat einen Schritt zurück, lud sie beinahe zu einer Ohrfeige ein, doch als sie ihre Hand auf meine Wange legte, war es nur eine sanfte Liebkosung. Sie lächelte mich strahlend an.

Irgendetwas traf meinen Schädel so heftig, dass es mir die Sicht nahm. Ich drehte mich um und machte einen Schritt zurück, während ich die Fäuste hob, um meinen Kopf vor einem weiteren Hieb zu schützen. Mein Blick klärte sich genug, um zu erkennen, dass Vili Malena von mir fortzog. Sie schrie ihn auf varisisch an, zu schnell, als dass ich ihr folgen konnte. Er ignorierte sie und starrte mich zornig an.

Nun gab es etwas, das ich noch mehr wollte, als ein Tänzchen mit Malena. Ich nickte in Vilis Richtung und winkte ihn mit altehrwürdiger Geste zu mir herüber. Die anderen Sczarni nahmen alle gleichzeitig Abstand, als hätten sie von vornherein gewusst, was geschehen würde. Natürlich wussten sie es – ebenso wie das Publikum, das näherkam, um besser sehen zu können.

Die Sczarni begannen, in einem unregelmäßigen Rhythmus zu klatschen, und die Menge schloss sich ihnen an. Sie hatten diesen Tanz schon einmal gesehen. Ich ließ Vili führen, und er fing an, mich von links nach rechts zu umkreisen, wie es ein ernstzunehmender Kämpfer niemals tun würde. Er machte eine Schau daraus – für das Publikum, für seine Kumpane und besonders für Malena. Ich ließ ihm Zeit für seine Darbietung, während ich ihn taxierte. Er war fünf oder sechs Zoll größer, aber ich war gut ein oder zwei Stein schwerer als er. Ich stürzte nach vorn.

Ein Messer erschien in seiner rechten Hand. Es war eine gekonnte Bewegung, so schnell wie Magie. Das Publikum keuchte, und ich kam in der Mitte des Teppichrings zum Stehen. Die Klinge war so lang wie eine Handspanne und sah scharf aus. Es war eine einfache Waffe, gut gepflegt und oft benutzt. Ich schätzte Vilis Fähigkeiten neu ein. Er war gefährlich.

Ich zog mein eigenes Messer aus der eingenähten Scheide an der Rückennaht meiner Jacke, wo der umgedrehte Griff des Messers aussieht wie der Schwanz, den ich nicht habe – was auch immer einige dieser lügnerischen Dirnen aus dem Listgang sagen mögen. Das Messer war doppelt so lang wie das Vilis, mit einer teuflischen Krümmung, die von den Halsabschneidern in Cheliax und den Priestern des Asmodeus bevorzugt wird. Ich hatte die Schneide heute Morgen geschärft, und die silberne Filigranarbeit glühte im Licht der Nachtmittagssonne auf.

Vilis Mund blieb unbeweglich, doch das Feuer war aus seinen Augen verschwunden. Er änderte die Richtung und umkreiste mich linksherum, bis er innehielt und eine Schau daraus machte, wie er das Messer auf den Teppich legte. Ich schüttelte meinen Kopf in gespielter Enttäuschung, trat jedoch einen Schritt zurück und stieß das Messer tief in den Block eines Goldschmiedes, der neben einem nahen Zelt stand. Aus den Augenwinkeln sah ich die Gestalt des Taschendiebes heranhuschen. Ich hielt meinen Blick auf Vili gerichtet und sagte auf Varisisch: „Nein.“ Dann, darauf hoffend, dass es jemand übersetzte, fügte ich auf Taldani hinzu: „Wenn du es anfasst, versohle ich dir den Arsch und schmeiße dich wieder ins Hafenbecken.“

Ich meinte es ernst. Das Messer war teuer gewesen.

Vili stürmte auf mich zu. Ich wich nach links aus, hakte sein Bein mit meinem Fuß ein und gab ihm einen Stoß, als er vorbeilief. Er stolperte, drehte sich jedoch wesentlich geschickter, als ich gedacht hatte, wieder um. Zähnefletschend senkte er den Kopf und knurrte. Seine Eckzähne waren lang und gelb. Gestank wie von einem Tier stieg von seiner Haut auf, und das blonde Haar auf seinen nackten Schultern wurde dicker.

Ich wünschte mir, wieder dieses Silbermesser in der Hand zu haben.

Der Kreis um uns herum vergrößerte sich, und die Menge wurde still. Vilis Knurren wurde tiefer, und auch sein Gesicht begann sich zu verändern. Seine dicken Augenbrauen wuchsen zusammen, während das Haar über seine sich verbreiternde Nase und über seine Stirn floss. Seine Kiefer wurden länger, und die großen Zähne wuchsen weiter. Bevor jemand „Werwolf“ sagen konnte, hatte er mich bereits angesprungen.

Ich ergriff seine langen Ohren und hielt sie fest. Er rammte seine Fäuste in meine Rippen, doch ich machte mir mehr Sorgen wegen der Zähne. Während ich mich darauf konzentrierte, seine Kiefer von meiner Kehle fernzuhalten, schoss sein Knie hinauf in meine Leistengegend. Er heulte auf, als der Stachel in meinem Lederschutz seine Kniescheibe zertrümmerte. Ich würde morgen einen Schneider brauchen, er dagegen eine Krücke.

Ich zog ihn über mein Bein und warf ihn zu Boden, während ich mich noch immer an seinen Ohren festklammerte. Er packte mich, und ich konnte spüren, wie sich seine Finger zu stählernen Nägeln verhärteten, die sich schmerzhaft in meinen Nacken bohrten. Ich zog sein Gesicht nah an meines und grinste ihn breit an.

Das ist etwas, das ich nicht oft versuche, da meine Zähne nicht die hübschesten sind. Die Barbiere bekommen von mir ein zusätzliches Trinkgeld, wenn sie meinen Zahnstein entfernen sollen, und das Netteste, was je irgendjemand über meine Beißerchen gesagt hat, war, dass sie ihn an einen Kasten mit feinem Silberbesteck erinnerten, den der Hausdiener fallen gelassen hatte.

Jemand in der Menge kreischte, und das halbe Publikum rannte entweder nach Hause oder in den nächsten Tempel. Selbst die Sczarni hörten auf zu klatschen.

„Zwing mich nicht, dich zu beißen, Junge“, sagte ich, ohne darauf zu achten, dass er gut fünf Jahre älter aussah als ich. Von dem Geruch zu schließen war ich ziemlich sicher, dass er derjenige war, der Schiss hatte.

Einer der Sczarni brüllte eine Übersetzung. Vili lockerte langsam seinen Griff, während er mich nicht aus den Augen ließ und blieb still auf dem Rücken liegen. Ich stand auf und musterte ihn nach einem Anzeichen dafür, dass die Kampfeslust wieder in ihm hochkommen würde.

Als ich außerhalb seiner Reichweite war, sah ich, dass der Großteil der Menge verschwunden war. Bald würde ich mit den Sczarni allein sein, sodass es auf jeden Fall Zeit war zu gehen. Ich drehte mich um und sah, wie der Bursche vor meinem Messer floh, dass noch immer in dem Arbeitsblock des Goldschmieds steckte. Ich hätte gerne gesehen, wie er versuchte, es herauszubekommen. Ich zog es heraus und hob den schweren Block einen Zoll in die Höhe, bevor die Klinge herausrutschte.

Vili stahl sich zu der Gruppe Sczarni zurück. Ohne das Publikum, das ihre Zahl verdeckt hatte, zählte ich vierzehn. Sie warfen dem grauhaarigen Geiger von der Seite lange Blicke zu, und ich erkannte, dass er ihr Anführer – Häuptling, Oberhaupt, was auch immer – sein musste. Ich zuckte mit dem Kinn in seine Richtung, bevor mir klar wurde, dass die Geste vielleicht nicht verstanden wurde, doch er erwiderte sie in einer Weise, die mich glauben machte, dass es so war. Das konnte heißen, dass alles geregelt war, oder es konnte bedeuten, dass ich einen Vorsprung bekam.

Als ich mich umdrehte, sagte Malena: „Warte! Sei uns nicht böse, Radovan. Lass mich dir die Turmkarten legen. Als Geschenk.“

Die besten Sprichworte über Rache stammen von den Sczarni, daher wusste ich, dass es keine gute Idee war, ohne eine Menschenmenge in der Nähe unter ihnen zu weilen. Außerdem habe ich die Turmdeuter noch nie gemocht. Sie sind schlimmer als die meisten Wahrsager, denn gelegentlich findet sich ein wahrer Turmdeuter unter ihnen, einer dieser Kartenleser, die tatsächlich etwas auf eine Distanz von tausend Tagen sehen können. Wesentlich öfter hat man nur ein paar Silbermünzen an einen Betrüger bezahlt, und dann geht man davon und glaubt, etwas über sich selbst gelernt zu haben, aber es ist nur das übliche Sczarni-Geschwätz: Irgendein Dreck über Liebe, irgendein Dreck über Reichtum, noch mehr Dreck über die eigene Großzügigkeit, die nur vom skeptischen Verstand in Schach gehalten wird. Ich könnte das selbst, wenn es mir gelänge, dabei ernst zu bleiben.

Wie immer ich es auch betrachtete, es gab keinen guten Grund, wegen eines Kartentricks zu bleiben. Trotzdem, die Vorstellung, mich abzusetzen und dabei in Malenas Augen keinen Deut mutiger auszusehen als Vili – das wurmte mich.

Bevor ich mich dazu entschlossen hatte zu gehen, brachte eine Gruppe von Sczarni-Frauen einen kleinen, runden Tisch und zwei Hocker, bevor sie sich wieder zurückzogen, und ließen Malena und mich auf den Teppichen allein. Der Geiger drückte sich in der Nähe herum, vielleicht weil er sich für eine Anstandsdame hielt.

Alles geschah im Freien, mitten in Caliphas, und es gab noch immer genügend Tageslicht. Ach, zur Hölle! Ich nahm gegenüber von Malena Platz.

Sie ließ das einführende Brimborium weg, das ich schon einmal gesehen hatte, und gab mir einfach die Turmkarten. Die Karten waren alt, aber ihre Ränder waren noch immer so glatt, dass ich die Markierungen eines Falschspielers nicht sofort bemerkte. Ich drehte sie um und betrachtete die Vorderseiten: Der Jongleur, Der Pfau, Die Königinmutter, Der Paladin. Ich hatte sie alle schon einmal gesehen, von anderen Künstlern gemalt. Wer auch immer diese Karten bemalt hatte, hatte eine gruselige Art von Talent, oder die Bilder erschienen mir unter den gegebenen Umständen einfach unheilvoller.

Zufrieden, dass ich ihren Karten den nötigen Respekt oder sonst irgendwas entgegengebracht hatte, nahm Malena sie wieder an sich. „Warum du gekommen bist“, sagte sie, während sie die Karten mischte. Sie tat es wie ein Glücksspieler in einer Hafenkneipe und legte die Karten, anstatt sie zurück in die bekannte Schachtel zu tun, mit der Vorderseite nach oben in einem halbmondförmigen Muster aus, dessen Spitzen auf mich zeigten. „Was du finden wirst.“

Schließlich, ohne Kommentar, legte sie eine einzelne Karte mit der Vorderseite nach unten zwischen die Spitzen des Halbmondes.

Sie begann in der Mitte mit dem Teufel. „Dies zeigt, wo du herkommst“, sagte sie. „Von einem Ort der Stärke.“

„Unglaublich“, sagte ich. Sie ignorierte meinen Sarkasmus. Wenn ihre Finger so geschickt waren, wie ich es mir vorstellte, war es kein großer Trick für sie, die Karten dort zu platzieren, wo sie sie haben wollte, und nachdem sie mein breites Grinsen gesehen hatte, gab es keine andere Möglichkeit mehr: Sie musste verstanden haben, dass meine Vorfahren aus einem wärmeren Klima stammten.

„Dies sind die Mächte, die dich antreiben.“ Sie zeigte auf die Karten, die daneben lagen. Den Tyrannen und den Wanderer. Sie sprach dichterisch über die Aspekte des Geistes und der Persönlichkeit, und ich nickte, ohne richtig zuzuhören. Ihre Augen waren grüner, als ich es zuvor bemerkt hatte, und sie hatte mehrere Ringe in ihren Ohrläppchen. Eine tätowierte Schlange wand sich über ihren Hals und eine Schulter hinab. Ich wollte ihr folgen, doch da fiel mein Blick auf den Geiger. Würde ich einen neuen Streit anfangen, wenn ich eine Haarlocke von dieser freiliegenden, gebräunten Schulter strich?

„Dies sind die Mächte, die sich dir entgegenstellen“, sagte sie. Der Narr und Der Verrat – gute Wahl. „Und diese könnten dich unterstützen oder irreleiten.“ Die Stumme Vettel und Der Tanz. Dies erschien mir einigermaßen in Ordnung, wenn man die derzeitige Gesellschaft in Betracht zog, und ich wurde langsam nervös. Ich sah mich um und bemerkte dass niemand mehr in Sichtweite war.

Sie hatte die Spitzen des Halbmondes erreicht und beschrieb den Zwilling und den Leeren Thron als Schatten meines Schicksals. Perfekt, dachte ich. Als Nächstes wird sie mir erzählen, dass ich die Reichtümer eines lange verloren geglaubten Bruders erben werde, und dann wird mir der Geiger eine Landbesitzurkunde zum Kauf anbieten.

Ich erhob mich. Sie sah mit einem rätselhaften Blick zu mir auf. Wartete sie jetzt darauf, dass ich eine Frage stellte? Dass ich ihr Geld anbot? Ich tastete nach meiner Börse, um sicherzugehen, dass sie noch da war, doch dann bemerkte ich, dass sie die letzte Karte nicht angerührt hatte. Ich drehte sie um.

Die Karte zeigte einen Mann, der auf einem vom Mondlicht beschienenen Hügel stand, mit einem Zepter in der Hand und einer Krone zu seinen Füßen. Unter ihm blickten Dutzende glühender Augen aus den Schatten heraus, als warteten sie auf einen Befehl von oben.

„Nein!“, schrie der Geiger. Er trat den Tisch um, und die Karten segelten davon.

Etwas in seinem Ton erschreckte mich. Ich war mehrere Schritte zurückgetreten, bevor ich es richtig begriffen hatte. Malena bückte sich, um die Karten aufzuheben, und der Geiger schalt sie heftig auf Varisisch. Ich schnappte nur ein paar Worte auf, doch ihre Körpersprache sagte mir alles, was ich wissen musste. Sie hatte etwas falsch gemacht, und er war zornig.

„Wo liegt das Problem?“, fragte ich.

„Schnell“, sagte Malena. Sie drückte mir etwas in die Hand. „Hier ist deine Münze. Jetzt geh!“

Der Geiger zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger und kleinem Finger auf mich; irgendwie eine umgedrehte Form des Zinkens. „Halt dich von meiner Familie fern, Teufel“, sagte er. „Du bist verflucht!“

„Na, von mir aus“, war die schlagfertigste Antwort, die ich herausbrachte. Dennoch, ich verstand mein Stichwort, wenn ich es hörte. Ich nahm Abstand von der Mystikergasse. Erst nachdem ich um die Ecke gebogen war, schaute ich mir an, was Malena mir gegeben hatte.

Ein Kupferstück, und nicht einmal ein glänzendes neues. Der Kopf des uralten Fürsten darauf hob sich spangrün von dem schwarzen Dreck der Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte, ab. Vielleicht sogar mehr. Er war ein hübscher Kerl, aber mit einem sauertöpfischen Ausdruck auf dem Gesicht, als hätte er gerade etwas gekostet, von dem er erwartet hatte, dass es ihm schmecken würde, was er stattdessen aber hatte ausspucken müssen.

„Du und ich, wir beide“, sagte ich zu ihm.

Kapitel drei

Die Lepidstadtnarbe

Als ich meine Hand ausstreckte, um der Herrin Tara in die Kutsche zu helfen, ging ihr Begleiter so abrupt dazwischen, dass ich mich genötigt sah, einen Schritt zurückzutreten, um nicht seine Schulter in meine Brust gerammt zu bekommen. Meine Bekanntschaft mit Kasomir Galdana war weniger als eine Stunde alt, doch ich bereute bereits mein Versprechen, ihn heimzubegleiten.

Durch jemandem aus ihrem weitreichenden Netzwerk von Bewunderern, Rivalen und Speichelleckern hatte Carmilla von Deinem Vorhaben erfahren, das Anwesen Graf Lucinean Galdanas zu besuchen in der Hoffnung, Zutritt zu seiner Familienbibliothek zu erhalten. Ich hatte zunächst Bedenken, dass ein Herrscher von Ustalav seine privaten Besitztümer einem Kundschafter gegenüber öffnet, doch hätte ich nicht überrascht sein dürfen zu erfahren, dass Deine Überredungskünste der Eloquenz Deiner schriftlichen Berichte gleichkommen. Carmilla hörte außerdem, Du hättest Galdana genügend beeindruckt, sodass Du im vergangenen Frühling mehrere Tage auf seinem Anwesen bei Weidenweh verbringen konntest. Und es ist in der Tat wahr, dass die Abneigung gegenüber unserer Gesellschaft nicht notwendigerweise von allen Adligen in Ustalav geteilt wird.

Den derzeitigen Grafen Galdana habe ich nie kennengelernt, doch bei seinem Vorgänger erinnere ich mich an ein fröhliches Gemüt und eine Neigung zu deftigem Humor und Prahlereien über jüngste Jagdausflüge. Die Gerüchte, die ich seit meiner Ankunft zusammentragen konnte, sprachen von dem jetzigen Grafen von Amaans als einem begeisterten Jägersmann, der so häufig im Feld war, dass die Adligen von Caliphas es mehr gewohnt waren, einen seiner näheren Verwandten zu empfangen – dieses Mal Kasomir, den Sohn seiner Schwester. Als Gegenleistung für ihre Informationen bat Carmilla mich lediglich darum, Kasomir und seine Base, Tara, nach Weidenweh zu begleiten.

Es entging meiner Aufmerksamkeit nicht, dass Carmillas Bitte sich perfekt mit meinen eigenen Plänen deckte. Noch bin ich taub gegenüber dem Gemunkel über ihr Verlangen, die Stellung des Hauses Ordranto zu unterlaufen. Sicherlich hätte Kasomir eigene Wachen und eine eigene Kutsche anheuern können, doch Carmilla bestand darauf, dass wir die Vorzüge meines Gefährts teilen sollten. Dies würde einen vorteilhaften Eindruck machen, der mir sehr dabei helfen könnte, Zugang zur Familienbibliothek der Galdanas zu erhalten. Unter anderen Umständen hätte ich gezögert, bevor ich es zugelassen hätte, mich auf derartige Weise manipulieren zu lassen, doch als ich die Wahrscheinlichkeit, dass Carmilla meinen Besuch ausnutzte um einen Verdacht auf Graf Galdana fallen zu lassen, gegen die Aussicht abwog, Dich zu finden, war es meines Erachtens nach diesen Preis wert.

Kasomir Galdana war das Sinnbild eines ustalavischen Adligen. Von schlankem Körperbau und hageren Wangen, zeigte sich bereits nach der Mittagsstunde der Schatten eines dunklen Bartes, obwohl sein Haupthaar bleich wie Stroh im Winter war. Ich sah das Rapier an seiner Hüfte und, unter seinem linken Auge, eine Narbe, deren Form mir bekannt vorkam. Da sein Onkel, der Graf, keine Nachkommen hatte, hatte er ihn adoptiert, eine Geste, die unter ustalavischen Adligen nicht ungewöhnlich war, insbesondere zwischen Onkeln und Neffen. Als Gegenleistung für diese Ehre nahm sich Kasomir jener Pflichten an, die der Graf nicht persönlich wahrzunehmen wünschte, wie zum Beispiel die Base aus Caliphas abzuholen.

Kasomirs Base Tara war kürzlich aus Vudra zurückgekehrt, wo ihr Vater bis zu seinem Ruhestand vor einem Jahrzehnt als ustalavischer Botschafter gedient hatte. Während er seine verbleibenden Tage in dem milden Klima des Heimatlandes seiner Frau zu verbringen gedachte, wünschte er, dass seine Tochter, wenn sie volljährig würde, die Kultur seiner Heimat kennenlernte. Ich vermutete zudem, er hoffte, ihr Aufenthalt in der Gesellschaft von Ustalav könne zu einer zufälligen Heirat führen.

Tara besitzt die Art von Schönheit, wie sie jenen einer gemischten Herkunft zu Eigen ist, wenn Du mir eine solch eigennützige Ansicht verzeihst. Ihre Hautfarbe ist die von zerstoßenem Zimt, und ihre Augen sind so schwarz, dass man genau hinsehen muss, um festzustellen, dass sie keine Belladonna zu sich genommen hat, die ihre Pupillen weitet. Dennoch fügt sich zu dieser vudranischen Erscheinung eine Adlernase hinzu, wie sie unter den Varisiern von Ustalav verbreitet ist, und ihr Haar spiegelt eher den Glanz gesponnenen Kupfers wider als den irdenen Ton von Henna.

Leider hat die junge Frau seit unserem Kennenlernen weniger als zwei Dutzend Wörter gesprochen, allesamt eingeübte Höflichkeitsfloskeln. Ich nehme an, dass das Herbstwetter ihrer Konstitution nicht zusagt, oder vielleicht hat sie sich noch nicht an die hiesige Küche gewöhnt. Möglicherweise hatte sie zu sehr vom Wein des Prinzen gekostet und ertrug nun dieselben Nachwirkungen, unter denen auch ich derzeit litt. Was auch immer der Grund sein mochte, so erregte ihre zarte Konstitution zumindest keinen Anstoß, im Gegensatz zu Kasomirs übertriebener Schutzhaltung gegenüber seiner Base.

Kasomir hätte meine Anwesenheit mehr zu schätzen wissen sollen, denn ohne sie hätte er vermutlich unter mehr als nur einer Schulter in seiner Brust gelitten. Als ein zweiter Blick auf Radovan ihm die durch die Hölle geprägte Herkunft meines Leibwächters bestätigte, kamen Kasomirs ungehobelte Fragen über dessen Abstammung einer Beleidigung gleich. Radovan verstand mehr Varisisch, als ich vermutete, doch zum Glück waren seine Antworten höflich, wenn auch nicht unterwürfig genug um Kasomirs Übellaunigkeit zu beschwichtigen. Ich wünschte, Radovan würde seine Bemühungen verdoppeln, die hiesige Sprache zu lernen, da weniger Einwohner Ustalavs Taldani verstehen werden, je weiter wir uns von Caliphas entfernen.

Es kam noch zu einem erwähnenswerten unglücklichen Ereignis bevor wir die Stadt verließen. Nicola hatte sich zuvor für die Verzögerung bei der Beschaffung der Vorräte entschuldigt, doch dies blieb ohne Konsequenzen, da ich unsere Abreise um einen Tag verschoben hatte, um Kasomir und Tara Gelegenheit zu geben, ihre hiesigen Pflichten zu erledigen. Dennoch irrlichterte Nicola umher, und ganz unverkennbar lächelte Radovan belustigt, als er die Gemütserregung meines Dieners bemerkte. Als ich beobachtete, wie Nicola ständig nach der neuen Geldbörse griff, verstand ich, was vorgefallen sein musste.

Ich rief Radovan unter dem Vorwand zu mir, die sechs Wachleute in Augenschein zu nehmen, die er ausgesucht hatte. Es war ein rauer Haufen, doch ausgehend von den Amputierten und Trunkenbolden, die am Mietstand herumgelungert hatten, hatte Radovan die fähigsten ausgewählt. Nur zwei zeigten militärische Disziplin, und einer trug einen hohen Kragen, der nicht ganz eine üble Narbe verbarg, die der Strick zurückgelassen hatte.

„Wie viele Sträflinge?“, fragte ich Radovan.

Sein Kinn sprang in jenem halbseitigen Lächeln hervor, das mir sagt, dass er meine erste Frage vorausgesehen hatte. „Nur einer“, gab er zurück. „Die Frage ist, welcher?“

Dass er diese Frage stellte, bedeutete, dass die Antwort nicht offensichtlich war, es sei denn, er versuchte, mich zu täuschen. Radovan genießt solche Irreführungen, eine Eigenschaft, die ich wesentlich mehr schätze, wenn sie zu meinem Vorteil anstatt auf meine Kosten eingesetzt wird. Diese List hätte mich irritieren sollen, doch es fällt mir schwer, einem Rätsel, selbst einem einfachen, zu widerstehen.

Daher ließ ich den Gehängten außer Acht, dessen Name, wie Radovan mir sagte, Kostin war. Die beiden, in denen ich die ehemaligen Soldaten erkannt hatte, hießen Anton und Dimitru. Sie saßen auf einer niedrigen Mauer nahe der Ställe, blickten uns zwar nicht direkt an, doch offensichtlich lauschten sie unserer Konversation und waren jederzeit bereit, sich auf einen Befehl hin in Bewegung zu setzen. Luka, ein schlanker Bursche mit einer Verbrennungsnarbe auf dem Rücken einer seiner Hände, inspizierte die Reitpferde, bevor er schließlich für sich eine graue Stute sattelte. Kostin stand mit einem Fuß gegen die Wand gelehnt und beugte sich zu dem einäugigen Emil vor. Sie teilten sich eine Pfeife, die so geschnitzt war, dass sie einem schlafenden Bären ähnelte, doch ihrer angestrengten Lässigkeit zum Trotz wanderten ihre Augen ständig zu den verhangenen Fenstern der roten Kutsche, in der sie zuletzt die schöne Tara hatten verschwinden sehen. Dem Letzten, einem langhaarigen Jüngling namens Grigor, fehlte an einer Hand der kleine Finger. Schon zum dritten Mal seit unserer Ankunft blickte er hinunter auf seine Armbrust.

Ich wies auf den dritten Mann.

„Klar, Luka“, sagte Radovan nüchtern. „Aber was hat er verbrochen?“

„Pferdediebstahl“, sagte ich. „Er kennt die Tiere gut, und die traditionelle Bestrafung in Ustalav für Diebstahl ist das Brandmarken des Handrückens.“

Radovan nickt anerkennend. Es war keine besonders scharfsinnige Schlussfolgerung, doch ich gab ihr mit genügend Selbstbewusstsein Ausdruck, dass er beeindruckt war.

„Daraus kannst du eine Lehre ziehen“, sagte ich. „Solch ein Brandmal würde dich daran hindern, dich in bestimmten Kreisen zu bewegen.“

Gewöhnlich gibt Radovan nur wenig preis, doch ich bemerkte, wie er leicht den Unterkiefer anspannte. Er nickte, sagte jedoch nichts. Es gab Zeiten, in denen dies ausgereicht hätte, um das Einvernehmen zwischen uns zu bestätigen, doch ich wollte Klarheit schaffen.

Ich sagte: „Ich nehme an, dass Nicola seine verlorengegangene Börse inmitten des Gepäcks auffinden wird.“

Radovan betrachtete die Sonne, die gerade hinter dem Horizont aufgetaucht war. „Ich bin überrascht, dass er das noch nicht hat.“

In glücklicheren Tagen hätte er mich vielleicht mit einer schlagfertigen Erwiderung amüsiert, doch meine Ermahnung machte ihm zu schaffen. Möglicherweise lag der Fehler bei mir, da ich über die Jahre eine solche Formlosigkeit zugelassen hatte.

Für derartige Gedanken war es zu spät. Ich konnte meine Gäste nicht länger warten lassen, also rief ich Nicola mit einem Fingerschnippen zu mir, und wir bestiegen die Kutsche. Nur Augenblicke später ließ der angeheuerte Kutscher die Zügel knallen, und wir begannen unsere Fahrt gen Norden in das Herz von Ustalav.

Es gibt nichts Bequemeres für eine Überlandfahrt als die rote Kutsche. Seit dem Tag meiner Geburt hielten vier Generationen von menschlichen und Halblingdienern die Kutsche instand, dennoch musste sie nie repariert werden. Auch ist ihre glänzende Farbe nie verblasst. Erstaunlicherweise mussten weder die Federn noch die Räder je ersetzt werden, wenn ich auch Letztere als jährliche Instandhaltungsmaßnahme mit neuem Stahl hatte beringen lassen. Das Innere der Kutsche ist wie ein kleiner Salon eingerichtet. Die gegenüberliegenden Sitze sind mit dickem Leder aufgepolstert worden und so bequem wie jeder Sessel. Sie verbergen geräumige Aufbewahrungs­fächer, in denen die Dienerschaft meine Habseligkeiten untergebracht hatte, um auf dem Dach Platz für das Gepäck meiner Gäste zu schaffen. Die breiten Fenster sind noch immer mit dem ursprünglichen Glas bestückt. An ihren Seiten geben kleine verzauberte Lampen bei Berührung ihr Licht ab. Leider schien niemand sonst aus meiner Reisegesellschaft den Komfort so zu schätzen wie ich.

Um es Tara noch bequemer zu machen, zog ich die Vorhänge auf, doch Kasomir gestattete keine weitere Fürsorglichkeit. Sobald Tara einzuschlummern begann, überraschte er mich jedoch damit, dass er sich zu mir nach vorne beugte, um mit mir ein Gespräch zu führen.

„Vergebt mir, Euer Exzellenz“, sagte er. „Ich fürchte, Euch beleidigt zu haben. Die Sorge um die Gesundheit meiner Base ...“

„Denkt Euch nichts dabei“, sagte ich, wie man es so tut. „Ich hoffe, die Reise wird ihren Zustand nicht verschlimmern.“

„Zustand?“, fragte er schelmisch. „Was meint Ihr mit …?“

„Ihre angeschlagene Gesundheit“, antwortete ich.

„Ach“, sagte er. „Ich bitte Euch um Verzeihung. Caliphas ist die ­Wiege der Verleumdung in unserem Land, und die Ankunft meiner ­Base hat zu allerlei höchst abscheulichen Spekulationen unter unseren Standesgenossen geführt.“

„In der Tat.“

„Aber Ihr braucht mich nicht, um euch in dieser Beziehung zu belehren“, fuhr er fort. „Ich nehme an, dass auch Ihr die spitzen Zungen in Caliphas zu spüren bekommen habt.“

Ich nickte, weniger zur Bestätigung als mehr, um ihn zum Fortfahren zu ermutigen. Einen gedehnten Augenblick lang tat er dies nicht, und ich ließ das Schweigen an ihm nagen.

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