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TEIL 1
ENTHUSIASMUS

Eine Begeisterung oder Schwärmerei für etwas, eine gesteigerte Freude an bestimmten Themen oder Handlungen, ein extremes Engagement für eine Sache oder ein mehr als durchschnittliches, intensives Interesse auf einem speziellen Gebiet.

Dienstag, 10. Juni 2008, Wien

In meiner Wohnung in Wien rieseln die Abendnachrichten über mich hinweg. Die Zeit im Bild im ORF gehört zu meinem Tagesablauf wie das Aufstehen am Morgen. Von Überschwemmungen im Mittleren Westen der USA berichtet sie heute. Die niederländische Fußballnationalmannschaft siegte über den amtierenden Weltmeister Italien mit 3:0. Ich sitze am Sofa und beschäftige mich beim Fernsehen mit meinem neuen Diensthandy.

Das Ding ist eher hässlich, aber funktionell. Der fernöstliche Hersteller ist kein renommierter. No Name nennt sich das, doch es ist mein erstes Diensthandy, mit dem ich ins Internet kann.

Ich nutze das Handy vor allem für dienstliche E-Mails. Fragen beantworten, Anweisungen geben. Das ist praktisch, denn ich habe in der entspannten Atmosphäre daheim bessere Ideen als im stressigen Arbeitsalltag, und außerdem: Was erledigt ist, ist erledigt.

Ich leite bei der Stadt Wien ein Team von SAP-Beratern. Wir warten und erweitern SAP-Applikationen, also Software, die bei der Abwicklung von Verwaltungsprozessen in anderen Magistratsabteilungen im Einsatz ist.

Meine ersten Erfahrungen als Führungskraft sammelte ich bereits mit 23 bei der international tätigen Firma Teleperformance. Die definierte Aufgabe des österreichischen Ablegers dieses französischen Unternehmens war »die Unterstützung der Klienten bei aktiven Marketingmaßnahmen«. Das bedeutete, dass wir deren Kunden anrufen und ihnen etwas verkaufen mussten.

Ich war, zu meinem eigenen Erstaunen, gut darin, und so kam es, dass ich nach etwa drei Monaten am Telefon zum Teamleader aufstieg. Weil ich meine Aufgaben gut erledigt hatte und wohl auch, weil ich schon immer eine extrovertierte und lustige Person war, die für gute Stimmung sorgen kann.

Damals wurde mir klar, dass der Erfolg meiner Mitarbeiter stark von ihrer Zufriedenheit am Arbeitsplatz abhängt.

Beinahe noch wichtiger war meine Erkenntnis, dass jeder Mensch anders ist. Das klingt vielleicht banal, aber die Konsequenz daraus ist nicht mehr ganz so banal. Ich musste mir, um auch als Teamleader erfolgreich zu sein, für jeden Mitarbeiter überlegen, wie ich für ihn oder sie das Arbeitsleben besser und angenehmer gestalten konnte, wie ich für jedes Team-Mitglied ein Wohlfühl-Maximum erzielen konnte.

Für manche im Team bedeutete Wohlfühlen, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Andere tauschten sich gerne und bei jeder Gelegenheit über ihr Privatleben aus oder waren mit seichten Witzchen zur rechten Zeit in gute Stimmung zu bringen. Was immer meine Mitarbeiter wollten, ich bot es ihnen im Rahmen meiner Möglichkeiten.

Mein No-Name-Handy funktioniert gut. Es hat einen Stift, mit dessen Hilfe ich auf der virtuellen Tastatur herumdrücke. Für mich ist es ein Fortschritt, dass es keine echte Tastatur hat wie beispielsweise ein Blackberry.

Ich nütze mein Diensthandy manchmal auch privat. Es ist einfach zu verführerisch, mich jederzeit mit meinen Freunden über E-Mails austauschen oder die neusten Nachrichten abrufen zu können. Ich erstelle gerne selbst Klingeltöne oder durchforste die Einstellungen, und manchmal spiele ich auch. Vor allem Spiele, in denen ich gegen meine Freunde antreten kann, Scrabble zum Beispiel.

»In San Francisco fand gestern die WWDC 2008 statt«, sagt die Fernsehsprecherin. »Apple-Gründer Steve Jobs präsentierte im Moscone Center das neue iPhone 3G. Die verbesserte Technologie, neue Funktionen und die Benutzerfreundlichkeit ließen die Apple-Anhänger jubeln.«

Ich sehe auf. Das könnte interessant sein, denke ich. Ich weiß, dass Apple im vergangenen Jahr sein erstes iPhone auf den Markt gebracht hat. Es war dramaturgisch perfekt in Szene gesetzt, als Steve Job seine Gäste fragte, was sie sich unter »a phone, an iPod, and an internet communications device« vorstellen würden.

Seine Auftritte gefielen mir, wie so vielen anderen auch, schon immer. Ich mag Steve Jobs. Er ist immer so authentisch, so leidenschaftlich, einfach nur genial und dabei sympathisch. Das erste iPhone gefällt mir auch, aber es ist mir zu teuer und ich finde es zu langsam.

Ich sehe mir den Bericht nun aufmerksam an und bin hingerissen. Das ist es, was ich brauche. Dieses neue iPhone 3G hat eine UMTS-Verbindung, ist also schnell. Es stellt alle möglichen Programme im sogenannten AppStore zur Verfügung, auch von Drittanbietern, und dreht es ein Nutzer, zum Beispiel beim Schreiben einer E-Mail, dann dreht sich die Darstellung am Bildschirm inklusive Tastatur mit. Es ist noch immer teuer, aber etwas günstiger als das iPhone 1. Wozu gehe ich arbeiten, wenn nicht auch, um mir ab und zu ein schönes Spielzeug zu leisten?

Apple stand immer für besondere Qualität in schönem Design. Ich bekam das schon während meiner Informatikausbildung Anfang der 1990er-Jahre mit, als ich mich mit den Macs vertraut machte. Die meiste Zeit verbrachten wir vor Windows-Rechnern, auf denen wir Programmiersprachen wie Pascal oder Assembler lernten. Die Zeiten auf den Macs waren selten, dafür umso wertvoller. Ihr Betriebssystem war damals mit dem von Microsoft nicht zu vergleichen. Es war ästhetischer und anspruchsvoller. Wir benutzten die Macs vor allem für Grafikanwendungen. Es gab von Windows nichts Vergleichbares. Das war es, was sich in mir verfestigt hatte: Apple steht für beste Qualität und hohen Anspruch an sich selbst. Apple und ich, fand ich immer, verstehen einander.

Was für ein schöneres Geschenk könnte ich mir also machen, als dieses iPhone 3G?

Dienstag, 15. Juli 2008, Wien

»Hast du es schon gehört, Daniela?«, fragt mich mein Kollege Tobias, mit dem ich mir ein Bürozimmer teile. »Der Kollege von der SAP-Basis hat schon das neue iPhone.«

»Das ist typisch, der hat ja immer alles als Erster«, sagte ich.

Ich mache mich unverzüglich auf den Weg, um mir das Teil anzusehen. Ich kenne den Kollegen zwar kaum, aber er ist ein netter Typ, und er gefällt mir angesichts der Tatsache, dass ich verheiratet und Mutter bin, beinahe zu gut. Er sieht nicht nur super aus, er ist auch intelligent und gebildet und dabei nie überheblich. Überheblich sind ohnedies meist diejenigen, die bedingt gut aussehen und über Halb- oder Nischenwissen verfügen und sich deshalb für die Größten halten.

In freudiger Erwartung mache ich mich auf den Weg zur Tür, als ich sehe, wie sich diese öffnet. Da ist er, der Mann mit dem iPhone, als hätte er geahnt, dass ich ihn sehen will. »Du hast wirklich schon das neue iPhone?«, frage ich ihn, und meine leichte Unfreundlichkeit dabei ist eine reine Präventivmaßnahme. Schließlich soll er nicht unbedingt wissen, wie ich über ihn denke.

»Willst du es sehen?«, fragt er.

Ich schmelze dahin. Er ist immer so freundlich und so besonnen.

Tobias steht unversehens zwischen uns. Er will das Handy auch sehen.

Der SAP-Basis-Kollege ziert sich noch ein bisschen, dann hält er uns das funkelnagelneue Ding, bei dem noch die Folie am Display klebt, hin.

Ach, wie schön das ist!

Er führt uns ein paar Funktionen vor.

In echt ist das Handy noch viel toller als in der Präsentation von Steve Jobs. Er gibt es mir sogar in die Hand. Das iPhone hat die optimale Größe, ist leicht und hat eine wunderschöne Form. Die Rückseite ziert dezent, aber gut sichtbar, das Apple-Logo, der angebissene Apfel. »Darf ich ein paar Sachen ausprobieren?«, frage ich vorsichtig.

Mit seiner Erlaubnis drücke ich beinahe alles, das sich drücken lässt. Da gibt es die Uhr, die nicht nur die Zeit anzeigt, sondern auch über eine Stoppuhr und einen Wecker verfügt. Es gibt einen Kalender mit unglaublich vielen verschiedenen Funktionen und die 3-Megapixel-Kamera, die gestochen scharfe Bilder macht.

Am meisten interessieren mich die Einstellungen. Wie ich es seit jeher von Apple gewohnt bin, sind alle Funktionen übersichtlich dargestellt. Ich teste auch die Beschleunigungssensoren. Die sollen dafür verantwortlich sein, dass das iPhone merkt, ob ich es gerade vertikal oder horizontal halte. Ich öffne dazu Safari, den Apple-eigenen Internetbrowser, und rufe www.apple.at auf.

Dann drehe ich das iPhone. Tatsächlich. Es ist so wie in der Präsentation von Steve Jobs. Die Seite dreht sich mit, ohne Verzögerung.

Tobias sieht mir über die Schulter. »Na echt net schlecht«, sagt er. »Ich glaube, das werde ich mir auch zulegen müssen.«

Schweren Herzens gebe ich das iPhone zurück. Ganz kurz berühren sich unsere Hände. Liegt es am iPhone oder am Kollegen, dass mir ein Schauer über den ganzen Körper läuft?

Mittwoch, 25. Juni 2014, Ringaskiddy

Mein iPhone klingelt. Ich laufe hinaus in den Garten. Im Haus selbst ist der Empfang nicht gut. Es ist sonnig und warm. Ich weiß gar nicht, warum diese Iren so über das Wetter jammern. Seitdem wir am 31. Mai hier in Ringaskiddy von der Fähre gefahren sind, war es immer schön. Es hat in den vergangenen knapp vier Wochen kein einziges Mal geregnet.

Der Anrufer ist ein freundlicher Herr von Apple. Er ist von der HR-Abteilung. HR steht für Human Resources. Die HR-Abteilung ist das, was ich aus Österreich unter dem Begriff Personalabteilung kenne.

Ich habe mich noch nicht an den irischen Akzent gewöhnt. Außerdem spricht der Mann sehr schnell. Wenn ich die wenigen Wortfetzen, die ich verstehe, richtig interpretiere, fange ich nächste Woche am Montag an. Gut, das wusste ich ja schon. Aber am Dienstag habe ich offenbar gleich mal frei. Warum genau, das verstehe ich nicht so ganz. Ist auch nicht wichtig, denn frei ist frei. Das war es wahrscheinlich, was er mir mitteilen wollte. Dass er mich und meine Familie im Namen von Apple herzlich in Irland begrüße, sagt er noch.

Meine Familie hat sich in den vergangenen Jahren verändert. Mein Arbeitskollege von der SAP-Basis ist jetzt der Mann an meiner Seite, mein Sweetheart. Mein Sohn hat einen kleinen Bruder bekommen, Sweetheart junior sozusagen.

Wir alle sind stolz darauf, dass gerade ein Lebenstraum für mich in Erfüllung geht. Bei Apple zu arbeiten kam mir immer in den Sinn, wenn ich über ebendiesen meines Lebens nachdachte. Teil einer Firma zu sein, hinter der jemand vom Format eines Steve Jobs steht, oder besser gesagt stand. Dass er inzwischen verstorben ist, ändert nichts. Er ist jetzt ein Mythos und so glänzt die Leidenschaft, die er immer gezeigt hat, vielleicht sogar noch mehr. Ich werde jedenfalls etwas Sinnvolles tun, Teil von etwas sein, das die Welt in einen anderen, in einen besseren Ort verwandelt.

Ich hatte mir noch im Jahr 2008 auch mein erstes iPhone gekauft. Als jemand, der ohnehin gerne und viel Zeit vor Computern verbringt, war mir bald jede noch so kleine Funktion vertraut, und ich liebte es von Anfang an. Es ist simpel in der Handhabung, weil es unglaublich gut durchdacht ist. Dennoch erweist es sich bei intensiverer Beschäftigung damit als komplex. Es ist voller Möglichkeiten, und ich habe sie alle entdeckt.

Dass meine neue Stelle eine Übersiedlung nach Irland erforderte, hat niemanden in der Familie gestört. Ganz im Gegenteil. Sweetheart sieht Chancen für sich, weil Apple hier nicht das einzige IT-Unternehmen ist. Zudem hat er ein IT-Projekt, an dem er selbständig arbeitet und ist überhaupt von abenteuerlustiger Natur.

Mein älterer Sohn ist mit der deutschen Rechtschreibung nie richtig warm geworden, dafür brillierte er in der Schule in Englisch. Englisch ist seine eigentliche Sprache.

Der Kleine ist ohnehin von allem begeistert, das nach Abenteuer riecht, und so haben wir die Mission »Mami arbeitet jetzt bei Apple« gestartet.

Meine Söhne finden es richtig cool, dass Mami ab nächster Woche für die Firma arbeiten darf, die das iPhone herstellt. In unserer kleinen Siedlung hier in Ringaskiddy erzählen sie das allen ihren neuen Freunden.

Nach unserer Ankunft zogen wir zunächst in eine Pension namens Kinlay House. Bei zähen Preisverhandlungen, die ich per E-Mail von Wien aus führte, hatte sie sich als die billigste und am besten gelegene Wohnmöglichkeit in Cork City, dem Standort der Apple-Europa-Zentrale, entpuppt. Außerdem hatte sie uns Apple in seinem Ratgeber für den Umzug empfohlen.

Erreichbar über enge Zufahrtsstraßen liegt das Kinlay House am Hügel von Cork, gleich neben dem Butter-Museum und der Kirche, deren vier Turmuhren nie funktionieren und die einen verrosteten Wetterfisch oben auf der Spitze trägt.

Bei unserer Ankunft fanden wir nicht gleich einen Parkplatz, weshalb ich zunächst allein hineinging. In dem kleinen Foyer mit dem abgetretenen Spannteppich begrüßte mich ein junger Ire, der aus einem verglasten Kobel lugte. Ich sah ihm an, dass er in seinem Leben noch auf bessere Jobs als diesen hoffte.

Mit meinem Empfehlungsschreiben von Apple in der Hand, das mir einen zusätzlichen Rabatt garantierte, baute ich mich freudestrahlend vor ihm auf. Ich nannte ihm meinen Namen, meine Buchungsnummer und überreichte ihm eine Kopie des Schreibens von Apple, damit es später bei der Abrechnung keine Missverständnisse geben würde.

Er drückte mir den Schlüssel für das Zimmer 212 in die Hand und erklärte mir, dass ich über die Stiegen hinauf in den zweiten Stock müsse. Bezahlen musste ich nichts, auch keine Kreditkarte hinterlegen. Abgerechnet werde am Ende, sagte der junge Mann, was mir entgegenkam, da ich nicht wusste, wie lange wir bleiben würden.

Ich ging wieder hinaus, um nach meiner Familie zu sehen. Die Kinder waren schon ausgestiegen und bewunderten den kleinen Park gegenüber vom Kinlay House. Sweetheart hatte wie immer die Situation im Griff und war gerade dabei, die beiden wuchtigen Reisekoffer mit unseren wichtigsten Sachen aus dem Auto zu hieven.

Als er in der Pension den Aufzug suchte, schüttelte ich den Kopf.

»Was, ich muss das ganze Zeugs nach oben schleppen?«, sagte er.

»Was meint Papi mit Zeugs?«, fragte Sweetheart junior neugierig.

Wir hatten schon vor unserer Ankunft gewusst, dass uns allen zusammen nur ein einziges Zimmer zur Verfügung stehen würde. Dieses Zimmer hatten wir uns allerdings anders vorgestellt. Nachdem wir es über die engen Stiegen im Gänsemarsch nach oben geschafft hatten, ließ sich die Tür von 212 nur mit roher Gewalt öffnen. Vor uns tat sich ein Raum mit neun Quadratmetern, einem Waschbecken neben der Tür und einem einzigen abgewetzten Sessel auf. »Mami, ich will hier nicht wohnen, hier stinkt es«, sagte Sweetheart junior. Jedes Mal, wenn wir in den nächsten fünf Tagen das Zimmer betraten, hörte ich diesen Satz, abwechselnd von ihm und von seinem Bruder.

Dank meiner Planung in Österreich wurden es wenigstens nicht mehr als fünf Tage. Ich wusste bereits, dass in Irland alle Mietwohnungen und -häuser voll möbliert sind. Was für uns praktisch war. Nach nur drei Besichtigungen entschieden wir uns für das Haus in Ringaskiddy, einem kleinen Ort direkt am Meer, der 25 Minuten Autofahrt von Cork entfernt liegt.

Das Haus hat ausreichend Platz für uns vier. Im Erdgeschoss befinden sich ein Wohnzimmer und eine große Wohnküche. Im ersten Stock gibt es zwei Kinderzimmer und ein Badezimmer mit Toilette und Badewanne. Unser Elternschlafzimmer verfügt über ein en-suite-Badezimmer mit eigener Toilette und Dusche. Das Einzige, woran ich mich noch gewöhnen muss, ist die electric shower darin. Denn der Stromkasten, mit dem sie warmes Wasser erzeugt, hängt direkt unter dem Wasserstrahl. Meine Physik-Professorin am Gymnasium in Wien hat es nie geschafft, uns auch nur einen Hauch von Begeisterung für ihr Fach zu vermitteln, aber eines weiß ich genau: Strom und Wasser passen nicht zusammen. Zum Glück gibt es das zweite Badezimmer mit der Badewanne.

Unser Haus steht in einer Siedlung mit vielen Kindern. Es gibt Schulen, die wir zu Fuß in zehn Minuten erreichen können. Unsere Nachbarn sind freundlich und hilfsbereit. Unseren Garten erreichen wir durch das Esszimmer. Er ist mit etwa siebzig Quadratmetern groß genug zum Ballspielen und Ausruhen, aber klein genug, um wenig Arbeit zu machen.

Genau in diesem Garten stehe ich, als ich nach dem Gespräch mit dem Herrn von Apple auf die rote Taste meines iPhone drücke und es einstecke. Vier Tage noch, denke ich, dann geht’s los.

Freitag, 27. Juni, Cork City

Das letzte Wochenende vor meinem Arbeitsbeginn hat begonnen. Es ist wieder ausnehmend warm. Die ganze Familie macht sich auf den Weg nach Cork City, um eine zukünftige Arbeitskollegin zu treffen.

Der Weg in die Stadt ist wunderschön. Als Österreicherin, die Berge gewohnt ist, fasziniert mich das Meer, während mich Berge eher langweilen. Irland ist also perfekt für mich, denn die höchste Erhebung, der Carrantuohill, misst nur wenig mehr als tausend Meter. Ein besserer Hügel also.

Viele Irland-Klischees stimmen. Die Wiesen sind saftig grün, die Menschen sind hilfsbereit und lustig, und irgendwann, denke ich, werde ich ihren eigenartigen Akzent auch noch zu verstehen beginnen.

Cork, Hauptstadt des gleichnamigen County Cork, ist nach Dublin die zweitgrößte Stadt Irlands und die Metropole hier im Süden. Mit knapp 120.000 Einwohnern erscheint sie mir als Wienerin dennoch wie ein besseres Dorf mit vielen bunten kleinen Häusern und einem schönen Fluss, der sich mittendurch schlängelt. Am River Lee, den Möwen umflattern, verkehren Forschungs-, Fracht- und Kreuzfahrtschiffe. Unweit von Cork mündet er in die keltische See.

Unsere Route führt uns den River Lee entlang zum Fitzgerald Park, in dem wir uns mit Bernadette verabredet haben. Ich bin froh, sie über Facebook kennengelernt zu haben. Sie kommt ursprünglich aus Deutschland, hat aber zuvor in Belfast gearbeitet. Sie fängt auch am Montag bei Apple an, genau wie ich.

Nach Jahren der Kommunikation im Internet habe ich mir die Fähigkeit angeeignet, Menschen auch ohne persönliche Treffen einschätzen zu können. Ich bin dabei auch schon zu mancher Fehleinschätzung gelangt, aber im Großen und Ganzen klappt es. Bernadette finde ich richtig nett.

Facebook ist eine wunderbare Erfindung, vor allem wenn Menschen einen expliziten gemeinsamen Nenner haben. Es gibt eine Gruppe für Apple-Mitarbeiter in Cork und eine eigene Gruppe für Deutschsprachige. Wer sich in diesen Gruppen herumtreibt oder auch nur aufmerksam die Posts der anderen liest, weiß schon mehr.

Ich nutze Facebook gerne, um über andere Menschen etwas zu erfahren. Von mir selbst gebe ich dabei wenig preis. Mein Profilbild zeigt ein Kindheitsfoto und mein Name ist abgeändert. Aktiv bin ich eher von der unverfänglichen, aber psychohygienisch durchaus wertvollen Lustige-Sachen-teilen-Fraktion. Auch Bernadette führt auf Facebook einen anderen Namen und benützt ein verschwommenes Profilbild.

Mein älterer Sohn, der sich mit seinen elf Jahren bereits emotional wie geistig auf den baldigen Erwerb seines Führerscheins vorbereitet, hat einen Parkplatz in der Nähe des Parkeingangs erspäht. Er gibt Sweetheart detaillierte Anweisungen, wie er dorthin gelangt.

Sweetheart mag es nicht, wenn ihm jemand Vorschriften macht, schon gar nicht beim Autofahren, und umso weniger, wenn ein Kind das tut. »Danke, ich schaffe es gut selber«, sagt er.

»Mami, mir ist heiß«, sagt der vierjährige Sweetheart junior, als wir aussteigen.

»Shut up, uns ist allen heiß«, sagt sein großer Bruder.

Ich mische mich ein. »Wie oft soll ich dir noch sagen, dass wir deutsch miteinander sprechen? Wir sind hier eine Enklave des Wienerischen.«

Er zuckt die Schultern. »Ach sei ruhig«, sagt er zu seinem Bruder. »Stell dich da drüben in den Schatten.«

Ich frage mich, was mich veranlasst hat, die ganze Familie zu dem Treffen mit Bernadette mitzubringen.

Wir holen Campingsessel und Proviant aus dem Auto und gehen im Gänsemarsch, den wir uns im Kinlay House angewöhnt haben, zum Eingang des Parks. Sweetheart ist immer an der Spitze, der große Sohn folgt dahinter, dann kommt der Kleine und zuletzt ich. Das ist mir sehr recht, denn so habe ich sie alle im Blick.

In Irland gibt es praktisch keine Parkbänke. Weder in den großen noch in den kleinen Parks, auch nicht in den Einkaufsstraßen. Das ist wohl den stark vergünstigten Steuersätzen geschuldet, die Firmen wie Apple hierher locken. Wir haben uns deshalb angewöhnt, zu allen länger dauernden Verabredungen im öffentlichen Raum unsere, mit einem Riemen zum Umhängen ausgestatteten Campingsessel mitzubringen. »Mami, mir ist der Sessel zu schwer«, sagt Sweetheart junior, dreht sich um und drückt mir das Ding in die Hand.

»Stell dich nicht so an, du bist kein Baby mehr«, sagt sein Bruder.

Schweigend nehme ich den Sessel und werfe beiden einen erzieherisch wertvollen ›Sei lieb zu deinem Bruder, du hast nur den einen‹-Blick zu.

Wir haben uns mit Bernadette auf der großen Wiese gleich neben dem Eingang verabredet. Aus Wiener Parkanlagen kenne ich ein Rasen-betreten-Verbot. Hier ist das nicht so. Die Iren sind in diesen Dingen entspannter. Verliebte Pärchen, Familien wie wir und in ihre Bücher vertiefte Einzelpersonen sind auf der Wiese verteilt, und alle halten sich in der prallen Sonne auf.

Sweetheart steuert zielsicher den freien Schattenplatz unter einer ausladenden Eiche an und klappt seinen Sessel auf. Die Kinder helfen ihm, während ich Bernadette suche.

Obwohl ich nicht genau weiß, wie sie aussieht, erkenne ich sie sofort. Eine innere Verbindung von Apple-Mitarbeitern vielleicht. Oder auch, weil wir vom Kontinent doch ein wenig anders aussehen als die Iren. Deren männlicher Teil, so mein erster Eindruck, hat das Charisma von Kartoffelbauern, der weibliche ist großteils vom Typ Spitzmaus.

Bernadette erkennt mich auch sofort. Sie steuert mit breitem Lächeln auf mich zu. »Wie schön dich persönlich kennenzulernen«, sagt sie.

Ich schüttle ihr höflich die Hand, während sie mir ein Küsschen auf die Wange drückt. Sehr gut, jetzt sind wir echte Freundinnen.

Ich lotse sie zu unserem Platz im Schatten. Sie bewundert unsere Sessel. Sweetheart ist wie immer Gentleman und bietet Bernadette seinen an. »Kommt nicht in Frage«, sagt Bernadette mit ihrem sächsischen Akzent.

»Kinder, ihr teilt euch bitte einen Sessel«, sage ich.

»Na komm, setz dich zu mir«, sagt der Große, zieht seinen Bruder auf den Schoß und drückt ihm ein Bussi auf Wange. Da fällt mir auch wieder ein, warum ich meine Familie bei jeder Gelegenheit mitnehme.

Wir haben zwar keinen fünften Campingsessel, aber kulinarisch sind wir gut vorbereitet. Es gibt Sandwiches für alle, Bier für die Erwachsenen und Mineralwasser für die Kinder.

»Auf unsere glorreiche Zukunft bei Apple«, sagt Bernadette.

Wir stoßen an, dann fragt mich Bernadette aus. »Wie war das bei dir? Wie hast du dich beworben? Hast du den Test auch so schwer gefunden? Ich bin schon ganz aufgeregt, du auch?«

Ich erzähle ihr von dem Tag vor acht Monaten, an dem ich auf der Apple-Seite einen Link für Jobs fand und mich auf gut Glück bewarb. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern, als ich drei Monate später einen Anruf bekam. Eine ausgesprochen nette Dame von Apple Distribution International Ireland rief an. Ich konnte es kaum glauben, als sie mir sagte, dass sie nur die Besten der Besten nehmen würden, und dass ich eine Chance bekäme.

Das einzige Problem war, dass der Job, den sie mir in Aussicht stellte, nicht ganz meinen Erwartungen, oder besser gesagt, meinen Hoffnungen entsprach. Ich hatte mich als Managerin, als Projektleiterin oder als Programmiererin gesehen. Das Angebot galt jedoch für einen so genannten technical advisor, also für einen technischen Berater, an den sich Nutzer von iPhones und anderen iOS-Geräten mit ihren Fragen wenden konnten. Die freundliche Dame wies allerdings explizit darauf hin, dass jemandem mit meiner Vorbildung und Berufserfahrung bei Apple jede Entwicklungsmöglichkeit offenstehe.

Nach diesem Gespräch ging alles sehr schnell. Zuerst bekam ich eine E-Mail mit einem Link zum Aufnahmetest. Wer den besteht, bleibt im Rennen um einen Apple-Job. Wer hier versagt, ist raus.

Dieser Test bestand aus 30 Fragen. Ich hatte zwischen einer und drei Minuten Zeit für ihre Beantwortung, wobei eine Videoaufzeichnung lief. Die Videoaufzeichnung begann jeweils dreißig Sekunden nach Auftauchen der Frage, damit ich meine Gedanken sortieren konnte.

Als geübte iPhone-Nutzerin und gut ausgebildete IT-Expertin fand ich die Fragen ausgesprochen leicht. Nur ein kleiner Fehler unterlief mir. Die Frage betraf die Bezeichnung für ein drahtloses Netzwerk, das viele Privatkunden auch zu Hause nutzen. Mir wollte der englische Begriff »WiFi« nicht einfallen, weshalb ich »Dabbl-Juu-LAN« für WLAN herauswürgte.

Am nächsten Tag erhielt ich die positive Auswertung des Tests und einen weiteren Tag später rief mich die nette Dame aus der HR-Abteilung wieder an, um die vertraglichen Details zu klären.

Der letzte Schritt war eine halbstündige Videokonferenz mit der Managerin des Teams, dem ich zugeordnet sein würde. Alle Anrufe, egal ob am Telefon oder via Skype, kamen stets genau zum vereinbarten Zeitpunkt. Nicht eine Minute früher, nicht eine Minute später.

Christiane, die Team-Managerin, war nett, machte aber einen schrecklich gestressten Eindruck. Das Gespräch war für eine halbe Stunde anberaumt, doch nach 15 Minuten hatten wir alle wesentlichen Punkte, nämlich Gehalt, Arbeitszeiten und Entwicklungsmöglichkeiten, geklärt. Letztere waren mir besonders wichtig. Ich hatte nichts dagegen, im Apple-eigenen Callcenter ganz unten anzufangen, aber dort hängenbleiben wollte ich nicht.

»Ich dachte, ich hätte den Test gar nicht geschafft«, sagt Bernadette. »Aber wie es aussieht, hat es geklappt.«

Die Kinder haben mittlerweile ihren gemeinsamen Sessel verlassen und jagen einander quer über der Wiese.

»Ich bin auf jeden Fall schon total aufgeregt«, sagt Bernadette. »Das ist ja nicht irgendeine Firma, das ist Apple. Deshalb wollte ich da hin. Weil es etwas Besonderes ist, auch wenn wir als kleine Rädchen im großen Getriebe anfangen.«

Bernadette ist guter Laune und erzählt, dass sie in Deutschland eine Ausbildung zur Hotelfachfrau absolviert hat. In Belfast arbeitete sie schon einmal bei einer Kunden-Hotline, bei der eines Versandhauses. »Es ist schon lustig, was die Leute alles vermasseln«, erzählt sie. »Einmal rief eine Frau am Tag vor ihrer Hochzeit an, weil sie dringend ein Brautkleid brauchte. Ich meine, wie soll das gehen, bei einem Versandhaus?«

Ich muss lachen. »Wahrscheinlich sind es gerade diese skurrilen Fälle, die den Job ausmachen, meinst du nicht?«, sage ich.

Wir sind voller Zuversicht. »Ich bin jedenfalls froh, dass ich nicht mehr in Belfast bin«, sagt sie. »Für mich als Deutsche war das kein guter Boden. Die mögen dort keine Ausländer. Ich bin meistens mit dem Taxi zur Arbeit gefahren, weil ich im Bus regelmäßig angepöbelt wurde. Kannst du dir das vorstellen?«

Bernadette macht auf mich einen sympathischen, korrekten und gepflegten Eindruck. Mit ihren knapp dreißig Jahren scheint sie mit beiden Beinen im Leben zu stehen und sich von nichts so leicht aus der Bahn werfen zu lassen. Angepöbelt zu werden scheint so gar nicht zu ihr zu passen. »Die Bezahlung in Belfast erfolgte wöchentlich«, sagt sie. »Die Monatsgehälter bei Apple sind mir lieber.«

Bernadette nimmt ihren letzten Schluck aus der Bierdose. Öffentliche Mülleimer sind in Cork genauso Mangelware wie Parkbänke. Wir sammeln unseren Müll ein und packen ihn weg, ehe wir aufbrechen. Bernadette und ich verabreden uns für den Morgen unseres ersten Arbeitstages. Wir wollen dieses historische Ereignis gemeinsam begehen.

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