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Katrin saß im Berliner Promilokal Darius und blätterte in der UP. Das konnte doch nicht wahr sein! Henning Bach ein Vergewaltiger? Oder besser, ein mutmaßlicher Vergewaltiger. »Mutmaßlich«, murmelte sie geringschätzig vor sich hin. Dieses unscheinbare Wort vor der eigentlichen Anschuldigung mochte rechtlich gesehen zwar den großen Unterschied machen, die Leser dieses Klatschblatts würden davon jedoch kaum Notiz nehmen. Unterm Strich wurde lediglich wahrgenommen, dass Bach ein Gewaltverbrechen begangen hatte. Und die Tat würde den bisherigen Publikumsliebling für den Rest seines Lebens verfolgen. Ob er sie nun begangen hatte oder nicht, dachte sie wütend. Ihre beste Freundin hatte wieder einmal zugeschlagen. Und Bach lag womöglich für immer am Boden. Sollte er diese Sandra S. tatsächlich vergewaltigt haben, ging sein K. o. zwar okay, doch Katrin war der Meinung, dass der Mann zuerst einmal gerichtlich verurteilt werden sollte, bevor ihn die Medien fertigmachten. »Im Zweifelsfall für den Angeklagten«, hatte vielleicht früher einmal gegolten, bevor journalistische Arbeit ausschließlich an verkauften Auflagen respektive Quoten gemessen wurde. Es war zum Kotzen. Claras Artikel war zum Kotzen. Und ihr selbst war auch zum Kotzen zumute.

Angewidert steckte Katrin das bunte Klatschblatt in ihren cognacbraunen, auf antik getrimmten Lederbeutel, den sie bei der letzten Shoppingtour mit Clara erstanden hatte. Eigentlich war sie gar nicht der Typ für derlei modische Eskapaden, aber Clara hatte sie zum Kauf des Must-haves dieser Saison überredet. Das trendige Teil war dementsprechend kostspielig gewesen. Viel zu teuer für ihren Geschmack. Katrin hatte noch immer ein schlechtes Gewissen, wenn sie an die hohe dreistellige Summe dachte, die von ihrem Konto für eine einzige dämliche Handtasche abgebucht worden war. Der braune Beutel, der im Laden gegenüber für 69,90 Euro angeboten wurde, hätte es von ihr aus auch getan. Doch Clara war der Meinung, dass sie sich ruhig etwas Luxus gönnen sollte. Schließlich konnte sie sich ein solches Designerteil durchaus ab und zu leisten. Damit hatte die Freundin nicht unrecht.

Katrin beobachtete, wie Clara am Eingang den Regenschirm zuklappte und aus ihrem grellbunten Pucci-Regenmantel schlüpfte. Nachdem sie beides an der Garderobe abgegeben und den Raum auf bekannte Gesichter gescannt hatte, näherte sie sich lächelnd ihrem Tisch. Unterwegs nickte sie einer Männerrunde zu. Am Nebentisch hielt sie kurz an, um mit der Frau im dunkelroten Businesskostüm und deren Begleiter ein paar Worte zu wechseln. Katrin kannte keines der beiden Gesichter. Aber anscheinend waren sie wichtig. Sonst hätte Clara sie nicht begrüßt.

»Katinka! Wie schaust du denn drein? Hat dir das Wetter auf die Psyche geschlagen?« Die Freundin nahm ihr gegenüber am schlicht gedeckten Zweiertisch aus massivem Nussholz Platz. Den hatte Katrin nur deshalb so kurzfristig ergattert, weil sie ihn für Clara Bodenstein hatte reservieren lassen. Für die Chefredakteurin der UP fand sich immer und überall ein Plätzchen. Selbst im Darius, dem angesagtesten Restaurant der Stadt, das seit seiner Eröffnung vor einem Dreivierteljahr nahezu lückenlos ausgebucht war.

Clara nannte die schicke Location ihr zweites Büro. Schließlich gaben sich hier die Promis die Klinke in die Hand, von denen die Society-Reporterin gut lebte, und die umgekehrt von ihr lebten. Jedenfalls solange sie bei ihr nicht in Ungnade fielen, wie zuletzt Henning Bach.

Auch der Besitzer des Restaurants, Darius Schneyder, der sich zuvor als Caterer beim Film einen Namen gemacht hatte, wusste, dass Leute wie Clara Bodenstein über Erfolg oder Niederlage entschieden. Für sie konnte er jederzeit einen Tisch freimachen.

»Mir geht’s prima, danke«, antwortete Katrin beiläufig.

»Ich glaube dir kein Wort.« Clara heftete ihren Blick auf die breite schwarze Wandtafel hinter der Bar. Die schwungvolle Kreideschrift pries Darius’ wohlklingende Tagesspezialitäten an.

»Alles ist bestens«, versicherte Katrin wenig überzeugend.

»Na, komm schon. Was ist los mit dir? Weshalb wolltest du mich so dringend unter vier Augen sprechen?«

Ihrer besten Freundin konnte Katrin nichts vormachen. »Na schön. Ich bin vielleicht ein wenig überarbeitet. Und außerdem schlecht gelaunt«, gestand sie Clara. Ob sie ihr an den Kopf werfen sollte, dass ihr moralisch bedenklicher Artikel über Henning Bach der eigentliche Grund für ihre miese Laune war? Nein. Es war nicht der geeignete Zeitpunkt, eine Grundsatzdiskussion anzuzetteln. Die konnte getrost ein andermal stattfinden, beschloss Katrin.

Die Aufmerksamkeit ihres Gegenübers galt ohnehin längst dem prominenten, viel zu schönen Mann am anderen Ende des Speisesaals, der freundlich herüberwinkte. Clara nickte lächelnd zurück. Das blutjunge tschechische Topmodel an seiner Seite schickte ihr makelloses 10.000-Euro-pro-Tag-Strahlen hinterher.

»Sieh mal an. Ben Schlesinger mit der Kouskova. Unser Filmbeau hat gerade die Hauptrolle in einem mega Filmprojekt neben der Benz ergattert. Sie drehen ab Mai auf Mallorca. Der Reimann wird Regie führen.« Clara war wie immer gut informiert.

»Sie drehen Straße ohne Schatten. Ich weiß«, erwiderte Katrin, gelassen an einem Stück Oliven-Ciabatta kauend.

»Ach! Straße ohne Schatten? Woher weißt du das, bitte schön?« Clara sah der Freundin zum ersten Mal an diesem Tag länger als drei Sekunden in die Augen.

»Erkläre ich dir gleich. Lass uns zuerst bestellen. Ich bin ein wenig in Eile.« Katrin winkte den Kellner herbei.

»Jetzt red schon! Woher weißt du von diesem Film?« Clara rutschte auf ihrem Sessel nach vorn.

Der Kellner unterbrach ihr Gespräch, um die Bestellung aufzunehmen. Erst nachdem er verschwunden war, rückte Katrin endlich mit ihrem Anliegen heraus. »Ich habe dir ein interessantes Angebot zu unterbreiten.«

»Ach ja? Und welches?« Wenn die Neugierde einen Namen hatte, dann hieß sie Clara Bodenstein.

Katrin rutschte ebenfalls auf ihrem Stuhl nach vorn, damit Clara sie im akustischen Tohuwabohu des voll besetzten Speisesaals auch mit leiser Stimme hören konnte, ohne dass der Nachbartisch alles mitbekam. Immerhin war diese Angelegenheit topsecret. »Jackie Benz möchte ihre Biografie veröffentlichen. Und sie möchte, dass du sie schreibst«, verkündete Katrin ohne Umschweife.

Clara sah sie verblüfft an, als der Kellner die Getränke vor ihnen abgestellt hatte.

Gespannt wartete Katrin auf eine Reaktion, während sie selbst an ihrem Apfelsaft nippte. Jackie Benz’ Biografie war zweifellos ein programmierter Bestseller. Erst recht, wenn es gelang, den schillernden Filmstar und die Königin des Boulevards zusammenzuspannen. Was für den Ettinghaus-Verlag ein starker Umsatzbringer war, konnte für Katrin zu einem Meilenstein in ihrer Karriere werden. Dann nämlich würde vielleicht auch Monas schnöseliger Bruder bemerken, welches Potenzial in ihr schlummerte. Seit Monas Verschwinden hatte er das Ruder in der Firma übernommen. Von seiner Schwester gab es noch immer kein Lebenszeichen. Besonders betroffen wirkte er jedoch nicht. Oder er konnte seine Gefühle gut verbergen.

»Du meinst, ich soll für Jackie Benz die Ghostwriterin spielen?« Clara hatte die erste Überraschung verdaut und nippte an ihrem Melonensaft.

»Du wärst selbstverständlich offiziell die Autorin, falls du dieses Angebot annimmst.«

»Wie kommt sie bloß auf mich?« Clara tat, als wäre diese Idee völlig absurd.

»Sie mag eben deinen Stil. Diese unverblümt ironische Schreibe, mit der du die Leute fertigmachst, amüsiert sie.«

»Hat sie das so gesagt?« Clara fühlte sich geschmeichelt. Immerhin kam das Angebot von keiner Geringeren als der Benz. Und sie wollte ausgerechnet mit ihr zusammenarbeiten.

»So hat es ihr Agent formuliert«, erwiderte Katrin.

»Dieser langweilige Typ. Dieser … wie heißt er doch gleich noch mal? Mike, nein. Mark Soundso …«

»Mark Konrad. Der ist doch nicht langweilig. Ich finde ihn sehr nett.«

»Sehr nett … Na ja, wenn dir das reicht«, lästerte Clara.

»Ich will ihn doch nicht heiraten. Ich kenne Mark schon ewig. Er hat damals mit Klaus zusammen in der WG gewohnt. Ich hab dir doch von ihm erzählt?«

»Von Klaus, deinem peinlichen Lover? Ja, das hast du. Wie könnte ich den bloß vergessen?« Clara grinste. »Ich weiß natürlich, wer Mark Konrad ist«, fuhr sie fort. »Er läuft mir öfter bei offiziellen Anlässen über den Weg. Ich kenne ihn allerdings nur flüchtig, wie man Schauspielagenten halt so kennt. Bisher hatte ich immer nur mit Jackies PR-Agentin zu tun. Weniger mit deinem Mark ...«

»Er ist nicht mein Mark«, protestierte Katrin, was Clara mit einem spöttischen Lächeln quittierte. Warum nur stieg sie immer wieder auf die Hänseleien der Freundin ein? Es war stets dasselbe Spiel, ärgerte sich Katrin über sich selbst.

»Schon gut. Komm wieder runter, Katinka.«

Katrin lächelte säuerlich, ehe sie in geschäftlichem Tonfall fortfuhr. »Jackie Benz möchte dich zu den Dreharbeiten nach Mallorca einladen. Sie meint, ihr könntet dort die Drehpausen mit den Interviews für ihre Biografie überbrücken.«

»Ich bin doch kein Pausenclown«, entgegnete Clara forsch.

»So war es bestimmt nicht gemeint. Überleg doch mal: Du wärst live vor Ort bei den Dreharbeiten zu Straße ohne Schatten. Hautnah an der Seite des größten deutschen Filmstars. Noch dazu auf Mallorca. Schönes Wetter, leckeres Essen, jede Menge Promis und du mittendrin. Das ist doch genau dein Ding.«

»Hm. Ja, vielleicht«, meinte Clara, als der Kellner die bestellten Speisen brachte.

»Mark hat angedeutet, dass Jackie ein paar Leuten gehörig an den Karren fahren wird. Anscheinend plant sie, einige brisante Details über prominente Zeitgenossen zu enthüllen.« Katrin lehnte sich entspannt in ihrem Sessel zurück. Diesen Köder würde die Freundin schlucken, war sie überzeugt. Auf Claras Neugierde war Verlass.

»Jackie plant also eine Skandalbiografie. Das klingt tatsächlich spannend.« Clara ließ das Messer durch das dunkelrote Fleisch auf ihrem Teller gleiten und kostete den ersten Bissen. »Ausgezeichnet«, lobte sie das Carpaccio, genüsslich kauend.

»Das wird ganz bestimmt spannend. Eine solche Chance kannst du dir doch nicht entgehen lassen«, meinte Katrin aufgeregt. Ihre schlechte Laune von vorhin war verflogen.

»Gib mir ein paar Tage Zeit, um darüber nachzudenken. Außerdem muss ich erst mit Jan abklären, ob sich dieses Projekt mit meiner Position im Verlag vereinbaren lässt. Ich müsste mir dann wohl ein paar Wochen Urlaub nehmen«, überlegte Clara laut.

»Lass dir bitte nicht zu lange Zeit. Jackie scheint es eilig zu haben. Ich muss Mark deine Entscheidung spätestens in einer Woche mitteilen. Oder eine andere Autorin vorschlagen.«

Clara zog eine Augenbraue hoch. Sie hasste Ultimaten. Zumindest, wenn sie ihr gestellt wurden.

Das wusste Katrin ganz genau. »Jackie bietet dir 50 Prozent ihrer Tantiemen an. Das ist mehr als fair von ihr. Du könntest dir mit diesem Buch ein hübsches Sümmchen verdienen«, beeilte sie sich fortzufahren. »Dein Anteil am Vorschuss beträgt 20.000 Euro.«

Claras Augenbraue wanderte erneut kurz nach oben. »Ich sagte doch: Gib mir das Wochenende Zeit. Sollte ich mich dafür entscheiden, rede ich am Montag mit Decker. Und rufe dich danach gleich an.«

Katrin warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und schob ihren leeren Teller beiseite. Vorerst konnte sie nichts mehr tun. »Darf ich dir das Geld für mein Essen dalassen? Ich muss dringend ins Büro zurück.«

»Ich übernehme das schon. Geh nur.«

»Sicher?«

»Ja, klar. Geh ruhig.«

»Danke. Bis bald, Clara. Wie wär’s am Sonntag mit Kino?«

»Daraus wird leider nichts. Ich muss am Wochenende arbeiten.«

»Schade. Aber du denkst über mein Angebot nach, ja?«

»Ja-a«, betonte Clara genervt.

»Prima.« Katrin küsste die Freundin auf die Wangen und eilte zur Garderobe, um wenig später in ihrem alten beigen Wohlfühltrenchcoat aus dem Lokal zu hasten.

Clara bestellte einen Espresso und verlangte nach der Rechnung. Die Quittung steckte sie in ihre schwarze Kelly Bag, für die es jahrelange Wartelisten gab. Das sündhaft teure Stück verdankte sie einer einflussreichen New Yorker Galeristin, für deren Filialeröffnung in Berlin sie einige Promis zusammengetrommelt hatte, um anschließend in der UP über das Event zu berichten. Clara hatte jedoch darauf bestanden, die Handtasche selbst zu bezahlen, damit man ihr ja keine Bestechung vorwerfen konnte und sie nicht erpressbar war.

»Danke schön, Frau Bodenstein. Ich hoffe, es war alles zu Ihrer Zufriedenheit«, meinte die Empfangschefin, die Clara in den Mantel half.

»Es war wie immer großartig. Meine Empfehlung an den Chef.«

Das Carpaccio vom Wagyu-Rind mit jungen Löwenzahnblättern und würzigen Grana-Raspeln an extra jungfräulichem toskanischem Olivenöl hatte, wie fast alles, was aus Darius Schneyders Küche stammte, sterneverdächtig geschmeckt. Clara beschloss, ihn dafür in einer der nächsten UP-Ausgaben lobend zu erwähnen. Der begnadete Koch, der wie sie aus Wien stammte, hatte es redlich verdient.

5

Montag, 4. Juni 2007

Clara saß in der Morgenmaschine der Air-Berlin nach Palma de Mallorca, die den Flughafen Tegel mit über einer Stunde Verspätung verlassen hatte, und nippte an ihrem Tomatensaft. Warum sie ausgerechnet im Flugzeug immer wieder die Lust auf diesen Gemüsedrink überkam, wie so viele andere Passagiere auch, hatte sie erst neulich wo gelesen. Der niedrige Luftdruck in Flughöhe beeinflusste das Geschmacksempfinden. Salz und Zucker wurden weniger stark wahrgenommen. Das fruchtige Aroma von Tomaten blieb hingegen stabiler und schmeckte intensiver. Clara stellte den halb vollen Plastikbecher auf ihrem Klapptischchen ab.

Jan Decker hatte nur kurz gezögert, als sie ihm vor drei Monaten von Jackies verlockendem Angebot erzählt hatte. Schließlich hatte er ihr sogar zugeredet, diese einmalige Chance wahrzunehmen. Sie waren übereingekommen, dass Clara sich für zwei der insgesamt vier Wochen ihres Aufenthalts auf Mallorca Urlaub nehmen würde. Die restlichen Arbeitstage zählten als geschäftlicher Auslandseinsatz. Dafür musste Clara der UP Exklusivberichte von den Dreharbeiten liefern.

Die Tatsache, dass die nicht gerade als zimperlich verschriene Chefredakteurin des meistgelesenen Klatschmagazins Jackie Benz’ Biografie schreiben würde, war in den letzten Wochen in den konzerneigenen Medien ausgeschlachtet worden, was die Auflagen erfreulicherweise in die Höhe getrieben hatte. Clara hatte der Öffentlichkeit einen gewagten Blick hinter die Kulissen der Filmbranche angekündigt, gespickt mit persönlichen, amüsanten bis skandalträchtigen Anekdoten der Diva. Und sie plante ihr Versprechen zu halten, auch wenn sie damit den einen oder anderen Prominenten ans Messer liefern würde. Die sensationshungrige Klatsch- und Tratschgemeinde wartete schon begierig darauf, was oder besser wen sie da demnächst verschlingen würde.

Die einzigen Bedenken hatte Clara wegen Jackies berüchtigter Launen. Sie konnte mit Allüren nicht besonders gut umgehen, schon gar nicht, wenn sie diesen über einen längeren Zeitraum hinweg ausgesetzt war. Bisher war die Schauspielerin ihr gegenüber stets freundlich, für einen Star ihres Kalibers beinahe pflegeleicht gewesen. Doch wer wusste schon, wie das bei enger Zusammenarbeit aussehen würde? Hoffentlich packte die Diva nicht ihre gefürchteten Zicken aus. Andererseits war Clara die Chefredakteurin der UP und die Benz lange genug im Geschäft, um zu wissen, dass sie auch in Zukunft auf ihr Wohlwollen angewiesen war. Ohne Medien mochte sie eine gute Schauspielerin sein, doch gewiss keine Celebrity, der ein Millionenpublikum zu Füßen lag. Schlussendlich bestimmte die Öffentlichkeit ihren Marktwert, und Jackie war clever genug, um sich mit der Journaille zu arrangieren. Auch mit der unbestechlichen Clara Bodenstein.

Kurz bevor der Airbus A320 auf der Landepiste aufsetzte, erhaschte Clara von ihrem Gangplatz aus einen Blick aus dem Fenster. Erfreut stellte sie fest, dass die Sonne auch unterhalb der Wolkengrenze vom mallorquinischen Himmel schien. Nach ziemlich ruppiger Landung bremste der Pilot die Maschine herunter. Einige Passagiere klatschten Beifall, was Clara ein genervtes Augenrollen entlockte, das alsbald in ein zauberhaftes Clara-Bodenstein-Lächeln überging. Jetzt, da sie in Palma gelandet war, freute sie sich so richtig auf die neue Herausforderung. Clara liebte ihren Job bei der UP und hatte im Verlag noch einiges vor, aber ein Buch zu schreiben war die Erfüllung eines lang gehegten Traums. Ihre Autorenkarriere hatte sie zwar erst für einen späteren Zeitpunkt geplant, aber wenn es sich jetzt schon ergab, umso besser. Sie brannte darauf, Jackie Benz’ Biografie zu schreiben. Und Mallorca war allemal eine willkommene Abwechslung. Überhaupt, wo es in diesem Jahr in Berlin einfach nicht warm werden wollte.

Jackies Fahrer erwartete Clara am Flughafen, um sie zum geheimen Filmset zu bringen, wo in den nächsten Wochen der 90-Minüter Straße ohne Schatten gedreht werden sollte. Drei Wochen lang hatte die Crew bereits in der Inselhauptstadt Palma de Mallorca gearbeitet. Ab sofort diente eine Finca als Location, die irgendwo im Hinterland in der Nähe von Pollença vor den südlichen Ausläufern der Serra de Tramuntana lag. Mehr wusste Clara nicht.

Conny Krämer, die übervorsichtige Produktionsleiterin der Filmproduktion hatte befürchtet, dass sie den Drehort in der UP verraten und damit schaulustige Touristen anlocken könnte, was Clara reichlich paranoid fand. Immerhin hatte sie sich vertraglich verpflichtet, ihre Exklusivberichte von den Dreharbeiten erst nach Drehschluss zu veröffentlichen, zudem ausschließlich die Bilder des Set-Fotografen zu verwenden. Schon ein merkwürdiges Völkchen, diese Filmleute, dachte Clara, ohne zu wissen, wie recht sie damit hatte.

Während sie im Fond der Mercedes-Limousine Platz nahm, hievte der untersetzte Fahrer namens Pedro ihren riesigen knallroten Koffer unter wildem, katalanischem Fluchen in den Kofferraum. Wieder einmal hatte Clara viel zu viel eingepackt. Wer wusste schon, was man um diese Jahreszeit bei einem Filmdreh im gebirgigen Norden Mallorcas benötigte? Vier Paar High Heels waren vermutlich ein wenig übertrieben, aber es konnte ja keinesfalls schaden, auch outfitmäßig auf alles vorbereitet zu sein.

Im Wagen zückte Pedro ein blassblaues Baumwolltaschentuch. Schnaufend wischte er sich damit den Schweiß von der Stirn und aus dem wulstigen Nacken und startete den Motor.

20 Minuten später jagte er die Limousine über die Autobahn, die sie von der Küste durch die Ebene im Landesinneren immer näher ans Gebirge heranführte. Zu dieser Jahreszeit präsentierte sich die Insel noch recht grün, fand Clara, die Mallorca bislang nur im brütend heißen, trockenen Hochsommer kannte. Eine halbe Stunde später fuhr Pedro von der Autobahn ab. Sie passierten die drittgrößte mallorquinische Stadt Inca, die auf riesigen Schildern für ihre Lederwaren warb. Danach fuhren sie durchs malerische Provinzstädtchen Selva, das am Fuße des majestätischen Tramuntana-Gebirges lag. Nach der nächsten Ortschaft Caimari bog Pedro in die Nebenstraße ein. An deren Ende hielt er vor der Hotel-Finca an. Hier waren der Regisseur Sebastian Reimann, der Kameramann Martin Rosen, die Produktionsleiterin Conny Krämer und die wichtigsten Darsteller einquartiert. Und Clara als Jackie Benz’ persönlicher Gast. Der Rest der rund 50-köpfigen deutsch-spanischen Filmcrew verteilte sich auf mehrere kleinere Unterkünfte in der Umgebung, erklärte ihr Pedro in passablem Deutsch. Die ganze Fahrt über hatte er beleidigt geschwiegen. Jetzt, da sich ein junger Spanier mit Claras schwerem Koffer abmühte, plauderte er munter auf sie ein, während er sie zu ihrem Zimmer im Erdgeschoss begleitete. Um 12 Uhr wollte er sie vor der Finca wiedertreffen, damit er sie zum Mittagessen zum Set fahren konnte.

Clara steckte dem Kofferträger zwei Euro zu, schloss dann die Tür hinter den Männern. Dem Fahrer wollte sie später ein größeres Trinkgeld geben. Irgendwie war ihr der stolze Pedro sympathisch. Sie blickte auf ihre Armbanduhr. Ihr blieb noch eine knappe Stunde, um sich zu duschen und ihren Koffer auszupacken.

Danach schlüpfte sie in ihre Designerjeans und die weiße Bluse, legte frisches Make-up auf und steckte ihre schulterlange weizenblonde Lockenmähne locker hoch.

Es war Punkt 12 Uhr, als sie Pedro im Mercedes aus seiner Siesta riss. Die Zehn-Euro-Note, die sie ihm nach vorne reichte, versöhnte ihn augenblicklich. Lächelnd steckte er das Trinkgeld in die Brusttasche seines Hemds und startete erneut den Motor, um zum ominösen Drehort aufzubrechen.

Wenig später passierten sie das pittoreske Straßendorf Campanet, das um die Mittagszeit völlig ausgestorben war. Jeden Samstag sei hier Wochenmarkt, erklärte ihr Pedro und fuhr weiter durch Pollença in Richtung Gebirge. Der Mercedes folgte nun den engen, holprigen Straßen, die sich im Naturschutzgebiet bergauf und bergab schlängelten, vorbei an kargen Felsen, malerischen Olivenhainen und Pinienwäldchen, ehe er in einen staubigen Weg einbog, der steil nach oben bis zu einem gut versteckten Landgut führte.

Dort lag sie also. Die geheimnisvolle Location, auf der die mit Abstand kostspieligste TV-Produktion des Jahres gedreht wurde. Der alte Turm der Finca war Clara schon aus einiger Entfernung aufgefallen. Jetzt erst nahm sie das emsige Treiben vor dem steinernen Gebäude wahr. Pedro hielt den Wagen an und wirbelte dabei eine dicke Staubwolke auf, die langsam, aber unaufhaltsam in Richtung Set zog.

Clara stieg aus dem Wagen.

»Psst! Wir drehen«, zischte ihr die junge Frau mit den aschblonden Dreadlocks zu, die plötzlich neben dem Mercedes aufgetaucht war. »Leise, bitte«, flehte sie im Flüsterton und hielt die offene Autotür verzweifelt fest.

»Guten Tag. Ich bin …«

»Psst!«, wiederholte die junge Frau, ihren Zeigefinger beschwörend an die Lippen legend. Ihr banger Blick folgte der Staubwolke, die dem Set bedrohlich nahe war.

»Und Schnitt! Großartig, Jackie! Genau die war es! It’s a wrap!«, meinte Reimann beglückt.

»Check the gate!«, rief der Regieassistent.

Der Kameraassistent beugte sich über die Kamera und überprüfte das Bildfenster auf etwaige Fusseln, Abrieb oder Haare, die die Aufnahme unbrauchbar gemacht hätten. »Sauber«, antwortete er. Die Szene war im Kasten.

»Puh, das ist ja grad noch mal gut gegangen«, meinte die Aschblonde erleichtert zu Clara. »Der Reimann hätte mir den Arsch aufgerissen, wenn ihr ihm den Take vermasselt. Ich sollte den Weg schon weiter unten absperren, damit keiner hoch kann, während wir drehen. Aber ich musste dringend Pipi«, erklärte sie in rasantem Sprechtempo, während sie Clara die Hand schüttelte. »Herzlich willkommen!«, fügte sie hinzu.

»Danke«, erwiderte Clara wenig begeistert und wischte sich die Hand an ihrem Hosenbein ab.

»Siesta! Mittagspause bis 14 Uhr!«, rief der Regieassistent in die Menge.

»Du kannst fahren!« Das Rasta-Mädchen wandte sich Pedro zu, der prompt eine neue Staubwolke aufwirbelte, die nun aber niemanden mehr kümmerte.

»Ich bin Elke. Assistentin der Aufnahmeleitung«, plapperte die Kleine munter weiter auf Clara ein.

»Ich bin Clara Bodenstein. Chefredakteurin der UP«, stellte sich Clara vor. Dabei stand ihr Name ohnehin fett gedruckt auf der heutigen Dispo. Jeder, der den Zeitplan gelesen hatte, sollte wissen, dass die Journalistin heute am Set erwartet wurde.

»Wie cool ist das denn? Die UP lese ich jede Woche«, meinte Elke schwer begeistert.

»Das freut mich. Könnte ich jetzt bitte zu Jackie Benz? Wir sind verabredet.«

»Ja, klar. Komm mit!« Federnden Schrittes und suchenden Blickes ging Elke voraus. »Lucy! Weißt du, wo Jackie steckt?«, rief sie in das Chaos hinein. Jeder wollte so rasch wie möglich seine sieben Sachen in Sicherheit bringen und zum Catering-Wagen, wo die hungrige Filmmeute abgefüttert wurde.

»Wahrscheinlich ist sie schon oben in ihrer Suite«, erwiderte die schrille, knallrothaarige Person, die Lucy hieß. In ihrer pinkfarbenen Schürze steckten jede Menge bunte Pinsel und Haarklammern. Naheliegend, dass sie für die Maske zuständig war, dachte Clara. Und schon war Lucy wieder fort, um sich vor dem Wohnmobil, das zur Küche umfunktioniert war, ums Mittagessen anzustellen.

Clara folgte Elke in den ersten Stock der Finca.

Vor einer der massiven Holztüren hielt das Rasta-Mädchen an, um anzuklopfen. »Jackie? Bist du da? Clara Bodenstein möchte dich sprechen!«, kiekste sie.

»Ich komme schon«, hörte Clara die samtige Frauenstimme antworten, die unverkennbar Jackie Benz gehörte.

»Ich geh dann mal essen. Tschü-üs«, verabschiedete sich Elke und hüpfte eilig die Treppe hinunter.

»Mahlzeit«, murmelte Clara ihr hinterher. Süß war sie ja, die Kleine, aber doch reichlich überdreht. Als sie sich umdrehte, stand Jackie Benz vor ihr im Türrahmen.

»Meine Liebe! Wie schön, dass du hier bist«, säuselte sie, als wären sie seit Jahren die allerbesten Freundinnen. Dabei hatten sie sich vor Jackies Abreise nach Mallorca ein einziges Mal in Berlin getroffen, um über ihr gemeinsames Projekt zu sprechen. Jackie kam näher und küsste die Luft neben Claras Wangen, um ihr Make-up nicht zu ruinieren.

Diese vermeintliche Vertrautheit und die Duzerei von der ersten Sekunde an, die in der Filmbranche üblich waren, fand Clara gewöhnungsbedürftig. »Guten Tag, Frau Benz. Vielen Dank für die Einladung.”

»Ich bitte dich … Nenn mich Jackie. Schließlich wirst du in den nächsten Wochen meine engste Vertraute sein, nicht wahr, Clara? Komm bitte weiter.« Jackie drehte sich auf dem Absatz ihrer Mules um.

Clara folgte ihr durch die großzügige Suite, die der Diva als Garderobe und Rückzugsort diente, hinaus auf die Terrasse. Der Panoramablick über das Seitental war schier atemberaubend.

»Nimm doch bitte Platz! Du bist sicher hungrig nach der Reise.«

Clara nickte. »Eine Kleinigkeit könnte ich schon vertragen.«

»Papperlapapp! Ich lasse uns ein anständiges Mittagessen bringen. Hungern kannst du wieder nach dem Drehschlussfest. Du glaubst ja nicht, wie wunderbar hier gekocht wird. Das beste Catering der Welt. Wenn das so weitergeht, platze ich noch aus meinen Kostümen.«

»Aber wo denn, Jackie? Du bist doch so schlank«, entgegnete Clara und war froh, dass sie sich die Einschränkung »für dein Alter« gerade noch verkniffen hatte.

»Danke, meine Liebe! Aber ich muss schon sehr aufpassen. Du weißt doch, dass man vor der Kamera mindestens fünf Kilo fetter wirkt, als man tatsächlich ist.« Jackie seufzte und fasste sich mit einer theatralischen Geste an ihr kaum vorhandenes Bäuchlein. »Aber manches Mal muss man einfach sündigen. Heute zum Beispiel. Ich lasse Darius Bescheid geben. Er soll uns ein paar Häppchen hochbringen.«

»Darius? Doch nicht etwa Darius Schneyder?«, fragte Clara überrascht.

Jackie nickte. »Doch. Genau der. Wieso denn nicht?«

»Darius ist hier auf Mallorca? Er wollte sich doch nur noch um sein Lokal in Berlin kümmern.«

»Er hatte wohl Lust, wieder einmal aus seiner Promikneipe rauszukommen und ein bisschen Filmluft auf Mallorca zu schnuppern. Back to the roots.« Jackie drückte die Sprechtaste auf dem Walkie-Talkie, das eben vor ihr auf dem Holztisch gelegen hatte. »Sarah!«

»Ja, Jackie?«, schepperte es prompt aus dem klobigen schwarzen Gerät.

»Sag Darius bitte, er soll Tapas für zwei in meine Suite bringen lassen.«

»Tapas für zwei. Verstanden, Jackie.«

Sieh einer an! Darius’ Catering. Der Auftrag gefiel Clara immer besser. Sie lächelte ihr perfekt geschminktes Gegenüber an.

»Wie wär’s mit einem Gläschen Cava?«, schlug Jackie vor.

»Aber wirklich nur ein klitzekleines Schlückchen.«

»Ja, klar. Schließlich sind wir zum Arbeiten hier.« Jackie verschwand in der Suite, um mit zwei Gläsern eisgekühltem spanischen Schaumwein zurückzukehren. »Auf unser Buch!«, prostete sie Clara zu.

»Auf unseren Bestseller!«, erwiderte Clara lächelnd. Die beiden Gläser stießen klirrend aneinander. Der erste Schluck prickelte ihre Kehle hinunter, als es an der Tür klopfte.

»Herein!«, rief Jackie.

Darius betrat mit einer Karaffe Wasser, das mit Minzblättern und Zitronenscheiben aromatisiert war, die Terrasse.

Der junge Spanier in seinem Schlepptau balancierte ein Tablett voller Köstlichkeiten auf seiner muskulösen Schulter. Ein kleiner Teller nach dem anderen landete vor ihnen auf dem Tisch.

»Wünsche den Damen wohl zu speisen.« Darius verbeugte sich galant.

»Wie lieb von dir, Darius. Danke schön«, meinte Jackie überschwänglich. »Du kennst doch Clara Bodenstein von der UP? Sie wird meine Memoiren schreiben.« Jackie warf dem zierlichen Mann mit den glatten pechschwarzen Haaren, die ihm fast bis zum Kinn reichten, einen verführerischen Blick zu.

Darius sah Clara an.

»Grüß dich, Darius! Was für eine Überraschung«, kam Clara seiner Antwort zuvor. Ihre Sprache veränderte sich augenblicklich, als sie ihren Landsmann begrüßte.

Darius verbeugte sich und nahm ihre Hand. »Grüß dich Gott, liebe Clara! Gestatte mir bitte, dir meinen Dank für die Erwähnung in deiner Kolumne auszusprechen«, sagte er mit der ihm eigenen Höflichkeit, die stets etwas unterwürfig wirkte. Dazu verlieh das Schönbrunner Deutsch, das er sprach, seinen Worten einen altmodischen Charme.

»Bitte gerne. Das war hochverdient.« Clara lächelte ihn an. Sie konnte sich nicht erinnern, den zurückhaltenden Mann jemals lachen gesehen zu haben. War es deshalb so schwierig, sein Alter zu schätzen? War er Mitte 30? Oder doch schon 40 plus? Nur, wenn er über seine kulinarischen Kreationen sprach, blitzte Leidenschaft aus seinen dunklen Augen, und der Anflug eines Lächelns lag auf seinen schmalen Lippen. In solchen Momenten fand sie ihn durchaus attraktiv. Auf eine eigenartige Art und Weise. In ihrer letzten Kritik hatte sie Darius Schneyder mit einem Wiener Adeligen aus dem 19. Jahrhundert verglichen, über den sie kurz zuvor ein Buch gelesen hatte. Der Name war ihr mittlerweile entfallen. Darius hatte ihr den Vergleich offenbar nicht übel genommen.

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Дата выхода на Литрес:
22 декабря 2023
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243 стр. 6 иллюстраций
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9783839268483
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