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Читать книгу: «Vom höchsten Gut und vom größten Übel», страница 3

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Kapitel XIV.

Wenn man sieht, wie der Irrthum und die Unwissenheit das ganze Leben in Verwirrung bringt, und wie nur die Weisheit uns vor dem Ungestüm der Lüste und den Schrecknissen der Furcht schützt; wie sie selbst das Unrecht des Schicksals uns mit Geduld ertragen lehrt und die Wege weist, welche zur Ruhe und zur Freiheit von Gemüthsbewegungen führen, wie konnte man da zweifeln und nicht offen anerkennen, dass die Weisheit wegen Gewinnung der Lust zu erstreben und die Unwissenheit wegen des Ungemachs zu fliehen sei!

§ 47. Aus demselben Grunde wird, nach unsrer Lehre, auch die Mässigkeit nicht um ihrer selbst willen gesucht, sondern weil sie der Seele den Frieden bringt und die Gemüther gleichsam durch eine gewisse Eintracht beruhigt und besänftigt. Denn die Mässigkeit ist es, welche uns ermahnt, in dem Begehren und dem Fliehen der einzelnen Dinge der Vernunft zu folgen, da es nicht genügt, dass man richtig beurtheile, was zu thun und zu unterlassen sei, sondern dass man auch an diesem Urtheile festhalte. Die meisten Menschen können nicht bei dem, was sie selbst beschlossen haben, beharren und verbleiben, sondern lassen sich durch den entgegentretenden Reiz der Lust besiegen und verführen. Damit begeben sie sich in die Fesseln ihrer Lüste, sehen das Kommende nicht voraus und gerathen deshalb um einer geringen Lust willen, die entweder vermeidlich war, oder die auf andere Weise erlangt werden konnte, oder die sie allenfalls auch ohne Schmerzen entbehren konnten, theils in schwere Krankheiten, theils in Schaden, theils in Schande, ja, oft verfallen sie auch den Strafen der Gerichte und Gesetze.

§ 48. Wer aber die Lust so zu geniessen vermag, dass kein Schmerz daraus für ihn hervorgeht, und wer in seinen Urtheilen zurückhält, um nicht, durch die Lust besiegt, das zu thun, was nach der eigenen Ansicht nicht geschehen soll, der erreicht gerade durch Beiseiteschiebung solcher Lust die höchste Lust, und der erträgt auch oft einen Schmerz, um nicht sonst in einen grösseren zu gerathen. Hieraus erhellt, dass auch die Unmässigkeit nicht um ihrer selbst willen zu fliehen ist, und dass man die Mässigkeit nicht begehrt, weil sie die Lust flieht, sondern weil sie die grössere Lust bereitet.

Kapitel XV.

§ 49. Dasselbe wird sich auch für die Tapferkeit ergeben. Denn weder die Verrichtung einer Arbeit noch das Erleiden eines Schmerzes lockt an sich an; auch thut dies nicht die Geduld, die Emsigkeit, das Nachtwachen, ja, selbst der vielgerühmte Fleiss und selbst die Tapferkeit nicht; vielmehr folgt man ihren Geboten nur, damit man ohne Sorgen und Furcht leben könne und man Seele und Leib nach Möglichkeit vor Ungemach bewahre. So wie die Todesfurcht den ganzen Zustand eines ruhigen Lebens verwirrt, und so wie es jämmerlich ist, wenn man den Schmerzen unterliegt oder sie nur mit gedrücktem oder schwächlichem Sinne erträgt, und wie ob dieser Geistesschwäche Viele ihre Eltern, Viele ihre Freunde, Manche ihr Vaterland, die Meisten aber sich selbst gänzlich ins Verderben gestürzt haben, so hält sich umgekehrt ein starker und erhabener Sinn frei von aller Angst und Sorge und verachtet selbst den Tod; denn wer davon getroffen wird, ist eben nur so daran, als wie vor seiner Geburt. Ein solcher ist bereit, Schmerzen zu ertragen, denn er weiss, dass die grössten mit dem Tode enden, dass die kleinen viele Pausen der Ruhe haben und dass man Herr der mässigen Schmerzen werden kann, so dass die erträglichen ausgehalten werden können, und bei den härteren man mit Seelenruhe das Leben, wenn es nicht gefällt, wie ein Theater verlassen kann. Daraus ergiebt sich, dass die Furchtsamkeit und Trägheit nicht ihretwegen getadelt und die Tapferkeit und Gelassenheit nicht ihretwegen gelobt werden; sondern man verwirft jene, weil sie Schmerzen, und wählt diese, weil sie Lust bereiten.

Kapitel XVI.

§ 50. So bleibt nur noch die Gerechtigkeit, um alle Tugenden behandelt zu haben. Auch von ihr kann indess das Gleiche gesagt werden. So wie ich gezeigt habe, dass die Weisheit, Mässigkeit und Tapferkeit mit der Lust in der Art verbunden sind, dass sie in keiner Weise von ihr getrennt und abgesondert werden können, so gilt dies auch von der Gerechtigkeit, die nicht allein niemals Jemandem schadet, sondern immer durch ihre Kraft und Natur beiträgt, das Gemüth zu beruhigen und die Hoffnung zu erhalten, dass Nichts von dem fehlen werde, dessen ein unverdorbener Mensch bedarf. So wie die Verwegenheit, die Ausgelassenheit und Trägheit die Seele immer peinigen, immer aufregen und stören, so beunruhigt auch die Unredlichkeit, wenn sie in dem Gemüth sich festgesetzt hat, durch ihre blosse Gegenwart; wenn sie etwas unternimmt, kann sie trotz aller Heimlichkeit doch nicht sicher sein, dass es immer verborgen bleiben werde; denn in der Regel folgt den Handlungen des Unredlichen zunächst der Verdacht, dann erhebt sich das Gerede und Gerücht, dann der Ankläger und zuletzt der Richter, ja, Viele zeigen sich selbst an, wie während Deines Consulats geschah.

§ 51. Selbst wenn Einzelne sich genügend gegen alles Bekanntwerden geschützt und verwahrt zu haben dünken, bleibt ihnen doch die Furcht vor den Göttern, und sie halten jene Angst, die ihr Gemüth

»Tag und Nacht«

verzehrt, für eine von den unsterblichen Göttern verhängte Strafe. Wie kann wohl aus unrechten Handlungen eine so grosse Minderung der Unannehmlichkeiten des Lebens hervorgehen, dass sie die aus dem Bewusstsein der Unthaten, aus der Strafe der Gesetze und dem Hass der Bürger hervorgehende Steigerung derselben die Wage hielte? Und doch giebt es Menschen, die weder in dem Streben nach Geld, noch nach Ehren, nach Herrschaft, nach sinnlicher Lust, nach leckem Mahlzeiten und neuen Annehmlichkeiten Maass halten. Keine Beute, die sie aus ihren Unthaten gewonnen haben, mindert ihre Begierden; sie werden dadurch nur heftiger, und nur Zwang, aber nicht Ermahnung kann sie im Zaume halten.

§ 52. So empfiehlt die wahre Vernunft dem Verständigen die Gerechtigkeit, die Billigkeit, die Treue. Schon dem ungeschickten, dem schwachen Menschen nützt sein Unrechtthun nichts, da er seine Pläne nicht leicht auszuführen und, wenn es geschieht, das Erreichte nicht festzuhalten vermag. Aber auch die Macht an Geist und Vermögen passt besser zu einem edlen Sinne, denn durch einen solchen erlangt man das Wohlwollen der Menschen und, was für die Ruhe des Lebens noch wichtiger ist, ihre Liebe, weil aller Anlass zum Unrechtthun dann fehlt.

§ 53. Denn die natürlichen Begierden können leicht und ohne Verletzung Anderer befriedigt werden, und den eitlen Begierden darf man nicht nachgeben, da sie kein Wünschenswerthes begehren und in dem Unrecht selbst mehr Schaden enthalten ist, als Vortheil in den Dingen, die durch das Unrecht erlangt werden. Deshalb kann man auch von der Gerechtigkeit nicht sagen, dass sie um ihrer selbst willen begehrenswerth sei; sie ist es nur, weil sie zur Annehmlichkeit des Lebens am meisten beiträgt. Geliebt zu werden und Andern theuer zu sein, ist angenehm, weil das Leben dadurch sicherer und die Lust vollständiger wird. Wir meinen daher, dass die Unredlichkeit nicht blos deshalb zu fliehen sei, weil sie dem Unredlichen Nachtheil bringt, sondern weit mehr noch, weil sie das von ihr eingenommene Gemüth niemals zu Athem und Ruhe kommen lässt.

§ 54. Wenn sonach selbst das Lob der Tugenden, in dem sich die Ausführungen der übrigen Philosophen hauptsächlich so stolz ergehen, zu keinem Ergebnisse führen kann, so lange es nicht auf die Lust gerichtet wird, und wenn die Lust allein es ist, die uns durch ihre Natur anruft und anlockt, so kann es nicht zweifelhaft sein, dass sie das höchste und äusserste Gut ist, und dass das glückliche Leben nur in einem von Lust erfüllten Leben besteht.

Kapitel XVII.

§ 55. Ich will nun kurz darlegen, was mit diesem festen und gesicherten Grundsatz verknüpft ist. In dem höchsten Gut und Uebel, d.h. in der Lust oder in dem Schmerze, kann man sich nicht irren, aber wohl kann man in den Gegenständen fehlgreifen, wenn man nicht weiss, aus welchen Ursachen jene hervorgehen. Wir gestehen, dass die Lust und der Schmerz der Seele aus der Lust und dem Schmerz des Körpers entsteht. Ich gebe deshalb zu, dass, wenn Einzelne von uns hier anderer Ansicht sind, dies, wie Du sagtest, die Sache verloren macht; es sind dies zwar Viele, aber doch nur Unerfahrene. Wenn auch die Lust der Seele uns Freude macht und ihr Schmerz uns unangenehm ist, so entspringen doch beiderlei Gefühle aus dem Körper und werden auf ihn bezogen. Doch kann trotzdem die Lust und der Schmerz der Seele viel grösser als die des Körpers sein; denn mit dem Körper kann man nur das Gegenwärtige und Anwesende empfinden, mit der Seele aber auch das Vergangene und Kommende. Wenn man auch bei körperlichen Schmerzen ebenso in der Seele leidet, so kann doch dieses Gefühl erheblich steigen, wenn man meint, von einem dauernden und endlosen Uebel bedroht zu sein; und dasselbe gilt von der Lust, sie steigt, wenn man nichts dergleichen befürchtet.

§ 56. So erhellt schon hieraus, dass die grösste Lust und der grösste Schmerz der Seele von höherer Bedeutung für das glückliche oder elende Leben ist, als beiderlei Empfindung, wenn sie gleich lange im Körper ist. Nach unserer Ansicht folgt aus der Entziehung der Lust nicht sofort die Traurigkeit; es müsste denn an Stelle der Lust zufällig ein Schmerz getreten sein; aber umgekehrt erfreut der Nachlass der Schmerzen, auch wenn keine die Sinne erregende Lust nachfolgt, und daraus kann man ersehn, welche grosse Lust in der Schmerzlosigkeit enthalten ist.

§ 57. Ebenso wie man durch die Güter, welche man erwartet, aufgerichtet wird, freut man sich ihrer in der Erinnerung. Nur die Thoren quälen sich mit dem Andenken der vergangenen Schmerzen, während der Weise sich an den vergangenen Gütern erfreut, die er in dankbarer Erinnerung sich erneut; denn es liegt in unserer Macht, das Unangenehme gleichsam in ewiges Vergessen zu hüllen und des Angenehmen sich gern und freudig zu erinnern. Betrachtet man aber das Vergangene scharf und aufmerksam, so ereignet es sich, dass, wenn es ein Uebel gewesen, man traurig, und wenn es ein Gut gewesen, man fröhlich wird.

Kapitel XVIII.

Oh! wie herrlich und offen und leicht und gerade aus führt nicht dieser Weg zum glücklichen Leben! Wenn es nichts Besseres für den Menschen geben kann, als frei zu sein vor jedem Schmerz und Unbehagen und die höchste Lust der Seele und des Körpers zu gemessen, seht Ihr da nicht, dass dann nichts, was das Leben fördert, übersehen ist, um das erstrebte höchste Gut so leicht als möglich zu erreichen. Epikur hat es laut genug ausgesprochen, dass Der, welcher, wie Ihr sagt, den Lüsten zu sehr ergeben ist, nicht angenehm leben könne, wenn er nicht weise, anständig und gerecht lebe, und dass er nicht weise, anständig und gerecht lebe, wenn er nicht angenehm lebe.

§ 58. Denn selbst ein Staat kann im Aufruhr nicht glücklich sein, noch ein Haus, wenn die Herren uneinig sind; viel weniger kann daher die Seele, welche in Streit und Uneinigkeit mit sich selbst ist, irgend etwas von der reinen und feinern Lust geniessen. Wessen Absichten und Bestrebungen immer einander widersprechend und im Streit sind, der kann von Ruhe und Zufriedenheit nichts empfinden.

§ 59. Wenn schon durch schwere Krankheiten des Körpers die Annehmlichkeiten des Lebens gehemmt werden, um wie viel mehr muss das durch Krankheiten der Seele geschehen. Die Krankheiten der Seele bestehn eben in den ungemässigten und eitlen Begierden nach Reichthum, Ruhm, Herrschaft und sinnlicher Lust; dazu kommen Verstimmung, Traurigkeit, Kummer, welche den Geist verzehren und durch Sorgen erschöpfen, wenn der Mensch übersieht, dass die Seele nur das schmerzen kann, was jetzt oder später mit körperlichen Schmerzen verknüpft ist; jeder Thor leidet an einer von diesen Krankheiten, und jeder ist deshalb elend.

§ 60. Dazu kommt noch der Tod, der, wie der Fels über dem Tantalus, immer über ihnen hängt, und der Aberglaube, bei dem der davon Erfüllte niemals ruhig werden kann. Dabei denken Solche weder an das vergangene Gute, noch geniessen sie das gegenwärtige, und während sie das Kommende erwarten, werden sie, da hier Gewissheit nicht möglich ist, von Angst und Furcht niedergedrückt und schwer gepeinigt. Erst spät werden sie inne, dass sie vergebens sich um Geld oder Macht oder Reichthum oder Ruhm gemüht haben, wenn sie die Lust nicht erlangen, wegen der sie so viel und so schwer in der brennenden Erwartung, sie zu erreichen, sich geplagt haben.

§ 61. Nun schaut auch auf jene kleinlichen und ängstlichen Seelen, die entweder an Allem verzagen oder boshaft, neidisch, schwerfällig, lichtscheu, verläumderisch, scheusslich sind, oder schaut auf Andere, die sinnlichen Ausschweifungen ergeben, oder muthwillig, tollkühn und waghalsig und zugleich unmässig und träge niemals bei einer Meinung beharren. Deshalb hören in dem Leben solcher Leute die Unannehmlichkeiten niemals auf, und deshalb ist kein Thor glücklich und kein Weiser unglücklich. Unsere Gründe für diesen Satz sind weit besser als die der Stoiker; denn diese wollen nur, ich weiss nicht welches Schattenbild für ein Gut anerkennen, was sie mit einem weniger gehaltvollen als blendenden Namen das Rechte nennen; die auf dies Rechte gestützte Tugend soll keiner Lust bedürfen, sondern allein zum glücklichen Leben genügen.

Kapitel XIX.

§ 62. Allerdings kann dies in einem gewissen Sinne behauptet werden, ohne dass wir dem entgegentreten; im Gegentheil, wir stimmen zu, da Epikur das Glück des Weisen immer so beschreibt, dass er seine Begierden in Schranken hält, den Tod nicht scheut, in Betreff der unsterblichen Götter ohne alle Furcht ist, die Wahrheit kennt und nicht ansteht, das Leben zu verlassen, wenn es so besser ist. So ausgerüstet, befindet der Weise sich stets in der Lust; zu jeder Zeit überragt bei ihm die Lust den Schmerz, da er des Vorgegangenen sich dankbar erinnert und das Gegenwärtige in seiner ganzen Fälle und Annehmlichkeit bewusst erfasst; er sorgt sich nicht um das Kommende, sondern geniesst in dessen Erwartung das Gegenwärtige. So ist er von jenen Fehlern, die ich vorhin erwähnte, völlig frei und wird von einer hohen Freude erfüllt, wenn er das Leben des Thoren mit dem seinigen vergleicht. Treffen den Weisen einmal Schmerzen, so sind sie doch nie von einer solchen Stärke, dass er nicht immer mehr haben sollte von dem, was ihn erfreut, als von dem, was ihn ängstigt.

§ 63. Vortrefflich ist der Ausspruch Epikur's, dass das Schicksal dem Weisen nur wenig in den Weg trete; dass die grössten und wichtigsten Angelegenheiten nach seinem Rath und seiner Anweisung besorgt werden, und dass selbst ein unendlich langes Leben nicht mehr Lust gewähren könne, als schon das jetzige beschränkte gewähre. Von Eurer Dialektik meinte er, dass sie kein Mittel zum bessern Leben sei und selbst bei den Erörterungen nichts nütze; auf die Naturwissenschaften legte er aber grosses Gewicht; durch sie könne auch die Kraft der Worte, die Natur der Rede und das Verhältniss der Einstimmung und des Widerstreits erkannt werden, und durch die Erkenntniss der Natur aller Dinge werde man allein von dem Aberglauben befreit, von der Todesfurcht erlöst und nicht irregeführt durch jene Unkenntniss der Dinge, welche oft ausserordentliche Schrecknisse veranlasse. Selbst sittlich besser werde man, wenn man gelernt habe, was die Natur verlangt. Hält man die Erkenntniss der Dinge unverrückt fest und bewahrt man dabei jene Regel, die für die Erkenntniss der Dinge gleichsam vom Himmel gefallen ist und nach der sich alle Urtheile über die Dinge bestimmen, so wird man niemals, durch die Rede eines Andern besiegt, seine Meinung aufzugeben brauchen.

§ 64. Aber ohne Erkenntniss der Natur der Dinge wird man niemals die Ansprüche der Sinne vertheidigen können. Ueberdem kommt Alles, was man im Geiste sieht, von den Sinnen, und man kann nur dann mittelst ihrer Etwas wahrnehmen und erkennen, wenn sie sämmtlich als wahrhaft gelten, wie Epikur's Lehre besagt. Erkennt man dies nicht an und leugnet man eine Erkenntniss durch die Sinne, so kann man bei solcher Beseitigung derselben nicht einmal das verständlich machen, was man verhandelt. Auch wird mit Aufhebung der Kennt nisse und Wissenschaften aller Anhalt für die Führung des Lebens und die Besorgung der Geschäfte unmöglich. Somit wird durch die Naturwissenschaft auch die Festigkeit gegen alle Todesfurcht und die Unerschütterlichkeit gegen die Drohungen der Religion gewonnen. Ist die Unwissenheit über die verborgenen Dinge beseitigt, so tritt die Ruhe des Gemüths ein, und wenn die Natur der Begierden und ihrer Arten eingesehen ist, so folgt die Mässigung. Mit jener erwähnten Regel der Erkenntniss und mit dem von ihr geleiteten Urtheile wird die Unterscheidung des Wahren und Falschen gewonnen.

Kapitel XX.

§ 65. So bleibt mir für unsre Besprechung nur noch ein wichtiger Gegenstand, die Freundschaft, deren Möglichkeit Ihr bestreitet, wenn die Lust das höchste Gut sein soll. Epikur sagt von ihr, dass unter allen Dingen, welche die Weisheit für ein glückliches Leben beschaffen könne, keines grösser und fruchtbarer und angenehmer sei, als die Freundschaft; ein Ausspruch, den er nicht blos durch seine Studien, sondern noch mehr durch sein Leben, seine Thaten und Sitten bestätigt hat. Welch grosses Gut die Freundschaft ist, zeigen schon die Fabeln, welche die Alten erfunden haben. Obgleich seit dem entferntesten Alterthume dergleichen in grosser Zahl und Mannichfaltigkeit gedichtet worden sind, so finden sich von Theseus bis zu Orest doch kaum drei Freundschaftspaare darin. Welche grössere Schaaren von Freunden, die in fester Liebe verbunden waren, hat dagegen Epikur in seinem einen und noch dazu kleinen Hause versammelt? Noch jetzt wiederholt sich dies bei den Epikureern. Doch ich komme zur Sache zurück und brauche nicht von den Personen zu reden.

§ 66. Ich finde, dass die Unsrigen in dreifacher Weise die Freundschaft besprochen haben. Die Einen leugnen, dass die auf Freundschaft bezügliche Lust ebenso wie die eigene Lust um ihrer selbst willen zu suchen sei. Damit scheint Manchem die Festigkeit der Freundschaft erschüttert; indess halten Jene an ihrem Ausspruch fest und helfen, wie mir scheint, sich leicht aus dieser Schwierigkeit heraus, indem sie behaupten, dass, wie nach dem Früheren die Tugenden, so auch die Freundschaft nicht ohne Lust sein könne. Ein einsames Leben ohne Freunde sei voll Gefahren und Furcht, deshalb fordere schon die Vernunft, sich Freunde zu erwerben; deren Erlangung gebe der Seele Vertrauen, und sie lasse sich dann die Hoffnung auf zu gewinnende Lust nicht nehmen.

§ 67. So wie der Hass, der Neid, die Geringschätzung der Lust zuwider sind, so sind die Freundschaften nicht blos die treuesten Beschützer der Lust, sondern bewirken auch die Lust, nicht blos bei den Freunden, sondern auch bei sich selbst; sie gewähren nicht blos einen gegenwärtigen Genuss, sondern stärken auch durch die Hoffnung auf die folgenden und spätern Zeiten. Wenn man also in keiner Weise ohne Freundschaft ein angenehmes Leben sich sicher und dauerhaft erhalten kann, und wenn man die Freundschaft, ohne die Freunde wie uns selbst zu lieben, nicht bewahren kann, so wird gerade dies in der Freundschaft verwirklicht und die Freundschaft mit der Lust verknüpft; denn man erfreut sich an der Lust der Freunde wie an seiner eigenen und leidet ebenso mit ihren Aengsten.

§ 68. Deshalb ist der Weise gegen seine Freunde ebenso gesinnt wie gegen sich selbst, und die Mühe, die er für seine eigene Lust, übernehmen würde, übernimmt er auch für die seiner Freunde. Alles, was von den Tugenden gesagt worden und von der Art, wie sie immer der Lust einwohnen, das gilt auch von der Freundschaft. Herrlich ist der Ausspruch Epikur's, der ohngefähr so lautet: »Derselbe Grundsatz, welcher die Seele ermuthigt, kein Uebel als ein ewiges oder anhaltendes zu fürchten, lässt auch erkennen, dass während dieses Lebens der Schutz der Freundschaft der festeste ist.«

§ 69. Manche Epikureer verhalten sich indess etwas verzagter gegen Euer Schimpfen, aber sind doch ganz scharfsinnig. Sie fürchten, dass alle Freundschaft hinkend werden würde, wenn man sie nur der eignen Lust wegen begehrte. Nach ihnen erfolgt zwar das Zusammentreten, die Verbindung und der Wille zu gemeinsamem Umgang zuerst um der eignen Lust willen; wenn aber der fortgesetzte Verkehr die Vertraulichkeit herbeigeführt habe, so erwachse daraus eine solche Liebe, dass die Freunde, auch wenn die Freundschaft keinen Nutzen gewährt, sich um ihrer selbst willen lieben. Sie meinen, dass man durch Gewohnheit ja schon Plätze, heilige Orte, Städte, Gymnasien, das Feld, die Hunde, die Pferde, die Spiele, die Leibesübungen und Jagden lieb zu gewinnen pflege; um so viel mehr und mit mehr Recht könne dies also auch für den Umgang mit Menschen geschehen.

§ 70. Man behauptet sogar, dass die Weisen einen Bund geschlossen haben, die Freunde nicht weniger wie sich selbst zu lieben; dies halte ich nicht allein für möglich, sondern es ist auch oft geschehen, und es erhellt, dass eine solche Verbindung das trefflichste Mittel für ein angenehmes Leben sein muss. Aus Alledem kann man abnehmen, dass das Wesen der Freundschaft nicht leidet, wenn das höchste Gut in die Lust gesetzt wird, sondern dass ohnedem die Verbindungen der Freundschaft überhaupt nicht angetroffen werden können.

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270 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783748566243
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