Читать книгу: «Das Erbe von Grüenlant. Band 3: Schwarzes Land», страница 2

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Zugegebenermaßen hatte ich noch nie wirklich über eine solche Option nachgedacht. Klar hatte ich hin und wieder seinen muskulösen Körperbau bewundert und gerne mit ihm geflirtet, aber es war nie darüber hinausgegangen.

Vielleicht hatte Mallister auch einfach nur Unrecht.

Tobi war schließlich mein Freund, und Freunde standen einander bei.

So musste es sein.

Ich wischte den Gedanken beiseite.

Dennoch sorgte ich mich weiter darum, was mit Tobi geschehen sein konnte.


Am nächsten Tag ritt die kleine Gruppe weiter. Die Pause am Tor hatte den Nicht-Magiern etwas Erholung verschafft, die absolute Blindheit in dem undurchdringlichen Nebel hatte ihnen sehr zu schaffen gemacht. Insbesondere Mallister wurde zunehmend gereizt, aber auch Mina und Hekon waren fahrig und nervös.

Ich hatte Mallister meinen blauen Kristall überlassen, in der Hoffnung, er würde ihm etwas helfen. Dennoch wurde er nach kurzer Zeit schon wieder unruhig. Auch ich selbst fühlte eine zunehmende Befangenheit, leichte Spinnenfinger wanderten meinen Nacken empor und ließen einen kalten Schauder zurück. War der Nebel auf Vârunger Seite noch gefährlicher als auf der Grüenländischen? Und wenn ich das schon spürte – um wie viel schlimmer musste es dann den Nicht-Magiern gehen? Vielleicht hätte ich wirklich vorher einen Gedanken daran verschwenden sollen, warum nie jemand diesen Weg genommen hatte.

Es nutzte nichts. Jetzt waren wir hier, es gab kein Zurück mehr.


„Habt ihr das gesehen? Dort hinten, im Nebel!“ Panisch zuckte Mallisters Kopf hin und her.

„Da ist nichts! Deine überreizten Sinne spielen dir einen Streich“, versuchte Gernot den Freund zu beruhigen.

„Doch, doch, da ist – eine Gestalt! Das … das muss der Herrscher über den Blinden Fleck sein, er begleitet uns die ganze Zeit! Und ich glaube nicht, dass es ihm gefällt, dass wir hier einfach so durch sein Gebiet reiten, ohne ihm die nötige Ehre zu erweisen.“ Sein Herz begann wild zu klopfen. Ganz deutlich sah er eine bedrohliche Figur durch die Nebel auf sich zukommen, es war ein alter Mann mit einem mächtigen grauen Rauschebart und einer goldenen Krone auf seinem Kopf, die mit edlen Diamanten bestückt war. Sein weißes Gewand war golddurchwirkt und in der Hand hielt er ein Zepter, welches er Mallister bedrohlich entgegen schwenkte.

„Noch einmal: Da ist nichts, nur Nebel“, sprach Gernot sehr bestimmt an Mallister gewandt.

Mallister bekam jedoch Unterstützung von Mina. „D-doch! Da sind viele! Aber sie tun uns nichts, sie tanzen nur. Das ist wunderschön anzusehen. Sie tragen goldene Gewänder. Schaut doch!“

Mina war ganz verzückt bei dem Anblick der tanzenden Elfen. Ihre goldenen Gewänder glitzerten wie Tau und ihre filigranen Gliedmaßen wiegten sich anmutig zu einer wunderschönen Melodie, die Mina in ihren Bann zog. Sie wurde magisch angezogen von dem Reigen, und als die Elfen auf sie zu tanzten, um sie in ihre Mitte zu nehmen, wäre sie bereitwillig mitgegangen, wenn nicht Natalie sie daran gehindert hätte. Sie war dicht neben sie geritten und hatte ihr die Hand auf den Arm gelegt, ihr dabei etwas von ihrer Magie gegeben. Das hatte ausgereicht, dass die Elfen sich zurückzogen und von Mina abließen. Sie seufzte enttäuscht.

„So harmlos sind die nicht! Das sind Soldaten, sie greifen uns an!“ Hekon zog sein Schwert und fuchtelte wild um sich. „Hilfe, so helft mir doch, es sind einfach zu viele!“ Es war eine Totenarmee, gespenstische Knochenmänner in edlen Rüstungen, von denen immer mehr und mehr dem dampfenden Erdboden entstiegen. Sie formierten sich und schickten sich an, die Gruppe anzugreifen. Hekon drehte fast durch. Gertrud und Gernot redeten beruhigend auf ihn ein. „Da ist nichts. Niemand tut dir etwas. Steck dein Schwert weg, bevor du noch jemanden von uns verletzt!“ Gertrud gelang es letztendlich, ihn zu überzeugen.

„Was ist denn nur los mit euch?“ Gernot wirkte merklich irritiert. „Hier ist weit und breit niemand – nur Nebel. Und der tut uns nichts.“ Trotzdem schwankte seine Stimme leicht und er sah sich beunruhigt um.

„So leicht solltest du das nicht nehmen. Es hat seinen Grund, warum niemand, und schon gar kein Heer, durch den Blinden Fleck reist. Uns schützt unsere Magie, aber die anderen sind ihren Fantasien schutzlos ausgeliefert.“ Gertrud sprach sehr eindringlich, dann flüsterte sie: „Das kann zum Wahnsinn führen! Manch einer hat sich deshalb schon in sein Schwert gestürzt oder seine Freunde getötet.“ Und ergänzte: „Auch wir Magier sollten vorsichtig sein.“

„Ja“, pflichtete Natalie ihr bei, „ich fühle es auch. Was können wir tun?“ Sie war sichtlich betroffen. „Wir müssen doch irgendwas tun können!“

Gernot sah die beiden Frauen mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an und rutschte unbehaglich im Sattel hin und her. Er nahm die Sache ganz und gar nicht leicht, wollte die Freunde aber nicht beunruhigen. Es war seine Pflicht, Ruhe zu bewahren. Er hoffte, es würde ihm gelingen.

„Wir müssen sie mit unserer Magie schützen. Natalie, du nimmst Mina mit auf dein Pferd. Mallister geht zu Timmon und ich – ich reite mit Hekon. Gernot übernimmt die Führung.“

Gertruds Vorschlag wurde sofort einstimmig angenommen. Im dichten Nebel suchten und fanden sich die Freunde, auch wenn Mallister sich weigerte, vom Pferd zu steigen, um nicht dem König des Blinden Flecks zum Opfer zu fallen.

Schließlich stieg Timmon ab und ging zu Mallister, während Natalie Mina zu sich holte, da Isolde kräftiger war als Minas Stute. Die nun unbeladenen Pferde führten sie hinter sich her. Mallister hielt Natalies Kristall fest umklammert, aber erst, als Timmon ihm die Hände auf die Schläfen legte, fühlte er sich etwas besser und schloss erschöpft die Augen.


Hekon ging es gleich besser, als er mit Gertrud zusammen auf dem Pferd saß. Wenn diese absurde Situation es mit sich brachte, dass er ihr nahe sein konnte, dann war es doch für etwas gut. Er saß hinter ihr und hielt sie fest umschlungen, sie hatte ihre Hände auf seine gelegt und hielt die Nebelsoldaten von ihm fern. Sie quälten ihn nicht mehr. Er fühlte tiefen Frieden und Glückseligkeit.


Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich meine Freunde dazu gebracht hatte, sich auf diese Reise zu begeben. Ich fragte mich, warum Gertrud, die offensichtlich davon wusste, mich nicht vor der Gefahr gewarnt hatte. Niemals hätte ich gedacht, dass es so schlimm für die Nicht-Magier sein könnte. Und was hatte sie damit gemeint, dass auch wir Magier vorsichtig sein sollten? Ich spürte zwar das Unbehagen im Nacken, den kalten Schauder, aber irgendwie gewöhnte ich mich daran, und ich sah auch keine Gestalten im Nebel. Würde es noch schlimmer kommen, würde meine Magie nicht ausreichen, das Grauen von mir und von meinen Freunden fernzuhalten?

Als ich Mina die Hände auf die Schläfen legte, erfassten mich ihre Gefühle mit einer ungeahnten Wucht. Ich kämpfte dagegen an. Noch war es mir möglich, auch wenn es mich anstrengte. Sie beruhigte sich schnell, tatsächlich gelang es ihr, friedlich an mich gelehnt einzuschlafen.

Für die Nacht lagerten wir mitten auf dem Weg. Es würde schon niemand vorbeikommen. Gernot übernahm die erste Wache, später wollte ich ihn ablösen.

Mina kuschelte sich eng an mich. Obwohl sie auf dem Pferd viel geschlafen hatte, döste sie gleich weiter. Ich hielt sie fest im Arm und streichelte ihr Haar. Irgendwann fiel auch ich in einen tiefen traumlosen Schlaf.

Gernot weckte mich mitten in der Nacht.

„Was ist los?“ Verschlafen blinzelte ich ihn an. Sofort spürte ich eine innere Unruhe, ein Ziehen in den Eingeweiden, das sich langsam nach oben hin ausbreitete. Ich bettete Mina bequem auf ihr Bündel und schälte mich aus unserer Decke. Unbehaglich rutschte ich zu Gernot hinüber.

„Ich – schaffe es nicht allein.“

In der Dunkelheit, durch die ein kraftloser Mond einen milchigen Schimmer sendete, suchte ich seinen Blick und erschrak. Es lag etwas Fremdes darin, etwas Wildes, was so gar nicht zu seinem besonnenen Charakter passen wollte. Sofort war ich auf der Hut. Das Ziehen verstärkte sich, wurde unerträglich und ich widerstand dem Reflex, davonzulaufen, tief in den Wald, weg von Gernot, weg vor diesem Gefühl und weg vor mir selbst.

Ich starrte Gernot an, wusste nicht, was hier passierte, nur, dass es keineswegs gut war. Mühevoll schloss ich die Augen und konzentrierte mich auf meine Atmung. Ein, aus, ein, aus. Plötzlich spürte ich Gernots Hand in meinem Nacken. Er flüsterte meinen Namen. Mein Herz begann wild zu klopfen.

Keirans Bild erschien vor meinem inneren Auge und ich fand die Kraft, mich aus meiner Starre zu lösen. Ich riss die Augen auf und machte einen Satz nach hinten.

„Nein!“, zischte ich, mehr zu mir selbst als zu ihm, und plötzlich wich alles Wilde, alle Leidenschaft von meinem Freund und er sah mich verwirrt an.

„Ich – was – was habe ich getan?“ Er schlug die Hände vor sein Gesicht.

Sicherheitshalber blieb ich auf Abstand, mein Herzschlag hatte sich noch nicht beruhigt und ich beobachtete ihn argwöhnisch.

Gernots Schultern zuckten verräterisch und da wusste ich, dass der Bann gebrochen war. Zitternd legte ich ihm eine Hand auf den Arm.

„Nichts. Es ist nichts passiert. Das muss der verdammte Nebel gewesen sein.“

„Es tut mir leid. Kannst du mir das jemals verzeihen?“ Flehend sah er mich an.

„Es gibt nichts zu verzeihen.“ Ich atmete tief durch. Auch wenn ich es mir nicht eingestehen wollte, so wäre ich fast dieser seltsamen Magie erlegen, wenn Keirans Bild mich nicht davor bewahrt hätte. Zum ersten Mal hatte ich Magnas Macht am eigenen Leib gespürt, und ich begann zu zweifeln, ob unsere Kraft und Liebe ausreichen würden, um gegen sie zu bestehen.

„Wir müssen vorsichtig sein. Niemand sollte mehr allein im Nebel wachen und wir beobachten uns gegenseitig. Gemeinsam werden wir das schaffen.“ Ich versuchte, das Zittern in meiner Stimme zu ignorieren und hoffte, Gernot würde es nicht bemerken.

Wir setzten unsere Wache gemeinsam und schweigend fort, hielten aber vorsichtshalber einigen Abstand voneinander und vermieden es, uns anzusehen. Als es endlich dämmerte, weckten wir die anderen.

„Ist etwas passiert?“, wollte Mallister mit einem Blick in unsere blassen Gesichter wissen. Ich spürte, wie Timmon mich nachdenklich anschaute. Er schien etwas zu ahnen, sagte aber nichts.

„Nein, alles ruhig“, antwortete ihm Gernot bestimmt. „Aber dieser Nebel macht auch mich langsam fertig. Wir sollten sehen, dass wir so schnell wie möglich hier rauskommen.“

Und so setzten wir unsere Reise in der gleichen Zusammensetzung wie am Vortag fort, nur dass wir diesmal die Pferde wechselten. Denen schien der Nebel nichts auszumachen und ich fragte mich, ob Pferde wohl von Natur aus Magie beherrschten und wenn ja, welche. Ich beneidete Isolde, die ruhig und sicher durch die Nebelschwaden trabte.

Als am Abend die Nebel endlich nachließen und die scharfkantigen Felsen Vârungens sich aus den dampfenden Schwaden herausschälten, waren alle erleichtert und vor allem ich war froh, dass diese Reise durch den Blinden Fleck, über die ich so wenig im Vorfeld nachgedacht hatte, niemanden auf der Strecke gelassen hatte.

Erschöpft ließ ich mich von Isoldes Rücken gleiten und half anschließend Mina nach unten. Ich sog die klare Luft tief in meine Lungen und fühlte mich gleich besser. Fast augenblicklich verloren sich die unheilvollen Ereignisse der vergangenen Nacht, sie verschwanden im Nebel und hinterließen ein vages Gefühl der Bedrohung als Warnung. Auch den anderen war ihre Erleichterung deutlich anzusehen. Niemand wusste mehr genau, wovor er sich gefürchtet hatte.

Ich wollte von Timmon wissen, ob er auch etwas gespürt hatte.

„Ja, das habe ich.“ Er sah mich nachdenklich an. „Auch wir Magier sind zumindest auf dieser Seite des Blinden Flecks nicht immun, auch wir müssen uns unseren Ängsten stellen. Sie begegnen uns nur realer. Wenn wir stark sind, können wir uns ihnen entgegenstellen. Wie es scheint, ist uns das allen gelungen.“

Ich fragte mich, was meine größte Angst war. Keiran zu verlieren? Ihn zu verraten? Aufzugeben? Niemals würde ich das tun!

Wer ist der Feind?

Während Natalie und ihre Freunde durch den Blinden Fleck reisten, bewegte sich das Heer unter Kommandant Jeremy Blunts Führung gen Kunningshort. Fünfhundert Mann nebst Pferden und Versorgungswagen schlängelten sich die Straße entlang durch die Dörfer, und was bei Natalies Gruppe noch fröhliches Winken hervorgerufen hatte, verwandelte sich jetzt in beklemmendes Schweigen.

Jeremy ritt mit Karl voran. Er hatte gehofft, der Oberste Magier würde ihn unterstützen, aber der hatte sich vollkommen zurückgezogen. Jeremy wusste nicht, was er davon halten sollte. Er wusste, dass Gerbin böse auf seine Tochter war, aber hier ging es ja schließlich nicht um einen Familienzwist, sondern um die Zukunft Grüenlants. Wie konnte jemand, der so mächtig und weise war, sich dermaßen kindisch verhalten?

Nun ja, bis Kunningshort konnte er ja erst mal nicht viel falsch machen. Und wenn alles gut ging, würde Letho dort zu ihnen stoßen und könnte das Kommando übernehmen.


Tatsächlich trafen sie in Kunningshort auf Letho und einen Teil seiner stark mitgenommenen Männer. Er berichtete Jeremy, dass er mit einem Großteil seines Heeres den Spuren bis zur Küste gefolgt war. Dort sei ihnen Grauenhaftes widerfahren. Tatsächlich hatte Magna zusammen mit ihrer Tochter Varuschka die Bewohner Kunningshorts sowie die Königsgarde und das Fischerdorf mithilfe der Blutmagie in willfährige Vasallen verwandelt. Sie hätten gegen ihre eigenen Leute kämpfen müssen, Männer, Frauen und auch Kinder, die ihnen mit aller Härte entgegengetreten seien. Es sei ihm jedoch gelungen, sich mit seinen Männern schnell zurückzuziehen, um unnötige Opfer zu vermeiden. Varuschka war noch dort und befehligte die Armee der Verwandelten. Ihr zur Seite stand ein junger Mann, den Letho noch nie gesehen hatte und der ihr hörig zu sein schien. Auch die Botschaft von dem Heer in der Wüste hatten sie erhalten. Letho hatte den Großteil seiner Männer in sicherer Entfernung an der Küste zurückgelassen, hatte es aber für unabdingbar gehalten, selbst mit Gerbin und den Männern der Königin zu beratschlagen.

Plötzlich stand Gerbin neben Jeremy. „Wir haben nur zwei Möglichkeiten – entweder wir erschlagen unsere eigenen Leute oder wir bekämpfen die Verursacher – Magna und Varuschka. Wenn sie tot sind, kann auch ihre Blutmagie nichts mehr bewirken und unsere Leute sind frei. Gebt mir hundert erfahrene Männer, ich mache mich auf den Weg an die Küste. Vielleicht kann meine Magie etwas bewirken.“

Jeremy schluckte seinen Ärger hinunter. Drei Tage hatte er sich nicht blicken lassen, und jetzt spielte er den Kommandanten. Trotzdem hatte Gerbin recht. Wenn jemand hier etwas bewirken konnte, dann ein starker Kriegsmagier. Und das war Gerbin.

Letho wandte sich Jeremy zu: „Kommandant Blunt, was haltet Ihr von dieser Idee?“

Jeremy war erfreut, dass Letho sich für seine Meinung interessierte. Bereitwillig gab er Antwort. „Ich stimme dem Obersten Magier zu. Einer von uns sollte ihn begleiten. Mit Verlaub, Ihr kennt die Begebenheiten und könntet ihm wahrscheinlich besser behilflich sein als ich …“

„Ja, da habt Ihr allerdings recht, auch wenn mich nichts dahin zurückzieht. Ihr haltet hier zunächst die Stellung. Mein erster Offizier Jakub Dern wird mich hier vertreten, steht ihm zur Seite! Wir haben bereits Späher in Richtung der Brandwüste geschickt. Sollte das Schwarze Heer sich uns nähern, stellt Euch ihm entgegen!“

„Jawohl, Herr General!“

Einerseits war Jeremy froh, dass er jetzt nicht mehr die Entscheidungen zu treffen hatte, andererseits hatte er seine Sache gar nicht schlecht gemacht und General Letho hatte sogar auf seinen Rat gehört und ihn umgesetzt. Vielleicht war sein Platz an der Spitze eines Heeres ja doch der richtige.


Drei Tage später erreichten Gerbin und Letho zusammen mit ihren Männern das Heerlager nahe der Küste. Sie durchquerten eine flache Grasebene, die den starken Wind ungehindert ins Landesinnere peitschen ließ. Man konnte das Meer bereits riechen, und auch die Luft war salzig. Schwere dunkle Wolken bedeckten den Himmel und verdüsterten die Umgebung, und immer wieder prasselten Regenschauer nieder. Eine unheimliche Stille, nur durchbrochen vom Tosen des Windes und vom fernen Rauschen des Meeres, lag über allem. Kein lebendiges Wesen war zu hören.

Gerbin spürte die Magie, die über der Landschaft hing wie die dunklen dräuenden Wolken. „Wir müssen vorsichtig sein, General. Irgendetwas stimmt hier nicht.“

„Beim letzten Mal war es nicht so düster, damals wurden wir auch sofort angegriffen. Das hier ist neu“, bestätigte Letho Gerbins Einschätzung.

Gerbin und Letho machten sich zusammen mit dem Heer auf den Weg zum Fischerdorf, welches sie bald aus sicherer Entfernung in Augenschein nehmen konnten. Die Gegner hatten eine Barrikade errichtet, einen dichten Holzzaun, der noch dazu von einem Graben umgeben war. Vorsichtig näherte sich das Heer, in ausreichendem Abstand blieben die Soldaten stehen und schlugen ihr Lager auf. Obwohl erst früher Nachmittag, war es schon dunkel wie zur Abenddämmerung.

„Wir sollten jemanden schicken, der versucht zu verhandeln. Vielleicht erreichen wir es, dass wenigstens die Kinder freigelassen werden.“ Gerbin bot sich an, dies zu übernehmen.

„Ich denke nicht, dass das Sinn macht. Wir haben es bereits beim letzten Mal versucht. Sie haben unseren Boten ermordet und uns angegriffen. Diese Vârunger besitzen weder Ehre noch Anstand. Ich kann Euch sagen, was passieren wird, wenn Ihr Euch der Barrikade alleine nähert – ein gezielter Pfeil eines Bogenschützen, weiße Fahne hin oder her, und das war‘s dann für Euch. Nein, wir greifen gleich an.“

„Eins sollte klar sein – zwar werden wir versuchen, unsere Landsleute zu schonen, die Vernichtung der Vârungischen Bastion hat jedoch absoluten Vorrang! Hier geht es um mehr als um die Befreiung unserer Leute – hier geht es um die Zukunft Grüenlants.“ Gerbins Stimme klang hart. Letho wusste jedoch, dass er recht hatte.

Sie beschlossen also, bei Anbruch der Nacht anzugreifen.


„Ihr habt wirklich schon über hundert Schlachten geschlagen?“ Jeremy sah Jakub bewundernd an. „Naja, ich habe ja auch mein Leben lang nichts anderes gemacht. Schaut mich alten Kerl an!“ Jakub zeigte, Anerkennung heischend, über seine Narben.

„Vermisst Ihr denn nichts?“ Jeremy haderte wieder einmal mit sich selbst. Einerseits bewunderte er Jakub für dessen Kampfesruhm, andererseits fand er ein solches Leben auch schrecklich einsam. Er würde selbst gerne eines Tages eine Familie haben, etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnte. Jedoch fragte er sich, ob sich das Leben als Heerführer dafür überhaupt eignete und ob er als Kommandant nicht vollkommen ungeeignet war.

Jeremys Gedanken wurden jäh unterbrochen von einem der Späher, die aus der Brandwüste zurückkamen.

„Offizier Dern, Kommandant Blunt!“ Er salutierte.

„Was gibt es zu berichten?“

„Das Heer unter Viggos Führung lagert nach wie vor in der Brandwüste am Großen Brunnen und macht keine Anstalten aufzubrechen. Sie scheinen auf etwas oder jemanden zu warten.“

„Magna.“ Jeremy sah plötzlich klar. „Unsere Königin hat berichtet, dass sie in der Vârburg ist, gemeinsam mit ihrem Sohn Vâkon. Sie hat es sich zum Ziel gesetzt, sich mit Keiran Lasalle – nun ja, zu vereinen. Wenn sie damit Erfolg hat, wird sie mächtiger sein als je zuvor. Königin Natalie ist auf dem Weg dorthin, um genau das zu verhindern. Was, wenn es ihr nicht gelingt?“ Er zögerte kurz. Und plötzlich nahm ein schrecklicher Gedanke mit einer unerschütterlichen Klarheit Gestalt an. „Götter! Magna wollte, dass unsere Königin genau das tut! Und sie ist blind vor Liebe in die Falle gelaufen!“ Er fuhr sich mit einer fahrigen Geste durch die Haare.

„Was genau meint Ihr?“ Jakub sah Jeremy ratlos an.

„Nicht nur Magna will sich mit Keiran verbinden – ihr Sohn soll unsere Königin bekommen und über Grüenlant herrschen.“


In der vorherrschenden Dunkelheit war nicht zu bemerken, wann die Nacht begann. Gerbin wartete, bis die Schatten noch etwas tiefer waren und man die Hand vor Augen nicht mehr sehen konnte.

„Es wird Zeit“, signalisierte er seinen beiden Begleitern, die, wie er in einen schwarzen Umhang gehüllt und bis an die Zähne bewaffnet, unruhig mit den Füßen scharrten.

Ohne ein Geräusch von sich zu geben, schlichen die drei Magier durch hohes Gras. Gerbin hatte die Strecke mit Bedacht gewählt, im Schutz der Pflanzen würden sie nicht auffallen und nahe an die Barrikade herankommen. Dann jedoch lichtete sich das Gras und sie mussten eine freie Fläche überqueren.

Stopp!

Gerbin wartete, bis die beiden Magier ihn erreicht hatten. Mit zusammengekniffenen Augen beobachtete er die hölzerne Umzäunung. Im Innern brannten Feuer, sodass er im gespenstischen Schein der Flammen dunkle Schemen wahrnehmen konnte, die sich auf der Wehrmauer aufhielten.

„Bogenschützen. Wie erwartet.“

Gerbin atmete tief durch, dann instruierte er seine Begleiter.

„Wie besprochen. Wir pirschen uns so weit wie möglich vor. Sobald einer von uns bemerkt wird, greifen wir an. Verteilt euch!“

„Alles klar. Wünscht uns Glück, Gerbin. Wir werden es brauchen.“

Gerbin pirschte langsam über den Boden, immer die Bogenschützen im Blick. Noch tat sich nichts. Seine Aufgabe war es, das Tor zu erreichen. Wenn es ihm gelingen würde, in die Festung zu gelangen, dann konnte er vielleicht Varuschka finden und ausschalten. Dann würde der Zauber von seinen Leuten genommen werden und die Zahl der Gegner sich drastisch reduzieren. Das war ihre einzige Chance, möglichst viele zu retten.

Plötzlich erschienen zwei dunkle Gestalten auf der Plattform über dem Tor. Gerbin knurrte. Das war Varuschka, höchstpersönlich. Dann stutzte er. Der Mann war – aus der anderen Welt. Er hatte mit Natalie zusammengearbeitet, dort hatte er ihn gesehen. Was um alles in der Welt tat er hier? Und Varuschka – hatte sie seine Anwesenheit gespürt?

Gerbin, alter Mann, was wollt Ihr?

Das war Antwort genug. Sie waren entdeckt worden.

Angriff, befahl er seinen Begleitern, und sofort donnerten magische Energiewellen links und rechts von ihm in die Barrikade. Er selbst hielt sich zurück. Er wollte Varuschka nicht seine genaue Position verraten.

Wider Erwarten wurden die Magier jedoch nicht von Bogenschützen oder magischen Wellen angegriffen, sondern von Gewehrsalven empfangen.

„Götter“, dachte Gerbin „Natalie hatte recht – sie haben Waffen aus der anderen Welt!“ Jetzt war ihm auch klar, warum der Mann bei ihr war. Er musste Varuschka und ihre Leute im Umgang mit den Waffen geschult haben, denn das, was zurückkam, war treffsicher und wohlüberlegt. Seine Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Die Gewehrsalven und die Risse in der Barrikade, die von den magischen Angriffen hervorgerufen wurden, hatten den zusätzlichen Nachteil, dass sich der gespenstische rote Lichtschimmer auch vor das Tor hin ausweitete und Gerbin somit besser zu sehen war.

Inzwischen rückte jedoch auch Letho mit seinem Heer nach. Sie hatten es schwer, das Tor zu erreichen, denn die Gewehrsalven mähten sie nieder, sobald sie auch nur in die Nähe kamen. Ihre Rüstungen und Schilde, die für Bogenschützen ein Problem dargestellt hätten, waren für die modernen Waffen kein Hindernis. Die Luft war erfüllt vom Geruch nach Pulver und Tod, die Gewehrsalven donnerten in Gerbins Ohren und ließen ein latentes Pfeifen zurück.

Varuschkas Leute hatten alle Hände voll zu tun und achteten nicht auf ihn. Gerbin sandte ein Stoßgebet zu Tonan und sprintete los. Tatsächlich schaffte er es bis zum Tor, seine Fähigkeiten ließen ihn den richtigen Weg zwischen den Kugeln hindurch finden. Gerade als er sich fragte, wie er in die Festung gelangen sollte, öffnete sich das inzwischen von den magischen Wellen beschädigte Tor und spuckte ein Heer von unbedeutender Größe aus. Gerbin stockte der Atem. Es waren ausschließlich Bürger Kunningshorts!

Im Schatten der Barrikade wartete er, bis die letzten das Tor passiert hatten, dann gelang es ihm, ungesehen hindurchzuschlüpfen. Direkt neben dem Eingang befand sich eine Treppe, die zu der Plattform über dem Tor führte. Varuschka war noch dort, zusammen mit dem Mann aus der anderen Welt. Wie es schien, war es Gerbins Begleitern gelungen, sie in dem Glauben zu lassen, er befinde sich dort draußen. Er beeilte sich, nach oben zu gelangen. Vorsichtig lugte er über den Rand der Plattform.

Dort stand Varuschka zusammen mit dem jungen Mann und sandte Energiewellen auf das Schlachtfeld. Der Mann bediente ein Gewehr auf einem Gestell, welches unaufhörlich Munition abfeuerte. Dabei war es ihm egal, ob er die Feinde oder die eigenen Leute traf. Er hielt einfach mitten auf das Schlachtgeschehen.

Da seid Ihr ja, alter Mann!

Gerbin seufzte. Seine Annahme war falsch gewesen.

Noch bevor sie sich umdrehen konnte, schleuderte er seine Energie nach ihr, doch sie schien damit gerechnet zu haben. Er fegte den Mann von den Beinen, sie geriet ins Straucheln. Dennoch schien sie überrascht ob seiner Stärke, hatte sich jedoch schnell gefangen und stellte sich ihm entgegen.

Gerbin ging langsam auf sie zu. Aus den Augenwinkeln bemerkte er, dass der Mann sich aufrappelte und wieder seiner Schusswaffe zuwandte. Er schwenkte sie jetzt auf dem Gestell zu ihm hinüber. Schnell setzte er ihn mit einer weiteren Welle außer Gefecht, verlor dabei aber kurz die Aufmerksamkeit für Varuschka, die nun ihrerseits auf ihn zukam.

„Alter Mann, geht nach Hause!“ Um ihre Finger tanzten rote Flammen, die sie Gerbin entgegen schleuderte. Schnell schuf er einen Schutzschild, hinter dessen blauem Lichtschild er sich Varuschka näherte.

„Ihr steht Eurer Mutter in nichts nach“, rief er. „Genauso schön, genauso grausam. Und genauso dumm …“

Varuschka lachte und warf ihm erneut ihre energiegeladenen Flammen entgegen.

Gerbin fiel es zunehmend schwer, seinen Schutz aufrecht zu erhalten. Er hoffte, sie würde nicht merken, wie sehr ihn das alles anstrengte. Sie war noch stärker, als er vermutet hatte. Er musste seine Strategie ändern. Fast hatte er sie erreicht.

Doch dann tat er etwas, womit sie überhaupt nicht gerechnet hatte.

Mit einer flinken Bewegung zog er sein Schwert und schlug ihr den hübschen Kopf ab.


Ein langgezogener Schrei riss Keiran aus seiner Lethargie. Es klang unmenschlich, und doch wusste er sofort, wer ihn ausgestoßen hatte. Magna. Irgendetwas musste passiert sein. Magna verlor selten derart die Kontrolle über sich. Keiran hoffte, dass es etwas Gutes zu bedeuten hatte.


Tobias war verwirrt. Um ihn herum tobte ein Kampf, wie er ihn noch nie erlebt hatte. Er befand sich auf einer hölzernen Plattform, halb hing er auf einem MG, welches auf einen alten Mann mit langen weißen Haaren und nachtschwarzem Umhang, den er über einer Rüstung trug, ausgerichtet war. Dieser hatte ein blutiges Schwert in der Hand und sah ihn bedrohlich an. Was tat er hier? Und wer war das? Er versuchte sich zu erinnern.

Da war dieser Mann gewesen, der aussah wie ein Vampir und der ihn zu Natalie bringen wollte. Stattdessen hatte er ihn aber zu einer dunkelhaarigen Schönheit mit schwarzen Haaren gebracht, seiner Schwester, wenn er sich richtig erinnerte. Das war alles, was er noch wusste. Und jetzt war er hier.

„Wo – wo bin ich? Und wer seid Ihr?“

Der Grauhaarige ließ das Schwert sinken und sah ihn erschöpft an. Hatte er gegen ihn gekämpft? Tobias starrte auf sein MG und sicherte es vorsichtshalber. Vielleicht war der Mann ja gar kein Feind, jedenfalls sah er im Moment nicht so aus, als wolle er mit ihm kämpfen.

„Mein Name ist Gerbin. Ich bin der Oberste Magier von Grüenlant. Und wer seid Ihr, junger Mann?“

„Mein Name ist …“ Wie hieß er doch gleich? „… Tobias Werner. Wo um alles in der Welt bin ich hier?“

Da fiel es ihm wieder ein. Das Tor! Der Mann hatte ihn mit durch die Wand in der Höhle genommen, so wie Natalie zuvor mit diesem Typen verschwunden war! Und jetzt war er hier, um sie zu suchen und diesem Keiran eine zu verpassen. Der Vampir hatte ihn hereingelegt. Der hatte ihm versprochen, ihn zu Natalie zu bringen, und dann hatte ihn seine Schwester verzaubert und von da an wusste er nichts mehr.

„Wo ist Natalie?“

„Natalie? Ja, richtig, Ihr seid ihr – Kampfgefährte.“ Der alte Mann sah ihn zerstreut an.

„Ihr – was? Wo ist sie? Was wissen Sie von ihr?“, entgegnete Tobias ungeduldig.

Der alte Mann – Gerbin – sah ihn forschend an, als überlege er, ob er ihm trauen könne. „Ich mache mir Sorgen um sie“, erläuterte Tobias deshalb. „Ich – ich mag sie sehr gern und möchte nicht, dass ihr etwas zustößt.“

Gerbin rieb sich das Kinn. „Nun ja, also … ich bin ihr Vater.“

„Ihr Vater?“ Tobias war erstaunt. Soviel er wusste, hatte Natalie überhaupt keinen Vater, jedenfalls war nie einer da gewesen.

„Ja, das ist etwas kompliziert. Ich erkläre es Euch später.“

„Und wo ist sie jetzt?“ Tobias konnte es immer weniger erwarten, sie wiederzusehen. Dass um ihn herum der Schlachtenlärm tobte, nahm er nicht zur Kenntnis.

„Auch das ist etwas kompliziert. So genau weiß ich das nicht. Sie müsste gerade unterwegs nach Vârungen sein, um … um … nun ja, sie hat es sich in den Kopf gesetzt, ihren … ihren … Keiran Lasalle zu befreien.“ Gerbin fiel die Antwort sichtlich schwer und er rang um Worte.

Tobias wurde zornig. Was lief hier ab? Schon wieder dieser blöde Kerl! Was hatte der bloß mit Natalie angestellt?

„Was will der von ihr? Warum war der überhaupt bei uns? Seit er aufgetaucht ist, hatten wir nur Ärger!“ Tobias rang die Hände.

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9783947612604
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