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08 DOLORES

An einem der Tische, die entlang des Catwalks aufgestellt waren, brach schallendes Gelächter los. Adriano hielt es mal wieder für nötig, eine seiner berüchtigten Sondervorstellungen zu geben. Er stand grinsend vor dem Tisch, rief „Hört doch mal zu! Hört doch mal zu! Jetzt kommt’s!“, hob beide Arme und machte ein paar tänzerische Bewegungen. Er hatte dem DJ am Rand der Bühne eine CD und einen Geldschein gegeben und jetzt kam der ganze Strand in den höchst fragwürdigen Genuss, über die Lautsprecheranlage die Musik zu hören, die Adriano gut fand.

Die CD war von einer namenlosen Gruppe aufgenommen worden, die populäre Hits mit grottenschlechten, eigenen Texten auf witzig umgestrickt hatte. Da wurde ein romantischer Ausflug mit der Freundin zur Powershoppingtour aus Macho-Sicht und die von Adriano angekündigte, gute Stelle entpuppte sich als der Refrain, in dem von einer blöden Schlampe die Rede war. Im nächsten Titel musste ein Mann zur Melodie eines alten Stones-Hits vor der verschlossenen Toilettentür ein wenig zu lange warten, und die Sache ging schlecht aus. Die dritte Nummer basierte auf einer Walzermelodie und handelte von einem Mädchen, das bei einem Treffen mit ihrem Freund alles falsch macht. - Immer hart an der Grenze zur Obszönität.

Am Tisch saßen ein paar der üblichen Mitläufer, mit denen sich Adriano so gerne umgab. Junge, hübsche Leute, die er auf den Campingplätzen in der Umgebung aufgelesen hatte, und die bereit waren, über jeden Blödsinn, den er so von sich gab, zu lachen. Es waren größtenteils junge Zelttouristen, und dass sie eine zeitlang an Adrianos Lebensstil ein wenig teilhaben durften, machte sie gefügig. Schließlich war das hier ein extrem teures Pflaster und Adriano war alles andere als knauserig. Er schmiss eine Runde nach der anderen. Seine Partys waren legendär, und wen er besonders gut leiden konnte, dem konnte es durchaus passieren, dass er sich am Steuer eines Leih-Ferrari für fast tausend Euro Tagesmiete wiederfand. Auf so einen Tagesausflug mit Adriano waren all seine Gäste ganz versessen.

Adriano machte dabei keinen Unterschied zwischen Männern und Frauen, Hauptsache sie entsprachen dem eher südländischen Menschentyp, so wie er selbst. Das hatte ihm hier an der Côte d’ Azur einen gewissen Ruf eingebracht, den er gerne pflegte und immer wieder bekräftigte. Gegen ihn wirkten die Playboys des vergangenen Jahrhunderts mit all ihren Skandalen wie brave Schäfchen, und er war immer wieder bemüht, möglichst noch eins draufzusetzen.

Während der Kellner eine neue Runde Longdrinks für alle brachte, zog Adriano eines der Mädchen vom Stuhl hoch und machte ein paar schnelle, elegante Tanzschritte mit ihr. Das Mädchen kam dabei nicht mit, verhedderte sich irgendwie und kam ins Stolpern. Alle am Tisch brüllten vor Lachen und Adriano grinste mit einem Zwinkern beifallheischend in die Runde. Er verlangsamte das Tempo und jetzt klappte es besser. Nebenbei brachte er es auch noch fertig, dem Kellner einen Hunderter in die Brusttasche seines Sakkos zu stecken und abzuwinken, als dieser das Wechselgeld herausgeben wollte. Der Mann verbeugte sich knapp mit unbewegtem Gesicht und wandte sich dem Nachbartisch zu.

Adriano hatte das Mädchen mit seiner Tanzeinlage inzwischen völlig in Besitz genommen, anders konnte man es nicht nennen. Er führte nicht nur, man konnte es förmlich sehen, wie er das Mädchen unter seine Gewalt brachte. Es wirkte, als würde ein junges, kleines Kätzchen mit einem ausgewachsenen, schwarzen Panther tanzen. Die Menschen an den Tischen rundum wurden aufmerksam.

Adrianos Gesicht strahlte eine tierhafte Wildheit aus, als er das Mädchen auf engstem Raum fest umschlungen hielt und herumschwenkte. Es machte ihm Spaß, im Mittelpunkt des Interesses zu stehen. Sein strahlend helles Raubtiergebiss blitzte zwischen seinen vollen Lippen hervor und er fing an, laut mitzusingen: „Und da nahm sie seinen ...“

Plötzlich brach die Musik ab und alle Augen richteten sich auf die Bühne. Einer der Organisatoren der Misswahl hatte wohl bemerkt, dass das Vorprogramm musikalisch etwas aus dem Ruder lief und diskutierte nun lebhaft mit dem DJ. Der kramte hastig eine andere CD aus seinem Bestand und legte sie ein.

Adrianos Gesicht verfinsterte sich und das Lächeln erlosch wie ausgeknipst. Ohne einen Moment zu zögern ließ er das Mädchen los, drehte sich um, flankte auf den fast einen Meter hohen Catwalk und ging mit schnellen Schritten auf die beiden streitenden Männer zu.

Mittlerweile kam wieder einer der ruhigen, fast schon seichten, typischen Vorprogrammsongs aus den Lautsprechern, so konnte man nicht verstehen, was auf der Bühne gesprochen wurde. Dass es aber nicht gerade ausgesuchte Höflichkeiten waren, die Adriano den beiden Männern an den Kopf warf, war deutlich zu sehen. Der DJ hielt ihm seine CD hin, aber Adriano schlug ihm die silbrig glänzende Scheibe aus der Hand, so dass sie in hohem Bogen über den Bühnenrand hinausflog und im Sand landete.

Die Diskussion wurde immer hitziger, die Gesten immer aggressiver. Der Manager zeigte Adriano mit einer Handbewegung an, dass er die Bühne verlassen solle, und als der nicht sofort reagierte, machte er den Fehler, ihn ein wenig in Richtung der Laufstegkante zu schubsen. Wie ein Blitz aus heiterem Himmel fuhr ihm Adrianos Faust ins Gesicht.

Der Mann taumelte zwei Schritte zurück und hielt sich beide Hände vor das Gesicht. Adriano wandte sich ab, sprang von der Bühne und gab seinen Leuten das Zeichen, ihm zu folgen.

Einige schütteten noch hastig ihre Drinks in sich hinein, andere ließen ihre Gläser einfach stehen, aber alle standen auf und folgten ihm, als er den Strand verließ. Ein junger Mann hob mit verschämtem Grinsen die CD auf, wischte sie an seiner Kleidung kurz ab und folgte eilig der Gruppe.

Der Mann auf der Bühne hatte seine Hände inzwischen wieder heruntergenommen und sah dem Trupp ziemlich fassungslos nach. Zwar lief ein dünner Blutfaden aus seiner Nase, aber allzu hart schien der Schlag nicht gewesen zu sein. Eine junge Frau eilte herbei und reichte ihm ein Papiertaschentuch.

Der Mann presste das Tuch an sein Gesicht und gab dem DJ mit der freien Hand ein Zeichen. Die Lautstärke wurde heruntergefahren und New York, New York erklang aus den Lautsprechern.

Die Menschen an den Tischen wandten sich von der Bühne ab und begannen, den Vorfall zu bereden, während Adriano und seine Leute den Strand verließen. Niemand machte auch nur den geringsten Versuch, ihn aufzuhalten. Dieser junge Krieger hatte offenbar ziemlich heißes Blut, und keiner von ihnen hatte Lust, sich auch noch einen Schlag auf die Nase einzufangen.

Ein paar Leute drängten sich zwischen den Stühlen hindurch und besetzten den überraschend frei gewordenen Tisch. Das erste Mädchen kam hinter dem Vorhang hervor und ging den Catwalk entlang. So langsam bewegte sich wieder alles im Rahmen der Normalität. Nur das plötzlich ertönende dumpfe Wummern eines Automotors auf dem Parkplatz ließ erahnen, dass Adriano und seine Clique das Feld räumten. Zwischen den Stämmen der Pinien hindurch war zu erkennen, dass ein schwarzer Geländewagen sich mit grollender Maschine durch die Parkreihen schob. Direkt dahinter fuhr ein roter Kleinwagen älteren Baujahrs.

Plötzlich gab der Fahrer des Geländewagens Vollgas. Die Räder drehten durch und eine Staubwolke wirbelte auf. Wie von der Sehne geschnellt schoss das schwere Fahrzeug auf die Ausfahrt zu und prallte dort um ein Haar mit einem Wohnmobil zusammen, das gerade auf den Parkplatz einbog.

Eben noch war die Strecke völlig frei gewesen und plötzlich kam da dieses schwerfällige WoMo um die Ecke geschaukelt. Laut fluchend riss Adriano den Wagen nach rechts, trat voll auf die Bremse und kam quer zur Fahrtrichtung genau zwischen dem Zaun des Parkplatzes und einem Pinienstamm zum Stehen. Als eines der Mädchen auf dem Rücksitz erschreckt aufschrie, war alles schon vorbei.

Der Fahrer des Wohnmobils hatte überhaupt noch nicht reagiert. Erst als der rote Nissan Sunny aus der Staubwolke kam und ebenfalls auf ihn zu schoss, trat er auf die Bremse. Keine Sekunde zu früh, denn der Nissan kam nur knapp einen halben Meter vor der Stoßstange des WoMos zum Stehen.

Das Mädchen am Steuer des kleinen Wagens legte ohne Zeit zu verlieren den Rückwärtsgang ein und machte Platz, sodass das Wohnmobil wieder anfahren und behäbig weiterschaukeln konnte. Es war ja niemandem was passiert. Wozu also aussteigen und diskutieren?

Kaum war der Weg wieder frei, kam Adrianos Wagen rückwärts aus dem Gebüsch geschossen, und die Fahrt ging weiter, als sei sie nie unterbrochen worden. Adriano ließ das schwere Fahrzeug den engen Schotterweg so schnell entlang schießen, dass es in den Biegungen fast ins Schleudern geriet.

„Mann, fahr doch mal langsamer!“, beschwerte sich das Mädchen, das eben aufgeschrien hatte. Es war Adrianos Tanzpartnerin vom Strand.

Urplötzlich trat Adriano voll auf die Bremse, sodass der Wagen auf dem knirschenden Schotter schlingernd zum Stehen kam.

„Raus!“, war alles, was er sagte.

„Aber ich habe doch nur ...“, versuchte das Mädchen zu protestieren.

„Raus!“, wiederholte Adriano mit ruhiger Stimme. „Oder soll ich dir helfen?“

„Dreckskerl!“, sagte das Mädchen ohne besonderen Nachdruck in der Stimme. Es klang mehr wie eine Feststellung. Es griff nach dem Türöffner und war blitzschnell aus dem Wagen, der sofort wieder anruckte.

Der kleine Nissan kam heran und stoppte. „Was ist los?“, wollte die Fahrerin wissen.

„Der spinnt total!“, stieß das Mädchen hervor. „Wenn er sich umbringen will, dann soll er das mal alleine machen. Ich bin raus!“

„Nun fahr endlich weiter!“, forderte der Junge auf dem Beifahrersitz.

„Willst du mit?“, bot die Fahrerin dem Mädchen an. „Wir rücken ein bisschen zusammen, dann geht’s.“

„Komm, los, weiter!“, kam es vom Rücksitz.

„Lass nur“, winkte das Mädchen ab, „ich geh zum Zelt.“ Den zweiten Teil des Satzes hörte die Fahrerin aber schon nicht mehr. Schließlich hatte Adriano gesagt, dass er sie alle zu einem Yachtausflug einladen wolle, und der Geländewagen hatte schon wieder einen gehörigen Vorsprung. Dass Adriano keine Minute auf sie warten würde, wenn sie sich verspäteten, war allen im Wagen klar, also mussten sie sich beeilen. Wann hatte man schließlich mal die Gelegenheit, an Bord einer Zwanzigmeteryacht über das Mittelmeer zu rauschen?

„Meinen Glückwunsch zum neuen Lebensjahr“, begrüßte Adriano seine Schwester, die auf der breiten Rundcouch lag und auf den großen Flachbildschirm schaute, der in einer Ecke des Salons angebracht war. Die Killerbee, Dolores´ Yacht, war in jeder Beziehung mit der neuesten Technologie ausgestattet.

„Adriano!“ Die junge Frau auf der Couch richtete sich auf und schaltete den Fernseher aus. „Ich hab schon gedacht, du kommst nicht mehr. Hast du mir was mitgebracht?“

„Sei nicht so gierig!“ Adriano strich die schwarzen, lockigen Haare seiner Schwester zu Seite und hauchte ihr zur Begrüßung einen Kuss auf die Stirn. „Sag mal: wie alt wirst du heute eigentlich? Ich hab’s vergessen.“

„Werd nicht eklig!“

Es klopfte, die Tür öffnete sich einen Spalt weit und der Kopf eines jungen Manns erschien. „Ich wollte nur fragen ...“

„Verpiss dich!“ Adrianos Kopf ruckte herum.

„’tschuldigung.“ Der Kopf verschwand und die Tür schloss sich wieder.

„War das mein Geschenk?“, wollte Dolores wissen. „Der sieht ja richtig süß aus. Ist der Körper genauso hübsch wie der Kopf?“

„Nimm ihn dir!“, lachte Adriano. „Nimm dir, wen du willst und nasch ein wenig dran rum. Du wirst mit allen zufrieden sein.“

„Nur naschen?“ Dolores tat enttäuscht. „Wieder nur Häppchen? Ich müsste langsam mal wieder richtig volltanken.“

„Hör auf zu quengeln“, grinste Adriano, nahm eine CD aus dem Regal und betrachtete das Cover. „Bleib du bei deinen Häppchen, die halten dich genauso frisch.“

„Machen aber nicht satt“, nörgelte Dolores weiter. „Schau mal hier: Schon wieder eine neue Falte!“, dabei zeigte sie mit dem Finger auf ihren makellos glatten Augenwinkel. Sie sah bestenfalls aus wie zwanzig, eher jünger.

„Oh je, du wirst alt“, stellte Adriano fest, ohne überhaupt hinzusehen. Gelangweilt schob er die CD wieder zurück an ihren Platz.

„Ja!“, bestätigte Dolores mit jämmerlicher Stimme. „Hilf mir!“

„Du nervst!“ Adriano verzog das Gesicht zu einer angewiderten Grimasse.

„Dann hilf mir und ich gebe Ruhe. Schenk mir einfach den Jungen oder meinetwegen auch ein Mädchen!“

„Wag es nicht, dich selbst zu bedienen!“, warnte Adriano, ohne sich zu ihr umzudrehen. Man hat uns alle zusammen gesehen. Wir könnten auffallen.“

„Und wenn ich es doch tue?“ Dolores sah ihren Bruder mit einem lauernden Lächeln an.

„Ich warne dich!“ Adriano fuhr zu ihr herum. „Mach besser keinen Fehler! Ich bin hier der Boss! Denk immer daran, und denk an die Sweetwater-Bay. Da kommen wir beide nämlich hin, wenn du so weitermachst!“

„Jetzt spiel dich bloß nicht so auf, bloß weil du älter bist.“

„Das ist nun mal so!“

„Gerade mal hundertdreißig Jahre, was ist das schon?“

„Wegen dieser hundertdreißig Jahre hast du die Revolution versäumt“, stellte Adriano grinsend fest und fuhr spielerisch mit dem Finger über den Fensterrahmen. „Schade! Das war schon ein besonderer Moment, als Marie Antoinettes Kopf in den Korb plumpste. Ich hatte einen Platz direkt in der ersten Reihe und habe sogar ein paar Spritzer ihres Bluts abbekommen.“

„War’s lecker?“

„Sie war fast vierzig. Ich bitte dich! Ich habe sowieso nie verstanden, was dieser König an ihr so toll fand.“

„Versuch nicht abzulenken.“ Dolores stand auf, ging ebenfalls zu dem deckenhohen Panoramafenster und stellte sich neben ihren Bruder. Ein paar Sekunden lang sah sie über den Hafen hinweg in die Ferne. „Auch wenn Richter Gomez mir das Jagen verboten hat: Ich will, verdammt noch mal, wenigstens einmal wieder richtig satt werden! Alle dürfen sich nach Herzenslust bedienen und für mich bleiben immer nur die Reste.“

„Selbst schuld!“, stellte Adriano fest und hob kurz die Schultern. „Auf jeden Fall müssen wir vorsichtig sein. - Erinnerst du dich noch an die Diego-Affaire? Ich war damals ja direkt dabei, in Santander. Der kleine, gierige Nasenbohrer hat’s übertrieben, genau wie du, und was war? Eltern, Polizei, Presse, Pfarrer, alle tagelang in höchster Aufregung. Zum Glück konnten wir die Leiche der Kleinen noch rechtzeitig verschwinden lassen. Sie gilt heute noch als entführt und vermisst. Wir können uns solche Eskapaden einfach nicht erlauben, sonst fliegen wir irgendwann mal auf!“

Dolores wandte sich vom Fenster ab und sah Adriano auffordernd an. „Hast du jetzt ein ordentliches Geschenk für mich, oder nicht?“

„Ich besorg dir eins.“ Adriano gab auf und legte ihr kurz die Hand auf die Schulter. „Lass uns erst eine Runde mit dem Boot drehen. Nasch ein bisschen, und heute Abend ziehen wir dann los.“

„Du nimmst mich mit? Versprochen?“

„Versprochen! Du kriegst dein Geschenk. Noch vor Mitternacht.“

„Ein Mädchen!“, forderte Dolores. „Ich will ein Mädchen!“

„Auch das!“, nickte Adriano und verzog das Gesicht. „Wenn du bloß endlich Ruhe gibst. Ist’s gut jetzt?“

„Ach, Adriano, jetzt sei doch nicht so. Denk doch mal an die alten Zeiten.“

„Das tue ich öfter.“

„Du hast viel vergessen.“

„Vielleicht. Vielleicht ist es auch gut so.“

„Wie auch immer. Du weißt ja: wenn du mich brauchst, ich bin da.“

Adriano sah sie einen Moment lang nachdenklich an. „Zu weit weg, zu lange her“, sagte er, wandte sich der Doppeltür zu, die hinaus auf die Empore über dem Achterdeck führte und stieß die Flügel auf. „Hey!“, rief er vom Kopf der Treppe aus den jungen Leuten zu, die unten auf dem Achterdeck warteten. „Seid ihr bereit?“ Aufmunternd breitete er die Arme aus. Er war wieder ganz der oberflächliche Playboy, den er sich als Rolle ausgesucht hatte.

„Bereit!“, kam es vielstimmig von unten zurück.

Adriano stieg mit schnellen Schritten die Stufen empor, die auf die Brücke der Killerbee führten, und Dolores konnte im Salon an seinen Schritten hören, dass er zum Steuerstand ging. Sekunden später sprang der erste der beiden Superdiesel an, die der Killerbee zu einer Spitzengeschwindigkeit von mehr als achtzig Stundenkilometern verhalfen. Der Boden des Salons vibrierte leicht.

Die zweite Maschine erwachte mit dumpfem Grollen ebenfalls zum Leben, während ein Mann der Besatzung die Taue von den Pollern löste und schnell an Bord sprang.

Sofort schob die ganz in Schwarz und Gelb gehaltene Killerbee sich von der Kaimauer weg und durchkreuzte langsam das Hafenbecken. Mit der Hafenmeisterei war nicht zu spaßen, da hielt sich sogar Adriano an die Vorschriften.

Kaum hatten sie jedoch das Ende der Hafenmole erreicht, wurde die Killerbee schneller. Langsam steigerte Adriano die Geschwindigkeit, bis die Yacht mit Fullspeed mehr über, als durch die Wellen schoss.

Auf dem Achterdeck wurden die ersten Flaschen geöffnet, und als die Killerbee nach knapp zwanzig Minuten im offenen Meer stoppte, waren die Passagiere schon bester Laune.

Adriano kam vom Steuerstand hinab und auch Dolores gesellte sich zu den leicht angetrunkenen Gästen. Es war serviert. Die Party konnte beginnen.

09 AUF DEM CATWALK

Ich stehe oben auf der Treppe, die in unsere sogenannte Garderobe hinabführt und bin wütend auf mich selbst. Warum muss ich mich ausgerechnet vor Celine so blamieren? Dabei habe ich noch Glück gehabt, denn um ein Haar wäre ich ihr direkt vor die Füße gepurzelt. Ich mag gar nicht daran denken.

Als sich mein Zittern etwas gelegt hat und ich das Gefühl habe, wieder ein Bein vor das andere setzen zu können, ohne die komplette Bühne zu zerlegen, folge ich Celine zur Garderobe. Warum fällt mir jetzt nur die Prophezeiung von Didier wieder ein?

Zwischen den wehenden Zeltplanen in unserem Garderobenzelt sind Bänke aufgestellt, auf denen wir unsere Sachen ablegen können. Es ist wahnsinnig heiß hier drin und Pauline belegt für uns eine Bank in der Nähe der etwas nach oben gerollten Zeltwand, wo es luftiger ist.

Das Licht ist optimal, zumindest für Leute, die sich nicht im Spiegel sehen wollen. Davon gibt es sowieso nur einen einzigen und der hat die ungefähre Größe eines Gästehandtuchs. Gut, dass wir uns schon vorher geschminkt haben.

Celine quält sich mit fünf anderen Mädchen vor diesem winzigen Rechteck ab, um ihr Augen-Make-up aufzufrischen. Das geht natürlich nicht ohne Gekeife und Gezeter ab. Celine kann’s am besten. Man hört sie durch das ganze Zelt. „Jetzt geh doch mal mit deinem Kürbis vor meiner Nase weg, du doofe Kuh!“

Oben auf der Treppe vor dem Vorhang zur Bühne steht die Assistentin der Organisationsleitung „Alléz, alléz!“ ruft sie im Kommandoton und klatscht dabei in die Hände. „Stellt euch mal in der Reihenfolge eurer Nummern auf.“

Als wir schließlich dastehen, wie die Gänseküken, gibt es auf der anderen Seite des Vorhangs auf der Bühne irgendeinen Streit. Ein paar Männer diskutieren mit lauter Stimme. Es scheint um die gerade gespielte Musik zu gehen.

Die junge Frau schaut kurz auf die Bühne und zuckt erschreckt zurück. Schnell eilt sie die Treppe hinunter ins Zelt und nimmt ein Kleenex vom Tisch. Oben hinter dem Vorhang sieht sie noch mal vorsichtig durch den Spalt. Der Streit scheint vorbei zu sein, Sie geht hinaus und ist ein paar Sekunden später wieder zurück. Ohne Kleenex.

„Was war denn?“ fragen ein paar Mädchen. Ich würde das allerdings auch gerne wissen, denn so bleich, wie die Assistentin aussieht, scheint da draußen irgendetwas Unerfreuliches passiert zu sein.

„Nichts, macht euch keine Gedanken, kann gleich losgehen. Seid ihr bereit?“

„Ja“, antworten wir, aber es hört sich eher an, wie das Gemaunze kranker Kätzchen.

„Gut! Du zuerst!“ Sie zeigt auf die Erste in der Reihe. Darauf wären wir von alleine natürlich nie gekommen.

„Üch?“ fragt das Mädchen mit der Nummer Eins, auf das gezeigt wurde. Es scheint echt überrascht zu sein. - Na um meinen Intelligenztest muss ich mir wohl keine Sorgen machen, wenn das so weitergeht.

Nach der Melodie von New York New York marschieren schließlich im Fünfmeterabstand zirka 20 Mädchen im Badeanzug über den Catwalk. Manche mit High Heels, manche in flachen Schuhen, wir mit nackten Füßen, ohne High Heels, aber mit hoch erhobenen Hacken, so als hätten wir welche an, was uns einen Sonderapplaus beschert.

Fleur, Felix und ich werfen, wie vorher geprobt, unsere bunten Tücher über die Schulter, legen eine Hand auf die Hüfte und schieben am Ende des Catwalks kurz die Sonnenbrille runter. Alles kommt saugut an, das Publikum tobt.

So weit so gut, aber nun kommt diese Karaoke - Geschichte. Mir ist nur noch schlecht. Wie konnte ich nur Eternal Flame aussuchen? Ich werde husten und mich verschlucken und überhaupt nicht singen können. Als mein Name aufgerufen wird, sage ich mir immer wieder: Du singst zu Hause Sopran, du kannst das, nimm dich zusammen!

Meine Unsicherheit wächst, als ich schließlich ganz allein vor dem Mikro auf der Bühne stehe. Tausend Augenpaare schauen mich an. Das Intro ertönt und ich habe vor lauter Aufregung Watte in den Ohren. Dumpf höre ich die Töne und starre auf den Teleprompter, wo gleich mein Text zu lesen sein wird. Ich bin innerlich total verkrampft. Verzweifelt schaue ich ins Publikum und sehe in lauter erwartungsvolle Gesichter. Zum zweiten Mal an diesem Tag würde ich am Liebsten wie bei einem Zaubertrick verschwinden.

„Lana, du schaffst das!“ höre ich Alains aufmunternde Stimme aus dem Publikum, und plötzlich legt sich ein Schalter in meinem Kopf um. Es macht hörbar ‚Klick‘, und als der Text aufleuchtet, lege ich einfach los.

Die Leute werden auf einmal ganz still und sogar die, die sich mit anderen unterhalten haben, wenden mir ihre Gesichter zu. Ich habe die Töne sofort getroffen und die Melodie trägt mich einfach weiter. Selbst ich muss sagen, dass es eigentlich ganz gut läuft.

Pure Begeisterung schlägt mir aus dem Publikum entgegen und ich genieße es. Alle klatschen wie wild, als ich erschöpft von der Bühne gehe. - Das wäre geschafft!

Fleur hat leider nicht so einen Erfolg. Anfangs läuft es ganz gut mit ihrem Ketchup-Song, aber dann greift sie vor lauter Begeisterung von der Tonlage her total daneben und das kann keinem verborgen bleiben.

Felix hat es drauf und zieht mit In your Eyes eine Show ab, als hätte sie nie etwas anderes gemacht. Sie wird umjubelt wie ein Star.

Der Knaller ist ja Celine. Sie macht sich auf den Weg ihrer Namensvetterin und schmettert My heart will go on. Aua! Wir verziehen alle das Gesicht, als wir sie hören. Nicht so schlimm wie Fleur, aber schlimm genug, um nur peinlich zu sein.

Jetzt kommt die Freizeitmodenschau, und wir stellen fest, dass wir unsere mitgebrachten Klamotten überhaupt nicht brauchen. Von irgendwoher ist ein Garderobenständer aufgetaucht, auf dem die tollsten Markensachen darauf warten, von uns getragen zu werden.

Die Garderobe wird von einer älteren Frau verwaltet, die uns alle mit verdrießlichen Blicken mustert. Wahrscheinlich passt es ihr nicht, dass sie am Sonntag arbeiten muss.

Jetzt wird mir auch langsam klar, wie diese Misswahlen funktionieren: Überall auf der Bühne hängen Banner einer großen Boutiquenkette herum, und die Labels einiger Edelmarken sind ebenfalls gut sichtbar angebracht. Das ganze ist eine Werbeveranstaltung, die von diesen Firmen gesponsert wird. Wir Mädels sind da nur Dekoration. Jederzeit austauschbar. - Trotzdem ist es ein tolles Gefühl, gleich in einem benetton, Victoria’s-Secret- oder Ragazza-Outfit über den Catwalk zu gehen, und wenn es auch nur für zwei Minuten ist.

Ich soll ein ultrakurzes, weißes Minikleid vorführen, das im Nacken gebunden wird. Es sieht verdammt kurz aus und ich habe einen tiefschwarzen Slip an. So kann ich nicht da raus.

„Immer dasselbe“, murmelt die Frau von der Boutique und gibt mir aus einem aufgerissenen Päckchen einen fabrikneuen Baumwollslip einfachster Machart.

„Kostet der was?“, will ich wissen. - Da bin ich ganz die Tochter meines Vaters. Ich bin nämlich nicht bereit, nachher acht Euro oder so zu bezahlen.

„Nun zieh dich schon an!“, knurrt die Frau, wendet sich kopfschüttelnd ab und fummelt an dem Garderobenständer herum. Eine Minute später ist sie aber schon wieder da und hilft mir, die Enden des Oberteils in meinem Nacken zu einer ordentlichen Schleife zu binden. „Steht dir gut, das Kleid!“, sagt sie dabei. - Eigentlich ist sie ja doch nicht so übel.

Ein Blick in den winzigen Spiegel sagt mir, dass sie überraschenderweise Recht hat. Ich habe immer gedacht, dass ich wegen meines hellen Teints kein Weiß tragen kann. Da habe ich mich wohl geirrt. Der schneeweiße Stoff dieses Kleides lässt sogar meine helle Haut leicht gebräunt erscheinen und davon ist doch Einiges zu sehen. Das Dekolleté reicht bis knapp über den Bauchnabel, während der untere Saum die Pobacken gerade so bedeckt. Mein Vater bringt mich um, wenn er mich so sieht. Egal! Gestorben wird später! Jetzt muss ich erst mal Miss Teen-Beach werden! Entschlossen mache ich mich bereit, rauszugehen.

Wir stellen uns alle der Reihe nach auf und die junge Frau winkt uns im Takt der Musik nacheinander auf die Bühne.

Als ich endlich dran bin, ziehe ich mir den Rocksaum so tief es geht, damit man diesen blöden Slip nicht sieht und marschiere los. Diesmal sind wir alle barfuß, so dass das extrem anstrengende Fersen hochhalten nicht mehr nötig ist.

Es läuft gut. Wir alle bekommen höflichen Applaus, die Assistentin, die uns rein und raus winkt, scheint zufrieden zu sein, und sogar die Garderobenfrau zwingt sich ein Lächeln ab.

Schließlich sind wir alle wieder hinter dem Vorhang in Sicherheit, als die Musik wechselt.

„Ihr habt jetzt eine halbe Stunde Pause“, teilt unsere Einweiserin uns mit. „Geht was trinken, oder macht sonst was, aber seid pünktlich wieder da.“

Rasch ziehen wir unsere Privatklamotten an, denn Fleur hat versucht, im Laufstegdress die Garderobe zu verlassen, aber das lief nicht. - Ist wohl doch etwas humorlos, die Garderobenfrau.

Durch die wummernde Musik gehe ich über die Bühne und springe in den Sand. Der Tisch, an dem meine und Fleurs Eltern sitzen, steht in der dritten Reihe und erschöpft lasse ich mich auf den letzten freien Stuhl fallen. Das Erste, was ich zu hören bekomme, ist Didiers laut herausgekrähte, dumme Bemerkung: „Du bist ja gar nicht gestolpert. Ich hatte mir das so schön ausgemalt.“ - Tja, da hat die kleine Ratte wohl nicht richtig aufgepasst.

Meine Mutter lächelt mir stolz zu und mein Vater versucht mir etwas zu sagen, aber ich kann ihn kaum verstehen. Auf der Bühne läuft jetzt eine Werbeveranstaltung für die Casino-Supermärkte. Es gibt ein Auto zu gewinnen und der Moderator quasselt sich gerade in Euphorie. Die Verstärker müssen voll aufgedreht sein, denn man versteht wirklich sein eigenes Wort nicht mehr. „Was ist?“ schreie ich und schaue meinen Vater fragend an.

„Ihr wart richtig gut“, brüllt er zurück.

„Was war denn das Beste?“ will ich wissen und nehme einen Schluck von seiner Cola.

„Also, dich fanden die Leute schon sehr interessant“, stellt mein Vater grinsend fest. „Besonders den Slip, den du vorgeführt hast“, fügt er noch mit voller Lautstärke hinzu. Blöderweise setzt in diesem Moment gerade die Musik aus und so wissen die Leute an den Nachbartischen nun auch Bescheid.

Fleur kommt an den Tisch und ich rücke ein wenig, damit wir uns meinen Stuhl teilen können. Unsicher schaut sie zu ihrem Vater hinüber. Da ist so ein seltsames Grinsen in seinem Gesicht, das wir nicht einordnen können. Was hat er nur?

„Ich muss schon sagen, nicht schlecht.“ Er nickt zu seinen Worten und weil die Musik wieder einsetzt, schreit er noch einmal „Wirklich nicht schlecht!“

Ich spüre, wie sich Fleur neben mir entspannt. Sie hat sich wohl doch mehr Sorgen gemacht, als sie uns gegenüber zugeben wollte.

Die Zeit reicht noch, also bestellen wir uns auch Getränke und reden mit unseren Eltern über die Show. Wir versuchen es jedenfalls, aber die Musik ist so laut, dass wir es bald aufgeben. Dafür erfahren wir, dass das Kilo Rinderfilet in dieser Woche besonders günstig ist und dass die Casino-Käseabteilung die größte Auswahl aller Supermärkte bietet. – Interessant.

Weiter geht es mit der Vorstellung des Hauptpreises im Gewinnspiel. Der Sprecher lenkt die Aufmerksamkeit auf einen nagelneuen Twingo, der auf einer leicht erhöhten Plattform am Ende des Catwalks steht. Die Musik wird womöglich noch lauter, und Hunderte von flatternden Fähnchen, mit denen die Plattform geschmückt ist, leuchten in der Sonne.

Wirklich ein schönes Auto. Hätte ich gern, also hole ich mir ein Teilnahmeformular und vergesse auch nicht, meinen und Fleurs Eltern welche mitzubringen. Sogar Didier, die kleine Ratte, kriegt eins ab. Das gibt ein Gejaule, wenn er gewinnt und das schöne Auto abgeben muss. Aber da werde ich unerbittlich sein, schließlich habe ich die Formulare besorgt.

Fleurs Vater hat einen Kugelschreiber in der Tasche und so füllen wir alle unsere Zettel aus. Ich bringe sie persönlich weg, damit auch ja nichts schief geht.

Die halbe Stunde ist fast um und ich gehe mit Fleur schnell noch mal zur Toilette. Dann sind wir bereit für die zweite und letzte Runde.

Der Mann auf der Bühne hat sich mittlerweile ausgetobt und ist schon merklich leiser geworden. Wahrscheinlich tut ihm vom Schreien der Hals weh. Dafür weiß jetzt aber auch die halbe Côte d’ Azur, was die Casino-Märkte so alles im Angebot haben. Günstige Lebensmittel zum Beispiel. Wäre uns vorher gar nicht aufgefallen.

Während Fleur noch mal zum Tisch zurückgeht, warte ich am Rand des Catwalks. Plötzlich höre ich hinter mir eine sanfte Stimme. „Du bist sehr schön!“

„Was?“ Erschrocken fahre ich herum und sehe in ein paar unglaublich dunkle, fast schwarze Augen.

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