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Insbesondere bei Einsatzkräften wie Polizei, Feuerwehr oder Bundeswehr, aber auch in bestimmten Berufszweigen (z. B. Lokführer) sind traumatische Erlebnisse ein mehr oder weniger vorhersehbarer Teil des Berufsbildes. Für die Ausbildung und Versorgungsplanung dieser Professionen ist daher die Berücksichtigung von Ansätzen für eine gezielte Prävention von Traumafolgestörungen eine besondere Chance. Die häufig vertretene Ansicht, dass eine wiederholte Exposition mit traumatischen Situationen zu einer Prävention im Sinne einer „Gewöhnung“ führt, hat sich nicht halten lassen. Eher muss dann mit einem Symptomanstieg als Ausdruck eines Kumulativeffektes gerechnet werden.

In den letzten Jahren wurde eine Reihe von Techniken aus ressourcenorientierten psychotherapeutischen Verfahren oder Methoden abgeleitet und für präventive Zwecke adaptiert.

Zudem wurden Wirksamkeitsstudien durchgeführt, deren Zahl allerdings im Vergleich zu Therapiestudien eher begrenzt und die Qualität zum Teil sehr wechselhaft ist, so dass auf diesem Gebiet nach wie vor ein erheblicher Forschungsbedarf besteht.


Im Mittelpunkt der durchgeführten Studien stand vor allem der Effekt von Vorbereitungs- und Ausbildungsmaßnahmen vor dem Eintritt einer Belastung (Primärprävention) sowie von Frühinterventionen zeitnah nach einem Ereignis (Sekundärprävention).

Auf das Thema Frühintervention wird im Kapitel 5.1 detailliert eingegangen.

Allgemeine Grundsätze der Primärprävention von Traumafolgestörungen

In den vergangenen Jahren wurde eine Reihe von psychosozialen Interventionen im Hinblick auf ihre Eignung für die Prävention von Traumafolgestörungen nach traumatischen Ereignissen untersucht (Zusammenfassung bei Skeffington et al., 2013); dazu gehörten:

Psychoedukation zum Thema Stress und Stressfolgen;

Stress- und Angstmanagement;

Entspannungstechniken;

Verbesserung von Coping-Strategien;

Wahrnehmung von Körperfunktionen, Emotionen und Gedanken;

Verbesserung von Aufmerksamkeits- und Emotionsregulation.

Im Regelfall werden diese Elemente insbesondere bei Einsatzkräften im Rahmen ihrer Ausbildung oder vor Beginn potenziell belastender Einsätze im Rahmen von Kleingruppen-Veranstaltungen vermittelt, um auch die positive Wirkung des Gruppenzusammenhalts (Kohäsion) zu nutzen und einen gegenseitigen Austausch der Teilnehmer zu fördern. Eine weitere Variante ist die Einbindung von Stressprävention in virtuelle, multimedia-basierte Simulationen von Einsatzgeschehen. Dabei werden einsatznahe Trainingssituationen eingespielt und die Anwendung von Präventionstechniken während der Situation geübt und nachbesprochen.

Spezielle Inhalte und Bewertung präventiver Ansätze


Psychoedukation ist ein verbreiteter Ansatz in der Primärprävention psychischer Belastungen. Sie beinhaltet die Vermittlung von Informationen zu möglichen Stressoren vor, während oder nach den antizipierten Ereignissen. Kernbestandteil ist dabei die Besprechung der individuellen Bedeutung von potenziell kritischen, einschließlich auch traumatischen Ereignissen für die betroffene Person, sowie von möglichen psychischen und körperlichen Reaktionen (Früherkennung) Ergänzend können auch die Erarbeitung von Bewältigungsstrategien und die Vorstellung professioneller Hilfsangebote im Falle von Belastungen oder Erkrankungen hilfreich sein.

Meist wird Primärprävention dieser Art in Vortrags- oder Seminarveranstaltungen durch einsatzerfahrenes, geschultes Personal angeboten. Zusätzlich empfiehlt sich aber auch die Anwendung von Broschüren oder Internet-Angeboten.


Beispielsweise hat die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung verfügbare Materialien in einer „Mediensammlung zum Thema Psychotrauma“ zusammengefasst, die im Internet unter www.dguv.de kostenfrei abrufbar ist.

Die Bundeswehr verfügt mit www.PTBS-Hilfe.de und www.angriffauf-die-seele.de über zwei online-basierte Portale, die eine Vielzahl an Materialien bereitstellen, unter anderem auch einen Online-Selbsttest und einen Lehrfilm zum Thema PTBS Seit 2016 ist zudem eine App zu diesen Themen kostenfrei erhältlich („Coach PTBS“) (Zu den Einzelheiten siehe auch Kapitel 5.10).

Auf der Website der Deutschsprachigen Gesellschaft für Psychotaumatologie (www.DeGPT.de) steht ein anschaulicher Lehrfilm zu Traumafolgen und ihrer Behandlung zur Verfügung.

Studien zum präventiven Effekt von Psychoedukation wurden bislang nur im Kontext von Sicherheitskräften durchgeführt, hatten allerdings methodische Schwächen, sodass noch keine gesicherte Aussage zu ihrer Wirksamkeit möglich ist (Skeffington et al., 2013).

Psychoedukation wurde in mehreren Ansätzen mit einer Vermittlung von Stressbewältigungskompetenzen kombiniert. Dazu gehören Wahrnehmungstrainings für Körperfunktionen und -reaktionen, zum Beispiel über Biofeedback, für Emotionen und gedankliche Bewertungen (Kognitionen). Diese sollen dabei als integraler Teil der Stressverarbeitung erkannt werden, um in einem zweiten Schritt Mechanismen der Gegenregulation zu erlernen, z. B. ein aktives Entspannungsverfahren. Bewährt haben sich bei traumabezogenem Stress Techniken zur Atementspannung sowie auch imaginative Verfahren, die Entspannung über die Entwicklung von Fantasiebildern zur inneren Sicherheit, Naturbezogenheit etc. ermöglichen (z. B. der „Sichere Ort“, Kap. 3.2).

Ergänzend sind Verfahren des Stress- und Angstmanagements und der Aufmerksamkeits- und Emotionsregulation in der Prävention erprobt worden, daneben auch Kommunikationstrainings und die Erarbeitung von Coping-Strategien. Diese Techniken können in diesem Rahmen nicht detailliert wiedergegeben werden, es wird auf die einschlägigen Lehrbücher der Verhaltenstherapie (z. B. Margraf & Schneider, 2008) verwiesen.

Schutzfaktor soziale Unterstützung

Exemplarisch sei aber auf die Bedeutung sozialer Kontakte für die Prognose nach Traumatisierungen hingewiesen. Eine gute soziale Unterstützung hat sich in zahlreichen Studien als sehr wichtiger Schutzfaktor erwiesen. Maßnahmen, die zu einer Verbesserung dieser Unterstützung beitragen, wie beispielsweise die Entwicklung von Copingund Konfliktbewältigungs-Strategien durch soziales Kompetenztraining, können daher stress-präventiv wirksam sein. An gleicher Stelle setzen auch Angebote an, die die Aufklärung von Angehörigen Traumatisierter verbessern, wie etwa Angehörigen-Hotlines, Angehörigengruppen oder Aufklärungsbroschüren, wie z. B. die der Bundeswehr „Wenn der Einsatz noch nachwirkt“ für Angehörige traumatisierter Soldaten (www.angriff-auf-die-seele.de/cms/informationen/tipps/401-broschuerewenn-der-einsatz-noch-nachwirkt.html, 17. 2. 2017).


Die Kombination aus Psychoedukation und Stressbewältigungsstrategien wurde an einer Stichprobe von 20 Polizeibeamten in Sarajewo untersucht, von denen die Hälfte ein derartiges Training erhielten, die andere Hälfte als Kontrollgruppe dagegen nur eine Routine-Polizeiausbildung. Die Trainingsgruppe zeigte im Vergleich zur Kontrolle eine signifikante Reduktion von Angst und somatischen Reaktionen auf Stress (Sijaric-Voloder & Capin, 2008).

In zwei weiteren Studien an Polizeikräften wurden Psychoedukation und Stressbewältigungstraining in Kombination mit einer virtuellen Stressexposition durchgeführt und erprobt. Dabei wurden zunächst Informationen vermittelt und Techniken, z. B. Entspannungsverfahren, eingeübt. Anschließend wurden die Teilnehmer einer Computer-basierten Stresssituation ausgesetzt, die dem polizeilichen Berufsbild entsprach. Die trainierten Teilnehmer reagierten im Vergleich zu nicht Trainierten professioneller und mit weniger negativer Stimmung und Stress (Arnetz et al., 2009).

Um die verschiedenen Elemente von Stress- und Traumaprävention in einer standardisierten Form unter Nutzung von Multimedia-Elementen vermitteln zu können, wurde vom psychologischen Dienst der Bundeswehr das Computer-basierte Lern- und Übungsprogramm CHARLY (Chaos Driven Situations Management Retrieval System) entwickelt.


Computer-basierte Primärprävention CHARLY

CHARLY ist für Gruppen von 10 – 30 Soldaten zur Anwendung vor Beginn eines Auslandseinsatzes konzipiert. Jeder Teilnehmer arbeitet an einem eigenen Computer auf einer Plattform, die mit den anderen Anlagen vernetzt ist und auch Vergleiche der Ergebnisse zulässt. Die Bearbeitung dauert anderthalb Tage und wird von einem Psychologen begleitet, der für etwaige Fragen oder Probleme als Ansprechpartner zur Verfügung steht. Dabei führt ein strukturierter Algorithmus durch verschiedene Themen bereiche, zunächst Psychoedukation zu Stress und Trauma, einschließlich verschiedener Stress-Spiele (Serious Gaming), wobei das erzeugte Anspannungsniveau über eine vegetative Messung (Hautleitfähigkeit, Herzfrequenzvariabilität) angezeigt wird. Im Verlauf kommen ergänzend Informationen und Übungen zu einsatzbezogenen Stressoren und deren Auswirkung dazu (ebenfalls als Stress-Spiele), die Vorstellung verschiedener Entspannungsverfahren sowie soziales Kompetenztraining.


Zwischen 2012 und 2014 wurde eine Studie zur Wirksamkeit von CHARLY bei Bundeswehrsoldaten im Zusammenhang mit einem Auslandseinsatz durchgeführt (Wesemann et al., 2016). Dabei wurden 67 Teilnehmer vor und nach einem Einsatz mit verschiedenen psychometrischen Testverfahren untersucht, unter anderem der Symptom-Checklist-90 (revised) sowie der Posttraumatic Stress Diagnostic Scale (PDS). Konkret erhielten 36 Probanden randomisiert über anderthalb Tage CHARLY, 31 wurden als Kontrolle durch eine Psychologin über den gleichen Zeitraum zum Thema Stress und Stressbewältigung informiert. Bei vergleichbarer Art und Anzahl einsatzbezogener Belastungen waren die Probanden, die CHARLY erhalten hatten, nach dem Einsatz auf den beiden Skalen signifikant weniger belastet als die Kontrollgruppe.

Die gezielte psychologische Prävention von Traumafolgestörungen hat in den psychosozialen Versorgungssystemen noch nicht den Stellenwert der Therapie nach Traumatisierungen erreicht, obwohl in den letzten Jahren eine Reihe von Ansätzen entwickelt und evaluiert wurde. Die bisherigen Forschungsergebnisse sind aufgrund kleiner Fallzahlen und verbesserungswürdiger methodischer Designs eher noch als vorläufig zu bewerten. Es ergaben sich aber vielversprechende Hinweise, dass die Kombination von Psychoedukation und Trainingselementen einen positiven Einfluss auf die Verarbeitungsfähigkeit und Prognose stressexponierter Personengruppen haben könnte, insbesondere, wenn sie standardisiert und multimedia-basiert vermittelt werden.

1.6 Pathogenese und Verlauf trauma-induzierter Störungsbilder

Bei einer psychischen Traumatisierung wird die Entstehung von Beschwerden und Symptomen aus einem prozesshaften Geschehen, d. h. einem Entwicklungsverlauf heraus verstanden.


Das Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung nach Fischer und Riedesser (2009) umfasst einen dreiphasigen Ablauf: Am Anfang steht die „Traumatische Situation“, gefolgt von der „Traumatischen Reaktion“, welche in die Erholungsphase oder aber in den „Traumatischen Prozess“ übergeht.

In diesem Modell werden zudem subjektive und objektive Aspekte der traumatischen Situation systematisch aufeinander bezogen; Symptombilder werden prozesshaft und umwelttheoretisch betrachtet statt überwiegend aus internen Eigenschaften des Symptomträgers heraus.

traumatische Situation

Die traumatische Situation umfasst das traumatische Ereignis selbst sowie die unmittelbar darauf folgende „Schockphase“. Ob ein Ereignis einen traumatischen Charakter annimmt, hängt dabei nicht nur von objektiven Situationsfaktoren, wie beispielsweise der Dauer des Ereignisses, dem Bekanntheitsgrad des Täters oder der mittelbaren vs. unmittelbaren Betroffenheit ab. Auch personengebundene Merkmale wie die aktuelle und überdauernde psychische Disposition, protektive Faktoren (z. B. ein hilfreiches soziales Umfeld, für eine Übersicht biografischer Schutzfaktoren siehe z. B. Egle et al., 1997, siehe Kasten), Risikofaktoren (z. B. Vortraumatisierungen wie z. B. Verlust einer Bindungsperson in der Kindheit, siehe ebenso Egle ebd. und Kasten) sowie der physiologischen Disposition (vgl. Fischer & Riedesser, 2009) spielen eine Rolle (siehe auch Bender & Lösel, 2015).

Schutzfaktoren nach Egle et al. (1996, S. 19)

eine dauerhaft gute Beziehung zu mindestens einer primären Bezugsperson;

Aufwachsen in einer Großfamilie mit kompensatorischen Beziehungen zu den Großeltern und entsprechender Entlastung der Mutter;

ein gutes Ersatzmilieu nach frühem Mutterverlust;

überdurchschnittliche Intelligenz;

ein robustes, aktives und kontaktfreudiges Temperament;

sicheres Bindungsverhalten;

soziale Förderung, z. B. durch Jugendgruppen, Schule oder Kirche;

verlässlich unterstützende Bezugspersonen im Erwachsenenalter, vor allem Ehe- oder sonstige konstante Beziehungspartner;

lebenszeitlich späteres Eingehen „schwer lösbarer Bindungen“;

eine geringe Risiko-Gesamtbelastung.

Risikofaktoren nach Egle et al. (1996, S. 19)

niedriger sozioökonomischer Status der Herkunftsfamilie

mütterliche Berufstätigkeit im ersten Lebensjahr;

schlechte Schulbildung der Eltern;

große Familien und sehr wenig Wohnraum;

Kontakte mit Einrichtungen der „sozialen Kontrolle“;

Kriminalität oder Dissozialität eines Elternteils;

chronische Disharmonie;

unsicheres Bindungsverhalten nach dem 12. / 18. Lebensmonat;

psychische Störungen der Mutter oder des Vaters;

alleinerziehende Mutter;

autoritäres väterliches Verhalten;

Verlust der Mutter;

häufig wechselnde frühe Beziehungen;

sexueller und / oder aggressiver Missbrauch;

schlechte Kontakte zu Gleichaltrigen;

ein Altersabstand zum nächsten Geschwister von unter 18 Monaten;

uneheliche Geburt.

In der traumatischen Situation ist Handeln dringend erforderlich, kann aber aufgrund der situativen Gegebenheiten nicht erfolgen; eine subjektiv angemessene Reaktion ist unmöglich. In bedrohlichen Stresssituationen versetzt das vegetative Nervensystem den Körper in einen Aktivierungszustand und bereitet ihn auf Reaktionen, die dem Selbstschutz dienen sollen, vor (Fischer & Riedesser, 2009; Herman, 2003). Diese Bereitstellungsreaktionen können als Triade von Kampf, Flucht oder Totstellreflex zusammengefasst werden (Bering, 2011). In der traumatischen Situation kann keine dieser akuten Reaktionstendenzen sinnvoll umgesetzt werden, es entsteht eine Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Handlung(-smöglichkeit); es kommt zu einer „unterbrochenen Handlung“.

traumatische Reaktion

Postexpositorisch stehen die Betroffenen dann vor der paradoxen Aufgabe, eine Erfahrung verarbeiten zu müssen, die ihre Verarbeitungskapazität überschreitet. Mit der traumatischen Reaktion versuchen sie, das Unfassliche dennoch zu fassen und zu überwinden. Die sich in dieser Phase zeigenden Beschwerden werden hierbei nicht als krankhaft angesehen, sondern als normale Reaktionen auf ein nicht normales, erlebtes Ereignis (sog. „Normalitätsprinzip“). Zur Verarbeitung des Erlebten muss das traumatische Erlebnis als singuläres Extremereignis der eigenen Lebensgeschichte begriffen werden, dessen Wiederholung zwar prinzipiell möglich, aber äußerst unwahrscheinlich ist.

Misslingt den Betroffenen die Integration des Traumas, geht die traumatische Reaktion nicht in die Erholungsphase, sondern in den traumatischen Prozess über. Die Symptome chronifizieren. Der traumatische Prozess ist gekennzeichnet durch den Versuch, mit einer unerträglichen Erfahrung zu leben, ohne sich mit ihr wirklich konfrontieren zu müssen.

In der postexpositorischen Phase findet somit eine Art Weichenstellung statt. Korrektive Umgebungsfaktoren können den Übergang in die Erholungsphase entscheidend erleichtern. Andererseits ist die postexpositorische Phase insgesamt als besonders vulnerabler Zeitabschnitt zu sehen, in dem schon vergleichsweise geringe zusätzliche Belastungen eine pathogene Entwicklung fördern können. Dem Umgang von Behörden und Helferpersonen mit Traumaopfern kommt hier eine besondere präventive Bedeutung zu (vgl. Eichenberg & Harm, 2008). Sie müssen geschult werden, sich sensibel auf den natürlichen Traumaverlauf und die vulnerable postexpositorische Zeit einzustellen und Hilfsmaßnahmen dem natürlichen Erlebnisverlauf und Verarbeitungsprozess der Betroffenen anzupassen.

Traumastörungen weisen insgesamt eine spezifische Pathogenese auf, die sich u. a. aus der Dynamik von Traumaschema und traumakompensatorischem System ergibt (ausführlich bei Fischer, 2007).

Insgesamt muss die Analyse traumatischer Situationen (wie z. B. sexueller Missbrauch) neben den traumatogenen Situationsfaktoren (z. B. Bekanntheit des Täters) und ihrem objektiven Zusammenwirken das zentrale traumatische Situationsthema berücksichtigen, das sich aus der Verzahnung von objektiven Gegebenheiten und subjektiver Bedeutungszuschreibung auf dem Hintergrund der persönlichen Lebensgeschichte bildet.


Das zentrale traumatische Situationsthema stellt die zentrale subjektive Bedeutung dar, die eine traumatische Situation für die betroffene Persönlichkeit annimmt. Hier liegt der Punkt maximaler Interferenz zwischen traumatischer Situation und Persönlichkeitssystem.

Oft sind es gerade die aufgrund früherer Belastungsfaktoren im Lebenslauf gebildeten traumakompensatorischen Mechanismen und Strukturen, die für Traumatisierung besonders anfällig oder „zerbrechlich“ sind.

Traumaschema

Um diesen Punkt von Situationsfaktoren und persönlicher Situationsdeutung bildet sich das Traumaschema aus. Es ist durch eine systematische Diskrepanz von Wahrnehmung und Handlung gekennzeichnet und folgt einer Tendenz zur Wiederaufnahme und Vollendung der unterbrochenen Handlung. Diese kann die passive Form des Wiederholungszwangs annehmen und führt dann zu einer unbewussten Reproduktion der traumatischen Situation.

Das Traumaschema ist Ausdruck des Regulationsverlustes in der traumatischen Situation. Es speichert die Erinnerung an den Ereignisablauf, die peritraumatischen Erlebnisphänomene sowie ein Bild des Subjekts in hilfloser, ungeschützter Verfassung angesichts einer extrem bedrohlichen Lage. Unter dem Druck der peritraumatischen Erfahrung verliert das Traumaschema verschiedene Funktionen gelingender Wahrnehmungs- und Erfahrungsverarbeitung. Im postexpositorischen Zeitraum zielt die Traumaverarbeitung dann darauf ab, Erlebnisinhalte und Form des Traumaschemas aufzuarbeiten und in den kognitiv-affektiven Wissensbestand der Persönlichkeit zu integrieren. Ein Verarbeitungsmechanismus des psychobiologischen Systems ist hier ein Wechsel der Phasen von Verleugnung und Intrusion (Wiedererleben). Der Verarbeitungsprozess kann in diesen Phasen „entgleisen“. Einmal kann der ursprüngliche traumatische Erlebniszustand als Panikzustand fortbestehen und der Betroffene wird dauerhaft von unkontrollierbarer Erregung überflutet. Eine zweite Variante besteht darin, dass sich die Vermeidungs- / Verleugnungsphase verfestigt und sogenannte „frozen states“, eingefrorene Erlebniszustände mit psychovegetativen und psychosomatischen Reaktionen fixiert werden.

traumatischer Prozess

Bei relativ ungenügendem Abschluss der postexpositorischen Phase kommt es zum traumatischen Prozess. Dieser ist gekennzeichnet durch den paradoxen Versuch, sich an eine unerträgliche Erfahrung anzupassen, mit ihr zu leben, ohne sich mit ihr wirklich konfrontieren zu können. Bei genereller Schwäche der Kontrollfunktionen entwickelt sich eine chronische Posttraumatische Belastungsstörung mit intrusiver Symptomatik. Bei überstarken, starren Kontrollmaßnahmen, die bei einer Erfahrung von Extremtraumatisierung wie etwa der Folter überlebensnotwendig sein können, kommt es zu einer generellen Erstarrung der Persönlichkeit mit Verlust der emotionalen Spontaneität.

kompensatorisches Schema

In weniger extremen Fällen ist das Persönlichkeitssystem bestrebt, die traumatische Erfahrung durch Strategien zu kontrollieren, wobei der Entwurf des kompensatorischen Schemas die zentralste darstellt. Eine wesentliche Funktion des Schemas besteht in der kompensatorischen Umkehr des Traumaschemas. Aus hilfloser Abhängigkeit wird Sicherheit, aus Schwäche Stärke usw. Traumaschema und kompensatorisches Schema sind die zentralen dynamischen Kräfte im traumatischen Prozess. Das kompensatorische Schema entwirft ein verändertes Script oder Drehbuch, das sog. Traumascript, in dem die traumatische Erfahrung zwar enthalten ist, jedoch in erträglicher Dosierung und Verarbeitung.

Vertiefung: Traumakompensatorisches Schema

Basisstrategie und individuelle Ausprägung der traumakompensatorischen Maßnahmen: Während sich in der peritraumatischen Erfahrung spontane Selbstschutzmechanismen bilden, werden diese während der weiteren traumatischen Reaktion und im traumatischen Prozess elaboriert. Das kompensatorische Schema umfasst drei Komponenten: Eine ätiologische Theorie (wodurch ist das Trauma entstanden?), die Heilungstheorie (wie kann das Trauma geheilt werden?), die präventive Theorie (was muss geschehen, um eine Retraumatisierung zu vermeiden?). Diese Komponenten sind logisch aufeinander bezogen, basieren aber schon auf einer traumatischen Erfahrung, die entsprechend ihrer Speicherung im Traumaschema nur unvollständig zugänglich ist und in wichtigen Teilaspekten oft nur implizit erinnert werden kann. Von daher erwecken die traumakompensatorischen Maßnahmen einen – von außen betrachtet – irrationalen, unzweckmäßigen Eindruck, während es sich, gemessen am gegebenen Informationsstand, um subjektiv sinnvolle Maßnahmen handelt.


Traumakompensatorisches Schema nach sexualisierter Gewalt

(nach Bering et al., 2004)

Eine 36-jährige Frau wurde Opfer sexualisierter Gewalt. Mit dem alkoholisierten Täter war sie freundschaftlich verbunden. Er sei ihrer Meinung nach „verrückt“ geworden. Kindheitserinnerungen werden geweckt. Sie entwickelt das Vollbild einer PTBS, das von einer schweren depressiven Reaktion begleitet ist. Albträume quälen sie. Zu Hause ist sie sozial gut eingebettet; nur dort fühlt sie sich wohl. Außenkontakte meidet sie. Eine stationäre Behandlung lehnt sie wegen ihrer 4-jährigen Tochter ab; sie ist ihr Lebensinhalt.

Zehn Wochen nach dem Ereignis, nach dem Durchlaufen der Einwirkphase, befindet sie sich in der Phase der Verfestigung des traumatischen Prozesses. Die Situationsdynamik ist gekennzeichnet vom subjektiven Erleben der Patientin, eine vertrauensvolle Beziehung zum Täter aufgebaut zu haben. Auf der objektiven Seite jedoch wurde sie von ihm vergewaltigt. Die Dynamik des Traumaschemas besteht daher aus der Diskrepanz dieser beiden Situationsfaktoren („Vertrauen fassen vs. Enttäuschung erleben“). Nun setzt der Schutzreflex des Traumakompensatorischen Schemas ein mit seinen drei Anteilen (Ätiologie, Prävention, Reparation).

Ätiologisch: Um sich erklären zu können, wie sie sich in ihrer Wahrnehmung so täuschen konnte, führt die Patientin das Psychotrauma auf einen Ausnahmezustand des Täters zurück, indem sie ihn situativ für „verrückt“ erklärt. Somit kann sie die guten Beziehungsanteile schützen.

Präventiv: Um nicht noch einmal Opfer einer Gewalttat zu werden, zieht sie sich in ihr häusliches Umfeld zurück und meidet Beziehungen zu anderen Menschen (außer zu ihrer Tochter), damit sie nicht wieder enttäuscht wird.

Reparativ: Die 4-jährige Tochter der Patientin ist Lebenssinn und Heilungstherapie gleichzeitig für ihre seelischen Verletzungen. Sie erholt sich über ihr Selbstbild als „gute Mutter“.

Zwischen Spannungsfeld von Traumaschema und Traumakompensatorischem Schema entsteht die Symptomatik der PTBS vom depressiven Verlaufstypus.

1.7 Psychobiologie trauma-induzierter Störungsbilder


Die Psychobiologie trauma-induzierter Störungsbilder, das heißt die Interaktion psychischer und pathophysiologischer Prozesse und Veränderungen nach traumatischen Erlebnissen, ist durch ein komplexes Geschehen gekennzeichnet, das vielfältige Regelsysteme des Hirn- und hormonellen Stoffwechsels umfasst Die maßgeblichen Zusammenhänge werden bis heute trotz umfangreicher Forschungsarbeiten noch nicht vollständig verstanden.

Um einen ersten Überblick zu erleichtern, erfolgt an dieser Stelle im Rahmen dieses einführenden Beitrags eine Beschränkung auf die Posttraumatische Belastungsstörung als Traumafolgestörung, über die in diesem Bereich auch die fundiertesten Erkenntnisse vorliegen.

Zur Vertiefung liegen detaillierte Reviews aus jüngster Zeit vor:

Sherin & Nemeroff, 2011; Marinova & Maercker, 2015

Die wesentlichen, einer Posttraumatischen Belastungsstörung zuzuordnenden Veränderungen finden sich in den folgenden Bereichen:

(neuro-) hormonale Effekte;

funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT) und Positronen-Emissionstomographie (PET);

(Epi-) Genetik.

(Neuro-)hormonale Veränderungen

Im Mittelpunkt (neuro-) hormonaler Veränderungen nach Traumatisierung stehen die Katecholamin- (insbesondere Noradrenalin) und die Cortisolregulation.

vermehrte Noradrenalinausschüttung

Es kommt zu einer Hoch-Regulation der Plasmaspiegel des Stresshormons Noradrenalin, die zu sekundären Folgen wie gesteigerter Wachsamkeit und Nervosität (Hypervigilanz), Impulsivität, erhöhtem Blutdruck (Hypertonie) und Herzrasen (Tachykardie) führen kann. Diese wiederum tragen zu einer erhöhten Häufigkeit von Herzerkrankungen bei der PTBS bei, letztlich auch zu einer erhöhten Sterblichkeit (Mortalität) im Langzeitverlauf (S3-Leitlinie PTBS; Flatten et al., 2011).

Hypocortisolismus

Demgegenüber wird die Ausscheidung von Cortisol unterdrückt (Hypocortisolismus), mit der Folge reaktiv erhöhter Level an Corticotropin Releasing Hormon (CRH). Da Cortisol die Noradrenalin-Ausscheidung hemmt, führt der Cortisol-Mangel dementsprechend zu einer ungezügelten Ausscheidung (Disinhibition) von Noradrenalin und verstärkt dessen negative Folgen.

Weitere Regelsysteme, die sich nach Traumatisierungen verändern, hier aber nicht detailliert wiedergegeben werden können, umfassen beispielsweise Dopamin, Serotonin, gamma-Aminobuttersäure (GABA), Glutamat, endogene Opioide und Neuropeptid Y.

Zum Teil existieren zu diesen Veränderungen widersprüchliche Befunde, die auch mit den untersuchten Patientengruppen und traumatischen Ereigniskategorien zusammenhängen können.

Veränderungen im fMRT und PET

Eine Reihe von Studien konnte strukturelle und funktionelle Veränderungen des Gehirns nach Traumatisierungen nachweisen, die sich u. a. in der (funktionellen) Magnetresonanztomographie (fMRT) und der Positronen-Emissionstomographie (PET) abbilden ließen.

Strukturell zeigten sich verminderte Volumina der Hippocampi, des linken Corpus amygdaloideum (Mandelkern) und anterioren cingulären Cortex sowie der linken Insel und des rechten Gyrus parahippocampalis (Meng et al., 2014).


Bahnbrechend für die neurobiologische Modellbildung waren Untersuchungen mithilfe der Positronen-Emissionstomographie. Hiernach war unter experimentell induzierten szenischen Erinnerungen an ein Trauma (Flashbacks) besonders das Broca-Areal (motorisches Sprachzentrum) in seiner Aktivität unterdrückt und die Mandelkernregion (Corpus amygdaloideum) der rechten Gehirnhälfte besonders aktiv (Kosslyn et al., 1996).

Diese Befunde decken sich mit dem klinischen Phänomen, dass viele Traumatisierte das Geschehen oft nur bildhaft wiedererleben, nicht in Worte fassen können und immer wieder von einem Zustand wortlosen Entsetzens („speachless terror“) ergriffen werden.


Parallel zu diesen Befunden waren im funktionellen MRT unter Reizexposition verminderte Aktivitäten des linken Hippocampus und Gyrus parahippocampalis auffällig. Diese Region ist an der emotionalen Bewertung und Einordnung eingehender (auch belastender) Sinneseindrücke beteiligt und damit für eine gesunde Reizverarbeitung unentbehrlich. Interessant war die Beobachtung, dass einige dieser Veränderungen unter kognitiv-behavioraler Stabilisierungsbehandlung im Gruppensetting rückläufig waren, also offenbar psychotherapeutisch beeinflussbar sind (Thomaes et al., 2012). Dieser Befund korrespondiert mit der Beobachtung, dass Patienten unter erfolgreicher Therapie trauma-bezogene Emotionen klarer wahrnehmen und benennen und dadurch die traumatische Erfahrung besser verstehen und in ihren Erlebnishorizont einordnen können.

(Epi-)genetische Dispositionen und Veränderungen

Bei trauma-assoziierten Erkrankungen stehen schon per definitionem Umweltfaktoren an erster Stelle der Pathogenese. Dennoch sind genetische Dispositionen Teil des Krankheitsgeschehens, vor allem Varianten (Polymorphismen) im genetischen Material der Gehirn-Botenstoffe (Neurotransmitter) Dopamin, Noradrenalin, Serotonin.

Dazu kommen umgekehrt aber auch genetische Veränderungen, die offenbar durch Traumafolgestörungen verursacht werden, zum Beispiel epigenetische Veränderungen im Methylierungsgrad von Glucocorticoid-Rezeptor-DNA und FKBP5-DNA (dieses Gen ist ein Modulator der Stresshormonachse und ist u. a. an der Entstehung von Depression beteiligt). Diese waren mit der Symptomschwere und Therapieprognose bei Kriegsveteranen assoziiert (Yehuda et al., 2013).

Die Erkenntnisse über die neurobiologischen Korrelate von Traumafolgestörungen sind in den vergangenen Jahren weit fortgeschritten. Sie sind deshalb von besonderer Bedeutung, da sie die Grundlage für Weiterentwicklungen in den Bereichen medikamentöser Behandlung, aber auch Früherkennung und Verlaufskontrolle von Traumafolgestörungen darstellen können.

1.8 Fragen zu Kapitel 1


1. Bitte definieren Sie die Disziplin „Psychotraumatologie“ inklusive der Beschreibung ihrer Ausdifferenzierungen.

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9783846347621
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