Читать книгу: «Systematische Theologie», страница 6

Шрифт:

2.4 Theologie im Zeichen der Aufklärung

Das 18. Jahrhundert war nicht nur das Zeitalter von Vernunft und AufklärungVernunftVernunft und AufklärungAufklärung, es führte auch zu einer grundlegenden Umformung der überlieferten Theologie des Protestantismus. Verantwortlich hierfür waren mehrere Umstände. Die Konfessionskulturen verloren vor dem Hintergrund des einsetzenden gesellschaftlichen Modernisierungsprozesses an Prägekraft. Sodann traten Glaube und GeschichteGlaube und Geschichte in dem Jahrhundert zunehmend in einen Gegensatz, der eine neue Bearbeitung verlangte. Schließlich ersetzten nun die Vernunft und das eigene Verständnis die Orientierung an einer als autoritär und bevormundend verstandenen Tradition. Die Denker der Aufklärung unterschieden zwischen der ewigen WahrheitWahrheitewige der Vernunft und den kontingenten GeschichtswahrheitenGeschichtswahrheiten. Der Umgang mit dem neuen Problemhorizont gestaltet sich in Theologie und Philosophie unterschiedlich. In der protestantischen TheologieTheologieevangelische, protestantische stehen sich um 1800 zwei Richtungen einander gegenüber: auf der einen Seite der theologische RationalismusRationalismus und auf der anderen der SupranaturalismusSupranaturalismus. An diesem innertheologischen Gegensatz werden sich die Theologen noch bis weit in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts abarbeiten. In der Philosophie, die sich in den theologischen Debatten auswirkt, bilden sich im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts der philosophische Rationalismus, deren Hauptvertreter Gottfried Wilhelm LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm (1646–1716) und Christian WolffWolff, Christian (1679–1754) sind, und der EmpirismusEmpirismus heraus, vertreten durch den schottischen Philosophen David HumeHume, David (1711–1776), der einen starken Einfluss auf den philosophischen Schriftsteller Friedrich Heinrich JacobiJacobi, Friedrich Heinrich (1743–1819) hatte. Im sogenannten *PantheismusstreitPantheismusstreit[52]zwischen Jacobi und Moses MendelssohnMendelssohn, Moses (1729–1786) prallten die beiden philosophischen Strömungen aufeinander. Auslöser des Streits war eine Indiskretion Jacobis. Er hatte in seinem im September 1785 publizierten Buch Über die Lehre des SpinozaSpinoza, Baruch de in Briefen an den Herrn Moses Mendelssohn den Inhalt eines Gesprächs mit Gotthold Ephraim LessingLessing, Gotthold Ephraim (1729–1781) vom Sommer 1780 mitgeteilt, in dem dieser sich als Spinozist zu erkennen gegeben hatte. Im Zentrum der Streitsache stand ein Thema, welches auch für die Theologie und deren weitere Geschichte von grundlegender Bedeutung ist, nämlich die Frage, ob Gott durch das menschliche Denken erfasst werden könne. Jacobi bestritt das vehement, während der Rationalist Mendelssohn die Denkbarkeit Gottes verteidigte.

Das 18. Jahrhundert war nicht arm an Streitsachen. Der literarische Fehde-Handschuh wurde sowohl in der Theologie als auch in der Philosophie hingeworfen. Den problemgeschichtlichen Hintergrund der Kontroversen bilden die sich im Zusammenhang mit der europäischen AufklärungAufklärung vollziehenden geistesgeschichtlichen sowie gesellschaftlichen Umbrüche. Was war in diesem Jahrhundert geschehen?

a. Die AufklärungsphilosophiePhilosophieAufklärungs-

Die deutsche Schulphilosophie des 18. Jahrhunderts ist vor allem geprägt durch den Leibnizschen und Wolffschen RationalismusRationalismus. Bei ihm handelt es sich um eine Richtung, für die wahre Erkenntnis allein durch das begriffliche Denken möglich ist. Der neuzeitliche Rationalismus, der auf René DescartesDescartes, René (1596–1650) zurückgeht, erhielt seine grundlegende Ausprägung durch die Philosophie von Gottfried Wilhelm LeibnizGottfried Wilhelm LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm. Wichtige Schriften von ihm sind die Monadologie von 1714 und vor allem sein Buch Versuche in der Theodicée über die Güte Gottes, die FreiheitFreiheit des Menschen und den Ursprung des ÜbelsÜbel von 1710. Leibniz unternimmt in diesem Buch den Versuch, die Güte Gottes angesichts der Übel in der Welt dadurch zu rechtfertigen, dass er zeigt, Gott habe die beste aller möglichen Welten geschaffen, aber zu dieser gehören notwendigerweise Übel hinzu. Er begründet seinen Versuch mit rein logisch-begrifflichen Mitteln. Gott ist ihm das ens summe perfectum (vollkommenste Wesen), er ist vollkommene Güte, Weisheit und allmächtig im Unterschied zur geschaffenen Welt, die end[53]lich und damit notwendig unvollkommen sein muss. Andernfalls wäre sie von Gott nicht unterschieden.

LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm unterscheidet streng zwischen den Vernunft- und GeschichtswahrheitenGeschichtswahrheitenWahrheiten der VernunftVernunft und denen der Geschichte. Während jene ewig und unveränderlich sind, kommt diesen ein anderer Status zu. Sie sind kontingent, das heißt veränderlich, und können auch nicht sein. Die Aussage ‚Morgen geht die Sonne auf‘ bezieht sich auf eine Tatsache, von der man allein dann wissen kann, wenn sie eingetreten ist, aber ‚zwei mal zwei ist vier‘ ist unabhängig von aller Erfahrung immer und überall wahr. Geltende WahrheitWahrheit lässt sich folglich nicht durch Tatsachen begründen. Wirksam wurde der Leibnizsche RationalismusRationalismus insbesondere durch den Hallenser Philosophen Christian WolffWolff, Christian. Er baute die PhilosophiePhilosophie zur methodischen Leitwissenschaft aller akademischen Disziplinen aus. Dabei bediente er sich der mathematischen MethodeMethodemathematische des mos geometricus (EuklidEuklid [3. Jahrhundert v. Chr.]) als Inbegriff einer wissenschaftlichen Darstellungsart. Vernunft und Offenbarung, davon geht Wolff aus, widersprechen sich nicht. Sie stehen in Harmonie miteinander. Die göttliche Offenbarung stimmt mit der Vernunft überein, der strenge Allgemeinheit zukommt. Wolff hatte einen starken Einfluss auf die Theologie des 18. Jahrhunderts. Über den Hallenser Theologen Sigmund Jacob BaumgartenBaumgarten, Sigmund Jacob (1706–1757) wirkte er auf die sich in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts herausbildende NeologieNeologie.

Anders der EmpirismusEmpirismusEmpirismus. Er bestreitet, dass Erkenntnis durch das Denken möglich sei und behauptet, alles Wissen entspringe aus der Erfahrung. Die Quelle der ErkenntnisErkenntnis, Quelle der ist also nicht wie im RationalismusRationalismus der urteilende Verstand, sondern die Erfahrung. Die Hauptvertreter des Empirismus sind die englischen Denker John LockeLocke, John (1632–1704) und David HumeHume, David. Sie fassen den menschlichen GeistGeistmenschlicher, Menschen- als eine tabula rasa (leere Tafel) auf, die durch sinnliche Anschauungen gefüllt wird. Begriffe und KategorienKategorien (Philosophie) sind sekundäre Abstraktionen. Sie entstehen, indem der Geist aus den sinnlichen Eindrücken allgemeine Strukturen herauspräpariert und zusammenfasst. Auch der Gottesgedanke verdankt sich, wie Hume in seiner Schrift Eine Untersuchung über den menschlichen Verstand von 1748 ausführt, einer solchen Operation des Geistes. Seine Philosophie wurde in Deutschland durch Friedrich Heinrich JacobiJacobi, Friedrich Heinrich rezipiert. In seinem Buch Über die Lehre des SpinozaSpinoza, Baruch de in Briefen an den Herrn Moses MendelssohnMendelssohn, Moses von 1785 behauptet Jacobi [54]unter dem Einfluss der Humeschen skeptischen Philosophie einen strikten DualismusDualismus von Glauben und Wissen beziehungsweise von VernunftVernunft und Offenbarung. Jacobi ist der erste, der die These vertritt, dass Gott nicht erkannt werden könne, sondern nur dem GefühlGefühl zugänglich sei. Das beinhaltet einen Frontalangriff gegen die Wolffsche Philosophie und die von ihr abhängige NeologieNeologie. Weitere Kritiker der aufklärerischen Synthese von Offenbarung und Vernunft sind der Königsberger religiöse Schriftsteller Johann Georg HamannHamann, Johann Georg (1730–1788) sowie der Züricher Prediger und Schriftsteller Johann Casper LavaterLavater, Johann Casper (1741–1801).

Literatur

Georg Essen/Christian Danz (Hrsg.): Philosophisch-theologische Streitsachen. PantheismusstreitPantheismusstreit – Atheismusstreit – Theismusstreit, Darmstadt 2012.

Gottfried Gabriel: Grundprobleme der ErkenntnistheorieErkenntnistheorie. Von Descartes zu Wittgenstein, Paderborn/München/Wien/Zürich 21998.

Helmut Holzhey/Wilhelm Schmidt-Biggemann (Hrsg.): Grundriss der Geschichte der Philosophie: Die Philosophie des 17. Jahrhunderts. 2 Bde.: Das Heilige Römische ReichRömisches Reich Deutscher Nation. Nord- und Ostmitteleuropa, Basel 2001.

Gottfried Wilhelm LeibnizLeibniz, Gottfried Wilhelm: Monadologie, Stuttgart 1954.

Michael Murrmann-Kahl: Der PantheismusstreitPantheismusstreit, in: Georg Essen/Christian Danz (Hrsg.): Philosophisch-theologische Streitsachen. Pantheismusstreit – Atheismusstreit – Theismusstreit, Darmstadt 2012, S. 93–134.

Heinrich Scholz (Hrsg.): Die Hauptschriften zum PantheismusstreitPantheismusstreit zwischen JacobiJacobi, Friedrich Heinrich und Mendelssohn, Berlin 1916. ND Waltrop 2004.

Aufgaben

1 Informieren Sie sich in dem Buch von Gottfried Gabriel über die erkenntnistheoretischen Debatten im Zeitalter der Aufklärung.

2 Schreiben Sie einen Essay über den Unterschied von Rationalismus und Empirismus.

3 Über welche Themen wurde in dem PantheismusstreitPantheismusstreit zwischen Friedrich Heinrich JacobiJacobi, Friedrich Heinrich und Moses Mendelssohn gestritten?

b. Die AufklärungstheologieTheologieAufklärungs-

Seit der frühen Neuzeit hatte sich das Wandel im WeltbildWeltbild grundlegend verändert. Infolge der kopernikanischen Revolution sowie der großen Entdeckungsreisen im 15. und 16. Jahrhundert wurde zuneh[55]mend deutlich, dass die Weltsicht der Bibel nicht mehr mit der der frühen Neuzeit übereinstimmt. Es kamen Völker in den Blick, die in der biblischen Darstellung der Völkergenealogien (Gen 10) keinen Platz finden. Gab es, so wurde in den Kontroversen gefragt, womöglich schon Menschen vor AdamAdam? Und wie lassen sich die Eskimos in die biblischen Völkertafeln einordnen? Die Inkongruenz zwischen der Bibel, die bis ins 17. Jahrhundert aufgrund ihrer wortwörtlichen göttlichen Inspiriertheit die grundlegende AutoritätAutorität und WahrheitsinstanzWahrheitsinstanz auch für naturwissenschaftliche Fragen darstellte, und den neuen Erkenntnissen führte im 18. Jahrhundert zu einer neuen Stellung zur Bibel. Man stand vor der Alternative, entweder die biblische Darstellung zu verwerfen oder ihr eine neue Deutung zu geben. Um unter den neuen Bedingungen an ihr als einem maßgeblichen Buch festhalten zu können, wurde sie von den aufgeklärten Theologen als ein altes historisches Dokument – als eine Urkunde aus der Kindheit des Menschengeschlechts – aufgefasst. Zeugnisse der Vergangenheit müssen jedoch mit den Mitteln der historischen Forschung erschlossen werden, damit man sie verstehen kann. Ein wichtiger Wegbereiter für die historische Bibelauslegung war Baruch de SpinozaBaruch de SpinozaSpinoza, Baruch de (1632–1677). In seinem theologisch-politischen Traktat (Amsterdam 1670) hatte er im siebenten Kapitel die Grundzüge einer grammatisch-historischen Bibelauslegung entwickelt. Spinoza votiert für eine rein historische Interpretation der Bibel und unterscheidet strikt die Frage nach dem Sinn eines biblischen Textes von der nach seiner WahrheitWahrheit. Dieses methodische Verfahren zielt auf eine EmanzipationEmanzipation der BibelexegeseBibelexegese von der Dogmatik. In der Mitte des 18. Jahrhunderts setzte sich diese Methode der Bibelinterpretation in der protestantischen TheologieTheologieevangelische, protestantische durch und führte zu einer völligen Umwälzung des überlieferten Verständnisses von Theologie. Diese etablierte sich am Ende des Jahrhunderts als professionelle Fachwissenschaft. Die wichtigsten Wegbereiter dieser Entwicklung sind der Leipziger Theologe Johann August ErnestiErnesti, Johann August (1707–1781) und vor allem Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo (1725–1791).

Die Entwicklung der Theologie im 18. Jahrhundert untergliedert man zumeist in drei Phasen: eine Übergangsphase, sodann die NeologieNeologie und schließlich den RationalismusRationalismus.

Infobox

AufklärungstheologieTheologieAufklärungs-:


1. Übergangsphase: Sigmund Jacob BaumgartenBaumgarten, Sigmund Jacob
2. NeologieNeologie: Johann Salomo SemlerSemler, Johann Salomo, Johann Joachim SpaldingSpalding, Johann Joachim (1714–1804) und Johann Friedrich Wilhelm JerusalemJerusalem, Johann Friedrich Wilhelm (1709–1789)
3. RationalismusRationalismus und SupranaturalismusSupranaturalismus:
RationalismusRationalismus: Johann Friedrich RöhrRöhr, Johann Friedrich (1777–1848), der Hallenser Theologe Johann Heinrich TieftrunkTieftrunk, Johann Heinrich (1759–1837) sowie der Königsberger Philosoph Wilhelm Traugott KrugKrug, Wilhelm Trautgott (1770–1842)
SupranaturalismusSupranaturalismus: der Tübinger Theologe Gottlob Christian StorrStorr, Gottlob Christian (1746–1805), sein Schüler Friedrich Gottlieb SüskindSüskind, Friedrich Gottlieb (1767–1829)

Der wichtigste Vertreter der ÜbergangstheologieÜbergangstheologie war der in Halle lehrende Sigmund Jacob BaumgartenBaumgarten, Sigmund Jacob. Aus dem Halle[56]schen PietismusPietismus herkommend, knüpfte er in den 1740er Jahren an die Philosophie von Christian WolffWolff, Christian an und unternahm eine behutsame Modernisierung der Theologie und des überlieferten lutherischen Lehrbegriffs auf der Grundlage einer Öffnung für historische Fragen. Zwar hielt Baumgarten an dem formalen OffenbarungsbegriffOffenbarungsbegriff der lutherischen Lehrtradition fest, aber die Offenbarung und ihr Inhalt werden von ihm mit der VernunftVernunft harmonisiert. Er ist nicht nur einer der Begründer der modernen HermeneutikHermeneutik und der wissenschaftlichen Bibelauslegung, sondern auch ein wichtiger Vermittler des DeismusDeismus in Deutschland.

Der DeismusDeismusDeismus stellt eine hochkomplexe religiöse und theologische Modernisierungsbewegung dar, die sich infolge der KonfessionskriegeKonfessionskriege des 17. Jahrhunderts in England und Frankreich herausgebildet hat. Er darf als die erste von der kirchlichen Theologie unabhängige Religionsphilosophie gelten (Ernst TroeltschTroeltsch, Ernst). Sein Grundgedanke ist die Idee einer ‚VernunftreligionReligionVernunft-‘ oder ‚natürlichen ReligionReligionnatürliche‘, die unabhängig von der biblischen Offenbarung ist und jedem Menschen als einem Vernunftwesen eignet. Für die deistischen Denker ist diese die wahre ReligionReligionwahre, während die auf Offenbarung beruhenden geschichtlichen ReligionReligiongeschichtlicheen deren Verfälschungen sind. Ihre Entstehung verdankt sich einem Priesterbetrug, die sich durch die Erfindung von Offenbarungsreligionen Macht und Einfluss sichern wollen.

Infobox

Deismus:Deismus

Die grundlegenden Bestandteile der VernunftreligionReligionVernunft- sind: 1.) eine höchste Gottheit, 2.) die Verehrung Gottes, 3.) Tugend und FrömmigkeitFrömmigkeit als der wahre GottesdienstGottesdienst, 4.) die Wiedergutmachung der Sünden durch Reue und UmkehrUmkehr, und 5.) die Überzeugung, dass aus Gottes Güte und GerechtigkeitGerechtigkeit sowohl zeitlicher und ewiger Lohn als auch zeitliche und ewige Strafen fließen. Der zuletzt genannte Aspekt setzt die Überzeugung von einer unsterblichen SeeleSeele voraus. Da sich dieser Gedanke nicht in den Schriften des Alten Testaments findet, wurden erbitterte Kontroversen darüber geführt, ob man es bei dem alttestamentlichen Judentum mit einer Religion zu tun habe. Hermann Samuel ReimarusReimarus, Hermann Samuel (1694–1768), Immanuel KantKant, Immanuel und andere bestritten den religiösen Charakter der alttestamentlichen Texte. Andere wie LessingLessing, Gotthold Ephraim oder Johann David MichaelisMichaelis, Johann David (1717–1791) versuchten, diesen Nachweis zu erbringen.

Die wichtigsten Vertreter des englischen DeismusDeismus sind Edward Herbert von CherburyCherbury, Edward Herbert (1581–1648), John SpencerSpencer, John (1630–1693), John TolandToland, John (1671–1722), Matthew TindalTindal, Matthew (1656–1733).

Wichtige Vertreter des französischen DeismusDeismus sind VoltaireVoltaire (1694–1778) und Denis DiderotDiderot, Denis (1713–1784).

[57]Die deistischen Denker, die keineswegs alle christentumskritisch waren, trieben die Entwicklung des Instrumentariums der historischen Kritikhistorische Kritik voran. Deren Bibelauslegung wurde in der Mitte des 18. Jahrhunderts von den protestantischen Theologen in Deutschland rezipiert. Allerdings war der Mainstream der deutschen AufklärungstheologieTheologieAufklärungs- nicht so radikal wie die englischen und französischen Deisten. Ihnen ging es in erster Linie um einen konstruktiven Umgang mit der historischen BibelkritikBibelkritik, der man sich, das wurde den führenden Geistern schnell deutlich, nicht entziehen konnte. Mit BaumgartensBaumgarten, Sigmund Jacob Schüler Johann Salomon SemlerSemler, Johann Salomo verbindet sich die zweite Phase der Aufklärungstheologie, die NeologieNeologieNeologie. Er ist der bedeutendste Theologe des 18. Jahrhunderts, und mit ihm kommt die historische TheologieTheologiehistorische vollends zum Durchbruch. Semler ist der erste Theologe, der die historische Bibelauslegung zur Basis einer Umformung der gesamten Theologie erhebt. Dadurch werden die Grundlagen der DogmatikDogmatik des AltprotestantismusAltprotestantismus des 16. und 17. Jahrhunderts, die Schriftlehre und das KanonprinzipKanonprinzip von ihm kritisch aufgelöst. In deren Folge kommt es zu einer Umgestaltung des traditionellen dogmatischen Lehrbegriffs. Die WahrheitWahrheit des Christentums wird mit den Mitteln der historischen Wissenschaft begründet und nicht [58]mehr durch die Offenbarung. Jesus, so zeigt es sich dem historisch geschulten Blick auf die biblischen Schriften, bringt eine neue Religion. Ihr Kern, der sie von dem Alten Testament vollständig unterscheidet, besteht in einer vernünftigen MoralreligionReligionMoral-. Sie ist nicht an äußeren Satzungen orientiert. In ihrem Fokus steht die Autonomie. Durch die von Semler vorgenommene Unterscheidung von Religion und Theologie überwindet er nicht nur den Theologiebegriff des alten Protestantismus, er treibt dadurch auch die fachwissenschaftliche Professionalisierung der Theologie voran.

Mit der Durchsetzung der historischen BibelkritikDurchsetzung der historischen BibelkritikBibelkritik in der Theologie des späten 18. Jahrhunderts emanzipiert sich die ExegeseExegese vollends von der überlieferten Dogmatik. In deren Folge entstehen historisch grundierte Bibelwissenschaften wie Einleitungen in das Alte und das Neue Testament. Die neologischen Theologen tragen die AufklärungAufklärung in die Theologie hinein, und zwar mit dem Ziel einer zeitgemäßen Umgestaltung von Christentum und Theologie. Die historische Betrachtung der Bibel ist der Ausdruck dafür, dass die dogmatische Lehrgestalt des Christentums den Zeitgenossen unverständlich geworden ist. Das kirchlich-dogmatische ChristusbildChristusbild und die kirchliche Versöhnungslehre von dem stellvertretenden Sühnetod des GottmenschenGottmensch werden ersetzt durch den Menschen Jesus von Nazareth. Er wird verstanden als Lehrer der vollkommenen Religion, die durch seine VerkündigungVerkündigung in die Geschichte eintritt.

Eine andere Wendung nimmt die Anwendung der historischen Kritikhistorische Kritik auf die biblischen Schriften bei dem Hamburger Orientalisten Hermann Samuel ReimarusHermann Samuel ReimarusReimarus, Hermann Samuel. Zwischen 1774–1778 publizierte der Wolfenbütteler Bibliothekar Gotthold Ephraim LessingLessing, Gotthold Ephraim Auszüge aus dessen nachgelassenem Werk Apologie oder Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes. Die Publikation löste einen Skandal, den sogenannten FragmentenstreitFragmentenstreit aus. Der Hamburger Gelehrte hatte nicht nur den Offenbarungscharakter des Alten Testaments bestritten, er arbeitete auch die Differenz zwischen Jesus von Nazareth und dem Christus des kirchlichen Dogmas heraus. Den Nazarener rückte Reimarus in das Judentum ein und deutete ihn als politischen Messiasprätendenten. Das ChristusbildChristusbild haben seine Jünger erfunden. Sie stahlen nach seinem Tod seinen Leichnam und verkündeten, er sei auferstanden. Die Position von Reimarus initiierte die historische Rückfrage nach dem [59]Jesus der Geschichtehistorischer Jesus, Jesus der Geschichte, irdischer Jesus. Sie forderte einen neuen Umgang mit dem Problem von Glaube und Historie. Auch Lessing hebt diese Spannung hervor. Die christliche ReligionReligionchristliche lässt sich nicht durch historische Tatsachen begründen. Entscheidend ist für den Wolfenbütteler Bibliothekar die Idee des Christentums. Sie ist eine ewige VernunftwahrheitVernunftwahrheit.

Am Ende des 18. Jahrhunderts geht die NeologieNeologie in den theologischen RationalismusRationalismusRationalismus über. Mit diesem Begriff bezeichnet man die Theologie der Spätaufklärung. Sein Grundzug ist die Behauptung, die menschliche VernunftVernunft könne den Inhalt der Offenbarung aus sich selbst schöpfen. Für die Religion ist eine Offenbarung damit nicht notwendig. Diese wird als eine sinnliche Einkleidung von Vernunftwahrheiten verstanden. Im Unterschied zum Rationalismus behauptet der SupranaturalismusSupranaturalismusSupranaturalismus die Notwendigkeit einer Offenbarung für die Religion. In der biblischen Offenbarung liegt, so seine Überzeugung, ein Inhalt vor, welcher der Vernunft nicht von ihr selbst aus zugänglich ist. Der Streit zwischen beiden Positionen dreht sich somit um den OffenbarungsbegriffOffenbarungsbegriff und sein Verhältnis zur Vernunft. Beide Parteien nehmen die Vernunft in Anspruch, beurteilen allerdings deren materiale Rolle unterschiedlich. Auch die supranaturalistischen Theologen arbeiten mit den Instrumentarien der aufgeklärten BibelkritikBibelkritik. So hat der Tübinger Theologe StorrStorr, Gottlob Christian die historische Kritikhistorische Kritik zur Begründung der AutoritätAutorität der Heiligen Schrift herangezogen. Auch der Supranaturalismus konnte nicht mehr unmittelbar auf den altprotestantischen Lehrbegriff zurückgreifen. Die sittliche Integrität Jesu und der ApostelApostel, die ReimarusReimarus, Hermann Samuel bestritten hatte, begründen diesen Theologen die NormativitätNormativität der Bibel.

Literatur

Karl Aner: Die Theologie der Lessingzeit, Halle a.d. Saale 1929.

Christoph Bultmann: Bibelrezeption in der Aufklärung, Tübingen 2012.

Albrecht Beutel: Aufklärung in Deutschland, Göttingen 2006.

Emanuel Hirsch: Geschichte der neuern evangelischen Theologie, Bd. V, Gütersloh 1954, S. 3–144.

Gotthold Ephraim LessingLessing, Gotthold Ephraim: Die Erziehung des Menschengeschlechts, in: ders.: Werke in drei Bänden, hrsg. v. Herbert G. Göpfert, Bd. 3, München/Wien 1982, S. 637–658.

Christopher Voigt: Der englische Deismus in Deutschland. Eine Studie zur Rezeption englisch-deistischer Literatur in deutschen Zeitschriften und Kompendien des 18. Jahrhunderts, Tübingen 2003.

Daniel Weidner: Bibel und Literatur um 1800, München 2011.

[60]Aufgaben

1 Lesen Sie Gotthold Ephraim Lessings Schrift Die Erziehung des Menschengeschlechts.

2 Was unterscheidet das Bibelverständnis der Aufklärung von dem der altprotestantischen Theologie? Nennen Sie grundlegende Unterschiede!

3 Informieren Sie sich über die BibelkritikBibelkritik von Hermann Samuel Reimarus.

1 919,78 ₽
Возрастное ограничение:
0+
Объем:
560 стр. 1 иллюстрация
ISBN:
9783846346136
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip

С этой книгой читают