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HEIDILAND SUCHT THE NEXT SUPERCHRIS

Wenn ich wieder mal einen Schwächeanfall habe oder der kollektive Weltschmerz an mir zerrt, denke ich, ich sollte mich möglicherweise langsam damit befassen, meinen Nachlass zu regeln und einen Nachfolger zu suchen. Ich weiss auch schon wie. Castingshow – what else? Jeder, der bei Heidi Klum nicht in die Kränze kam, darf sich bei mir vorstellen. Heidi bekommt die Schaufensterpuppen und ich die wahren Schönheiten.

Bis vor Kurzem hatte ich ein gutes Gefühl beim Namen Heidi. Ich dachte an diese herrliche Geschichte von Johanna Spyri, an die Berge, an Zöpfchen, an feines weisses Brot und an ein kleines, freches, lebendiges Mädchen. Blöderweise steht heute derselbe Vorname für diese blonde, kalte, teutonische Knallcharge. Ich gebe es zu, das gestrenge, unschöne TV-Model »mit dem laubgesägten Gouvernantenprofil, die kleine Mädchen zum Weinen bringt« (Roger Willemsen), hat mich schon immer befremdet. Ich sehe nur Dollarzeichen in ihren Augen und Heidis Umgang mit den Möchtegernmodels, denen sie einen Traum verkaufen will, den es so gar nicht gibt, ist mehr als fragwürdig. Das wäre ja weiter nicht so wichtig, wenn nicht Tausende von ganz jungen Menschen diesen von ihr verbreiteten antiseptischen, desinfizierten Schönheitsidealen, die sie eh nie erreichen können, mehr krampfhaft als freudig nacheifern würden, und dann im Ernst noch glauben, dies sei der wahre, neue Beauty-Gospel. Ich kann dazu nur sagen: Bleibt euch selbst treu, schöne Schweizer- und Germaninnen!

Ja, die Sache mit der Schönheit ist eine Religion für sich. Jeder Mensch legt sich dafür mehr oder weniger ins Zeug. Für uns Männer hält sich der Aufwand meist in Grenzen: Das Kinn entstoppeln, ein bisschen zu den Hand- und Fussnägeln schauen, damit sie keine Trauerränder tragen, die Beisserchen und das Zahnfleisch schön putzen, etwas Handcreme und ein feines Schmöcki, dann vielleicht noch die eine oder andere Liane aus Augenbrauen, Nase oder Ohren zupfen. Geschätzter Wochenaufwand: zirka eine Stunde.

Die Frauen hingegen sind einem beachtlichen Entscheidungsprozess ausgeliefert, was sie alles an sich bearbeiten (lassen) wollen. Enthaarungsprozeduren querbeet, Haare tönen, Augenbrauen und Wimpern färben, Nägel feilen, lackieren, aufkleben und wieder ablösen, mit oder ohne Bildli drauf, Gesichtsmasken, Lippenstift, Lidschatten, straffende Gymnastik, um den drohenden Zellulitis-Blues hinauszuzögern, das gelegentliche Botoxli, eventuell sogar noch das eine oder andere Silikonhämpfeli …

Bei Frauen, die sich gezwungen sehen, das volle Programm inklusive wöchentliches Kleidershopping mitzumachen, kann das annähernd zur Lebensaufgabe werden. Abgesehen vom finanziellen Unterhalt der bemühten Schönheit, beschäftigt mich der Gedanke an die zeitlichen Aufwendungen. Für so einen Rundum-Service mit allem Drum und Dran gehen doch etliche Wochenstunden drauf. Irgendwo geht diese Zeit ab. Wem wird sie gestohlen? Sich selber? Dem Freund, den Kindern, dem Job oder dem Haushalt? Der Gartenarbeit oder der Lektüre? Oder gar dem Gemeinschaftswohl?

Während man es sich – was die fleischliche Fassade betrifft – vorbehaltlos wert ist, scheint eine andere Schönheit beschämend wenig Pflege verdient zu haben: Zwei, drei laue Frühsommerabende genügen, um unsere Paradiese in Müllhalden zu verwandeln. All die lauschigen Stellen am Aareufer, die mit viel Bagage noch einigermassen bequem zu erreichen sind, werden innert Stunden mit Getränkeflaschen und Foodbehältnissen bestückt. Man bringt zwar die Kraft auf, die vollen Taschen hinzutragen, aber für den Abtransport des Leergutes ist man zu schwach. Die Vorher-Nachher-Eindrücke sind schockierend. Und man sieht Menschen an den Stränden sitzen und liegen, die ihre in mehrstündiger Akribie polierten Karrosserien präsentieren. Gepflegte Frauen und Männer hinterlassen ein Bild der Verwahrlosung. Sie nehmen in Kauf, dass sich planschende und sändelnde Kinder möglicherweise ihre Füsschen an geöffneten Konservendosen zerschneiden oder sich in eine Glasscherbe legen. Und vor allem scheinen sie blind für die Schönheit der Natur zu sein. Vermutlich wurden sie nur vom kühlen Nass angelockt und nicht vom Zauber des Ortes. Sonst wären sie bemüht, ihn mit Respekt zu behandeln.

Ein guter Wanderer hinterlässt bekanntlich keine Spuren. Um die Schönheiten anderer zu sehen, sei es Mensch, Tier oder Natur, braucht es eben kein geschminktes Auge, sondern ein gepflegtes Herz. Vielleicht sollte man dort ein bisschen sälbeln. Wenn es dann noch heisst, dass jährlich 6,4 Millionen (!) Tonnen Abfall in die Weltmeere gekippt und auf jedem Quadratkilometer mittlerweile 46000 Stück Plastikmüll verteilt werden, reichen wohl Salben nicht mehr.

Wer soll bloss all die Säuniggel zur Einsicht bewegen? Für mich ist diese Herausforderung leider eine Nuance zu gross. Ich gebe zwar mein Bestes, hier »meh Dräck« in »weniger Dräck« umzuwandeln, aber mein Nachfolger, der kann’s dann vielleicht richten. Bewerber, die eine möglichst telegene Methode zur Vernunfteinflössung im Köcher haben, sollen sich bitte umgehend vertrauensvoll an mich wenden! Auf Heidi und ihre Grazien ist da vermutlich kein Verlass. Wahre Schönheit ist eben nicht ihr Business.

DIE GESTÜRZTEN LEHRER

Es war einmal ein Lehrer, der pflegte stundenlang begeistert von den Bauernhäusern im Emmental, Entlebuch und Engadin zu erzählen. Er beschrieb strohgedeckte Holzhäuser am Jurasüdfuss, Walliser Schieferdachhütten und vieles andere mit solcher Inbrunst, dass die Schüler nach ihrem Empfinden den offiziellen Schulstoff bloss nebenbei aufnahmen. Heute wäre ein solcher Unterricht wohl ein Kündigungsgrund. Die Schweiz wird von einer Professionalisierung der Schule erschüttert. Nicht die Lehrer, sondern Gremien von Bildungsexperten und Ausseninstanzen entscheiden über Bildungsinhalte und Lehrmethoden. Persönliche Vorlieben des Lehrpersonals gehören nicht mehr ins Klassenzimmer. Um höhere Pisawerte zu erreichen, wird die Schule anonymisiert. Unterrichten soll kein persönlicher Akt mehr sein, sondern eine vom Staat regulierte Tätigkeit. Chancengleichheit ist das oft gehörte Zauberwort. Die Frage, ob Sprösslinge einer ländlichen Gegend mit einer Handvoll Bauern- und Einfamilienhäuser der gleichen Art Förderung bedürfen wie jene der Ballungszentren, bleibt aussen vor. Bildungspolitik wird in städtischen Büros gemacht. Wer melken kann, aber ohne Handyempfang lebt, wird in einen Topf geworfen mit dem kleinen Internetjunkie, der nur linke Hände hat. Item.

Alle Jahre wieder geht die Mehrheit der Kinder in kuhblickiger Erwartung auf das »Programm« in die Schule. Nicht nur die kindliche Neugier ist für eine produktive Lernatmosphäre erforderlich, sondern auch diejenige der Lehrkraft. Denn häufig sind die Sternstunden nicht die sorgsam vorbereiteten und durchdachten, sondern das, was sich spontan ergibt. Die Planung sollte über den Haufen geworfen werden, falls ein magischer Moment die schulischen Hallen betritt. Wenn zum Beispiel ein Lehrer die Gabe hat, anhand der Pizzeria nebenan locker die Weltwirtschaft zu erklären, wird der Schüler kaum unter dem Pult simsen. Man kann noch so originelle, vierfarbig gedruckte und in anbiedernd moderne Sprache verfasste Lehrmittel nach neuzeitlichen pädagogischen Methoden lancieren – der Effekt ist vergleichsweise gering.

Der Jugendpsychologe Allan Guggenbühl erkennt: »Schule geben bedeutet Arbeit mit Menschen – die reagieren je nach Situation, persönlichem Lebenshintergrund und Motivation anders. Eine in ein Schema gepresste Vereinheitlichung kommt nicht gut. Die einzigen Profiteure der Gleichmachung des Schulsystems sind die Bildungsexperten und Bürokraten, weil sie nach herbeigeredeter Bildungskatastrophe dann als Retter und selbst deklarierte Elite die Schullandschaft beeinflussen können.« Hierzulande macht der kollektive Irrtum, dass es ohne höhere Bildung kein Leben gäbe, die ganze Sache noch schwieriger.

Meine Tochter kommt bald in die fünfte Klasse der hiesigen Steinerschule. Letzthin wurde sie mit dem völlig überraschenden Tod ihrer noch jungen Lehrerin, einem Engel von Mensch, konfrontiert. Für die Kinder war das ein grober Einschnitt und ein Riesenverlust, doch sie wurden aufgefangen. Hilfsbereitschaft und Feeling der ganzen Lehrerschaft waren extrem beeindruckend. Es gab eine Aareinsel-Abdankung und den Schülern wurde sorgsam nähergebracht, dass der Tod auch zum Leben gehört, kein Schreckgespenst sein muss, und dass es ihrer Lehrerin jetzt nicht schlecht geht. Vor allem WIR mussten mit diesem harten Umstand fertig werden. Man spürte, dass alles im Leben zusammenhängt und es nicht egal ist, wie man mit sich, mit anderen oder der Umwelt umgeht. Nichts ist gleichgültig auf dieser Welt und ich finde es grossartig und berührend, wenn solche Werte vermittelt werden an den Schulen. Wo denn sonst? Die Kinder verbringen oft mehr Zeit mit den Lehrkräften als mit ihren Eltern. Gerade wenn es um Wertevermittlung geht, sind charismatische, gut geerdete Personen vonnöten. Diese Tatsache bewirkt meiner Meinung nach aber auch den Overkill. Leidenschaft ist schwer vereinbar mit gleichgeschaltetem Lohnempfängertum, Obrigkeitshörigkeit und Gehorsam. Wer artig seine Schäfchen zurückstellt, um tagelang um triviale Formulierungen für Schulleitbilder zu ringen, der schafft wahrlich Bilder des Leids.

Müsste ich noch einmal zur Schule, dann würde ich mir einen Lehrer wünschen, der sich ins Zeug redet, sich mal vergisst, der selber eine Saufreude hat an der Werkarbeit und wie sie gelungen ist. Einer, der auf den Tisch haut, wenn ihm etwas unverschämt dünkt, aber auch nicht geizt mit Entzücken, wenn klein Anna ihre Angst vor dem Reck überwunden hat und um die Stange flitzt oder der linkische Kevinski einen Eigenlauf im Brennball schafft. Kurz und bündig: Ich möchte einen lebendigen Menschen vor mir haben, dem wir nicht am Allerwertesten vorbeigehen. Ich weiss, es gibt sie, genau diese LehrerInnen, und die Kids werden nicht wegen, sondern trotz der modernen Lehr- und Lernformen gute Schüler und Menschen.

DIE KUSCHELKRISE

»I just wanna feel real love«, singt Robbie Williams und ich glaube es ihm. Ich würde es jedem glauben und misstraue denen, die das Gegenteil behaupten. Fühlen findet nicht im Kopf statt – oder doch? Die menschliche Haut als Sinnesorgan wird jedenfalls permanent kaltgestellt. Jetzt im Winter erst recht. Meine Füsse spüren nur Socken. Mit Schal und Kragen hindere ich den Wind daran, über meinen Nacken zu streichen, und auch der Rest des Körpers muss sich mit dem Wäschegefühl begnügen. Auf meinen Spaziergängen streiche ich nicht, wie im Sommer, da und dort mit der Hand über einen Baumstamm und ich hebe keinen Stein vom Boden auf, um ihn eine Weile zwischen den Fingern zu drehen. Mein Körpergefühl befindet sich im zwangsverordneten Winterschlaf und leidet unter der Sinnesdiät. Vermutlich nicht nur meiner …

Das Körperelend beginnt leider oft sehr früh – bei der Ankunft im grossen Theater, das wir Leben nennen. Wer die göttliche Mutterbrust und reichlich zärtliche Zuneigung spürt, geht nicht nur immunsystemtechnisch gestärkt ins Rennen, sondern er bekommt ein natürliches Feeling von körperlicher Nähe, Wärme und Geborgenheit. Ich halte dies für einen komplett unterschätzten Faktor in der Liebes- und Bindungsfähigkeit des Menschen. Es ist eine grosse Ungerechtigkeit im Leben, dass gewisse Mütter durch eigene Leidenserfahrungen unfähig sind, ihrem Kind natürliche körperliche Zuneigung, Geborgenheit und Wärme zu geben. Da können später auch Seelenklempner, Kuschelseminare und Familienaufstelldruiden nicht mehr viel dran ändern. Die Distanz zum eigenen und zum anderen Körper bleibt meist erhalten. Es ist auch interessant zu erleben, welche Menschen, egal ob Mann oder Frau, man ganz natürlich umarmen kann und welche nicht.

Mehr als sein Mund erzählt mir oft der Händedruck eines Menschen. Mein Gott, gibt es komische Berührungen! Kennen Sie den »Pudding Handshake«? Man ergreift eine Hand, die lascher und willenloser ist als eine Qualle im Strudel des ewigen Auf und Ab der Gezeiten! Wie muss sich dieser Mensch fühlen und in der Welt stehen? Was hat er durchgemacht? Was wagt er? Was lässt er sich gefallen? Es gibt auch den überharten, besitzergreifenden Händedrücker, jenen, der glaubt, er müsse einem jeden Finger einzeln zermalmen oder wie eine Zitrone auspressen. Ich hasse diese Grobspäne, die ihre Finger-PS nicht im Griff haben. Am schlimmsten aber empfinde ich jene, die dir zuerst freundlich oder pflichtbewusst die Hand entgegenstrecken, aber dann ist da so eine harte, knochige, abgewinkelte, verkrampfte Ecke drin. Ein kalter Schauer fährt mir den Rücken hinunter. So ein Abturner! Ich stelle mir vor, wie das beim Küssen oder im Bett daherkommt … Dabei wäre es etwas Grosses und Schönes, einander die Hände zu reichen! Sei gegrüsst! Yes! Yo! Einverstanden! Ehrenwort! Abgemacht! Tschüss!

Das Thema hat mich so beschäftigt, dass ich mit Krokus einen Song, der »Rock ’n’ Roll Handshake« heisst, machen musste. Aber wie befreit man Körper und Geist von Altlasten und Vereisungen? Wie viele Umarmungen braucht es, um einen Eisberg zu schmelzen?

Das Internet ist eine riesige niederschwellige Kontaktbörse. Ich könnte jetzt vielleicht eine halbe Filmlänge mit ein paar unkomplizierten Frauen chatten und hätte dann bestimmt eine Bettflasche für heute Nacht aufgestöbert. Aber das wäre bloss irgendein Hautkontakt, keine Gefühlstiefe und nicht die wahrhaftige Liebe und das Zuhause, nach dem es den Menschen von der Wiege bis zur Bahre dürstet. Denn das gibt es leider nicht in jeder virtuellen Wühlkiste zu pflücken wie die Beeren vom Strauch. Zu viel Blabla und unverbindliche Worte. Heute gesagt, morgen vergessen! Zu selten folgen Taten und Berührungen, die aus der Tiefe der Herzen kommen, stärken, nähren und tragen. So steigt das Misstrauen und die Kälte gewinnt Land.

Es soll Menschen geben, die täglich und nächtlich vor dem Bildschirm an ihrem Facebook-Persönlichkeitsprofil herumschrauben, um damit virtuelle Freunde zu sammeln, als wären es Briefmarken oder Cumuluspunkte, für die man eine Prämie bekommt. So sitzen sie einsam vor dem elektronischen Familienersatz. Das hat bestimmt Vorteile, da der Bildschirm einem nichts abverlangt. Er hinterfragt und reklamiert nicht und will keine Erklärungen. Echte Freunde tun das aber. Sie fördern und fordern einen und sind anstrengend. Aber ein tiefer Blick in die Augen, eine innige Umarmung oder ein Kuss sind andere Werte – ewige Werte. Und die mühsamen Auseinandersetzungen sind mitunter genau das, was den lethargischen Menschen aus dem Primatenstatus erhebt.

I Ich bin fast sicher, dass der virtuelle Vernetzungshype bald den Höchststand erreicht hat und eine neue Back-to-the-roots-Generation in den Startlöchern steht, die null Bock hat, nur ein Sklave der technischen Leibgarde zu werden. Denn solange es Menschen gibt, wird es in ihnen singen: »Come on, hold my hand, I wanna contact the living …«

I PHONE, ALSO BIN ICH!

Ich gebe zu, dass für mich das iPhone von Apple die genialste Erfindung seit der elektrischen Gitarre und Coke ist! Es ist ein tragbarer Minicomputer vom Feinsten und extrem benutzerfreundlich. Das Zauberteil hilft mir wirklich, mein Leben zu vereinfachen und ein eigenes Meh-Dräck-App hab ich auch schon. Trotzdem ist der, der etwas erreicht hat, nicht ständig erreichbar. Umso öfter ich das Wunderding weglege, umso mehr freue ich mich, es wieder zu benutzen.

Kürzlich las ich in einer Zeitschrift einen Bericht über einen Mann namens Jack, kinderlos, in einer Beziehung lebend, mit einer überbordenden Liebe zur Technik. Er nutzte alle Funktionen, die sein Handy bot. Das Teil verwaltete sozusagen sein ganzes Leben und Jack hatte die Welt in der Tasche. Seine Beziehung verformte sich schleichend zu einem Dreieck: Jack, seine Freundin und das iPhone. Das reinste Horrorszenario!

Wer heute ein Telefon kauft, erhält in Taschenformat ein Gerät, das ausser einem Reservefallschirm beinahe alles beinhaltet. Der Umgang damit wird zum Eiertanz. Die Ausgeburten dieser Möglichkeiten und der permanenten Erreichbarkeit machen Freude, aber auch viel Druck. Man verabredet sich spontan und hat die Möglichkeit, ebenso spontan nicht zu erscheinen. Eine simple short message befreit einen, wenn sich die Lust auf ein Date urplötzlich verflüchtigt hat. Gewisse charakterlose Erdenbewohner beenden sogar Beziehungen via SMS. Das Leben mancher Menschen droht im wahrsten Sinne des Wortes drahtlos zu werden.

Ich mag Spontaneität. Wenn es darum geht, mit meinen Liebsten im Affekt eine Nachtwanderung zu unternehmen, ein Lagerfeuerchen zu entfachen, spontan nochmals unter die Decke zu kriechen oder einen Film reinzuziehen. Wenn ich einmal nicht mehr Spass habe an diesen Dingen, dann ist für mich klar, dass ich alt geworden bin, und ich gehe mir einen dieser reizenden Gehstöcke aussuchen, die sie in der Apotheke anbieten. Es gibt ganz herzige mit eingeritzten Müsterlis. Anyway: Nach dem Motto »jetzt oder nie« greife ich gern spontan zum Telefon, wenn ich an jemanden denke, den ich länger nicht gesprochen habe, obwohl er mir gefühlsmässig nahesteht. Umgekehrt freue ich mich über einen unerwarteten Anruf oder eine SMS, die eigentlich nur eines sagt: Ich denke gerade an dich, habe dich nicht vergessen. Du magst weit weg sein, aber meine Gedanken sind mit dir. Salem Aleikum!

Es ist noch gar nicht so lange her, da waren die Telefone fest in der Wand verankert und ihre Nutzung ein sehr bewusster Prozess. Man musste sich zum Gerät hinbegeben und konnte nicht gleichzeitig baden, tippen, rüsten oder Kaffee machen. Jede Nummer wurde einzeln per Drehscheibe gewählt, verheddern bedeutete, von vorn anzufangen. Es gab keine Korrekturfunktion und keine programmierten Nummern. Die mussten in einem Büchlein herausgesucht werden. So wartete man als Anrufer einen geeigneten Zeitpunkt für das Telefonat ab und war sich meistens auch der Situation des Angerufenen bewusst. Es gehörte sich nicht, um die Mittagszeit in einem Privathaushalt anzuläuten, denn dann wurde gegessen oder gekocht und das war heikel. Die von allen ersehnte Speise sollte ja nicht am Pfannenboden hocken bleiben, weil man wegen des Klingelns abgelenkt wurde und den Herd verlassen musste. Auch spätabends galt es als unanständig, es schrillen zu lassen, denn das weckte unter Umständen die ganze Familie auf. Ein Ausschalten oder gar lautlos stellen des Apparats gab es nicht. Weil der Akt des Telefonierens ein so heikler war, bemühte man sich, ihn zu vermeiden. Termine wurden längerfristig abgemacht, damit man nicht extra anläuten musste. ABMACHEN – versuchen Sie das einmal ihren Kindern beizubringen! Bei vielen Jugendlichen ist es wirklich oft zum Kopfschütteln. Sie sehen sich in der Schule und auf dem Heimweg, aber sie machen nicht ab. Kaum zuhause angekommen, wird telefoniert und gesmselt. Und wenn sie dann einmal »längerfristig« abgemacht haben, wird nachgefragt, ob es denn jetzt tatsächlich stattfinde. Sie scheinen dem Display des Gerätes mehr Glauben zu schenken als dem Mund des Mitmenschen. Ich halte es übrigens nicht nur bei jungen Menschen für eine Saumode, einander hinzuhalten und abzuwarten, ob man zum entsprechenden Zeitpunkt nicht unter Umständen ein heisseres Eisen im Feuer hat.

Mein erstes Handy hatte die Form eines Kleinkoffers. Der Hörer hing an einem Kabel und die Tastatur leuchtete knallgrün – wenigstens für eine halbe Stunde. Es war der neue Thrill schlechthin, irgendjemanden von irgendwoher aus anzurufen, auch wenn man nicht viel Wichtiges mitzuteilen hatte. So konnte ich aber jemanden frühzeitig davon in Kenntnis setzen, wenn ich aufgrund irgendeiner Panne oder eines Staus zu spät zum vereinbarten Treffen kam. Der Wartende vermochte abzuwägen, ob er in aller Ruhe einen Kaffee trinken gehen möchte oder ob man das Treffen verschieben will.

Heute hat der Homo sapiens, wo er auch wandelt, mindestens ein mobiles Phone im Sack. Er verfügt über die Möglichkeit, sich jederzeit bemerkbar zu machen und mitzuteilen. Aber er zweckentfremdet sein Gerät gerne dazu, völlig sinnfreie und nutzlose Sauglattismen durch den Äther zu spedieren. Eigentlich fehlt bloss eine Sache an diesen Allerweltsgeräten: Der Zapfhahn – damit man rasch per Internet ein Bier bestellen und es auch gleich rauslassen kann. Das ist den Elektronikdruiden offenbar noch nicht gelungen. So schütteln wir die virtuellen Harribo Gummibärchen in unseren Rachen und freuen uns, dass die Bauchblähungen ausbleiben. Der Appetit bleibt. Der Appetit auf das richtige, fassbare Leben.

KAUF JETZT – BEZAHLE NIE!

Politiker und Zentralbanken spülen gerne weich, erzählen Märchen – damit die Bürger besser schlafen können. Sie sagen: Wir können mit künstlich erzeugtem Geld Wohlstand schaffen und nebenbei den Euro und den Dollar retten. Das klingt so, als müssten wir einfach nur einem als Kröte getarnten Prinzen ein teures Küsschen aufdrücken und alles wird gut. Zu schön, um wahr zu sein! In Wirklichkeit mästen wir eine hässliche Kröte namens Staatsverschuldung und fast niemand weltweit tut ernsthaft etwas dagegen. Diese Kröte müssen spätestens unsere Kinder schlucken und sie wird sich sicher nicht in einen Prinzen verwandeln.

Wenn man das Theater an den Finanzmärkten betrachtet, kann einem schon mal trümmlig werden. Die normal arbeitenden Menschen merken überhaupt nicht mehr, was da abgeht. Wer verliert? Wer gewinnt? Was jetzt? Sind unsere Ersparnisse und Jobs noch sicher? Um dieses böse Spiel etwas besser zu verstehen, müssen wir zuerst einmal die Geschichte des Geldes kennen.

Bevor es Geld gab, tauschten die Menschen Sachen, die sie brauchten, oder sie machten sich nützlich für andere, um dafür etwas zu bekommen. Man musste jedoch zuerst jemanden finden, der genau das hatte, was man wollte und dafür etwas möchte, was man selbst anbieten konnte. Bald erfanden die Menschen das Zwischentauschmittel. Alle Dinge, die für wertvoll befunden wurden, konnten als Geld verwendet werden. Das waren etwa Gold, Edelsteine, Muscheln, Tierzähne und auch Korn, Salz und Pfeffer und man nannte es Natural- oder Warengeld. Jemand kam dann auf die Idee, aus Gold und Silber Scheibchen zu machen, die ein gewisses Gewicht und Wert hatten: Münzgeld!

Die ersten Münzen wurden um 700 vor Christus von den Lydern geschlagen – Münzen mit dem Abbild von König Krösus. Sie hatten den Vorteil, die immer gleiche Grösse, das gleiche Gewicht und das gleiche Aussehen zu besitzen und statt zu wiegen, konnte man sie abzählen. Bald schon kamen dann aber die Scheidemünzen auf den Markt, deren Wert als Zahlungsmittel höher war als ihr eigentlicher Kapitalwert. Das war der Anfang des Kreditgeldes, das man auch schlechtes Geld nannte.

Etwa im 11. Jahrhundert in China und 1483 in Spanien tauchte das erste Papiergeld auf, eine Art Gutschein, den man gegen Münzgeld eintauschen konnte. Wenn man also etwas ganz Teures kaufen wollte, musste man nun keinen Lastkarren voller Münzen mehr durch die von Räubern verunsicherten Gebiete schleppen. Die Banken gaben Wertscheine, Noten mit ihrem Siegel, die den Wert einer grossen Summe bestätigten. Das erleichterte vieles, der Gegenwert lag auf der Bank und es gab nur eine beschränkte Menge Geld. Die Geldinstitute achteten gut darauf, nicht zu viel Geld zu drucken, damit jederzeit die Möglichkeit bestand, das Papier wieder gegen Münzgeld einzutauschen.

Bald jedoch begannen die Banken mit der Unart, Gelder in Umlauf zu bringen, die gar nicht gedeckt und physisch existent waren. Mit der Aufhebung der Golddeckung löste sich auch der Geist des Geldes endgültig von seinem materiellen Körper und offenbarte seine abstrakte Grösse. Anfangs versuchten die Ökonomen noch, den Wert des Geldes am Bruttosozialprodukt eines Landes zu messen. Doch bald war ihnen auch diese Sichtweise zu eng. Geld war nur noch durch Geld gedeckt. Das Papiergeld ist heute auch eher ein Relikt der Vergangenheit. Mittlerweile sind nur noch etwa fünf Prozent des gesamten Geldes Scheine und Münzen. Das eigentliche Geld ist zu einer digitalen Zahl geworden, die in den Rechnern der Banken wohnt, und wenn da über diese Zahlen leise gesprochen wird, so hat es die Anmut einer christlichen Beichte. Der erhoffte Anstieg des Bankkontos gleicht einem Glaubensbekenntnis. So leitet sich das Wort Kredit von dem lateinischen credo ab: Ich glaube.

Eine Kamikazebuchhaltung führte in Amerika und Europa zu einer fatalen, staatlich organisierten Ausgaben-Verantwortungslosigkeit, deren Wirkung wir jetzt zu spüren bekommen: Das Währungsproblem ist ein Schuldenproblem. Längst schon wütet der Slogan: buy now – pay never! Kauf jetzt – bezahle nie! Das ist eine Haltung, die es so noch nie gab. Ganze Länder können ihre Schulden nie mehr bezahlen. Und es hilft natürlich auch nicht, dass einige wenige dieser Welt fast alles Geld unter ihrer Kontrolle haben. Die weltweite Balance ist völlig aus den Fugen geraten. Manche schwimmen im Geld, kaufen alles auf, wie im Monopolyspiel, anderen fehlt es am Allernötigsten. Randale wie in England sind vorprogrammiert, denn ein Grossteil der Jugend folgt nicht mehr der Erkenntnis: »Ich denke, also bin ich«, sondern, »ich bin nur, wenn ich kaufe«. Die Grundregeln der Economy an der Grundschule einzuführen, wäre sicher keine schlechte Idee, dafür kann man ein paar nutzlose andere Fächer streichen.

Im Originalmärchen der Grimmbrüder wird der Frosch übrigens nicht geküsst, sondern an die Wand geworfen. So etwas ist politisch kaum durchsetzbar, aber mehr Kostenvernunft und eine gesunde Marktwirtschaft ist absolutes Muss. Wir sollten beim Schuldenmachen und Gelddrucken immer an die Kröte denken – und an unseren Nachwuchs.

GEIST IST GEIL!

Zuweilen sind wir alle dumm. Aber glücklicherweise nicht zu sehr, um nicht zu merken, dass wir dumm sind. Ich jedenfalls bemerke es dann und wann, dass ich wieder irgendeinem Hornochsenspiel zum Opfer gefallen bin. Irgendwem bin ich auf den Leim gegangen, habe auf eine Provokation reagiert, deren einziger Zweck darin bestand, mich zur Reaktion zu bewegen. Oder ich habe da oder dort etwas zu teuer bezahlt. Manchmal habe ich es geschafft, sofort aus meinen Fehlern zu lernen, aber ab und zu brauchte es ein zweites Reinrasseln. Es bewegt mich trotzdem immer wieder, wenn ich sehe, wie wenig Hang zur Logik manchen Mitmenschen eigen ist.

Kürzlich »gewann« eine liebe Freundin von mir durch die Verkettung unglücklicher Umstände eine Matratzenreinigung. Nach zwanzig Minuten war die Schlafunterlage bearbeitet. Trotzdem brauchte sie anderthalb Stunden, um diesen Reinigungsdruiden wieder aus dem Haus zu bugsieren. Natürlich hatte er diese Aktion nicht aus unverdünnter Nächstenliebe gegeben, sondern aus wirtschaftlichem Kalkül. So appellierte er an ihre Liebe zur Sauberkeit, versuchte in ihr Ekel zu wecken gegen die urkleinsten Mitbewohner, die sich an ihrem Haushalt gütlich tun und er schraubte sich dermassen hoch, dass die Gute meinen musste, das Lebensglück eines jeden Erdenbürgers sei unmittelbar vom Besitz einer derartigen Putzmaschine abhängig. Sie bot ihm wohlweislich keinen Kaffee an und stellte keine Fragen, um den Kerl nicht noch mehr in Fahrt zu bringen. Aber er drängte ihr dann trotzdem den Preis dieser Maschine und – ohne Luft zu holen – gleich noch ein Angebot zur Finanzierung auf. Fast dreieinhalbtausend Stutz sollte das Teil kosten! Sie fragte ihn aus purer Neugier, wie viele Menschen denn so ein Ding auf Abzahlung kaufen würden. Die Antwort schockierte sie. Der Anteil der Barzahler liege lediglich bei vierzehn Prozent, beschied ihr der Jubelperser. Da lassen sich also fast neun von zehn Menschen derart bequasseln, dass sie sich zu monatlichen Festausgaben von dreihundertfünfzig Franken verpflichten?! Sie könnten genau so gut jeden Monat einen neuen Staubsauger kaufen – geputzt werden muss so oder so.

Ich empfinde für Menschen dieser manipulativen Sorte keine rühmlichen Gefühle. Wer andere am Portemonnaie oder an der Psyche nötigt und drangsaliert, erntet von mir Verachtung. In so einem Handel wäre ich von vornherein unbrauchbar. Ich kann zwar gut reden und auch leidenschaftlich überzeugen, müsste ich jedoch Waschmaschinen verkaufen, dann würde ich die Kunden fragen, ob sie wirklich so genau Bescheid wissen müssen, wie schwer die Wäsche ist, wie lange der Waschgang voraussichtlich noch dauern wird und ob sie tatsächlich fünfzehn verschiedene Waschprogramme benötigen. »Tun Sie sich das nicht an«, höre ich mich sagen, »die Billigere – ich habe die Billigste für vierhundertvierzig Franken – tut’s längstens. Gehen Sie lieber zwölf Mal mit Ihrem Liebsten essen!«

Ich wünsche mir generell mehr Herz und Geist. Was manche Menschen für einen Umgang untereinander pflegen, erschreckt mich. Sei es auf der Strasse, in Beziehungen, beim Einkaufen, in der Werbung oder auf fast allen TV-Kanälen. Das Fernsehen macht’s vor und der Bürger nach: Ich verabscheue diese Dumm- und Grobheiten, vor allem gegen Kinder. »Mach’s mit Stil oder lass es si – Manhattan oder nöd«, singt Bligg. »Man hat ihn oder nicht.« Es ist eine Ode an den Stil und die Art, wie etwas daherkommt. Man kann nicht lange vortäuschen, was nicht in Seele und Gemüt gewachsen ist. Stil zeigt sich in der Art, wie man spricht und wie man mit dem Leben im Allgemeinen umgeht. So tut’s mir schaurig wohl, wenn nach zig Dumpf-gummi-Ablöscher-Belanglos-Popsongs wieder mal edles Textmaterial an mein Ohr dringt.

Ich bin heute in einem Alter, wo man mich mit oberflächlicher Coolness, Zynismus und Übermut nicht mehr zu faszinieren vermag. Langjährige Weggefährten sind da anders. Sie beeindrucken mich dadurch, dass sie eben langjährig loyal, aufrichtig, geistreich und herzvoll sind – auch in belastenden Situationen. Sie haben es sich nie herausgenommen, andere zu treten, weil sie gerade einen schlechten Tag, die Mens, ungünstige Mondphasen oder eine kolossale Steuerrechung haben. Sie waren einfach da – verlässlich, unaufgeregt und echt. Sie verblüfften mich, liessen mich lachen, nachdenken und brachten meinen Geist zum Schwingen und Jubilieren.

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