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Читать книгу: «Denkwürdigkeiten des Pickwick-Klubs», страница 5

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»Wie – ist es Ihr Ernst?« sagte dieser, als er das Geflüster vernommen hatte.

»Mein vollkommener Ernst«, versetzte Doktor Slammer.

»Sie müssen ihm auf der Stelle einen Fußtritt geben«, murmelte der Eigentümer des Feldstuhles mit großer Wichtigkeit.

»Seien Sie ruhig, Payne«, vermittelte der Leutnant. »Erlauben Sie mir gütigst die Frage, mein Herr«, sagte er, sich an Herrn Pickwick wendend, der sich durch dieses höchst unhöfliche Zwischenspiel sehr beleidigt fühlte – »wollen Sie mir gütigst die Frage erlauben, mein Herr, ob diese Person zu Ihrer Gesellschaft gehört?«

»Nein, mein Herr«, erwiderte Herr Pickwick. »Er ist unser Gast.«

»Er ist einm Mitglied Ihres Klubs – oder irre ich mich?« fragte der Leutnant.

»Nein, gewiß nicht«, antwortete Herr Pickwick,

»Und trägt er nie Ihre Klubknöpfe?« fragte der Leutnant weiter.

»Nein – nie!« versetzte der erstaunte Herr Pickwick.

Leutnant Tappleton wandte sich an Doktor Slammer mit einem kaum bemerkbaren Achselzucken, als wollte er damit andeuten, daß ihm seines Freundes Gedächtnis zweifelhaft vorkäme. Der Doktor sah zornig, aber verwirrt aus, und Herr Payne starrte wild in das strahlende Gesicht des staunenden Pickwick.

»Mein Herr«, begann der Doktor, sich plötzlich an Herrn Tupman wendend, in einem Tone, der diesen Gentleman ebensosehr erschreckte, als hätte ihn plötzlich eine Natter in die Ferse gestochen – »Sie waren gestern abend auf dem Ball?«

Herr Tupman antwortete mit einem schwachen »Ja«; fortwährend auf Herrn Pickwick blickend.

»Diese Person war Ihr Begleiter?« fragte der Doktor weiter, auf den Fremden deutend, der keine Miene verzog.

Herr Tupman gab es zu.

»Nun, mein Herr,« sagte der Doktor zu dem Fremden, »ich frage Sie noch einmal in Gegenwart dieser Herren, ob Sie mir Ihre Karte geben und als Mann von Ehre behandelt sein, oder ob Sie mich in die Notwendigkeit versetzen wollen. Sie auf der Stelle persönlich zu züchtigen?«

»Halten Sie inne, mein Herr«, sagte Herr Pickwick; »ich kann wirklich nicht dulden, daß die Sache weiter getrieben wird, ehe Sie mir irgendeine Auskunft geben. Tupman, erzählen Sie den Vorfall!«

Also feierlich aufgefordert, berichtete Herr Tupman die Sache mit wenigen Worten. Das Entlehnen des Rockes berührte er nur leicht: einen großen Nachdruck legte er darauf, daß es »nach dem Mittagessen« stattgefunden hätte, deutete flüchtig auf eine kleine Reue über sein eigenes Betragen hin und überließ es dem Fremden, sich zu rechtfertigen, so gut er konnte.

Dieser war eben im Begriffe, es zu tun, als ihn der Leutnant Tappleton, der ihn bisher mit Aufmerksamkeit betrachtet hatte, mit großer Geringschätzung fragte:

»Habe ich Sie nicht auf dem Theater gesehen, mein Herr?«

»O ja«, erwiderte der Fremde unbefangen.

»Er ist ein wandernder Schauspieler«, sagte der Leutnant verächtlich, indem er sich an Doktor Slammer wandte. »Er tritt in dem Stücke auf, das morgen die Offiziere des zweiundfünfzigsten Regiments in Rochester aufführen lassen. Sie können in der Sache nicht weiter gehen, Slammer – unmöglich!«

»Nein, unmöglich!« sagte Payne pathetisch.

»Ich bedaure, Sie in diese Unannehmlichkeit versetzt zu haben« sagte Leutnant Tappleton, sich an Herrn Pickwick wendend. »Erlauben Sie mir übrigens, Ihnen zu bemerken, daß der sicherste Weg, in Zukunft dergleichen Auftritte zu vermeiden, größere Vorsicht in der Wahl Ihrer Gesellschaft sein wird. Guten Abend, mein Herr!« – und rasch verließ der Leutnant das Zimmer.

»Und mir erlauben Sie, Ihnen zu bemerken, mein Herr,« versetzte der reizbare Doktor Payne, »daß ich, wenn ich Tappleton oder Slammer gewesen wäre, Sie und die sämtlichen Mitglieder dieser Gesellschaft geohrfeigt hätte. Ja, das hätte ich. Mein Name ist Payne, mein Herr – Doktor Payne vom dreiundvierzigsten Regiment. Guten Abend, mein Herr.«

Die vier letzten Worte sprach er in einem lauten, nachdrücklichen Tone und schritt sodann mit stolzer Würde aus dem Zimmer. Ihm folgte Doktor Slammer schweigend, und nur einen Blick voll Verachtung auf die Gesellschaft werfend.

Zorn und Wut hatte während der eben erwähnten Herausforderung Herrn Pickwicks edle Brust beinahe bis zum Zerspringen seiner Weste geschwellt. Er stand regungslos, mit stieren Blicken da, und erst das Knarren der Tür brachte ihn wieder zu sich selbst. Mit wutentbrannten Blicken und funkelnden Augen sprang er auf. Seine Hand hatte die Türklinke gefaßt, und im nächsten Augenblicke würde er den Doktor Payne vom dreiundvierzigsten Regiment an der Kehle gepackt haben, hätte nicht Herr Snodgraß seinen verehrten Lehrer am Rockschoße ergriffen und zurückgezogen.

»Haltet ihn«, rief Herr Snodgraß. »Winkle, Tupman – er darf sein kostbares Leben nicht um einer solchen Angelegenheit willen aufs Spiel setzen.«

»Lassen Sie mich los«, sagte Herr Pickwick.

»Haltet ihn fest«, schrie Herr Snodgraß; und durch die vereinten Kräfte der ganzen Gesellschaft ward Herr Pickwick in einen Armstuhl gedrängt.

»Ihn ruhig lassen«, sagte der grüngekleidete Fremde – »Branntwein und Wasser – feuriger alter Herr – einen Schluck – einmal kosten – ah! – Kapitalstoff!«

Nachdem der Fremde den Inhalt eines vollen, von dem Trübsinnigen gemischten Glases gekostet, führte er es an Pickwicks Lippen, und im nächsten Augenblicke war der Rest vollends verschwunden.

Es trat eine kurze Pause ein; das Getränk hatte indessen seine Wirkung getan, und das freundliche Gesicht Herrn Pickwicks nahm schnell den gewohnten Ausdruck wieder an.

»Diese Menschen verdienen nicht, daß Sie Notiz von ihnen nehmen, Sir«, sagte der Trübsinnige.

»Sie haben recht, Sir,« versetzte Herr Pickwick, »sie verdienen es nicht. Ich schäme mich, daß ich mich soweit vergessen konnte. Ziehen Sie Ihren Stuhl zu mir an den Tisch, Sir.«

Der Trübsinnige tat es: der Kreis versammelte sich wieder um den Tisch, und die frühere Eintracht fand sich wieder ein. In Herrn Winkles Brust schien indes noch ein heimlicher Unmut zurückzubleiben, der vielleicht von der zeitweisen Entwendung seines Rocks veranlaßt wurde – doch ist es kaum denkbar, daß ein so geringfügiger Umstand auch nur ein vorübergehendes Gefühl des Mißbehagens in der Seele eines Pickwickiers hervorgerufen haben sollte. Davon abgesehen, war übrigens die Heiterkeit wieder völlig hergestellt, und der Abend endete auf dieselbe trauliche Weise, wie er begonnen hatte.

Fünftes Kapitel. Die Musterung. – Neue Freunde. – Eine Einladung aufs Land.

Viele Schriftsteller haben eine ebenso törichte, wie unredliche Abneigung gegen die Angabe der Quellen, aus denen sie manche schätzbaren Nachrichten schöpfen. Wir kennen dieses Gefühl nicht. Unser einziges Bestreben geht dahin, unsern Pflichten als Herausgeber auf eine ehrenhafte Weise nachzukommen, und wie groß auch unter andern Umständen unser Ehrgeiz gewesen wäre, auf das Verdienst der Erfindung dieser Begebenheiten Anspruch zu machen, so verbietet uns doch die Liebe zur Wahrheit, mehr zu beanspruchen, als das Verdienst einer zweckmäßigen Zusammenstellung und unparteiischen Erzählung derselben. Die Pickwickpapiere sind unsere Quellenwerke, und wir sind mit der Wasserlieferungsgesellschaft zu vergleichen. Die Arbeiten anderer haben uns mit einem außerordentlichen Vorrat von Stoffen versehen, und wir geben sie der Welt, die nach der Bekanntschaft mit den Pickwickiern dürstet, in einem hellen und lieblichen Strome auf diesen Blättern.

In diesem Sinne handelnd und entschlossen, unsere Verbindlichkeiten gegenüber den Quellen zu erfüllen, aus denen wir schöpfen, sagen wir frei heraus, daß wir den Inhalt dieses und des folgenden Kapitels dem Memoirenbuche des Herrn Snodgraß verdanken – einen Inhalt, den wir jetzt, nachdem wir unser Gewissen entlastet, unsern Lesern ohne weiteren Kommentar vorlegen wollen:

Die ganze Bevölkerung von Rochester und den umliegenden Ortschaften stand am folgenden Morgen, sobald der Tag graute, in einem Zustande der höchsten Unruhe und Aufregung auf. Es sollte an diesem Tage eine große Musterung stattfinden. Das Falkenauge des Obergenerals sollte die Manöver von einem halben Dutzend Regimenter inspizieren: man hatte Festungswerke errichtet, die Zitadelle sollte angegriffen, genommen und eine Mine gesprengt werden.

Herr Pickwick war, wie unsere Leser aus dem kurzen Auszuge, den wir aus seiner Beschreibung von Chatam gegeben, gesehen haben, ein enthusiastischer Bewunderer des Heeres. Nichts konnte ihm einen höheren Genuß gewähren – nichts konnte mit den besonderen Gefühlen eines jeden seiner Gefährten so sehr übereinstimmen – wie ein solcher Anblick. Bald waren sie auf den Beinen und wanderten dem Schauplatz der Handlung zu, nach dem bereits von allen Seiten her eine ungeheure Menschenmenge strömte.

Alles deutete darauf hin, daß etwas höchst Wichtiges und Bedeutungsvolles vor sich gehen sollte. Es waren Wachen ausgestellt, um den Raum für die Truppen freizuhalten; besonders beorderte Leute trugen Sorge, den Damen Plätze auf den Batterien zu verschaffen; Sergeanten rannten mit Pergamentbänden hin und her, und Oberst Bulder galoppierte in vollständiger Uniform von einer Stelle zur andern, indem er seine Reiterkünste in den kühnsten Schwenkungen zur Schau trug und sich ohne einen besonderen Grund heiser und blau schrie. Offiziere flogen auf und nieder, sprachen mit dem Oberst, erteilten ihren Sergeanten Befehle und verschwanden zuletzt in den Reihen; sogar die Gemeinen sahen hinter ihren blanken Gewehrläufen so wichtig und geheimnisvoll aus, daß man über die hohe Bedeutung der Feierlichkeit keinen Augenblick im Zweifel sein konnte.

Herr Pickwick und seine drei Gefährten stellten sich in die vordersten Reihen und harrten geduldig der Dinge, die da kommen sollten. Das Gedränge nahm mit jedem Augenblick zu, und die Anstrengungen, die sie machen mußten, um sich auf ihren Plätzen zu behaupten, beschäftigten in den zwei folgenden Stunden ihre Aufmerksamkeit hinlänglich. Bald drängte plötzlich alles von hinten nach vorn, wodurch Herr Pickwick einige Ellen weit vorwärtsgestoßen wurde und dabei eine Hast und Geschmeidigkeit zur Schau stellte, die mit dem Ernst, den man an ihm gewohnt war, in grellem Widerspruch stand: bald ertönte ein gebieterisches »Zurück!« und das Ende eines Flintenkolbens fiel entweder auf Herrn Pickwicks Zehe nieder, um ihm den Wink verständlicher zu machen, oder stemmte sich gegen seine Brust, um dem Befehle augenblickliche Folge zu geben. Spaßvögel machten sich wohl auch das Vergnügen, mit der ganzen Fülle ihrer Kraft gegen Herrn Snodgraß anzudrängen und ihn dann wegen seines Drückens zur Rechenschaft zu ziehen, und wenn Herr Winkle seine höchste Entrüstung über eine solche Ungebühr aussprach, schlug ihm irgendein Schalk von hinten den Hut über die Augen und ersuchte ihn, seinen Kopf in die Tasche zu stecken. Diese und andere handgreifliche Witze, verbunden mit der unerklärlichen Abwesenheit Herrn Tupmans (der plötzlich verschwunden war), machten ihre Lage im ganzen weit eher unbehaglich, als angenehm und unterhaltsam.

Endlich lief ein Gemurmel durch die Menge, wie es gewöhnlich das Eintreten des Erwarteten bezeichnete. Aller Augen richteten sich nach dem Ausfallstor. Wenige Augenblicke gespannter Erwartung, und Fahnen flatterten lustig in der Luft: Waffen glänzten in der Sonne, und Abteilung um Abteilung rückte in die Ebene vor. Die Truppen machten halt und stellten sich in Reihe und Glied; das Kommandowort lief durch die Reihen: es ertönte ein allgemeines Flintengeklirre, als präsentiert wurde, und der Obergeneral, begleitet von Oberst Bulder und einer Menge anderer Offiziere, galoppierte die Front auf und nieder. Die Trompeten schmetterten, die Pferde bäumten sich und wedelten mit den Schweifen. Hunde heulten, die Menge schrie, die Truppen sammelten sich, und so weit das Auge reichte, sah man auf beiden Seiten nur eine endlose Reihe von roten Röcken und weißen Beinkleidern, starr und regungslos.

Herr Pickwick hatte soviel Mühe, in dem wogenden Gedränge seine Stellung zu behaupten und, wie durch ein Wunder, den Hufen der Pferde zu entgehen, daß er unmöglich Zeit fand, zu beobachten, was unter seinen Augen vorging, bis die Aufmarschentfaltungen soweit gediehen waren, wie wir soeben angegeben haben. Als er aber endlich fest auf den Beinen stand, kannte seine Freude und sein Entzücken keine Grenzen.

»Kann es etwas Schöneres, etwas Anziehenderes geben?« fragte er Herrn Winkle.

»Nein«, erwiderte der Angeredete, dem schon seit einer viertel Stunde ein kleiner Mann auf den Zehen stand.

»In der Tat ein großartiger, ein herrlicher Anblick,« sagte Herr Snodgraß, in dessen Brust plötzlich das Feuer der Dichtkunst entbrannte, »die tapferen Verteidiger des Vaterlandes in ihrer glänzenden Rüstung vor den friedlichen Bürgern zu sehen, mit ihren glühenden Gesichtern – nicht von kriegerischer Wildheit, sondern von gesitteter Artigkeit – mit ihren flammenden Augen – nicht von dem rohen Feuer der Raubgier oder der Rachsucht, sondern von dem sanften Lichte der Humanität und Intelligenz,«

Herr Pickwick ging völlig auf den Geist dieser Lobrede ein, konnte ihr jedoch nicht buchstäblich beipflichten: denn das sanfte Licht der Intelligenz brannte doch ziemlich schwach in den Augen der Krieger, als der Ruf ertönte: »Augen geradeaus!« Die Zuschauer hatten einige Tausend Sehorgane vor sich, die ohne allen Ausdruck geradeaus starrten.

»Wir befinden uns jetzt in einer herrlichen Stellung«, sagte Herr Pickwick, sich nach allen Seiten umschauend. Das Gedränge hatte sich aus ihrer Nähe verloren und sie waren beinahe allein.

»Herrlich«, wiederholten Herr Snodgraß und Herr Winkle.

»Was machen sie jetzt?« fragte Herr Pickwick, seine Brille aufsetzend.

»Ich – ich – glaube fast,« sagte Herr Winkle, die Farbe verändernd, »ich glaube fast, sie wollen schießen.«

»Unsinn«, versetzte Herr Pickwick hastig.

»Ich – ich – glaube wirklich, sie tun's«, sagte Herr Snodgraß etwas unruhig.

»Unmöglich«, erwiderte Herr Pickwick.

Aber kaum hatte er das Wort ausgesprochen, da legte das ganze Halbdutzend Regimenter die Flinten an, als hätten sie alle ein und dasselbe Ziel – nämlich die Pickwickier, und gaben die fürchterlichste Salve, die je die Erde erschütterte oder einen alten Herrn aus dem Gleichgewicht brachte.

In dieser schreckensvollen Lage, auf der einen Seite dem Verderblichen Feuer blanker Musketen ausgesetzt zu sein, und auf der andern von den Truppen gedrängt, die ihnen auf den Leib rückten, zeigte Herr Pickwick die ganze Kaltblütigkeit und Geistesgegenwart, die von einem großen Geiste unzertrennlich sind. Er nahm Herrn Winkle am Arm, und sich zwischen ihn und Herrn Snodgraß stellend, bat er sie ernstlich, sich daran zu erinnern, daß, außer der Möglichkeit, durch den Lärm ihres Gehörs beraubt zu werden, vom Schießen unmittelbar nichts zu befürchten sei.

»Aber – aber – gesetzt den Fall, einer von den Soldaten würde sich zufälligerweise vergreifen und scharf laden?« bemerkte Winkle, ob dieser Besorgnis, die plötzlich seinen Geist bedrängte, erbleichend. »Ich habe ein Zischen gehört – ein starkes Zischen – hart an meinen Ohren.«

»Wir täten vielleicht besser, uns auf den Boden zu legen – meinen Sie nicht auch?« fragte Herr Snodgraß.

»Nein, nein – es ist vorüber«, antwortete Herr Pickwick. Seine Lippen bebten und seine Wangen erbleichten, aber kein Wort der Furcht oder Bestürzung entschlüpfte der Zunge des unsterblichen Mannes.

Herr Pickwick hatte recht: das Schießen hörte auf, aber kaum hatte er Zeit, sich wegen der Richtigkeit seiner Atmung Glück zu wünschen, als eine rasche Bewegung in den Reihen der Krieger sichtbar wurde. Der heisere Ruf des Kommandos lief die Front hinab, und ehe einer unserer Helden irgendeine Mutmaßung über das neue Manöver aufstellen konnte, rückte das ganze Halbdutzend Regimenter mit gefälltem Bajonett im Sturmschritt auf die Stelle zu, die Herr Pickwick und seine Freunde einnahmen.

Der Mensch ist sterblich, und es gibt einen gewissen Punkt, den der menschliche Mut nicht zu überschreiten vermag. Herr Pickwick starrte einen Augenblick die andrängenden Massen mit seiner Brille an, drehte ihnen dann hübsch den Rücken und – wir wollen nicht sagen – floh, einmal, weil dies ein unedler Ausdruck ist, und dann, weil Herrn Pickwicks Gesicht gar nicht mit dieser Art von Rückzug übereinstimmte, – sondern ging von dannen, jedenfalls aber so schnell, wie ihn seine Beine tragen konnten: ja, er beeilte sich so sehr, daß er das Fürchterliche seiner Lage in seinem ganzen Umfange nicht eher einsah, als bis es zu spät war.

Die Truppen, die Herrn Pickwick vor wenigen Sekunden durch ihren Anmarsch in Bewegung gejagt hatten, rückten vorwärts, um den verstellten Angriff der Belagerer der Zitadelle zurückzutreiben, und die Folge davon war, daß Herr Pickwick und seine beiden Begleiter sich plötzlich zwischen zwei Linien von unabsehbarer Ausdehnung eingeschlossen sahen: die eine rückte im Sturmschritt vorwärts, und die andere erwartete die Angreifenden schlagfertig.

»Halloh!« schrien die Offiziere der ersteren.

»Aus dem Wege!« riefen die Offiziere der letzteren.

»Wohin sollen wir?« kreischten die bestürzten Pickwickier.

»Halloh! Halloh! Halloh!« war die ganze Antwort.

Es war ein Augenblick grausenvoller Verwirrung; die Erde bebte unter den Fußtritten der Truppen; ein dumpfes Gelächter ließ sich vernehmen – das Halbdutzend Regimenter war noch einhalbtausend Ellen entfernt, und die Sohlen von Herrn Pickwicks Stiefeln schwebten in den Lüften.

Die beiden Herren, Snodgraß und Winkle, hatten jeder mit bewunderungswürdiger Gewandtheit einen unwillkürlichen Purzelbaum geschlagen. Da war das erste, was Winkle sah, während er auf der Erde saß und den Lebenssaft, der aus seiner Nase stürzte, mit einem gelben seidenen Taschentuch verstopfte, sein ehrwürdiger Lehrer, der in einiger Entfernung seinem Hute nachlief. Dieser rollte nämlich in lustigen Sätzen vor ihm her.


Es gibt wenige Augenblicke in eines Menschen Leben, wo er so viel spaßhaftes Mißgeschick hat und so wenig Mitleid erfährt, als wenn er seinem Hute nachläuft. Es gehört keine geringe Kaltblütigkeit und ein besonderer Grad von Geistesgegenwart dazu, einen fortrollenden Hut wieder einzufangen. Man darf nicht zu sehr eilen, oder man überrennt ihn; man darf nicht zu langsam sein, oder man verliert ihn. Das Beste ist, auf den Gegenstand seiner Verfolgung genau acht zu geben, behutsam und vorsichtig zu sein, die Gelegenheit hübsch abzuwarten, ihm allmählich vorzukommen, dann plötzlich die Hand auszustrecken, ihn bei der Krempe zu ergreifen und fest auf den Kopf zu drücken, wobei man immer freundlich lächelt, als betrachte man den Vorfall ebensowohl von der scherzhaften Seite wie jeder andere.

Der Wind war schwach, und Herrn Pickwicks Hut rollte spielend vor ihm. Der Wind wehte stärker und Herr Pickwick wehte auch stärker, während der Hut sich so lustig überkugelte, wie ein Meerschwein in der Springflut, und er wäre wohl außer Herrn Pickwicks Bereich gerollt, hätte ihn nicht in dem Augenblicke, als der Unglückliche im Begriffe war, ihn seinem Schicksal zu überlassen, eine höhere Hand aufgehalten.

Herr Pickwick war völlig erschöpft und wie gesagt im Begriff, die Jagd aufzugeben, als der Hut mit einiger Heftigkeit an das Rad eines Wagens getrieben wurde, der neben einem halben Dutzend anderer Fuhrwerke stand, und zwar an der Stelle, auf die Herr Pickwick zusteuerte. Seinen Vorteil wahrnehmend, sprang unser Held rasch vor, versicherte sich seines Eigentums, pflanzte es auf seinen Kopf und hielt an, um Atem zu schöpfen. Er hatte noch keine halbe Minute dagestanden, als er sich laut beim Namen rufen hörte. Er erkannte mit einem Male die Stimme des Herrn Tupman, und als er aufblickte, sah er etwas, das ihn mit Verwunderung und Freude erfüllte.

In einer offenen Kutsche, deren Pferde ausgespannt waren, um mehr Platz auf dem engen Raum zu gewinnen, saß ein stattlicher alter Herr in einem blauen Rock mit weißen Knöpfen, Sonduroybeinkleidern* und Stulpenstiefeln, zwei junge Damen mit Schleier und Federhut, ein junger Herr, der in eine der beiden jungen Damen mit Schleier und Federhut verliebt zu sein schien, eine Dame von zweifelhaftem Alter, wahrscheinlich die Tante der Vorerwähnten, und Herr Tupman, so behaglich und ungeniert, als ob er von jeher zu der Familie gehört hätte. Hinten auf der Kutsche war ein Korb von ansehnlicher Größe aufgepackt – einer jener Körbe, die in einem phantasievollen Geiste Gedanken hervorrufen, mit der Vorstellung von kaltem Geflügel, Zungen und Weinflaschen zusammenhängend – und auf dem Bock saß ein fetter, rotbackiger Junge in einem Zustand von Schlaftrunkenheit, den kein aufmerksamer Beobachter einen Augenblick betrachten konnte, ohne ihn für eine Person anzusehen, die dazu angestellt war, den Inhalt des vorerwähnten Korbes zur geeigneten Zeit zutage zu fördern.

Herr Pickwick hatte auf diese anziehenden Dinge einen hastigen Blick geworfen, als er wieder von seinem treuen Schüler gegrüßt wurde.

»Pickwick – Pickwick,« sagte Herr Tupman, »geschwinde – kommen Sie herauf.«

»Kommen Sie, mein Herr, ich bitte, kommen Sie«, sagte der stattliche Herr. »Joe! – der verdammte Junge; jetzt schläft er wieder – Joe, laß den Tritt nieder.«

Der fette Junge schob sich langsam vom Bock herunter, ließ den Tritt nieder und hielt das Kutschentürchen offen. In diesem Augenblick kamen Herr Snodgraß und Herr Winkle nach.

»Platz für uns alle«, sagte der stattliche Herr. »Zwei innen und einer außen, Joe, mach Platz auf dem Bock für einen von diesen Herren. Nun, mein Herr, kommen Sie herauf«, und der stattliche Mann streckte seinen Arm aus und hob zuerst Herrn Pickwick und dann Herrn Snodgraß in den Wagen. Herr Winkle stieg auf den Bock, der Junge saß auf derselben Längsstange auf und schlief alsbald wieder ein.

»Ja, ja, meine Herren,« sagte der stattliche Mann, »es freut mich unendlich, Sie zu sehen. Kenne Sie sehr wohl, meine Herren, ob Sie sich gleich vielleicht meiner nicht erinnern. Ich brachte letzten Winter mehrere Abende in Ihrem Klub zu – stieß an diesem Morgen auf meinen Freund Tupman und war sehr erfreut, ihn zu sehen. Ja, ja, mein Herr, und wie geht es Ihnen? Sie sehen vorzüglich aus – wahrhaftig!«

Herr Pickwick dankte für das Kompliment und schüttelte dem stattlichen Herrn mit den Stulpenstiefeln herzlich die Hand.

»Ja, ja, und wie geht es Ihnen, mein Herr?« fragte der stattliche Herr, sich mit väterlicher Teilnahme an Herrn Snodgraß wendend. »Vortrefflich? – Nun, das ist schön – das ist schön. Und wie geht es Ihnen, mein Herr? (Zu Herrn Winkle.) Gut? Es freut mich zu hören, daß Sie sagen gut: es freut mich sehr, das muß ich sagen. Meine Töchter, meine Herren – meine Mädchen, und dies ist meine Schwester, Fräulein Rachel Wardle. Sie ist immer noch Fräulein, wie gern sie auch eine Frau sein möchte – was meinen Sie, mein Herr? – hihi!«

Und der stattliche Herr stieß Herrn Pickwick mit seinem Ellenbogen in die Rippen und lachte herzlich.

»Ach, Bruder!« sagte Fräulein Wardle mit einem bittenden Lächeln.

»Freilich, freilich«, erwiderte der stattliche Herr; »niemand kann's in Abrede stellen. Meine Herren, ich bitte um Verzeihung; das ist mein Freund, Herr Trundle. Und nun Sie sich gegenseitig kennen, wollen wir es uns bequem machen und sehen, was da draußen alles vorgeht; weiter sage ich nichts.« Der Stattliche setzte seine Brille auf, Herr Pickwick nahm sein Fernglas, und jeder stand aufrecht im Wagen und sah über die Schultern seines Vordermannes den Bewegungen der Truppen zu.

Es wurden erstaunliche Dinge ausgeführt. Man sah eine Reihe Soldaten über den Köpfen einer andern wegfeuern und davonrennen, worauf sie Karrees bildeten und die Offiziere in die Mitte nahmen. Dann kletterte man an Strickleitern auf der einen Seite der Schanze hinab und auf der andern wieder hinauf, riß Barrikaden von Schanzkörben nieder und benahm sich überhaupt so tapfer wie nur möglich. Dann wurden die ungeheuren Kanonen mit Instrumenten, die wie riesige Scheuerlappen aussahen, geladen. Die Vorbereitungen, bis sie losgeschossen wurden, und endlich das Abbrennen selbst war mit einem so entsetzlichen Lärm verbunden, daß die Lüfte vom Angstgeschrei der Damen widerhallten. Die jungen Fräuleins Wardle waren so erschrocken, daß Herr Trundle genötigt war, eine derselben zu halten, während Herr Snodgraß die andere stützte, und Herrn Wardles Schwester wurde von so furchtbaren Krämpfen befallen, daß es Herr Tupman für unumgänglich notwendig fand, seinen Arm um ihren Leib zu legen, um sie nur aufrechtzuerhalten. Alles war in der größten Aufregung, bis auf den fetten Jungen, der so sanft schlief, als wäre der Kanonendonner sein Wiegenlied.

»Joe, Joe!« rief der Stattliche, als die Zitadelle genommen war, und Belagerer und Belagerte sich's bequem machten, um ihre Mahlzeit zu halten. »Der verdammte Junge schläft schon wieder. Haben Sie die Güte, mein Herr, ihn in die Waden zu zwicken, sonst ist er nicht zu wecken. So – ich danke Ihnen, Sir. Den Korb ausgepackt, Joe!«

Der fette Junge, der wirklich durch den Wink aufgewacht war, den ihm Herr Winkle gab, indem er einen Teil seiner Wade zwischen Daumen und Zeigefinger preßte, rutschte vom Bock hinunter und begann den Korb auszupacken, wobei er einen größeren Eifer entwickelte, als man von seiner gewöhnlichen Trägheit erwartet hätte.

»Jetzt müssen wir etwas zusammenrücken«, sagte der Stattliche.

Eine Menge Witze über die weiten Ärmel der Damen, die jetzt augenscheinlich Not leiden mußten, wurden gemacht; und die scherzhaften Vorschläge, die Damen sollten den Herren auf den Schoß sitzen, trieben den Frauenzimmern einmal über das andere das Blut in die Wangen. Dann endlich war die ganze Gesellschaft in dem Wägelchen bequem untergebracht, und der stattliche Herr empfing den Inhalt des Korbes aus den Händen des fetten Jungen, der zu diesem Zwecke hinten auf den Wagen gestiegen war.

»Jetzt, Joe, Messer und Gabeln!«

Die Messer und Gabeln wurden gebracht, und die Damen und Herren im Wagen und Herr Winkle außen auf dem Bock mit diesen nützlichen Werkzeugen versehen.

»Teller, Joe, Teller!«

Die Teller wurden auf gleiche Weise verteilt.

»Jetzt, Joe, das Geflügel. Der verdammte Junge, da schläft er schon wieder. Joe, Joe!« (Einige Winke mit einem Stock auf den Kopf, und der fette Junge erwachte langsam aus seiner Schlaftrunkenheit.) »Geschwind, gib die Speisen her!«

Es lag etwas in dem Klange der letzten Worte, was den Speckjungen lebendig machte. Er hüpfte auf, und die schweren Augen, die zwischen den dicken Pausbacken hindurchblinzelten, starrten mit fürchterlicher Gier auf die Speisen, die er aus dem Korbe nahm.

»Nun, rasch!« rief Herr Wardle; denn der fette Junge warf äußerst verliebte Blicke auf einen Kapaunen, von dem er sich fast unmöglich trennen zu können schien. Er seufzte tief, und mit einem glühenden Blick auf den wohlgemästeten Gegenstand seiner Sehnsucht übergab er ihn endlich mit widerstrebender Hand seinem Herrn.

»So ist's recht – sieh genau nach. Jetzt die Zunge – die Taubenpastete. Reiche mir auch den Braten und den Schinken – vergiß die Hummer nicht – nimm den Salat aus dem Tuche – gib mir das Zubehör.«

Das waren die eiligen Befehle, die über Herrn Wardles Lippen sprudelten, während er die genannten Dinge in Empfang nahm und jedem eine Menge Teller in die Hand gab oder auf die Knie setzte.

»Nun, ist das nicht köstlich?« fragte der heitere Mann, als das Werk der Zerstörung begonnen hatte.

»Köstlich!« sagte Herr Winkle, der ein Huhn auf dem Bocke zerlegte.

»Belieben Sie ein Glas Wein?«

»Wenn ich bitten darf.«

»Ich will Ihnen lieber eine Flasche hinausgehen – nicht wahr?«

»Sie sind sehr gütig.«

»Joe!«

»Ja, Herr!« – Er schlief nicht, weil er soeben ein Kalbfleischpastetchen weggeschnappt hatte.

»Eine Flasche Wein dem Herrn auf dem Bock. Zum Wohl, mein Herr!«

»Danke.«

Herr Winkle füllte sein Glas und stellte die Flasche neben sich auf den Bock.

»Darf ich mir die Ehre geben, mein Herr?« sagte Herr Trundle zu Herrn Winkle.

»Mit größtem Vergnügen«, antwortete Herr Winkle.

Und die beiden Herren stießen miteinander an, und die ganze Gesellschaft nahm daran teil.

»Wie die liebe Emilie mit dem fremden Herrn flirtet!« flüsterte Fräulein Wardle, die Tante, mit echtem Altjungfernneid ihrem Bruder zu.

»Wüßte nicht«, sagte der lustige alte Herr; »finde es ganz natürlich; wahrhaftig – nichts Außerordentliches. Herr Pickwick, belieben Sie etwas Wein?«

Herr Pickwick, der inzwischen tief in den Bauch einer Taubenpastete eingedrungen war, sagte bereitwilligst »Ja«.

»Liebe Emilie,« sagte die Jungfer Tante mit Gouvernantenmiene, »sprich doch nicht so laut.«

»Ach Gott, Tante!«

»Die Tante und der kleine alte Herr wollen, glaube ich, allein das Recht haben, zu reden«, flüsterte Fräulein Isabelle Wardle ihrer Schwester Emilie zu.

Die jungen Damen lachten herzlich, und die Alte wollte liebenswürdig aussehen, was ihr aber nicht gelang.

»Die jungen Mädchen sind zu lebhaft«, sagte Tante Wardle zu Herrn Tupman mit der Miene des Mitleidens, als ob Lebhaftigkeit Zollware und ohne höhere Erlaubnis sündhaft und verbrecherisch wäre.

»Sie sind lustig«, versetzte Herr Tupman auf eine Weise, die ihrer Erwartung nicht ganz entsprach. »Es ist zum Entzücken.«

»Hm!« erwiderte die jungfräuliche Tante etwas verstimmt.

»Darf ich mir die Freiheit nehmen?« sagte Herr Tupman im einschmeichelndsten Tone, indem er mit der linken Hand Rachels reizendes Händchen ergriff und mit der rechten die Flasche emporhiclt, »darf ich mir die Freiheit nehmen?«

»Ach, mein Herr!«

Tupmans Augen funkelten vor Vergnügen, und Rachel drückte die Besorgnis aus, man möchte noch mehr Kanonen losschießen, in welchem Falle sie natürlich wieder auf seinen Beistand rechnen würde.

»Wie gefallen Ihnen meine Nichten?« flüsterte die zärtliche Tante Herrn Tupman zu.

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