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Als entscheidende Rahmenbedingung der Privatisierung der 8000 Unternehmen wird schließlich der große zeitliche Druck herausgestellt, denn es galt für die Treuhandanstalt die Unternehmen innerhalb von vier Jahren abzuwickeln; nach Ablauf dieser Zeit übernahm die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben die Aufgaben der Treuhandanstalt. Makroökonomische Rahmenbedingungen spielten zwar auch eine Rolle, da die geplante Privatisierung mit einem enormen Strukturwandel der neuen Bundesländer einhergehen musste und das ökonomische Kalkül der potenziellen Investoren im Hinblick auf die Produktions-, Entwicklungs- und Forschungskapazitäten der neuen Bundesländer einer Vollziehung dieses gewünschten Strukturwandels widersprechen musste. Jedoch wird betont, dass die besondere Umbruchssituation der DDR nicht mehr als eine Gelegenheit für Wirtschaftskriminalität war.

Anmerkungen

[1]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe.

[2]

Vgl. diesbezüglich das Werk: Glaser/Strauss Grounded Theory m. w. N.

[3]

Vgl. zur Beschreibung der methodischen Herangehensweise eine der Autorinnen des Forschungsprojekts: Karliczek Strukturelle Bedingungen von Wirtschaftskriminalität, 11 ff.; 37 ff., sowie Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 17 ff.

[4]

Zur Methode im Einzelnen Karliczek Strukturelle Bedingungen von Wirtschaftskriminalität, S. 39 ff. bzw. Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 68 ff. Als multikontextuale Fallstrukturanalyse konzipiert, wurden möglichst mit allen relevanten Personen, die an der Privatisierung und Kontrolle der Betriebe beteiligt waren, Interviews geführt.

[5]

Es wurden Privatisierer der Treuhandanstalt als die „Verkäufer“ sowie die entsprechenden Investoren, aber auch „konkurrierende“, die ebenfalls Interesse bekundet hatten, ausgewählt. Andererseits – aus dem Ermittlungsbereich – Polizisten, die zuständigen Staatsanwälte und – bei Verfahrenseröffnung – die Richter. Desweiteren wurden die Verteidiger der Beschuldigten, sowie Betriebsräte und Geschäftsführer der Privatisierten befragt; Karliczek Strukturelle Bedingungen von Wirtschaftskriminalität, S. 44 f.

[6]

Karliczek Strukturelle Bedingungen von Wirtschaftskriminalität, S. 44.

[7]

Dies erfolgte in Anlehnung an die Unterscheidung von Clinard/Quinney/Wildman Criminal Behavior Systems, S. 188, welche jedoch white collar crimes in zwei Kategorien unterteilten: occupational crime und corporate crime. Die Definitionen hierzu lauteten zum einen: „Occupational crime consists of offences committed by individuals for themselves in the course of their occupations and offences of employees against their employers.“ Zum anderen wurde corporate crime „the offences committed by corporate officials for their corporation and the offences of the corporation itself“ beschrieben.

[8]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 18 f.

[9]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 233; 650.

[10]

Vgl. die Fallbeschreibung Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 174 ff.

[11]

Vgl. die Fallbeschreibung Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 177 ff.

[12]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 234.

[13]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 234.

[14]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 235.

[15]

Vgl. die Falldarstellung Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 179 ff.

[16]

Vgl. die Falldarstellung Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 184 f.; aus individualstrafrechtlicher Perspektive: Momsen in: FS f. Schoech S. 567.

[17]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 236.

[18]

Boers/Nelles/Theile Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe, S. 180 ff., 237, 653.

3. Kritische Würdigung der durch die Studien gewonnenen Ergebnisse

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Schon in methodischer Hinsicht sind die Ergebnisse fast aller Studien[1] angreifbar, denn weder die staatlichen noch die privaten Studien können generalisierbare Aussagen über die Wirtschaftskriminalität treffen. Übereinstimmend wird lediglich festgestellt, dass es sich um „qualitativ intensive“ Deliktsformen handelt, die also bei geringen Fallzahlen und wenigen Tätern hohe Schäden verursachen. Einer genauen Erforschung dieses Phänomens steht entgegen, dass sie aufgrund der geringen personalen Verbreitung schwieriger in Kriminalstatistiken zu erfassen und weniger leicht in einem repräsentativen Dunkelfeld abzubilden sind. Empirische Mittel der Täterbefragung bzw. repräsentative Umfragen versagen in diesem Bereich aus naheliegenden Gründen leicht, denn der „typische Wirtschaftstäter“ wird sich selten in der ausgewählten Bevölkerungsstichprobe abgebildet sehen und wenn, sind konsistente Angaben aufgrund der Gefahr der Selbstbelastung kaum zu erwarten. Dies wird auch dadurch bedingt, dass es sich um „klassische Kontrolldelikte“ handelt,[2] die in der Regel nicht von Privatpersonen angezeigt werden, sondern auf die Ermittlungsarbeit der Strafverfolgungsbehörden zurückgeführt werden müssen. Die Antwortbereitschaft der entscheidenden Personengruppen wird daher teilweise als nicht ausreichend für signifikante Ergebnisse angesehen.[3]

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Auch die Auswahl der konkret befragten Personen lässt Zweifel an der Repräsentativität aufkommen. So kam die Mehrzahl der antwortenden Personen in den privaten Studien aus der Finanzabteilung und lediglich ein geringer Prozentsatz aus einer Compliance-Abteilung.[4] Die Vorstandsebene war im Vergleich zu den Vorjahren[5] mit einem höheren Prozentsatz vertreten. Hinsichtlich der Befragten erscheint auch fragwürdig, ob sich der eventuell für ein Großunternehmen befragte Mitarbeiter aus der Finanzabteilung ein eindeutiges Bild der im Unternehmen getroffenen Entscheidungen bzw. der wirtschaftskriminellen Prozesse machen kann. Von sensiblen Bereichen wie der Korruption gar nicht zu sprechen, ist auch im übrigen wirtschaftskriminellen Bereich nicht davon auszugehen, dass eine Rückmeldung diesbezüglich an die befragten Personen ging.[6] Mangels Vorliegen statistischer Werte wurden die Studien offensichtlich als „qualitatives Verfahren“[7] angelegt und müssten ihre Repräsentativität beispielsweise durch Offenlegung der gestellten Fragen ausweisen können. Dies geschieht 2009 zwar in der PwC-Studie, allerdings auszugsweise durch Hervorhebung am Rand und zuvörderst beispielhaft gemeint, um die Schlussfolgerungen im Fließtext plastischer erscheinen zu lassen. Die durch staatliche Behörden gewonnenen Hellfelddaten sind weiter auch deshalb kritisch zu betrachten, weil die Erfassung der Daten von der zugrunde gelegten Definition und – als Kontrolldelikte – von der Schwerpunktsetzung durch die Strafverfolgungsbehörden abhängt. Dadurch fallen Delikte aus der Betrachtung heraus, wie beispielsweise die in der PKS von den Schwerpunktstaatsanwaltschaften oder von den Steuerbehörden erfassten Fälle.[8] Zudem – und dies ist für die späteren begriffstheoretischen Überlegungen entscheidend – ist die vollständig vernachlässigte Auseinandersetzung mit der definitorischen Grundlage zu bemängeln. Die Anknüpfung an die Kompetenzregelung des § 74c GVG kann dies nicht ersetzen.

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Gleichwohl: die Studien stellen im Wesentlichen übereinstimmend einige Charakteristika der Wirtschaftskriminalität heraus, die im folgenden anhand der Theoriebildungen in der Kriminologie näher beleuchtet werden können.

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Zum einen ist da die „qualitative Intensität“ der Wirtschaftskriminalität. Trotz einiger Abweichungen, die genaue Schadenshöhe betreffend, wird übereinstimmend festgestellt, dass die durch die Wirtschaftskriminalität verursachten Schäden überproportional hoch sind. Die Schäden der statistisch erfassten Wirtschaftsstraftaten werden mit jährlich etwa 3,5 Milliarden Euro beziffert. Das sind 50% der Schäden, die alle bekannt gewordenen Straftaten verursacht haben (ca. 7,3 Milliarden Euro), obwohl ausweislich der PKS in den insgesamt 6,05 Millionen Straftaten „nur“ 101.340 Wirtschaftsstraftaten enthalten sind. Bei einem zahlenmäßigen Anteil von nur 1,6% an der registrierten Kriminalität geht also mehr als die Hälfte der Schäden auf das Konto der Wirtschaftsstraftäter. In Wahrheit dürften die Schäden aber höher sein, denn diese Zahlen berücksichtigen das Dunkelfeld nicht. Die Schätzungen des Gesamtschadens unter Berücksichtigung des Gesamtschadens schwanken erheblich. Manche beziffern mit 27 Milliarden Euro, andere gelangen sogar zu einem Betrag in Höhe von 177 Milliarden Euro. Nicht unrealistisch dürfte wohl die Annahme sein, dass die Schäden der Wirtschaftskriminalität 2% des Bruttosozialprodukts betragen, also etwa 35 Milliarden Euro.[9]

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Hinsichtlich der immateriellen Schäden wie Imageverlust, Rufschädigung und Beeinträchtigung der Mitarbeitermoral steigt ausweislich der PwC-Studie die Wahrnehmung als mittelbare Folge von Wirtschaftskriminalität, jedoch wären Informationen bezüglich konkreter immaterieller Wirkungen oder auch gesamtgesellschaftlicher Folgen, wie z. B. den Vertrauensverlust in der Gesellschaft oder die Sogwirkung auf Mitbewerber, wünschenswert.[10] Mit unlauteren Mitteln arbeitende Wirtschaftsstraftäter erzielen Wettbewerbsvorsprünge, sodass Wettbewerbsverzerrungen mit schwerwiegenden Folgen naheliegen. Eine auf die Konkurrenten wirkende Sogwirkung kann dann wiederum jene dazu verleiten, auf gleiche oder ähnliche Weise illegale Vorteile zu erlangen, um die Wettbewerbsvorsprünge einzuholen. Der erste Marktteilnehmer, der sich sich auf illegale Weise einen Wettbewerbsvorsprung verschafft, kann auf alle übrigen Konkurrenten diese Art von Druck ausüben, sich selbst delinquent zu verhalten, um ihre Marktposition zu verbessern oder nur zu halten. Die in diesen „Sog“ gezogenen Mitbewerber werden dann ihrerseits zu einem Zentrum wirtschaftskrimineller Beeinflussung („Spiralwirkung“) und damit zum Ausgangspunkt eines neuen „Soges“.[11] Diese – zumindest auf den empirischen Erkenntnissen des zweiten PSB fußende – Beobachtung könnte als Charakteristikum der Wirtschaftskriminalität dann bezeichnet werden, wenn die Sogwirkung ausschließlich oder zumindest besonders häufig bei Wirtschaftsdelikten auftreten würde.[12] Allerdings wäre auch hier genau zu untersuchen, inwieweit es sich bei der Wirtschaftskriminalität per se um einen multiplikativen, kriminellen Prozess handelt.[13]

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Vor dem Hintergrund von Mertons Anomietheorie könnte die Nachahmungstendenz beispielsweise auch davon abhängen, wie stark der Einsatz illegaler Mittel zur Zielerreichung geeignet erscheint bzw. wie stark durch die Kriminalität der Eindruck verstärkt wird, dass der Einsatz legaler Mittel nicht lohnend ist.[14] Es könnte also auch von zusätzlichen Faktoren abhängen, ob ein delinquentes Verhalten nachgeahmt wird oder nicht.[15] Um herauszufinden, ob von einer empirischen Sogwirkung von Wirtschaftsdelikten auszugehen ist oder der „Ansteckungseffekt“ nur unter ganz speziellen Bedingungen auftritt, müssten die hier gewonnenen Erkenntnisse im Folgenden ergänzt werden. Die soziale Macht von Unternehmen und das ihnen innewohnende Kommunikations- und Informationspotenzial könnten nämlich eine ganz entscheidende Rolle spielen. Zusätzliche Erkenntnisse könnten durch Abgleich mit Mertons Anomietheorie und zudem in einem qualitativen Verfahren im Wege von Experteninterviews[16] gewonnen werden. Ebenfalls übereinstimmend betonen die betrachteten Studien die Schwierigkeit der Erfassung und Strafverfolgung, welche zu einem großen Teil auf täter- und opferspezifische Besonderheiten zurückzuführen ist. Eine Vielzahl anonymer Opfer einerseits, deren Anzeigebereitschaft auf unter 10% anzusiedeln ist,[17] und Kollektivopfer[18] andererseits bieten keinen guten Anknüpfungspunkt zur Aufhellung der Taten. Diese beiden „Opfertypen“ zeichnen sich durch eine „verflüchtigende Opfereigenschaft“[19] aus. Bezüglich des ersten Typs ist dies darauf zurückzuführen, dass beim Einzelnen ein nur geringer Schaden entsteht,[20] den er unter Umständen nicht auf eine konkrete – wirtschaftskriminelle – Ursache zurückführen kann.[21] Hinsichtlich des zweiten Typs liegt es daran, dass der Schaden von Kollektivopfern kaum zu messen ist.[22]

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Hinsichtlich täterspezifischer Erkenntnisse mangelt es vor allem an kriminologischer Forschung, die individuelle und soziale Bedingungszusammenhänge erklärt. Und so fehlen auch in den vorgestellten Studien, abgesehen von einigen wenigen Angaben zum Sozialprofil,[23] valide Erkenntnisse zu Tatmotivation und -hintergründen.[24] Ein rationales Entscheidungsverhalten der Täter anzunehmen liegt nahe, da es an äußeren Merkmalen der sozialen Auffälligkeit – wie sie in der „klassischen Kriminalität“ vorzufinden sind – fehlt. Allerdings gründet diese Annahme bisher nicht auf positiven erfahrungswissenschaftlichen Feststellungen. Es könnte ebenso sein, dass die Täter aus Zwängen heraus handeln oder die Tatmotivation davon abhängt, wie sehr gesellschaftliche Wertvorstellungen verankert sind.[25] Insbesondere der Umstand, dass die hier in Rede stehende Art von Kriminalität nur dadurch entstehen kann, dass der Täter sich in seinem übrigen Verhalten regelkonform verhält, also die notwendige Bedingung der Verletzung der gesellschaftlichen Spielregeln ihre hauptsächliche Befolgung ist, lässt vermuten, dass die Norm und ihre Befolgung keinen absoluten Wert haben, sondern dass – zumindest in einem bestimmten gesellschaftlichen Bereich – bestimmte Verstöße hingenommen werden, sofern der Betreffende die herrschenden Reziprozitätsverhältnisse respektiert. Wie Bock treffend ausführt: „Gebrauchte Ersatzteile einbauen und als neu berechnen kann erfolgreich nur der, der ansonsten seine Kunden zufriedenstellt. Während seiner Arbeitszeit andere Dinge tun, kann sich nur derjenige leisten, der in der verbleibenden Zeit mit seinem Arbeitspensum zurecht kommt.“[26] Inwieweit die Regeln der Reziprozität innerhalb der Gesellschaft einen „Code“ bilden, nach dem entschieden wird, ob das, was nach rein legalistischer Betrachtungsweise „an sich“ strafbar wäre, tatsächlich auch angezeigt und verfolgt wird, sollte bei der Betrachtung der Wirtschaftskriminalität nicht außer Acht bleiben. Letztlich ist es wieder die Gesellschaft, die entscheidet, inwiefern Verstöße gegen die zu ihrem Schutz aufgestellten Regeln hingenommen werden.[27] Die Tatsache, dass das Sozialprofil des Wirtschaftskriminellen nicht dem des „üblichen Kriminellen“ entspricht, gilt als unbestritten und erklärt sich auch aus der Delikts- und Begehungsstruktur, die sich meist durch besondere Zugangsgelegenheiten auszeichnet.[28] Inwiefern aber Verhaltensweisen, die bis zu einem bestimmten Punkt von der Gesellschaft wohlwollend oder zumindest indifferent toleriert werden,[29] zu kriminellen Verhaltensweisen werden können, ohne dass ein starkes Unrechtsbewusstsein in an sich normkonformen Menschen entsteht, scheint für dieses kriminologische Feld in Zukunft die spannendere Frage zu sein. Vor diesem Hintergrund sollte auch die Besetzung von Leitungspositionen durch Unternehmen im Zusammenhang mit der Täterfrage gesehen werden. Für viele Positionen wird der „Managertyp“ gesucht, also ein kreativer, risikobereiter und entscheidungsfreudiger Typ Mensch, der eben keine konformistischen Züge aufweist. Diese gesuchten Persönlichkeitsmerkmale sind allerdings – wie Bussmann treffend beschreibt – sowohl „für das legale als auch illegale Business von Vorteil und somit unter Managern häufiger anzutreffen“.[30]

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Schließlich können den Studien auch übereinstimmende Beobachtungen hinsichtlich der Tatstruktur entnommen werden: Die fraglichen Verhaltensweisen haben überwiegend den Anschein legaler Handlungen. Zwei Aspekte sind diesbezüglich zu unterscheiden: Zum einen handelt es sich oft um eine „Gesamthandlung“, die nur schwer strafrechtlich erfasst werden kann und aus strafrechtlich bedeutungslosen Einzelaspekten bestehen kann.[31] Zum anderen weisen auch die als solche auszumachenden Straftaten eine neutrale Tatbestandsstruktur auf. Die „Unsichtbarkeit des Rechtsbruchs“ nach außen und das daraus resultierende geringe Aufdeckungsrisiko ist ein wichtiges Charakteristikum der Wirtschaftsdelikte, die sich äußerlich mitunter kaum von legalen Vorgängen des täglichen Wirtschaftslebens unterscheiden; „die Grenze zwischen Kriminalität und Geschäftstüchtigkeit scheint sich im Grau wirtschaftlicher Grenzmoral zu verlieren“.[32] Oft gelingt dies dadurch, dass den Taten eingehende Prüfungen durch Experten und vor allem Juristen vorausgehen, um den Eindruck der Legalität abzusichern.[33] Da – wie gesehen – der individuelle Schaden oftmals sehr gering ausfällt, resultiert aus der tatbestandlichen Neutralität auch eine geringe „Realisierbarkeit“ der Opfereigenschaft. Dies hat dann zur Folge, dass weder eine besondere Anzeigebereitschaft der Opfer festzustellen ist[34] noch eine Pönalisierung der Gesellschaft besonders am Herzen liegt, da für sie der Rechtsbruch nicht sichtbar ist und das Delikt eine nur geringe Affektivität aufweist. Diese Delikte wurden daher lange als „Intelligenzstraftaten“ bezeichnet, womit nur ausgedrückt werden sollte, dass sie mit psychischen statt mit physischen Mitteln begangen werden.[35] Diese „Unsichtbarkeit“ des Rechtsbruchs und die mit ihm verbundenen Neutralisationseffekte werden trotz erheblicher Verbesserungen in der Strategie der Strafverfolgungsbehörden – wie der Bildung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften – immer noch nicht aufgefangen. Die Defizite strafrechtlicher Konzepte fallen ins Gewicht, wenn es um die Definition von Wirtschaftskriminalität geht und die Auswahl der betrachteten Verhaltensweisen. Daneben spielen aber auch rein technische Probleme, wie die Verwendung modernster Technologien und die stetige Weiterentwicklung ebenjener durch die Täter, eine Rolle. In kaum einem anderen Bereich erleichtern Software und Computer den Zugang zu und die Verschleierung von Straftaten. Hinzu kommt die stärkere Neutralisierung während der Deliktsbegehung, da unter Umständen „durch einen Mausklick“ eine Rechtsgutsbeeinträchtigung erzielt werden kann. Die Investition in diese Technologien kann für die Täter den entscheidenden Vorsprung – und die Minimierung des Aufdeckungsrisikos – bedeuten gegenüber Strafverfolgungsbehörden, denen oftmals die Mittel fehlen, mit der modernen Technologie Schritt zu halten.[36]

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Schließlich das Forschungsprojekt Wirtschaftskriminalität und die Privatisierung der DDR-Betriebe: Auch hier wurden keine repräsentativen Ergebnisse zum Forschungsfeld Wirtschaftskriminalität oder seiner Ausprägung als Unternehmenskriminalität generiert, jedoch ergibt sich dies zwangsläufig aus der Konzeption der Studie als qualitative Untersuchung; eine „verlässliche quantitative Erhebung zur Verbreitung der Privatisierungskriminalität“ war nicht das Ziel.[37] Gleichwohl erlaubte diese Herangehensweise tiefe Einblicke in die strukturellen Zusammenhänge des Problems, die – in der Gesamtschau mit den übrigen empirischen Ergebnissen – zu folgender erkenntnisleitender Hypothese führen: Das Unternehmen scheint einen „geschützten Ort“ darzustellen, der sich für wirtschaftskriminelle Handlungen eignet. Inwiefern diese gesellschaftliche Enklave kriminogen wirkt, einen eigenen Vorteil aus dieser Enklavenposition schöpfen kann oder gewissermaßen „selbständig“ kriminelle Vorgänge produziert, wird mangels empirischer Erkenntnisse anhand der deskriptiven Arbeiten zu diesem Thema untersucht werden müssen.[38] Bereits festzuhalten ist jedenfalls, dass Wirtschaftskriminalität überwiegend im Zusammenhang mit Unternehmen gesehen wird und die „Opfer Unternehmen“ in vielen Fällen von Strafanzeigen und sogar internen Sanktionen absehen.[39]

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Ausgehend von den obigen Beobachtungen wird im Folgenden zu prüfen sein, ob die beschriebenen „menschlichen Schwächen“ durch den Unternehmenskontext hervorgebracht oder verstärkt werden oder ob mitunter das Unternehmen als „Werkzeug“ zur Realisierung egoistischer Motive und Ziele – beispielsweise des Managements – dienen kann.[40] Aus der Dominanz des „menschlichen Faktors“ in den Studien und der Betonung der Opferstellung des Unternehmens ist zunächst nicht mehr abzuleiten, als dass sie im Einklang mit dem aktuellen strafrechtlichen Rahmen steht. Die durch Individuen verursachte „Unternehmenskriminalität“ zieht überwiegend eine Strafbarkeit nach § 266 StGB nach sich, sodass das Unternehmen also schon tatbestandlich als Opfer einer Vermögensschädigung angesehen wird.[41] Angesichts der in Deutschland fehlenden Unternehmensstrafe ist es nachvollziehbar, dass der „Täter Unternehmen“ zunächst nicht in Erwägung gezogen wird. Das Individuum mit seiner kriminellen Gestaltungskraft und -absicht steht also im Mittelpunkt.[42]

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Es gilt im Folgenden also eine gesellschaftliche Enklave zu erhellen und herauszufinden, ob die beschriebenen Formen von Wirtschaftskriminalität schon deshalb als „Unternehmenskriminalität“ bezeichnet werden können, weil sie im Zusammenhang mit den wirtschaftlichen Aktivitäten eines Unternehmens passieren[43] oder ob weiter differenziert werden kann. Ein erster Weg zur Erhellung wird sein, die dürftigen empirischen Erkenntnisse durch die Beschäftigung mit kriminologischen und strafrechtswissenschaftlichen Arbeiten zum Thema Wirtschaftskriminalität zu ergänzen. Die Schwierigkeit der Erfassung dieses Phänomens ist nach Ansicht einiger Stimmen in der Literatur[44] nämlich auch bedingt durch eine teilweise ungeklärte begriffliche und theoretische Dimension der Wirtschaftskriminalität, die – wie gesehen – den Ausgangspunkt der Strafverfolgungsstatistiken bildet.[45] Die Unschärfe der der polizeilichen Ermittlungsarbeit zugrunde gelegten Definition[46] erschwert eine trennscharfe Erfassung von Umfang und Entwicklung der registrierten Wirtschaftskriminalität im Allgemeinen und der Unternehmenskriminalität im Besonderen. Sie erlauben schon kaum eine zweckmäßige Konturierung des Begriffs „Wirtschaftskriminalität“ und noch weniger eine solche in Bezug auf die „Unternehmenskriminalität“. Beispielsweise die „allgemeinen Vermögensdelikte“ umfassen wirtschaftskriminelle und „klassische“ Vermögensdelikte und werden auf polizeilicher bzw. staatsanwaltschaftlicher Ebene über eine Sonderkennung erfasst; auf gerichtlicher Ebene jedoch entfällt diese differenzierte Erfassung wieder.[47] Die Verständigung auf diese Definition ist hinsichtlich der Kommunikationsfunktion, die eine Definition erfüllen muss,[48] von Vorteil, jedoch im Hinblick auf die Beschreibung des Phänomens, der ebenso wichtigen Identifikationsfunktion einer Definition, äußerst ungenau; mit Auswirkungen auf die Tauglichkeit der hiermit gewonnen, empirischen Erkenntnisse.[49] Im Folgenden soll aus diesem Grund die kriminologische und strafrechtliche Begriffsbildung der Wirtschaftskriminalität betrachtet werden. Insbesondere die Arbeiten von Sutherland und Terstegen werden hierbei von Interesse sein, da sie einerseits zu den ältesten deskriptiven Ansätzen dieses Phänomens zählen und andererseits – zumindest eindeutig im Fall Sutherlands, der eine empirische Untersuchung von 70 Firmen unternahm – von Anfang an einen starken Bezug zum Unternehmen als einer Art „kriminogenem Faktor“ etablierten.

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