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»Sein Vermögen zu erhalten, ist oberste Pflicht – und steht über jedem persönlichen Gefühl.«

Nachdem Lord Northland die Familie durch Geldgeschäfte an den Rand des Ruins gebracht hat, wird die Tochter zur Ehe mit Lord Malkham bestimmt. Emmy fügt sich widerwillig, reist jedoch, tief verletzt über die emotionale Kälte, zu ihrer Freundin Joan. Auf dem Weg dorthin bricht die Kutsche zusammen. Ist es ein Zufall, dass ausgerechnet Mr Vincent auftaucht, den sie erst tags zuvor kennengelernt hat? Wer ist er wirklich? Auf den »Unfall«, der sich als Mordanschlag entpuppt, folgen ein weiterer Mordversuch, eine Entführung… und viele innige Küsse.

Der Roman, der im England des 19. Jahrhunderts spielt, hat an Aktualität nichts verloren: Der Ruin eines Menschen liegt im Verlust seiner Würde und der Aufgabe allgemeingültiger Werte.

Charlotte Paul


1956 in Kassel geboren, lebt die Autorin seit ihrem 18. Lebensjahr in Bayern. Ihre berufliche Laufbahn hat sie in München als medizinische Fachangestellte begonnen und parallel in einer zweiten Karriere als erfolgreiches Model in Werbefilmen für große Marken gearbeitet. Seit 1991 wohnt sie in Niederbayern und arbeitet als Praxismanagerin zusammen mit ihrem Mann in seiner Praxis für Augenheilkunde. Das wichtigste in ihrem Leben ist ihre Familie - ihr Mann und ihre zwei erwachsenen Kinder geben ihr die Kraft für immer neue Wege. Charlotte Paul ist eine aktive Frau und brennt für die Kunst, die Kultur, aber auch den Sport. Mut und Selbstbestimmung hält sie für entscheidende Attribute, um den eigenen Lebensweg und somit das eigene Glück zu finden.

Charlotte Paul

Emmy findet ihr Glück

IMPRESSUM

Emmy findet ihr Glück

Charlotte Paul

© 2020 Verlag basic erfolgsmanagement, Pfarrkirchen

Alle Rechte vorbehalten

Lektorat: Anna Bolin, Susanne Wagner, Josef Nöhmaier

Bildnachweis:

Cover: © Masson – Adobe Stock

Portraitfoto: © Carolin Paul

Umschlaggestaltung, Layout/Satz:

Michaela Adler, Pfarrkirchen

Made in Germany

ISBN 978-3-944987-34-7

eISBN 978-3-944987-36-1

www.basic-erfolgsmanagement.de

Für meine Familie Clemens, Caro & Chrissi

Inhalt

Emmy findet ihr Glück


Omein Gott, ich bin so aufgeregt!«

Emmy tanzte lachend und sich drehend durch den Raum. Johanna, ihre alte Kinderfrau, beobachtete sie entsetzt, jederzeit bereit, Vasen und kleine Tische zu retten.

»Emmy, bitte, Sie müssen sich endlich anziehen. Sie wissen genau, wie ärgerlich Ihre Mutter wird, wenn Sie unpünktlich sind.«

»Ja, ja, ich komme ja schon.«

Lachend schloss sie die alte Johanna in die Arme und drehte sich mit ihr im Kreis. Ihre Zofe versuchte, trotz ihrer etwas rundlichen Figur und ihres fortgeschrittenen Alters nicht das Gleichgewicht zu verlieren.

»Miss Emmy, hören Sie auf! Mir ist schwindelig, und Sie sind immer noch nicht angezogen!«

Emmy ließ sie los. Noch leicht schwankend kontrollierte Johanna ihre streng nach hinten gekämmten grauen Haare, während Emmy sie hoffnungsvoll ansah.

»Du verstehst mich doch, nicht wahr? Du warst doch bestimmt auch schon verliebt, vor vielen, vielen Jahren.« Triumphierend schaute sie Johanna an.

Diese erwiderte streng: »Das geht Sie, junge Dame, überhaupt nichts an.«

Abrupt strich sie die Bettdecke glatt und tat so, als beschäftigte sie Wichtigeres, damit Emmy nicht ihre leicht geröteten Wangen sehen konnte. Liebe! Für so etwas war nie die richtige Zeit gewesen. Ja, vor 15 Jahren, da hatte sie die Liebe kennengelernt. Doch da gab es die kleine Emmy, die sie nicht allein lassen konnte und wollte. Wer sollte die Kleine trösten, wenn sie sich weh tat? Wer sollte sie beschützen, wenn sie mal wieder Unfug anrichtete? Nein, sie konnte Emmy nicht allein lassen.

Es war eine schwere Entscheidung gewesen, doch sie hatte sie nie bereut. Emmy gab ihr so viel Liebe zurück!

Nein, genau so war es richtig! Und jetzt Schluss mit den Gedanken!

Sie gab sich einen Ruck und ging zum Schrank, um bei der Auswahl des Kleides zu helfen.

»Welches Kleid ziehe ich nur an?« Emmy stand ratlos davor. Das Haar, noch nicht frisiert, fiel ihr in großen Wellen über den Rücken. Bis zur Taille reichte die dunkelblonde Pracht. Emmy gefielen ihre Haare überhaupt nicht. Blond müsste es sein, wie die Mode es heutzutage bevorzugte, und nicht einfach nur brünett. Solche Haare hatten doch viele Damen! Auch mit ihrer Figur erklärte sie sich nicht einverstanden. Sie fand sich zu schmal und ihren Busen nicht groß genug. Allein die Augen gefielen ihr! Sie funkelten in einem ganz besonderen Blau. Männer mochten blaue Augen. Tatsächlich hatten sich schon mehrere Herren in Gedichten über das Blau ihrer Augen versucht, und sie gab sich ihrerseits stets redlich Mühe, die Farbe ihrer Augen durch die Auswahl ihrer Kleider deutlich hervorzuheben. Heute schien ihr dies besonders schwierig. Das Kleid musste nicht nur zu ihren Augen, sondern auch zu den roten Rosen passen, die Rafael ihr heute Morgen hatte schicken lassen.

Liebevoll sah sie zu dem kleinen Bukett, das auf dem Tischchen neben ihrem Himmelbett stand. Ihre Mutter hatte zum Glück nichts davon mitbekommen. Emmy hatte ein Hausmädchen mit Süßigkeiten bestochen und so war das kleine Blumenbukett unbemerkt und heimlich in ihr Zimmer gelangt.

Warum konnte ihre Mutter einfach nicht verstehen, dass Rafael ihre große Liebe war? Und Rafael liebte sie! Ihnen hatte sich natürlich noch nicht die Möglichkeit geboten, sich ihre Liebe zu gestehen, da sie ständig unter Aufsicht standen. Beim Tanzen jedoch oder wenn ihre Mutter sich gerade mit ihren Freundinnen unterhielt, wechselten sie ein paar private Worte. Oh, er wusste so wundervolle Komplimente zu machen. Dazu kam noch seine unglaublich imposante Statur. Die meisten Männer überragte er um mindestens einen halben Kopf. Breite Schultern taten ihr Übriges. Jede andere junge Dame im Saal musste vor Neid erblassen, wenn er sie auf die Tanzfläche führte. Seine Augen nur auf sie gerichtet, als ob es keine andere Frau auf der Welt mehr geben würde.

Durch seine stattliche Figur strahlte er so viel Stärke aus. Kein anderer Gentleman konnte ihm das Wasser reichen. In seiner Nähe fühlte sie sich bewundert und sicher. Ach, war Liebe nicht schön? Ganz bestimmt würde er sie heute um ihre Hand bitten. Also musste sie einfach gut aussehen!

Was hatte Rafael über sie gesagt? Ihre Augen würden wie zwei blaue Sterne leuchten, die ihm den Weg in das Paradies zeigten. Oh, ihr wurden jetzt noch die Knie ganz weich, wenn sie daran dachte. Versteckt hinter einer Palme hatte er sie kurz in den Arm genommen und ihr einen flüchtigen Kuss auf ihre Wange gehaucht. Bei dem Gedanken spürte sie wieder seine Lippen auf ihrer Haut. Sie bekam eine Gänsehaut. Wie würde es erst sein, wenn er sie auf den Mund küsste?! Emmy erschauerte.

Johanna beobachtete sie, die ganz in ihre Gedanken versunken schien. Sie machte sich Sorgen um ihren Schützling. Immer auf der Suche nach Liebe, bildete sie ein leichtes Opfer für solche Männer wie Rafael Jersey. Viel wusste sie nicht über diesen Mann, nur dass er eine Frau nach der anderen bezirzte. Und jetzt hatte er es auf ihren Schützling abgesehen. Emmy war so verliebt, sie hörte einfach nicht auf Johannas Ratschläge, vorsichtig zu sein mit diesem Mann. Wusste Lady Northland, Emmys Mutter, darüber Bescheid?

»Miss, Sie sehen aus, als hätten Sie irgendeinen Unfug vor. Benehmen Sie sich bitte heute. Ihre Mutter war das letzte Mal sehr ungehalten, als sie Sie nicht sofort finden konnte, auf dem Ball von Lady Westminster.«

Emmy schaute ihre Kinderfrau mit großen, unschuldigen Augen an.

»Den Blick können Sie sich bei mir sparen. Sie vergessen, ich kenne Sie schon, seit Sie auf der Welt sind.«

»Ach, Johanna, das stimmt, du kennst mich! Kannst du mir nicht helfen, die Liebe meines Lebens zu bekommen?«

»Die Liebe meines Lebens! Pah! Der junge Mann hat kein Geld und noch nichts vorzuweisen. Sie bilden sich da etwas ein, was einfach nicht da ist. Ich habe Ihnen schon oft genug gesagt, Sie sollen sich Ihre romantischen Flausen aus dem Kopf schlagen. Und nun setzen Sie sich vor den Spiegel, dann frisiere ich Ihnen endlich die Haare und danach übergebe ich Sie Ihrer Mutter. Die kann sich dann mit Ihnen herumärgern.«

Um ihre Worte abzumildern, gab sie Emmy einen Kuss auf die Stirn und sah sie liebevoll an: »Sie wissen, dass ich Sie liebe, kleine Miss?«

»Aber natürlich weiß ich das.« Sie nahm Johanna in die Arme.

Die alte Kinderfrau schob sie sanft von sich. In ihren Augen schimmerte es verdächtig.

»Jetzt aber Schluss mit dieser Gefühlsduselei!«

Verschämt wischte sie sich eine Träne weg. Wie groß die kleine Lady geworden war! Sie war eine erwachsene Frau geworden, die von vielen Männern der Gesellschaft begehrt wurde. Da spielte nicht nur die lange Ahnengalerie der Familie Northland eine Rolle, sondern auch ihr Aussehen und ihre freundliche Art.

Noch gut konnte sie sich an den Tag der Geburt erinnern. Die Kleine war von Anbeginn zart und schön. Sie hatte sie sofort in ihr Herz geschlossen. Leider ging es der Mutter, Lady Northland, nicht so. Diese hoffte, nachdem sie einen Sohn auf die Welt gebracht hatte, ihren Pflichten somit nachgekommen zu sein und fortan von ihrem Mann nicht mehr belästigt zu werden. Leider forderte ihr Gemahl weiterhin von ihr, sich für die Sicherung der Nachkommenschaft einzusetzen. Die zweite Schwangerschaft erwies sich dann jedoch als so belastend für den gesamten Haushalt, dass Lord Northland kaum noch zu Hause weilte und davon absah, weiterhin seiner Frau beizuwohnen. Glücklicherweise ist aus der ersten Schwangerschaft ein Sohn hervorgegangen, auf dem seine ganze Hoffnung ruhte.

Dies bedeutete Verantwortung und Pflicht und gestaltete sich für einen kleinen Jungen nicht immer einfach. Er stand unter ständiger Kontrolle des Vaters und seines Erziehers. Für eine Tochter war es unter diesen Vorzeichen noch um ein Vielfaches schwieriger: Sie musste mit einem Vater aufwachsen, der sich ausschließlich auf seinen Sohn konzentrierte, und einer Mutter, die aus mangelndem Interesse beide Kinder lieblos behandelte. Lord Northland war kein schlechter Vater, er wusste nur einfach nichts mit einer Tochter anzufangen. Keine guten Voraussetzungen für ein glückliches Leben.

Doch Johanna schenkte dem Mädchen ihre ganze Liebe und Aufmerksamkeit, und so vermisste Emmy fast nichts in ihrem Leben. Wenn sie Kummer hatte oder sich über etwas besonders freute, vertraute sie es sofort Johanna an. Ihre Eltern sah sie bis zu ihrem 17. Lebensjahr nur selten. Die Verantwortung für ihre Erziehung oblag Johanna und einer Gouvernante. Seit diesem Jahr jedoch hatte sich vieles verändert. Emmy war der Gesellschaft vorgestellt worden und sollte nun alsbald verheiratet werden.

Johanna sah in den Spiegel und kontrollierte die Wirkung ihrer Arbeit. So alt sie auch war, so geschickt arbeiteten ihre Hände. Im Nu hatte sie Emmys Haar gebändigt, das sie heute locker nach oben gesteckt hatte. Nur vereinzelt durften kleine Strähnen, zu zarten Locken gedreht, nach unten fallen. Emmys Hals wirkte dadurch noch schlanker und graziler. Eine Rose, seitlich im Haar befestigt, komplettierte Johannas Arbeit. Sehr zufrieden mit dem Ergebnis trieb sie Emmy zur Eile an.

»So, nun noch das Kleid hier anziehen, und Sie sehen einfach zauberhaft aus.«

Emmy betrachtete sich im Spiegel. Ja, das Kleid war traumhaft. Johannas Auswahl bewies wie schon so oft ihren guten Geschmack. Trotzdem seufzte Emmy. Debütantinnen war es leider nicht gestattet, farbige Kleider zu tragen. Ein zartes Gelb vielleicht oder ein helles Rosa wurden noch akzeptiert. Ihr heutiges Kleid aus cremefarbener Seide gab einen wunderbaren Kontrast zu ihren dunkelblonden Haaren. Eng schmiegte es sich an ihre Figur. Der Ausschnitt bedeckte gerade so ihren Busen.

Seltsam, dachte sie beim Blick in den Spiegel, ein farbiges Kleid darf ich nicht tragen, meinen Busen fast entblößen aber schon.

Die kleine Rose, die ihr Haar schmückte, passte wunderbar zu den Rosen am Saum ihres Kleides. Emmy drehte sich, tief in Gedanken versunken, vor dem Spiegel hin und her. Ob Rafael von ihrem Kleid auch begeistert sein würde?

Johanna fragte sich skeptisch, was in diesem Kind nur wieder vorging, und ermahnte Emmy noch einmal: »Und denken Sie daran: keine Dummheiten!«

»Ich mache bestimmt nichts Unüberlegtes.«

Ihre Zofe glaubte ihr kein Wort. Glücklich lächelnd nahm Emmy ihr Retikül, das Johanna ihr reichte, und ging frohgestimmt zur Treppe.

Bald werde ich ihn wiedersehen. Ihre Gedanken hüpften vor Glück durcheinander. Was wird er sagen, wenn er mich in diesem Kleid mit seiner Rose im Haar sieht? Wird er mich schön finden?

»Emmy!«

Die schrille Stimme ihrer Mutter durchbrach ihre romantischen Gedanken.

»Was stehst du da oben wie angewurzelt? Komm sofort zu mir!«

Lady Northland blickte verärgert nach oben. In ihrer großen Abendrobe sah sie immer noch sehr attraktiv aus. Trotz ihres Alters hatte sie ihre schlanke Figur behalten, die durch ihre gute Wahl der Kleider hervorgehoben wurde. Die nun grauen Haare waren zu einer eleganten Frisur aufgesteckt und mit einem großen Diadem komplettiert worden. An den Händen trug sie lange schwarze Abendhandschuhe.

Emmy wurde bewusst, dass sie tatsächlich vor der Treppe stehen geblieben war. Rasch ging sie die letzten Stufen hinunter.

»Entschuldige bitte, ich war ganz in Gedanken.«

Nervös sah sie zur ungeduldig Wartenden, als der Butler erschien und Lady Northland sich ihm zuwandte, woraufhin sie ihre Tochter streng ermahnte, hier auf sie zu warten, und mit Bradley die Halle verließ.

Warum konnte ihre Mutter nicht einmal nett zu ihr sein? Immer kritisierte sie nur an ihr herum. Nichts konnte man ihr recht machen. Seit dem Tod des Vaters war es noch schlimmer geworden. Ihr Bruder Philip hatte es gut. Er ging seiner Mutter einfach aus dem Weg und konnte es sehr viel einfacher, seitdem er sich eine kleine Wohnung gemietet hatte und dort übernachtete. So kam er nur, wenn Lady Northland ihn zu sich zitierte.

Meistens lebte sie jedoch mit ihrer Mutter allein. Jeden Nachmittag empfing Lady Northland Besucher, ihre Tochter musste ihr dabei selbstverständlich Gesellschaft leisten. Manchmal kam sich Emmy wie eine Zuchtstute vor, wenn sie von den Besucherinnen aufmerksam studiert wurde. Jede Bewegung wurde genau registriert. Teilte sie den Tee aus, wurde darauf geachtet, wie elegant ihre Bewegungen waren, mit welcher Grazie sie die Tasse reichte. Sie empfand es als unglaublich anstrengend, sich ständig kontrollieren zu müssen. Umgekehrt konnten die Nachmittage auch angefüllt sein mit Besuchen bei wichtigen Damen aus der Gesellschaft. Diese Besuche waren fast immer sterbenslangweilig, da man von Debütantinnen erwartete, dass sie still und gerade dasaßen und sich auf keinen Fall in ein Gespräch einmischten. Immer schön lächeln! Leider ließen sich diese Besuche nicht umgehen, um erfolgreich zu debütieren. Es ging immer um Kontakte und Verbindungen, Einladungen zu den wichtigsten Bällen oder Soireen. Für die jungen Debütantinnen musste daher ihr ganzes Sinnen, Trachten und Streben daraufhin abzielen, sich möglichst gut zu präsentieren. Manchmal wäre Emmy am liebsten davongelaufen.

Gott sei Dank gab es noch die kleinen Tanzabende. Dort ging es etwas lockerer zu. Emmy traf hier ihre Freundinnen und konnte sich mit ihnen austauschen. Sie unterhielten sich mit Spielen, zu trinken gab es Limonade und zu essen köstliche Süßspeisen. Alles fiel etwas einfacher aus, weshalb zu solchen Veranstaltungen eher junge Leute kamen, die noch nicht sehr lange in die Gesellschaft eingeführt waren. Für Emmy stellten diese Abende eine Erholung dar, verglichen mit den großen Gesellschaften, auf denen jeder ihrer Schritte unter strengster Aufsicht und Kontrolle stand.

Bei diesen eher intimen kleinen Gesellschaften konnte sie endlich etwas freier und fröhlicher sein. Es wurde viel gelacht, Limonade getrunken und getanzt. Das gefiel ihr erheblich besser als diese großen Bälle. Die ersten Bälle, die sie hatte besuchen dürfen, hinterließen anfangs einen berauschenden Eindruck. Sie hatte so lange darauf gewartet, endlich teilzunehmen. Doch irgendwann waren ihr alle gleich langweilig erschienen. Erst nachdem Rafael in ihrem Leben aufgetaucht war, spürte sie wieder Vorfreude auf den nächsten Ball.

Allein bei dem Gedanken, heute wieder mit ihm zu tanzen, bekam sie Herzklopfen. Meist kam er später als sie, was sie manches Mal zu einer Notlüge anderen Gentlemen gegenüber zwang. So enttäuschte sie einige Herren, die allerdings schnell begriffen: Sie mussten nur warten, bis Rafael sich eingetragen hatte, und danach wieder um einen Tanz bitten. Bei so einer bezaubernden jungen Lady gaben die meisten nicht so schnell auf.

Oh, dieser Moment, wenn er den Ballsaal betrat! Meistens blieb er kurz stehen und blickte sich um. Er sah überwältigend schön aus. Was für ein Auftritt! Und wie beseligend zu wissen, dass er nur ihretwegen kam! Das hatte er ihr beim letzten Ball heimlich gestanden. Ihr Herz wollte schier zerspringen, wenn sie daran nur dachte.

Ein kurzes Klopfen an der großen Eingangstür riss sie aus ihren Träumen. Sie gewahrte, dass ihre Mutter soeben wieder die Halle betrat und Bradley an ihr vorbei zum Portal eilte. Doch ehe dem Butler die Zeit blieb, die Tür zu öffnen, stürmte Philip bereits herein. Gekleidet in Abendgarderobe, seine blonden Haare zu einer Brutus-Frisur gekämmt, bot er das Bild eines ansprechenden, gut aussehenden jungen Mannes. Zwar gehörte er nicht zu den hoch gewachsenen Männern, doch machte er die fehlenden Zentimeter durch seinen muskulösen Körper wieder wett. Allerdings zeigte er momentan eher den Gesichtsausdruck eines trotzigen Kindes. Schlecht gelaunt richtete Philip seinen Gruß an die beiden Frauen.

»Ich bin da, meine Damen, wie ihr es gewünscht habt«, begrüßte er sie mit leicht ironischem Unterton.

Er hasste es, hierher zitiert zu werden. Aber ab und zu musste er seine Mutter und seine Schwester zu gesellschaftlichen Ereignissen begleiten, nun gut, immerhin bildete er das Familienoberhaupt. Zumindest sah es nach außen so aus. In Wirklichkeit war seine Mutter das Oberhaupt der Familie. Manchmal machte ihn das wütend, dass er nicht gegen sie ankam. Allerdings, das musste er sich eingestehen, hatte er es noch nie ernsthaft versucht. Ihr alle Entscheidungen zu überlassen hatte natürlich den Vorteil, dass er mit Problemen nicht belastet wurde und Entscheidungen zu seiner Entlastung ausfielen. Fehlentscheidungen würde sie niemals dulden. Außerdem hatte sie seine Meinung noch nie interessiert. Warum sollte er sich also mit ihr streiten? Sie würde nur mit ihrem ewigen Nörgeln über sein Junggesellentum anfangen. Und warum sollte er ihr das Thema auch noch zuspielen? Nach ein paar Jahren würde sowieso Schluss sein mit dem Amüsieren, dann würde er sich tatsächlich um sein Erbe kümmern müssen. Aber jetzt wollte er seine gewonnene Freiheit genießen. Ein Leben in Verantwortung kam ohnehin früh genug.

»Ich bin dir unglaublich dankbar, dass du uns deine Zeit schenkst!«

Auch seine Mutter konnte ironisch sein.

»Bevor wir uns auf den Weg zu dem Ball begeben, habe ich euch eine sehr wichtige Mitteilung zu machen. Eine Mitteilung, die unser aller Leben verändern wird. Wir werden dann später entscheiden, ob wir den Ball von Lady Fitsh noch besuchen werden.«

»Aber, wir müssen zu Lady Fitshes Ball, Mama! Ich bin dort mit meinen Freundinnen verabredet.« Emmy sah sie ängstlich an.

»Wir werden dies später entscheiden! Und bevor du zu jammern anfängst, sage ich dir, dass ich ganz genau weiß, wen du dort sehen möchtest. Schlage dir das aus dem Kopf und halte mich nicht für blind«, stellte ihre Mutter verärgert fest. »Wir haben Wichtigeres zu besprechen als deine Dummheiten.«

Emmy traute ihren Ohren nicht. Das sollte doch ihr Abend werden. Ihrer und Rafaels Abend.

»Aber, Mama, wie kannst du mir so etwas antun? Ich habe mich so darauf gefreut!« Die Verzweiflung war ihr deutlich anzusehen. »Mein Leben hängt von diesem Abend ab, und du willst nicht hingehen?!« Ihre Stimme klang leicht schrill. Das war wieder einmal typisch Mutter, immer ging alles nach ihrem Willen. Ihre Tochter war ihr ganz egal.

»Es geht hier nicht um deine Zukunft, sondern um die Zukunft deines Bruders. Sein Erbe muss gesichert werden, damit unser Name fortbestehen kann.«

Abrupt wandte sie sich zu Philip um. »Philip, würdest du bitte die Tür zur Bibliothek öffnen, dann können wir uns dort ungestört unterhalten.«

Philip tat, wie ihm von Lady Northland geheißen. Heute hatte seine Mutter einen noch härteren Gesichtsausdruck als sonst. Zudem schien sie nervös zu sein, denn ihre Hände zitterten leicht, was ihn sehr erstaunte. Das passte so gar nicht zu ihr.

»Nehmt bitte Platz. James, servieren Sie uns bitte Tee.« Mit Blick auf ihren Sohn fuhr sie fort: »Und etwas Wein.«

Philip setzte sich. Dass sie etwas Wichtiges mitteilen wollte, hatte er aus der Art entnommen, in der sie ihn heute Mittag aufgefordert hatte, unbedingt zu kommen. Wahrscheinlich fing sie gleich wieder an zu schimpfen, dass er zu wenig auf seinen Ruf achte und er sich endlich mehr um sein Erbe kümmern solle. Das Problem war, er hatte keine Ahnung, wie man dies machte. Sein Vater hatte ihn nie in die Bewirtschaftung von Standhurst, ihrem Landsitz, einbezogen. Immer hieß es, er sei noch zu jung, er solle erst einmal vernünftig werden und etwas lernen. Aber Philip glaubte eher, dass sein Vater nichts von seiner Macht abgeben wollte. Einmal versuchte Philip einen Vorschlag zur Erneuerung der Viehzucht zu machen. Tatsächlich hatte er sich, ohne seinen Vater davon in Kenntnis zu setzen, im Vorfeld zu diesem Thema umfangreich informiert und es sogar interessant gefunden. Als er seinem Vater die Neuerungen und die sich daraus ergebenden Vorteile unterbreitete, hoffte er, dass Lord Northland stolz auf seinen Sohn sein würde. Doch der reagierte ungehalten, herrschte Philip an, er habe absolut keine Ahnung von dem, was er da rede, und solle sich gefälligst aus diesen Dingen heraushalten. So endeten der Versuch und der Wunsch, sich in der Bewirtschaftung des Gutes einzubringen. Sein Vater war noch Tage später wütend auf ihn gewesen, und dem Sohn war es für die Dauer dieser Zeit vorgekommen, als ob ihn der Vater bewusst ignorieren würde.

Und dann kam vor gut sechs Monaten der Reitunfall! Lord Northland stürzte vom Pferd und brach sich das Genick. Er war sofort tot. Mit dem tödlichen Unfall hatte niemand gerechnet, da Northland ein sehr guter und erfahrener Reiter war. Zu seinem Glück oder Unglück, so genau wusste Philip es nicht zu sagen, übernahm seine resolute Mutter mit Hilfe des Verwalters entschlossen und tatkräftig die Geschäfte. Einerseits bot sich ihm dadurch die Möglichkeit, vor der Verantwortung zu fliehen. Andererseits hätte er auch gar nicht gewusst, wie er die Situation ändern könnte. Tief in seinem Inneren machte ihn diese Ohnmacht wütend. Nun hoffte er, dass der Spaziergang hierher sowie der Wein, den James gleich brachte, ihn innerlich beruhigen würde und er ihr gegenüber gestärkt auftreten konnte. Zudem wünschte er einen kurzen Aufenthalt auf dem Ball, sodass er sich später mit seinen Freunden treffen und das Leben feiern konnte.

James trat in die Bibliothek und servierte in stoischer Gelassenheit den Tee.

Emmy liebte diesen Raum mit den vielen kleinen Teppichen und der Wendeltreppe, die nach oben zur Galerie mit Büchern führte. Es war der gemütlichste Raum im ganzen Haus. Vor den großen Fenstern waren zwei kleine Tische mit bequemen Sesseln platziert. In der Nähe des großen Kamins stand ein Sofa, flankiert auf beiden Seiten von Beistelltischen, auf die man Bücher oder auch eine Tasse Tee bequem abstellen konnte. Abseits davon dominierte ein sehr schöner mahagonifarbener Schreibtisch den Raum, der nur noch selten benutzt wurde, da Lady Northland ihren eigenen Schreibtisch in ihrem persönlichen Salon vorzog. Emmy setzte sich gerne in den großen Stuhl hinter dem Schreibtisch, weil er den Komfort eines Sessels hatte und sie es sich darin beim Lesen so wunderbar gemütlich machen konnte.

Da die Angestellten nur morgens hereinkamen, um Feuer zu machen oder Staub zu putzen, hatte Emmy die Bibliothek den Rest des Vormittags für sich allein. Ihre Mutter stand nie vor zwölf Uhr auf, und so konnte sie diese Zeit in Einsamkeit genießen.

Auch Emmy empfand ihre Mutter heute verändert, strenger als sonst und in Unruhe. Sie guckte zu ihrem Bruder. Ihre Blicke trafen sich, er hob kurz die Schultern, um anzudeuten, dass es ihm auch aufgefallen war. Erwartungsvoll sahen sie Lady Northland an, nachdem der Butler die Tür leise hinter sich geschlossen hatte.

»Diese Unterredung wird unser Leben verändern. Ich wünschte, ich müsste dieses Gespräch nicht führen. Doch manchmal verlangt das Schicksal von uns, hart gegen uns selbst zu sein.« Ihr Blick wanderte kurz zu Boden, als müsste sie sich sammeln.

»Vor vier Wochen kam Morrison, unser Anwalt, zu mir und eröffnete mir, dass euer Vater uns nur Schulden hinterlassen hat!«

Ihre Kinder sahen sie geschockt an.

Philip reagierte als Erster. »Wie kann das sein? Es war doch immer genug Geld da. Vater hat nie etwas von Schulden gesagt!«

»Tja, das kann ich dir leider auch nicht sagen. Aber ihr wisst ja, dass euer Vater keine Einmischung in seine Geschäfte geduldet hat. Auch von mir nicht. Ich wünschte tatsächlich, ich könnte euch dieses Gespräch ersparen. Doch leider sind wir nach Lage der Dinge gezwungen, so rasch als möglich zu handeln. Das uns zur Verfügung stehende Geld reicht nur für die nächsten drei, vier Wochen. Niemand, das ist euch hoffentlich bewusst, darf etwas davon bemerken!«

Lady Northland sah beide eindringlich an.

»Wenn dies an die Öffentlichkeit gelangt, sind wir nicht nur materiell ruiniert, sondern werden von der Gesellschaft gemieden. Dies würde bedeuten, du, Philip, hast keine Möglichkeit mehr, eine vorteilhafte Partie zu machen.«

»Und was ist mit mir?«, fragte Emmy leise.

Philip und Emmy starrten ihre Mutter gespannt an.

Philip fragte: »Warum hast du mir nie etwas davon gesagt? Dann wäre ich doch vorsichtiger mit dem Geld umgegangen. Woher hat Vater so viele Schulden? Ich verstehe das alles nicht!«

»Dein Vater hat sehr viel Geld angelegt. Ich glaube, in die Eisenbahn. Auch Morrison weiß nicht genau, um welche Geschäfte es sich konkret gehandelt hat. Er hat dazu keinerlei Unterlagen. Er konnte mir nur sagen, dass ein Vermögen, über das wir vor fünf Jahren, von ihm amtlich bestätigt, verfügten, nicht mehr besteht. Das Geld ist weg. Wohin auch immer! Ich weiß es selbst nicht, denn euer Vater sprach mit mir nie darüber. Außerdem kenne ich mich damit nicht aus. Geldgeschäfte interessieren mich nicht. Eine Dame sollte sich mit diesem Thema nicht beschäftigen müssen.«

Lady Northland ließ ihre Kinder nach kurzem Innehalten würdevoll wissen: »Ich habe so gut es ging versucht, unser Leben nicht zu verändern. Doch leider fühlte sich Morrison verpflichtet, mich heute – noch vor der Mittagszeit! – ein weiteres Mal aufzusuchen.« Sie hielt wiederum inne und schüttelte verärgert den Kopf.

»Daran merkt man einmal mehr, dass er zu einer anderen Gesellschaftsschicht gehört. Er hätte sich doch denken können, dass wir heute Abend eine wichtige Verpflichtung haben. Nun gut, man kann von diesen einfachen Leuten einfach nicht zu viel erwarten.«

Sie konzentrierte sich wieder auf ihre Kinder.

»Er nahm sich tatsächlich die Freiheit, mich auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass wir sofort etwas unternehmen müssen. Als ob ich nicht selbst auf diesen Gedanken kommen würde!«

Wieder schüttelte sie den Kopf ob der Dummheit dieses Anwaltes.

»Es ist nun so: Wenn wir nicht bald zu Geld kommen, müssen wir Grundbesitz verkaufen – und das wäre geradezu eine Tragödie für unseren Ruf!«

Philip konnte nur innerlich den Kopf schütteln über die Gedankengänge seiner Mutter. Sie standen kurz vor dem Ruin und sie machte sich Gedanken um ihren Ruf!

»Wieso hat unser Anwalt mich nicht kontaktiert? Schließlich bin ich das Familienoberhaupt?«

Seine Mutter sah ihn kalt an. »Weil er genau weiß, wer sich hier um alles kümmert!«

Philip sah beschämt zu Boden.

»Was meinst du mit ›Grundbesitz verkaufen‹? Doch nicht etwa Standhurst?! Das kannst du nicht machen!« Emmy war entsetzt.

Sie war kurz davor, in Tränen auszubrechen. Standhurst war ihr Zuhause. Ihre ganze Kindheit hatte sie hier verbracht. Die Vorstellung, nie mehr dort sein zu können, war einfach schrecklich. Sie kannte jeden Winkel dort. Schon als Kind war sie täglich mit ihrem Pferd Jumper ausgeritten, mit Philip heimlich zum Angeln gegangen … Ihre Mutter hatte nie etwas davon mitbekommen. Die Eltern lebten fast die ganze Zeit in London. In der Stadt fühlten sie sich zu Hause, die Landbevölkerung war ihnen fremd. Emmy dagegen kannte alle Familien auf Standhurst. Teilweise lebten sie schon in der vierten oder fünften Generation dort. Sie verließen sich auf die Familie Northland. Man durfte sie auf keinen Fall allein lassen! Nein, sie konnte sich nicht vorstellen, ihr Zuhause zu verlieren. Es würde ihr das Herz brechen.

»Es gibt keinen Grund zur Dramatik«, sagte ihre Mutter beschwichtigend. »Ich habe eine Möglichkeit gefunden, um uns und Standhurst zu retten.«

»Und welche?« Philip ahnte nichts Gutes.

Lady Northland sah Emmy in die Augen: »Du, meine Tochter, wirst die Familie retten und das Erbe deines Bruders!«

Triumphierend sah sie ihre Kinder an.

»Wie meinst du das, Mutter?« Philip sah seine Mutter erwartungsvoll und zugleich beunruhigt an.

»Was meinst du damit, ich werde die Familie retten?« Emmy konnte kaum atmen vor Aufregung. Vielleicht könnte sie doch noch Rafael heiraten?

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9783944987361
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