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Kapitel 8
Ich spüre, wie Aiden mich zudeckt und danach leise die Tür öffnet, um zu gehen.
"Aiden?", frage ich leise.
"Ja?"
"Kannst du, ähm ... Kannst du vielleicht hier bleiben?" Wenigstens lalle ich nicht mehr, aber anscheinend hat mich der angetrunkene Mut noch nicht verlassen, denn ich bin selbst überrascht über meine Worte. Aiden sagt nichts. Langsam wird's peinlich. "Du kannst ja in Abys Bett schlafen, sie schläft heute eh außerhalb."
"Meintest du nicht, du tust 'so etwas' nicht?", fragt Aiden amüsiert. Er steht immer noch da und hält den Türgriff in der Hand.
Ich seufze einmal laut auf und bereue es sofort ihn gefragt zu haben. "Ich will einfach nur nicht allein sein ... denke ich. Aber wenn du gehen willst, ist das in Ordnung. Immerhin hast du mich schon nach Hause gebracht." Ich ziehe mir die Decke bis zum Kinn hoch und sehe ihn unsicher an.
Durch die Dunkelheit erkenne ich, dass Aiden die Tür schließt, sich auf's Bett mir gegenüber setzt und seine Schuhe auszieht.
"Du bleibst?" Ich versuche, mein Grinsen zu unterdrücken.
"Ja und jetzt schlaf." Ich kann hören, dass auch er grinst.
Ich schließe zufrieden meine Augen und kuschle mich noch mehr in meiner Decke.
"Schlaf schön", sagt Aiden noch leise. Während ich seine Bettwäsche noch rascheln höre, schlafe ich schließlich ein.
Die Sonnenstrahlen wecken mich und ich merke sofort die Nebenwirkungen des gestrigen Abends. Mein Kopf schmerzt höllisch und mir ist kotzübel. Ich massiere mir die Schläfen und versuche die letzte Nacht revue passieren zu lassen. Noah. Tanzen. Ich. Betrunken. Gras. Aiden.
Oh, scheiße. Aiden! Ich schaue nach links auf Abys Bett und da liegt er tatsächlich. Ein Arm hängt von der Bettkante und seine Füße gucken am anderen Ende der Bettdecke raus. Er schnarcht ein wenig und seine Haare sind total durcheinander.
Wieso habe ich ihn nur gefragt, ob er hier bleibt? Und ... Ich erinnere mich. Ich habe ihm gesagt, dass er schöne Hände hat, er hat mir in die Arschtasche gepackt, ich hab an ihm geschnuppert und ich habe ihm auch noch von August erzählt! Oh Gott. Wie peinlich ist das denn? Wie soll ich mich denn jetzt ihm gegenüber verhalten? Er muss doch denken, dass ich total gestört bin.
"Mist!", fluche ich laut. Sofort halte ich mir den Mund mit beiden Händen zu und schaue zu Aiden. Bitte wach nicht auf, bitte wach nicht auf, ...
"Ravely?", raunt er mit kratzender Stimme. Verschlafen hat er eine noch viel schönere Stimme... Aiden reibt sich die Augen und sieht mich an.
Ich verstecke mich ein bisschen unter meiner Decke und sehe ihn erwartungsvoll an. "Hallo."
"Hallo." Er richtet sich auf. "Wie fühlst du dich?" Er fährt sich durch die Haare und schon sehen sie fast wieder perfekt aus.
"Beschissen", antworte ich und komme ein wenig unter der Decke hervor.
"Glaub ich. Du warst ganz schön betrunken gestern."
"Ich weiß."
"Und du wolltest auch noch Gras rauchen."
"Ich weiß." Hoffentlich spricht er mich nicht auf den Rest an, den ich noch gemacht hab. Das wäre wirklich nur noch mein Ende.
Ich ziehe die Decke weg und setze mich ebenfalls auf die Bettkante. Man merkt eine gewisse Spannung zwischen uns, ich kann sie nur nicht einschätzen.
"Wieso hast du das gemacht?" Er sieht mich ernst an.
"Was?"
"Dich so betrunken. Und dann wolltest du auch noch kiffen. Ich meine, ich kenne dich ja eigentlich kaum. Ich weiß nicht, ob du das in deiner Heimat auch immer gemacht hast, aber ... irgendwie passt das nicht zu dir. Vor allem, weil du mir gesagt hast, dass du für so etwas keine Zeit hast, weil du dich aufs Schreiben konzentrieren willst. Ich wundere mich nur."
"Etwas hat mich zum Umdenken gebracht. Und keine Ahnung. Ich dachte einfach, dass man so halt ... Spaß hat." Ich komme mir unheimlich blöd vor. Würde mich nicht wundern, wenn er mich geradeaus auslachen würde.
"Rave." Aiden seufzt und verdreht die Augen. Er nennt mich das erste Mal Rave. Ich lächle leicht. "Das ist doch kein Spaßhaben. Das war einfach nur die reine Folter, die du dir da angetan hast."
"Wenn es Folter ist, wie du behauptest - wieso tun es dann so viele?" Eingeschnappt verschränke ich die Arme. Er muss aber auch immer Recht behalten.
"Nur Idioten tun das. Du bist keine Idiotin."
Hat er mir gerade ein Kompliment gemacht? Ich werde sofort wieder rot. "Ich habe sowieso gemerkt, dass es absolut nichts für mich ist“, gebe ich zu. Ich seufze und lehne mich an die Wand. Es ist einfach die Wahrheit. Das tue ich mir sicherlich nicht mehr an.
"Auf jeden Fall hast du jetzt erst mal genug erlebt, um mindestens ein halbes Buch für unseren Kurs zu verfassen", scherzt Aiden.
Oh, Mist. Das Schreiben habe ich völlig vergessen in den letzten Tagen. Und die Hausaufgaben auch noch! Dieses verdammte College. Diese verdammte Frau in dem Café. Ich habe das Gefühl, mein ganzes Leben dreht sich momentan um hundertachtzig Grad und es fühlt sich definitiv nicht gut an.
"Oh, nein", stöhne ich und lege meinen Kopf in meine Hände, "Das habe ich alles total vernachlässigt in den letzten Tagen."
"Ist doch nicht schli-"
"Doch, ist es." Ich sehe ihn an. "Ich bin doch eigentlich hier her gekommen, um aus mir etwas zu machen und jetzt? Sieh mich an. Ich bin verkatert und wollte Drogen nehmen. Diese blöde Frau in diesem blöden Café."
Aiden runzelt die Stirn. "Was für eine Frau?"
"Da war so eine Frau, die ... Hach, egal." Ich stehe auf. "Du musst auf jeden Fall jetzt gehen. Aby wird bestimmt bald kommen und ich möchte mir ein Gespräch, ob du und ich etwas miteinander hatten oder nicht ersparen."
Aiden lacht kurz auf. "Du hast Recht." Er zieht sich seine Boots an und steht auf. Jetzt merkt man wieder diesen überdimensionalen Größenunterschied zwischen ihm und mir. Aiden steht nur noch einen Meter von mir entfernt und ich kann erneut diese Spannung zwischen uns fühlen. Kurz sehen wir uns nur an. Man könnte sich in seinen Augen verlieren ... Ich fange mich wieder, ich muss endlich damit aufhören.
Ich gehe zum Schreibtisch und reiche ihm seine Autoschlüssel. "Dann wünsch ich dir noch einen tollen Tag."
Er nimmt sie mir ab. "Danke, ebenfalls. Bekomm ich deine Handynummer?"
"Nein." Ich öffne die Tür für ihn. Er soll jetzt einfach gehen, ich hab noch viel Arbeit vor mir.
Aiden sieht mich überrascht an. "Wieso? Sind wir jetzt nicht so etwas wie Freunde?"
"Aiden", seufze ich genervt und verdrehe die Augen.
Er kommt aber immer noch nicht auf die Idee zu gehen, sondern geht auf meinen Schreibtisch zu und krickelt irgendetwas auf meinen Schreibblock. "Jetzt hast du meine Nummer. Und jetzt werde ich gehen", sagt er triumphierend und stolziert grinsend aus der Tür hinaus.
Wieso ist er immer so gut drauf? Ich habe ihm gerade meine Handynummer verwehrt, sogar nach allem, was er letzte Nacht für mich getan hat und er lässt trotzdem nicht locker, sondern ist weiterhin freundlich. Ich wünschte, ich wüsste, was in seinem Kopf vorgeht.
"Endlich", stöhne ich so, dass er es noch hören kann und schließe die Tür hinter ihm. Ich lehne mich an der Tür an und reibe mir über die Schläfen. Meine Kopfschmerzen sind echt höllisch. Letzte Nacht war ein riesiger Fehler. Ich gehe zu meinem Schreibtisch und sehe sofort Aidens Nummer auf meinem Block Für Lebenserfahrung und 'So etwas' hat er noch darunter geschrieben. Ich grinse wie ein absoluter Vollidiot vor mich hin. Kurzerhand reiße ich das Stück Papier heraus und schiebe es in meinen Geldbeutel. Nur für alle Fälle.
"Okay, zwei Fragen", höre ich eine Stimme hinter mir und drehe mich erschrocken um. "Wieso ist Aiden Bender gerade aus unserem Zimmer gekommen? Und zweitens: Wieso grinst du so?"
Aby steht mit ihren Pumps in der Hand in unserem Zimmer. Sie hat immer noch das Kleid von gestern Abend an, nur ist sie jetzt ungeschminkt.
"Ich, äh ..." Ich suche nach Worten und lasse meinen Geldbeutel in meiner Arschtasche verschwinden. Sie braucht das wirklich nicht wissen.
"Hattet ihr Sex?"
"Oh Gott, nein, Aby!"
"Das glaube ich dir natürlich nicht, aber ist ja auch egal. Ich hab gehört du warst gestern sturzbetrunken", lacht Aby jetzt und zieht sich ihr enges Kleid aus.
Sofort schäme ich mich wieder für mein gestriges Verhalten und werde rot. Ich halte mir meine Hände vors Gesicht und sage: "Erinner mich nicht daran!“
"Okay, werde ich nicht. Anscheinend weißt du noch genug. Was hast du heute geplant?" Sie zieht sich Hose und Oberteil an und verstaut ihre Pumps im Schrank.
Ich setze mich an meinem Schreibtisch und stütze meinen Kopf in den Händen. "Gar nichts. Ich hab noch viel zu viel für die Schule zu tun, also wird mein Samstag wohl so aussehen." Ich deute auf meine Schulsachen.
"Du willst doch nicht wirklich deinen ersten Samstag an der ZOS in deinem Zimmer verbringen, oder?"
Ich zucke nur mit den Schultern und schalte meinen Laptop an. "Wo warst du eigentlich letzte Nacht?"
"Bei Cam." Ich sehe ihr Grinsen bis hier hin. "Als mir gesagt wurde, dass du mit Aiden weg bist, dachte ich, dass ich auch einfach bei Cam schlafen könnte. Und dann bin ich zu ihm gefahren."
"Aby, Aiden und ich hatten nichts miteinander."
"Ja ja, wie auch immer. Ich geh auf jeden Fall jetzt wieder zu Cam. Ich wollte mich nur umziehen."
Ich drehe mich zu ihr um.
Sie nimmt sich ihren Autoschlüssel und öffnet die Tür. "Vergiss nicht, dieses doofe Ding irgendwann nochmal auszumachen und deinen Samstag zu genießen." Und sie verschwindet.
Ich frage mich, wie Aby und Cam es schaffen, diese ganze Sache vor der Schulleitung geheim zu halten. Sie scheinen irgendwie sehr offen damit umzugehen. Sofort fange ich an, die letzten Stunden niederzuschreiben. Ich schreibe über die Frau in dem Café und wie ich das Gefühl hatte, dass sie mir meine Zukunft offenbart hat und ich mir dadurch vorgenommen hatte, mehr Spaß zu haben. Dann schrieb ich auch schon über die Party und wie ich es mit dem Alkohol übertrieben habe, wie Noah sich an mich rangemacht hat und mir Gras angeboten hat und auch, wie ich es tatsächlich wollte. Schließlich schrieb ich auch schon an über Aiden, wie er sich mit mir unterhalten hat und mich nach Hause gebracht hat. Wie ich an ihm gerochen habe und er hier geschlafen hat.
Um halb vier bin ich endlich fertig und ich klappe meinen Laptop zu. Da ich während des Schreibens ungefähr vier Liter Wasser getrunken habe und mindestens sechsmal auf Toilette war, sind meine Kopfschmerzen und meine Übelkeit so gut wie verschwunden.
Ich überlege, was ich jetzt machen könnte. Was würde ich jetzt machen, würde ich noch zu Hause wohnen? Ich würde wahrscheinlich etwas mit Scar unternehmen oder lernen. Na ja, Scar kann ich schon mal wegstreichen, denn sie ist nicht hier und lernen? Ich habe gerade mehrere Stunden mit Schreiben verbracht und irgendwie habe ich überhaupt keine Lust darauf.
Deswegen beschließe ich einfach, im Internet nach Möglichkeiten zu suchen, was man in London so machen kann. Immerhin lebe ich jetzt in einer riesigen Stadt, irgendetwas muss hier ja interessant sein.
British Museum, London Eye, Madame Tussauds, ... ständig kommen nur die gleichen Dinge raus. Ich würde zwar gerne all diese Sehenswürdigkeiten irgendwann sehen, aber auf so etwas hab ich heute wirklich keine Lust. Kurzerhand google ich, wann und wo die nächste Lesung stattfindet und werde auch schnell fündig.
Elcurina Street 63 um sechs Uhr.
Da ich noch kein Auto habe, muss ich mit der Subway dorthin fahren. Die Fahrt dauert länger als ich dachte, fast eine ganze Stunde. Als ich aus der Bahn aussteige, habe ich absolut keine Ahnung, wo ich bin. Außerdem sieht die Gegend auch extrem gruselig aus. Ich gehe mit zügigen Schritten auf das Gebäude zu, in das mein Handynavy mich führt und komme pünktlich um sechs Uhr dort an.
Ich bin froh, dass ich hier her gekommen bin, denn diese Lesung ist noch besser als die letzte. Die vorgelesenen Bücher sind sehr viel aufregender und besser geschrieben. Als ich aus dem Gebäude rauskomme, sehe ich, dass es schon stockdunkel ist. Immerhin ist es schon elf Uhr abends. Ich zittere am ganzen Körper und bereue es, dass ich keine dickere Jacke mitgenommen habe. Wie konnte ich auch denken, dass die Lesung frühzeitig endet?
Ich rubble mir mit meinen Händen über die Arme und schaue mich um. Dann trifft mich die eiskalte Realität: Ich habe absolut keinen Schimmer, wo ich bin und im Dunklen sehen die Straßen hier noch viel unheimlicher aus.
Mit klappernden Zähnen ziehe ich mein Handy aus der Hosentasche und gerade, als ich mein Navi anmachen will, blinkt ein "Akku fast leer"- Pop Up auf. Na toll, das Navi kann ich jetzt vergessen. Ich entscheide mich, einfach mal in die Richtung zu laufen, aus der, ich glaube, auch gekommen bin.
Ich scheine so abseits von der Innenstadt zu sein, dass man hier nicht einmal mehr Autos hupen hören kann und das ist in London normalerweise sehr unüblich. Ich laufe weitere fünf Minuten in eine Richtung und merke, dass mich mein Orientierungssinn immer mehr verlässt. Scheiße! Was soll ich denn jetzt machen? Ich will nicht auf der Straße schlafen müssen. Ich sehe einen kleinen Pub am Ende der Straße und gehe schnell darauf zu. Hier sollte es wenigstens warm sein. Ich betrete das Lokal und sofort umgibt mich eine wohlige Wärme.
In meiner Heimat war ich oft abends allein in Pubs, weil ich die Stimmung dort einfach immer toll fand und da konnte ich - zumindest mit Kopfhörern - auch immer gut schreiben. Scar und Dad haben das nie verstanden und ich verstehe es selbst nicht, aber ich fühle mich in solchen Locations einfach wohl. Ich gehe an die Bar und bestelle ein Wasser. Alkohol werde ich in nächster Zeit nicht mehr anfassen, dieses Teufelszeug ist erst mal unten durch bei mir.
"Das macht dann zwei Pfund", lächelt mich der Barkeeper freundlich an.
Ich nicke und ziehe meine Brieftasche aus meiner Arschtasche. Ich ziehe einen Schein heraus und reiche ihn dem Barkeeper und da fällt mir auf, dass ein kleiner Zettel mit herausgefallen ist.
Der Barkeeper gibt mir mein Rückgeld und ich falte stirnrunzelnd den kleinen Zettel auf, 'für Lebenserfahrung und ‚So etwas' mit einer Handynummer. Aiden. Sofort grinse ich leicht. Und da kommt mir eine Idee. Ich könnte ja vielleicht Aiden anrufen und er könnte mich eventuell ... abholen. Das würde er doch nie im Leben machen! Erinnerst du dich, wie unfreundlich du heute Morgen noch zu ihm warst?, flüstert mir meine innere Stimme mit erhobenen Brauen zu.
Ich denke nicht darüber nach und tippe seine Nummer in mein Handy. Nur noch 7% Akku. Dieses Gespräch muss definitiv schnell gehen.
Es tutet und ich tippe nervös mit meinem Mittelfinger auf die Holzbar.
"Hallo?", meldet sich Aiden mit seiner tiefen Stimme am anderen Ende der Leitung.
"Hi", sage ich kleinlaut. Es ist mir peinlich, dass ich ihn jetzt um etwas bitten muss, obwohl ich so zickig zu ihm war.
Kurz herrscht Stille in der Leitung, aber ich höre klar und deutlich Aidens Grinsen. "Sorry, wer ist denn da?"
"Aiden, ich bin's, Ravely." Ich seufze und verdrehe die Augen.
"Vermisst du mi-"
"Hier, ich hab jetzt echt keine Zeit zum Plaudern. Ich bin gerade irgendwo im Nirgendwo in London und habe absolut keine Ahnung wo ich bin und wie ich nach Hause komme, mein Akku ist fast leer und na ja ..."
"Jaa?" Er provoziert mich wirklich bis auf den letzten Drücker.
Ich verdrehe wieder die Augen. "Kannst du mich vielleicht holen?", frage ich seufzend, "Bitte?"
Kapitel 9
Noch 4% Akku, zeigt mir mein Handy an und ich fange an, noch nervöser zu werden.
"Wo bist du denn?"
"Ich sitze gerade in einem Pub."
"Sehr hilfreiche Information." Er lacht. "Du musst schon genauer werden."
"Ehm, der Pub heißt...", ich gucke umher, sehe aber kein Schild, auf dem der Name stehen könnte.
"Frag den Barkeeper", höre ich Aidens Stimme durchs Telefon.
Ich tue, was er sagt und sage dann schnell ins Telefon: "Vision! Aiden, schnell, bitte sag, dass du den kennst. Ich hab nur noch 2% Akku!"
"Man, du bist ja am Arsch der Welt", sagt er ausatmend. "Aber ich kenn den Pub, ich bin ungefähr in einer halben Stunde da."
Ich lege auf und nicht einmal fünf Sekunden danach stirbt auch schon mein Handy. Zum Glück habe ich Aiden rechtzeitig angerufen, sonst würde ich wahrscheinlich in irgendeiner Gosse schlafen oder mich bei irgendeinem komischen Typ einschleimen müssen, damit er mich eventuell nach Hause fährt. Ich schüttle mich bei dem Gedanken, dass so etwas eine der wenigen Möglichkeiten wäre, die ich noch gehabt, hätte mir Aiden nicht seine Nummer gegeben.
"Miss, wollen sie noch etwas trinken?", fragt der Barkeeper und zeigt auf mein leeres Glas.
Aiden sagte ja, dass er erst in einer halben Stunde kommen würde, also nicke ich.
Der Barkeeper füllt mein Glas auf. "Ich hab´ dich hier noch nie gesehen." Er sieht mich lächelnd an. Sein Lächeln ist wirklich sympathisch. Er scheint auch noch nicht so alt zu sein, ich würde ihn auf zwanzig schätzen. "Normalerweise sitzen hier nur Männer, nachdem sie Stress mit ihren Frauen hatten, Alkoholiker oder - .Von einem Tisch hört man viele Männer ungefähr Mitte vierzig rumgrölen, weil im Fernsehen gerade ein Touch-Down gemacht wurde. "Oder nun mal solche." Er lacht.
"Ich war bei einer Lesung ein paar Straßen weiter und hab mich letzten Endes verlaufen."
Er formt mit seinen Lippen ein 'Oh' und runzelt belustigt die Stirn. "Aber ich nehme an, du hast gerade deine Abholmöglichkeit bestellt?" Er deutet auf mein Handy.
Ich nicke und nehme einen Schluck von meinem Wasser.
"Ich bin übrigens Andy."
Ich will gerade antworten da wird die Eingangstür laut aufgeschmissen und mehrere junge Frauen stolzieren in den Pub. Ich will ja nicht voreilig urteilen, aber sie sehen wirklich alle aus wie Frauen, die für Geld ihren Körper verkaufen. Huren. Ich zähle vier Stück und sie klackern auf die Bar zu. Mir entgeht kein einziger Blick der Frauen, während sie an mir vorbei laufen und mich von oben bis unten abwertend anschauen. Sie scheinen lange Hosen und Shirts ohne Ausschnitt nicht gewohnt zu sein.
Ich sehe amüsiert zu Andy und nehme einen weiteren Schluck meines Wassers.
"Andyyy", trällert eine der vier Gestalten und winkt ihn zu sich. Ihre Brüste sind größer als ihr Kopf.
"Stammgäste", seufzt er, als er meinen fragenden Blick sieht und geht auf sie zu.
Ich schenke diesem Szenario nicht weiter meine Aufmerksamkeit und fange an, den Untersetzer, der vor mir liegt, zu zerfetzen. Aiden soll sich beeilen, ich will hier nicht länger rumsitzen. Auch, wenn Andy echt nett zu sein scheint. Ich wundere mich sowieso, wieso Aiden so freundlich ist und mich abholt. Ich war wirklich nie nett zu ihm, außer als ich betrunken war. Wenn jemand so mit mir umgehen würde, hätte ich ihm schon längst die kalte Schulter gezeigt. Aber er ist noch genau so freundlich, wie als er mich das erste Mal am Campus angesprochen hat. Ich frage mich, was ihn jemals wirklich verletzen würde und ob das überhaupt möglich ist. Was hat er eigentlich gemacht, bevor ich ihn angerufen habe? Vielleicht war er ja wieder auf einer Party, oder bei Freunden. Oder bei Blondi. Nein, dann würde er mich wahrscheinlich nicht abholen. Also war er wohl auf einer Party. Ich kann mir nämlich nicht vorstellen, dass er seinen Samstagabend in seinem Zimmer verbringt oder wo auch immer er wohnt.
Hat er eigentlich schon eine eigene Wohnung? In seinem Alter haben doch die meisten schon eine eigene Wohnung. Obwohl ... Ich weiß ja nicht mal, wie alt er ist. Mir wird immer klarer, wie wenig ich eigentlich von ihm weiß.
"So, ich bin wieder aus der Hölle zurück“, unterbricht Andy meine Spekulationen.
Ich lache leise. "Hach, so schlimm sehen die doch gar nicht aus." Meine Ironie ist nicht zu überhören.
"Nein, du hast Recht", stimmt er ernst zu. "Sie sind in Wirklichkeit noch viel schlimmer, wenn man näher dran ist."
"Ravely", sage ich schmunzelnd und nehme noch einen Schluck von meinem Wasser.
"Was?"
"So heiße ich. Ravely."
"Schöner Name. Wusstest du, dass Rave Raabe heißt?"
Ich verdrehe gespielt die Augen. "Ja, habe ich tatsächlich schon öfter gehört."
Nach ungefähr fünfzehn Minuten geht die Tür der Bar ein weiteres Mal auf und Aiden betritt den Raum. Er trägt heute mal keine schwarze Jeans, sondern eine helle, diese hat aber auch Löcher an den Knien. Sie steht ihm mindestens genauso gut, wie die andere. So sieht man seine durchtrainierten Beine. Dazu trägt er einen schwarzen Hoodie. Selbst mit solch einfachen Klamotten sieht er wieder unglaublich gut aus. Als er mich erblickt, zeigt er mir wieder sein Grübchenlächeln und seine weißen Zähne. Mir ist das definitiv unangenehm, denn mittlerweile bin ich ihm echt was schuldig.
"Na, du Nomade", grüßt er mich und setzt sich auf den Hocker neben mir. Jasmin, Moschus und Aiden.
Ich sehe, wie die vier Gestalten sich zu ihm umdrehen und sich etwas zuflüstern. Ich verdrehe wieder die Augen. "Jaja, hau bloß jegliche Sprüche raus, die du dir auf der Fahrt hier her ausgedacht hast."
"Okay, also.“ Er räuspert sich kurz und will gerade zum Sprechen ansetzen, wird aber unterbrochen.
"Bender!", ruft Andy vom anderen Ende der Bar, wo er gerade Gläser abspült. Er trocknet sich die Hände ab und kommt auf uns zu.
Aiden dreht sich zu ihm um und hebt den Arm. "Hey, Alter. Du arbeitest ja immer noch in diesem Puff." Er deutet unauffällig auf die Frauen hinter uns.
Die kennen sich? Kennt Aiden eigentlich jeden? Ich beobachte stirnrunzelnd die Szene vor mir.
"Irgendwie muss ich ja um die Runden kommen. Und du bist heute Nacht der Fahrdienst für Ravely?" Andy nickt zu mir.
Wow, ich scheine nicht mehr anwesend zu sein.
Aiden sieht verwirrt zu mir und wieder zu Andy. "Ihr kennt euch?"
Andy antwortet: "Ja, sie saß so verzweifelt hier am Tresen und da haben wir uns angefangen uns zu unterhalten."
"Hallo? Ich sitze hier und kann euch hören", melde ich mich jetzt auch mal zu Wort.
"Na, wenn das so ist, werden wir jetzt fahren." Aiden steht auf und nickt Andy noch zum Abschied zu.
Ich krame noch zwei Geldstücke aus meinem Geldbeutel und reiche es Andy.
"Lass, geht aufs Haus", zwinkert er mir zu. "Mach's gut Ravely. Ich hoffe, man sieht sich mal wieder."
Ich lächle ihm noch zu, lege heimlich doch noch Geldstücke hin und folge Aiden aus dem Pub.
"Mein Wagen steht hier drüben", meint Aiden und zeigt auf einen Parkplatz ein wenig weiter weg.
Ich nicke und folge ihm reumütig. Draußen ist die Temperatur auf gefühlte -10 Grad gesunken. Als wir endlich in seinem Auto sitzen, kommen wieder Erinnerungen von gestern Nacht hoch. Wie er mir an den Po gefasst hat ... Sofort steigt mir die Röte ins Gesicht und ich schaue aus dem Fenster.
"Also jetzt erzähl mal." Aiden startet den Motor und sieht mich an.
Ich sehe ihn fragend an und versuche ihm nicht zu zeigen, wo meine Gedanken gerade sind.
"Wie du hier her gekommen bist, meine ich."
Ich lehne meinen Kopf an die Fensterscheibe und sage: "Ich war bei einer Lesung hier in der Nähe. Musste dann aber schnell feststellen, dass mein Akku fast leer war, ich dadurch mein Navi nicht benutzen konnte und ich mich hier außerdem null auskenne. Dann war da halt diese Bar." Ich rubble mir mit meinen Händen über die Arme, um mich aufzuwärmen.
Als Aiden das bemerkt, dreht er die Heizung voll auf. "Zum Glück hab ich dir meine Handynummer heute Morgen noch - trotz deiner Sturheit - aufgeschrieben. Sonst wäre der Abend wohl nicht mehr so rosig ausgegangen."
Ich setze mich richtig hin und sehe ihn an. "Wieso machst du das, Aiden?"
"Was meinst du?" Sein Blick ist stirnrunzelnd auf die Straße gerichtet.
"Ich meine das hier." Ich mache eine allumfassende Geste. "Ich kann mich wirklich an keinen Moment erinnern, in dem ich auch nur ansatzweise nett zu dir war - außer als ich betrunken war - und trotzdem bist du ständig so freundlich zu mir. Ich meine, diese Strecke ist ja wohl mal kein fünf Minuten Ding. Wieso also machst du das immer wieder?"
Aiden schweigt, er scheint zu überlegen. "Das ist eine extrem gute Frage", sagt er leicht überfordert. "Und ich kann sie dir ernsthaft nicht beantworten. Ich meine, du bist schon manchmal extrem giftig, außer natürlich du bist betrunken." Er lacht.
Irgendwie verletzt mich das jetzt mehr, als es sollte. Ich blicke wieder auf die Straße. "O …" Bin ich wirklich so schlimm?
Er atmet einmal tief ein und sieht mich kurz an. "So meinte ich das nicht. Ich mag das." Er mag das? Wer zur Hölle mag so etwas schon?
"Offensichtlich", lache ich bitter auf.
"Guck, das meine ich. Du gehst jedem Kompliment aus dem Weg, kannst aber auch gleichzeitig nicht das Gegenteil hören. Wieso also tust du das?"
Ich blinzle. Das ist mir vorher noch nie aufgefallen und mir hat nie jemand Ähnliches gesagt. "Ich, ähm, ich weiß es nicht ... um ehrlich zu sein."
"Ich glaube, du kennst dich selbst kaum."
"Wie meinst du das?" Ich kann nicht glauben, dass ich mit Aiden gerade wirklich über so etwas rede.
"Ich wette, du kannst mir nicht vier Charaktereigenschaften von dir aufzählen", fordert er mich heraus und sieht mich von der Seite an.
"Kann ich sehr wohl", sage ich und verschränke meine Arme.
"Dann bitte." Er gibt mir ein Zeichen, dass ich anfangen soll.
Sofort bin ich überfordert. "Ähm, ich schreibe gerne. Das bedeutet, ich bin kreativ ... oder?"
"Du bist dir nicht mal sicher." Er lacht. "Und das schon bei der ersten Eigenschaft."
"Sag du mir doch vier Charaktereigenschaften von dir", stichle ich ihn an.
"Glaub mir, ich kenne mich gut genug. Bist du eigentlich jetzt bereit, dich mit mir anzufreunden? Ich meine, ich bin hier wirklich einen weiten Weg gefahren und-"
"Ja, schon gut, Aiden." Ich verdrehe gespielt die Augen.
Er grinst. "Sehr schön. Ich nenne dich jetzt übrigens Raven. Nicht Ravely oder Rave."
"Wieso das?"
"Ich finde Raven passt viel besser zu dir und außerdem nennt dich niemand so. Das unterscheidet mich von den anderen."
"Okay." Ich kann mein Grinsen nicht mehr zurückhalten. Ihn unterscheidet so viel von den anderen.
"Lust, was essen zu gehen?", fragt er mich.
"Was? Wir haben mitten in der Nacht."
"Hier in der Nähe gibt es ein Nachtrestaurant. Das hat nur nachts auf."
"Ich weiß nicht, ich-‘‘
"Raven, keine Widerrede. Wir sind jetzt Freunde, da solltest du aufhören, so spießig zu sein. Ich werde auf jeden Fall zu diesem Restaurant fahren, ob du mitkommst oder nicht, ist dann deine Entscheidung."
Ich stöhne einmal auf und lehne mich wieder gegen das Fenster. "Arsch."
Ich sehe Aiden im Augenwinkel breit grinsen.
Zwanzig Minuten später sitzen wir auch schon in dem Nachtrestaurant. Aiden ist einfach ausgestiegen und ist ins Restaurant gegangen, ohne etwas zu sagen. Er hat mich nur - wie immer - doof angegrinst. Da blieb mir nichts anderes übrig als ihm zu folgen.
"Es ist wirklich bescheuert so spät nachts noch etwas zu essen", bemerke ich, während Aiden und ich die Speisekarten ansehen.
"Scheint aber hier niemanden zu stören", meint Aiden und sieht zu den anderen Gästen.
Ich sehe mich um und merke, dass er Recht hat. Hier ist wirklich fast jeder Tisch besetzt. Wieso zur Hölle sind die Leute so scharf drauf nachts in ein Restaurant zu gehen? Auf so eine Idee bin ich wirklich noch nie gekommen. Wäre ich wahrscheinlich auch nie, wenn Aiden nicht wäre. Wahrscheinlich zeigt er mir nachher noch ein Stadion, in dem man nachts Ski fahren kann. Nur leider gäbe es da einen Nachteil: Ich kann kein Ski fahren.
"Liegt aber eher daran, dass die Hälfte hier stoned ist", bemerkt er beiläufig und scannt noch immer die Speisekarte ab.
Ich verschlucke mich an meiner Spucke und sehe ihn entsetzt an. "Was hast du gesagt?"
Aiden legt die Speisekarte zur Seite und sieht zu den Gästen. Er beugt sich ein wenig zu mir vor und flüstert: "Ich meine, sieh sie dir alle genau an." Er deutet auf ein Pärchen, das ungefähr in unsrem Alter ist, vielleicht ein bisschen älter. "Die Frau bekommt ihr Grinsen gar nicht aus dem Gesicht und der Mann bekommt seine Augen kaum auf, so high sind die."
Ich kichere leicht in meinen Ärmel. "Du hast Recht!"
"Und die da" - Er zeigt auf zwei alte Männer, ungefähr Ende sechzig - "Bei denen bin ich mir sogar fast sicher, dass die nicht nur Gras geraucht haben."
Ich beobachte die zwei Männer genauer und jetzt sehe ich es aus. Beim Essen kleckern sie sich ständig voll und sind auch ständig nur am Lachen.
"Wahnsinn", lache ich.
"Dieses Restaurant lebt quasi nur von zugedröhnten Kiffern, die nachts mit ihren Heißhungerattacken hier her kommen."
Ich frage mich insgeheim, ob Aiden auch schon mal gekifft hat. Hat er bestimmt. Immerhin hat er Freunde die kiffen und meistens kommt man da ja nicht drum herum. Obwohl, er sagte ja mal, dass Marihuana nichts für ihn ist.
"Gute Nacht, die Dame und der Herr", begrüßt uns eine Kellnerin. Ich würde sie auf Mitte fünfzig schätzen. "Kann ich ihnen schon etwas bringen?"
"Ich hätte gerne den Barbecue - Burger mit Pommes und ein Wasser", sagt Aiden wie immer freundlich zu der Bedienung und hält ihr die Speisekarte hin.
"Ich, ähm, ... " Vergeblich suche ich nach irgendeinem Gericht, das ich auf die Schnelle aussuchen kann, damit ich nicht wie ein Idiot dastehe.
"Sie nimmt das gleiche", antwortet jetzt Aiden für mich. "Wenn das in Ordnung ist?"
Ich nicke. "Ja, ich hätte gerne das gleiche, nur bitte mit Cola."
"Gute Wahl, Miss", lächelt die Bedienung und geht.
"Mám, eine Bitte noch", ruft Aiden ihr hinterher. "Könnte ich meinen Barbecue-Burger ohne die Barbecue Sauce haben?"
"Natürlich, Mister Bender. Wie immer also?" Sie lächelt freundlich und nickt.
Was geht denn jetzt ab? Ich sehe die beiden stirnrunzelnd an.