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Gute Brust, böse Brust

Ein bemerkenswerter Punkt in Ruth Feldmans Forschungen ist, dass sie Gedanken in einem neuen Licht erscheinen lassen, die erstmals in der Objektbeziehungstheorie der Psychoanalyse auftauchten. In den 1930er-Jahren vertrat Melanie Klein die Ansicht, die Reaktion eines Babys auf frühe Fütterungsmuster könne darüber entscheiden, ob sie in Zukunft glücklich und beziehungsfähig seien. Wenn ein hungriges Baby gefüttert werde, werde die Mutter zur »guten Brust«. Wenn es keine Nahrung erhalte, sei sie die »böse Brust«. Klein meinte, es führe zu langwierigen Problemen, wenn ein Baby nicht in der Lage sei zu erkennen, dass die gute Brust und die böse Brust in ein und derselben Person nebeneinander existieren.

Ich muss zugeben, dass ich diese Gedanken absurd fand, als ich sie zum ersten Mal hörte. Die blumige Sprache der Psychoanalyse machte es nicht besser. In Beitrag zur Psychogenese der manisch-depressiven Zustände schreibt Melanie Klein:

Das Ich introjiziert von Anfang an sowohl »gute« als auch »böse« Objekte, und für beide stellt die Mutterbrust den Prototyp dar – für die guten Objekte, wenn sie das Kind befriedigt, für die bösen, wenn sie sich ihm versagt. Da das Baby seine eigene Aggression auf diese Objekte projiziert, empfindet es sie als »böse«, und zwar nicht nur insofern, als sie seine Bedürfnisse nicht befriedigen: Das Kind nimmt sie vielmehr als wirkliche Gefahr wahr – als Verfolger, die es verschlingen, sein eigenes Körperinneres ausrauben, es in Stücke schneiden und vergiften, kurz: mit allen Mitteln des Sadismus zerstören wollen (Klein 1996 [1935], S. 35).

Das ist natürlich lächerlich. Babys geraten in Verzweiflung, aber sie fürchten keines der Schreckensbilder, die Melanie Klein malt. Sie sind nicht in der Lage, solche Katastrophenszenarios zu entwickeln. Ihre Probleme sind unmittelbarer. Wenn sie Hunger haben oder sich unwohl fühlen, wollen sie, dass es aufhört. Wenn sie gefüttert werden, sind sie glücklich. Die Forschungen von Ruth Feldman zeigen, dass ihre frühen Interaktionen langfristige Folgen haben, aber nicht so, wie Melanie Klein sich das vorstellte.

Selbst viele Psychoanalytiker waren schockiert von Kleins düsteren Fantasien. Doch ihre Ideen begrüßten sie als eine Weiterentwicklung der Gedanken von Sigmund Freud. Freud interessierte sich nie besonders für Babys als Babys. Die freudsche Psychoanalyse ist eine Form der Gesprächstherapie für Erwachsene, die sich auf Geschichten, Archetypen und Mythen stützt. Geschichten sind in der Therapie menschlicher und nachvollziehbarer, aber für Freud mussten sie vor allem interessant sein. Deshalb war für ihn unser höchst komplexes Unterbewusstsein voll von primitiven Emotionen und ungelösten Konflikten. Nach seiner Sicht werden wir alle mit Fehlern geboren, voller Liebe, Hass, Neid, Angst und Schuld. Tatsächlich ist eine Kindheit nicht so, aber das ließ er nicht gelten, wenn es um eine gute Geschichte ging. Für Freud waren Babys dazu da, dass man ihnen die Fehler der Erwachsenen anlasten konnte, zu denen sie geworden waren.

Freuds jüngste Tochter Anna und ihre Analytikerkollegin Melanie Klein setzten Kinder an die erste Stelle. Sie arbeiteten beide direkt mit Kindern und nahmen das emotionale Erleben von Kindern sehr ernst. Anna Freud veröffentlichte 1927 ihr Buch Einführung in die Technik der Kinderanalyse. Darin knüpfte sie an die Auffassung ihres Vaters an, dass es in unserer Psyche Ich, Es und Über-Ich gibt und wir eine Reihe von genau definierten Stadien der psychosexuellen Entwicklung durchlaufen. Melanie Kleins Buch Die Psychoanalyse des Kindes erschien 1932. Sie hatte richtig erkannt, dass die emotionale Entwicklung sehr viel komplizierter war, als Freuds sauber getrennte Stadien es suggerierten. Aber sie ging noch viel weiter bei der Schilderung von Wut und Angst in der Kindheit.

Nach Freuds Tod 1939 kämpften Anna Freud und Melanie Klein um sein Erbe. 1944 einigten sie sich, dass sie sich nicht einigen konnten, und die Psychoanalyse teilte sich in eine freudianische Schule, eine kleinianische Schule und eine Mittelgruppe, die sich von beiden distanzierte. Das Anna Freud National Centre for Children and Families in London leistet seit mehr als sechs Jahrzehnten wichtige Forschungen zur geistigen Gesundheit von Kindern. In Großbritannien und Lateinamerika sind kleinianische Ideen weiterhin sehr einflussreich. Das vielleicht wichtigste Vermächtnis hat Melanie Klein womöglich in Gestalt zweier Schüler hinterlassen, Donald Winnicott und John Bowlby. Beide waren ausgebildete Ärzte und Psychiater, und beide hatten sehr viel mit Kindern gearbeitet, bevor sie zur psychoanalytischen Ausbildung zu Melanie Klein kamen. Letztlich wandten sich beide von ihrer düsteren und von Krisen bestimmten Sicht der Mutter-Kind-Beziehung ab.

So etwas wie ein Baby gibt es nicht

So etwas wie ein Baby gibt es nicht, das heißt, wenn man ein Baby beschreiben will, beschreibt man immer ein Baby und eine andere Person. Ein Baby kann nicht allein existieren, sondern ist immer Teil einer Beziehung.

Donald Winnicott, The Child, the Family and the Outside World, 1964

Winnicott hatte eine sehr viel positivere Botschaft für die Mütter als Melanie Klein: Im Großen und Ganzen haben Mütter eine natürliche Einstellung zur Mutterschaft und besitzen ein instinktives Wissen, wie sie ihre Babys versorgen müssen, denn sie sind selbst einmal Babys gewesen. 1943 hielt Winnicott im BBC-Radio eine Reihe von Vorträgen unter dem Titel »Glückliche Kinder« und entdeckte dabei sein Talent, seine Gedanken mit einfachen Worten auszudrücken. Er wurde danach immer wieder eingeladen, so auch 1945 zu der Reihe »Ihr Baby kennenlernen«; dabei wandte er sich direkt an junge Mütter. Er versicherte den Müttern, sie würden »gut genug« für ihre Babys sein. In den ersten Monaten, in denen es um Halten, Füttern, Aufmerksamkeit für und Einstimmung auf das neue Baby gehe, sei die Mutter für das Baby die Welt.

Nach seiner Auffassung stärkt eine aufmerksame Mutter ihr Baby. Sie registriert, wann es Hunger hat, und wenn sie ihm rasch zu essen gibt, sorgt sie dafür, dass das Baby sich stark, ruhig und zuversichtlich fühlt. Die Mutter verkörpert für das Kind die Welt. Aufmerksamkeit mag als Kleinigkeit erscheinen, aber in der Welt eines Babys hat sie große Bedeutung. Ganz richtig lag Winnicott mit seiner Abneigung gegen »Menschen, die immer Babys auf ihren Knien auf und ab hüpfen lassen, damit sie lachen«. Für ihn war das eine egoistische Handlung, bei der der Erwachsene durch das Baby unterhalten werden will, statt sich auf die Bedürfnisse des Babys in diesem Moment einzustellen.

John Bowlbys Arbeit ähnelt der von Winnicott, ergänzt sie aber auch. Während Winnicott der Objektbeziehungstheorie verhaftet blieb, wurde Bowlby mehr von Biologie, Psychologie und anderen Naturwissenschaften beeinflusst. Konrad Lorenz hatte ihn inspiriert, er korrespondierte mit ihm und anderen Verhaltensforschern. Die Fähigkeit der Mutter, ihr Kind zu versorgen und eine Verbindung zu ihm herzustellen, führte er mehr auf von der Evolution angelegte Instinkte zurück als auf unbewusste Erinnerungen an ihre eigene Kindheit. Seiner Meinung nach waren aus der Sicht des Kindes reale Erfahrungen und Beziehungen wichtiger als Gedanken und Fantasien.

Nach dem Zweiten Weltkrieg übernahm Bowlby die Leitung der Kinderabteilung der Tavistock Clinic in London, eines Zentrums für die Erforschung und Behandlung seelischer Probleme, und bezeichnenderweise benannte er sie um in Abteilung für Kinder und Eltern. Während des Krieges hatte Bowlby sich mit gestörten Kindern und aus London evakuierten Kindern befasst. Er führte viele Probleme auf die Tatsache zurück, dass die Kinder lange von ihrer wichtigsten Bezugsperson getrennt gewesen waren. Ein paar Jahre später bildete er ein Team mit der Kanadierin Mary Ainsworth. Sie arbeiteten direkt mit Babys und Müttern und entwickelten das sehr einflussreiche Konzept der »Bindung«.

Intime Bindungen an andere menschliche Wesen sind der Angelpunkt, um den sich das Leben eines Menschen dreht, nicht nur im Säuglings-, Kleinkind- oder Schulalter, sondern auch während der Adoleszenz und der reifen Jahre bis hinein in das Alter (Bowlby 1983 [1969], S. 576).

Ich untersuche das ausführlicher in späteren Kapiteln. An dieser Stelle soll es genügen, Bowlby und Winnicott für das zu würdigen, was sie mit ihrer Arbeit erreicht haben. Sie führten nicht nur die Theorien über die kindliche Entwicklung von den düsteren psychoanalytischen Fantasien Melanie Kleins ein gutes Stück auf den vernünftigeren Weg hin zu Ruth Feldmans Neurobiologie der Liebe, sondern hatten auch großen Einfluss auf das Leben vieler Familien. Dazu zählten jene, denen sie direkt mit ihrer klinischen Arbeit halfen, aber auch viele andere, weil ihre Arbeit die gesellschaftliche Wahrnehmung veränderte, was gute Elternschaft im Großbritannien der Nachkriegszeit bedeutete. Sie halfen Eltern, sich von der Vorstellung zu lösen, eine harte Hand und kühle Distanz seien nötig, um den Charakter des Kindes zu formen und zu große Anhänglichkeit zu verhindern, indem sie sehr klar darlegten, wie wertvoll Nähe, Liebe und Empathie sind. Sie bestärkten Mütter, ihren Instinkten mehr zu vertrauen als Autoritätspersonen. Bowlby und Winnicott hätten sicher als Erste gesagt, dass alle Mütter das meiste ganz allein herausfinden.

Die irische Romanautorin Anne Enright erzählt in ihrem Erfahrungsbuch Ein Geschenk des Himmels von ihren ersten Erlebnissen beim Füttern. Sie sitzt aufrecht in ihrem Krankenhausbett und wundert sich über ihre neugeborene Tochter, einen »weißen Dracula«, immer hungrig nach Milch, mit einem intensiven Blick und vielschichtigen Gefühlen, die sich im Gesicht spiegeln. Sie ist genauso verblüfft darüber, dass sie Milch produzieren kann, wie darüber, dass ihre Tochter sie aufnehmen kann. In den ersten Monaten erstaunen sie die Geheimnisse der Mutterschaft immer wieder. Erst sehr viel später kommt sie zu dem Schluss:

Die Mutterschaft fällt mir leicht. Doch ist es eine hart erkämpfte Leichtigkeit, auf die ich ziemlich stolz bin (Enright 2005, S. 244).

Was ist Vergnügen?

Ein Rätsel im Zusammenhang mit dem milchtrunkenen Baby haben wir noch nicht vollständig gelöst: Was bereitet dem Baby daran so viel Vergnügen? Wir wissen, dass es isst, um zu wachsen, und dass es, wenn es Nahrung zu sich nimmt, auch emotional wächst. Wir wissen, dass ein voller Bauch den Vagusnerv stimuliert, eine ganze Kaskade chemischer Botenstoffe freizusetzen, wodurch sich die Spiegel von Insulin, Ghrelin, Leptin und anderen Hormonen ändern. Wir wissen, dass diese chemischen Veränderungen den Körper darauf vorbereiten, die Mahlzeit zu verdauen und das Baby in einen glücklichen milchtrunkenen Schlaf sinken zu lassen. Aber wir wissen immer noch nicht, was daran Vergnügen bereitet.

Wenn wir Gehirnspezialisten fragen, heißt es manchmal »dopaminbasierte Belohnungskreisläufe«. Als Antwort ist das weitgehend nutzlos. Wenn wir einen Psychoanalytiker fragen, hören wir, dass Wunscherfüllung glücklich mache. Das ist ebenfalls überwiegend nutzlos. Für sich allein sind die Antworten nicht falsch, aber sie tragen nicht viel zu unserem Verständnis bei. Warum bereitet uns Freude, was uns Freude bereitet? Warum lacht das eine Baby, wenn es die Treppe heruntergetragen wird, während ein anderes immer die Giraffe Sophie bei sich haben will? Warum mag ich Iron Maiden und Sie mögen Madonna? Warum liebt jemand die Oper?

Spielt das überhaupt eine Rolle? In den 1890er-Jahren bemerkte der Philosoph William James, es sei unsinnig, Fragen zu stellen wie: »Warum lächeln wir, wenn wir uns freuen, und runzeln nicht die Stirn?« Die meisten Menschen kämen nicht auf die Idee, so etwas zu fragen. Vielleicht lieben wir die Dinge, die wir tun, weil sie nun einmal liebenswert sind. Um es mit den Worten von James auszudrücken: Eine Henne würde es ungeheuerlich finden, wenn irgendein Lebewesen ein Nest mit Eiern nicht für absolut faszinierend und kostbar halten würde.

Ökonomen und Philosophen machen viel Aufhebens um Vergnügen und Lust, aber ich habe den Verdacht, dass das hauptsächlich widerspiegelt, wie langweilig es ist, ein Ökonom oder Philosoph zu sein. Die Ökonomen übersetzen heute die meisten Dinge zuerst in Geld und dann in unverständliche Gleichungen. Nicht umsonst bezeichnen sie die Ökonomie auch als die »trübsinnige Wissenschaft«. Und wenn Sie das Gegenteil von Vergnügen wollen, empfehle ich Ihnen, den Artikel über Vergnügen (pleasure) in der Stanford Encyclopaedia of Philosophy zu lesen (Katz 2016).

Aber wir wollen fair zu den modernen Philosophen und Ökonomen sein: Ihre Ideen sind wahrscheinlich so unklar geworden, weil alle einfachen Gedanken schon formuliert waren. Mit dem Satz »Ich stimme Aristoteles zu« oder durch Abkupfern bei John Maynard Keynes kann man nicht Karriere machen. Aus philosophischer Sicht haben die alten Griechen das meiste bereits gesagt. Plato teilte unsere geläufige Einschätzung, dass Vergnügen die Befriedigung biologischer Begierden und Bedürfnisse ist. Ein hungriges Baby ist nicht mehr hungrig. Ein Erwachsener, dem es zu heiß wird, geht aus der Sonne.

Aristoteles kümmerte sich nicht um solche animalischen Vergnügungen und meinte, Vergnügen rühre von dem Gefühl her, die Welt zu beherrschen. Ein gefüttertes Baby freut sich, dass es ihm gelungen ist, Nahrung zu bekommen. Eine erwachsene Person genießt Kunst, weil sie weiß, was es bedeutet, »gute« Kunst zu machen. Epikur, dessen Name zum Synonym für das Streben nach Daseinslust geworden ist, vertrat die schlichtere Ansicht, Vergnügen sei Freiheit von Schmerz, Furcht und »Unruhe in der Seele«. Ein Baby, das es warm hat und satt ist, ist glücklich, weil es nicht unglücklich ist, so wie eine Katze, die in der Sonne liegt. Epikur sagt, Vergnügen finde man in Erlebtem, nicht in Gedanken. Oft werden seine Ideen so gedeutet, als befürworte er einen unbekümmerten Hedonismus, aber seine Philosophie ist differenzierter: Er drängt uns, die Gegenwart zu genießen, weil der größte Feind des Vergnügens die Angst im Hinblick auf Vergangenheit oder Zukunft ist.

Adam Smith, der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaft, hatte ebenfalls kluge Dinge über das Vergnügen zu sagen. Smiths Ideen zu Freihandel und Marktwirtschaft fußten auf seinen Gedanken über die Menschen und die Gesellschaft. Seiner Ansicht nach war Epikurs Vorstellung von Vergnügen zu vereinfachend und ichbezogen. Im ersten Satz seines 1851 erschienenen Buchs Theorie der ethischen Gefühle erklärt Smith seine gesamte Philosophie:

Mag man den Menschen für noch so egoistisch halten, es liegen doch offenbar gewisse Prinzipien in seiner Natur, die ihn dazu bestimmen, an dem Schicksal anderer Anteil zu nehmen, und die ihm selbst die Glückseligkeit dieser anderen zum Bedürfnis machen, obgleich er keinen anderen Vorteil daraus zieht als das Vergnügen, Zeuge davon zu sein (Smith 1977 [1851], S. 5).

Mit anderen Worten: Es bereitet uns Vergnügen, Sinn für das Wohlergehen von anderen zu haben. Mit diesem Prinzip der »gegenseitigen Sympathie« erklärt Smith Freude, Schmerz, Ärger und Kummer. Ziemlich am Anfang seines Buches stellt er das Leid des Kleinkinds, das nur »das Unbehagen des gegenwärtigen Augenblicks« empfinden kann, dem Kummer der Mutter gegenüber, der daraus erwächst, dass sie sich die Hilflosigkeit und Not ihres Kindes vorstellt.

Die Glücksforschung steckt selbst noch in den Kinderschuhen. Die Forscher versuchen, unsere kleinen Freuden zu verstehen, und damit rücken die Babys wieder in den Mittelpunkt. Was Glück betrifft, stimmen die Neurowissenschaftler gern Aristoteles darin zu, dass sich zwei Formen unterscheiden lassen: die Lust des Augenblicks und tiefere Befriedigung oder hedonia und eudaimonia, wie die alten Griechen sagten. Die Forschung hat sich größtenteils auf hedonistische Lust konzentriert und weniger auf eudämonistische Lebenszufriedenheit, weil Sinn und Zufriedenheit schwierig zu fassen sind. Wir wissen aus eigener Erfahrung, dass Zufriedenheit schwer zu erreichen und noch schwerer festzuhalten ist. Sie ist nicht nur flüchtig, sondern rätselhaft und von einer Person zur anderen komplett verschieden. Außerdem braucht sie Zeit. Etwas ist vielleicht erst rückblickend befriedigend. Deshalb ist es nicht überraschend, dass es bisher noch nicht gelungen ist, Zufriedenheit im Gehirn zu lokalisieren.

Vergnügen ist mehr als nur ein angenehmes Gefühl. Die Neurowissenschaftler Kent Berridge und Morten Kringelbach sprechen von einem »hedonistischen Glanz«, der über bestimmten Erfahrungen liege und sie von anderen unterscheide. Außerdem glauben sie, dass zum Vergnügen drei Bestandteile gehören: Wollen, Mögen und Lernen. Mögen ist die Erfahrung des Vergnügens, Wollen und Lernen passieren vorher und nachher, sie sind die Vorwegnahme und das Nachleuchten (Berridge und Kringelbach 2011).

Der größte Teil der Forschungen zu Vergnügen und Lust dreht sich um die Lust am Essen, nicht zuletzt, weil in Tierexperimenten die Belohnung durch Futter wunderbar funktioniert. Man kann eine Maus oder einen Affen schlecht nach ihren Lieblingssongs fragen, aber bei ihren Essensvorlieben sind sie sehr auskunftsfreudig. Das Gleiche gilt für Babys. Sobald ein Baby anfängt, feste Nahrung zu sich zu nehmen, müssen sich die Eltern auf viele Jahre mit Wutanfällen und Verweigerung einstellen, wenn ihr Kind etwas zu essen bekommt, das es nicht mag. Oder normalerweise schon mag, aber gerade heute nicht, vielen Dank Mami. Für jeden Gesichtsausdruck, der Abscheu vor Essen anzeigt, gibt es ein Pendant, das Entzücken signalisiert. Den Gemüserebellionen steht das Eiscremelächeln gegenüber.

Erstaunlicherweise sind es in unserer erweiterten Affenfamilie immer die gleichen Gesichtsausdrücke, die diese Vorlieben übermitteln. Dieses Wissen verdanken wir einem ungewöhnlichen Experiment, das Berridge und sein Team 2001 unternommen haben (Steiner, Glaser, Hawilo und Berridge 2001). Zuerst gaben sie neugeborenen Babys (mit Saccharose) gesüßtes Wasser und (mit Chinin versetztes) bitteres Wasser und filmten die Gesichter, die sie dabei zogen. Dann wiederholten sie das mit einer bunten Schar unserer Affenverwandten. Sie testeten insgesamt elf andere Arten, darunter alle Menschenaffen (Gorillas, Orang-Utans und Schimpansen) und viele Affen mit fantasievollen Namen wie die Rotkopfmangabe und den Östlichen Graukehl-Nachtaffen. Zur Vervollständigung nahmen sie noch einen Mongozmaki dazu.

Die grundlegende Erkenntnis war nicht allzu überraschend: Alle elf anderen Arten zogen Süßes dem Bitteren vor. Bemerkenswert war, dass sie das mit beinahe identischen Gesichtsausdrücken signalisierten. Menschenbabys und Affenbabys kniffen gleichermaßen die Augen zu und zogen die Nase kraus, wenn sie das bittere Gemisch bekamen, und streckten bei der süßen Limonade die Zunge vor. Und als die Videos noch einmal sorgfältig in Zeitlupe analysiert wurden, breiteten sich die Ausdrücke in genau der gleichen Geschwindigkeit über die Gesichter aus, wenn man die jeweilige Größe berücksichtigte. Bei einem Gorilla breitete sich die Grimasse also langsamer aus als bei einem Goldhandtamarin, aber es war dieselbe Grimasse. Interessanterweise drückten nur Menschen und die anderen Menschenaffen Vergnügen durch Lächeln aus.

Die Schlussfolgerung aus dieser Studie lautet nicht nur, dass alle Affenbabys Limonade mögen, sondern dass unsere hedonistischen Reaktionen Millionen Jahre alt sind. Es ist nicht überraschend, dass die Früchte liebenden Mitglieder der Primatenfamilie allesamt Süßes mögen. Aber unser jüngster gemeinsamer Vorfahr mit den südamerikanischen Affen lebte vor 30–65 Millionen Jahren. Die Lemuren sind sogar noch entferntere Verwandte. Die Ausdrücke auf den Affengesichtern waren nicht alle identisch, aber doch so ähnlich, dass wir zuversichtlich sagen können, dass die Reaktionen gleich waren.

Der Einwand liegt auf der Hand: »Na und? Die einfachen Genüsse von Babys und Affen sind eines, aber über die raffinierten Vergnügungen von Erwachsenen sagt das nicht viel.« Vielleicht doch. Denn selbst die raffiniertesten erwachsenen Gelüste wie die nach gutem Essen, teurem Wein und abstrakter Kunst spiegeln das gleiche grundlegende Vergnügen wider, das wir in dem glücklichen Gesicht eines Seidenäffchen-Babys erkennen.

So sieht es Paul Bloom, ein kanadischer Psychologe, der an der Universität Yale arbeitet. Er ist Experte für Babys und hat drei Bücher über sie und das, was wir von ihnen lernen können, geschrieben. Aber er hat auch sehr viel über andere Themen publiziert, unter anderem über Moral, Empathie und Vergnügen. In seinem Buch Sex und Kunst und Schokolade: Warum wir mögen, was wir mögen (2011) vertritt er die »essenzialistische« Position, dass alle Dinge, die uns Vergnügen bereiten, etwas gemeinsam haben, das sie vergnüglich macht. Zum Beispiel verliert ein Kunstwerk, das einem großen Künstler zugeschrieben wird, den Kunstkenner sehr schätzen, schlagartig an Wert und Faszination, wenn sich herausstellt, dass es eine geniale Fälschung ist, weil nun die Essenz des Meisters nicht mehr da ist.

Bloom spricht in seinem Buch nicht viel über Babys, aber ihre Freuden und Vorlieben sind der Ursprung dessen, was wir mögen und was uns Vergnügen bereitet. Eine meiner liebsten Süßigkeiten als Kind waren Cherry Lips, harte, wie Lippen geformte kirschrote Bonbons, deren Konsistenz und Geschmack an Plastik erinnerten. Meine Mutter aß sie in großen Mengen, als sie mit mir schwanger war. Wahrscheinlich stammte meine Vorliebe daher. (Woher ihre Gier danach stammte, wissen wir nicht.)

Julie Mennella hat untersucht, wie Geschmacksvorlieben von Müttern an ihre Babys weitergegeben werden. Sie arbeitet am Monell Chemical Senses Centre in Philadelphia, und ihre frühesten Forschungen zeigten, wenn Mütter in der Schwangerschaft oder während der Stillzeit viel Karottensaft getrunken hatten, mochten ihre Babys Getreidebrei mit Karottengeschmack, sobald sie mit fester Nahrung begannen (Mennella, Jagnow und Beauchamp 2001). Passenderweise war sie durch frühere Untersuchungen mit Kaninchen zu dieser Studie angeregt worden. 1994 hatten Agnes Bilko und ihr Team festgestellt, dass kleine Kaninchen eine besondere Vorliebe für Wacholderbeeren zeigten, wenn ihre Mütter damit gefüttert worden waren. Diese Vorliebe wurde sogar dann weitergegeben, wenn die Wacholderbeeren den Kaninchenbabys nur im Kot der anderen Kaninchen im Nest begegneten. Natürlich konnte man diesen Versuch nicht mit Menschenbabys wiederholen, aber die Forschung zeigt, dass Vorlieben mit dem zusammenhängen, was Babys im Mutterleib oder durch die Muttermilch kennenlernen.

Mennellas Forschungsteam testete Vanille, Anissamen, Minze und Knoblauch, und alle entsprechenden Vorlieben können von der Mutter an das Baby weitergegeben werden. Unsere landestypischen Essensvorlieben könnten mit der Muttermilch auf uns übergegangen sein. Mennella, die Amerikanerin italienischer Abstammung ist, erklärt auf diese Weise gern ihre Vorliebe für Gerichte mit viel Knoblauch. Doch solche Vorlieben haben Grenzen. Viele grüne Gemüse sind ziemlich bitter, und kleine Kinder nehmen Bitteres intensiver wahr. Kinder dazu zu bringen, dass sie Gemüse essen, übersteigt immer noch die Fähigkeiten der Wissenschaft.

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9783956144479
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