Читать книгу: «Ardantica», страница 2

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»Warst du das, die geschrien hat?«, fragte er verblüfft und musterte sie von oben bis unten. »Du bist ganz weiß, geht es dir gut?« Er hielt sie immer noch fest.

»Komm mit!«, keuchte sie ohne auf seine Fragen einzugehen, packte ihn und zog ihn die Treppe rauf.

»Was?«, fragte er und machte sich los. »Was soll das? Ley, ich kann da nicht rein, das ist das Mädchenklo!«

»Aber …«

»Was ist los, Kleines?«

»Komm schon. Bitte! Du musst das sehen!«

Widerwillig ließ er sich mitzerren. Leyla stieß die Tür mit dem Fuß auf und bedeutete ihm einzutreten.

»Hey!«, rief eine empörte Stimme. »Das ist das Mädchenklo. Was soll das?«

Nichts war passiert.

Majik stand im Vorraum des Mädchenklos und sah sie fragend an.

»Könntest du mir mal bitte erklären, was los ist?«, fragte er leise, während er sich mit einem entschuldigenden Lächeln rückwärts bewegte.

»Aber …«, stammelte Leyla.

»Kleines?« Besorgt sah er sie an.

»Lass uns essen gehen«, sagte sie schwach und hatte das Gefühl, dass ihre Beine sie plötzlich nicht mehr tragen wollten.

»Du bist überarbeitet, Ley!«, sagte er, nachdem sie ihm erzählt hatte, was sie gesehen hatte. »Mach dich nicht verrückt. Wir machen uns ein richtig cooles Wochenende und entspannen. Du wirst sehen, danach sieht die Welt wieder ganz anders aus.«

Sie presste ihre Lippen zusammen, sodass sie noch schmaler wurden und stierte in ihren Nudelsalat.

»Vermutlich hast du Recht.«

»Habe ich immer«, sagte er und lehnte sich lässig zurück. Er musterte sie nachdenklich. Fragend sah sie ihn an. »Ich dachte nur«, meinte er, »dass das aber eine ziemlich geile Geschichte wäre. Wir könnten es zeichnen. Oder versuchen einen Film daraus zu machen. Oder einen Film aus unseren Zeichnungen. Ich hab’ auch schon eine Klaviermelodie im Kopf.«

Sie lachte und griff nun endlich nach der Gabel.

»Und wie willst du dein Kunstwerk nennen?«, fragte sie grinsend.

»Der Riss in der Wirklichkeit!«

Gelbe Augen

S

ie sah es wieder. Am Montagmorgen in der Uni. Gerade als sie den Vorlesungssaal betreten wollte, flackerte es in ihrem Sichtfeld. Doch der Schreck blieb dieses Mal aus. Sie hatte sich am Wochenende tatsächlich ziemlich entspannt und jetzt war sie sich sicher, dass es weder Überarbeitung noch irgendein physisches Symptom war. Nervosität paarte sich mit einem Hauch von Neugier, als sie sich von dem Vorlesungssaal abwandte und sich auf das Flimmern zubewegte. Sie fixierte die Stelle und kaum, dass sie diese erreicht hatte, wurde die Welt um sie herum rabenschwarz.

Sie zögerte, machte dann jedoch noch ein paar weitere Schritte. Sie war in einem langen Flur, dem ihrer Uni nicht unähnlich, wenn man von der Schwärze absah. Ein riesiges Fenster spannte sich über die Decke und ließ wieder dieses kalte, graue Licht ein, sodass Leyla einiges erkennen konnte. Flammenzeichnungen zogen sich über die Wände. Fasziniert trat sie näher und ließ ihre Finger vorsichtig darüber gleiten. Es war so detailliert, sah so echt aus! Wie eingefrorenes Feuer. Ihr Blick wanderte weiter. Eine geschwungene Treppe zu ihrer Rechten führte in die unteren Stockwerke. Sie lehnte sich übers Geländer und blickte nach unten. Doch dort schien die Schwärze geradezu undurchdringlich. Leyla sah sich nach einem Lichtschalter um. Es gab keinen. Dann erst bemerkte sie, dass zahlreiche erloschene Fackeln an den Wänden hingen.

»Das ist ja wie im Mittelalter«, murmelte sie zu sich selbst und schüttelte gleich darauf den Kopf. Dazu war der Raum, den sie vergangene Woche gesehen hatte, viel zu modern gewesen. Na, was hieß modern. Vielleicht könnte dieser aus dem 19. Jahrhundert gewesen sein. So genau wusste Leyla das aber auch nicht, Geschichte war nicht unbedingt ihre Stärke. Noch einmal warf sie einen Blick nach unten und entdeckte die schweren, schwarzen Vorhänge. Aha. Dort unten gab es also auch Fenster. Den Mut hinunter zu gehen und die Vorhänge beiseitezuziehen, hatte sie allerdings nicht. Im Gegenteil. Plötzlich wurde ihr bewusst, wie unglaublich dumm es von ihr war, überhaupt hier zu sein. Wo auch immer »hier« gerade war. Plötzlich fielen ihr wieder die gelben Augen ein und aus dem unguten Gefühl wurde plötzlich wieder die altbekannte Angst. Sie wandte sich ruckartig wieder dem Gang zu und sah sich beinahe hektisch um. Wo war der schimmernde Fleck? Durch ihn musste sie doch wieder zurückkommen, oder? Dort! Unweit von ihr entfernt. Sie machte ein paar Schritte darauf zu und hielt wieder inne. Ihr Herz raste, doch aus irgendeinem Grund konnte sie sich nicht dazu durchringen, weiter auf das Flackern zu zugehen. Eine gefühlte Ewigkeit stand sie da und starrte auf den Flecken. Ihr Verstand schrie danach hindurch zu gehen, aber etwas anderes in ihr hielt sie zurück. Also machte sie einen Bogen um das Flackern herum und ging weiter den Gang hinunter.

Zahlreiche Türen gingen von dem Flur ab – ganz wie in ihrer Uni. Sie wollte eine der Türen öffnen, doch die Klinke ließ sich nicht einen Millimeter bewegen. Sie war aus Stein. Nun drückte und zog Leyla testhalber am Griff, doch auch die Tür bestand aus massivem Gestein und bewegte sich nicht. Es schien, als wäre sie mit dem Rahmen verwachsen. Oder war es gar keine Tür, sondern nur Wanddeko? Leyla kniff die Augen zusammen und versuchte es zu erkennen. Erfolglos. Sie ging weiter, zog hier und da mal wieder an einer Steintür und erreichte das Ende des Ganges. Auch hier führte eine Treppe mit reichverziertem Geländer hinab, doch waren die großen Fenster an dieser Seite nicht von schweren Vorhängen verhangen. Leyla trat näher. Die Scheiben wirkten sonderbar matt und grau und waren für das Zwielicht im Innern verantwortlich, obwohl – so konnte sie sehen – sich draußen keine Wolke am Himmel befand und sich somit ein strahlendes Blau über einem schwarzen Park und weiteren gigantischen, schwarzen Gebäuden erstrecken musste. Sie begann zu frösteln. Was war das hier? Gegen ihren Willen bewegten sich ihre Füße nun doch auf die Treppe zu und sie nahm die ersten Stufen. Es hallte sonderbar und sie konnte nicht ausmachen, ob der Klang vom Material oder der Einsamkeit kam.

Etwas erregte im unteren Stockwerk sofort ihre Aufmerksamkeit. Eine der zahlreichen Türen stand offen!

»Oh, Ley, was machst du nur?«, wisperte sie leise. Sie sollte zurückgehen und Majik holen. Der wäre sicherlich ziemlich begeistert von all dem hier. Für sie war das nichts. Andererseits hatte Majik nicht in diese sonderbare Welt gehen können. »Komm schon, liefere ihm ein wenig Stoff für seine neue Geschichte«, sprach sie sich selbst Mut zu. »Oder nähere dich wenigstens ein bisschen seinem Bild von dir an«, fügte sie hinzu. Sie hatte den Comic, den er ihr geschenkt hatte, durchgelesen und war beeindruckt. Es war faszinierend zu sehen, wie er sie sah. So viel mutiger und intelligenter als sie war. Sie bemerkte, dass sie mittlerweile auf Zehenspitzen zu der Tür schlich.

Vorsichtig linste sie um die Ecke. Der Raum war riesengroß, halbrund und – das Wichtigste – er war leer. Leyla stieß die Luft aus, die sie unbewusst angehalten hatte und trat ein. Es schien ein Gemeinschaftsraum zu sein. Die kleinen Fenster an der gerundeten Seite waren sehr dunkel, was sich auf den Raum auswirkte. Aber sie konnte trotzdem genug erkennen. Sessel, die, wenn sie aus Polster und nicht aus Stein bestehen würden, sicherlich durchaus gemütlich wären, standen überall verteilt. Sie standen auf hauchdünnen Podesten oder … Nein, es sollten wohl Teppiche sein! An zwei Wänden hingen gerahmte Bilder, die allesamt schwarz schienen und von erloschenen Fackelstäben flankiert waren. Die dritte Wand war gefüllt mit Regalen voller merkwürdiger Dinge wie Kugeln, undefinierbare Klumpen und Schreibutensilien, zum Beispiel steinerne Federn. Auch zwei Bücher standen dort. Sie trat näher. Die Buchrücken trugen gestanzte Titel. Leyla kniff die Augen zusammen, fuhr dann behutsam mit dem Finger hinüber und versuchte zu ertasten, was dort stand. Hinausziehen konnte sie die Bücher nicht. Es waren Steinquader, die mit dem Regal oder miteinander verbunden waren. Sie zog ihr Handy aus der Tasche und seufzte. Es war aus. Wieder einmal hatte sie vergessen, den Akku zu laden. Plötzlich kam ihr eine Idee. Sie griff nach ihrer Umhängetasche und begann in der Außentasche zu kramen. Tatsächlich wurde sie fündig. Triumphierend zog sie eine Packung Streichhölzer hervor. Sie war Nichtraucherin, hatte sich aber angewöhnt, eine Packung mit sich herumzutragen, da es in Berlin gang und gäbe schien, fremde Leute anzuquatschen und nach Feuer zu fragen. Und insgeheim hoffte Leyla dadurch vielleicht tatsächlich neue Leute kennenzulernen. Nun hatten die Hölzchen endlich einen sinnvollen Zweck zu erfüllen. Sie entzündete ein Streichholz und hielt es an die Buchrücken. »Kraftrückzug« stand auf dem einen und »Elementare Grundlagen der Feuerkraft« auf dem anderen. Nun, das waren wirklich mal sonderbare Titel. Sie pustete das Holz aus, bevor es ihr die Finger verbrannte und entzündete rasch ein neues. Irgendwie gab ihr das kleine Licht ein wenig Sicherheit. Sie wandte sich um, um den Rest des Raumes genauer in Augenschein zu nehmen. Ihr Blick fiel auf die Tür, durch die sie gekommen war.

Unweit dieser, am Boden, waren zwei leuchtend gelbe Augen. Sie gehörten zu einer gigantischen Raubkatze, die sich nun aus ihrer geduckten Haltung aufrichtete, fauchte und auf samtenen Pfoten auf Leyla zu marschierte.

Leyla hielt kurz den Atem an. Dann stieß sie einen gellenden Schrei aus. Die Katze fauchte erneut. Das Streichholz entglitt ihren zitternden Fingern, fiel auf den Boden und erlosch sofort. Es war eigentlich nur ein kleines Licht gewesen, aber durch den Blick in die Flamme und das plötzliche Halbdunkel konnte sie für Sekunden kaum etwas sehen. Intuitiv duckte sie sich und wich zurück. Hart prallte sie gegen das Regal. Sie drückte sich mit dem Rücken dagegen und riss die Arme abwehrend hoch. Das Letzte, was sie zwischen den Nachbildern und der Schwärze sah, war, wie das Raubtier zum Sprung ansetzte. Dann schloss sie die Augen, kreischte und betete innerlich aus diesem Albtraum aufzuwachen.

Es passierte nichts. Leyla wartete ein paar Augenblicke, dann senkte sie die Arme, öffnete die Augen und sah sich im Halbdunkel um. Keine Katze. Dafür standen zwei Beine vor ihr. Sie hob langsam den Kopf und blickte nach oben. Ein junger, sehr großer Mann stand dort. Er passte perfekt in die Umgebung, denn nicht nur seine Kleidung und Haare waren schwarz, auch seine Haut hatte einen dunklen Teint. Man hätte ihn sicherlich glatt übersehen, wären da nicht diese furchtbaren gelben Augen, die bedrohlich auf sie hinabstarrten. Leyla zuckte abermals zusammen.

»Wenn das ein Teppich gewesen wäre, hättest du ihn anzünden können«, sagte er mit tiefer Stimme leise und drohend. Mit dem Fuß schnippte er das Streichholz weg, das Leyla fallen gelassen hatte. Er hatte keine Schuhe an. »Steh auf!« Er hielt ihr eine Hand oder bessergesagt eine Pranke hin. Mit zitternden Fingern griff sie danach und er zog sie hoch. Sie reichte ihm nicht einmal bis zu den Schultern.

»I-i-i-ch …«, stotterte sie, nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Sie lugte um ihn herum. »D-d-die Katze!«

Er wandte sich um.

»Ich sehe keine.« Wieder sprach er leise und doch mit einer ungeheuren Kraft in der Stimme. »Du etwa?«

Er grinste und entblößte dabei ein schneeweißes Gebiss, dass dem eines Raubtieres viel zu ähnlich war. Die Eckzähne waren spitz und scharf. Sie versuchte noch weiter zurückzuweichen, hatte aber das Regal bereits im Rücken. Er grinste noch breiter, dann wich er von ihr und ließ sich in einen der nahegelegenen Sessel fallen, mit dem er farblich fast verschmolz. Er lehnte sich entspannt an und musterte sie eingehend. Er war ihr unheimlich. Ihr Blick flackerte zur Tür. Wie lange sie wohl hinauf in den zweiten Stock brauchte – zu dem Flimmern? Was, wenn draußen noch diese gigantische Katze wartete? Ihr Blick huschte zurück zu dem Mann.

»Dich habe ich schon einmal hier gesehen. Letzte Woche.« Er betrachtete seine sehr spitzgefeilten Fingernägel.

»Ich … ich … Es tut mir leid, ich wollte hier nicht eindringen.«

Er winkte ab und schwang die Beine über die Sessellehne, sodass er nun fast lag.

»Mich stört das nicht. Ich bin ja auch hier.« Er lachte, aber es klang nicht fröhlich.

»Duu – wohnst hier nicht?« Immer noch zitterte ihre Stimme. Er ließ seine Aufmerksamkeit von den Fingernägeln wieder ab und sah sie an.

»Wenn du nur drei Fragen hättest – wäre deine erste ziemlich dumm gewesen.«

»Habe ich nur drei Fragen?«

»Nein. Du kannst so viel fragen, wie du willst. Aber das wäre deine zweite dumme gewesen.« Wieder grinste er und zeigte dabei seine abscheulichen Zähne. »Ich wohne nicht hier. Eher dort drüben.« Er deutete mit einer nicht zu identifizierenden Handbewegung Richtung Fenster. »Aber momentan ist es zu ungemütlich zum Wohnen. Findest du nicht?«

»Ich denke schon?«

»War das eine Frage? Es wäre deine dritte gewesen.«

Langsam versiegte ihre Panik und machte stattdessen Unverständnis und einem leichten Hauch von Wut Platz.

»Du hast gesagt, ich könnte so viele Fragen stellen, wie ich will.« Es klang fast patzig.

»Darfst du. Aber vielleicht beantworte ich dir nur drei.« Seine Aufmerksamkeit galt nun den Staubflocken, die bedächtig durch den Raum schwebten. »Jetzt frage ich. Wie heißt du?«

»Leyla.«

»Nun Leyla, warum setzt du dich nicht?«

›Weil ich zu viel Schiss habe und gerne zurück nach Hause möchte‹, dachte sie, sagte aber nichts. Er nickte nur, als hätte er keine Antwort erwartet.

»Was machst du hier?«, fragte er stattdessen.

»Wo bin ich denn?«

»Ah! Eine gute Frage. Du mit deinen komischen Feuerhölzchen. Du kommst nicht von hier, richtig? Sonst hätte ich dich wohl auch schon einmal gesehen. Also, wo kommst du her?«

»Du hattest deine drei Fragen schon, jetzt bin ich wieder dran.« Sie war sich gerade ziemlich sicher, dass das ihr Untergang war, aber dann konnte sie wenigstens schlagfertig untergehen. Ihre Antwort schien ihn zu überraschen. Er setzte sich auf, seine gelben Augen blitzten.

»Interessant. Schön. Du bist im Feuer-Gemeinschaftsraum. In der Universität von Naurénya.«

Sie kniff die Augen zusammen.

»Die liegt nahe unserer Hauptstadt, Numäia.« Nun musterte er sie wirklich interessiert. »Wir spielen ein neues Spiel«, sagte er. »Nur noch eine Frage. Ich bin dran. Also, wo kommst du her?«

»Vom Universitätsflur des mathematischen Instituts«, entgegnete sie und zog ihre Antwort ebenso auf, wie er seine. »In Potsdam. Das liegt dicht bei Berlin, der Hauptstadt von Deutschland.«

»Hab’ ich es mir doch gedacht«, rief er. »Wie bist du hergekommen?«

»Ich, ich weiß nicht – das waren zwei Fragen.«

Er machte eine unwirsche Bewegung mit der Hand und sie zuckte zusammen.

»Geh’ zurück«, forderte er und stand auf. So machte seine riesige Gestalt gleich noch mehr Eindruck auf sie.

»Warum?«, fragte sie irritiert. Nicht, dass sie es nicht selber wollte. Dennoch war sie neugierig. Er starrte sie mit undurchdringlicher Miene an.

»Nicht, dass die Raubkatze wiederkommt.« Er klang wieder vollkommen emotionslos, beinahe gelangweilt.

Sie fand, das war ein ausreichendes Argument. Vorsichtig, ohne ihn aus den Augen zu lassen, bewegte sie sich gen Tür. Dort angekommen, linste sie angespannt nach links und rechts, doch von einer großen Raubkatze war weit und breit nichts zu sehen.

Sie trat hindurch, zögerte erneut und wandte sich noch einmal um. Er hatte ebenfalls einen Schritt gemacht – als ob er ihr folgen wollte.

»Dieses Naurénya, wo genau liegt es?«, hakte sie nach und versuchte den Verfolgungswahn abzuschütteln – warum sollte er ihr folgen?

»Ich vermute, genau da, wo dieses Deutschland liegt.«

Sie starrte ihn an. Dann warf sie schnell einen Sicherungsblick über die Schulter, bevor sie die Frage stellte, die am meisten in ihr brannte.

»Bilde ich mir das alles nur ein?«

»Was denkst du?«

»Ich denke, es fühlt sich ziemlich real an.«

»Es ist real.«

»Und wer bist du?« Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie diese Frage noch gar nicht gestellt hatte.

»Pan.« Er war offensichtlich jemand, der nicht gerne kommunizierte und sehr wortkarg war. Sie wusste, dass sie nun gehen sollte, zögerte aber immer noch.

»Du denkst, du bist verrückt.« Er grinste wieder und sie wich zurück, als er näher trat. Sie kam sich neben ihm deutlich kleiner als ihre 1,65 Meter vor. »Vor sehr langer Zeit waren deine und meine Welt dieselbe, sie wurden getrennt. Und du dürftest nicht hier sein.« Wieder das Blitzen in seinen Augen, das sie nicht zu deuten wusste.

»Warum?« Sie war sich selbst nicht sicher, auf welchen Aspekt seiner Aussage sich diese Frage bezog. Er ging auch überhaupt nicht darauf ein.

»Umso interessanter ist es, dass du hier bist.«

Sie verstand nur Bahnhof. Aber sie sah das Flackern. Direkt vor sich. Es war plötzlich erschienen und trennte ihn und sie. Er machte einen Schritt darauf zu. ›Oh nein!‹, dachte sie. Was, wenn es eine Art Ein-Personen-Portal war und er es zuerst betreten würde – vor ihr? Würde er dann in ihre Welt gelangen und sie würde hier festsitzen? Sie durfte nicht zögern.

»Du hast ungewöhnliche Augen«, sagte er plötzlich und fixierte sie durch das flackernde Feld hindurch. Konnte er es auch sehen? »So etwas sieht man selbst hier selten.« Was wollte er? Mit einem Mal wollte sie nicht mehr darüber nachdenken. Entschlossen machte sie einen Schritt vor, sah noch, wie er blitzschnell seine Hand ausstreckte und …

Knall! Sie stöhnte.

»Oh, das tut mir leid!«, rief der Rothaarige erschrocken. »Ich habe nicht gewusst, dass … Hast du dir wehgetan?«

»Schon gut«, murmelte Leyla und rieb sich die Stirn. Verblüfft starrte sie auf die weiße Tür und wich gerade noch rechtzeitig zurück, als diese erneut geöffnet wurde und eine größere Schar von Menschen hinausströmte.

»Ley! Wo warst du? Was … warst du in einer Bio-Vorlesung?« Majik kam die Treppe hinunter und steuerte auf sie zu. Sie starrte weiterhin auf die Tür.

»Alles in Ordnung, Kleines?«, fragte er und tippte

sie leicht an. »Du warst nicht im Kurs.«

Sie drehte sich zu ihm um.

»Hast du Lust auf Tierpark?«

Sie übte in der folgenden Woche den schwarzen Flecken erfolgreich auszuweichen. Dabei fiel ihr auf, dass das Flackern immer an den gleichen Stellen erschien – oder war. Vor der Mädchentoilette im ersten Stock, vor der Tür zu dem einen Vorlesungssaal, in dem sie zum Glück keinen Kurs hatte. Außerdem gab es in der Bibliothek in der Chemieabteilung ein großes Feld, das flackerte und im Park ein, zwei Stellen. Hinzu kamen einige weitere, kleinere Felder und Punkte, aber – so hatte sie bereits festgestellt – es passierte nichts, wenn sie dadurch lief. Je weiter sie sich von der Uni entfernte, desto weniger wurden diese Ausfälle oder wie sie es insgeheim nannte: Portale. Vollkommen ungestört konnte sie deshalb ihrer Arbeit nachgehen und war tatsächlich auch viel zu sehr mit irgendwelchen Dingen beschäftigt, um weiter über all das nachzudenken. Auch wenn es stets in ihrem Unterbewusstsein geisterte. Zum Teil ertappte sie sich sogar dabei, sich einen Spaß daraus zu machen, Portale zu finden. Aber betreten wollte sie vorerst keines mehr. Noch nicht. Natürlich hatte sie versucht das Phänomen zu googlen, aber die Suche hatte außer Buchempfehlungen und Verschwörungstheorien nicht viel hervorgebracht. Von Naurénya oder Numäia hatte Google noch nie etwas gehört, auch wenn sich Leyla nicht sicher war, ob sie es auch richtig geschrieben hatte.

Majik hatte sie auch nichts von alledem erzählt. Aus irgendwelchen Gründen hatte sie sich dagegen entschieden. Doch er merkte, dass irgendetwas nicht stimmte. Er merkte es irgendwie immer.

Sie hatten beschlossen an ihrem freien Freitag in den Berliner Tierpark zu gehen. Während der Autofahrt bemerkte sie, dass er ihr fortwährend Blicke zuwarf.

Sie lächelte. »Alles in Ordnung?«

»Das wollte ich dich auch fragen.«

Sie reckte sich im Sitz.

»Ich bin gerade vollkommen entspannt«, meinte sie dann. »Ich habe zwei von fünf Präsentationen fertig, eine Idee für ein Hausarbeitsthema in Mathematisches Problemlösen und einen Prüfungsordner angelegt.«

Er starrte sie an.

»Ich nehme alles zurück. Du bist ganz die Alte. Es ist Mai! Das Semester hat gerade erst angefangen.«

»Aber ich muss ja für Zwei lernen«, erwiderte sie grinsend und öffnete die Autotür. »Und ich habe mir im ersten Semester einen 1,0 Schnitt erarbeitet. Den will ich halten.«

Er seufzte gespielt missmutig und stieg ebenfalls aus.

»Was genau möchtest du denn im Tierpark?«

»Das gute Wetter ausnutzen?«, lachte sie und reckte ihr Gesicht der Maisonne entgegen. Dann hielt sie erschrocken inne und sah ihn frustriert an. »Ist es schon wieder schlimmer geworden?«

»Du siehst aus wie immer«, lachte er und zog sie Richtung Eingang. Sie schob die Lippe vor. Sie hasste ihre Milliarden Sommersprossen einfach, die sogar im Winter jeden Hautzentimeter bedeckten. »Ich finde es niedlich«, meinte Majik mit dem Rücken zu ihr, genau wissend, was sie störte. »Ach, es wird wirklich Zeit, dass der Sommer kommt. Endlich wieder surfen. Ich kann der Welt ja nicht noch länger den Anblick meines unglaublich gut trainierten Körpers vorenthalten.«

»Oh nein«, sagte sie verstört. »Nicht schon wieder diese Narzissmusphase! Komm du Held der optischen Perfektion, in zehn Minuten fängt die Raubtierfütterung an, die würde ich gerne sehen.«

»Meintest du das jetzt ernst?«

»Hä?«

»Mit der optischen Perfektion?«

»Oh bitte«, stöhnte sie und sah ihn bewusst nicht an. Er wusste, dass er unheimlich gut aussah, mit seinen blonden Locken, die ihm über die Ohren reichten, den dunkelbraunen Augen, die stets strahlten. Dazu kam, dass er selbst im Winter immer aussah, als käme er gerade aus dem Sommerurlaub vom Surfen.

»Was denn nun«, hakte er nach.

»Ich sehe was, was du nicht siehst …«

»Hä?«

»Gut aus.«

»Wow, der war flach«, lachte er. »Aber schön, dass du endlich mal mit dir zufrieden bist.«

Sie zog eine Grimasse, dann packte sie ihn und zog ihn weiter. Sie hatten die Raubkatzen erreicht und prompt lief Leyla zu den schwarzen Versionen der großen Katzen.

»Ist das ein Panther?«, fragte sie und sah sich nach den kleinen Schildern um.

»Dort drüben steht’s«, meinte Majik und kniff die Augen zusammen. »Aber ich kann es nicht lesen.«

»Du solltest dir endlich mal eine Brille zulegen, du eitler Pfau.« Leyla drehte sich zu dem Schild.

Schwarzer Jaguar

So stand es auf der kleinen Tafel. Leyla musterte das Tier. Überall konnte man die Fleckenzeichnung erkennen. Irgendwie sah es anders aus, als die Raubkatze aus Naurénya. Ein Tierpfleger kam mit einer Schubkarre vorbei und die großen Katzen wurden unruhig. Sie erhoben sich und kamen an die Gitter, knurrten.

»’Tschuldigung«, sagte Leyla und wurde augenblicklich rot. »Gibt es noch andere schwarze Raubkatzen hier? Also vielleicht Panther? Oder sowas?«

Der Pfleger musterte sie und lächelte leicht.

»Das sind alles Panther«, sagte er dann und kratze sich am Kopf. »Ich muss zur Fütterung, bin spät dran. Du siehst, sie werden schon ganz unruhig.« In der Tat war mittlerweile lautes Gebrüll in der Halle ausgebrochen. In den Käfigen pirschten die Raubkatzen dicht an den Gitterstäben entlang. Ungeduldig. Wartend. »Wenn de mehr wissen willst, komm mit«, meinte der Mann lächelnd.

Sie folgten dem Pfleger, der nun anfing, Fleischklumpen zu verteilen. Dazu öffnete er eine kleine Luke und schob das Fleisch mit einem langen Stock hindurch. Oft waren die Katzen aber schneller mit der Tatze durch die Luke, als das Fleisch drinnen war. Leyla zuckte zusammen, als sie sah, wie die Tiere nach dem Futter gierten, brüllten und mit der Pranke danach tasteten. Die Fütterung ging verdammt schnell. Der Pfleger war routiniert und Leyla beobachtete, wie die Raubkatzen sich mit ihrer Beute in ihre Ecken verzogen, um sie dort mit gefährlich blitzenden Zähnen zu verspeisen.

»Prinzipiell nennt man im Umgangssprachlichen alle schwarzen Raubkatzen Panther. Das hängt nämlich lediglich mit der Pigmentierung zusammen«, erläuterte der Pfleger unterdessen. »Vom Wort her … also ich mein so vom Ursprung, vom Lateinischen – ich selbst hatte das ja nie, aber – sind eigentlich sogar alles Panther. Is’ in jedem Namen mit drin das Wort. Aber ich schätze das meinst’ nich’. Meinst die schwarzen Jaguar und Leoparden, nich’? Also das da is’ unsere Jalla, dis is’n Jaguarweibchen. Jaguar haben noch so Punkte in der Zeichnung, siehste daneben bei der Lur, die hat nicht die schwarze Pigmentierung. Bei der Jalla kannst’ auch noch ‘n bisschen die Punkte sehen, ne? Und dann is’ da drüben noch unser Jack. Das ist ein schwarzer Leopard und …«

Leyla hatte bereits abgeschaltet. Sie fixierte den schwarzen Leoparden. Ja, genau so hatte das Tier ausgesehen!

»Was würden sie tun, wenn sie so einem Tier in der freien Natur gegenüberstehen würden?«, unterbrach sie die etwas wirre Erläuterung nachdenklich.

»Oh, na das möcht’ ich wirklich nich’. Also ich liebe meine Kätzchen, aber … ich mein’ ich wüsst’ ja noch, wie man mit denen umgeht, aber … na ja Ruhe bewahren. Das is’ das A und O.«

»Meinen sie, Feuer schreckt die Katzen ab?«, fragte Leyla einer plötzlichen Eingebung folgend.

»Na ja, mögen tun se’s nich’ unbedingt, ne«, lachte der Mann. »Ich muss jetzt aber weitermachen. Hoff’, hab’ euch ’n bisschen geholfen, ne. Wenn ihr mehr wissen wollt’, könnt’ ihr ja ’ne Führung buchen. Die sind gut.«

Sie nickte, bedankte sich und drehte sich zu Majik um. Seine Augenbrauen hätten nicht höher sein können.

»Was?«, fragte sie möglichst harmlos. »Ich mag Katzen eben.«

»Ich muss mir nicht Sorgen darüber machen, dass du nach Afrika fliegst und dir ein Kätzchen mitbringst, oder?«

»Ich denke nicht.«

»Da bin ich beruhigt. Dann können wir ja jetzt noch ins Reptilienhaus, da ist auch gleich ’ne Fütterung«, feixte er.

»Uhaa. Niemals!«, rief sie und boxte ihm in die Seite.

Es wurde ein entspannter Vormittag. Gegen 14.00 Uhr hatten sie jedoch gefühlt alles gesehen und strebten zum Ausgang.

»Und jetzt? Nach Hause?«, fragte Majik und fuhr los.

»Kannst du mich am Drogeriemarkt absetzen? Ich muss noch einkaufen.«

»Kein Problem. Soll ich warten?«

»Nein, fahr’ ruhig, ich will danach noch zum Fleischer.« Sie hätte sich am liebsten sofort auf die Zunge gebissen. Doch es war zu spät.

»Du bist Vegetarierin.« Er sagte es ganz ruhig, aber spätestens jetzt, das wusste sie, war ihm klar, dass irgendetwas im Gange war, von dem er nichts wusste. Sie fummelte nervös an ihrem Ohrring herum. »Was ist hier los?«

»Nichts. Vielleicht wollte ich dich einfach nur zum Essen einladen. So als Überraschung. Und als Entschuldigung dafür, dass ich mich letzte Woche so danebenbenommen habe.«

Er hielt, sah sie nicht an, sondern starrte auf die Straße. Er war beleidigt. Oder enttäuscht. So genau konnte sie es nicht sagen.

»Wirst du es mir erzählen?«, fragte er dann.

»Ja.« Es war so aufrichtig, dass er nun doch wieder lächelte.

»Dann viel Spaß mit dem toten Tier.«

»Du bist unmöglich.« Sie umarmte ihn zum Abschied und stieg aus.

Sie konnte ihre Nervosität kaum im Zaum halten, als sich der Bus der Universität näherte. Was genau tat sie hier eigentlich? Oder besser gesagt, gedachte sie hier zu tun? Der Campus lag relativ verlassen dar. Zwar war es erst später Nachmittag, doch die wenigsten Studenten besuchten an einem Freitag gerne Seminare. Sie steuerte auf das Haus der mathematischen Fakultät zu. Die Wände waren hier alle weiß getüncht und durch die hohen Fenster fiel helles Sonnenlicht. In den Gängen war es still. Niemand befand sich außerhalb der Seminarräume. Sie erreichte das zweite Stockwerk – leicht keuchend – und da war er. Der flackernde Fleck. Alles andere als zielstrebig bewegte sie sich darauf zu, ihre Hände hatten sich in ihre Tasche gekrallt. Kurz vor dem Fleck hielt sie inne und begann in der Tasche zu kramen. Sie schien alles zu haben. Und so betrat sie Naurénya erneut.

Es war alles wie beim letzten Mal. Leer, schwarz und einsam.

»Hallo?!« Eigentlich wollte sie rufen, doch es war nur ein Flüstern, dass über ihre Lippen kam. Sie tippte auf ihrem Handy herum. Die Taschenlampe ging an und verteilte ihr kaltes Licht in dem dunklen Flur. Schritt für Schritt bewegte sie sich vorwärts, wieder Richtung Treppe. War da ein Laut gewesen? Nein. Wo Pan sich wohl aufhielt? Sie schlich die Treppen hinunter, gen Aufenthaltsraum. Wieder stand die Tür offen, sie linste hinein. Der Raum war leer. Sie seufzte, halb erleichtert, halb enttäuscht und wandte sich um. Das Seufzen wich einem Keuchen.

Vollkommen lautlos war die Raubkatze hinter ihr erschienen und fauchte jetzt leise, während sie auf seidigen Pfoten immer näher kam. Leyla wich zurück.

»Ich tu’ dir nichts«, sagte sie mit zitternder Stimme, während sich ihre Hand um etwas krallte, dass sie aus ihrer Tasche gezogen hatte.

Erneut fauchte der Panther und machte einen größeren Satz auf sie zu. Vor Schreck ließ sie ihr Handy fallen, wich weiter zurück und warf hektisch das Bündel aus ihrer Hand gen Katze. Es war das Fleisch, das sie gekauft hatte. Der Panther hielt kurz inne und begann an der leider noch verschlossenen Tüte zu schnuppern. Es dauerte jedoch nur wenige Sekunden, dann hatte er das Interesse an den eingepackten Fleischbrocken verloren und richtete seine gelben Augen wieder auf Leyla. Die Sekunden hatten ihr jedoch genügend Zeit gegeben, um erneut etwas aus der Umhängetasche zu holen. Mit immer noch zitternden Fingern hielt sie das Feuerzeug hoch und schnippte es an. Das winzige Flämmchen sah in Anbetracht der Situation geradezu lächerlich aus, doch den Trumpf hielt Leyla in der rechten Hand. Als das Tier noch einen weiteren Satz machte, hob sie die Sprühdeoflasche und ließ einen Nebelstoß durch die kleine Feuerzeugflamme jagen. Das Ergebnis war fabulös. Ein gigantischer Feuerstrahl schoss auf die Raubkatze zu und verpuffte erst, als er die ersten Schnurrhaare fast erreicht hatte. Für einen kurzen Augenblick dachte Leyla die Machtverhältnisse geklärt zu haben, denn der Panther stand wie angewurzelt da. Dann passierte es.

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9783748598831
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