Читать книгу: «Seewölfe Paket 24», страница 14

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„Hier ist der Fahnenmast zu Ende“, verkündete Old O’Flynn, als ob das noch einer Feststellung bedurfte. Vor ihnen war alles zugewachsen und ging in morastigen Brei über. Noch weiter vorn wurde es sumpfig und matschig, das Wasser des Creeks teilte sich in unzählige kleine Rinnsale. Aber überall wuchsen die Sämlinge der Mangroven.

Es war zum Haareausraufen – sie mußten wieder zurück.

Jetzt allerdings war es mit der Laune des Profos endgültig zu Ende. Er fluchte erbittert und wurde immer biestiger.

„Das gibt es doch nicht!“ wetterte er. „Wenn dieses Pfahldorf einen Zufluß hat, dann muß es auch wieder zurückgehen. Das ist völlig absurd und widersinnig.“

„Es hat auch einen“, meinte Martin, „aber den müssen wir erst einmal finden. Das ist hier sehr schwierig.“

„Vielleicht finden wir den richtigen, wenn der Kutscher erneut ein paar kluge Sprüche abläßt“, sagte Carberry. „Aber dann laß bitte solche klugen Sprüche los, daß wir auch im Meer landen.“

„So kluge Sprüche gibt’s gar nicht“, erklärte der Kutscher. „Das hier ist ein einziges Labyrinth aus Tropenwald, Seen, Sümpfen, Flußläufen und kleinen Bächen. Wenn man da mitten hineingesetzt wird, ist es wohl etwas viel verlangt, sich auf Anhieb zurechtzufinden.“

„Kluge Sprüche fallen dir wohl keine mehr ein, was, wie? Jetzt bist du auch mit deiner Weisheit am Ende.“

„Nehmt es nicht so schwer“, meinte der Kutscher, „bisher haben wir noch aus jeder Lage herausgefunden. Genießt den Anblick des herrlichen Sees und der lieblichen Tiere. Ille terrarum mihi praeter omnis angulus ridet, was soviel bedeutet wie: Lacht mir doch kein Fleckchen Erde wie dieses.“

„Jetzt ist er übergeschnappt“, sagte Carberry. „Das sind die Hitze und die stickige Luft. Mein Gott, ausgerechnet der Kutscher, und wir können ihm nicht mal helfen.“

Ziemlich besorgt, aber auch mißmutig sah er den Kutscher an, der wieder aufmerksam über den See spähte. Er entdeckte auch noch vor den Zwillingen einen Flußlauf.

Was den Profos so ärgerte, war die Gelassenheit des Kutschers. Der schien das als einen Spaziergang zu betrachten, glaubte nicht an Menschenfresser, schien keinen Bammel zu haben und gab sich ganz gelassen großen Sprüchen hin. Und er schien diese lausige Irrfahrt durch den Modder und Dreck regelrecht zu genießen.

Noch einmal paddelten sie in einen Flußlauf, der seiner Breite wegen einiges versprach. Doch auch diese Hoffnung erwies sich recht bald als trügerisch und endete wiederum in einer Sackgasse.

Ein winziger Brackwassersee tat sich auf, dem sich das übliche und sattsam bekannte Bild anschloß: ein paar Mangroven, undurchdringliches Dickicht, verfilzter Urwald und ein paar Reiher, die sich an den Anblick der Menschen nicht gewöhnen konnten. Kreischend und flatternd verschwanden sie.

Der Profos sah direkt gefährlich aus, als sie wieder umkehrten. Wenn ihn jetzt einer anmosert, dann frißt er das Kanu, überlegte der Kutscher. Der war so in Braß, daß er alle Augenblicke aufgeregt und tief Luft holte, die er dann schnaubend ausstieß.

„Scheißsee, mistiger!“ fauchte er. „Ich sauf ihn aus, und dann sehen wir ja, wo das Wasser nachfließt. Was jetzt?“ brüllte er.

„Weitersuchen“, erklärte der. Kutscher lakonisch. „Wir haben ja noch den ganzen Tag vor uns.“

„Unser ganzes Leben, meinst du wohl. Hier finden wir doch nie mehr heraus. Aber ich habe jetzt eine Idee, und die werden wir auch gleich in die Tat umsetzen, dann hat die Sucherei ein Ende.“

Ein ganz sanfter Regenschauer zog vorüber und brachte zum Glück etwas Erfrischung. Diesmal rissen sie alle die Klappen auf, um ein paar Tropfen der kühlen Flüssigkeit abzukriegen. Danach sah der Profos etwas friedlicher aus.

„Was für eine Idee hast du?“ wurde gefragt.

„Sir John wird uns helfen“, sagte Carberry zur Verblüffung der anderen.

„Und wie soll das geschehen?“

„Ich setze ihn sozusagen als Pfadfinder ein“, verkündete der Profos mit leisem Triumph in der Stimme. „Sir John kann fliegen und hat von oben einen besseren Überblick. Der kann alles mit einem Blick übersehen. Und dann folgen wir ihm einfach. Ja, daran hast du auch nicht gedacht, Kutscherlein. Ich hab’s auch hier oben, ohne lateinische Sprüche, die sowieso nicht weiterhelfen. Das ist die Idee des Jahres.“

Der Kutscher blickte den Profos fast mitleidig an, dann Sir John, der durch den Regen wieder auf Spatzengröße geschrumpft war und ziemlich zauselig und zerpliesert auf Carberrys Schulter saß.

„Idee des Jahres!“ spottete der Kutscher. „Das ist bestenfalls der Witz des Jahres. Wie willst du das tun? Glaubst du etwa, die Krachente wird dir von oben den Kurs winken? Dafür ist Sir John viel zu dämlich. Der kann zwar hervorragend die rüdesten und ordinärsten Profos-Sprüche nachplappern, aber damit hat sich’s auch. Zum Mitdenken reicht sein Gehirn nicht aus, das ist nicht viel größer als eine lausige Mücke.“

„Von wegen!“ brüllte Carberry. „Der hat Verstand, vielleicht mehr als wir alle zusammen.“

„Der hat keinen Verstand, der Schreihals!“ wetterte der Kutscher erbost zurück. „Du willst mir doch wohl nicht verklaren, daß dieser Piepmatz, der wegen seiner klatschnassen Federn ohnehin nicht fliegen kann, Verstand und Geistesgröße habe. Jetzt langt’s aber, Mann! Erzähl das deiner Großmutter, die lacht vielleicht darüber.“

Sir John reckte den Hals. Da die Federn klatschnaß waren, sah er aus wie ein hungriger Geier, bei dem der Hals nur ein Strich war.

Er krächzte ein paarmal heiser, um sich in Form zu bringen, denn er kreischte gern mit, wenn der Profos brüllte, und da mitunter auch mal passende Bemerkungen fielen, hielt Carberry das für Verstand.

„Erzähl du das deiner Großmutter, du Knödel-Admiral!“ schrie der Profos. „Dir paßt bloß nicht, daß einer mal bessere Ideen hat als du Klugscheißer.“

Die anderen hörten gespannt und wieder grinsend zu, denn die Wortgefechte zwischen Profos und Kutscher feierten wieder mal Auferstehung.

Jetzt kreischte aber auch der Papagei lauthals mit. Schrie der Profos, dann wetterte er ebenfalls los, als stünde er auf seiner Seite. Auch das hielt Carberry für reingeistigen Verstand.

„Haha, Kutscherlein!“ kreischte Sir John. „Rübenschwein!“

Der Kutscher wurde jetzt auch grantig, denn daß das schillernde Vieh so treffliche Worte wußte, paßte ihm nicht. Prompt begann natürlich auch der Profos verschwörerisch zu grinsen. Er und Sir John waren ein Herz und eine Seele. Dem Papagei gefiel es außerordentlich, wenn sein Herr und Meister in Braß war. Das spornte ihn mächtig an.

„Wenn das kein Beweis für Verstand ist“, sagte Carberry großmäulig, „dann weiß ich nicht mehr weiter. Kutscherlein – Rübenschwein, das reimt sich sogar! Er hätte ja auch einen anderen Namen nennen können, aber er weiß genau, was anliegt.“

Der Kutscher tippte sich mit dem Finger kopfschüttelnd an die Stirn.

„Das beweist nur, daß dein Mangrovenbehälter da oben ebenfalls bald zugewachsen sein wird, sobald die letzte Feuchtigkeit verschwindet. Kutscherlein hat er nur nachgequasselt, und das andere liebliche Wort kennt er seit Jahren und quatscht es bei jeder passenden oder unpassenden Gelegenheit. Und nun laß deinen Geier doch mal aufsteigen, damit er den Stern von Bethlehem spielen kann. Dann sehen wir ja, was mit ihm los ist.“

„Was heißt hier Stern von Bethlehem?“ fragte Carberry empört. „Das hat doch damit gar nichts zu tun.“

„Der hat auch gewissen Leutchen den Weg gewiesen, und nachts hat er sogar geleuchtet. Vielleicht kann Sir John ja auch leuchten oder irgendwie Signale geben.“

„Sir John gibt keine Signale, der fliegt einfach los, und wir folgen ihm.“

„Mitten durch die Mangroven? Oder den Dschungel oder barfuß durch die Sümpfe? Laß dich nicht auslachen, Ed, das ist völlig ausgeschlossen und undurchführbar.“

„Ist es nicht!“ brüllte Carberry, dem immer mehr der Kamm schwoll. Bei ihrem Wortgefecht hatten sie gar nicht mitgekriegt, daß die Zwillinge, Martin Correa und Old O’Flynn langsam die Paddel bewegten, denn Sven Nyberg hatte Wasser schimmern sehen, und so nahmen sie Kurs auf eine andere Stelle.

Inzwischen warfen sich Kutscher und Profos lauthals noch ein paar Nettigkeiten an die Köpfe. Der Kutscher lachte und deutete auf Sir John, der nicht aufsteigen wollte oder konnte.

Aber Sir John bezog das abfällige Gelächter wohl auf sich selbst, oder er nahm es sehr ernst. Er sträubte sein Gefieder, hielt den Kopf schief und beäugte den Kutscher.

Dann sagte er deutlich und klar, zur Verblüffung der anderen: „Verlauster Entenarsch!“

Der Profos kriegte sich nicht mehr ein. Er begann laut zu lachen und hieb sich auf die Schenkel, während der Kutscher überrascht und fassungslos den bunten Vogel anstarrte. Der Kreischgeier hatte ihn genau angeblickt, als er das gesagt hatte.

„Wie hat die Krachente mich genannt?“ fragte er verdattert.

„Einen verlausten Entenarsch“, sagte der Profos mit satter Zufriedenheit. „Das war doch wohl deutlich genug zu hören. Und das zeugt nun mal einwandfrei von einer gewissen Intelligenz.“

„Intelligenz!“ ächzte der Kutscher. „Das kann man wohl sagen. Ein sehr intelligenter Vogel ist das.“

„Sag’ ich doch die ganze Zeit. Und er hat keineswegs mich gemeint, Kutscher, sondern einwandfrei dich angeblickt. Aber ich glaube kaum, daß er sich dafür entschuldigen wird. War ja auch nur ’ne ganz normale Feststellung, nicht wahr, Sir Jöhnchen?“

Fehlt nur noch, daß „Sir Jöhnchen“ jetzt den Krummschnabel aufreißt und grinst dachte der Kutscher. Dann wäre er glatt über Bord gefallen.

Der Geier gab ein Kreischen von sich, als würde er sich durch den Profos bestätigt fühlen. Er reckte den Achtersteven zurück, zog das Genick ein und ließ dem Profos was aufs Kreuz fallen.

„So wird man von den Intellektuellen beschissen“, sagte der Kutscher hämisch grinsend.

Damit endete vorerst die geistreiche Unterhaltung, denn als sie sich umsahen, bemerkten sie, daß sie wieder einen Creek erreicht hatten. Das war ihnen während ihres aufschlußreichen Gesprächs ganz entgangen.

Hier erlebten sie allerdings eine totale Überraschung.

„Donnerwetter“, sagte Carberry, „und den haben wir erst jetzt entdeckt. Der ist ja sagenhaft breit. Ich glaube, jetzt haben wir es endlich hinter uns. Das sei getrommelt und gepfiffen.“

Old O’Flynn richtete sich im Kanu auf und peilte scharf nach vorn, weil der Creek eine sanfte Krümmung beschrieb. Vielleicht sah er ja gleich die „Empress“ auf der Sandbank.

„Oh, da sind ja wieder Hütten“, sagte er, „ein Pfahldorf. Richtig malerisch sieht das aus. Und kein Mensch zu sehen. Da können wir Studien treiben, wie ich meine Rutsche bauen soll. Das müssen wir uns unbedingt mal ansehen.“

Während Old O’Flynn noch brabbelte, war den anderen zumute, als hätte man ihnen einen Hammer auf die Schädel gehauen.

Gerade paddelten sie um die Biegung herum – da sahen sie das Pfahldorf im Wasser stehen.

Selbst der Kutscher war so fassungslos, daß er die Maulsperre kriegte und sekundenlang zu keiner Reaktion fähig war.

Carberry kriegte Augen wie Siebzehnpfünder. Die anderen blickten fassungslos auf die Hütten. Die Zwillinge ächzten leise.

Nach der Schrecksekunde fing sich der Kutscher als erster wieder. Nur Old O’Flynn kapierte noch nicht ganz und sah sich die Vorbilder für seine „Rutsche“ an, die er auf Abaco zu bauen gedachte.

„Na, bitte sehr“, sagte der Kutscher etwas gefaßter. „Da sind wir ja wieder. Da hätten wir auch gleich hierbleiben können, statt sinn- und planlos in der Gegend herumzupaddeln. Ich glaube, mich trifft der Schlag.“

„Oh, Himmelkreuzdonnerwetter!“ fluchte der Profos. „Das ist doch alles nur ein Traum, verdammt! Ich könnte mir in die Ohren beißen! Jetzt stehen wir wieder vor unseren Kochtöpfen, und alles war umsonst! Das halte ich nicht aus!“

Old Donegal war so in den Anblick der verlassen wirkenden Pfahlhütten versunken, daß er immer noch nichts kapierte. Hm, so ähnlich sollte einmal seine Kneipe aussehen, mit schönen stabilen Stämmen, sicher vor allem Ungeziefer im Wasser gebaut. Der malerische Anblick der Hütten gefiel ihm außerordentlich. Im Geiste sah er sich schon über dem Wasserspiegel hocken und kühles Bier trinken. Und er sah auch schon den Profos durch die Rutsche sausen und Vierkant im Wasser landen. Diese Vorstellung zauberte sogar ein Grinsen auf sein wettergegerbtes Gesicht.

„Seht mal“, sagte er, „so ungefähr stelle ich mir … He! Was ist denn mit dir los?“

Aber da hatte ihn schon eine harte Hand ins Kanu gerissen, und er hörte den Profos jetzt ganz bewußt und sehr gotteslästerlich fluchen.

„Da waren wir doch heute nacht!“ brüllte Carberry.

Sir John kreischte wieder begeistert mit und gab Laute von sich, die sich nach Ziegengemecker anhörten.

„Los, nichts wie zurück“, sagte Martin, „noch haben sie uns offenbar nicht gesehen.“

Das dachten die anderen auch, denn das Dorf im See lag wie ausgestorben da, als sei es nicht bewohnt oder längst verlassen worden.

In aller Eile drehten sie das Kanu, um durch den Creek wieder ungesehen in den See zu gelangen und türmen zu können.

Doch dazu war es viel zu spät. Fassungslos sahen sie, daß überall um sie herum Kanus aufgetaucht waren und sie eingekreist hatten.

Sie waren wie aus dem Nichts erschienen, urplötzlich waren sie da. Natürlich hatten sie sich geschickt in dem undurchdringlichen Gestrüpp verborgen und waren dann aufgetaucht doch diese Erkenntnis nutzte ihnen nicht viel.

In den zahlreichen Kanus, die sie von allen Seiten umgaben, standen Arawaks, und die schauten recht grimmig drein. In den Fäusten hielten sie ihre Bogen. Die Bogen waren schußbereit und gespannt, gefiederte Pfeile lagen auf den Sehnen.

Da gibt es nichts mehr zu türmen, dachte der Profos. Auch jeglicher Widerstand war zwecklos und wäre absolut unsinnig gewesen.

Kerzengerade blieben sie in ihrem Kanu hocken und blickten die Indianer an. Deren Gesichter verhießen allerdings nichts Gutes.

5.

In einem der Kanus stand aufrecht der Häuptling Coanabo. Er blickte noch finsterer als seine Krieger und starrte düster und drohend zu dem Kanu hinüber.

Coanabo war ein reinblütiger Arawak-Indianer, genauer gesagt ein Lucayaner vom Inselstamm. Er war bereits über sechzig Jahre alt, aber er sah schlank und drahtig aus, und er war zäh. Vor etwa dreißig Jahren war es ihm gelungen, von Bord eines spanischen Sklavenseglers zu fliehen, nachdem er jahrelang bei den Dons in einem Bergwerk auf Hispaniola geschuftet und gelitten hatte. Von dieser Zeit rührte auch sein Haß auf die Spanier her.

Aber sie hatten seine flüchtige Bekanntschaft ja schon in der Nacht genossen.

Jetzt blickte er sie finster an, und seine Krieger warteten nur auf einen Befehl von ihm.

Sehr harmlos sind die alle, dachte der Profos voller Zorn. Diesen Kutscher mit seinen Verharmlosungen mußte man wohl mal kräftig unter Wasser tunken, damit sich sein Verstand schärfte. Die Kerle lauerten doch nur darauf, ihnen die Haut abzuziehen und sie in den Töpfen zu schmoren.

Old Donegal wiederum ärgerte sich mächtig, daß er nicht sofort durchgeblickt hatte, weil er so in den Anblick der Hütten versunken gewesen war. Dabei hatte er doch nur an seine Rutsche gedacht und gar nicht mitgekriegt, daß sie wieder an ihrem Ausgangspunkt angelangt waren.

Er brachte aber doch noch so etwas wie ein lahmes Grinsen zustande und wandte sich – äußerlich sehr freundlich – an den Häuptling. Dabei bediente er sich der englischen Sprache.

„Ho, wir sind sehr erfreut, euch wiederzusehen, Häuptling“, sagte er grinsend. „Wir haben heute nur mal eine kleine Spazierfahrt unternommen, verstehst du? Wir wollten mal die Umgebung kennenlernen. War wirklich sehr hübsch da draußen. Aber jetzt reicht es, ist ja auch fürchterlich heiß geworden. Ja, und dann wollten wir natürlich das Kanu wieder zurückbringen, falls es noch gebraucht wird!“

Coanabo starrte den Alten unverwandt an. Kein Muskel zuckte in seinem scharfgeschnittenen Gesicht. Aber seine Blicke bohrten sich in die von Old O’Flynn und erdolchten ihn fast.

Doch so was beeindruckte den Alten nicht im mindesten. Wenn es ein Chickcharnie gewesen wäre – ja dann! Er machte weiterhin freundliche Nasenlöcher und grinste wie ein alter Kobold.

„Habt ihr dazu nichts zu sagen?“ fragte er erstaunt. „Oder seid ihr nicht froh, daß wir wieder zurück sind?“

Der Kutscher schüttelte unmerklich den Kopf.

„Was faselst du denn da für einen Unsinn, Donegal? Der Häuptling versteht doch von dem Geseire kein Wort.“

„Wenn er ein echter Arwenack ist, versteht er Englisch“, sagte der Alte, der sich wieder mal zu den unmöglichsten Behauptungen verstieg.

„Das sind Arawaks und keine Arwenacks, Mann! Das habe ich dir schon ein paarmal verklart und verklickert, aber du nimmst das ja nicht zur Kenntnis.“

„Diese alte Spillspake kapiert überhaupt nichts mehr“, brummte der Profos, „der hat in England wohl an jeder Straßenecke nur noch Indianer gesehen. Es ist schon ein Kreuz mit ihm.“

„Na gut“, murrte Old Donegal, „dann kann er mich mal. Ist ja nicht meine Schuld, wenn er noch nicht in England war. Soll er doch in seinen verdammten Sumpflöchern Eier ausbrüten.“

Jetzt war er wieder richtig gallig und giftig und gab den Blick des Häuptlings auch keineswegs freundlich zurück.

„Arsch mit Ohren“, sagte er zu dem Häuptling, aber das verstand der genausowenig wie den anderen Quatsch, den Old O’Flynn hin und wieder zu verzapfen pflegte.

„Hör auf damit!“ sagte der Kutscher. „Ihnen dumme Reden zu halten oder sie zu beleidigen bringt ebenfalls nichts ein.“

Sir John, inzwischen wieder knochentrocken, plusterte sich auf, sagte laut, kurz und völlig zutreffend: „Hummerarsch“ und flog davon, dicht an dem verdutzten Profos vorbei. Er strich ab und segelte in langem Bogen zu den Pfahlbauten. Dort ließ er sich irgendwo im Geäst eines Baumes nieder.

Jetzt war es mit der Unterhaltung allerdings vorbei, denn nun waren die Indianer an der Reihe, die den Worten stumm gelauscht hatten.

Coanabo stieß einen scharfen Befehl aus.

Die Zwillinge hielten schon die Luft an, denn sie glaubten, daß die Arawaks jetzt mit Pfeilen auf sie schießen würden. Auch der Profos sah sich schon mit diesen gefiederten Dingern gespickt und wollte mit einem verzweifelten Satz in das Kanu des Häuptlings hechten, um ihm wenigstens noch die Faust an den Schädel zu knallen.

Der Kutscher hingegen blieb wieder völlig ruhig und musterte die Indianer so gelassen, wie sie ihn oder die anderen musterten.

Kaum hatte Coanabo die Worte hervorgestoßen, da drängten drei, vier Kanus blitzartig vor. Die Indianer hielten ihre Bogen auf die Männer gerichtet und forderten sie durch Kopfbewegungen und Zeichen der Bogen auf, in Richtung Land zu paddeln, ganz in die Nähe der Stelle, wo die Pfahlhütten standen.

„Nur keine Aufregung“, sagte der Kutscher gelassen. „Wir sollen dort zu dem Strand hinüberpaddeln. Also tun wir, was sie wollen, damit es keinen Ärger gibt.“

„Ärger ist gut“, brummte Carberry. „Sieht auch gar nicht danach aus. Sie wollen uns nur verhätscheln.“

„Sie tun uns nichts“, versicherte der Kutscher. Aber daran glaubte längst niemand mehr, denn die Arawaks sahen augenblicklich alles andere als friedlich aus.

Sie folgten jedoch der Aufforderung und zogen die Paddel durchs Wasser.

Die anderen Kanus folgten dichtauf. Coanabo ließ die Weißen keinen Augenblick aus den Augen.

Der Profos schielte nach Sir John, doch der war nicht zu sehen. Er hockte immer noch irgendwo im Geäst der Bäume und ließ sich nicht blicken.

Im Gegensatz zu den meist vorherrschenden Mangrovenufern befand sich auf der linken Seite des Sees ein langer Sandstrand. Dorthin paddelten sie jetzt, scharf bewacht von den anderen Kanus. Hinter dem Strand wuchsen Bäume, ein paar Palmen, Buschwerk, und danach begann undurchdringliches Gestrüpp.

Aus den Hütten blickten Indianer, neugierig, verstohlen starrten sie auf die weißen Männer.

Als das Kanu auf den Strand lief, wurde ihnen bedeutet auszusteigen. Das alles geschah durch schnelle Kopfbewegungen oder Handzeichen.

„Immer schön folgsam bleiben“, sagte der Kutscher mit unerschütterlicher Ruhe. „Keine Gegenwehr, es hätte keinen Zweck, denn hier gelangen wir allein nicht heraus.“

Kaum befanden sie sich auf dem Streifen Sandstrand, da wurden sie auch schon von allen Seiten von Indianern umringt. Wie durch Zauberei tauchten Lianenseile in den Händen der Arawaks auf.

Der Kutscher wurde blitzschnell gefesselt, über den Strand geschleppt und an einen Baum gebunden.

Carberry war bereits von vier, fünf Kerlen umringt und knirschte vor Wut mit den Zähnen, als sie ihn fesselten und ebenfalls über den Strand zu einem Baum schleppten. Dort banden sie den Profos fest, der nur noch sehr mühsam seine Wut unterdrückte.

Dann waren auch die Zwillinge an der Reihe, die beiden Dänen, Martin Correa und schließlich Old O’Flynn, der grimmige Flüche ausstieß und alle zur Hölle wünschte.

Innerhalb kürzester Zeit standen alle gefesselt an den Bäumen.

Drei Indianer wandten sich jetzt der Wolfshündin Plymmie zu, welche die Zähne fletschte und bedrohlich knurrte. Die Indianer zögerten, denn sobald sie näher herantraten, drang aus der Kehle der Wolfshündin ein gefährliches Knurren, und sie zeigte ihr scharfes Gebiß.

„Hau ab, Plymmie, verschwinde!“ rief Hasard junior. „Los, los, verzieh dich!“

Einer der Arawaks hob den Bogen und spannte ihn. Da verschwand die Hündin mit ein paar langen Sätzen im Gestrüpp. Ein Rascheln, nochmals ein heiseres Knurren, dann war sie verschwunden.

Die Zwillinge atmeten auf, denn es hatte ganz so ausgesehen, als wollte der Indianer sie töten. Jetzt ließ er den Bogen sinken, als Coanabo zwei Worte ausstieß.

„Das hat sie ja kapiert“, sagte Philip erleichtert.

Niemand unternahm Anstalten, der Hündin zu folgen.

Über Carberry war ein leiser Flügelschlag zu hören. Sir John hatte seinen Standort gewechselt und flog ins Geäst des Baumes, an den der Profos gefesselt war. Dort blickte der Papagei mit schiefgeneigtem Kopf hinunter und stieß schnalzende Laute aus.

Die Indianer schenkten ihm keine Beachtung, was der Profos ebenfalls mit einem erleichterten Aufatmen zur Kenntnis nahm.

„Immer schön folgsam bleiben“, höhnte er biestig, „dann tun sie uns auch nichts.“

Er kam einfach nicht darüber hinweg, daß sie ihn wie einen Hund angebunden hatten und er sich nicht einmal zur Wehr setzen konnte. Aus den Augenwinkeln hielt er Ausschau nach den Fleischtöpfen und Kochkesseln, aber er sah keine. Die haben sie vielleicht in den Hütten, dachte er, wo immer wieder hungrige Gesichter auftauchten und die Szenerie am Strand beäugten.

„Das hätten wir uns alles ersparen können“, sagte der Kutscher ungehalten. „Wenn man auf mich gehört hätte, wäre das alles nicht passiert. Jetzt, da wir geflüchtet sind und wieder eingefangen wurden, sind die Indianer natürlich sauer.“

„Ich bin auch sauer“, sagte der Profos. „Wir haben lediglich noch eine Galgenfrist. Wenn es nach dir gegangen wäre, dann hätten uns diese Kerle schon am frühen Morgen massakriert.“

„Deshalb riet ich ja auch, den Sonnenaufgang zu genießen“, bemerkte der Kutscher verärgert. „Man weiß leider nie, wann es der letzte sein wird.“

Carberry warf einen Blick auf Old O’Flynn, der gefesselt am Baum stand und ein wüstes Grinsen im Gesicht hatte. Sieht so aus, als habe der Alte etwas vor, dachte er, doch das war bloßes Wunschdenken. Old Donegal konnte überhaupt nichts unternehmen.

„Was grinst du denn so dämlich?“ fragte Carberry. „Dir haben wir doch den ganzen Mist zu verdanken. Du hast das alles vermurkst.“

„Ha!“ tönte der Alte grimmig. „Das ist alles halb so schlimm. Heute nacht werde ich wieder mein Stilett aus dem Holzbein zaubern.“

„Und dann?“

„Dann befreie ich euch. Wir schnappen uns ein Kanu und türmen erneut damit.“

„Sehr lustig“, meinte Carberry, „aber das haben wir schon mal versucht, falls du dich erinnerst. Das kannst du dir aus deinem Querkopf schlagen. Die Kerle haben uns im Nu wieder eingefangen.“

„Nicht, wenn ich das in die Hand nehme“, versicherte Old Donegal. „Wir werden türmen, aber wir nehmen eine Geisel mit. Außerdem versenken wir die anderen Kanus. Und diese Geisel wird uns gefälligst zur ‚Empress‘ lotsen, sonst werden diese räudigen Bastarde mich mal von einer recht üblen Seite kennenlernen.“

„Dann haben wir ja noch mindestens zwölf Stunden Zeit“, sagte Carberry höhnisch. „Jetzt ist erst Mittag, und bis deine Befreiungsaktion anläuft, sind wir verhungert.“

„Ich krieg’ das schon hin, auch wenn ich gefesselt bin.“

Das hörte sich zwar gut an, überlegte Ed, aber es würde wahrscheinlich nicht viel einbringen, denn in dieser Nacht würde man sie sicher scharf bewachen, und da konnten sie jeden Gedanken an Flucht gleich aufgeben.

Der Häuptling ließ sich Zeit er schien überhaupt keine Eile zu haben, denn erst jetzt landete er mit seinem Kanu auf dem Strand. Noch sechs andere Arawaks waren bei ihm – Unterhäuptlinge offenbar, wie der Kutscher annahm, denn sie waren anders herausgeputzt als die Indianer mit den Bogen.

Coanabo musterte die Gefesselten. Er sah in grimmige Gesichter, wandte sich dann ab und hockte sich mit den Unterhäuptlingen etwas abseits von den Gefangenen auf den Boden.

Ein ziemlich lautes und erregtes Palaver begann. Coanabo blickte starr über den See und hörte zu. Hin und wieder nickte er zustimmend.

Der Kutscher beobachtete alles sehr aufmerksam und gespannt. Ihm fiel auf, daß einer der Unterhäuptlinge sehr erregt war und ständig auf das Kanu deutete, mit dem sie geflohen waren. Offenbar gehörte es ihm, und er war sehr empört, daß man es entwendet hatte.

„Der soll sich bloß nicht ins Hemd kacken wegen seines alten Torfkahns“, flüsterte Carberry. „Der tut ja geradeso, als hätten wir eine ganze Kriegsgaleone geklaut.“

„Das dürfte hier ungefähr das gleiche bedeuten“, sagte der Kutscher. „Sie sind jedenfalls sehr ungehalten.“

„Ich auch“, sagte der Profos trocken. „Die Hundesöhne nicken alle so eifrig. Die Stimmung ist unverkennbar feindlich. Die Kerle können es gar nicht erwarten, uns abzuschlachten.“

„Nun mal langsam. Ihre Erregung ist verständlich. Ein Kanu bedeutet hier anscheinend eine ganze Menge und ist ein persönlicher Besitz, an dem man sich nicht vergreifen darf.“

Der Kutscher wollte noch etwas sagen, doch Coanabo erhob sich, sah die Gefangenen der Reihe nach an und trat dann vor den überraschten Old Donegal, den er genau musterte.

Er deutete auf sich und sagte: „Häuptling Coanabo. Ihr Spanier?“

Old Donegal runzelte verblüfft die Stirn, denn der Häuptling hatte einwandfreies Spanisch gesprochen. Er war so verdattert, daß er eine Weile mit der Antwort brauchte.

Doch der Kutscher kam ihm schnell zuvor.

„Nein, wir sind keine Spanier“, sagte er ebenfalls auf spanisch. „Wir sind Engländer und Feinde der Spanier.“

Coanabo sah den Kutscher lange und nachdenklich an. Dann schüttelte er unmerklich den Kopf.

„Was ist Engländer? Ihr seid Spanier, denn ihr sprecht Spanisch, und so müßt ihr Spanier sein.“

Für Coanabo waren das durchaus logische Gedankengänge. Dieser schmalbrüstige Mann sprach Spanisch, also mußte er auch ein Spanier sein.

„Das stimmt nicht“, sagte der Kutscher ruhig. „Wir sind wirklich keine Spanier, aber wenn man einen Feind bekämpft, dann muß man unter anderem auch seine Sprache beherrschen und sprechen. Nur so kann man ihn besser bekämpfen.“

Der Häuptling sagte nichts, er musterte den Kutscher nur schweigend, der gleich ein weiteres Argument zur Hand hatte.

„Du sprichst auch die Sprache der Spanier, Häuptling Coanabo. Und trotzdem bist du kein Spanier.“

Coanabo wurde unschlüssig. Er krauste die Stirn und nickte unentschlossen. Was dieser Mann sagte, das stimmte. Er sprach Spanisch und war kein Spanier, und das behauptete dieser schmalbrüstige Mann ebenfalls von sich und den anderen. Sehr merkwürdig war das.

Während er die anderen ansah, erklang von den Pfahlhütten im See ein Ruf. Drei, vier Indianer standen auf der Plattform einer Hütte und deuteten auf den Creek. Coanabo drehte sich um. Die „Empress“-Leute wandten ebenfalls die Köpfe und blickten in die Richtung.

Dort wurde gerade ein Kanu herangepaddelt, besetzt mit acht Indianern. Einer stand aufrecht im Boot und winkte.

Der Häuptling drehte sich um und rief etwas über das Wasser. Daraufhin änderte das Kanu den Kurs und näherte sich dem Strand.

„Was hat das zu bedeuten?“ fragte Martin Correa.

„Abwarten, ich weiß es nicht“, murmelte der Kutscher. „Aber ich glaube, wir haben schon einen Pluspunkt verbuchen können. Sie scheinen nicht mehr so feindlich zu sein.“

„Der sieht immer nur das Gute im Menschen“, murrte der Profos, „selbst wenn es die größten Menschenfresser sind.“

Das Kanu wurde auf den Strand gepaddelt. Aus der Nähe sahen sie, daß es mit allerlei Dingen beladen war.

Dem Kutscher schwante schon etwas. Er kniff die Lippen zusammen und linste aufmerksam hinüber.

Die Arawaks begannen jetzt aufgeregt zu schnattern, deuteten auf das Kanu, dann auf die gefesselten Männer. Ein paar der angekommenen Indianer grinsten und schienen sich köstlich zu amüsieren. Einer von ihnen deutete mit ausgestreckter Hand auf Old O’Flynn und lachte laut.

„Witzbolde“, knurrte Old Donegal verärgert. „Möchte wissen, was es da so dämlich zu lachen gibt.“

„Vielleicht grinsen sie über dein Holzbein, Granddad“, sagte Philip, „das hat sie doch gestern so beeindruckt. Sie kamen aus dem Staunen gar nicht mehr heraus.“

„Ein Holzbein ist keine lächerliche Sache“, schnaubte Old Donegal.

„Heiliger Strohsack“, sagte Martin, „das sind ja unsere Sachen. Die Halunken haben unser Schiff ausgemistet.“

Mit knirschenden Zähnen sahen die Männer zu, wie das Kanu entladen wurde. Waffen kamen zum Vorschein, Pistolen und Musketen, und wurden in den Sand gelegt. Dann folgten Messer, Taue, Segeltuch, schließlich Kochtöpfe und Pfannen aus der Pantry. Auch eine größere Kiste war dabei.

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