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3.

Old Donegal Daniel O’Flynn wurde von einer seltsamen Unruhe getrieben. Auf seine Krücken gestützt, stelzte er sichtlich nervös auf dem Achterdeck der „Isabella“ hin und her. Sein Holzbein erzeugte beim Aufsetzen auf die Planken jedesmal ein dumpfes Geräusch.

„Ich habe ein verdammt schlechtes Gefühl“, sagte er. „Unsere Leute hätten diesem Geisterspuk nicht folgen sollen. Ich habe sie ja ausdrücklich gewarnt, jawohl, aber niemand hat auf mich gehört. Und wo sind sie jetzt, he? Na los, sagt es mir!“

Er legte eine eindrucksvolle Pause ein und warf den Männern, die sich auf dem Achterdeck befanden, herausfordernde Blicke zu. Ihre verschlossenen Gesichter, die im frühen Morgennebel blaß und übernächtigt wirkten, waren ihm Antwort genug.

„Sie hätten dieses Dämonenhaus davonschweben lassen sollen“, fuhr er fort. „Jedes Kind weiß, daß man solchen Erscheinungen nicht folgen kann, ohne selbst ins Verderben gezogen zu werden.“

„Jetzt hör aber auf, Donegal“, sagte Ben Brighton, in dessen Händen bei Abwesenheit des Seewolfs das Kommando lag. „Du siehst ja schon an allen Ecken Gespenster. Ich bin sicher, daß es eine Erklärung für diesen vermeintlichen Spuk gibt. Gerade deshalb muß man einer solchen Sache auf den Grund gehen.“

„Nein, muß man nicht!“ widersprach der rauhbeinige Alte heftig. „Geister können es nun mal nicht ausstehen, wenn man neugierig die Nase in ihren Kram steckt. Neugierde zahlt sich nie aus, nie! Denkt nur an Lots Weib! Die konnte sich auch nicht bezähmen, und was hat sie am Ende davon gehabt? Sie steht irgendwo als Salzsäule in der Wüste, sozusagen als Denkmal für alle, die so verdammt neugierig sind.“

„Wer war denn Lots Weib, Mister O’Flynn, Sir?“ fragte Philip junior artig. Er und sein Zwillingsbruder Hasard waren durch die Ereignisse der vergangenen Nacht wach geworden und hatten sich schon bald, nachdem ihr Vater, der Seewolf, zusammen mit einigen Männern und der kleinen Jolle die „Isabella“ verlassen hatte, an Deck geschlichen. Wahrscheinlich ebenfalls aus Neugier.

„Hä?“ fragte der Alte irritiert. „Du hast dich überhaupt noch nicht für Weiber zu interessieren.“

„Ich wollte doch nur wissen, wer sie war“, beteuerte Jung Philip.

Der alte O’Flynn räusperte sich.

„Das sagte ich bereits. Sie war Lots Frau. Die biblische Überlieferung berichtet von ihr, daß sie sich bei der Zerstörung der sündigen Städte Sodom und Gomorra trotz des Verbotes Gottes neugierig umgedreht hat, um zu sehen, was da geschieht. Und deshalb ist sie zur Salzsäule erstarrt.“

„O weh!“ entfuhr es Philip junior. „Das hat ihr wohl keinen großen Spaß bereitet. War sie eine hübsche Frau?“

„Was geht dich das an, du grüner Hering!“ Old Donegal stampfte mit dem Holzbein auf. „Egal, ob sie hübsch war oder nicht – eine krustige Salzsäule wird wohl niemand zum Anbeißen finden, nicht wahr?“

Das leuchtete dem Bengel voll und ganz ein, und auch sein Bruderherz nickte verstehend.

Old O’Flynn setzte sich wieder in Bewegung. Die Sorge um Hasard und die sechs Kameraden trieb ihn erneut auf dem Achterdeck hin und her. Aber auch die restliche Crew wurde langsam unruhig. Die meisten glaubten zwar nicht an einen echten Geisterspuk, aber das völlige Verschwinden der kleinen Jolle samt ihrer Besatzung gab ihnen doch Anlaß zur Besorgnis.

Ben Brighton hatte bereits im ersten Morgengrauen mit der großen Jolle nach Hasard und seinen Männern suchen lassen, doch das Boot war erfolglos zurückgekehrt. Seitdem kursierten an Bord zahlreiche Meinungen, Vermutungen und Befürchtungen.

„Die Situation ist reichlich beschissen“, meinte Ferris Tucker, der rothaarige Schiffszimmermann. „Eine Suchaktion bei diesem Nebel ist ein reines Glücksspiel. Da kann man auch gleich die berühmte Stecknadel im Heuhaufen suchen.“

Ben Brighton, ein ruhiger und stets besonnener Mann, nickte zustimmend.

„Trotzdem“, sagte er, „sollten wir die Sache nicht zu pessimistisch sehen. Daß wir in dieser Milchsuppe die Jolle nicht gefunden haben, muß durchaus nicht heißen, daß sie unauffindbar ist oder unseren Leuten etwas zugestoßen ist. Vielleicht haben sie im Nebel die Orientierung verloren. Oder sie sind dem merkwürdigen Ding immer noch auf der Spur.“

Ferris Tucker fuhr sich mit der Hand durch den dichten, roten Haarschopf.

„Aber, zum Teufel, was könnten wir denn noch unternehmen? Ich fühle mich so verdammt hilflos. Vielleicht sollten wir einfach aufs Geratewohl weitersuchen.“

Ben legte ihm die Hand auf die Schulter.

„Genau das werden wir tun, Ferris. Das Warten und Jammern bringt uns nichts. Also brechen wir auf und suchen notfalls jeden Quadratzoll dieses Tümpels ab. Und zwar so lange, bis wir Hasard und seine Mannen gefunden haben.“

Gleich darauf gab Ben Brighton die entsprechenden Befehle.

Die große Jolle wurde erneut bemannt. Zur Besatzung gehörten Ferris Tucker, Nils Larsen, Jan Ranse, Piet Straaten, Blacky, Matt Davies sowie Jack Finnegan und Paddy Rogers.

„Ihr pullt unserer Lady voraus“, sagte Ben, „und lotet ständig die Wassertiefe aus, damit wir nicht irgendwo im Sumpf hängenbleiben. Wir folgen dem Verlauf des nördlichen Seeufers in westlicher Richtung. Auf diese Weise werden wir systematisch den ganzen See absuchen. Wenn wir Glück haben, löst sich der Nebel bald auf und erleichtert uns damit unsere Aufgabe.“

Die Seewölfe brachen auf.

Nils Larsen, der blonde Däne, stand breitbeinig am Bug der großen Jolle und warf immer wieder die Lotleine mit dem schweren Bleizylinder aus. Die mit Lederstreifen markierte Leine glitt durch seine Hände, bis das Lotblei den Grund berührte. Die ermittelte Wassertiefe brüllte er stets nach achtern zur „Isabella“, die der Jolle wie ein riesiger grauer Schatten folgte.

Die „San Donato“ hingegen blieb an ihrem Ankerplatz liegen, der sich anderthalb Meilen westlich der Passage zum Lake Borgne und eine Meile südlich des Nordufers befand. Für den Fall akuter Gefahr hatte man bereits in der vergangenen Nacht Kanonenschüsse zur gegenseitigen Verständigung vereinbart.

Seit man zu der neuen Suchaktion aufgebrochen war, hatte die Nervosität des alten O’Flynn etwas nachgelassen. Er rechnete zwar ständig damit, daß unsichtbare Geisterheere versuchen würden, die „Isabella“ zu entern, aber andererseits kalkulierte er auch die Möglichkeit ein, daß die Gespenster und Dämonen das Schiff im dichten Nebel nicht finden würden.

Wie dem auch sei – Old Donegal wanderte immer noch etwas beunruhigt auf dem Achterdeck herum. Von Zeit zu Zeit wischte er sich über das verwitterte Gesicht, auf dem der Morgennebel feuchte Spuren hinterließ.

Hasard junior pirschte sich bei einer passenden Gelegenheit an ihn heran.

„Mister O’Flynn, Sir“, sagte er. „Ich hätte da noch eine Frage.“

„Eine Frage? Na, dann schieß schon los, mein Junge. Oder ist euch euer Großvater schon mal eine Antwort schuldig geblieben, he?“

Darauf antwortete Jung Hasard lieber nicht.

„Ich möchte noch mal auf diese – ich meine, auf die Salzsäule Lots zurückkommen …“

„Auf Lots Weib meinst du wohl!“

„Ja, Sir.“

„Willst du vielleicht auch wissen, ob sie hübsch war, du Grünspecht?“

„Nein, das nicht“, erwiderte Hasard. „Aber warum sind diese beiden Städte, ich meine Sodom und Gomorra, zerstört worden? Das muß doch eine wichtige Sache gewesen sein, wenn deshalb eine Frau zu Salz wird.“

„Warum?“ Old O’Flynn warf sich ob seines Wissens in die Brust. „Das weiß doch jedes Kind.“

„Ich nicht, Sir.“

„Nun“, fuhr der Alte fort, „die Bewohner dieser beiden Städte waren ganz große Sünder vor dem Herrn. Genaugenommen waren sie so schlecht wie die Krätze, jawohl. So richtige Hurenböcke waren das. Die haben sich nicht mit ihren angetrauten Eheweibern zufriedengegeben, o nein, sie haben außerdem noch kreuz und quer …“

Old Donegal unterbrach sich plötzlich.

„Verdammt, was erzähle ich dir Lausejunge da eigentlich? So was ist noch gar nicht für deine Ohren bestimmt! Frag mich das noch mal, wenn du zehn Jahre älter bist. Oder wolltest du mich wieder mal aufs Kreuz legen, wie?“

„Schade“, sagte Jung Hasard. „Immer wenn es interessant wird, hörst du mit deinen Geschichten auf, Opa. Und dabei wolltest du uns doch keine Antwort schuldig bleiben!“

Bevor ihn Old O’Flynn wegen des von ihm so ungeliebten Titels Opa an den Ohren packen konnte, verschwand der Bengel zusammen mit seinem Zwillingsbruder auf dem Quarterdeck, wo Plymmie, die Bordhündin, unruhig herumschnüffelte.

Der Nebel hatte sich inzwischen teilweise von der Wasseroberfläche gelöst und war etwas angestiegen. So wurde die „Isabella“ nur noch bis zum oberen Lukensüll der Stückpforten von den grauen Schwaden eingehüllt. Demnach wäre es völlig unsinnig gewesen, jemanden in den Ausguck zu schicken. Er hätte da oben wahrscheinlich seine eigenen Fußspitzen nicht mehr gesehen. Unten aber konnten die Männer zumindest noch durch die geöffneten Pforten nach Backbord und Steuerbord Ausschau halten.

Aber dennoch entdeckten sie nichts. Keine Spur von der kleinen Jolle oder von Hasard und seinen Mannen.

Nach vorn hatte nur die Besatzung der großen Jolle den Blick einigermaßen frei. Sie hockten unter einer gewaltigen Dunstglocke, die fast schon das Atmen erschwerte.

Nils Larsen sang noch immer die Tiefe aus, sonst waren die Arwenacks recht schweigsam geworden und holten rein mechanisch die Riemen durch.

Da stieß Jack Finnegan plötzlich einen lauten Ruf aus: „Achtung! Was ist denn das? Zum Teufel, bin ich übergeschnappt?“ Er kniff die Augen zusammen, um besser sehen zu können.

„Was ist los?“ fragte Matt Davies.

„Na dort, Steuerbord voraus!“ antwortete Jack. „Siehst du nicht die Gestalt dort im Schilf?“

Matt Davies schwieg einen Augenblick, dann rief er: „Verdammt, du hast recht, Jack! Die Figur sieht ja aus wie eine Vogelscheuche. Warum hüpft und fuchtelt sie so?“

„Frag mich was Leichteres“, sagte Jack Finnegan.

Die übrigen Männer waren längst hellhörig geworden und sahen jetzt ebenfalls die Bewegungen einer halb vom Nebel verdeckten Gestalt, die nach wenigen Augenblicken im Schilf verschwand.

„War das überhaupt ein Mensch?“ fragte Paddy Rogers, einer der wenigen, die sich die Existenz von Gespenstern nicht ausreden ließen. Er hob seine Knollennase, als könne er die Witterung der Erscheinung aufnehmen. „Hier scheint aber auch gar nichts mehr mit rechten Dingen zuzugehen“, fuhr er fort. „Überall im Sumpf hocken Geister und Dämonen.“

„Das war kein Dämon!“ ließ sich Jan Ranse vernehmen.

„Was denn sonst?“ fragte Paddy schnippisch.

Jan grinste unverschämt. „Stell dir vor, es könnte ausnahmsweise doch mal ein Mensch gewesen sein. Noch soll es ja einige davon auf dieser buckligen Welt geben. Oder übersteigt das dein geistiges Fassungsvermögen?“

„Tut es nicht!“ erklärte Paddy. „Aber was soll wohl ein Mensch zu dieser Tageszeit da drüben im Schilf, he?“

„Das weiß ich auch nicht“, erwiderte Jan Ranse. „Vielleicht hatte er ein dringendes Geschäft zu erledigen und hat sich deshalb ein passendes Plätzchen im Rohrdickicht gesucht. Seinem Herumhüpfen nach zu urteilen, muß die Sache schon recht eilig gewesen sein.“

Paddy winkte naserümpfend ab.

„Pah, du wirst schon noch kapieren, daß es kein Mensch gewesen ist.“ Er pullte schweigsam weiter, völlig von der Richtigkeit seines Standpunktes überzeugt.

Jetzt ließ sich Ferris Tucker von der achteren Ducht her vernehmen.

„Hört auf, euch Fransen an die Mäuler zu reden“, sagte er derb. „Man meint ja, hier wäre das Geisterfieber ausgebrochen. Mir ist wurschtegal, wer da im Sumpf herumstrolcht. Wir werden uns den Kerl schnappen, dann erfahren wir vielleicht etwas über den Verbleib unserer Kameraden.“

Der Schiffszimmermann preite die „Isabella“ an und gab ihr die vereinbarten Zeichen zum Beidrehen. Zur selben Zeit schob sich die große Jolle auf das Ufer zu und steuerte genau jene Stelle an, an der die seltsame Gestalt zu sehen gewesen war.

Ferris, Nils, Blacky und Matt gingen mit Musketen bewaffnet an Land, um nach dem merkwürdigen Kerl zu suchen.

4.

Die Morgenluft war feucht und kühl, die Sichtverhältnisse besserten sich im aufsteigenden Nebel nur langsam.

Für die kleine Armada, die sich vom Lake Borgne her näherte, war das jedoch kein Hindernis. Die Besatzungen der fünf einmastigen Schaluppen und der zwei ebenfalls einmastigen Pinassen kannten die Gegend wie ihre Hosentaschen, denn sie waren als Marodeure auf die Küsten Floridas spezialisiert.

Ihr Anführer hieß Duvalier.

Er war Franzose, von schlanker Statur und hatte ein schmales Gesicht. Seine langen, strähnigen Haare, die bis auf die Schultern fielen, wurden teilweise von einem breitrandigen Schlapphut bedeckt. Der ungepflegte Bart, der seine Oberlippe zierte, zog sich in steilen Winkeln nach unten, seine Augen wirkten schmal und verkniffen.

Duvalier war ein Schnapphahn übelster Sorte – mißtrauisch gegen jedermann, hinterhältig, verschlagen, grausam, brutal und habgierig. Aber die meisten der mehr als fünfzig Galgenstricke, die sich an Bord der sieben Einmaster befanden, standen ihm in nichts nach. Der Teufel selber schien diesen wüsten, verkommenen Haufen ausgespuckt zu haben.

Der Lake Borgne, der dem Lake Pontchartrain im Osten vorgelagert ist und im Grunde nichts anderes als eine weitläufige Meeresbucht darstellt, gehörte zu jenen Gegenden, denen Duvalier von Zeit zu Zeit einen Besuch abstattete.

Diesmal waren die Schlagetots jedoch nicht beim routinemäßigen „Abklappern“ der Küste, sondern beim Aufspüren jener beiden Galeonen namens „Isabella“ und „San Donato“, von denen die spanischen Deserteure, die ihnen in die Hände gefallen waren, gesprochen hatten.

Eigentlich war Duvalier mit den Prisen der vergangenen Tagen recht zufrieden. So viele fette Brocken gab es in dieser Gegend nicht oft. Die dicksten Brocken aber würde er sich erst holen, wenn er die beiden Schiffe gefunden hatte.

Die fünf Spanier, die von der wracken „Santa Teresa“ desertiert waren, hatten die Galeonen genau beschrieben. Nach einer hartnäckigen Verfolgung durch sie und ihre Landsleute hatten sich die beiden Segler höchstwahrscheinlich in den Lake Borgne oder den Lake Pontchartrain verholt, um dort das Ende des Sturms abzuwarten. Von Nutzen war den Spaniern diese bereitwillige Auskunft jedoch nicht gewesen. Duvalier war nicht davor zurückgeschreckt, sie samt und sonders über die Klinge springen zu lassen, nachdem er sie ihrer Waffen und Kleidung beraubt hatte.

Danach aber hatte er mit seinen verluderten Kerlen die auf ein Riff aufgelaufene „Santa Teresa“ angegriffen und von den Masttoppen bis zum Kielschwein ausgeplündert. Die drei Überlebenden des erbitterten Enterkampfes – Don José Isidoro und zwei seiner Offiziere – hatte er mitsamt der Beute zu seinem Schlupfwinkel auf der Insel Comfort bringen lassen. Irgendwie, so hoffte der Piratenführer, würde sich mit diesen drei vornehmen Herren ein ordentliches Lösegeld erpressen lassen.

Jetzt aber waren die beiden Galeonen an der Reihe, von denen eine unter englischer Flagge fuhr. Duvalier war fest davon überzeugt, daß er die beiden Schiffe finden würde. Und nichts war seiner Meinung nach einfacher, als die Besatzungen im frühen Morgengrauen zu überrumpeln.

Der Oberschnapphahn hatte seine Lippen zu schmalen Strichen zusammengepreßt. Immer wieder hob er ein Spektiv an die Augen. Aber auch mit dem Fernrohr waren die letzten dichten Nebelschwaden nur schwer zu durchdringen.

Im Lake Borgne befanden sich die beiden Segler nicht, soviel hatte er bereits feststellen können. Demnach mußten sie bereits in den Lake Pontchartrain eingelaufen sein.

„Meinst du wirklich, daß sich die Kerle in diesen Tümpel verholt haben?“ fragte der hagere Bursche, der an der Pinne der als „Flaggschiff“ dienenden Schaluppe auf Station war.

„Ich kann mir nicht vorstellen, daß uns die Dons belogen haben“, erwiderte Duvalier. „Dazu hatten sie viel zuviel Schiß. Bis jetzt hat noch jeder die Wahrheit gesagt, wenn er von uns ordentlich durch die Mangel gedreht wurde. Und wenn die Galeonen im Lake Pontchartrain einen sturmgeschützten Platz gefunden haben, befinden sie sich mit Sicherheit noch dort. Bei dem dichten Nebel in der vergangenen Nacht hätten sie das Auslaufen nicht riskieren können.“

Der Mann an der Ruderpinne gab sich mit dieser Antwort zufrieden. Nur der kleine, schmuddelige Kerl, der faul am Mast herumlungerte, bemerkte wichtigtuerisch: „Die Dons haben uns bestimmt genarrt. Wenn die nur das Maul aufreißen und Luft holen, haben sie schon zehnmal gelogen.“

Duvalier, der angestrengt nach Steuerbord geblickt hatte, fuhr blitzschnell herum und packte den schmierigen Burschen an seinem ehemals weißen Hemd.

„Mich hat noch niemand genarrt, hörst du?“ Seine Stimme klang heiser und wütend. „Und wenn du noch mal eine deiner klugscheißerischen Weisheiten von dir gibst, klopfe ich dir auch noch den letzten Zahnstummel aus der Futterluke, ist das klar?“

„Ich – ich habe verstanden“, stotterte der Pirat mit ängstlichen Blicken.

Duvalier versetzte ihm einen Stoß vor die Brust, daß er der Länge nach auf die Planken stürzte. Dann spuckte er verächtlich vor ihm aus und hob erneut den Kieker an die Augen, als sei nichts gewesen.

Das Piratengeschwader drang kurze Zeit später mit seinen leichten Küstenfahrzeugen in den Lake Pontchartrain vor, und es dauerte nicht allzulange, bis der Oberschnapphahn ein zufriedenes Grunzen hören ließ.

„Na, was habe ich gesagt?“ rief er mit einem raschen Seitenblick zu dem Hageren an der Pinne. „Den ersten Kahn hätten wir schon.“

Der Rudergänger hob die Hand an die Augen, aber ohne Kieker konnte er nichts erkennen. Trotzdem hätte er nicht gewagt, die Meldung Duvaliers auch nur im geringsten anzuzweifeln.

In die Gestalt des Piratenkapitäns geriet jetzt Bewegung. Er ließ sofort die entsprechenden Signale geben und zog sich mit seinen Spießgesellen ins Schilfdickicht zurück. Niemand konnte dort die kleinen Einmaster entdecken, die Schnapphähne fühlten sich absolut sicher.

Duvalier beorderte die Kapitäne der sechs anderen Küstensegler zu sich, um so rasch wie möglich einen todsicheren Kriegsplan auszuhecken.

„Sollten wir nicht zuerst noch die andere Galeone aufspüren?“ fragte einer seiner „Unterkapitäne“.

„Wozu?“ Duvalier kehrte seine Überlegenheit heraus. „In der näheren Umgebung des Kahns ist sie nicht zu sehen, und das kann uns nur recht sein. Wenn wir uns gleichzeitig mit beiden Schiffen anlegen, kriegen wir Schwierigkeiten, denn sie sind uns von der Armierung her weit überlegen. Aber wenn wir uns die Kerle einzeln kaufen, wird die Sache ein Kinderspiel. Wir vernaschen sie schön der Reihe nach – so wie die Mädchen des dicken Rodrigo.“

Die Antwort der Küstenhaie bestand aus gedämpftem Gelächter. Selbstverständlich fand Duvaliers Plan die Zustimmung aller, auch was die noch zu besprechenden Einzelheiten betraf. Leichte Beute war den wüsten Kerlen allemal lieber als ein blutiger Kopf.

„Wie willst du vorgehen?“ fragte einer der Pinassenführer.

„Ganz einfach“, erwiderte Duvalier. „Drei Schaluppen werden sich nach Süden verholen, einen Bogen schlagen und sich dann an die Galeone heranpirschen. Von den restlichen vier Kähnen schleichen sich zwei durch die Sumpfkanäle nach Westen und stoßen von Nordwesten her zu unserer Prise vor. Wir alle kennen uns hier bestens aus, das ist einer unserer Vorteile. Ich selbst werde mich mit den beiden anderen Booten etwas zurückhalten und schließlich von Osten her angreifen, sobald der vereinbarte Pfiff ertönt. Damit haben wir die Burschen in der Zange und zeigen ihnen, wie gut wir unser Handwerk verstehen.“

Der Oberschnapphahn lachte heiser und berührte mit der flachen Hand die Kehle, um spaßeshalber anzudeuten, was er meinte.

„Sehr gut! Ausgezeichnet!“ lobte der hagere Rudergänger, der offensichtlich bemüht war, bei Duvalier Pluspunkte zu sammeln. „Die Bastarde werden es nicht einmal schaffen, ihre Ärsche aus den Kojen zu heben.“

„Wenn sie aufwachen, stellen sie verblüfft fest, daß sie bereits tot sind“, bemerkte ein anderer und fügte ein Lachen hinzu, das an einen kranken Ziegenbock erinnerte. „Lustig wär’s, wenn sie auch ein paar Weiber an Bord hätten …“

Der Hagere winkte ab.

„Da sind mir blitzende Goldstücke lieber. Für ein einziges davon kannst du alle Weiber Rodrigos auf einmal haben.“

Duvalier registrierte zufrieden, daß der Kampfgeist unter seinen Männern zunahm. Er teilte die einzelnen Kähne namentlich ein, damit alles genau nach seinen Plänen ablaufen konnte. Schon kurze Zeit später setzten sich die Schaluppen und Pinassen in Bewegung.

Auf der „San Donato“, die wie ein dunkler Schatten in dem dünner gewordenen Grau des Frühnebels sichtbar wurde, ahnte zu diesem Zeitpunkt noch niemand etwas von dem heimtückischen Vorhaben der Piraten. Die Galeone schwojte gemächlich an der Ankertrosse, als gäbe es weder Tod noch Verderben in den gespenstischen Sümpfen des Lake Pontchartrain.

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2012 стр. 21 иллюстрация
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9783954397761
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