Читать книгу: «Seewölfe Paket 18», страница 24

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Doch Carrillón war es, der sie mit seinem Gebrüll immer wieder aufschreckte und ihnen das drohende Ende deutlich vor Augen hielt. Jedesmal gelang es ihm, ihre schwindenden Kraftreserven zu mobilisieren. Doch immer kürzer wurden die Abstände, in denen er sie wachrütteln mußte.

Irgendwann in dieser Stunde, die wie eine Ewigkeit war, knirschte der Kiel des Bootes plötzlich auf Grund. Die Männer begriffen nicht sofort und pullten weiter, als säße ihnen nach wie vor der Gehörnte im Nacken. Doch dann, als auch die Riemenblätter den Grund berührten, erwachten sie jäh aus ihrer dumpfen Erschöpfung.

Felipe Romero begriff es als erster und sprang auf.

„Land!“ schrie er mit sich überschlagender Stimme. „Land, Land! Wir haben es geschafft!“

Eine heranrollende Welle hob das Boot höher ans Ufer, und Romero kippte vornüber zwischen seine Kameraden Lloberas und Hurtado. Vor Freude grölend, lösten sich die Männer aus dem Durcheinander.

Auch Carrillón stimmte jetzt mit ein und ließ sich von dem Freudentaumel gefangennehmen. Dann sprangen sie hastig nach außenbords, tauchten mit ihren nackten Füßen ins seichte Uferwasser und beeilten sich, die Jolle an Land zu ziehen, bis sie vor den gierigen Wogen in Sicherheit war.

Carrillón und die vier Soldaten schafften es noch, den Schutz eines mächtigen Felsvorsprungs zu suchen. Dann sanken sie erschöpft nieder. Keiner von ihnen dachte noch daran, zu ergründen, wo sie sich befanden.

6.

Es war zwei Uhr morgens, als der Sturm endlich abflaute.

Auf der „Isabella“ und auch auf der „San Donato“ wurde es lebendig. Niemand hatte im Toben des Sturms auch nur ein Auge zugetan, und jeder war froh, sich jetzt an Deck begeben und die Nase in die frische Luft recken zu können.

Marcos’ Tip hatte sich als goldrichtig erwiesen. Die Wassermassen des Lake Pontchartrain hatten sich rascher beruhigt als die offene See. Überdies war die Bucht in der Tat ein hervorragend geschützter Liegeplatz. Die beiden Schiffe wiegten sich nur noch in den Wellen, die bereits in eine sanfte Dünung übergingen.

Noch waren die „Isabella“ und die „San Donato“ von stockfinsterer Nacht umgeben. Aber die Luft war so klar und rein, daß jeder der Männer es genoß, sie tief in die Lungen zu pumpen. Auch war der wolkenbruchartige Regen vorüber, der in der letzten Phase des Sturmwinds eingesetzt hatte.

Soweit das zu erkennen war, hatte die „Isabella“ das Wüten der Naturgewalten einigermaßen unbeschadet überstanden. Die Qualitätsarbeit, die der alte Hesekiel Ramsgate auf seiner Werft in Plymouth geleistet hatte, bewährte sich immer wieder. Doch den Spuren des Sturms begegneten die Arwenacks auf Schritt und Tritt. Überall auf den Decks lagen Zweige, Äste und Blattwerk verstreut – herübergewirbelt vom nahen Ufer.

Helle Nebelschwaden trieben vom Land her über die Wasseroberfläche. Es schien, als atmete die üppige Vegetation diesen Nebel aus.

Der Seewolf riskierte nicht, die Bordlaternen anzünden zu lassen. Auch auf der Galeone der Timucua blieb es dunkel. Immerhin mußte man damit rechnen, daß sich der Feind in der Nähe befand. Niemand konnte ahnen, welche Kursentscheidungen die Dons getroffen hatten. Daran, daß auch sie die Einfahrt zum Lake Pontchartrain kannten, bestand kein Zweifel.

Gemeinsam mit Ben Brighton begab sich Hasard auf das Achterdeck, wo sich bereits Big Old Shane, Ferris Tucker, Smoky und Old Donegal Daniel O’Flynn in der Nähe der Heckbalustrade versammelt hatten.

„Auf jeden Fall brauchen wir ein besseres Versteck“, sagte Ben Brighton, „wenn sie schlau sind, werden die Spanier den gesamten Uferbereich dieses Sees abklappern. Hier können wir also nicht bleiben.“

„Bis zum Morgengrauen haben wir Zeit“, entgegnete der Seewolf, „vorher können auch die Dons nichts unternehmen.“

Unvermittelt wurde das Gespräch der Männer unterbrochen, noch bevor es richtig begonnen hatte.

„Still!“ rief der alte O’Flynn mit unterdrückter Stimme. „Hört ihr das?“

Hasard und die anderen horchten angestrengt. Der Wortwechsel der Arwenacks auf der Kuhl und auf der Back brach indessen nicht ab, so daß nicht auf Anhieb festzustellen war, was der Alte meinte.

Doch Sekunden später drang es ihnen allen um so deutlicher ins Gehör.

Die Laute schienen aus dem Nichts zu kommen – schaurige Laute, die sich über dem Wasser ins Unendliche fortpflanzten. Klang es anfangs wie das schmerzerfüllte Stöhnen eines unsichtbaren Wesens, ging es bald in ein jämmerliches Klagen über. Dann wieder wechselte es in ein herzzerreißendes Seufzen, und schließlich folgte als Untermalung gar ein leises Singen.

Inzwischen verstummten auch die Gespräche auf der Kuhl und auf der Back.

„Wißt ihr, was das ist?“ flüsterte der alte O’Flynn in die Stille hin. Seine Stimme klang rauh und vibrierend vor Aufregung. „Das sind die ruhelosen Seelen von Verstorbenen. Die Naturgewalten haben sie aufgeschreckt, und jetzt beginnt für sie eine verzweifelte Wanderung voller Irrwege. Ich habe so was schon mal erlebt, das war damals in der Karibik, als …“

„Halt’s Maul, Donegal“, sagte Smoky grob.

Der Decksälteste drückte auf wenig zartfühlende Art aus, was alle anderen ebenso empfanden: Niemand legte Wert auf die immer gleichen Gruselgeschichten Old O’Flynns. Denn zeigte jemand auch nur einen Hauch von Interesse, dann legte er erst richtig los und war nicht mehr zu bremsen.

„Mann“, sagte Ferris Tucker kopfschüttelnd, „ist doch wohl klar, was das ist. Das sind die Kranken auf der ‚San Donato‘. Kaum vorzustellen, was die armen Leute durchgestanden haben. Für sie war der Sturm bestimmt schlimmer als für uns.“

Wie zur Untermalung seiner Worte ertönte ein erneutes schauerliches Stöhnen, durchdringender und weithallender diesmal.

„Einfaltspinsel“, sagte Old O’Flynn gereizt, „nie im Leben sind das die Fieberkranken. Ihr wollt bloß mal wieder nicht wahrhaben, daß es zwischen Himmel und Erde Dinge gibt, die wir mit unserem armseligen Menschenverstand nicht kapieren.“

Der Seewolf beschloß, dem beginnenden Gezänk ein vorzeitiges Ende zu bereiten. Er trat an die Steuerbordverschanzung des Achterdecks und formte mit den Händen einen Trichter vor dem Mund.

„Marcos! Hören Sie mich? Marcos!“

Der Spanier antwortete prompt, und er hatte auch die Stimme des Seewolfs sofort erkannt.

„Ja, ich höre Sie, Señor Killigrew!“

Durch Nebel und Dunkelheit klang Marcos’ Stimme ebenfalls wie aus dem Nichts und vereinte sich mit dem fortdauernden schaurigen Stöhnen und Klagen.

„Was sind das für Geräusche?“ rief Hasard. „Sind das die Kranken auf Ihrem Schiff, Marcos?“

„Wir hören es auch, Señor Killigrew, und wir können es uns nicht erklären. Unsere Kranken sind mucksmäuschenstill.“

„Sind Sie absolut sicher?“

„Es gibt keinen Zweifel, Señor Killigrew. Was sollen wir tun?“

„Vorerst nichts.“

Betroffenes Schweigen breitete sich auf dem Achterdeck der „Isabella“ aus.

Währenddessen schwollen die unheimlichen Geräusche an.

„Hört ihr?“ tönte Old O’Flynns krächzendes Organ voller Triumph. „So geht es Burschen, die immer alles besser wissen. Jetzt schaut ihr schön dumm aus, was?“

Niemand antwortete.

Die klagenden und stöhnenden Stimmen und der seltsame Singsang wurden plötzlich von dumpfen Trommelwirbeln begleitet.

Kurz darauf waren Lichter zu sehen. An verschiedenen Stellen flammten sie auf, allem Anschein nach bewegten sie sich aus dem Nebel heraus auf die beiden ankernden Galeonen zu.

Auch dem alten O’Flynn verschlug es jetzt die Sprache. Die Arwenacks standen regungslos, und es gab keinen unter ihnen, dem nicht mulmig zumute wurde. Was, zum Teufel, braute sich da zusammen?

Selbst Hasard konnte sich eines gewissen Unbehagens nicht erwehren. Einen Gegner, den man sah, konnte man packen. Aber dies hier war alles andere als greifbar.

Etwas Unerklärliches nahm seinen Lauf.

Von Minute zu Minute wurden die sonderbaren Stimmen und die Trommeln lauter. Die Lichtpunkte verstärkten sich. Sie waren durch den Nebel von mattschimmernden kleinen Kreisen umgeben.

Keiner an Bord der „Isabella“ dachte daran, sich zu verkriechen. Aber es gab auch keinen unter den Arwenacks, dem sich nicht die Nackenhaare sträubten. Eine Spur von Aberglaube schlummerte letztlich in jedem von ihnen – und die Neue Welt war schließlich noch nicht vollständig erforscht.

Eine fremde Umgebung, Dunkelheit, Nebel – und dann noch diese unerklärlichen Laute, das war schon eine verdammte Menge, wenn man alles auf einmal verdauen wollte.

Der Seewolf zögerte nicht länger. Vorsorglich gab er Befehl, klar zum Gefecht zu gehen. Die Männer waren froh, etwas tun zu können und den rätselhaften Dingen nicht stumm und duldsam entgegensehen zu müssen.

Auch den Timucua und ihren spanischen Begleitern war der Schreck gehörig in die Knochen gefahren. Hasard verständigte sich mit Marcos, und sie einigten sich darauf, daß die Indianer lediglich die an Bord der „San Donato“ verfügbaren Musketen luden. Mit den Langwaffen konnten sie umgehen, wenn es sein mußte.

Als hätte ihnen die Natur ein Zeichen gegeben, erwachten Pedro Carrillón und seine Soldaten, kaum daß der Sturm abgeflaut war.

Schnatternd vor Kälte rappelten sie sich auf. Es war die Müdigkeit, die sie frieren ließ. Und nach dem kurzen Schlaf spürten sie die mörderische Schinderei noch in allen Knochen.

Der Sargento ließ ihnen nicht viel Zeit zum Lamentieren. Jeweils zu zweit schickte er sie los, Romero und Béjar, Hurtado und Lloberas. Während die Männer auf Erkundung gingen, blieb Carrillón allein beim Boot. Es war das Wichtigste, was sie besaßen. Durch keinen noch so unwägbaren Umstand durften sie diesen Besitz aufs Spiel setzen.

Die vier Soldaten kehrten fast zur selben Zeit zurück. Und es bestätigte sich, was Carrillón vermutet hatte. Es handelte sich um ein winziges felsiges Eiland, auf dem sie gelandet waren. Wenigstens das hatten die Männer trotz der Dunkelheit feststellen können.

„Wir müssen sofort hier weg“, sagte der Sargento kurz und bündig.

Die anderen protestierten.

„Können wir nicht wenigstens noch ein paar Stunden schlafen?“ fragte Romero.

„Es reicht doch, wenn wir uns im Morgengrauen nach einer besseren Gegend umsehen“, fügte Lloberas hinzu.

„Nein, es reicht nicht“, widersprach Carrillón rauh. „Capitán Isidoro und unserem Teniente traue ich alles zu. Die bringen es fertig und zimmern ein Floß zusammen – nur, damit sie uns erwischen können. Außerdem gibt es noch einen anderen Grund, der genauso wichtig ist: Wir finden auf dieser verdammten Felseninsel nichts zu essen und nichts zu trinken. Deshalb können wir uns nicht leisten, hier unnötige Zeit zu verschwenden. Wir brauchen etwas Kräftiges. Verstanden?“

„Und wohin?“ fragte Béjar murrend. „Wie sollen wir uns denn orientieren?“

„Die Wolkendecke reißt auf“, erwiderte der Sargento, „wir richten uns nach den Sternen und versuchen, das Festland zu erreichen.“

„Nach den Sternen?“ entgegnete Hurtado zweifelnd. „Funktioniert das?“

„Zerbrich dir nicht meinen Kopf“, knurrte Carrillón, „es gibt eben gewisse Unterschiede zwischen einem Sargento und einem gemeinen Soldaten.“

Die anderen grinsten, aber das konnte Carrillón in der Dunkelheit nicht sehen. Er trieb sie voran. Da sie nichts bei sich hatten, weder Waffen noch Ausrüstung oder zusätzliche Kleidung, ging ihr Aufbruch im Handumdrehen vonstatten. Keuchend schoben sie die schwere Jolle über den felsigen Untergrund und ließen sie ins Uferwasser gleiten.

Als wollten sie für das wilde Wetter der zurückliegenden Stunden um Vergebung bitten, waren die Fluten jetzt ruhig und sanft. Nur noch eine leichte Brise strich über die Wasseroberfläche und trieb wattige Nebelschwaden vor sich her.

Die Männer fluchten und zeterten. Denn die ungewohnte Arbeit des Pullens fiel ihnen doppelt schwer, nachdem sie geglaubt hatten, sich von den Strapazen während des Sturms erst einmal ausgiebig erholen zu können.

Aber Carrillón ließ nicht locker. Immer wieder trieb er sie zu höherer Schlagzahl an. Indessen gab er mit keiner Silbe zu, daß ihm die Orientierung mehr Schwierigkeiten bereitete, als er angenommen hatte. Zwar wußte er einiges über den Stand der Gestirne, und er hatte in seiner Laufbahn als Unterführer auch etliche schwierige Aufgaben dieser Art bewältigt. Doch das hatte sich meist zu Lande abgespielt. Als Seesoldat hatte sich Pedro Carrillón naturgemäß auf die navigatorischen Fähigkeiten der jeweiligen Schiffsführung verlassen.

Was ihn irritierte, war vor allem der Nebel, der sich mehr und mehr verdichtete und entsprechend seltener einen Blick zum aufklarenden Nachthimmel erlaubte. Carrillón hatte den Eindruck, daß er die Sterne nach jeder Nebelbank aus einem völlig anderen Blickwinkel sah. Er begriff zwar, daß er einer Sinnestäuschung unterlag. Doch er vermochte nichts gegen das verwirrende Gefühl der Verlorenheit zu tun, das ihn immer dann befiel, wenn sie für scheinbare Ewigkeiten vom Nebel umgeben waren.

Dennoch hielt er die Ruderpinne unbeirrbar, und er war auch überzeugt, daß er den Nordkurs im großen und ganzen einhielt. Wenn die Männer ein oder zwei Stunden länger pullen mußten, so war das eben Pech für sie. Aber er verhalf ihnen letzten Endes zur Freiheit. Das mußten sie mehr zu schätzen wissen als alles andere.

Abermals traf es sie wie aus heiterem Himmel, als der Kiel der Jolle plötzlich auf Grund knirschte.

Carrillón unterdrückte im letzten Moment einen Fluch. Er wußte genau, daß sie das Festland noch nicht erreicht haben konnten. Es konnte sich also nur um eine dieser verdammten Inseln handeln. Aber die anderen brauchten nicht zu wissen, daß er seiner Sache längst nicht mehr sicher war, was den Kurs betraf.

Ohnehin hatten sie kein Verlangen danach, jetzt solche Einzelheiten zu ergründen, die für sie nebensächlich waren. Ermattet sanken sie auf den Duchten in sich zusammen.

„Endlich“, sagte Béjar schnaufend, „lange hätte ich das auch nicht mehr durchgehalten.“

„Schlafen, endlich schlafen.“ Hurtado war es, der es mit träger Stimme hinzufügte.

„Spinnt ihr?“ schrie Carrillón aufgebracht. „Wir sind noch längst nicht am Ziel. Los, los, raus aus dem Kahn und an Land damit! Eine Pause können wir meinetwegen einlegen, aber mehr auch nicht.“

„Heißt das, wir sind noch gar nicht an der Küste?“ rief Romero ärgerlich. „Ich denke …“

„Das Denken sollst du mir überlassen“, unterbrach ihn der Sargento barsch, „bei dem verdammten Nebel findet sich selbst der beste Seefahrer nicht zurecht. Wir haben wieder eine von diesen Inseln erwischt. Bis zur Küste brauchen wir jetzt aber nur noch eine Stunde.“ Er behauptete es, obwohl er weder in dem einen noch in dem anderen Punkt wirklich sicher war.

Widerstrebend verließen die Männer das Boot und zogen es durchs seichte Wasser hinauf an den Strand. Immerhin, so stellten sie fest, hatten sie es diesmal nicht mit einem unwirtlichen Felseneiland zu tun. Der Boden unter ihren Füßen war weicher Sand. Vielleicht gab es weiter landeinwärts Pflanzenwuchs und sogar Tiere. Dann bestand immerhin die Hoffnung, daß man endlich den knurrenden Magen besänftigen konnte.

Keuchend ließen sie sich neben dem Boot in den Sand sinken. Jetzt, da sie zur Ruhe gelangten, spürten sie die Ermattung in allen Knochen. Innerhalb von Minuten waren sie im Begriff, in einen sanften Schlaf hinüberzudämmern. Auch Pedro Carrillón bildete keine Ausnahme.

So begriffen sie nicht sofort, als plötzlich knirschende Schritte und rauhe Stimmen zu hören waren.

Nur wie aus endloser Ferne nahmen sie es wahr. Ihr Bewußtsein, schon vom Schlaf umwölkt, signalisierte die Gefahr nicht.

Erst als ihn ein heftiger Schmerz von der linken Körperseite her durchzuckte, fuhr Carrillón hoch. Er schrie auf, blinzelte und versuchte krampfhaft, die Augen aufzureißen.

Da war das Licht einer Öllaterne, das ihn blendete. Bevor er weitere Einzelheiten erfaßte, traf ihn ein zweiter Fußtritt.

Der Sargento krümmte sich und stöhnte vor Schmerz.

„Hoch mit euch, ihr trüben Figuren!“ befahl eine schneidende Stimme auf französisch.

Auch die anderen waren inzwischen auf ähnlich schmerzhafte Weise in die Wirklichkeit zurückgerissen worden. Mit schreckensweiten Augen sahen sie, daß sie von mehr als einem Dutzend schwerbewaffneter Kerle umringt waren. Drei oder vier Ölfunzeln erhellten die beklemmende Szenerie.

Der, der dem Sargento die Fußtritte verpaßt hatte, war ein schlanker Mann mit schmalen, tückisch blickenden Augen. Er trug einen dunklen breitkrempigen Hut, darunter waren schulterlanges strähniges Haar und ein sichelförmig herabhängender Schnauzbart zu erkennen.

Zitternd vor Kälte und vor Schreck gehorchten die fünf Seesoldaten und richteten sich an der Längsseite des Bootes auf.

Der Schnauzbärtige hatte seinen Säbel gezogen und ließ die breite Klinge im Lampenlicht funkeln.

„Mein Name ist Duvalier“, sagte er in seinem kehlig klingenden Französisch, „falls ihr noch nichts von mir gehört habt, werdet ihr um so mehr bedauern, mit mir Bekanntschaft schließen zu müssen.“

Die anderen Kerle, samt und sonders verwegen aussehende Gestalten, stimmten ein rauhes Gelächter an. Duvalier brachte sie mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen.

„Wer ist euer Anführer?“ schrie er die Spanier an.

„Ich“, sagte Carrillón gepreßt, „Sargento Pedro Carrillón. Wir sind Seesoldaten im Dienst seiner Allerkatholischsten Majestät, König Philipp von …“

Brüllendes Gelächter unterbrach ihn.

„Spar dir deinen Quatsch, Spanier!“ rief der Anführer der Franzosen. „Euer allerkatholischster Philipp interessiert uns einen feuchten Dreck. Im übrigen“, er trat einen Schritt vor und hielt Carrillón die Spitze der Säbelklinge gegen die unbekleidete Brust, „seht ihr nicht aus wie Seesoldaten, die sich im Dienst befinden.“ Ein lauernder Ausdruck trat in Duvaliers Augen. „Könnte es sein, daß ihr euch ein bißchen verdrückt habt?“

Carrillón verschluckte sich fast. Sein Gesicht wurde weiß, und das lag nicht nur an dem verdammten Säbel. Nein, es war die Gewißheit, daß dieser elende Schnapphahn ihn und die anderen bis auf die Knochen durchschaute.

Dennoch brauchte Carrillón den Beleidigten nicht zu spielen. In der Tat fühlte er sich in seiner Ehre gekränkt. Welches Recht hatte dieser französische Galgenstrick, sich in seine persönlichen Belange einzumischen?

„Wir sind Schiffbrüchige“, sagte Carrillón empört, „und ich verbitte mir auch im Namen meiner Männer diese Behandlung.“

Duvalier grinste bis zu den Ohrläppchen. Er ließ den Säbel sinken.

„Von einer Behandlung kann überhaupt noch keine Rede sein, Spanier. Falls wir euch in die Mangel nehmen müssen, wirst du noch genug Grund haben, dich zu beklagen.“

Abermals brach die Meute in wieherndes Lachen aus.

„Ich verlange eine Erklärung“, sagte Carrillón standhaft, „wir sind unbewaffnet und haben keine feindlichen Absichten. Ich verlange, daß wir als Schiffbrüchige respektiert werden.“

„Das hast du fein gesagt“, erwiderte Duvalier mit anhaltendem Grinsen, „keine Sorge, mein Freund, wenn du weiterhin so redselig bist, werden wir keine Schwierigkeiten miteinander haben. Na gut, beenden wir das Palaver fürs erste. Für unsere weitere Unterhaltung suchen wir uns ein gemütlicheres Quartier.“

Der Franzose wandte sich ab und schob den Säbel in die Scheide, ohne den Sargento und die vier anderen Spanier noch eines Blickes zu würdigen. Wortlos setzte sich Duvalier an die Spitze seiner Leute und bedeutete ihnen mit einem knappen Handzeichen, die angeblichen Schiffbrüchigen auf Trab zu bringen.

Carrillón zweifelte keine Sekunde daran, daß sie Piraten in die Hände gefallen waren. Auf den Inseln vor der Mississippi-Mündung trieb sich Gesindel aller Art herum. Den spanischen Verbänden war es bislang nie recht gelungen, hier für Ordnung zu sorgen. Ein Jammer!

Carrillón bedauerte in diesem Moment zutiefst, daß die in diesem Teil der Neuen Welt stationierten Einheiten Seiner Allerkatholischsten Majestät nicht häufiger zu Strafexpeditionen aufgebrochen waren. Daran, daß er aus eben jener dienstlichen Gemeinschaft desertiert war, dachte Carrillón in diesem Zusammenhang nicht.

Mit wüstem Gebrüll trieb die Piratenmeute ihre Gefangenen voran. An Fußtritten und Hieben von Musketenkolben mangelte es nicht. Carrillón mußte als erster marschieren. Ihm folgten Béjar und Hurtado, dann Romero und Lloberas.

Es geschah, als ihr Weg über weichen grasbewachsenen Boden bergan führte.

Wie es geschah, vermochte Carrillón später nicht mehr zu sagen. Er hörte nur die plötzlichen Alarmrufe und spürte einen Musketenlauf, der ihm auf schmerzhafte Weise in die Magengegend gerammt wurde. Nicht anders erging es Béjar und Hurtado.

Im blakenden Licht der Ölfunzeln waren die Silhouetten von Lloberas und Romero nur noch undeutlich zu sehen, wie sie davonhasteten.

Vier oder fünf Verfolger saßen ihnen mit wenigen Schritten Abstand im Nacken.

Carrillón schloß verzweifelt die Augen. Romero und Lloberas hatten einen Wahnsinnsentschluß gefaßt. Diese Flucht war von vornherein zum Scheitern verurteilt.

Schreie gellten aus der Dunkelheit.

Carrillón riß die Augen auf.

„Nein!“ hauchte er entsetzt. „Nein, das ist unmenschlich.“

Die Todesschreie versiegten in einem Gurgeln. Dann war Stille.

Duvalier stand plötzlich vor dem Sargento.

„Ich hoffe, ihr drei habt bessere Nerven“, sagte er höhnisch. Mit einer Kopfbewegung befahl er seinen Gefolgsleuten, die Musketen wegzunehmen.

„Ihr hättet sie sowieso erwischt“, entgegnete Carrillón tonlos, „um Himmels willen, warum mußtet ihr sie gleich umbringen?“

„Zwei Esser weniger“, sagte Duvalier kalt, „laßt es euch eine Lehre sein. Hier, auf der Insel Comfort, gelten meine eigenen Gesetze. Wer nicht pariert, springt über die Klinge.“ Abermals wandte er sich abrupt ab und begab sich an die Spitze der Marschformation.

Béjar und Hurtado waren kalkweiß im Gesicht. Sie brachten keinen Ton hervor und sahen ihren Sargento nur fassungslos an.

Er senkte den Kopf und wich ihrem Blick aus. Natürlich bereiteten sie ihm Vorwürfe, einfältig wie sie waren. Aber er war nicht verantwortlich. Er hatte das Beste gewollt, ihnen die Flucht von der „Santa Teresa“ ermöglicht und versucht, sie in eine bessere Zukunft zu führen. Niemand konnte ihm einen Fehler vorwerfen. Was ihnen widerfuhr, war eine böse Fügung des Schicksals.

Die Kerle, die Romero und Lloberas niedergestochen hatten, kehrten zurück. Im Laternenlicht, damit die Gefangenen es deutlich sehen konnten, wischten sie ihre Säbelklingen an den Hosenbeinen ab.

Duvaliers Befehlsstimme ertönte, und die Kolonne setzte sich wieder in Bewegung. Abermals wurden die Gefangenen mit derben Stößen und Tritten vorangetrieben.

Pedro Carrillón spürte die Schmerzen nicht. Zu sehr waren seine Sinne in Aufruhr. Er setzte einen Fuß vor den anderen, ohne sich dessen wirklich bewußt zu werden. Es war ein Gefühl, als führe dieser Weg ins Nichts.

Er begann zu bereuen, daß sie desertiert waren. Wie gern hätte er jetzt dem Teniente und Capitán Isidoro gemeldet, welches Lumpenpack auf der Insel Comfort hauste! Ein Kommandotrupp wäre losgeschickt worden, man hätte den Piratenschlupfwinkel aufgespürt, und dann wären diese verdammten französischen Galgenstricke mit Stumpf und Stiel ausgerottet worden.

Carrillón wußte, daß es sich bei der Insel Comfort um eins jener vielen Eilande handelte, die den Bayous der Küste vorgelagert waren. Aber was nutzte ihm dieses Wissen jetzt noch? Es war zum Verzweifeln.

Nach einer knappen Viertelstunde erreichten sie eine windschiefe Bretterbude, die auf einer Anhöhe unter schützenden Bäumen stand. Das Hauptquartier der Piraten konnte es nicht sein, eher ein Unterschlupf, den sie vermutlich auf Kontrollgängen benutzten.

Duvalier ließ zwei Laternen in der Hütte aufhängen, und die Gefangenen wurden hereingebracht. Außer ein paar wackligen Schemeln gab es nur Staub und Spinnengewebe.

Carrillón, Béjar und Hurtado erhielten Befehl, sich in der Mitte der schäbigen Behausung auf den Boden zu hocken. Hinter ihnen nahmen vier Piraten als Bewacher Aufstellung, der Rest der Galgenvögel harrte draußen aus. Duvalier nahm sich einen Schemel und setzte sich den Gefangenen gegenüber. Sie waren gezwungen, zu ihm aufzublicken.

„Die Plauderstunde ist eröffnet“, sagte der Franzose grinsend, „ich denke, ich brauche euch nicht zu erzählen, was passiert, wenn ihr die Zähne nicht auseinanderkriegt.“

Carrillón sah Béjar und Hurtado an, und da war noch immer dieser stumme Vorwurf in ihren Augen.

„An mir soll es nicht liegen“, sagte der Sargento, „ich will nicht allein entscheiden. Ihr wißt, über was wir reden sollen. Also?“

„Jetzt machst du es dir leicht“, sagte Béjar erbittert, „jetzt, da wir sowieso keine Wahl mehr haben.“

Hurtado wandte sich an den Franzosen.

„Was geschieht mit uns, wenn wir alles erzählen?“

„Oh, ich sagte schon, daß wir keine Schwierigkeiten miteinander haben werden, wenn ihr gesprächig seid.“ Duvalier richtete den Blick zur Decke und preßte die schlanken Finger gegeneinander. „Ich bin kein Unmensch, müßt ihr wissen. Was ich nicht leiden kann, sind unnötige Probleme.“

Die drei Spanier einigten sich rasch.

„Es gibt nichts zu überlegen“, sagte Béjar leise, „jeder ist sich selbst der Nächste.“

Carrillón nickte nur. Die beiden Soldaten waren einfache Naturen, in der Tat. Es gab nichts Greifbares, auf das sie ihre Hoffnung gründen konnten. Duvalier hatte ihnen nichts versprochen. Und dennoch hofften sie.

„Fein, fein“, sagte Duvalier salbungsvoll, „dann fangt an. Was ist mit eurem Schiff geschehen, welchen Auftrag hattet ihr? Und so weiter, und so weiter. Laßt euch die Worte nicht aus der Nase ziehen. Ich bin ein ungeduldiger Mensch.“ Er lachte gekünstelt, und die vier Bewacher stimmten pflichtschuldigst mit ein.

Béjar und Hurtado waren einverstanden, daß Carrillón auch diesmal die Rolle des Wortführers übernahm. Er berichtete von der Begegnung mit der „Galicia“, nachdem sie aus Pensacola ausgelaufen waren. Und er bemühte sich, jede Einzelheit von dem zu schildern, was sich anschließend abgespielt hatte. Duvalier war ein Mann, dessen Unwillen man nicht gern hervorrief, das spürte Carrillón. Er war kein Feigling, doch er mußte auch an seine beiden noch lebenden Gefährten denken. Sie waren diesem verfluchten Obergalgenstrick ausgeliefert, also mußten sie versuchen, ihn zufriedenzustellen.

Je länger der Sargento redete, desto gespannter wurde der Ausdruck in Duvaliers Augen.

„Moment“, unterbrach ihn der Franzose mit einer heftigen Geste, als Carrillón bei der Beschreibung des Schiffbruchs angelangt war. „Ich brauche die genaue Position. Wo ist das passiert?“

Der Sargento zog die Schultern hoch.

„Ich bin Soldat. Von Seefahrt verstehe ich nicht viel. Ich habe nur mitgekriegt, daß von den Chandeleur-Inseln die Rede war. Die ‚Santa Teresa‘ muß also auf ein Riff vor diesen Inseln gelaufen sein. Welche Insel und welches Riff – das weiß ich beim besten Willen nicht.“

Duvalier fixierte ihn minutenlang mit zornig funkelnden Augen. Dann blies er die Luft durch die Nase und winkte ab.

„Also gut. Nehmen wir an, du weißt es wirklich nicht genau …“

„Ich kann es beschwören. Was hätte ich davon, die Position der Galeone zu verheimlichen?“

„Unterbrich mich nicht, Spanier!“ Duvaliers Gesicht verzerrte sich vor Wut. Einen Moment sah es aus, als würde er die Beherrschung verlieren und sich auf den Sargento stürzen. Aber er beruhigte sich wieder und faltete die Hände über den Knien. „Was ist mit den beiden Schiffen geschehen, die ihr verfolgt habt?“

„Wir haben sie im Sturm aus den Augen verloren. Nein …“ Carrillón unterbrach sich, „das war schon vorher, als es dunkel wurde. Ich konnte zufällig ein Gespräch des Kapitäns und der Offiziere mithören. Sie vermuteten, daß die Engländer und die Indianer entweder im Lake Borgne oder im Lake Pontchartrain einen sicheren Ankerplatz suchen würden. Schließlich hat Capitán Isidoro ja auch diesen Kurs steuern lassen.“

„Nur mit dem Unterschied, daß er nicht besonders aufgepaßt hat“, sagte Duvalier grinsend. Er kniff die Augen zusammen und schien eine Weile intensiv nachzudenken.

Carrillón runzelte die Stirn. Unbehagen stieg plötzlich in ihm auf. Da war etwas im Gesichtsausdruck des Franzosen, das er sich nicht erklären konnte.

Carrillóns Unbehagen steigerte sich zur Angst. Das Gesicht des Piratenführers wurde für ihn zur Teufelsfratze.

Er verstand nicht, was die jähe Kopfbewegung Duvaliers zu bedeuten hatte.

Und ihm blieb keine Zeit mehr, es zu verstehen.

Carrillón nahm noch die schnelle Bewegung hinter seinem Rücken wahr. Ein scharfer, zischender Laut folgte.

Ein dumpfer, alles auslöschender Schlag schnitt sein Bewußtsein ab.

Pedro Carrillón war bereits tot, als auch Béjar und Hurtado unter grausamen Säbelhieben starben.

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9783954397761
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