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3.

Don José Isidoro drehte mit einem Lächeln der Genugtuung seine Barthaare zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. Er beobachtete das hektische Geschehen mit dem befriedigenden Wissen, daß er es war, der dies alles auslöste. Und kein anderer als er würde auch das weitere Geschehen bestimmen. Die Britenbastarde und die dreimal verfluchten Hundesöhne von Indianern sollten ab sofort keine Chance mehr haben, ihren Kopf aus der Schlinge zu ziehen.

Auf der „Santa Teresa“ überschrien sich die Männer gegenseitig mit den Kommandos, die das Reglement zur Gefechtsbereitschaft vorsah. Der Zweite und der Dritte Offizier überwachten den Ablauf von der Schmuckbalustrade des Achterkastells aus. Die Männer an den Geschützen schufteten wie die Kesselflicker, jede Geschützmannschaft wetteiferte darum, die schnellere zu sein. Für Don José war es eine Freude, zu sehen, wie sie sich alle ins Zeug legten. Nun, da war immerhin die Neunschwänzige des Zuchtmeisters, mit der keiner von ihnen gern Bekanntschaft schloß.

Die beiderseitige Überraschung war überwunden. Auch auf dem britischen Dreimaster herrschte Betriebsamkeit. Isidoro hatte nur einmal mit dem Spektiv hinzusehen brauchen, um zu begreifen, daß auch die Engländer ihr Gefechtshandwerk beherrschten. Und sie war prächtig armiert, diese verteufelt schlanke Galeone. Keine leicht zu knackende Nuß, darüber war sich jeder an Bord der „Santa Teresa“ im klaren.

„Haben Sie gesehen, wie sie ihr Schiff nennen?“ fragte der Erste Offizier, ein schlanker Mann mit gepflegtem Oberlippenbart, der seinem Gesicht etwas Blasiertes verlieh.

Don José nickte und stieß einen grimmigen Knurrlaut aus.

„Isabella. Allein das ist eine Unverschämtheit, eine Herausforderung für jeden spanischen Ehrenmann. Sich am guten Namen der Isabella von Kastilien zu vergreifen und ein englisches Schiff damit zu schmücken! Unglaublich!“

Der Erste Offizier grinste süffisant.

„Nun, Señor Capitán, ich denke, diese Unverschämtheit wird unser Auge nicht mehr lange beleidigen.“

„Ich bin ganz Ihrer Meinung.“ Isidoro lachte kurz und trocken. „Wir werden keinerlei Schwierigkeiten haben, das Wettrennen zu gewinnen.“

Der Erste Offizier zog die Stirn in Falten, was ihn noch blasierter aussehen ließ.

„Wenn wir es mit den Briten allein zu tun hätten, wäre ich nicht so sicher, Señor Capitán. Mit Verlaub, dieses Schiff sieht so aus, als ob es uns glatt davonlaufen kann.“

„Das würden sie wahrscheinlich am liebsten tun, diese britischen Hunde“, entgegnete Isidoro lachend, „den Schwanz einziehen und sich verdrücken – das entspricht doch ihrer Mentalität. Aber sie wollen ihre Indianerfreunde nicht im Stich lassen, und das behindert sie. Haben Sie gesehen, was für ein Zustand auf der ‚San Donato‘ herrscht? Diese Rothäute haben doch nur linke Hände.“

„Aber sie haben ein paar fachkundige Verbündete.“

„Verräterpack“, sagte Isidoro zähneknirschend, „für diese Abtrünnigen wird es keine Gnade geben.“

„Ich verstehe nicht“, sagte der Erste kopfschüttelnd, „warum sich die Engländer auf die Seite dieser indianischen Kreaturen schlagen.“

„Das verstehen Sie nicht?“ Isidoro blies die Luft durch die Nase. „Nichts ist erklärlicher als das. Natürlich planen sie eine großangelegte Verschwörung gegen die spanische Krone. Die Rebellion in der Waccasassa-Bucht war immerhin schon ein deutlicher Anfang. Die Britenhunde wiegeln die Indianer gegen uns auf, und sie hoffen, daß wir dann bald mit den Schwierigkeiten nicht mehr fertigwerden. Aber diese Rechnung wird nicht aufgehen. Wir werden ein Zeichen setzen, das sie so bald nicht vergessen.“

Der Erste Offizier nickte. Alles in allem hatte Don José Isidoro recht. Im Verbund mit der lahmen „San Donato“ sah es für die Briten in der Tat schlecht aus. Und bei den jetzigen Windverhältnissen würde es höchstens zwei Stunden dauern, bis sie die „Isabella“ eingeholt hatten und ihr die erste Breitseite verpassen konnten.

Shawano, der alte Mann, wurde von seinem Volk für weise gehalten. Sie hatten ihn zu ihrem Häuptling gewählt, und sie erwarteten von ihm, daß er auf jede Frage eine Antwort wußte. Seit die Fieberepidemie ausgebrochen war, hatte er begriffen, daß seiner Weisheit Grenzen gesetzt waren.

Doch das Seltsame war: Je bedrohlicher die Lage wurde, desto mehr klammerte sich sein Volk an ihn und erwartete von ihm ein Allheilmittel für jedes quälende Problem.

Mit dem Fieber hatte es begonnen. Jetzt aber, auf den Planken dieses großen fremden Schiffes, spürte Shawano seine Grenzen um ein Vielfaches deutlicher. Er erkannte, daß die Welt der Timucua eine enge Welt gewesen war. Wie er hier so auf dem Achterdeck stand, fühlte er sich wie ein billiger Imitator.

War es denn nicht vermessen von ihm, diesen Platz einzunehmen? Einen Platz, den nur Männer von der Art eines Philip Hasard Killigrew wirklich ausfüllen konnten. Er, Shawano, hatte im Grunde kein Recht, sich mit diesem großen Schiff zu schmücken, von dessen Funktion er weniger verstand als die Männer seines Volkes. Gewiß, sie hatten dieses Schiff gebaut und kannten alle Einzelteile, aus denen es zusammengefügt war. Aber mit gutem Grund hatten ihnen die spanischen Unterdrücker nicht mehr erklärt als unbedingt notwendig. Niemals sollten sie den weißen Eroberern ebenbürtig werden.

Shawano wußte in der Tiefe seines Herzens, daß es weder den Timucua noch irgendeinem anderen indianischen Volk jemals gelingen konnte, die Eroberer zu verjagen. Immer würde es so sein, wie es die Timucua in dieser schicksalsschweren Stunde erlebten. Sie würden sich auf der Flucht befinden, mit wachsender Verzweiflung nach immer neuen Lebensräumen suchen und dann doch nur wieder vertrieben werden.

Gewiß, dem Mann, den seine Freunde den Seewolf nannten, konnte es gelingen, sein Versprechen zu erfüllen. Aber waren die Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellten, nicht unüberwindbar? Shawano wußte, daß seine Leute – die Gesunden ebenso wie die Kranken – dem Seewolf nur hinderlich waren. Ihrer Unbeholfenheit wegen begab er sich in größte Gefahr. Die „San Donato“ wurde zur verwundbaren Stelle für die stolze „Isabella“, die es unter normalen Umständen niemals nötig gehabt hätte, den Spaniern davonzulaufen.

Shawano brauchte sich nicht umzusehen, um zu wissen, daß die spanische Kriegsgaleone zügig aufholte. Die wachsende Bedrohung war fast körperlich spürbar.

Mit brennenden Augen beobachtete der weißhaarige alte Mann das niederschmetternde Geschehen an Bord der „San Donato“.

Rafael, Domingo, José und Mariano, die vier Freunde von Marcos, waren in den zurückliegenden Stunden unermüdlich gewesen. Geduldig hatten sie den Timucua-Männern all das erklärt, was man wissen mußte, um ein so mächtiges Schiff wie diese Galeone zu manövrieren. Anfangs hatte es so ausgesehen, als seien die Schwierigkeiten unüberwindbar. Nach und nach hatten Shawanos Männer aber begriffen, mit der verwirrenden Vielfalt des Tauwerks umzugehen.

Jetzt jedoch, nach dem Kurswechsel, gab es erneut Probleme. Die Spanier wollten sich mit der Stellung der Segel nicht zufriedengeben und schickten die Timucua immer wieder an jene Taue, die sie Brassen und Schoten nannten. Shawano sah, daß seine Männer aufzumucken begannen. Nach der stundenlangen ungewohnten Schinderei waren sie gereizt und müde.

Marcos selbst bediente jenes hölzerne Ding, das sie Kolderstock nannten und mit dem man bestimmen konnte, welchen Weg das Schiff nahm. Shawano hatte indes gelernt, daß für diesen Zweck nicht allein das Steuer maßgebend war. Immer war ein solches Schiff abhängig von der Windrichtung. Je nachdem, wie die Segelstellung war, neigte es sich mehr oder weniger bedrohlich zur einen oder anderen Seite. Der Häuptling hatte gesehen, wie sich seine Leute furchtsam festklammerten, und sie alle hatten begriffen, daß sie sich auf einem wahren Wunderwerk befanden.

Ja, die Errungenschaften des weißen Mannes entstammten einer fernen, unbekannten Welt. Shawano empfand Unbehagen bei dem Gedanken an all das, was sein Volk zu lernen hatte. Sein eigenes Leben war nicht mehr lang genug, das wußte er. Aber den jungen Timucua blieb genug Zeit, um sich das Rüstzeug für eine bessere Zukunft zu verschaffen.

Seit die spanische Galeone aus dem Nebel aufgetaucht war, hatte sich die Stimmung auf der „San Donato“ verschlechtert. Die wachsende Gefahr ließ die Männer unbeherrscht werden. Auf jedes Wort ihrer spanischen Lehrmeister reagierten die jungen Timucua bissig und angriffslustig. Immer lauter wurden die Worte, immer erregter die Gesten.

Shawano begriff nicht, was vor sich ging. Er sah nur, daß es nicht mehr lange dauern würde, bis ein handfester Streit ausbrach. Woran sich die Gemüter erhitzten, vermochte er jedoch nicht festzustellen. Ihm fehlte die Kenntnis jener Dinge, die die Spanier den jungen Männern seines Stammes so mühevoll beigebracht hatten.

Mit besorgter Miene trat der Häuptling auf den Rudergänger zu. Marcos wandte nur kurz den Kopf, richtete dann den Blick wieder aufmerksam nach vorn.

„Sie werden eingreifen müssen, Shawano“, sagte Marcos, „meine Freunde verlieren die Kontrolle über Ihre jungen Hitzköpfe.“

„Aber warum?“ entgegnete der weißhaarige alte Mann stirnrunzelnd.

„Es gibt mehrere Probleme“, antwortete Marcos in der Sprache der Timucua, „Rafael und die anderen wollen sich darauf konzentrieren, das Schiff auf Kurs zu halten. Das ist jetzt nicht mehr so einfach, weil wir nicht mehr platt vor dem Wind liegen. Bei raumem Wind über Steuerbordbug zu segeln ist normalerweise auch keine Schwierigkeit – wenn man gute Decksleute hat. Außerdem frischt der Wind noch immer auf. Die Männer an Deck werden bald keine ruhige Minute mehr haben.“

Shawano schüttelte verständnislos den Kopf.

„Ich begreife nicht, warum sie sich dagegen auflehnen. Jeder von uns muß einsehen, daß wir unsere Freunde auf der ‚Isabella‘ sowenig wie möglich behindern dürfen.“

„Richtig“, sagte Marcos und nickte, „aber anscheinend haben sich Ihre jungen Leute in den Kopf gesetzt, zu kämpfen. Und das wäre nun wirklich das Letzte, was wir uns leisten können.“

Wie zur Bestätigung seiner Worte schwollen die Stimmen auf der Kuhl unvermittelt zu erregtem Geschrei an. Heftig gestikulierend drang eine Gruppe von fast einem Dutzend junger Timucua auf die vier Spanier ein, die sich zum Steuerbordschanzkleid zurückzogen.

Shawano eilte an die Schmuckbalustrade des Achterkastells.

„Aufhören!“ rief er mit schneidender Stimme. „Seid ihr denn von Sinnen!“

Es wirkte. Die Timucua zuckten zurück, wandten sich um, und Verlegenheit war in ihren Mienen zu erkennen. Ein kurzes Gemurmel entstand, dann löste sich einer von ihnen aus der Gruppe und trat auf den Niedergang zum Achterkastell zu. Die anderen hatten ihn zum Wortführer ausersehen. Er blickte respektvoll zu Shawano auf.

„Sprich“, forderte der Häuptling.

„Wir glauben, daß die Spanier uns verraten wollen, Shawano. Sie wollen, daß wir keinen Widerstand leisten, damit wir ihren Verbündeten in die Hände fallen.“ Der junge Timucua deutete in die Richtung, in der er die spanische Galeone auf Verfolgerkurs wußte.

„Haben sie das zugegeben?“ sagte der Häuptling mit einem Blick auf Rafael und die drei anderen, die noch immer am Schanzkleid ausharrten.

„Nicht mit Worten. Aber ihre Taten sind mehr als ein Geständnis.“

„Was für Taten?“ Beginnendes Mißfallen klang aus Shawanos Stimme.

„Sie wollen uns nicht erlauben, die großen Feuerrohre zu laden und damit auf den Feind zu schießen.“

„Dann müssen sie euch einen Grund dafür genannt haben.“

„Alle Spanier reden mit gespaltener Zunge, Shawano. Solange sie keine Hoffnung sahen, taten sie, als seien sie unsere Freunde. Jetzt aber, da das spanische Schiff uns folgt, haben sich ihre Sinne gewandelt. Sie wollen uns daran hindern, die Feuerrohre zu laden, damit die Feinde uns leicht bezwingen können.“ Der Wortführer der Timucua-Männer hatte sich in Zorn geredet. Ruckartig streckte er den rechten Arm aus und zeigte anklagend auf die vier Spanier am Schanzkleid. „Was sie tun, tun sie nicht für uns, sondern gegen uns.“

„Shawano!“ rief Marcos, der von seinem Platz am Ruder jedes Wort mitgehört hatte. „Das ist ein furchtbares Mißverständnis. Ich bitte Sie, hören Sie Rafael oder einen der anderen an, damit er sich in unser aller Namen rechtfertigen kann.“

Der Häuptling nickte nur.

„Rafael!“ rief er energisch, und mit einer knappen Geste winkte er den Spanier herbei.

Die Timucua ließen ihn bereitwillig durch, denn gegen einen Befehl Shawanos mochte sich keiner von ihnen auflehnen. Auch der Wortführer wagte keinen Protest, er zog den Kopf zwischen die Schultern, als ducke er sich unter einem imaginären Hieb.

Mit einer knappen Verbeugung trat Rafael neben den Indianer am Niedergang. Dann blickte er respektvoll zu Shawano auf.

„Du hast gehört, was die Männer meines Stammes dir und deinen Landsleuten vorwerfen“, sagte der Häuptling, „ich will aus deinem Munde hören, ob diese Vorwürfe gerechtfertigt sind.“

Rafael nickte. Auch er beherrschte die Sprache der Timucua fließend.

„Meine Freunde und ich haben ehrliche Absichten“, sagte er mit fester Stimme, „wir fürchten uns vor einem Gefecht genauso wie die Leute Ihres Stammes, Shawano. Der Kapitän der Galeone, die uns verfolgt, ist Don José Isidoro. Er wird genauso wenig Rücksicht auf unser Leben nehmen, wie es Don Bruno Spadaro tat, der Kapitän der ‚Galicia‘. Wir können nur immer wieder versichern, daß wir mit unseren Landsleuten nichts mehr im Sinn haben. Natürlich wissen wir, daß es schwerfällt, uns zu glauben. Aber Sie sind ein weiser Mann, Shawano. Wenn ich mit gespaltener Zunge reden würde, dann müßten Sie es erkennen.“

Ein kaum merkliches Lächeln kerbte sich in die Gesichtszüge des weißhaarigen alten Mannes.

„Nun gut“, erwiderte er, „warum hindert ihr dann meine Männer daran, die großen Feuerrohre zu benutzen?“

„Ich verstehe“, sagte Rafael mit einem Nicken, „diese Heißsporne glauben, sie können alles schaffen. Dabei sind sie noch nicht einmal in der Lage, alle Segelkommandos richtig auszuführen. Wenn man aber ein Schiffsgeschütz bedienen will, muß man jeden Handgriff im Schlaf beherrschen. Außerdem muß jede Geschützmannschaft perfekt aufeinander eingespielt sein. Ist das nicht der Fall, kann der winzigste Fehler zur Katastrophe führen. Falsche Ladungen, falsch gesetzte Geschosse oder unvorsichtiges Hantieren mit der Lunte können dazu führen, daß so ein Bronzerohr explodiert und uns um die Ohren fliegt. Aber selbst wenn sie die Geschütze bedienen könnten, dann müßten die Männer in der Lage sein, das Schiff absolut sicher zu manövrieren. Das ist nämlich die Voraussetzung dafür, um überhaupt in Schußposition zu gelangen.“ Rafael hielt inne und holte Luft. Er wollte weiterreden, aber Shawano ließ ihn mit einer Handbewegung schweigen.

Der Häuptling wandte sich dem Wortführer der Timucua zu.

„Hast du das verstanden?“

„Ja, Shawano, jedes Wort.“

„Rafael sagt die Wahrheit. Warum glaubst du ihm nicht?“

Der junge Timucua atmete tief durch.

„Wir können mit den kleinen Feuerrohren umgehen. Dann werden wir es auch mit den großen schaffen.“

„Aber das ist es doch gerade!“ rief Rafael empört. „Zwischen einer Muskete und einer Culverine besteht ein himmelweiter Unterschied.“

„Genug“, sagte Shawano energisch, „ihr werdet jetzt aufhören, zu streiten. Rafael hat recht, keiner wird die großen Feuerrohre anfassen. Wichtig ist nur, daß wir dieses Schiff auf … wie nennt man das, Rafael?“

„Auf Kurs halten.“

Der Häuptling lächelte.

„Auch ein Mann meines Alters darf nicht aufhören, zu lernen. Also, es ist wichtig, daß wir das Schiff auf Kurs halten und die ‚Isabella‘ so wenig wie möglich behindern. Sonst werden wir gegen die Verfolger niemals bestehen können.“ Er sah den jungen Timucua eindringlich an. „Ich will, daß ihr das versteht und euch daran haltet. Daß mein Volk einmal ein Volk von Dummköpfen sein könnte, habe ich nie erwartet.“

Der Wortführer und auch die anderen, die alles mitgehört hatten, senkten den Kopf. Keiner von ihnen würde jemals wagen, sich gegen Shawanos Autorität aufzulehnen.

„Geht zurück an eure Arbeit“, sagte der weißhaarige alte Mann und wandte sich ab.

Marcos blickte ihm mit leuchtenden Augen entgegen.

„Ich danke Ihnen, Shawano. Das werden meine Freunde und ich nie vergessen.“

Shawano nickte nur, ging an Marcos vorbei und trat an die Heckbalustrade der „San Donato“. Er sah Philip Hasard Killigrew auf dem Achterdeck der „Isabella“, die Statur des großen, breitschultrigen Mannes aus dem fernen England war unverwechselbar.

Der Seewolf hielt ein Rohr aus Messing in seinen Händen. Shawano wußte, daß man damit entfernte Dinge sehr nahe sehen konnte. Der Seewolf hatte also beobachtet, was sich auf der „San Donato“ abgespielt hatte. Folglich wußte er jetzt, daß es keine weiteren Schwierigkeiten geben würde, daß Marcos und seine Freunde es mit ihren Absichten ernst meinten, dem Stamm der Timucua zu helfen.

Die fremde spanische Galeone hielt ihren Verfolgerkurs unbeirrt bei. Ihre Segel standen straff im Dämmerlicht des frühen Abends und zeichneten sich scharf umrissen vor der düsteren Wetterwand im Süden ab.

Der Wind zerrte heftiger an Shawanos Kleidung und fächerte sein langes weißes Haar.

4.

„Das war knapp“, sagte Ben Brighton aufatmend, „dieser Häuptling ist wirklich ein wackerer Bursche.“

„Du siehst“, entgegnete der Seewolf, „ich hatte mit meiner Meinung über Marcos recht. Für uns gibt es jetzt einen Unsicherheitsfaktor weniger.“

„Schwacher Trost“, sagte der Erste Offizier der „Isabella“, „soll ich dir andere Unsicherheitsfaktoren nennen? Das fällt mir nicht schwer.“

Hasard winkte ab.

Vom Hauptdeck klang Al Conroys Stimme. Unter der bewährten Leitung des Stückmeisters hatten die Männer rasche Arbeit geleistet.

„Alle Geschütze gefechtsklar!“

„Alle Mann auf Gefechtsstation!“ fügte Ed Carberrys Reibeisenbaß hinzu.

Indem er den rechten Arm hob, signalisierte Hasard, daß er verstanden hätte.

An Backbord und an Steuerbord waren die Stückpforten geöffnet. Die mächtigen Bronzeleiber der 24-Pfünder und der 17-Pfünder schimmerten matt im späten Tageslicht. Dunkelrote Glut leuchtete in den Kohlebecken, die die Söhne des Seewolfs zum Entfachen der Luntenstöcke bereitgestellt hatten, Ladewerkzeuge und Geschosse lagen bei den einzelnen Geschützen bereit.

Wohlweislich hatte Al Conroy jedoch darauf verzichtet, zusätzliches Pulver für das Nachladen der Geschütze an Deck bringen zu lassen. Das Wetter verschlechterte sich immer mehr, und ehe man sich versah, konnte Regen niederprasseln, bevor das Gefecht überhaupt begonnen hatte.

Die Sorte Schwarzpulver, die Feuchtigkeit vertragen konnte, war noch nicht erfunden worden.

Mit schmalen Augen beobachtete der Seewolf die südliche Kimm, die als klare Linie längst nicht mehr zu erkennen war. In der letzten halben Stunde hatte der Wind weiter aufgefrischt und zeigte sich jetzt schon als wilder Geselle, der sein orgelndes Lied in Wanten und Pardunen pfiff und den Männern an Deck Standfestigkeit abverlangte. Die schwarze Wetterfront im Süden war eins geworden mit der düsteren Oberfläche der See. Helle Schaumkronen bewegten sich in Unregelmäßigem Spiel und stiegen mit den Wogen immer höher.

Die spanische Galeone war inzwischen als „Santa Teresa“ identifiziert worden. Ihre Segel standen steif und prall und sahen aus, als seien sie vom Meißel eines Bildhauers aus hellem Holz modelliert worden. Der Bug der „Santa Teresa“ durchschnitt die Wellen und schob einen schäumenden Schnurrbart vor sich her.

Die Temperatur war merklich gesunken. Hätte es nicht die Bedrohung durch das Verfolgerschiff und durch einen möglichen Sturm gegeben, dann hätten die Arwenacks nach der Hitze des Tages erleichtert durchgeatmet. So aber waren sie von einer grimmigen Entschlossenheit gepackt, harrten an den Geschützen aus und spähten geduckt über die Verschanzungen. Mehr als einen Sturm und eine Feuer und Eisen spuckende spanische Galeone hatten sie nicht zu erwarten. Beides zusammen konnte höllischen Verdruß bedeuten.

Aber es gab keine Herausforderung, die die Männer unter dem Kommando des Seewolfs nicht annahmen. Manches Mal hatten sie sich im heißesten Höllenfeuer befunden und den stinkenden Atem des Gehörnten über sich hinwegpfeifen lassen. Nicht einmal das hatte sie umgehauen.

Hasard wandte sich nach vorn und beobachtete das Geschehen auf der „San Donato“ abermals mit dem Kieker. Shawano und Marcos trafen Vorsorge. Die vielen Frauen, Kinder und Greise, die sich bislang an Deck aufgehalten hatten, wurden in die unteren Decksräume beordert. Im Bauch der „San Donato“ gab es Platz genug, um auch weiterhin Gesunde und Kranke voneinander zu trennen. Das änderte indessen nichts daran, daß die Ansteckungsgefahr weiterhin wie ein todbringendes Schwert über der Galeone der Timucua schwebte.

Ein anderer Umstand war jedoch augenfälliger. Nach dem Streit mit ihren spanischen Lehrmeistern verhielten sich die jungen Timucua besonnener, bewältigten ihre Arbeit an Schoten und Brassen mit größerem Geschick, und das Ergebnis war verblüffend: Die „San Donato“ lief jetzt rauschende Fahrt, die sie stetig beibehielt. Ihr Abstand zur „Isabella“ hatte sich bereits um mehr als eine Kabellänge vergrößert.

„Donnerwetter“, sagte Ben Brighton, der es ebenfalls beobachtete, „was so eine kleine Auseinandersetzung doch bewirken kann.“

„Das reinigt die Luft“, erwiderte Hasard grinsend, „sieht fast so aus, als ob sie uns davonsegeln wollen.“

„Denen wird es am wenigsten gefallen.“ Ben deutete mit dem Daumen über die Schulter nach achtern, wo er die Galeone der Dons wußte.

Marcos und seine Freunde hatten auf der „San Donato“ jeden verfügbaren Fetzen Tuch gesetzt, und der Erfolg war ein Lichtblick in der zunehmenden Dämmerung. Der Seewolf gab Befehl, nun auch das Fockmarssegel zu setzen. Lediglich die Bramsegel und auch beide Blindesegel blieben weiterhin aufgegeit.

Während sich der Abendhimmel weiter verdüsterte, gewann die „Isabella“ ihre ursprüngliche Distanz zur „San Donato“ zurück.

Ein Blick nach achtern entlockte den Arwenacks ein Grinsen. Die Dons auf der „Santa Teresa“ mußten jetzt höllische Wut im Bauch haben, denn sie holten nicht weiter auf. Zwar hielten sie weiterhin Fühlung, doch es kündigten sich Umstände an, wodurch ihnen eben dies immer schwerer fallen würde.

Spätestens in einer halben Stunde würde die Dunkelheit hereinbrechen. Der Südwind heulte und orgelte mit anschwellender Kraft. Hasard ließ zur „San Donato“ signalisieren, daß keine Lichter gesetzt wurden, und er gab auch seinen eigenen Männern entsprechende Order.

Wenn sie den Lake Pontchartrain erreichten, bevor der Sturm heraufzog, mußten sie schon verdammtes Glück haben.

Und vom Glück brauchte der Kapitän der „Santa Teresa“ eine beträchtliche Portion mehr, wenn er nicht den Anschluß verlieren wollte.

An Marcos lag es, die Aufgabe des Lotsen zu übernehmen. Und sehr bald zeigte sich, daß er dieser Aufgabe voll und ganz gewachsen war.

Knapp vor Dunkelwerden meldeten die Ausguckposten Land an Backbord. Es handelte sich um Errol Island, eine kleine Insel südlich der Chandeleur-Inseln. Noch während die „San Donato“ und die „Isabella“ daran vorbeisegelten, senkte sich die Finsternis wie ein schwarzes Tuch über den Golf von Mexiko.

Beide Schiffe fielen vom heulenden Südwind ab und steuerten mit nördlichem Kurs geradewegs in den Chandeleur Sound.

Breitbeinig stand Don José Isidoro auf dem Achterdeck der „Santa Teresa“ und fluchte über den verdammten Südwind, der alles daran setzte, ihn auf die Nase zu werfen. Und das im doppelten Sinn des Wortes.

Was die Wetterküche zusammenbraute, verschaffte den Britenbastarden und den indianischen Hundesöhnen immer mehr Vorteile.

„Diese Halunken haben keine Lichter gesetzt!“ schrie der Erste Offizier gegen das Orgeln des Windes an. Er hielt sich an der vorderen Schmuckbalustrade des Achterkastells fest.

„So dämlich sind sie nicht, um uns den Gefallen zu tun!“ brüllte Isidoro zurück.

Manchmal ging ihm die Engstirnigkeit seiner Offiziere auf den Nerv. Der Erste tat geradeso, als habe der Gegner versäumt, eine vorgeschriebene Pflicht zu erfüllen. War es nicht diese Unbeweglichkeit des Denkens gewesen, die zum Scheitern der spanischen Armada im Ärmelkanal geführt hatte? Isidoro hielt sich für einen der wenigen, die daraus gelernt hatten. Doch bei der augenblicklichen Lage schien ihm auch das nicht viel zu nutzen.

Die „San Donato“ war bereits von der Dunkelheit verschluckt worden. Und von der „Isabella“ zeichneten sich nur noch die Segel als schemenhafte helle Flecken ab. Isidoro sah ein, daß er den Gedanken an eine baldige Konfrontation abschreiben mußte.

Auf den Decks der „Santa Teresa“ waren die Männer in aller Eile dabei, Manntaue zu spannen und die Luken und Schotten zu verschalken. Die Gefechtsbereitschaft wurde zur Lächerlichkeit degradiert. Schon jetzt bestand Gefahr, daß die Geschützladungen von überkommenden Seen feucht wurden. Immer höher wehten Gischtschwaden über die Kuhl. Wenn es das Pech wollte, konnten die Männer bald die eigene Hand nicht mehr vor Augen sehen.

Nur einen Vorteil gab es noch, von dem Don José Isidoro hoffte, daß er entscheidend sein würde: Er kannte jeden Winkel in diesem Bereich des nördlichen Golfs von Mexiko. Demgegenüber mußten die Britenbastarde natürlich ins Hintertreffen geraten. Und von dem Verräterpack an Bord der „San Donato“ war nicht anzunehmen, daß es über besondere Kenntnisse verfügte. Nicht im entferntesten ahnte Isidoro, daß er sich in diesem Punkt täuschte.

Auch der Ausguck der „Santa Teresa“ hatte Errol Island gesichtet, noch bevor die Dunkelheit hereingebrochen war. Und Don José Isidoro hatte gleichfalls Order gegeben, auf Nordkurs zu gehen.

Mittlerweile mußten die Chandeleur-Inseln schon so nahe sein, daß man hinspucken konnte. Isidoro spürte und witterte es geradezu. Er lächelte grimmig, während er sich mit dem Rücken gegen den heulenden Wind stemmte.

Nein, ihm konnte in diesem Küstenbereich keiner etwas vorexerzieren. Wenn einer Untiefen und sonstige Gefahrenbereiche kannte, dann war er es. Daran änderte auch die Dunkelheit nicht viel. Man brauchte eben dieses besondere Gefühl, das ein Mann nur in jahrzehntelangen Erfahrungen entwickeln konnte.

Kapitän Isidoro war stolz darauf, daß er genau dies von sich behaupten konnte. Seine Einschätzung der Lage war vortrefflich, das stand für ihn fest. Alles in allem konnte er davon ausgehen, daß er wahrscheinlich nicht einmal mehr große Mühe aufwenden mußte. Wenn der Sturm erst richtig loslegte, dann brummten die Britenbastarde und die Timucua-Hundesöhne auf das nächstbeste Riff vor den Chandeleurs. Bei Tagesbeginn, nach Abflauen des Sturms, brauchte man dann nur noch die Überlebenden aufzufischen – falls es welche gab.

„Rudergänger!“ rief Isidoro schneidend.

„Si, Señor Capitán?“ Der Mann war nur als Schatten zu erkennen. Kein Ruderhaus schützte ihn vor den Unbilden der Witterung.

„Zwei Strich Backbord“, befahl Isidoro.

„Zwei Strich Backbord“, wiederholte der Rudergänger, und, etwas später: „Kurs liegt an, Señor Capitán.“

Ein weiterer Schatten keuchte von der Schmuckbalustrade heran. Der Erste Offizier rückte den Kinnriemen seines Federhuts fest. Der Wind zerrte mit aller Macht daran und bog die breiten Krempen nach oben.

„Manntaue sind gespannt, Señor Capitán, Luken und Schotten verschalkt.“

„Wurde auch Zeit“, entgegnete Isidoro knurrend.

„Darf ich mir eine Frage erlauben, Capitán?“

„Heraus damit.“

„Sind Sie überzeugt, daß wir auf dem richtigen Kurs liegen? Ich meine, wenn wir davon ausgehen, daß die Engländer und auch die Timucua sich kaum auskennen dürften, ist es dann nicht unsinnig, ihnen noch weiter zu folgen? Vielleicht laufen wir gemeinsam mit ihnen auf ein Riff, oder wir werden auf Legerwall gedrückt.“

Einen Moment hielt Isidoro die Luft an.

„Was faseln Sie, Mann!“ brüllte er dann. „Was glauben Sie, warum ich die Kurskorrektur befohlen habe! Wollen Sie etwa behaupten, daß mir ein Fehler unterläuft? Ausgerechnet mir?“

„Nein, Señor Capitán, ich dachte nur – ich meine …“

„Sie sollen nicht denken und nicht meinen, Sie sollen …“

Ein ohrenbetäubendes Krachen schnitt ihm die Worte von den Lippen. Im nächsten Sekundenbruchteil folgte ein Bersten und Mahlen, das den Schiffsleib durchlief, als wollte es ihn in tausend Stücke reißen.

Don José Isidoro spürte es bis in die letzte Faser seiner Nerven, denn er war mit diesem Schiff verwachsen. Jeden unbekannten Laut und jede unvorhergesehene Bewegung in den Verbänden hatte er stets sofort gespürt, als handelte es sich um eine Veränderung seines eigenen Körpers.

Dies aber, was jetzt geschah, war wie ein grausamer und tödlicher Schlag.

Don José empfand den Schmerz, als sei er selbst getroffen worden. Aber ihm blieb keine Zeit, den Schmerz hinauszubrüllen.

Ein jäher Ruck ging durch die Galeone.

Isidoro verlor den Halt, kippte vornüber und ruderte vergeblich mit den Armen. Er prallte gegen seinen Ersten Offizier, der rücklings stürzte. Gemeinsam schlugen sie auf die Planken.

Auf der Kuhl und auf der Back entstand Geschrei. Die Männer verloren den Halt, verhedderten sich in den Manntauen. Einige von ihnen schlitterten unter den Tauen über die feuchten Planken, prallten gegen Geschützlafetten oder Nagelbänke und zogen sich schmerzhafte Prellungen zu.

Der Südwind heulte und fauchte und versetzte den Segeln wilde Prankenhiebe, als wolle er die „Santa Teresa“ über den Bug in den Grund bohren. Doch die Galeone saß bereits hoffnungslos fest. Eine kurze Bewegung um die Längsachse folgte, begleitet von einem splitternden Geräusch, das dem Kapitän abermals durch Mark und Bein ging. Das Tuch begann zu knattern und zu schlagen, und im nächsten Moment zerriß das Fockmarssegel mit einem explosionsartigen Knall. Rings um den Schiffsleib kochte die See mit weißem Schaum.

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9783954397761
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