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Für die Klärung der zuletzt angesprochenen Fragen sind Abklärungen im Kindesschutz zwingend auf Vorgehensweisen aus dem rekonstruktiven Ansatz angewiesen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wissenschaftsbasierte Verfahren und Instrumente zur Sicherheits- und Risikoeinschätzung bei Abklärungen im Kindesschutz überflüssig wären. Sie können die Wahrnehmung gezielt auf solche Aspekte lenken, die sich nach vorliegendem Wissen als bedeutsam erwiesen haben, und können dabei helfen, kindeswohlgefährdende Zustände, Handlungen und/oder Unterlassungen differenziert und wissenschaftsbasiert wahrzunehmen, zu beschreiben und zu dokumentieren. Damit erweitern sie die Informationsbasis für die im Kontext von Kindeswohlabklärungen vorzunehmenden Einschätzungen und leisten einen spezifischen Beitrag zu einem Gesamtbild (vgl. Schone 2012, S. 271).

Klassifikation – im Sinne einer Einordnung des Einzelfalls in allgemeine Kategorien – ist auch aus anderen Gründen unverzichtbar. Der Abklärungsprozess mündet in der Regel in einen Bericht mit Empfehlungen über die Notwendigkeit und Angemessenheit von Leistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen. Typischerweise geht es dabei um die schlüssige Verknüpfung von anerkannten Bedarfslagen mit bekannten Leistungsarten – oder von Merkmalen einer Lebenssituation mit den rechtlich gerahmten Voraussetzungen für zivilrechtliche Massnahmen. Klassifikationen als «diskursabkürzende» Einordnung von Zuständen sind diesem Kontext unverzichtbar.

Fachpersonen, die Kindeswohlabklärungen durchführen, sind insofern auf beide Ansätze angewiesen: auf rekonstruktive und auf klassifikatorische. Sie müssen einerseits Informationen über Beobachtbares zusammentragen und auswerten. Zugleich müssen sie im Gespräch und im Austausch die Sinn- und Lebenszusammenhänge von Eltern und Kindern erschliessen (Bilder guter Elternschaft, Erwartungen an das Kind, intergenerationale Aufträge; das Familienleben aus der Sicht des Kindes; soziale und materielle Problemlagen und Nöte), um zu begründeten Diagnosen kommen zu können. Sie müssen bei der Durchführung von Abklärungen im Kindesschutz demnach sowohl Verfahren und Instrumente zur Risiko- und Kindeswohleinschätzung als auch Methoden des Fallverstehens und der sozialen Diagnostik verwenden (Schrapper 2008b).

Abklärende Fachpersonen müssen bei der Durchführung von Kindeswohlabklärungen im dialogisch-systemischen Sinn zwei gegensätzliche Positionen miteinander in Einklang bringen: Sie müssen einerseits verstehend auf Eltern und Kinder zugehen und mit ihnen den Dialog suchen. Andererseits müssen sie unter Verwendung von Verfahren und Instrumenten der Sicherheits- und Risikoeinschätzung auf Distanz zu Eltern und Kindern gehen (vgl. Schrapper 2012, S. 199). Das «Prozessmanual. Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung» will Fachpersonen dabei unterstützen, diese gegenläufigen Anforderungen in eine Balance zu bringen. Es unterstützt sie einerseits dabei, unterschiedliche Abklärungsinstrumente und -verfahren reflektiert, im Sinne ihrer spezifischen Leistungsfähigkeit – und vor dem Hintergrund dessen, was in einem vorliegenden Fall klärungsbedürftig ist – einzusetzen. Andererseits unterstützt es sie dabei, mit Eltern und Kindern in den Dialog zu kommen, um möglichst viel Wissen über die Einbettung und Hintergründe von Erziehungs- und Beziehungsstilen in einer Familie hervorzubringen und dies mit den Familienmitgliedern zu teilen. Es unterstützt Fachpersonen bei einem strukturierten und reflektierten Vorgehen, welches dazu dient,

 systematisch Informationen über einen Fall von Kindeswohlabklärung zu sammeln und zu ordnen,

 mit unterschiedlichen Perspektiven auf den Fall zu blicken und

 Hypothesen über den Fall zu formulieren, zu prüfen und gegebenenfalls wieder zu verwerfen und durch plausiblere zu ersetzen (vgl. Schrapper 2012).

Die vier Standards diagnostischen Fallverstehens

Das Prozessmanual orientiert sich dabei an vier grundlegenden Standards diagnostischen Fallverstehens, die für das gleichrangige Zusammenspiel rekonstruktiver und klassifikatorischer Vorgehensweisen von Heiner (2011, S. 246f.) entwickelt wurden. Die (1) Partizipative Orientierung will Fachpersonen dazu anleiten, «dialogisch, aushandlungsorientiert und beteiligungsfördernd» (Heiner 2011, S. 246) vorzugehen und auch divergierende Ansichten offen anzusprechen; die (2) Sozialökologische Orientierung will gewährleisten, dass Fachpersonen das soziale Umfeld, die relevanten Infrastrukturen und Institutionen (inklusive Rolle und Auftrag der Fachpersonen), die materiellen Lebensbedingungen wie auch die situative Einbettung der Handlungsweisen der Klient/innen systematisch einbeziehen; die (3) Multiperspektivische Orientierung soll dazu dienen, eine möglichst komplexe Sicht von Problemlagen und Ressourcen zu erarbeiten, wobei biografische Dimensionen ebenso bedeutsam sein können wie beispielsweise die Wechselwirkungen von Handlungen verschiedener Familienmitglieder; die (4) Reflexive Orientierung bezieht sich auf das Vorgehen der Fachpersonen im Prozess des diagnostischen Fallverstehens; sie soll gewährleisten, dass Einschätzungen und Befunde systematisch überprüft und wenn nötig korrigiert werden. Die reflexive Orientierung umfasst darüber hinaus die fortlaufende, selbstkritische Reflexion des Vorgehens im diagnostischen Prozess.

Fachpersonen, die Kindeswohlabklärungen nach dem «Prozessmanual. Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung» durchführen, gehen achtsam und fehleroffen vor. Sie gestalten Abklärungsprozesse respektvoll, aushandlungsorientiert und beteiligungsfördernd. Sie haben ein multifaktorielles, mehrgenerationales und interaktionsbezogenes Problemverständnis. Ihre Arbeitsweise ist partizipativ, multiperspektivisch und reflexiv. Ihr Anliegen ist es, in der Begegnung und im Austausch mit Eltern und Kindern sowie weiteren Fachpersonen vor dem Hintergrund eines dialogisch-systemischen Erkenntnis- und Interventionsmodells herauszufinden, was das Problem bzw. der Fall ist. Ihr Anliegen ist es, mit Eltern und Kindern sowie weiteren Fachpersonen wahrzunehmen, zu erkunden und zu verstehen, was Ursachen und Folgen von kindeswohlgefährdenden Situationen sind oder waren, um auf dieser Basis einen gemeinsamen Plan zur Förderung und Sicherung des Kindeswohls zu entwickeln und zu realisieren. Für sie sind Einschätzdimensionen von Relevanz, denen sie in verschiedenen Schlüsselprozessen dialogisch-systemischer Kindeswohlabklärung unter Verwendung von Verfahren und Instrumenten der Risiko- und Kindeswohleinschätzung sowie Methoden des Fallverstehens und der sozialen Diagnostik Aufmerksamkeit schenken:

2.2 Schlüsselprozesse dialogisch-systemischer Kindeswohlabklärung im Überblick

Schlüsselprozess Ersteinschätzung

Hinweise auf Gefährdungen des Kindeswohls entgegennehmen und einschätzen. Klären, welche weiteren Informationen erforderlich sind. Klären, ob und in welcher Frist eine Kontaktaufnahme erforderlich ist, um eine Kindeswohlgefährdung auszuschliessen.

Gegenstand der Beurteilung

Glaubhaftigkeit und Dringlichkeit von Hinweisen auf eine Kindeswohlgefährdung

Einschätzdimensionen

• Informationsgehalt der Meldung

• Schweregrad der vermuteten, geschilderten, beobachteten Gefährdung des Kindeswohls

• Glaubhaftigkeit und Kooperationsbereitschaft der meldenden Person

Methoden

• Erkundungsgespräche

• Recherche: Weitere Informationen zum Fall einholen und bewerten (Gespräche, Akten usw.)

• Kollegiale Beratung

Instrumente

• Meldebogen (DJI)

Schlüsselprozess Kindeswohleinschätzung

Bei Hinweisen auf eine Kindeswohlgefährdung klären, ob Sicherheit und Grundversorgung des Kindes gewährleistet sind. Falls nicht, ob Sofortmassnahmen zum Schutz des Kindes erforderlich sind.

Gegenstand der Beurteilung

Grad der Gewährleistung der Grundversorgung und Sicherheit des Kindes

Einschätzdimensionen

• Erscheinungsbild und Entwicklungsstand des Kindes (und seiner Geschwister)

• Erscheinungsbild, Personenmerkmale, Lebenssituation und Erziehungspraxis der Eltern (Alter, Gesundheit, Erwerbstätigkeit, Einkommen, Aufenthalt; Haltung der Eltern zum Kind, Sichtweisen der Eltern in Bezug auf das Kind, Aufsicht, Versorgung und Entwicklungsförderung)

• Lebensumstände des Kindes und seiner Familie (materielle Absicherung; Unterkunft; Wohnverhältnisse, Nachbarschaft, soziale Integration; Betreuungssituation in der Familie; Integration und Sicherheit in ausser-familiärer Kinderbetreuung, Kindergarten, Schule)

Methoden

• Einzelgespräche mit Eltern, Verwandten und Bekannten

• Gespräche mit Kindern und Jugendlichen

• Elterngespräche

• Gespräche mit Fachpersonen

• Familiengespräche

• Das Drei-Häuser-Modell

• Das Feen-Zauberer-Tool

• Hausbesuche

• Mapping (Falllandkarte)

• Recherche: weitere Informationen zum Fall einholen und bewerten (Gespräche, Akten usw.)

• Kollegiale Beratung

Instrumente

• Überprüfung des sofortigen Handlungsbedarfs (Berner und Luzerner Abklärungsinstrument zum Kindesschutz)

• Prüfbogen «Sofortreaktion bei Meldung einer Kindeswohlgefährdung» (DJI)

• Prüfbogen «Einschätzung der Sicherheit des Kindes» (DJI)

Schlüsselprozess Sofortmassnahmen

Art, Umfang und rechtlichen Rahmen von Sofortmassnahmen zum Schutz des Kindes klären und diese einleiten.

Gegenstand der Beurteilung

Art und Umsetzung einer Sofortmassnahme

Einschätzdimensionen

• Notwendigkeit und Geeignetheit einer Sofortmassnahme

• Voraussichtlicher Zeitrahmen der Sofortmassnahme

• Kooperationsbereitschaft der Eltern während und nach der Einleitung von Sofortmassnahmen

Methoden

• Gespräche mit Fachpersonen

• Einzelgespräche mit Eltern, Verwandten und Bekannten

• Gespräche mit Kindern und Jugendlichen

• Elterngespräche

• Familiengespräche

• Kollegiale Beratung

• Notfallkonferenz

Schlüsselprozess Kernabklärung

Im Kontakt mit Kind und Eltern Status und Umstände der Gewährleistung des Kindeswohls differenziert beschreiben, allfällige Gefährdungslagen sowie gefährdende Zustände, Ereignisse und Praxen identifizieren und deren Hintergründe, Kontextbedingungen und (wahrscheinliche) Wirkungen klären.

Gegenstand der Beurteilung

Grad der Gewährleistung der Grundbedürfnisse und Rechte des Kindes

Einschätzdimensionen

• Bedürfnisse und Belastungen des Kindes

• Bedürfnisse und Belastungen der Eltern

• Qualität elterlichen Erziehungshandelns

• Qualität der elterlichen Paarbeziehung

• Qualität der Eltern-Kind-Beziehungen

• Entwicklungsgeschichte und Funktionsweise der Familie

• Ressourcen und Stärken des Kindes

• Ressourcen und Stärken der Eltern

• Mitwirkungsbereitschaft der Eltern

Methoden

• Krisen- und Ereignisweg der Familie

• Zeitstrahl

• Genogrammarbeit

• Familienlandkarte

• Netzwerk-/Umweltkarte

• Kinder-Ressourcenkarte

• Eltern-Ressourcenkarte

• Kinderfotoanalyse

• Familien-Helfer-Map

• Familienfotoanalyse

• Entwicklungsgeschichte meines Kindes

• Buch der Stärken meines Kindes

• Hausbesuche

• Einzelgespräche mit Eltern, Verwandten und Bekannten

• Gespräche mit Kindern und Jugendlichen

• Elterngespräche

• Familiengespräche

• Gespräche mit Fachpersonen

• Kollegiale Beratung

Instrumente

• Situationsanalyse (Berner und Luzerner Abklärungsinstrument zum Kindesschutz)

• Prüfbogen «Einschätzung des Förderungsbedarfs des Kindes» (DJI)

• Prüfbogen «Einschätzung der Ressourcen des Kindes» (DJI)

• Prüfbögen «Erziehungsfähigkeit der Eltern» (DJI)

• Prüfbögen «Einschätzung der Veränderungsfähigkeit der Eltern» (DJI)

Schlüsselprozess Bedarfsklärung

Im Kontakt mit dem Kind und den Eltern klären, welche Unterstützungsleistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen notwendig und geeignet sind, um das Kindeswohl zu sichern und zu fördern. Auf dieser Basis Handlungsempfehlungen und einen Plan zur Sicherung und Förderung des Kindeswohls erarbeiten.

Gegenstand der Beurteilung

Angemessenheit und Notwendigkeit von Leistungen und/oder Anordnungen

Einschätzdimensionen

• Unterstützungsbedarf

• Notwendigkeit und Geeignetheit von Leistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen

• Ziele, Dauer, Umfang und angestrebte Wirkungen von Leistungen und/ oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen

Methoden

• Einzelgespräche mit Eltern, Verwandten und Bekannten

• Gespräche mit Kindern und Jugendlichen

• Elterngespräche

• Familiengespräche

• Gespräche mit Fachpersonen

• Kollegiale Fallreview

• Hilfeplankonferenz

• Bedarfsklärungsgespräche

• Hilfeplangespräche

Instrumente

• Gesamteinschätzung (Berner und Luzerner Abklärungsinstrument zum Kindesschutz)

• Prüfbogen «Einschätzung des Misshandlungs- und Vernachlässigungsrisikos» (DJI)

• Bewahrungs- und Veränderungskalender

• Ressourcenbaum

• Ressourcentreppe

• Ressourcenkarte

• Netzwerkkarte

• Unterstützungskarte

Schlüsselprozess Ergebnisklärung

Eltern und Kind die Ergebnisse der Kernabklärung und/oder Bedarfsklärung vorstellen. Ihnen Gelegenheit geben, Zustimmung, Ablehnung sowie Alternativvorschläge vorzutragen. Ihre Bereitschaft zur Mitwirkung bei den empfohlenen Leistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen klären.

Gegenstand der Beurteilung

Akzeptanz der Abklärungsergebnisse und Empfehlungen bei Eltern und Kind

Einschätzdimensionen

• Mass der Übereinstimmung des Kindes und der Eltern mit den Inhalten und Ergebnissen des Abklärungsberichts und den darin empfohlenen Leistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen

• Bereitschaft des Kindes und seiner Eltern, bei der Umsetzung der im Abklärungsbericht empfohlenen Leistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen mitzuwirken

Methoden

• Einzelgespräche mit Eltern

• Gespräche mit Kindern und Jugendlichen

• Elterngespräche

• Familiengespräche

• Ampel-Feedback-Workshop

Instrumente

• Abklärungsberichtsvorlage

• Wenn Einvernehmen über empfohlene Leistungen besteht: z. B. Antrag auf Leistungen; Indikationsbogen

• Im Fall von Anordnungsbedarf: Antrag (vgl. Berner und Luzerner Abklärungsinstrument zum Kindesschutz)

2.3 Praxisprinzipien dialogisch-systemischer Kindeswohlabklärung

Praxisprinzip 1

Bei allem, was wir tun, achten wir darauf, dass Sicherheit, Grundversorgung und Rechte des Kindes gewährleistet sind

Praxisprinzip 2

Wir begegnen Kindern und Eltern mit Anerkennung und Respekt

Praxisprinzip 3

Wir arbeiten mit Fachpersonen verschiedener Professionen im Interesse des Kindeswohls partnerschaftlich zusammen

Praxisprinzip 4

Wir sorgen dafür, dass wir unsere Abklärungsaufgaben kompetent und selbstbewusst wahrnehmen können

Praxisprinzip 5

Wir streben danach, die Ressourcen, Potenziale und Widerstände von Eltern und Kindern produktiv zu nutzen

Für die Arbeit mit dem «Prozessmanual. Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung» sind fünf Praxisprinzipien handlungsleitend. Sie sind mit Fachpersonen erarbeitet worden, die an der Entwicklung und Erprobung des Prozessmanuals beteiligt waren. Sie spiegeln Haltungen wider, die für die Gestaltung von Abklärungsprozessen von Bedeutung sind. Eine dialogische Haltung stellt sich nicht von selbst ein, sondern bedarf der bewussten Entscheidung und Gestaltung. Insbesondere wenn es um Fragen des Wohls von Kindern und Jugendlichen geht, ist ein dialogisches Vorgehen strukturell gefährdet, gibt es Tendenzen, ganz auf den Dialog zu verzichten. Auch systemische Prinzipien werden nicht selten im Namen des Kindesschutzes über Bord geworfen und zugunsten bevormundender und kontrollierender Ansätze aufgegeben (vgl. Conen 2014). Die Praxisprinzipien sollen Fachpersonen eine Stütze sein. Sie sollen ihnen dabei helfen, dem Aufgeben im Kindesschutz zu widerstehen (vgl. Maihorn/Nowotny 2015). Sie sollen ihnen aufzeigen, worauf es bei der Abklärung von Kindeswohlfragen ankommt und welcher Haltungen es bedarf, um dem Wohl von Kindern und Jugendlichen gerecht werden zu können. Sie sollen aber auch Organisationen des Kindesschutzes hilfreich sein und diesen einen Auseinandersetzung über ihr strategisches Profil ermöglichen, insbesondere dann, wenn sie daran interessiert sind, das «Prozessmanual. Dialogisch-systemische Kindeswohlabklärung» einzuführen.

Praxisprinzip 1

Bei allem, was wir tun, achten wir darauf, dass Sicherheit, Grundversorgung und Rechte des Kindes gewährleistet sind

Die Sicherheit und Grundversorgung von Kindern und Jugendlichen hat für abklärende Fachpersonen oberste Priorität. Ihr Handeln ist darauf ausgerichtet, dass die Rechte von Kindern und Jugendlichen beachtet und deren Grundbedürfnisse befriedigt werden. Sie unterstützen Eltern dabei, Veränderungen im Interesse des Kindeswohls vorzunehmen. Sie regen sie dazu an, zu verstehen, was zur Förderung und Sicherung des Kindeswohls notwendig ist. Sie ermutigen sie dazu, Unterstützung zu suchen und anzunehmen, sofern diese erforderlich ist. Sie sind sich bewusst, dass die Entwicklung von Kindern am besten gelingt, wenn verlässliche und feinfühlige Bezugspersonen sich um ihr Wohl sorgen. Sie erkennen an, dass primär Eltern für ihre Kinder verantwortlich sind, auch dann, wenn sie dieser Aufgabe (teilweise oder zeitweise) nicht gerecht werden und ihre Kinder im Interesse des Kindeswohls vorübergehend oder dauerhaft fremdplatziert werden müssen. Sie achten und wahren die Integrität familialer Beziehungen. Sie tragen durch ihr Handeln dazu bei, entwicklungsfördernde Bindungen zwischen dem Kind und seiner Familie aufrechtzuerhalten, zu entwickeln oder wiederherzustellen. Sie bemühen sich darum, diejenigen materiellen, sozialen, bildungsbezogenen und gesundheitsbezogenen Leistungen und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen zu empfehlen, die am besten dazu geeignet sind, das Kindeswohl zu fördern und zu sichern und Eltern in ihrer Rolle zu stärken: als Personen, die an erster Stelle mit der Aufgabe betraut sind, ihr Kind zu schützen und zu fördern.

Praxisprinzip 2

Wir begegnen Kindern und Eltern mit Anerkennung und Respekt

Abklärende Fachpersonen behandeln Kinder und Eltern als Partner. Sie begegnen ihnen mit Anerkennung und Respekt und streben danach, mit ihnen auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Sie stellen sich ihren Gefühlen und reflektieren diese. Sie gehen mit Eltern, die im Verdacht stehen, das Wohl ihrer Kinder zu gefährden, empathisch um. Im direkten Kontakt begegnen sie ihnen mit Verständnis und Authentizität. Sie versuchen, zu ihnen – ebenso wie zu ihren Kindern – eine vertrauensvolle Arbeitsbeziehung herzustellen. Sie teilen mit Eltern und Kindern ihre Informationen und Kenntnisse. Sie legen offen, was Anlass, Auftrag und Ziel ihres Handelns ist. Sie machen Eltern und Kindern gegenüber transparent, was ihnen und anderen Anlass zur Sorge bereitet. Sie zeigen auf, welcher Voraussetzungen es bedarf, damit das Kindeswohl jetzt und in Zukunft gewährleistet ist. Sie sorgen mithilfe flexibler und der jeweiligen Situation angemessener Arbeitsformen dafür, dass sich Eltern und Kinder ohne Angst und Schuldgefühle aktiv am Prozess der Abklärung des Kindeswohls beteiligen können. Sie ermutigen Kinder und Eltern dazu und unterstützen sie dabei, zu erzählen, was sie denken, fühlen, brauchen und wollen. Sie hören ihnen zu und tragen Sorge dafür, dass die Erlebensweisen, Wünsche und Interessen von Kindern und Eltern in die Prozesse der Klärung und Entscheidungsfindung einfliessen und bestmöglich berücksichtigt werden. Sie informieren Eltern und Kinder über ihre Rechte und darüber, wie sie ihre Rechte geltend machen können. Sie erkennen das Recht auf informationelle Selbstbestimmung als Grundlage für vertrauensvolle Arbeitsbeziehungen an und gehen mit personenbezogenen Informationen über Kinder und Eltern sorgfältig und respektvoll um.

Praxisprinzip 3

Wir arbeiten mit Fachpersonen verschiedener Professionen im Interesse des Kindeswohls partnerschaftlich zusammen

Multiprofessionelle Zusammenarbeit ist für die Gestaltung von Abklärungsprozessen im Kindesschutz wichtig, aber nicht selbstverständlich. Abklärende Fachpersonen bemühen sich deshalb darum, mit Fachpersonen verschiedener Professionen im Interesse des Kindeswohls partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Sie sind aufmerksam dafür, welche anderen Partner mit dem Kind und seiner Familie zusammenarbeiten. Sie klären, ob und inwieweit Austausch und Zusammenarbeit mit weiteren Partnern das Wissen erweitern, Einschätzungen bereichern und die Zielerreichung begünstigen können. Sie sorgen dafür, dass für Austausch und Zusammenarbeit mit weiteren Partnern eine Legitimation besteht: durch die Zustimmung der Eltern (bei Abklärungen im Auftrag eines Fachdienstes) oder durch entsprechende Legitimation in einem konkreten Abklärungsauftrag (bei Abklärungen im Behördenauftrag). Sie sind in Bezug auf Austausch und Kooperationen gegenüber Eltern und Kind transparent. Sie treffen mit Partnern klare Vereinbarungen und sind in diesen Vereinbarungen verbindlich. Sie informieren die fachlichen Partner über den Ausgang des Abklärungsprozesses. Im Austausch sorgen sie dafür, dass ihre Kooperationspartner darüber informiert sind, was Aufgabe und Funktion ihrer Tätigkeit ist. Sie legen Absichten, Aufträge und Zuständigkeiten offen. Falls es zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich und zweckmässig ist, laden sie zu Fallbesprechungen ein und tauschen sich mit Partnern über Hypothesen und Lösungsideen aus. Sie tragen auf diese Weise dazu bei, diejenigen Leistungen und/ oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen zu finden, bei denen begründet davon ausgegangen werden kann, dass sie notwendig und am besten dazu geeignet sind, das Kindeswohl zu fördern und zu sichern. Sie bitten Kooperationspartner um Rückmeldungen, falls diese mit Ablauf und Ausgang eines Abklärungsprozesses unzufrieden sind.

Praxisprinzip 4

Wir sorgen dafür, dass wir unsere Abklärungsaufgaben kompetent und selbstbewusst wahrnehmen können

Abklärende Fachpersonen sind darum bemüht, stets über ausreichend Erfahrung und Expertise im Kindesschutz zu verfügen. Sie nehmen ihre Abklärungsaufgaben selbstbewusst war, verzweifeln nicht an ihrer anspruchsvollen Aufgabe und sorgen sich um ihr Wohl: Sie sorgen für sich selbst und ihre emotionale Balance, um in der anspruchsvollen Aufgabe die erforderliche Präsenz und Aufmerksamkeit zu haben. Sie studieren regelmässig Fachmedien und nehmen an Fort- und Weiterbildungen teil, die sie dabei unterstützen, ihr Wissen über kindesschutzspezifische Themen zu aktualisieren, zu erweitern und zu vertiefen (z. B. Kinderrechte, Grundbedürfnisse von Kindern; Ursachen, Formen und Folgen von Gefährdungen des Kindeswohls; Umgang mit Klient/innen im Pflichtkontext; Umgang mit psychisch kranken und drogenabhängigen Eltern, mit Phänomenen häuslicher Gewalt, sexueller Ausbeutung und hoch strittiger Elternschaft). Sie reflektieren ihre Arbeitsweisen im Rahmen regelmässiger Intervisionen und Supervisionen. Sie sind daran interessiert, aus Fehlern und Erfolgen zu lernen. Sie lassen Zweifel zu, kennen ihre Grenzen und holen sich Unterstützung, wenn sie unsicher sind. Wenn sie von Eltern beleidigt oder bedroht werden und ihre Kompetenzen nicht ausreichen, um Abklärungen im Interesse des Kindeswohls fortzuführen oder sie das Gefühl haben, selbst in akuter Gefahr zu sein, brechen sie nach Rücksprache mit ihren Leitungen die Abklärung ab und versuchen nach Möglichkeit, besser geeignete Fachpersonen ausfindig zu machen. Sie arbeiten in Organisationen, in denen Rahmenbedingungen vorherrschend sind, die Abklärungen im Interesse des Kindeswohls ermöglichen.

Praxisprinzip 5

Wir streben danach, die Ressourcen, Potenziale und Widerstände von Eltern und Kindern produktiv zu nutzen

Abklärende Fachpersonen nutzen die Ressourcen, Potenziale und Widerstände von Eltern und Kindern. Sie versuchen, deren Entwicklungsmöglichkeiten zu fördern und zu erweitern. Sie wollen durch ihr Handeln dazu beizutragen, dem Wohl von Kindern und deren Eltern gleichermassen zu dienen, wissen aber, dass bei allem, was sie tun, die Sicherheit und Grundversorgung von Kindern oberste Priorität hat. Sie nehmen die Gefühle von Kindern und Eltern ernst, auch deren Widerstände, und versuchen, mit ihnen gemeinsam zu erkunden, welchen Sinn und welche Funktion diese haben. Sie widmen sich den Loyalitätskonflikten, Schuldgefühlen, Sorgen, Ängsten und Hoffnungen von Eltern und Kindern. Sie streben an, gemeinsam mit ihnen herauszufinden, in welcher Lebenslage sie sich befinden und welche Optionen bestehen, damit es ihnen in Zukunft wieder besser gehen kann. Sie unterstützen Kinder und ihre Eltern dabei, bislang übersehene oder ungenutzte Ressourcen zu erschliessen, die ihnen dabei helfen, ihre Potenziale zu nutzen. Sie ermutigen Eltern dazu, sich und ihr Leben im Interesse des Kindeswohls zu verändern, und bieten ihnen dazu Unterstützung an. Sie versuchen, ihnen Hoffnung zu geben und ihnen dabei zu helfen, sich und ihr Leben im Interesse des Kindeswohls zu verändern. Sie trauen ihnen prinzipiell zu, für das Wohl ihrer Kinder zu sorgen. Sie zeigen ihnen auf, welche Rechte und Grundbedürfnisse ihre Kinder haben, über welche Kompetenzen und Fähigkeiten sie verfügen und auf welche Leistungen sie zurückgreifen können, um das Kindeswohl zu gewährleisten. Sie verdeutlichen ihnen, welche Eingriffe in Elternrechte der Staat im Fall einer Kindeswohlgefährdung vornehmen kann, sofern sie nötige Veränderungen im Interesse des Kindeswohls nicht von sich aus vornehmen können oder wollen.

1 Die empirische Evidenz zu transgenerationaler Weitergabe von Kindesmisshandlung wird aktuell zumindest für einige Formen der Kindesmisshandlung wieder vermehrt kritisch hinterfragt (Widom/Czaja/ DuMont 2015).

2 Auch wenn es erforderlich ist, Sofortmassnahmen zum Schutz des Kindes oder der/des Jugendlichen einzuleiten, bedeutet dies nicht, dass abklärende Fachpersonen auf den Dialog verzichten. Es ist zweckmässig, wenn sie mit den Eltern und Kindern im Kontakt bleiben, um mit ihnen infrage kommende Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe und/oder zivilrechtlichen Kindesschutzmassnahmen zu erörtern (siehe Schlüsselprozess Sofortmassnahmen).

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