Читать книгу: «Sissi - Numquam retro ... Niemals zurück?», страница 3

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Es stellte sich keine rechte Freude bei Marissa ein. Offensichtlich wurden Leute zurückgelassen, die sich weiter in Gefahr befanden. Zudem steckte sie in verschmutzter, stinkender Kleidung, ihre Haut war grau und dreckig. Sie sehnte sich nach einer heißen Dusche, frischem Gewand, Nahrung, einem freundlichen Wort, die vertraute Umgebung …

Albert zog sie etwas heran. Marissa ließ ihn gewähren, obwohl sie, seit der rauen Übergriffe, bei jeder Berührung innerlich verkrampfte. Merkt er, wie aufgewühlt ich bin? Geht es ihm gleich? Matt blieben sie aneinander gelehnt sitzen, suchten gegenseitigen Trost, wollten etwas Nähe und Wärme spüren, während der Motor sowie die Rotorblätter gleichmäßig dröhnten.

Am Limit

»Geschafft, vorerst.« Alpha lag erledigt auf einer Liege. Sie hatten das Camp erreicht, kein Basiscamp, sondern eines von jenen, das unter größter Geheimhaltung stand. Hier gab es elf weitere Soldaten verschiedener Nationen, einen Heeresarzt, Medizin, Nahrung, Munition und Waffen untergebracht in Zelte und Container. Rundherum befanden sich alle in Alarmbereitschaft. Sie konnten im Augenblick nicht ausgeflogen werden. Rebellen hatten die Verfolgung aufgenommen und mittlerweile in der Nähe des Camps Position bezogen. Sie waren sauer, verdammt sauer! Das verhieß nichts Gutes! Es war nicht klar, um wie viele Feinde es sich handelte. Allerdings würden sie auf alles feuern, was am Himmel oder in der Umgebung auftauchte und nicht zu ihnen gehörte.

Omikrons Verletzung am Bein stellte sich als Streifschuss heraus, behinderte ihn kaum. Kappa lag hingegen regungslos und bleich auf seiner Liegestätte. Ihn hatte es am schwersten getroffen. Es war ein Wunder, dass er noch lebte. Die Kugel hatte sein Inneres zerfetzt. Ohne Hämostyptikum wäre er gewiss längst tot. Auch so machte ein operativer Eingriff keinen Sinn, und das lag nur bedingt an der minimalistischen Ausstattung des Camps, das nicht für derart heikle Verwundungen ausgelegt war. Man hatte ihn mit Schmerzmittel ruhiggestellt, damit er müheloser in die andere Welt hinübergleiten konnte.

Der Arzt behandelte indes Alphas Schulter. »Wir müssen die Kugel rausholen. Je früher, desto besser. Wie es ausschaut, hat sie kein wichtiges Gefäß verletzt.«

Alpha ächzte. Der Fremdkörper steckte zwischen den Knochen, ebenso die Splitter. Zum dritten Mal in seinem Leben würde er darauf hoffen müssen, dass sie alles entfernen könnten. Er hatte stets eine gute Wundheilung, aber eine Verletzung war eine Verletzung, brauchte Ruhe, um auszuheilen. Diese Ruhe gab es in seinem Beruf kaum, weshalb wohl einige der alten Wunden nie schmerzfrei geworden waren und seinen Alltag zuweilen erschwerten. »Bekomm ich was gegen die Schmerzen?«

»Später, noch ist es zu früh für die nächste Dosis. Außerdem, du bist Elite, da wirft dich so ein Kratzer nicht gleich um.« Mit diesen Worten ließ der Arzt ihn allein.

Idiot! Alpha erhob sich auf wackeligen Beinen, stellte sich seitlich zum Fenster, damit man ihn von draußen nicht ausmachen konnte. Er spähte hinaus. Bald würde der Tag anbrechen. Die Schüsse zogen wie helle Blitze über den Himmel. Er starrte auf seine verschmutzten Hände, die Abschürfungen zeigten und vom Pulver geschwärzt waren. Im Lager konnte man sich bloß notdürftig reinigen, da es kein fließendes Wasser gab.

Alphas Blick fiel auf Kappa. »Leo«, sprach er ihn mit dem realen Namen an. Der Freund reagierte nicht, sein Atem ging schwer, dazwischen gab es lange Pausen. Er wusste, was das bedeutete. Es handelte sich um wenige Stunden, wenn überhaupt, bis Leos Leben für immer erlöschen würde. Er berührte kurz dessen Schulter und schaffte es kaum, die eigenen Qualen in ihm verborgen zu halten.

Ob es ein Leben nach dem Leben gibt? Wie absurd! Oder nicht? Langsam schlich Alpha zu seiner Liege zurück. Es dauerte eine Weile, bis sich der Schwindel gelegt hatte. Er langte nach dem Handy. Vor dem Camp ging es rund. Sie wurden ordentlich unter Beschuss genommen, ein Aufflackern, bevor der neue Tag richtig beginnen würde. Frustriert drückte Alpha auf die Aufnahmefunktion im Messenger, ehe ihn die Kraft verließ, er mit den Tränen kämpfte und sein Gesicht im Kissen verbarg.

Entsetzen

Bestürzt saß ich aufrecht im Sessel. Das Frühstücksmüsli schmeckte mir nicht mehr. In der Hand hielt ich mein Mobiltelefon. Ich schaute auf die Mitteilung, die um drei Uhr vierunddreißig bei mir eingegangen war. Von Arno. Nun war es acht Uhr. Statt wie ich es sonst täglich tat, am Handy die neuesten Nachrichten zu lesen, spielte ich fortwährend die wenige Sekunden andauernde Audiodatei auf dem Smartphone ab. Ich vernahm das dumpfe Dröhnen sowie Rauschen von Schüssen und Detonationen. Ich hatte bereits Vergleichbares in einem Kriegsfilm im Kino oder Fernsehen gehört, aber das hier verwirrte mich immens.

Warum schickt mir Arno eine solche Aufnahme? Ist das ein Filmmitschnitt? Im Hintergrund hörte ich ein verzweifeltes Stöhnen, womöglich ein ersticktes Schluchzen. Als Krankenschwester wusste ich, wie sich Menschen in Not anhörten, wenn sie Schmerzen hatten. Neuerlich drückte ich auf die Aufnahme. Es klang dumpf, als wäre es außerhalb von einem Gebäude. Ist er in Gefahr? Weshalb?

Innerlich fluchte ich, dass ich das Handy nachts auf Vibration gestellt und mich der Summton nicht aufgeweckt hatte. Hey, alles gut bei dir?, tippte ich. Es blieb bei einem einfachen grauen Haken, der anzeigte, dass die Nachricht nicht durchgegangen war. Unschlüssig nestelte ich an meiner langen blonden Haarsträhne. Ich hatte ein ungutes Gefühl in der Magengrube, schielte aufs Display. Unverändert. Seufzend stand ich auf. Ich musste etwas gegen die nervenaufreibende Warterei tun. Entschlossen holte ich den Fenstersauger aus der Abstellkammer hervor und begann damit, die Glasscheiben zu reinigen.

Seitens Arno gab es keine Reaktion. Obwohl er kurz Online gewesen war, wie es mir angezeigt wurde, hatte er nicht zurückgeschrieben. Meine Frage blieb weiterhin ungelesen, was mich beunruhigte. Bei jedem Signalton zuckte ich zusammen. Ich schaute auf diverse belanglose E-Mail-, WhatsApp- und Facebook-Nachrichten, wurde rastloser, da mich die Piepstöne regelrecht aufwühlten.

»So geht’s nicht weiter!«, schimpfte ich mit mir, als ich zum zigsten Mal den Lappen aus der Hand legte, um am Display auf die eingegangene Mitteilung zu schauen. Kurzerhand stellte ich einen Zischlaut und gelbes Licht für den Messenger ein. Momentan war Arno der Einzige, der mich über dieses Medium kontaktierte.

Es war Mittag geworden, Nachmittag und früher Abend. Indes blitzte meine Wohnung. Das Bett war frisch überzogen, Bad und WC geputzt, die Böden feucht aufgewischt. Der Haken blieb grau, doch immerhin gab es zwei davon, also war die Nachricht zumindest weitergeleitet worden. Ich konnte mir darauf keinen rechten Reim machen. Ein leiser Hang an Selbstzweifel überfiel mich. Will er nicht mehr schreiben, da er weiß, dass ich seine ehemalige Nachbarin bin?

Als Kind und Jugendliche hatte ich aufgrund meiner Schüchternheit sowie der vermehrten Kilos bloß wenige Freundschaften geschlossen. Optisch, mit der verschlissenen Kleidung, empfand ich mich damals eher wie ein hässliches Entlein. Meine Eltern mussten jeden Cent umdrehen. Sie sparten für meine Ausbildung, dafür, dass ich den Traum erfüllen konnte, Krankenschwester zu werden. Erst später, mit Papas Tod, realisierte ich, dass sie etliches für meine Zukunft zur Seite gelegt hatten.

Inzwischen kannte ich den Grund für das einstige Übergewicht. Eine Erkrankung namens Hashimoto, eine chronische Entzündung, hatte bei mir zur Zerstörung des Schilddrüsengewebes geführt. Infolgedessen arbeitete die Schilddrüse nur mehr auf Sparflamme, dem konnte ich mittlerweile gut mit einem Medikament entgegenwirken. Mein Körper zeigte zwar nach wie vor Rundungen, doch die überflüssigen Kilos waren weggeschmolzen.

Ob Arno so oberflächlich ist? Nein! Unvorstellbar! Er wollte mit mir in Kontakt bleiben! Müde machte ich mich auf ins Bett. Ich war mir sicher, dass es nicht sein Plan sein konnte, mir so eine Aufnahme zu schicken. Neben mir schnurrte mein getigerter Kater. Er wirkte zufrieden. Ich knuddelte ihn eine Runde. Die Unruhe blieb bestehen. Ich schielte zum Buch auf dem Nachtschrank, ein Historienroman, aus dem ich gerne ein paar Zeilen las. Dazu fehlte mir grade die Energie sowie Konzentration, zudem musste ich morgen früh raus. Tagdienst. Ich war psychiatrische Krankenschwester im Grazer Landeskrankenhaus auf einer Frauenstation, mit einigen Mutter-Kind-Einheiten.

Momentan wollte ich nicht an die Arbeit denken. Gähnend löschte ich das Licht, während sich im Kopf das Gedankenkarussell weiterhin um Arno drehte, sodass ich dahindöste.

Irgendetwas vibrierte. Wie automatisch griff ich nach dem Handy. Arno hatte einen Kuss-Smiley gesendet. Mit einem Schlag war ich hellwach.

Hey, schön, dass du dich meldest.

Warum sollte ich nicht?

Warst ein bisschen ruhig, hab mir Sorgen gemacht. Alles gut bei dir?

Nicht wirklich, bin heute operiert worden.

Oh! Was ist passiert?

Das darf ich nicht sagen. Bin weit weg von dir.

Das Audio klang danach. Bist du in Gefahr?

Arno schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. Fuck, das Audio! Warum hab ich ihr das geschickt? Er wusste weshalb. »Wir werden alle krepieren«, stieß er bitter aus. Er hatte die Geheimhaltung so satt. Zumindest momentan. Nie mehr werde ich die Heimat sehen! Nie mehr meine Tochter! Da spielt die verbotene Schreiberei keine Rolle mehr! Unehrenhaft entlassen? Viel eher wird es in absehbarer Zeit Missing in Action heißen!

Seine Hand zitterte, als er eine Entgegnung tippte:

Sorry, ich wollt dich damit nicht beunruhigen. Die Aufnahme war ein Versehen.

Ein Versehen? Was ist los bei dir?

Hmm …

Willst du nicht antworten?

Ich darf nicht – ich kann nicht. Hat das eigentlich eine Bedeutung?

Was denn?

Irritiert runzelte ich die Stirn. Schließlich leuchtete das gelbe Signallicht, das mir eine neue Nachricht anzeigte. Ich betrachtete eine geschwärzte Handinnenfläche. An den Fingerkuppen entdeckte ich Abschürfungen. Um das Handgelenk war ein dunkles Lederarmband geschlungen.

Die eine Linie ist ganz weiß. Ist das irgendein Zeichen? Dafür, dass ich bald sterbe?

Ist seine Verletzung schlimmer, als er zugeben will? Welche Linie meint er? Ich schluckte, musterte genauer das letzte Bild. Meint er die Lebenslinie? Die hob sich zumindest weißlich von der verschmutzten Hand ab.

Sag, muss ich mir Sorgen machen? Hast du Blut verloren? Du wirst nicht sterben, die Haut wirkt zu trocken, da können sich die Linien farblich verändern. Das ist nicht besorgniserregend.

Er ächzte. Darf ein einzelner Mensch überhaupt solche Qualen ertragen? Mittlerweile schmerzte nicht nur die Schulter, sondern es pochte überall im Körper. Die Uniform klebte wie eine zweite Haut an ihm, der Innenraum war spürbar aufgeheizt. Sein einziger Lichtblick war Sissi, die ihm etwas Ablenkung schenkte.

Du denkst sicher, ich spinne. Sorry. Ich kenne mich grad selbst nicht mehr.

Offenbar geht es dir nicht gut. Und soll ich dir was sagen, deine Lebenslinie zeigt aufsteigende Äste. Das heißt, dass du daran arbeitest, Lebenskrisen positiv zu überwinden.

Woher weißt du das?

Ich hab irgendwo im Regal ein Handlese-Buch. Es gab eine Zeit, in der ich mich damit beschäftigt habe. Ein paar Dinge sind da unweigerlich hängengeblieben.

Was siehst sonst so?

Die Kopflinie ist oben eher gerade, das bedeutet, dass du mit reichlich Energie an gewisse Dinge herangehst. Nach unten hin ist sie geschwungen, das steht für einen umgänglichen Menschen, mit Sinn für Schönes und einem Romantiker. Auch dafür, dass oft dein Kopf über dein Herz entscheidet.

Danke, du bringst mich zum Lächeln. Weißt, ich lieg in einem Zelt, das ist keine Universitätsklinik, sondern eine ziemlich abgespeckte Version. Und ich bin noch schmutzig.

Besser wie unter einem Baum oder in einer Höhle, oder? Wichtig ist, dass du versorgt wirst. Andere gehen für diesen Braun-Schwarz-Ton ins Solarium. Ich schickte einen Zwinker-Smiley hinterher.

Arno entwich ein Grinser, fast zeitgleich fluchte er, da von der Schulter ausgehend ein scharfer Schmerz ihn durchflutete. Er brauchte ein paar Momente, wischte sich Schweißtropfen aus der Stirn. Erst danach suchte er das Bild eines Lach-Smileys heraus, um es seinerseits retourzusenden.

Ich bin versucht, dir andere Fotos zu schicken, doch da mach ich mich strafbar. Eigentlich darf ich nicht einmal mit dir schreiben, aber ich weiß, wie man das geheim macht. – Wenn wir uns jemals treffen oder sehen sollten – das hier hat es nie gegeben, bitte.

Natürlich, du bist Schlosser.

Du könntest echt beim Geheimdienst anfangen. Stör ich dich eh nicht? Hast sicher Besseres zu tun, als mit mir zu schreiben.

Nein, du störst nicht – außer, du bist zu müde und willst schlafen.

Hast du mal richtige Schmerzen gehabt?

Wahrscheinlich nicht solche, an die du denkst, oder hast.

Die spinnen hier!

Der Arzt kam herein, um nach Kappa zu sehen. Alpha setzte sich stöhnend auf, da auch seine Wunde kontrolliert wurde. »Au, pass auf, was drückst du da so herum? Gib mir besser was gegen die Schmerzen?«

»Seit wann seid ihr von der Elite so zimperlich?«, kam es trocken retour.

Alphas Zähne mahlten vor Zorn aufeinander, da der Doktor ihn neuerlich mit so einem blöden Spruch abfertigen wollte. »Ich hab Schmerzen, gib mir was!«, wiederholte er fest.

»Du bekommst dann etwas, wenn ich es für richtig halte. Wir haben keine unendliche Quelle, die jederzeit auffüllbar ist.«

Alpha griff nach dem Gewehr zu seiner Linken. Es war geladen und entsichert. Mit einer geübten Bewegung brachte er es hoch, zielte auf den Arzt. »Keine Hinhaltetaktiken! Sonst puste ich dir den Schädel weg – und dann mir!«

Sein Gegenüber schaute in Alphas Gesicht, forschte darin, wie ernst er das Ebengesagte meinte. »Ich muss dir wohl nicht erklären, dass es erforderlich ist, die Mittel zu rationieren. Wie’s ausschaut, wird die Belagerung der Rebellen Tage andauern.«

»Jetzt! Eine gute Tat in den letzten Lebensstunden könnte hilfreich für dich sein, dass du doch in den Himmel und nicht in die Hölle kommst.«

»Du redest so einen Blödsinn! Ist dir das eigentlich klar?«

»Ich? Wenn du Grips hast, nach draußen schaust, wirst du selbst erkennen, wie aussichtslos unsere Lage ist.« Alpha hielt dem Blick des Arztes stand. Sekunden stierten sie einander an, ehe dieser unwirsch ein: »Meinetwegen« ausstieß und davoneilte.

Wollen sie dir kein Schmerzmittel geben? Oder zu wenig?, las Arno Sissis Nachricht. Erst jetzt spürte er, wie angespannt sein gesamter Körper war. Er bewegte sich echt am Limit. Nein – längst darüber hinaus!

Es ist zu wenig Zeug da. Ich soll es aushalten, weil ich Elite bin, kommentierte er.

Das ist Mist, da steigt dein Schmerzlevel immer höher, und du brauchst länger, bis er wieder herunten ist.

Da kennst du dich besser aus. Hab eh was gesagt. Ich hoffe, sie kommen bald. Sonst werde ich wirklich verrückt.

Siehst – wenn man vom Teufel spricht – im Anmarsch.

Erleichtert sank Arno auf die Pritsche, streckte seinen Arm entgegen, in dem seit der Operation ein Venenkatheter steckte.

Dann hoffe ich, dass die Mittel rasch wirken.

Werde schon vollgesaugt mit den Flaschen. Bin total groggy. Ich melde mich morgen, wenn ich darf.

Er legte das Handy zur Seite. Falls ich mich noch melden kann, geisterte es durch seinen Kopf, ehe er dankbar die Augen schloss und sich darüber freute, dass die Schmerzen nachließen.

Natürlich! Schlaf gut.

Das Handydisplay erlosch, tauchte mein Schlafzimmer in ein tiefes Schwarz. Die Gedanken rotierten in mir. Ist Arno in einen Schusswechsel geraten? So wie er schrieb, war es naheliegend, dass er ein Soldat sein musste. Zumindest würde das die kuriose Audioaufnahme erklären und weshalb er die Entfernung erwähnt hatte. Ich wusste von Leuten, die einer Spezialeinheit angehörten, im Ausland dienten, Territorien bewachten, versuchten, dass sich inländische Gruppen nicht zu sehr bekriegten. Etwas in der Art? Oder spielt mir die Fantasie einen Streich?

Der Film Black Hawk Down kam mir in den Sinn. Dann die Vorführung bei der Airpower, einer Flugshow, bei der Soldaten sich abgeseilt und eine Geiselbefreiung nachgestellt hatten. Solche Geheimeinsätze gab es somit im wahren Leben, auch wenn kaum etwas an die Öffentlichkeit gelangte und meist nur kurz in den Medien darüber berichtet wurde.

Ich öffnete die Facebook-App, besah mir Arnos Profilbild genauer. Mit dem schwarzen Haar, seinem Drei-Tage-Bart und der Sonnenbrille wirkte er wie ein Mafioso, distanziert. Sein Körper war definitiv durchtrainiert, wie ich auf weiteren Bildern feststellte. Auf anderen Fotos fand ich, schaute er nachdenklich sowie melancholisch drein. Ich erinnerte mich an den Jungen mit den braunen Cordhosen, der scheinbar vor nichts und niemanden Angst hatte. Er besaß ein ausgeprägtes Gefühl für Gerechtigkeit, griff bei Streitereien ein, wenn ältere Burschen auf schwächere losgegangen waren. Ich mochte ihn schon damals, trotz seiner Lausbubenader, die zuweilen dazwischenfunkte.

Was weiß ich von ihm? Unsere Kindheit liegt lange zurück, eigentlich ist er ein Fremder für mich. Es wirkte grad alles ziemlich mysteriös. Mein ansonsten vorhersehbares Leben wurde durcheinandergewirbelt. »Wer bist du?«, hauchte ich in die Nacht.

Alles geheim

»Wie ist das zu verstehen?« Marissa betrachtete ungläubig den Mann in der maßgeschneiderten Uniform, der Albert und ihr am Tisch gegenübersaß. An den zahlreichen Abzeichen erkannte sie, dass es sich um ein hohes Tier handeln musste. Sie befanden sich inmitten des Krankenzimmers, das im sterilen Weiß erstrahlte. Es stellte einen deutlichen Kontrast zur verborgenen Baracke dar, in der sie Tage als Geisel zugebracht hatten.

Der Offizier räusperte sich. »Ich muss Sie bitten, das hier zu unterzeichnen. Herr Gruber hat es bereits getan. Es darf kein Wort – über den Vorfall – nach außen gelangen.«

Marissa blickte zu Albert, der zustimmend nickte. Sein Schulterbruch wurde mit einem Spezialverband stabilisiert, ein paar Rippen waren angeknackst. Obwohl er es gut verbarg, wusste sie, dass er Schmerzen hatte.

»Schauen Sie, um solche Missionen in Zukunft erfolgreich absolvieren zu können, bedarf es absoluter Geheimhaltung. Immer wieder gelangen Menschen unverschuldet in kritische Situationen. Oberste Priorität ist es, unsere Männer zu schützen, damit sie unerkannt bleiben und nicht angreifbar werden. Die Zeiten, in denen sich die Regierungen der Länder erpressen ließen und abnorme Summen an Lösegeldforderungen bezahlt haben, sind längst vorbei. Die dort unten kennen nur eine Sprache. Welche das ist, haben Sie am eigenen Körper erfahren.«

Als Marissa an die Gewaltbereitschaft und die Übergriffe dachte, begann sie augenblicklich zu zittern. Das Handgelenk, das mit einem dicken Verband umwickelt war, pochte schmerzhaft. Im Krankenhaus hatte man sie eingehend untersucht. Es wurde ihr Blut abgenommen, um es auf etwaige Krankheiten zu testen, wie: HIV, Hepatitis In den kommenden Tagen sollte sie die Ergebnisse erhalten, und in einigen Wochen würde sie die Werte nachkontrollieren lassen müssen.

Wenigstens bin ich nicht schwanger geworden! Einen Tag nach der Befreiung hatte ihre Menstruation eingesetzt. Am meisten haderte sie allerdings mit dem schwarzen Loch in ihrem Kopf. Offenkundig waren sie stundenlang von der Wüste in ein entlegenes Gebiet Nähe Source Trafant verschleppt worden, zumindest hatte ihnen das der Offizier mit ernster Miene erklärt. Kein Wort wird nach draußen gelangen! Hastig nahm sie den Stift in die Hand, unterzeichnete das Papier mit krakeliger Schrift: Marissa Huber.

»Ich danke Ihnen.« Der Offizier griff nach dem unterschriebenen Blatt.

»Sind inzwischen die anderen Soldaten in Sicherheit?«, erkundigte sie sich mit bebender Stimme.

»Darüber darf ich keine Auskunft erteilen.« Er nickte ihnen zu, verließ das Krankenzimmer.

»Das bedeutet wohl so viel wie ein Nein«, murmelte Marissa.

Albert griff nach ihrer Linken. »He, wir haben überlebt. Das ist das Wichtigste«, sprach er matt. Es klang wie ein auswendig gelernter Satz, vielleicht mit der Hoffnung, dass sich dieser irgendwann richtig und nicht wie eine leere Phrase anfühlen würde.

Marissa entzog ihm den Arm. »Ein schreckliches Leben.« Mit all dieser Erniedrigung … So nah am Tod! Sie schaffte es nicht, sich darüber zu freuen, dass sie lebte. Bedrückt starrte sie zum Fenster hinaus, der Himmel zeigte sich dunkelblau und wolkenlos. Ich wäre lieber an Simons Stelle gewesen. Noch jetzt war es ihr, als würden schmierige Hände sie grob packen und in eine Ecke drängen. Marissa räusperte sich, da der Kloß im Hals ihr spürbar den Atem nahm.

»Wie geht es dir in den Gesprächen mit der Psychologin?«, fragte Albert nach. »Sie wird uns helfen, den Schrecken zu verarbeiten. Sollen wir gemeinsam eine Stunde bei ihr machen? Sie hat es vorgeschlagen. Zumindest, solange die Möglichkeit besteht.«

Marissa ächzte. Helfen? Das ist so einfach daher gesagt. Und darüber reden? Niemals! Eine neue Woge aus Beklemmung und Panik überflutete sie. Äußerlich war sie sauber, steckte in frischer Kleidung, während sie sich innerlich beschmutzt fühlte. Ob ich es je schaffen werde, die Ängste in mir zu verbannen? Mit bebenden Fingern strich sie über den Verband, der den verzweifelten Versuch sich zu töten verbarg.

Den Rucksack mit ihren persönlichen Dingen, der im Außencamp zurückgeblieben war, hatte man gefunden, ihr inzwischen gebracht. Sie besaß somit die Möglichkeit, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen, könnte sich per Handy bei ihrer Freundin Gerti melden. Bislang hatte sie es nicht getan. Auch ihr muss ich eine Lügengeschichte auftischen, um mein Wort, Stillschweigen zu bewahren, nicht zu brechen. Ich kann nur einem gegenüber ehrlich sein: Albert. Bald ist er in Deutschland, während ich nach Österreich zurückkehre, dachte sie traurig. Sie beide hatten inzwischen die Telefonnummern ausgetauscht. Ob wir über so eine weite Entfernung den Kontakt aufrechterhalten können? Das steht auf einem anderen Blatt.

»Wann und wieso ist eigentlich dein Sohn gestorben?«, fragte Marissa in die Stille.

Albert zuckte zusammen, als ob sie ihn geschlagen hätte. »Du weißt davon?« Er klang verblüfft.

»Ja, die Ketamin-Injektionen, oder was für ein Zeug es nun war, haben dich gesprächig gemacht.«

Sein Gesicht wurde verschlossen. »Autounfall«, presste er hervor.

Marissa hakte nicht nach. Manchmal gab es Sachen, die man lieber für sich behielt, auch wenn das meist nicht zu den schlauesten Entscheidungen gehörte.

»Ich war schuld«, fuhr er doch fort. »Jung, dumm? Nein – es gibt keine Entschuldigung dafür, dass ich mich zugedröhnt ans Steuer gesetzt habe. Ich war viel zu schnell unterwegs. Er hatte keine Chance, wurde aus dem Sitz geschleudert.« Albert war ganz leise geworden. Sein Gesicht verzog sich grimassenhaft, als litte er unter heftigen Schmerzen.

Marissa fasste nach seinem Arm, wollte ihm Beistand geben.

»Nein, nicht. Das werde ich mir niemals verzeihen.« Er rückte ein Stück von ihr ab. »Ebenso wenig wie es mir meine Ex verziehen hat. Seit damals hab ich keine Drogen mehr angerührt, nicht einmal Alkohol.«

»Wie heißt dein Sohn?«

Albert suchte überrascht ihren Blick, wahrscheinlich, weil sie nicht die Vergangenheitsform gewählt hatte. »Gabriel. In zwei Monaten wäre er sechs Jahre geworden. Gestorben ist er mit eineinhalb.«

»Ob wir je lernen werden, mit unseren Fehlentscheidungen zu leben? Ein gewisser Schmerz wird ewig bestehen bleiben … Du wärst ein fantastischer Vater gewesen. Da bin ich sicher.«

Seine Augen schimmerten nass. »Das finde ich niemals mehr heraus«, stellte er bitter fest. »Warum bin nicht ich an Simons Stelle gestorben? Wenn ich nicht so ein Feigling wäre, würde es mich schon lange nicht mehr geben. Obwohl, ich wollte mich nie aus der Verantwortung stehlen … Fast hätten es die Injektionen und die Anfälle geschafft. Fast …«

Marissa schluckte betroffen. Es stand Albert deutlich ins Gesicht geschrieben, wie ihn das schlechte Gewissen, bezüglich der Nachlässigkeit gegenüber dem Sohn, quälte. So ausgelassen hat er vor kurzem am Lagerfeuer und inmitten der Sanddünen gewirkt.

Die Geiselnahme hatte sie beide angreifbar gemacht. Die Schutzmauern, die bislang die eigenen Empfindungen gut verborgen hielten, waren mühelos eingerissen worden. Marissa hörte die Worte des Arztes im Ohr, als dieser mit ihrem Urlaubsfreund gesprochen hatte: Herr Gruber, seien Sie froh, dass Sie am Leben sind. Die grausamen Foltermethoden hätten im schlimmsten Fall ihre Wirbelsäule brechen können. Das wäre lebensbedrohlich gewesen.

Sie stöhnte gequält. Lebensbedrohlich – das mochte Albert nicht erschüttern. Das Weiterleben ist die Herausforderung. Für uns alle. Sie hatte sich ebenso den Tod gewünscht. Ob es bei Simon Angehörige gibt? Wenn ja, was wird man denen erzählen? Wurde sein Leichnam inzwischen gefunden? Oder wird er auf ewig verschollen bleiben? … Ich werde es nie erfahren …

Lautlos rannen Tränen über ihre Wangen. Alberts Backen waren ebenfalls nass, während er wie hypnotisiert im Stuhl saß, als wäre er erneut durch eine Injektion ausgeknockt worden. Wenige Zentimeter trennten sie voneinander, dennoch fühlte sich Marissa verloren und einsam, wagte nicht, nach seiner Hand zu greifen. Niemand wird uns diesen Schmerz nehmen können!

Sissis Mutter

Bei meinem Dienst musste ich mich zusammenreißen, um mich konzentrieren zu können. Arno blieb in meinen Gedanken präsent. Wie es ihm geht? Ob er Schmerzen hat? Wo befindet er sich? Ist er noch immer in Gefahr? In der Körpermitte, in der Höhe zwischen Bauchnabel und Brustbein, das dem Sonnengeflecht zugeordnet wurde, breitete sich fühlbar ein eisiger Knoten aus, der die Sorge weiter verstärkte. Wenigstens hatte ich nach Arbeitsende einen Besuchstag bei meiner Mutter Agnes im Seniorenzentrum eingeplant. Ich hoffte somit auf etwas Ablenkung.

Mein Vater Ludwig lebte seit einem Jahr nicht mehr, gestorben an einem Herzinfarkt. Erst im Alter hatte er seine sanften und aufopfernden Seiten deutlicher gezeigt. So liebevoll und achtsam hat er Mama umsorgt! Sein Tod veränderte alles, er hinterließ eine große Lücke. Neben meinem Beruf schaffte ich es nicht, Mutter weiter zu betreuen. Ihr Geist war klar, doch eine Osteoporose machte ihren Körper gebrechlich und schwach. Es reichte oftmals ein kurzes Stolpern, schon war irgendein Knochen gebrochen, unmöglich, Mama unbeaufsichtigt zu lassen.

Ich hätte es nie mit dem Gewissen vereinbaren können, dass sie womöglich irgendwo am Boden ausharren müsste, über Stunden, ehe ich heimkommen und es bemerken würde. Meine Überlegungen, die Mietwohnung zu adaptieren, oder umzuziehen, damit eine Rundumbetreuung möglich wäre, schlug Mama in den Wind.

»Kind, sei nicht albern«, pflegte sie zu sagen, »was wirst du dich in Unkosten stürzen, wenn es im hiesigen Seniorenheim so einen schönen Platz für mich gibt. Dort habe ich alles, und du bist nicht belastet. Nimm das Angesparte von Vater, kaufe dir ein eigenes Reich, bau dir eine Zukunft auf. Das wäre in seinem Sinn.«

Im Innersten sträubte ich mich dagegen. Schlussendlich fügte ich mich ihrem Wunsch, leistete mir eine neu errichtete Eigentumswohnung, mit einem kleinen angrenzenden Garten, den ich nutzen konnte und einem Carport, in dem mein Subaru Platz fand. Die persönlichen Sachen aus der alten Unterkunft der Eltern zu räumen, war für mich, als hätte ich ein Stück Heimat verloren. Ich wusste, dass es Mama ähnlich ergehen musste. Trotzdem sprach sie oft von früher, schwelgte in jener Zeit, auch wenn sie voller Entbehrungen war.

In materiellen Dingen fehlte ihr inzwischen nichts mehr, aber das konnte weder den Ehemann noch die Jugend oder die Gesundheit zurückbringen. Seit Mamas letzten Sturz im März benötigte sie einen Rollstuhl, konnte nur mehr Kurzstrecken aus eigener Kraft bewältigen.

Ob sie froh über diesen Neuanfang ist, wo nicht in jeder Ecke eine Erinnerung lauert, mit der Gefahr, dass diese schmerzhaft emporlodert? – Neuanfang? Ein Seniorenheim gleicht eher der Endstation

Ich parkte vor dem Frohnleitener Seniorenzentrum, einem gelb-blauen Gebäudekomplex. Frustriert stieg ich aus dem roten Subaru, schaute Richtung Himmel empor. Ich verharrte einen Moment, spürte die wärmenden Sonnenstrahlen auf der Haut meines Gesichts, die mich besänftigten. Bei diesen behaglichen Temperaturen stand einem ausgedehnten Spaziergang nichts im Wege.

Mama wartete im Eingangsbereich auf mich. Nachdem wir uns geherzt hatten, umfasste ich die Schiebegriffe, schob sie vor mir her. Wir erreichten nach wenigen Minuten die Murpromenade. Ich platzierte den Rollstuhl neben einer Sitzbank. Ein Baum spendete uns Schatten. Von dort schauten wir gerne den Enten zu, die scheinbar unermüdlich ihre Runden schwammen. Unweit spazierte eine Frau mit einem Hund an der Leine, Radfahrer fuhren recht zügig an uns vorüber.

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9783750223202
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