Читать книгу: «Alsuna Jasmin - Sonnenblume», страница 4

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»Irgendwie will – wobei wollen ist das falsche Wort – also ich denke, ich sollte zu Onkel Willi. Wenn jemand den Kerl kennen könnte, dann wohl er. Vielleicht finde ich etwas heraus, was auch für die Polizei von Interesse ist. Und du kennst ihn, Fremden gegenüber macht er gerne auf schweigsam.«

»Das liegt bei euch definitiv in der Familie. Zudem habt ihr alle einen Hang dazu, euch einzuigeln.«

Ich zog eine Schnute, obwohl ich wusste, dass Mara diese Aussage nicht böse meinte.

»So, was hältst du von einer Ablenkung? Du weißt, ich habe heute den ganzen Tag für dich freigehalten. Sollen wir eine kleine Runde spazieren gehen? Oder einen Film ansehen?«

Ich fuhr mir mit der Hand über das Gestrüpp am Hinterkopf. »Gilt dein Angebot noch für das Haare schneiden? Ich brauche etwas Veränderung. Denkst du, dass mir ein Schwarz stehen könnte?«

»Schwarz? Doch nicht dauerhaft?« Mara zog eine Augenbraue hoch. »Bist du dir sicher? So eine Farbe bekommst du nicht mehr so leicht raus, und du weißt, ein Blondieren danach könnte die Haarstruktur angreifen.«

»Jetzt, wo sich alles im Umbruch befindet, passt kein fades Blond. Und auch Mama hatte so schönes dunkles Haar …«

»Oh, ich verstehe, dadurch fühlst du dich näher mit Natascha verbunden, nicht wahr?«

Ich nickte zustimmend.

Mara klatschte in die Hände. »Dann hopp auf, Süße, lass dich überraschen und ein bisschen von mir verwöhnen!«

Onkel Willi

Ich parkte vor Willis Stammkneipe im Ort, denn bei ihm Zuhause hatte ich ihn nicht angetroffen. Sicherheitshalber befand sich etwas Hochprozentiges in meiner Tasche, was seine Gesprächigkeit im Normalfall förderte.

Tief atmete ich durch. Ich klappte den Innenspiegel im Wagen herunter, begutachtete die neue Frisur, die mir Mara verpasst hatte. Ein Tiefschwarz spiegelte sich darin. Mein Haar endete etwas über den Schultern, war schräg nach vorne geschnitten, mit feinen Abstufungen um das Gesicht. Momentan trug ich es, weil es praktischer war, zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Mara hatte statt einer Permanentfarbe zu einer Tönung gegriffen, die sich nach und nach auswaschen würde. Eine umsichtige Wahl ihrerseits. Ich war dankbar dafür, dass es Mara gab! Sie war die allerbeste Freundin, die man sich wünschen konnte! Wir hatten einander in der Fachschule für wirtschaftliche Berufe kennengelernt, waren zwei pubertierende Mädels mit fünfzehn Jahren gewesen. Anfangs hatte Mara gedacht, bedingt durch den Vornamen Alsuna, ich hätte einen Migrationshintergrund und würde schlecht Deutsch sprechen. Zumindest war das für sie der naheliegendste Grund bezüglich meiner Zurückhaltung.

Als sie mich zum ersten Mal ansprach, redete sie betont langsam und versuchte, jeden Dialekt zu vermeiden, der in unseren Breiten üblicherweise verwendet wurde. Das klang seltsam und brachte mich zum Schmunzeln. Als sie mir dann auch noch Deutschhilfe in Aussicht stellte, konnte ich nicht mehr an mich halten und war wegen ihres Fehlschusses in kaum enden wollendes Gelächter ausgebrochen. Das hatte das Eis gebrochen und uns zu besten Freundinnen gemacht.

Optisch gaben wir Mädels einen totalen Kontrast ab. Mara war etwa einen Meter sechzig groß, mit fraulichen Pfündchen gesegnet und quirlig, während ich mich mit meiner schlanken Figur bewusst im Hintergrund hielt und lieber beobachtete. Häufig kam es vor, dass ich beim Fortgehen in der Disco am Rand saß, während Mara auf der Tanzfläche herumwirbelte. Oder ich umschiffte die Menschenansammlungen in der Disco gekonnt, indem ich mich in eine dunkle Ecke verzog, in der maximal Liebespärchen hockten, die von mir ohnehin keine Notiz nahmen. Genauso passte es für mich, denn ich wollte nicht im Mittelpunkt stehen, das tat ich bei meiner Mama zu Genüge. Dort im Schatten, mit der Musik im Hintergrund, das war damals mein Stückchen Freiheit gewesen.

Ich seufzte. Was würde ich jetzt für Mamas Aufmerksamkeit geben! Nie hätte ich gedacht, dass mir diese übertriebene Fürsorge einmal fehlen könnte! Ich vermisste Mama! Zittrig langte ich zu meinem Handy, öffnete die Anrufliste, sah auf ihr kleines zugeordnetes Bild – eine Aufnahme aus der Bibliothek, die mir vollgeräumte Regale mit Büchern präsentierte. In meinem Ohr hörte ich nach wie vor ihre verzweifelte Stimme.

Wütend und traurig zugleich stopfte ich das Smartphone in den Rucksack hinein. Ich wollte endlich Antworten auf meine Fragen finden! Auf zu Willi! Ich nahm die Tasche hoch, schulterte sie linksseitig und achtete darauf, dass sie nicht gegen meine Verbrennung am Rücken pendelte. An sich spürte ich die Verletzung immer weniger, doch druckempfindlich war sie nach wie vor.

Suchend trat ich in die Kneipe ein. Untertags waren kaum weitere Gäste anwesend. Willi saß in der hinteren Ecke und starrte vor sich in ein leeres Bierglas. Ich rümpfte die Nase, es roch etwas muffig und nach abgestandenem Rauch, obwohl offiziell in Kneipen-Innenräumen Rauchverbot herrschte. Langsam ging ich auf ihn zu.

Mit gedrücktem Blick schaute Willi zu mir auf. Er brauchte ein paar Momente, bis er mich erkannte, dennoch sagte er zu meinem veränderten Aussehen nichts. Stattdessen erklang ein heiseres verwaschenes: »Es tut mir leid.«

Ich nickte, sollte ihm ebenso mein Beileid ausdrücken, schaffte es nicht. Bestimmt fehlten ihm die warmen Gratis-Mahlzeiten, dachte ich verbittert. Früher hatte er hin und wieder Hilfsarbeiten angenommen, dazu hatte er sich in den letzten Jahren nicht mehr aufgerafft. Ich schielte auf seine zitternde Hand, die davon zeugte, dass er seinen gewohnten Alkoholspiegel noch nicht erreicht hatte, und ließ mich auf einen freien Stuhl ihm gegenüber nieder.

»Hast du eine Ahnung, wer das getan haben könnte?«

Willi schüttelte verneinend den Kopf. »Natascha war zu allen immer lieb und korrekt. Das hab ich auch der Polizei gesagt.«

Ich schluckte, somit hatten die Beamten ihn offenbar in einem halbwegs nüchternen Zustand vorgefunden und vernehmen können, wenn er sich daran erinnerte. Ich nestelte aus der vorderen Tasche des Rucksacks das gefundene Bild hervor und schob es ihm auf der Tischplatte zu. »Kennst du den Mann neben Mama?«

Willi keuchte erstaunt auf. »Nein!«

»Du lügst!« Die Reaktion des Onkels war zu intensiv gewesen!

»Nicht hier!«, zischte er.

»Vielleicht hilft dir die Flasche dabei, dein Erinnerungsvermögen anzukurbeln.«

Kaum hatte ich den Alkohol abgestellt, wischte er diese unwirsch von der Platte. Die Flasche zerschellte am Boden. Betroffen starrte er auf den Alkohol, der sich pfützenartig ausbreitete, ehe er emporstob, mit einer Geschwindigkeit, die ich ihm nicht zugetraut hätte. Ich musste mir ins Gedächtnis rufen, dass er mit Mitte fünfzig nicht zum alten Eisen zählte, obwohl er deutlich älter aussah.

»He, du musst erst die Zeche bezahlen!«, rief der Wirt hinter dem Tresen. »Und verdammte Sauerei!«

»Wie viel?« Ich zog einen Fünfziger hervor. »Reicht das?«

»Für den heutigen Tag.« Brummend schnappte sich der Wirt den Schein und hatte bestimmt auch einen Putzlohn miteinberechnet.

Verärgert eilte ich dem Onkel nach. Na super – habe ich nun Mamas Stelle übernommen und werde künftig die goldene Kuh für Willi sein? Nein, das wollte ich nicht! Doch er war mein letzter lebender Verwandter, und ich kannte mich. Hängen lassen würde ich ihn nicht, allerdings hieß das keineswegs, dass ich mich ausnutzen ließe!

Ich holte Willi ein. Mein Onkel hatte vor dem Lokal gestoppt und eine Zigarette herausgezogen. Er brauchte ein paar Versuche, bis er sie mit dem Feuerzeug entfachte. »Woher hast du das Bild?«, sprach er zwischen zwei inhalierenden Atemzügen.

»Es war in Mamas Jacke, die aus purem Glück das Feuer überstanden hat. Und am Telefon hat sie mir gesagt, dass jemand gekommen ist, um sie umzubringen. Wer und weshalb? Und der Kerl am Bild hat dasselbe Muttermal wie ich! Er ist mein Vater, oder?«

Willi hielt meinen fragenden Blicken stand. Rauchte erneut, ehe er antwortete: »Die Polizei hat mir davon erzählt. Unfassbar, doch kein Unfall … Ich dachte anfangs, mein Schädel hätte sich eine absurde Geschichte ausgedacht.« Er klopfte sich mit der freien Hand seitlich gegen die Stirn.

Unruhig trat ich von einem Fuß auf den anderen, während es in seinem Kopf zu rattern schien.

Nach einem neuerlichen Zug schnippte er die Zigarette weg. »Ich weiß nur, dass der Kerl auf dem Bild aus Jugoslawien stammt, also eigentlich Slowenien. Der Krieg hat den Staat ja zerfallen lassen.«

Willi wusste etwas! Jetzt durfte ich nicht lockerlassen! »Was hatte Mutter mit ihm zu schaffen?«

»Natascha arbeitete als Küchenhilfe in einem Hotel in Bad Radkersburg. Also in Grenznähe. Sie hat ihn dort kennengelernt. Und sich in ihn verliebt.«

Ich lehnte mich an das graugefärbte Mauerwerk der Kneipe. Mama und ein Mann, das klang so abstrus für mich. Wieso hatte sie es geheim gehalten? Hatte Mara recht, dass diese Liebe unglücklich verlaufen war? Er sie schwanger sitzen hat lassen? Mich tatsächlich nicht wollte, so wie Mama es einst andeutete? »Kennst du seinen Namen?«

»Janusz – Janosch … oder so. Nachnamen, keine Ahnung. Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ist auch schon Ewigkeiten her.«

»Lebt er noch dort in der Gegend, oder in seinem Heimatort?«

Willi zuckte mit den Achseln. »Woher soll ich das wissen? Hast eigentlich noch mehr?«

Erst jetzt bemerkte ich wieder sein Zittern. Willi brauchte Alkohol-Nachschub. Ich unterdrückte ein Ächzen, ging in die Richtung meines Skodas. Mein Onkel folgte mir, linste in den Kofferraum, als ich diesen öffnete und eine weitere Flasche hervorzog. »Teil dir das Zeug ein!«

Sein kehliges Geräusch, das er entließ, klang nicht gerade nach Zustimmung. »Hast du die Ruine eigentlich schon gesehen?«

»Nein.« Ich atmete tief durch, so viel Mut hatte ich noch nicht. Doch ich fürchtete, dass ich es nicht mehr allzu lange aufschieben konnte. Genauso wenig wie den Gang zur Bestattung, um alle Formalitäten zu klären. »Sag Bescheid, wenn ich dir irgendwo behilflich sein kann.« Ich drückte ihm die Weinflasche in die Hand.

Er starrte mich durchdringend an, als ob er mit so einem Vorschlag niemals gerechnet hätte. Tja, es sollte mich nicht verwundern, ich hatte bisher ebenso nicht damit gerechnet.

»Blond steht dir übrigens besser.« Willi öffnete grinsend den Schraubverschluss, trank in tiefen Zügen, als befände sich darin verdünnter Saft.

Verstimmt presste ich die Lippen zusammen. Wie ich aussah, ging ihn gar nichts an! »Ich werde das Foto in den nächsten Tagen zur Polizei bringen, also gib mir Bescheid, falls dir noch etwas dazu einfällt.«

Willi wischte sich mit dem Handrücken über die nassen Mundwinkel, drehte ohne eine weitere Entgegnung ab. Er schaute nicht mehr zurück, sondern stapfte in leichten Zick-Zack-Linien davon. Im Augenblick wusste er, dass es keinen weiteren Alkohol von mir geben würde. Doch ich hoffte darauf, dass es ihm ebenso ein Anliegen war, herauszufinden, wer hinter dem Anschlag steckte!

Mit weichen Knien setzte ich mich hinters Steuer. Ich besah mir das alte Bild, wünschte, es gäbe darauf irgendeine Erklärung, doch ich fand keine. Bevor mich die Emotionen neu übermannen konnten, startete ich den Wagen. Ab zum Bestatter! Der nächste Punkt auf meiner abzuarbeitenden Liste, obwohl ich mich weit lieber in meiner Wohnung verbarrikadiert hätte!

In Sorge

Mara saß vor dem Laptop, scrollte durch das Internet.

Neugierig trat Paul näher. »Was machst du da? Bist du neuerdings Sonnenblumen-Fan?«

Mara schüttelte den Kopf. »Nein, ich recherchiere. Schau, in Slowenien gibt es einige solcher Felder.«

Paul runzelte die Stirn. »Okaaay?«, zog er irritiert in die Länge.

Seine Frau seufzte. »Suni hat mich vorhin angerufen, und mich gebeten, ob ich etwas früher kommen kann, weil sie den Verband erneuern muss. Dabei hat sie mir erzählt, dass ihr Vater aus dieser Gegend stammt. Willi hat sich an den Kerl auf dem Bild erinnert. Eine alte Liebe ihrer Mutter Natascha. Ich habe Suni ins Gewissen geredet, dass sie mit der Aufnahme und der Jacke unbedingt zur Polizei muss. Das will sie heute nach der Beisetzung tun. Bestimmt benötigen sie diese für irgendwelche Analysen. Suni hofft ja, dass sich ihr Onkel noch an mehr Details erinnert, damit sie etwas Handfestes präsentieren kann. Sie hat so traurig und matt zugleich geklungen. Bestimmt hängt ihr die Verletzung mehr nach, als sie zugibt. Dabei weiß sie doch, dass sie auf mich zählen kann.«

Paul ließ sich neben ihr nieder. »Du kennst Suni, sie tut sich schwer darin, Hilfe anzunehmen. Und ich glaube, im Moment ist sie verwirrt, weiß selbst nicht, ob das Geschehene real oder nicht doch ein böser Traum ist.«

»Da bin ich mir ja nicht einmal selbst sicher.« Mara betätigte die Energiespartaste des Laptops, als der Bildschirm schwarz wurde, klappte sie ihn zu. »Es ist so tragisch. Ich will etwas tun und Suni unterstützen. Es muss eine Erklärung dafür geben, weshalb das alte Bild in der Tasche gesteckt hat.«

»Nun, ein bisschen schrullig war Natascha schon. Nett, aber sehr zurückhaltend. Ich kann mir gut vorstellen, dass sie hin und wieder in alten Zeiten geschwelgt hat. Mit ihrem Bruder konnte sie sicher nicht viel anfangen, sondern war ihm gegenüber eher wie eine Mutter und nicht wie die Schwester. Und dass Jasmin ausgezogen ist, hat sie nie ganz verwunden.«

»Zum Glück hat sich Suni auf die eigenen Beine gestellt. Bei Natascha war eine Grenze zwischen Beschützen und Ausspionieren so gut wie nicht mehr vorhanden. Ob sich der Mörder noch in der Gegend befindet?«

»Das ist schwierig zu beantworten. Vielleicht war es eine Internetbekanntschaft und er ist längst wieder über alle Berge.«

»Oder eine alte Liebe …«

»Wer auch immer, wir müssen der Polizei die Arbeit überlassen.«

»Wenigstens bekommt Natascha heute ihre letzte Ruhestätte. Auch wenn mir solche Traditionen nicht viel bedeuten, finde ich es gut, dass das zumindest bald abgeschlossen ist und Suni einen Ort hat, wo sie hingehen kann.«

Pauls Handy piepte.

»Nein«, entließ Mara, da sie seinen Blick kannte. »Ein Einsatz, oder? Was Schlimmes?«

»Umgekippter LKW mit Ölverlust.« Paul ächzte. »Ich kann …«

»Nein, komm einfach nach, sobald der Einsatz vorbei ist.«

Rasch drückte er ihr einen Kuss auf die Lippen. »Weißt du eigentlich, dass du die beste Frau bist, die man sich wünschen kann.«

Mara grinste. »Es gibt bessere Situationen, um seiner Liebsten ein Kompliment zu machen. Vor allem wirkt es verdammt zweideutig, wenn du gleich wie eine aufgescheuchte Hyäne davonläufst.«

Paul entließ ein tiefes Lachen, zog sie hoch in seine Arme und kniff ihr kess in den Allerwertesten. »Tja, und genau dein Hang für Zynismus hat mir den Kopf verdreht. Viel Kraft, my Pink-Rose.« Er ließ eine pinke Haarsträhne durch seine Finger gleiten. »Jasmin kann froh sein, dich zur Freundin zu haben.«

Mara spürte, wie ihr Körper auf Paul reagierte, sich eine Hitze in ihr ausbreitete, der sie im Moment nicht nachgeben konnte. »Bis später«, erwiderte sie rau.

Sein leidenschaftliches Aufblitzen in den Augen verriet deutlich, dass er sich ebenso lieber ausführlich ihrem Körper widmen wollte. Seufzend ließ Paul sie los und folgte der Pflicht, die ihm als Feuerwehrmitglied überaus wichtig war.

»Pink-Rose – pinke Rose – Sonnenblume«, sprach Mara nachdenklich. »Alsuna Jasmin.« Sie reaktivierte kurzerhand den Laptop, tippte ins Suchfeld auf der Internetseite die Vornamen ihrer Freundin ein, um nachzugehen, welche genauen Bedeutungen den Namen zugeordnet waren.

Ein schmerzlicher Abschied

Mein Brustkorb fühlte sich wund an, als ob eine offene Wunde darin wäre. Geschuldet an meiner Trauer, die bleischwer in mir lastete. Ich stand seitlich am Fenster, hatte den Store etwas zurückgezogen, blickte hinunter auf die Straße und wartete auf Mara. Sie sollte mir dabei behilflich sein, die Verletzung am Rücken zu versorgen. Selbst kam ich unzureichend mit den Händen ran und zum Hausarzt wollte ich nicht, da ich auf die mitleidigen Blicke von ihm und seiner Arztgehilfinnen sowie Fragen dankend verzichten konnte.

Nichtsdestotrotz brachte mir meine veränderte Frisur ein bisschen Anonymität. Flüchtige Bekannte sahen an mir vorüber, als wäre ich eine Fremde. Bewusst reduzierte ich meine Aufenthaltszeit im Freien. Ob das dunkle Haar dabei half, dass ich nicht in den Fokus des Mörders gelangte? Falls er überhaupt noch in der Gegend war. Doch ich war realistisch genug, dass das schwarze Haar als Täuschungsmanöver nicht funktionieren würde, wenn er wusste, wo ich lebte.

Zu meiner Trauer gesellte sich Angst hinzu. »Mach dich nicht verrückt«, wisperte ich in die Stille. Im Hintergrund tickte im Sekundentakt die Wanduhr im Retrostyle. »Bis jetzt gibt es keine Anzeichen dafür, dass mich wer beschattet.«

Ausgerechnet in diesem Moment trat jemand aus der Seitengasse mit einem dunklen Mantel heraus, sein Kopf war von einem Hut bedeckt. Erschrocken wich ich vom Fenster ein wenig zurück, während mein Herzschlag in Trommelwirbel ausbrach. Ich verfolgte ihn vom erhöhten Aussichtspunkt aus mit meinen Blicken. Als er einen grauen Wagen ansteuerte, in den er einstieg und kaum später losbrauste, entließ ich hörbar Luft.

»Siehst du, alles okay!« Ich schielte zu der Uhr, der Zeiger war kaum vorgerückt, stand knapp vor halb zwölf. Um vierzehn Uhr war die Trauerfeier anberaumt.

Ich schluckte, da sich der Kloß in meiner Kehle verstärkte. Wenn ich bloß schon alles hinter mir hätte! Einerseits wollte ich in Ruhe trauern, andererseits wusste ich, dass mich der Mord an Mama nie loslassen würde. Ob es sich je klären ließe, was genau geschehen war? Irgendwie hing ich zwischen zwei Welten, wo ich weder in die eine noch in die andere Richtung vorwärtskam. Ich tastete nach dem Handy, las Maras Nachricht, die sie vor fünf Minuten abgeschickt hatte: Bin beim Losfahren, drück dich, Bussi.

Diese paar Worte trieben mir die Tränen in die Augen. Ich zwinkerte sie in die Tiefen zurück, löste mich von der Wand, um im Bad die Verbandsmaterialien zu überprüfen, die ich am Vormittag feinsäuberlich bereitgelegt hatte. Das machte mich ein bisschen ruhiger, aber nur knapp unter der Oberfläche lauerten die verschiedensten Emotionen, die auf die nächste Achterbahnfahrt in mir warteten. Zum Glück konnte ich auf Mara zählen, die wie ein unerschütterlicher Fels jedem Sturm trotzte. Sogar mitten in der Nacht mir zurückschrieb, wenn ich es kaum aushielt. Sie beließ ihr Smartphone direkt neben ihrem Bett und war auf laut gestellt, damit sie für mich da sein konnte.

Die Türklingel erklang. Erleichtert ließ ich Mara ein, umarmte sie. Wir begrüßten uns mit Freundschaftsküssen. Und schon wieder kämpfte ich mit den Tränen.

»Bei mir musst du nicht die Starke spielen«, erklärte sie mir im teils liebevollen und teils mahnenden Ton.

»Ich will nur nicht so verheult ausschauen heute, verquollene Augenlider sind doof. Und Mama würde mächtig mit mir schimpfen. Sie war auch immer so stark und unerschütterlich«, schniefte ich.

»Weißt du, deine Mama war in vielen Dingen ziemlich angepasst, aber wenn es um dich ging, hat sie keinen Hehl daraus gemacht, dass sie dich über alles liebt. Nun ist sie da oben, und beschützt dich. Da bin ich sicher.«

»Ich wusste gar nicht, dass du an so etwas glaubst. Doch der Gedanke gefällt mir.« Ich zog Mara mit, wollte rasch das Thema wechseln. »Können wir gleich den Verband erneuern, bitte.«

Mara schaute ein wenig überfordert auf die unterschiedlichen Utensilien.

»Keine Sorge, ich sag dir der Reihe nach, was du machen musst. Zuerst desinfizierst du dir die Hände und schlüpfst in die Latexhandschuhe.«

»Ich will dir aber nicht wehtun«, kam es von ihr besorgt.

»Ach komm, du bist ja sonst auch nicht zimperlich. Vor allem, wenn ich nach deinen Tattoos und Piercings gehe.«

»Da muss ich nur selbst tapfer sein und nicht austeilen. – Okay, und jetzt damit reinigen, ja?« Mara hielt den durchtränkten Alkoholstieltupfer hoch.

»Stimmt. Von innen nach außen.«

»Drück ich eh nicht zu fest?«

»Nein, du machst das super.«

»Willst du nicht doch zum Arzt gehen? Es schaut schon ein bisschen böse aus.«

»Tja, das liegt daran, dass es eine Brandwunde ist, und da wird eine Narbe bleiben. Vor allem dort, wo sie etwas vom toten Gewebe weggeschnitten haben.«

Mara ließ den Stieltupfer in den vorbereiten Papierkorb fallen. »Suni, du hast echt richtig Glück gehabt.«

Ich presste die Lippen aufeinander, weil sich Glück meines Erachtens anders anfühlen sollte.

»Und jetzt?«

»Jetzt nimmst du mit dem Spatel etwas von der Salbe aus dem Tiegel, und streichst es vorsichtig drüber.«

Mara tat wie geheißen.

»Und nun gib den Tupfer drauf und das Pflaster drüber. Du musst es zuerst in der Mitte ein wenig auseinanderziehen und dann vorsichtig abstreifen«, wies ich sie weiter an. Mit Pflaster meinte ich ein selbstklebendes Gewebe, das ich auf die richtige Größe von einer Rolle abgeschnitten hatte.

»Oje, da sind jetzt Falten drinnen.«

»Die kannst du an der Ecke etwas auseinanderziehen. Und ein paar Falten sind nicht schlimm, hauptsächlich das Pflaster geht über den Tupfer hinaus.«

»Puh, geschafft!«, entließ Mara sichtlich erleichtert.

Ich schnappte mir die schwarze Bluse, die am Haken auf ihren Einsatz wartete und zog sie über. Bald würde es Richtung Kirche und Friedhof gehen.

»Hast du schon den Polizeibeamten angerufen?«

Ich nickte, schloss dabei langsam die Knöpfe meiner Bluse. »Ich soll vorbeikommen, sobald es mir möglich ist, der Posten ist bis zum Abend hin besetzt. Berger klang recht nachsichtig und freundlich, als ich meinte, dass die letzten Tage mich völlig geschafft hatten. Die ganzen Behördenwege, sämtliche Papiere von Mama musste ich neu beantragen, die im Feuer vernichtet worden sind. Gott sei Dank hat die Bestatterin mir dabei geholfen.«

»Du solltest es wirklich nicht länger aufschieben. Vielleicht hilft das alte Bild tatsächlich. Ich habe übrigens im Netz nachrecherchiert, es gibt Sonnenblumenfelder in Slowenien Richtung Grenznähe zu Österreich.«

»Bestimmt ist die Aufnahme aus dieser Gegend. Irgendwie hoffe ich darauf, dass Willi auch noch etwas eingefallen ist. Du weißt, sein Erinnerungsvermögen braucht manchmal etwas länger. Und ich fürchte, wenn die Polizei ihn vorab dazu vernimmt, stellt er auf stur. Zumindest zählen sie nicht unbedingt zu seinen engsten Freunden.«

»Das verstehe ich, auch wenn es selbstverschuldet ist. Bisher hat immer deine Mama ihn aus den Schwierigkeiten herausgeboxt, alle Schulden übernommen und sich um die rechtlichen Angelegenheiten gekümmert. Ich hoffe, du bist nicht so dumm wie sie.«

Ich seufzte und wusste nicht, ob ich es mit meinem Gewissen vereinbaren konnte, ihn fallen zu lassen.

»Suni! Bitte nicht! Hast du ihm etwa schon Geld gegeben?« Mara wusch sich grummelnd die Hände.

»Das ist nicht so einfach, wie du denkst«, entgegnete ich und suchte Ausflüchte. »In Mamas Haus kann er nicht mehr ziehen, das ist völlig hinüber. Und was ist, wenn er seine kleine Messie-Wohnung verliert, dann steht er bei mir auf der Matte, das will ich noch viel weniger. Wer weiß, wie lange ich ihn überhaupt unterstützen kann, nächste Woche gibt es das längst überfällige Gespräch mit meiner Chefin. Bestimmt muss ich mich um einen neuen Job umsehen.«

»Momentan bist du im Krankenstand, da darf sie dir gar nicht kündigen. Und es gibt auch Obdachlosenheime, da bist du aus der Pflicht genommen!«

Ich ging nicht darauf ein, sondern marschierte voraus in den Flurbereich, wo ich in dunkle Sneakers schlüpfte und nach dem schwarzen Blazer langte. »Kommt Paul direkt zum Friedhof?«

»Du weichst mir aus.« Mara musterte mich. »Paul musste zu einem Einsatz, irgendein LKW-Unfall. Er kommt nach, sobald er kann. Aber sei unbesorgt, ich weiche keinen Schritt von deiner Seite.«

»Danke, für alles. Es ist seltsam, obwohl Willi und ich verwandt sind, fühlt sich unsere Freundschaft viel mehr nach Familie an.«

»Du bist für mich auch wie eine Schwester.« Mara hinterließ einen feuchten Schmatz auf meiner Wange, nahm mich bei der Hand und zog mich mit. Offenbar hatte auch sie beschlossen, erstmal das Thema Willi ruhen zu lassen.

Mit schweren Schritten folgte ich dem Sarg, der sich auf einem Bahrwagen befand und von vier starken Kerlen gezogen und geschoben wurde. Mara stützte mich auf der linken Seite. Ich hatte mich bei ihr eingehakt, während Willi rechts ging. Seine Kleidung war sauber, roch allerdings nach alten Mottenkugeln. Auf die Messe hatte ich mich kaum konzentrieren können. Mara war diejenige gewesen, die mich anschubste, wenn ich aufstehen oder niedersitzen musste. Auch nun wirkten die Gespräche aus dem Hintergrund wie ein Stimmengewirr, dem ich nicht folgen konnte. Der Himmel präsentierte sich wolkenverhangen und für die sommerliche Jahreszeit war es im Vergleich zu kühl. Allzu viele Menschen hatten sich nicht eingefunden, doch ich erkannte die umliegenden Nachbarn und einige bekannte Gesichter aus der Umgebung.

Am Friedhof war die Ansprache des Pfarrers kurzgehalten. Die kräftigen Männer ließen an Seilen den hellen Fichtensarg in seine dunkle Gruft hinabgleiten. Ich presste die Lippen aufeinander, die Trauer kitzelte in meiner Kehle. Ich wollte schreien! Blieb stumm und wie erstarrt. Als Mara mich kniff, realisierte ich, dass ich nach vorne treten sollte. Ich griff nach der roten Rose, die dumpf auf dem Deckel aufprallte, sprengte Weihwasser und dem folgte ein Schaufelchen Erde. So wie es Brauch in unseren Breiten war. Nachdem ich ein Kreuzzeichen geschlagen hatte, positionierte ich mich ein paar Meter weiter, starrte auf meine Schuhe und das herumsprießende Gras.

Willi trat an mich heran. »Preložnik«, flüsterte er mir zu.

»Wie bitte?«

»Der Kerl heißt Janusz Preložnik. Da bin ich sicher.«

»Wie schreibt man das?«

»Paula Richard Emil Ludwig Otto Zeppelin – wird aber als Sch ausgesprochen – Nordpol Ida Konrad.«

Ich versuchte, die Buchstaben als Namen in meinem Kopf aneinanderzureihen. »Ist dir sonst noch etwas eingefallen?«

Willi setzte ein breites Grinsen auf, was ich in der derzeitigen Situation verdammt unpassend fand. »Sag, gehen wir nachher noch in einen Gasthof?«

Ich schluckte, verstand klar, dass er nur mehr erzählen würde, wenn er ein warmes Essen bekam. Ich schwankte zwischen Wut und Neugierde. Reserviert hatte ich nichts, für was auch, wir waren eine Handvoll Leute. Und wirklich hungrig war ich in den letzten Tagen nicht gewesen, was sich mittlerweile an meiner Kleidung bemerkbar machte, die lockerer saß. Doch jeder noch so kleine Hinweis konnte hilfreich sein! Ich blinzelte Richtung Mara, sah, wie sie eine Rose in das tiefe Loch hinabwarf. Mamas Mörder musste gefunden werden. Nickend stimmte ich Willi zu.

Mara zog mich hinter eine Thuje und raunte mir zu: »Du gehst ernsthaft mit Willi in ein Gasthaus? Soll ich mitkommen? Nicht, dass du es nicht vertragen würdest! Wenn ich könnte, würde ich dir ja ein paar Rundungen von mir abgeben.«

Ich seufzte. »An sich hätte ich dich – euch – viel lieber dabei, aber ich hoffe, dass Willi mir Infos bezüglich diesen Janusz erzählt. Und ich weiß nicht, wie gesprächig er ist, wenn Paul und du dabei seid.«

»Er will nur ein Gratisessen«, bemerkte Mara fest. »Und du lässt dich häppchenweise füttern, das ist nicht okay!«

»Das weiß ich selbst«, brummte ich. »Aber was soll ich deiner Meinung nach tun? Ich habe keine Kraft, um dagegen anzukämpfen. Fühl mich noch immer, als wäre ich in einem falschen Film gelandet. Ich habe ein schlechtes Gewissen, weil ich selbst gar nicht an ein Essen gedacht habe. Und du tust so viel für mich. Wenn es jemand verdient hätte, eingeladen zu werden, dann du.« Ich war leise geworden.

Mara zog mich in ihre Arme. »Dummerchen. – Sorry, aber du redest echt einen Blödsinn. Außerdem kenn ich dich über all die Jahre gut genug und weiß, dass so ein Essen für dich eine Qual ist. Wir machen es ein anderes Mal, ungezwungener, bei uns, wie bei der letzten Grillfeier. Nicht, weil es Brauch ist, sondern weil wir Freunde sind.«

Ich löste mich von ihr, drückte mir ein Taschentuch ins Gesicht, tupfte die verräterischen Tränen aus den Augenwinkeln.

»Ganz ehrlich. Ich denke, ich würde wahrscheinlich an deiner Stelle auch mit Willi essen gehen. Dennoch, Süße, ich will ja nur, dass du auf dich aufpasst. Hast du eigentlich den Polizisten im Hintergrund bemerkt?«

Mein Kopf ruckte hoch. »Nein. Ist er noch da?« Ich trat hinter dem geschützten Bereich nach vorne. Paul, der erst vor wenigen Minuten aufgetaucht war, unterhielt sich mit Willi. Die restlichen Trauergäste waren verschwunden. Außerhalb der Friedhofsmauern parkte ein Minibagger, daneben stand ein Kerl, der rauchte und wohl wartete, bis auch wir fort waren, um das Grab zuzuschaufeln.

Ich schluckte. Neben dem Erdwall lehnte an der Seite ein schlichtes Holzkreuz, auf dem Natascha Winzer und ihr Sterbedatum, der achtundzwanzigste Juni, eingraviert war. Ein Grabstein machte erst in einigen Monaten Sinn, dann, wenn sich das Erdreich gefestigt hatte.

»Wie es ausschaut, ist der Beamte fort. Das ist wohl ein gutes Zeichen.« Mara hakte sich bei mir unter. »Am besten, du fährst so bald wie möglich auf den Posten.«

»Stimmt. Zumindest habe ich nun auch den Schreibnamen des Kerls, was bestimmt von Vorteil ist.«

»Ruf mich an, jederzeit. Oder willst du nicht doch besser für ein paar Tage zu uns ins Haus kommen? Ein bisschen Abstand und Ablenkung tun dir sicher gut. Du weißt, dass ich mich um dich sorge.«

Etwas Abstand und Ablenkung klangen verlockend, aber ich befürchtete insgeheim, dass ich die nicht einmal dann hätte, wenn ich auswandern würde. Ich presste meine Lippen aufeinander. Maras liebevoller Ton tröstete mich, während es sich gleichzeitig anfühlte, als würde ich an meinem Schmerz ersticken, weil ich versuchte, ihn zu unterdrücken und nicht wagte, ihn frei fließen zu lassen. So musste es sein, wenn man schizophren war – zerrissen, in allem Tun und in den Handlungen. Ich vermisste Mamas Nachrichten. Ihre Stimme! Ihr Duft nach Aprikose! … All das blieb unwiederbringlich verloren.

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